Charisma - James Salter - E-Book

Charisma E-Book

James Salter

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Beschreibung

Dieser Band versammelt die Kurzgeschichten eines der besten Autoren unserer Zeit. »Salter schreibt mit Kenntnis, Präzision und Witz ... Die frühen Geschichten aus den sechziger bis hin zu den achtziger Jahren haben einen jazzigen Rhythmus und den aalglatten, kühlen Glanz der Welt von Mad Men. ... Wir befinden uns in der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts und das World Trade Center befindet sich gerade erst in der Planung. Was kann schon schiefgehen? Und doch geht am Ende so ziemlich alles schief … Salter ist ein Zauberer und seine Wunderwerke sind fein gewirkt, und doch vermögen sie, die alltägliche Wirklichkeit des Lebens kraftvoll zu packen. Wieder und wieder gelingt ihm auf diesen Seiten, was John Updike als die Aufgabe des Schriftstellers definiert hat, nämlich dass er das ›Schöne am Gewöhnlichen‹ zu zeigen habe. Salter zeigt das Gewöhnliche als das, was es wirklich ist: das Wunderbare.« John Banville

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Aus dem Amerikanischen von Beatrice Howeg, Malte Friedrich und Nikolaus HansenVollständige E-Book-Ausgabe der im Berlin Verlag erschienenen Buchausgabe1. Auflage 2016ISBN 978-3-8270-7895-7Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem TitelCollected Stories bei Picador, New York© 2013: James Salter© 2013 für das Vorwort: John Banville© 2014 für die Kapnick-Lectures: James SalterFür die deutsche Ausgabe:© 2016 Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbHAlle Rechte vorbehaltenCovergestaltung: ZERO Werbeagentur, MünchenDatenkonvertierung: psb, BerlinSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

VORBEMERKUNG

Dieser Band versammelt erstmals sämtliche Erzählungen James Salters. Im Wesentlichen vereint er die Geschichten aus den beiden Erzählungsbänden Letzte Nacht und Dämmerung. Der Autor selbst hat die entsprechende englischsprachige Ausgabe zusammengestellt, überarbeitet und eine bis dato unveröffentlichte Geschichte, Charisma, hinzugefügt. In den USA wurden die Collected Stories, versehen mit einem Vorwort von John Banville, im Jahr 2013 publiziert. Es war die letzte Buchveröffentlichung James Salters vor seinem Tod im Jahr 2015.

Für die deutsche Ausgabe sind alle Stories entsprechend Salters Änderungen durchgesehen, wo nötig, überarbeitet bzw. neu übersetzt und in die Reihenfolge der englischen Ausgabe gebracht worden. Außerdem finden sich in diesem Band – statt eines Nachworts – drei Vorlesungen. Salter hat sie 2014 als Kapnick Writer-in-Residence an der Universität von Virginia gehalten. In seiner unnachahmlichen Weise spricht er darin über die Literatur, das Schreiben und das Leben, und sie lesen sich wie sein literarisches Testament.

Die Übersetzungen der Geschichten Am Strande von Tanger, Zwanzig Minuten, Dämmerung, Kino, Akhnilo, Die Zerstörung des Goetheaneums, Erde, American Express, Verlorene Söhne, Via Negativa und Fremde Küsten sind von Beatrice Howeg.

Die Übersetzungen der Geschichten My Lord, Platin, So viel Spaß, Die Augen der Stars, Komet, Bangkok, Palm Court, Gabe, Arlington und Letzte Nacht sind von Malte Friedrich.

Das Vorwort von John Banville, die Kapnick-Lectures und die in diesem Band erstmal auf Deutsch erscheinende Geschichte Charisma hat Nikolaus Hansen übersetzt. In den Kapnic-Lectures zitiert James Salter viel aus den Werken anderer Autoren. Sofern deutschsprachige Übersetzungen zur Verfügung standen, haben wir sie dankbar benutzt und in Fußnoten auf die entsprechenden Quellen verwiesen.

VORWORT

Nichts in der Literatur ist schwieriger als die Darstellung von ganz banaler Wirklichkeit. Nur die Besten haben diese Aufgabe erfolgreich bewältigt. Beim Roman denken wir zuallererst an Flaubert, an die Eingangsszene des Ulysses von Joyce. Unter den Autoren von Erzählungen ist natürlich Tschechow zu nennen, und abermals Joyce mit seinen Dublinern. Diese wunderbaren Künstler schreiben nicht über die Wirklichkeit: ihr Werk ist Wirklichkeit schlechthin. Wenn wir sie lesen, vergessen wir, dass wir eine höchst ziselierte und vermittelte Version der Welt dargeboten bekommen. Die sterbende Emma Bovary; Leopold Bloom, der seiner Frau das Frühstück ans Bett bringt; die Dame mit dem Hündchen, die sich unglücklich verliebt und wieder entliebt und wieder verliebt; Gabriel Conroy, der hinausstarrt auf die Schneewüste seiner Ehe und seines Selbst – all diese Szenen erreichen uns mit der Kraft wirklich gelebten Lebens, unmittelbar, greifbar, profan und zugleich erhaben.

James Salter ist uns wohl vor allem als Romancier bekannt. Zwei seiner Bücher, Ein Spiel und ein Zeitvertreib und Lichtjahre, sind Klassiker dieses Genres. 2013, im Alter von siebenundachtzig Jahren, hat er Alles, was ist herausgebracht, einen großen und gewagten Roman über den Krieg und das Leben von Soldaten nach dem Krieg, über das Schreiben und das Veröffentlichen, über Amerika und Europa, über die Liebe und deren Verlust. Es ist ein faszinierendes Werk, das geschrieben zu haben jeder auch nur halb so alte Autor stolz wäre. Und im selben Jahr erschien außerdem diese großartige Sammlung seiner Kurzgeschichten, zusammengestellt aus zwei schmalen Bänden, Dämmerung und Letzte Nacht, im Original 1988 respektive 2005 erschienen. Als besonderen Leckerbissen enthält der Band eine nagelneue Geschichte, Charisma. In all diesen Erzählungen erweist sich Salter als meisterhafter Chronist von alltäglichen Leben.

Salter wurde 1925 als James Arnold Horowitz in New Jersey geboren. Sein Vater war Grundstücksmakler und ehemaliger Soldat. Dem eindrucksvollen Beispiel des Vaters folgend, begann der junge Horowitz mit siebzehn sein Studium an der West-Point-Militärakademie. Das war 1942 und der Weltkrieg tobte. Er war ein fleißiger Student und graduierte 1945 cum laude. Eine Geschichte in diesem Band mit dem bezeichnenden Titel Verlorene Söhne – deren Eingangsszene auf gespenstische Weise an Joyce’ Geschichte von jugendlicher Wildheit, Nach dem Rennen, erinnert – schildert mit stakkatohafter Spritzigkeit und in kühlem Berichtston ein Ehemaligentreffen in West Point:

»Im Empfangsbereich wurde eine Willkommensparty gegeben. Man sah Gesichter, die sich kaum verändert hatten, und andere wie Reemstmas, dessen Namensschild mehr als einmal gelesen wurde. Jemand mit einer Kamera und Blitzgerät lief in einem Kadettenschlafrock herum. Drüben in der Kaserne wurde getrunken. Türen standen offen. Stimmen drangen nach draußen.«

Diese Art des Schreibens beherrscht Salter wie kein anderer. Es geht zügig voran, aber hin und wieder springt ein Detail heraus – Reemstmas Namensschild wird »mehr als einmal gelesen« –, an dem die Aufmerksamkeit des Lesers hängen bleibt wie ein eingerissener Fingernagel an Seidenstoff. Es ist nicht allein Reemstmas sonderbarer Name, der ihn von den anderen unterscheidet. Nachdem er die Akademie verlassen hatte, wurde er Maler, und jetzt, da er für einen kurzen Moment an die alte Schule zurückgekehrt ist, stellt er sich mit grüblerischer Wehmut das Leben vor, das er hätte führen können: »Eine Welle von Traurigkeit erfasste ihn, Erinnerungen an Paraden, das Ende von Bällen, den Weihnachtsurlaub … Es war vorbei, aber niemand kehrt dem jemals ganz den Rücken.«

Salter ist einer jener äußerst seltenen Fälle, wo ein Mann der Tat sich mit Erfolg, mit überwältigendem Erfolg zum Künstler wandelt – er hat den Werdegang, von dem Hemingway nur träumen konnte. In West Point wurde er zum Piloten ausgebildet, er war in den Philippinen und in Japan stationiert, und nach weiterführenden Studien an der Georgetown University wurde er dem Tactical Air Command zugeteilt. Ein paar Jahre später meldete er sich freiwillig zum Einsatz im Koreakrieg und erhielt eine Ausbildung zum Piloten des F-86-Sabre-Kampfjet. In Korea flog er mehr als hundert Kampfeinsätze. Seine ersten beiden Romane, Jäger (Originalausgabe 1957) und The Arm of Flesh (Originalausgabe 1961), beruhten auf Salters Kriegserfahrungen. Diese Bücher waren Gesellenstücke, über die er sich in späteren Jahren zutiefst kritisch äußerte, auch wenn er The Arm of Flesh 2000 unter dem Titel Cassada neu herausbrachte.

Insgesamt diente Salter zwölf Jahre bei der Luftwaffe und weitere drei oder vier Jahre als Luftwaffen-Reservist, ehe er das Soldatenleben gänzlich aufgab und hauptberuflich Schriftsteller wurde. Das muss eine schwere Entscheidung gewesen sein. Er war ein geborener Flieger und Gefechtskitzel lag ihm im Blut. Auch war er verheiratet und hatte zwei kleine Kinder. Sein Frühwerk fand weder bei Verlagen noch bei der Leserschaft Anklang – ihm wurde bereits das äußerst gefürchtete Etikett »schwieriger Schriftsteller« angeheftet. Trotz dieses Handicaps warf er sich selbst auf den Markt und begann, Filmdrehbücher zu schreiben. Das erwies sich, wie schon für so viele seiner Vorgänger und Kollegen, als entmutigende Erfahrung. In der Geschichte Kino mit ihrem mokant ahnungsvollen Titel und ihrem Sprungschnitt-Stil ist diese Enttäuschung perfekt eingefangen – »Ja, mach dir Notizen«, drängt ein Regisseur seinen Hauptdarsteller, »Manches, was ich sage, ist brillant.« Ein Drehbuch, das Salter für Robert Redford geschrieben hatte, wurde abgelehnt, und der Autor verarbeitete es zu einem Roman, In der Wand (Originalausgabe 1979). Das Buch war eine angemessene Metamorphose und bezeichnete das Ende von Salters Filmtagen.

Die Jahre, in denen Salter das Leben der Tat gegen ein Leben für die Literatur eintauschte, brachten auch für Amerika als Ganzes faszinierende Veränderungen. Die Aufregungen und Gewissheiten der Kriegszeit wichen der rauen Wirklichkeit des Zivillebens. Die Frauen, die während des Krieges am Arbeitsplatz, zu Hause und im Bett bis dahin ungekannte Freiheiten genossen, mussten – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – aus ihren Latzhosen gepellt und wieder in Baumwollkleider und Stöckelschuhe gesteckt werden. Hollywood war eine treibende Kraft dieses normativen Feldzugs – man erinnere sich nur an Doris Day und an all die Musik-Komödien, strotzend von weißen Telefonen und heißblütigen Hauptdarstellern wie Rock Hudson.

Salter schreibt mit Kenntnis, Präzision und Witz über diese Nachkriegswelt. Die frühen Geschichten aus den sechziger bis hin zu den achtziger Jahren haben einen jazzigen Rhythmus und den aalglatten, kühlen Glanz der Welt von Mad Men. Die Figuren sind trendig und gewieft, und sie machen sich gegenseitig fertig. Wir befinden uns in der zweiten Hälfte des ›Amerikanischen‹ Jahrhunderts und das World Trade Center befindet sich gerade erst in der Planung. Was kann schon schiefgehen? Und dann geht so ziemlich alles schief. In Zwanzig Minuten, einer der bekanntesten Geschichten Salters, wird eine reiche Frau von ihrem Pferd abgeworfen und lässt, während sie im Sterben liegt, zufällige Momente ihrer Vergangenheit Revue passieren, die sich irgendwie nicht zu einem Leben zusammenfügen wollen. »Da waren all die Dinge, die sie noch machen wollte, wieder in den Osten gehen, bestimmte Freunde besuchen, ein Jahr am Meer wohnen. Sie konnte nicht glauben, dass es vorbei war …«

Salters Figuren sind unscharf gezeichnet, und doch prägen sie sich sofort ein. Er versteht es besonders gut, über junge Frauen zu schreiben, eine Fähigkeit, die er sich bis ins hohe Alter bewahrt hat – man sehe sich nur die Eingangsszene von Charisma an, in der sich zwei kluge junge Frauen auf einer New Yorker Party über den Maler Lucien Freud unterhalten, den eine der beiden im Metropolitan Museum of Art gesehen hatte, wo er sich die Bilder anschaute:

»Wie macht er das bloß alles?«

»Keine Ahnung«, gestand Cecily.

Sie dachten darüber nach.

»Trotzdem, ich würde mit ihm ficken«, sagte sie.

»Ehrlich?«

»Auf der Stelle.«

»Ich auch.«

Sehr viele von Salters Geschichten sind aufgeladen mit einer hocherotischen Spannung. In dem nie endenden Krieg zwischen Männern und Frauen nehmen seine Charaktere früh ihre Positionen in den ersten Reihen der Schlachtordnung ein und gehen mit offenem Visier aufeinander los. Meistens ist es ein schmutziger Kampf. In American Express machen zwei Rechtsanwälte, Frank und Alan, beide erfolgreich, derb und gierig auf die Welt, ausgedehnte Ferien in Italien. Sie fahren durch Arezzo, wo sie an einer Straßenecke eine Schülerin aufgabeln, die Frank mit auf sein Hotelzimmer nimmt. »An einem Punkt schien sie zu zittern, ihr Körper erbebte. ›Ist dir nicht gut?‹, sagte er.« Später reist das Trio gemeinsam weiter, nach Florenz, nach Spoleto, in andere Touristenstädte. Unausweichlich erwacht bei Alan eine Begierde nach dem Mädchen, und Frank, stets der gute Kumpel, bietet lässig an, sie zu teilen. So läuft das nun einmal unter Freunden. Das Mädchen, das Kind, zählt nicht, es ist quasi Objekt. Auf ein paar wenigen Seiten gestaltet Salter so etwas wie die Miniaturausgabe eines Henry-James-Romans: Amerikaner in Europa, der Missbrauch der Unschuld, das eigenartig vage Gefühl des vergehenden Lebens. »Er wusste nicht, was er tun sollte. Davon abgesehen, war es perfekt.«

In einer anderen Geschichte, Am Strande von Tanger, ist wieder ein Trio auf Reisen, ein junger Amerikaner und zwei deutsche Frauen sind zusammen in Barcelona. Es passiert nicht viel, oberflächlich betrachtet jedenfalls: Die entscheidende Handlung ist überdeckt, sie findet in den Leerstellen zwischen den Wörtern statt. Die Geschichte ist ein Bravourstück, ein blendendes Beispiel für die Kunst, wenig zu sagen und doch viel zu transportieren. Am Ende stirbt ein Käfigvogel, und wir verstehen, dass mit ihm noch viel mehr stirbt. Die Schlusssätze kreieren mit den banalsten Mitteln eine Trostlosigkeit, die einen erschaudern lässt: »Sie hat kleine Brüste und große Brustwarzen. Außerdem, wie sie selber sagt, einen ziemlich dicken Hintern. Ihr Vater hat drei Sekretärinnen. Hamburg liegt nah am Meer.«

Hier, wie an so vielen anderen Stellen auch, nutzt Salter objektive Wechselbeziehungen, um einen genialen Effekt zu erzielen. In einer der bewegendsten und in ihrer Verlorenheit schönsten Geschichten der Sammlung, Dämmerung, erhält Mrs. Chandler, eine geschiedene Frau gewissen Alters und in gewisser sozialer Stellung – »Sie wusste, wie man Dinnerpartys gab, mit Hunden umging, Restaurants betrat« –, Besuch von ihrem halbherzigen Liebhaber, der ihr erzählt, er habe das Zerwürfnis mit seiner Frau gekittet und werde zu ihr zurückkehren. Für Mrs. Chandler ist dies ein Verlust unter vielen, von denen der schlimmste der Tod ihres kleinen Sohnes ist. Sie betet für das Kind, »O Herr, übersieh ihn nicht, er ist so klein …« Die Geschichte ist nur acht Seiten lang, aber sie verfügt über gewaltige Kraft, vor allem in der perfekt intonierten, herzbewegenden Schlusssequenz. Überall im Text gibt es Bilder von Wildgänsen, die von Jägern aus dem Himmel geschossen werden, und als die Dämmerung zur Nacht wird, spürt die Frau, wie ihr die Dunkelheit ins eigene Herz kriecht: »Irgendwo im nassen Gras, stellte sie sich vor, lag eine von ihnen, die Brust dunkel durchnässt, den anmutigen Hals noch ausgestreckt, die großen Flügel versuchen zu schlagen, blutige Blasen treten aus den Öffnungen in ihrem Schnabel. Sie ging durchs Haus und machte Licht. Der Regen kam herunter, das Meer toste, eine Kameradin lag tot in der wirbelnden Dunkelheit.«

In My Lord wird das erotische Element verbunden mit der zerstörerischen Kraft der Kunst. Eine bürgerliche Dinner-Party wird gestört von einem betrunkenen und gescheiterten Dichter, Brennan, der in der Nachbarschaft wohnt. Unter den Gästen befindet sich eine junge Frau namens Ardis, die von der störenden Anwesenheit des Mannes gleichermaßen beunruhigt und fasziniert ist. Am nächsten Tag auf dem Rückweg vom Strand macht sie einen Umweg an Brennans Haus vorbei. Abgesehen von einem riesigen, schweigsamen Hund, der ihr nach Hause folgt, scheint niemand dort zu sein – »Er trabte schwerfällig, wie ein dicker Mann, der durch den Regen läuft.« –, das Tier bleibt bei ihr, schläft im Gras hinterm Haus. Sie bringt den Hund zurück zu Brennans Haus, und da niemand dort ist, geht sie hinein, um sich umzusehen – für sie eine sonderbare, beunruhigende Erfahrung, für die sie ihr eigenes Verhalten nicht verantwortlich zu machen vermag. »Langsam, ohne nachzudenken, begann sie sich auszuziehen. Sie ging nicht weiter als bis zur Taille. Sie war geblendet von dem, was sie tat.« Irgendwann verschwindet der Hund aus ihrem Leben, »er war weg, verloren, lebte woanders, vielleicht fand sein Name eines Tages den Weg in eine Gedichtzeile, aber sehr wahrscheinlich war er vergessen, nur nicht von ihr«.

Eine geisterhafte Version vom Hund des Dichters läuft durch all diese Geschichten, er ist das Sinnbild für Bedrohung und geheimnisvolle Kraft, eine schweigende, lauernde Erinnerung an die Wildheit und die unstillbaren Begierden des Lebens. James Salter ist ein Zauberer und seine Wunderwerke sind fein gewirkt, und doch vermögen sie die alltägliche Wirklichkeit des Lebens kraftvoll zu packen. Wieder und wieder gelingt ihm auf diesen Seiten, was John Updike als die Aufgabe des Schriftstellers definiert hat, nämlich dass er das »Schöne am Gewöhnlichen« zu zeigen habe. Salter zeigt das Gewöhnliche als das, was es wirklich ist: das Wunderbare.

John Banville, 2013

AM STRANDE VON TANGER

Barcelona im Morgengrauen. Die Hotels sind dunkel. Alle großen Alleen weisen aufs Meer.

Die Stadt ist leer. Nico schläft. Sie ist gefesselt von verdrehten Laken, ihrem langen Haar, einem nackten Arm, der unter ihrem Kissen liegt und über die Bettkante hängt.

In einem Käfig, der sich unter einem Tuch aus indigoschwarzer Seide abzeichnet, schläft ihr Vogel, Kalil. Der Käfig befindet sich in einem offenen, ausgefegten Kamin. Daneben stehen Blumen und eine Schale mit Obst. Kalil schläft, sein Kopf unter der Weichheit eines Flügels.

Malcolm schläft. Seine stahlgerahmte Brille, die er nicht braucht – die Gläser sind ungeschliffen –, liegt geöffnet auf dem Tisch. Er schläft auf dem Rücken, seine Nase zieht durch die Traumwelt wie ein Kiel. Diese Nase, die Nase seiner Mutter oder zumindest eine Kopie der Nase seiner Mutter, ist wie ein theatralisches Requisit, eine merkwürdige Verzierung, die ihm ins Gesicht geklebt wurde. Sie ist das Erste, was einem an ihm auffällt. Das Erste, was man an ihm mag. Die Nase ist in gewissem Sinne ein Zeichen von Lebenslust. Es ist eine große Nase, die man nicht verstecken kann. Außerdem hat er schlechte Zähne.

An den Spitzen der vier steinernen Türme, die Gaudi unvollendet ließ, werden durch das Licht langsam goldene Inschriften sichtbar, zu blass, um sie entziffern zu können. Es scheint keine Sonne. Es herrscht nur weiße Stille. Sonntagmorgen, der frühe Morgen Spaniens. Dunst bedeckt die Hügel um die Stadt. Die Geschäfte sind geschlossen.

Nico ist nach ihrem Bad auf die Terrasse hinausgetreten. Das Handtuch ist um sie geschlungen, Wasser glänzt noch auf ihrer Haut.

»Es ist bewölkt«, sagt sie. »Kein guter Tag, um ans Meer zu fahren.«

Malcolm sieht auf. »Es kann noch aufklaren«, sagt er.

Es ist Morgen. Villa-Lobos läuft auf dem Plattenspieler. Der Käfig steht auf einem Hocker in der Balkontür. Malcolm lehnt sich in einen Liegestuhl und isst eine Orange. Er ist verliebt in die Stadt. Er fühlt sich mit ihr tief verbunden, zum einen durch eine Geschichte von Paul Morand, und dann wegen einer Begebenheit, die sich vor Jahren in Barcelona zutrug: Eines Abends bei Einbruch der Dunkelheit wurde Antonio Gaudi, der mysteriöse, zerbrechliche, sogar heiligenähnliche große Architekt dieser Stadt, auf seinem Weg zur Kirche von einer Straßenbahn angefahren. Er war sehr alt, mit weißem Bart, weißem Haar, er trug die einfachste Kleidung. Niemand erkannte ihn. Er lag auf der Straße, und es gab nicht einmal ein Taxi, um ihn ins Krankenhaus zu fahren. Schließlich wurde er ins Armenspital gebracht. Er starb an dem Tag, als Malcolm geboren wurde.

Die Wohnung liegt an der Avenida General Mitre, und ihr Schneider, wie Nico ihn nennt, ist nahe der Kathedrale von Gaudi am anderen Ende der Stadt. In einem Arbeiterviertel, schwacher Abfallgeruch hängt in der Luft. Der Platz ist von Mauern umgeben. In das Trottoir sind vierblättrige Kleeblätter gestanzt. Hoch oben, über allem schwebend, die Türme der Kathedrale. Sanctus, sanctus, rufen sie. Sie sind hohl. Die Kathedrale ist nie fertiggestellt worden, ihre Türen führen in beiden Richtungen ins Freie. Malcolm ist an den ruhigen Abenden Barcelonas oft um dieses leere Bauwerk herumgegangen. Er hat mehr oder minder wertlose Pesetascheine in den Schlitz mit der Aufschrift gesteckt. Es scheint, als fielen sie auf der anderen Seite einfach auf den Boden, oder als würden sie – er hört genauer hin – von einem Priester mit Brille in eine Holzkiste geschlossen.

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