Alles, was ist - James Salter - E-Book

Alles, was ist E-Book

James Salter

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Beschreibung

Als Lieutenant Philip Bowman aus dem Pazifischen Krieg zurückkehrt, der Schlacht von Okinawa knapp entronnen, liegt das Leben endlich vor ihm. Er studiert, heuert bei einer Theaterzeitschrift an, beginnt für einen Verlag Manuskripte zu lesen. Alles scheint möglich in dem noch ungebändigten New York. Er wird Lektor in einem angesehenen Verlag, diniert mit Schriftstellern, und er lernt Vivian kennen, Vivian Amussen, das schöne unnahbare Mädchen aus dem Süden. Ein Leben, wie er es sich vollkommener nicht hätte erträumen können, und doch droht ihm alles zu entgleiten. James Salter hat einen Roman über die Verlockungen und Verheißungen New Yorks geschrieben, der ewig verführerischen Stadt, über Versuchung und Täuschung.

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Für Kay

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Berlin Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2013

ISBN 978-3-8270-7661-8

Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel All That Is

bei Alfred A. Knopf, New York

© 2013 James Salter

Für die deutsche Ausgabe

© 2013 Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

unter Verwendung eines Bildes von akg-images, Paul Almasy

Datenkonvertierung: Greiner & Reichel, Köln

Irgendwann wird einem klar,

dass alles ein Traum ist

und nur geschriebene Dinge

die Möglichkeit haben, wirklich zu sein.

1. Tagesanbruch

Die ganze Nacht hindurch, im Dunkel, preschte das Wasser vorbei.

Reihe um Reihe lagen Hunderte von Männern schweigend übereinander in den eisernen Kojen unter Deck, viele mit dem Gesicht nach oben, die Augen noch offen, obwohl fast Morgen war. Die Lichter waren gedämpft, die Motoren dröhnten unaufhörlich, die Ventilatoren zogen feuchte Luft, fünfzehnhundert Mann mit Tornistern und Waffen, schwer genug, um sie geradewegs auf den Grund zu ziehen, als würde ein Amboss ins Meer fallen, ein Teil der riesigen Flotte mit Kurs auf Okinawa, der großen Insel südlich von Japan. Im Grunde war Okinawa Japan, das fremde, unbekannte Land. Der Krieg, der seit dreieinhalb Jahren andauerte, befand sich in seinem Schlussakt. In einer halben Stunde würden die ersten Männer sich zum Frühstück aufreihen, es im Stehen essen, Schulter an Schulter, ernst, ohne zu sprechen. Das Schiff bewegte sich ruhig durch das Wasser, hier und da ein dumpfes Geräusch. Der Stahlrumpf knarrte.

Der Krieg im Pazifik war anders als der Rest. Allein die Entfernungen waren enorm. Es gab nichts außer endlosen Tagen auf offener See und fremdartige Namen von Orten, die tausend Meilen auseinanderlagen. Es war ein Krieg der vielen Inseln, es galt, sie Japan zu entwinden, eine nach der anderen. Guadalcanal, das zur Legende wurde. Die Solomon Islands und der Slot, die Meerenge bei New Georgia. Tarawa, wo das Landungsboot weit vor der Insel auf einem Riff auflief und die Männer von einem Kugelhagel dicht wie Bienenschwärme niedergemäht wurden, der Albtraum der Strände, aufgedunsene Leichname, die in der Brandung trieben, die Söhne der Nation, einige wunderschön.

Am Anfang hatten die Japaner mit angsteinflößender Geschwindigkeit alles überrannt, ganz Niederländisch-Indien, die Malaiische Halbinsel, die Philippinen. Große Festungen, ganze Befestigungslinien, die als uneinnehmbar galten, wurden innerhalb von Tagen überrollt. Es hatte nur einen Gegenangriff gegeben, die erste große Trägerschlacht mitten im Pazifik nahe der Midwayinseln, bei der vier unersetzliche japanische Flugzeugträger mit allen Flugzeugen und erfahrenen Mannschaften untergingen. Ein heftiger Schlag, und doch blieben die Japaner unerbittlich. Ihr Griff um den Pazifik musste Finger um eisernen Finger gebrochen werden.

Die Gefechte waren endlos, mitleidlos, im tropischen Dickicht, bei drückender Hitze. Danach sah man nah am Ufer die nackten Palmen wie Pfähle in den Himmel ragen, jedes Blatt war weggeschossen. Die Gegner waren grausame Kämpfer, mit fremdartigen pagodenförmigen Konstruktionen auf ihren Kriegsschiffen, ihrer geheimnisvoll zischenden Sprache, den gedrungenen Körpern und der wilden Entschlossenheit. Sie ergaben sich nicht. Sie kämpften bis in den Tod. Sie exekutierten Gefangene mit rasiermesserscharfen Klingen, zweihändige Schwerter, hoch über den Kopf gehoben, und sie waren erbarmungslos im Sieg, die Waffen im Massentriumph in die Luft gestemmt.

1944 wurden die letzten großen Etappen eingeläutet. Ziel war, das japanische Festland in Reichweite schwerer Bomber zu bringen. Saipan war der Schlüssel. Es war groß und wurde bis aufs Äußerste verteidigt. Die japanische Armee war abgesehen von Außenposten wie Neuguinea oder den Gilbertinseln seit mehr als 350 Jahren im Kampf nicht mehr geschlagen worden. Es gab fünfundzwanzigtausend japanische Soldaten auf der Insel Saipan, deren Befehl es war, nicht einen Zentimeter zu weichen. In der Ordnung weltlicher Dinge galt die Verteidigung von Saipan als Kampf um Leben und Tod.

Im Juni begann die Invasion. Die Japaner hatten gefährliche Marineverbände in der Gegend, schwere Kreuzer und Schlachtschiffe. Zwei Marinedivisionen gingen an Land und eine Heeresdivision folgte.

Für die Japaner wurde es zur Katastrophe von Saipan. Zwanzig Tage später waren fast alle tot. Der japanische General und Admiral Nagumo, der bei Midway das Kommando geführt hatte, nahm sich das Leben, und Hunderte von Zivilisten, Männer und Frauen, die Angst hatten, ermordet zu werden, darunter Mütter, die ihre Babys im Arm hielten, sprangen von den Steilfelsen auf die spitzen Klippen darunter in den Tod.

Es war das Totengeläut. Die Bombardierung von Japans Hauptinsel war jetzt möglich, und bei einem der massivsten Luftangriffe des gesamten Kriegs, mit Brandbombenabwürfen über Tokio, starben in nur einer Nacht mehr als achtzigtausend Menschen in dem Inferno.

Als Nächstes fiel Iwojima. Die Japaner riefen zum äußersten Schwur: Eher der Tod von hundert Millionen, der ganzen Bevölkerung, als Kapitulation.

Auf dem Weg lag Okinawa.

Der Tag zog auf, ein blasser Pazifikmorgen, ohne wirklichen Horizont, nur die oberen Ränder der Wolken fingen das erste Licht. Das Meer war leer. Langsam erschien die Sonne, flutete weißlich über das Wasser. Ein Lieutenant junior zur See namens Bowman war an Deck gekommen, er stand an der Reling und blickte hinaus. Sein Kabinennachbar Kimmel stellte sich schweigend neben ihn. Es war ein Tag, den Bowman nie vergessen würde. So wenig wie alle anderen.

»Irgendwas zu sehen?«

»Nichts.«

»Nicht dass man was sehen könnte«, sagte Kimmel.

Er sah nach vorne, dann nach achtern.

»Es ist zu friedlich«, sagte er.

Bowman war Navigationsoffizier und auch Wachoffizier, wie er zwei Tage zuvor erfahren hatte.

»Sir«, hatte er gefragt. »Was beinhaltet das genau?«

»Hier ist das Handbuch«, sagte der erste Offizier.

Er begann am Abend zu lesen, hin und wieder knickte er eine Seite um.

»Was machst du?«, fragte Kimmel.

»Lass mich jetzt mal.«

»Was liest du da?«

»Ein Handbuch.«

»Ich glaub es nicht, wir sind mitten in feindlichen Gewässern, und du sitzt hier und liest ein Handbuch? Das ist wohl kaum die richtige Zeit dafür. Du solltest mittlerweile doch wissen, was zu tun ist.«

Bowman achtete nicht auf ihn. Sie waren von Anfang an zusammen gewesen, seit midshipman’sschool, wo der Kommandant, ein Kapitän zur See, dessen Karriere endete, als sein Zerstörer auf Grund lief, jedem Mann eine Ausgabe von Die Botschaft an Garcia auf das Bett gelegt hatte, ein inspirierender Text aus dem Spanisch-Amerikanischen Krieg. Kapitän McCreary hatte keine Zukunft, aber er blieb dem Anspruch der Vergangenheit treu. Jeden Abend trank er sich in einen Rausch, aber am Morgen war er wieder frisch und immer glattrasiert. Er kannte das Handbuch der Marinevorschriften auswendig und hatte die Ausgaben der Botschaft an Garcia aus eigener Tasche bezahlt. Bowman hatte es aufmerksam gelesen, Jahre später konnte er noch daraus zitieren. Garcia befand sich irgendwo in der Weite der kubanischen Berge – wo genau, das wusste keiner … Die Aussage war sehr einfach: Tu deine Pflicht, aus vollem Herzen, ohne unnötige Fragen oder Ausreden. Kimmel hatte beim Lesen gelacht.

»Aye, aye, Sir. An die Waffen, Männer!«

Er war dunkelhaarig und mager und hatte einen schlaksigen Gang, mit langen Beinen, so schien es zumindest. Seine Uniform sah immer aus, als hätte er darin geschlafen. Sein Hals war zu dünn für seinen Kragen. Die Kameraden nannten ihn untereinander das Kamel, aber er hatte einen playboyhaften Charme, und Frauen mochten ihn. In San Diego hatte er etwas mit einem lebhaften Mädchen namens Vicky angefangen, deren Vater Palmetto-Ford-Vertragshändler war. Sie hatte blondes, zurückgenommenes Haar und etwas Verwegenes an sich. Sie fühlte sich sofort von Kimmel angezogen, seinem lässigen Flair. In dem Hotelzimmer, das er sich mit zwei anderen besorgt hatte, und wo sie, wie er erklärte, den Lärm der Bar nicht um sich hätten, saßen sie und tranken Canadian Club Whisky mit Cola.

»Wie das wohl passiert ist?«, sagte er.

»Wie was passiert ist?«

»Dass wir uns getroffen haben.«

»Verdient hast du es nicht.«

Er lachte.

»Muss Schicksal sein«, sagte er.

Sie nippte an ihrem Glas.

»Schicksal? Dann heiraten wir also?«

»Das ging aber schnell. Ich bin noch zu jung zum Heiraten.«

»Du würdest mich im ersten Jahr wahrscheinlich nur zehn Mal betrügen«, sagte sie.

»Ich würde dich niemals betrügen.«

»Haha.«

Sie wusste genau, wie er war, doch das würde sie ändern. Sie mochte sein Lachen. Er müsste aber zuerst ihren Vater kennenlernen, bemerkte sie.

»Ich würde deinen Vater gerne kennenlernen«, antwortete Kimmel scheinbar ernst. »Hast du ihm von uns erzählt?«

»Glaubst du, ich bin verrückt? Er würde mich umbringen.«

»Was meinst du? Warum?«

»Weil ich schwanger bin.«

»Du bist schwanger?«, sagte Kimmel beunruhigt.

»Wer weiß?«

Vicky Hollins in ihrem seidenen Kleid, die Blicke hafteten an ihr, wenn sie vorüberging. Mit hohen Schuhen war sie gar nicht mal so klein. Sie nannte sich gern beim Nachnamen. Hollins, meldete sie sich am Telefon.

Sie liefen aus, alles wurde dadurch real oder auf gewisse Weise real.

»Wer weiß, ob wir zurückkommen«, sagte er wie nebenbei.

Ihre Briefe waren in den zwei Postsäcken gekommen, die Bowman aus Leyte zurückgebracht hatte. Er war dort vom ersten Offizier hinbeordert worden, um im Flottenpostamt die Schiffspost aufzutreiben – sie hatten seit zehn Tagen nichts mehr bekommen –, und siegreich in einer TBM mit den zwei Säcken zurückgekehrt. Kimmel las Teile ihrer Briefe laut vor, vor allem Brownell zuliebe, dem dritten Mann in ihrer Kabine. Brownell war von tiefer idealistischer Moral und mit Spuren von Akne auf seinem leicht angespannten Kinn. Kimmel machte sich gerne einen Spaß mit ihm. Er roch an dem Briefpapier. Ja, das war ihr Parfum, sagte er, er würde es überall erkennen.

»Und vielleicht noch etwas anderes«, rätselte er. »Ich frag mich, meinst du, sie hat es vielleicht, du weißt schon, an sich gerieben …? Hier«, sagte er und hielt das Papier Brownell hin. »Was meinst du?«

»Davon weiß ich nichts«, sagte Brownell verunsichert. Seine Kiefermuskeln arbeiteten.

»Klar doch, ein alter Frauenheld wie du.«

»Versuch ja nicht, mich in deine Bettgeschichten reinzuziehen«, sagte Brownell.

»Das sind keine Bettgeschichten, sie schreibt mir, weil wir verliebt sind. Es ist etwas Schönes und Reines.«

»Als wüsstest du, was das ist.«

Brownell las Der Prophet.

»Der Prophet. Was ist das?«, sagte Kimmel. »Lass mal sehen. Was sagt er denn? Komm schon. Was wird passieren?«

Brownell antwortete nicht.

Die Briefe waren weniger aufregend, als man es von einem Blatt mit weiblicher Handschrift erwarten würde. Vicky redete gerne, und ihre Briefe waren eine ausführliche und etwas eintönige Beschreibung ihres Lebens, das unter anderem darin bestand, an all die Orte zurückzukehren, an denen sie mit Kimmel gewesen war, normalerweise in Begleitung ihrer besten Freundin Susu oder in Begleitung anderer junger Marineoffiziere, bei denen sie aber immer an Kimmel dachte. Der Barkeeper erinnerte sich noch an sie beide, ein wunderbares Paar. Als Abschluss setzte sie jedes Mal eine bekannte Liedzeile unter den Brief, I didn’t want to do it, schrieb sie.

Bowman hatte keine Freundin, treu oder nicht. Er hatte keine Erfahrung in der Liebe, wollte es aber nicht unbedingt zugeben. Er ließ das Thema einfach an sich vorüberziehen, wenn die Sprache auf Frauen kam, und tat, als wäre Kimmels aufregende Affäre nichts, was ihm unbekannt wäre. Sein Leben war das Schiff und seine Pflichten an Bord. Er fühlte sich all dem treu verbunden, der Tradition, die er respektierte, er fühlte einen gewissen Stolz, wenn der Kapitän oder Sergeant ihn »Mister Bowman!« nannten. Er mochte es, wenn sie sich auf ihn verließen, wie beiläufig es auch war.

Er war gewissenhaft. Er hatte blaue Augen und braunes, zurückgekämmtes Haar. Er war bereits in der Schule gewissenhaft gewesen. Miss Crowley hatte ihn nach der Stunde zur Seite genommen und ihm gesagt, er habe die besten Voraussetzungen für einen erstklassigen Latinisten, aber wenn sie ihn jetzt hätte sehen können, in seiner Uniform mit den meeresstumpfen Abzeichen, wäre sie sehr beeindruckt gewesen. Seit der Zeit, als er und Kimmel in Ulithi an Bord gekommen waren, hatte er, wie er fand, seine Arbeit gut gemacht.

Die Frage, ob er sich im Kampf bewähren würde, lastete schwer auf ihm, als sie am Morgen dort standen, in aller Frühe, und auf die geheimnisvolle, fremde See hinausblickten und dann in den Himmel, der langsam heller wurde. Mut und Angst und wie man sich unter Beschuss verhielt, gehörten nicht zu den Dingen, über die gesprochen wurde. Man hoffte, wenn es so weit wäre, würde man handeln, wie es von einem erwartet wurde. Er vertraute auf sich, wenn auch nicht vollständig, und auf die Führung, die altbewährten Namen, die die Flotte kommandierten. Einmal hatte er in der Ferne, tief und geschmeidig durch das Wasser gleitend, das getarnte Flaggschiff gesehen, die NewJersey, mit Halsey an Bord. Es war, als würde man in Regensburg von Ferne Karl den Großen sehen. Er fühlte eine Art Stolz, wenn nicht gar Erfüllung. Es hatte gereicht.

Die wahre Gefahr käme aus der Luft, die Selbstmordangriffe, die Kamikazeflieger – das Wort bedeutete ›göttlicher Wind‹, die vom Himmel gesandten Stürme, die Japan Jahrhunderte zuvor vor dem Einfall der mongolischen Flotte unter Kublai Khan gerettet hatten. Auch jetzt war es ein Eingreifen von oben, dieses Mal durch bombenschwere Flugzeuge, die sich direkt in die feindlichen Schiffe stürzten, wobei die Piloten starben.

Der erste dieser Angriffe hatte ein paar Monate zuvor auf den Philippinen stattgefunden. Ein japanisches Flugzeug flog in einen schweren Kreuzer, explodierte und tötete den Kapitän und neben ihm viele andere. Seitdem hatten sich die Angriffe vermehrt. Die Japaner kamen in unregelmäßigen Gruppen, wie aus dem Nichts tauchten sie plötzlich auf. Die Männer starrten wie hypnotisiert nach oben, fasziniert, voller Angst, während die Flugzeuge durch das dichte Fliegerabwehrfeuer direkt auf sie niederstießen oder flach über das Wasser hereinkamen. Um Okinawa zu verteidigen, hatten die Japaner den größten aller Kamikazeangriffe geplant. Der Verlust der Schiffe wäre so hoch, dass die Invasion zurückgeschlagen und vernichtet würde. Es war nicht nur ein Traum. Der Ausgang großer Schlachten ließ sich durch Entschlossenheit wenden.

Den ganzen Morgen hindurch geschah allerdings nichts. Die Dünung rollte heran und trieb vorbei, ein paar weiße Ränder hoben sich an den Spitzen und brachen rückwärts. Der Himmel war wolkenverhangen, darunter lag der strahlende Tag.

Die erste Warnung vor feindlichen Flugzeugen kam von der Brücke. Bowman rannte zur Kabine, um seine Rettungsweste zu holen, als der Alarm für die Mannschaft losging und alles übertönte. Er kam an Kimmel vorbei, er trug einen Helm, der zu groß für ihn schien, er rannte die Stahltreppe hinauf und rief: »Sie kommen! Sie kommen!«

Das Feuer war eröffnet, jedes Geschütz auf dem Schiff und den Schiffen in der Nähe feuerte. Der Lärm war ohrenbetäubend. Schwärme von Flugabwehrgeschossen trieben durch den schwarzen Qualm nach oben. Auf der Brücke schlug der Kapitän dem Steuermann gegen den Arm, um sich bemerkbar zu machen, Männer rannten immer noch zu ihren Gefechtsständen. Alles passierte mit zwei Geschwindigkeiten. Der Lärm und die verzweifelte Hast der Handlungen, und dann eine langsamere, ganz eigene Geschwindigkeit, die des Schicksals und der dunklen Punkte am Himmel, die durch das Gefechtsfeuer auf sie zukamen. Sie waren noch weit entfernt, es schien, als könnten die Geschosse sie nicht erreichen, und dann, im allgemeinen Getöse, löste sich ein einzelnes dunkles Flugzeug und stürzte unbeirrt wie ein blindes Insekt mit roten Insignien auf den Flügeln und glänzend schwarzer Haube auf sie herab. Jedes Geschütz auf dem Schiff feuerte darauflos, die Sekunden fielen ineinander. Dann, mit einer riesigen Explosion und einer geysirartigen Fontäne, schlingerte das Schiff unter ihnen zur Seite weg – das Flugzeug hatte sie, zumindest längsseits, getroffen. Im Rauch und der allgemeinen Verwirrung konnte es keiner sagen.

»Mann über Bord!«

»Wo?«

»Achtern, Sir!«

Es war Kimmel, der glaubte, das Munitionslager mittschiffs wäre getroffen worden, und gesprungen war. Der Lärm war noch immer gewaltig, es wurde auf alles geschossen. Im Kielwasser versuchte Kimmel, sich zwischen den Wogen und Wrackteilen über Wasser zu halten, und verschwand langsam außer Sichtweite. Sie konnten nicht anhalten oder für ihn umkehren. Er wäre sicher ertrunken, wurde aber wundersamerweise von einem Zerstörer aufgelesen, der fast augenblicklich von einem weiteren Kamikazeflieger versenkt wurde. Die Mannschaft konnte von einem zweiten Zerstörer geborgen werden, und auch dieser wurde kaum eine Stunde später der Wasserlinie gleichgemacht. Kimmel endete in einem Marinelazarett. Er wurde zu einer Art Legende. Er war aus einem Irrtum vom Schiff gesprungen und hatte an nur einem Tag mehr Kampfhandlungen erlebt, als der Rest von ihnen während des gesamten Kriegs. Danach verlor Bowman ihn aus den Augen. Er versuchte mehrere Male, ihn in Chicago ausfindig zu machen, aber ohne Erfolg. Mehr als dreißig Schiffe wurden an dem Tag versenkt. Es waren die schwersten Verluste der Flotte während des Kriegs.

Nahe derselben Stelle erklang nur wenige Tage später das Totengeläut der kaiserlichen Marine. Mehr als vierzig Jahre lang, seit ihrem erstaunlichen Sieg über die Russen bei Tsushima, hatten die Japaner ihre Kräfte immer weiter verstärkt. Ein Inselimperium bedurfte einer mächtigen Flotte, und japanische Schiffe galten als überlegen. Da sie mit kleineren Soldaten bemannt waren, wurde weniger Raum zwischen den Decks benötigt, und dies erlaubte schwerere und größere Geschütze und eine höhere Geschwindigkeit. Das größte dieser Schiffe, unbesiegbar, mit stärksten Stahlwänden und modernstem Korpus, trug den poetischen Namen ihrer Nation Yamato. Mit dem Befehl, die große Invasionsflotte vor Okinawa anzugreifen, lief es aus einem Binnenhafen aus, wo es in Bereitschaft gelegen hatte.

Es war ein Aufbruch dunkler Ahnungen, wie die unheimliche Stille vor einem aufziehenden Sturm. Das grüne Wasser im Hafen, der lange, dunkle Rumpf, kraftvoll und langsam durch das Wasser gleitend, spät am Tag, feierlich gemach, mit allmählich sich formender Bugwelle, dann etwas schneller, fast lautlos vorbei an den großen Umrissen der Hafenkräne, dem Ufer, das sich im Abendnebel verlor, weiße Strudel am Kiel, und hinaus aufs Meer. Alle Geräusche waren gedämpft; es herrschte ein Gefühl von Abschied. Der Kapitän richtete sich an die versammelte Mannschaft, die an Deck gekommen war. Sie hatten ausreichend Munition, Kammern voller Granaten, groß wie Särge, aber nicht genug Treibstoff, wie er erklärte, um zurückzukehren. Dreitausend Mann und ein Vizeadmiral befanden sich an Bord. Sie hatten ihren Eltern und Frauen Abschiedsbriefe geschrieben und fuhren in den Tod. Finde das Glück mit einem anderen, schrieben sie. Seid stolz auf euren Sohn. Das Leben war kostbar für sie. Sie waren ernst und furchtsam. Viele beteten. Das Schiff war dazu bestimmt unterzugehen, als Symbol für den unsterblichen Willen der Nation, sich niemals zu ergeben.

Als die Nacht hereinbrach, fuhren sie an der Küste von Kyūshū entlang, der südlichsten von Japans Inseln, an deren Strand einst die Umrisse eines amerikanischen Schlachtschiffs gezeichnet worden waren, damit die japanischen Piloten den Angriff auf Pearl Harbor üben konnten. Die Wellen brachen und trieben vorbei. Es herrschte eine merkwürdige Stimmung, fast ein Hochgefühl unter der Besatzung. Im Mondlicht sangen sie Lieder und riefen Banzai! Vielen unter ihnen fiel auf, dass das Meer an dem Abend ungewöhnlich glänzte.

Sie wurden im Morgengrauen entdeckt, weit entfernt von jedem amerikanischen Schiff. Ein Aufklärungsflugzeug der Navy gab die dringende Meldung durch: Feindliche Verbände unterwegs in südlicher Richtung. Mindestens ein Schlachtschiff, viele Zerstörer … Geschwindigkeit fünfundzwanzig Knoten. Am Morgen war Wind aufgekommen. Die See war rau, mit tief hängenden Wolken und Schauern. Mächtige Wellen rollten an der Schiffsseite vorbei. Dann tauchten wie erwartet auf dem Radar die ersten Flugzeuge auf. Es war nicht nur eine Formation, es waren viele Formationen, ein ganzer Schwarm bedeckte den Himmel, zweihundertfünfzig Trägerflugzeuge.

Sie kamen aus den Wolken, Sturz- und Torpedobomber, mehr als hundert auf einmal. Die Yamato war gebaut, um Luftangriffen zu widerstehen. An allen Geschützen wurde gefeuert, als die erste Bombe einschlug. Einer der Begleitzerstörer hatte plötzlich Schlagseite, tödlich getroffen drehte er sich mit dem dunkelroten Bauch nach oben und sank. Torpedos strömten durch das Wasser auf die Yamato zu, ihr Kiel weiß wie Bindfaden. Das unzerstörbare Deck war aufgebrochen, ein halber Meter Stahl, zerschmetterte und in Stücke gerissene Männer. »Verliert nicht den Mut!«, rief der Kapitän. Offiziere hatten sich auf der Brücke an ihre Gefechtsstationen gebunden, während weitere Bomben das Schiff trafen. Andere schlugen knapp daneben ein, warfen riesige Fontänen auf, Wasserwände, massiv wie Stein, brachen über das Deck. Es war keine Schlacht, es war ein Ritual, der Tod eines riesigen, wilden Tiers, das mit wiederholten Schlägen niedergestreckt wurde.

Eine Stunde war vergangen, und noch immer kamen Flugzeuge, eine vierte Welle, dann eine fünfte und sechste. Die Zerstörung war unvorstellbar. Das Ruder war getroffen, das Schiff drehte hilflos umher, krängte bereits zur Seite, das Meer strömte über das Deck. Mein ganzes Leben war ein Geschenk deiner Liebe, hatten sie ihren Müttern geschrieben. Die Codebücher waren in Blei gebunden, damit sie mit dem Schiff versanken, und ihre Tinte war so beschaffen, dass sie sich im Wasser auflösen würde. Kurz vor Ende der zweiten Stunde mit einer Neigung von fast achtzig Grad, mit Hunderten von Toten und noch mehr Verletzten, begann das Schiff, blind und vernichtet, zu sinken. Wellen schwemmten darüber hinweg, Männer, die sich an Deck festhielten, wurden in alle Richtungen getragen. Als es unterging, formte sich ein gewaltiger Strudel, ein Sog, in dem keiner der Männer überleben konnte, sie wurden einfach in die Tiefe gerissen, als fielen sie durch die Luft. Und dann die noch größere Katastrophe, das Waffenlager, die riesigen Granaten, Tonnen über Tonnen rutschten aus ihren Halterungen und fielen mit der Spitze voran in die Geschütztürme. Tief aus dem Meer kam eine ungeheure Explosion und ein so heller Lichtstrahl, dass man es bis nach Kyūshū sehen konnte, als die Magazine barsten. Eine Flammensäule stieg eine Meile weit in den Himmel, eine biblische Säule, die Luft voll rotglühender Stahlteile, die auf sie niederregneten. Wie ein Echo kam aus der Tiefe eine zweite Explosion, und dicker Rauch strömte auf.

Ein paar Männer, die nicht mit dem Sog nach unten gezogen worden waren, schwammen immer noch. Sie waren schwarz vom Öl und husteten in den Wellen, ein paar von ihnen sangen Lieder.

Sie waren die einzigen Überlebenden. Weder der Kapitän noch der Admiral waren unter ihnen. Der Rest der dreitausend Männer war in dem leblosen Rumpf des Schiffs bis auf den Grund gesunken.

Die Nachricht von der Versenkung der Yamato verbreitete sich schnell. Es war das Ende des Kriegs auf See.

Bowmans Schiff war eines der vielen, die in der Bucht von Tokio vor Anker gingen, als der Krieg zu Ende war. Danach nahm es noch einmal Kurs auf Okinawa, um auf dem Heimweg die Truppen einzusammeln. Bowman nutzte die Gelegenheit, in Yokohama an Land zu gehen und sich einen Teil der Stadt anzusehen, oder das, was von ihr übrig war. Er wanderte Block um Block an Grundmauern vorbei. Der Geruch von Tod und verbrannten Trümmern lag in der Luft. Unter den wenigen Dingen, die nicht zerstört worden waren, befanden sich die Stahlkammern der Bank, auch wenn das Gebäude selbst verschwunden war. Im Rinnstein lagen Reste von verbranntem Papier, die Banknoten, es war alles, was von dem imperialen Traum übrig geblieben war.

2. Die große Stadt

»Unser Held«, rief sein Onkel Frank mit offenen Armen und drückte ihn an sich.

Es war ein Begrüßungsessen.

»Ein Held nun nicht gerade«, sagte Bowman.

»Aber sicher. Wir haben alles über dich gelesen.«

»Über mich gelesen? Wo?«

»In deinen Briefen!«, sagte sein Onkel.

»Frank, lass mich mal!«, rief seine Tante.

Sie kamen aus dem Fiori, ihrem Restaurant bei Fort Lee, das, in rotem Plüsch gehalten, bis zum Schluss Stücke aus Rigoletto und IlTrovatore spielte, wenn die letzten, leise miteinander sprechenden Paare aufbrachen, letzte, melancholische Paare und ein paar wenige Männer an der Bar. Frank war sein Onkel aus Kindertagen. Er war stämmig, mit gutmütigem Humor, er hatte in Jersey City an der juristischen Fakultät studiert, das Studium aber abgebrochen, da er lieber Koch werden wollte, und manchmal, wenn er in der Stimmung war, ging er im Restaurant nach hinten in die Küche, um selber zu kochen, seine eigentliche Leidenschaft aber galt der Musik. Er war dunkelhaarig, mit breiter, runder Nase und schütterem Haar. Er hatte sich selbst das Klavierspiel beigebracht und saß glücklich vor dem Instrument, seine dicken, mit kräftigen schwarzen Haaren bewachsenen Finger behände auf den Tasten.

Der Abend war voller Wärme, es wurde viel erzählt. Seine Mutter Beatrice, seine Tante und sein Onkel hörten den Geschichten zu, all die Orte, an denen Bowman gewesen war – wo war San Pedro? Hatte er japanisches Essen probiert? –, und tranken Champagner, den Frank noch aus den Tagen vor dem Krieg aufbewahrt hatte.

»Du weißt nicht, wie besorgt wir die ganze Zeit waren«, erklärte seine Tante Dorothy – Dot, wie sie genannt wurde. »Wir haben jeden Tag an dich gedacht.«

»Wirklich?«

»Wir haben für dich gebetet«, sagte sie.

Sie und Frank hatten keine eigenen Kinder, er war im Grunde wie ein Sohn für sie. Jetzt waren ihre Ängste vorüber, und auch die Welt war scheinbar noch dieselbe, vertraut und unbedeutend, die gleichen Häuser und Straßen, all das, woran er sich erinnerte und was er seit seiner Kindheit kannte, nicht weiter bemerkenswert und doch ganz sein. In manchen Schaufenstern hingen goldene Sterne für Söhne oder Männer, die gefallen waren. Neben den vielen Fahnen waren sie so gut wie das einzige Zeugnis dessen, was geschehen war. Sogar die Luft schien unverändert, unbewegt und vertraut, die Highschool und Grammar School mit ihren schmucklosen Fassaden. Er fühlte sich dem allen irgendwie überlegen und gleichzeitig verbunden.

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