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Vernon Rand ist Bergsteiger. Eines Tages beginnt er Hals über Kopf ein neues Leben. Er verlässt seine Arbeit, seine Frau und fliegt nach Genf, um in den Alpen zu klettern. Zusammen mit seinem Freund Cabot beschließt er, die Nordwand des Dru zu besteigen. In der Wand kommt es zur Katastrophe. Cabot stürzt ab und bleibt gelähmt. Rand kann das nicht akzeptieren und versucht, seinen Freund mit allen Mitteln, körperlich und psychisch, zu heilen.
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Veröffentlichungsjahr: 2010
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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Berlin Verlag erschienenen BuchausgabeApril 2014
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ISBN 978-3-8270-7207-8Die Originalausgabe erschien 1975 unter dem Titel Solo Facesbei Little, Brown in New York© 1979 James SalterFür die deutsche Ausgabe© 1999 Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, BerlinAlle Rechte vorbehaltenCovergestaltung: ZERO Werbeagentur, München,unter Verwendung eines Bildesvon © Greg Epperson/getty imagesSatz und eBook: psb, Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
1Sie arbeiteten auf dem Dach der Kirche. Von oben trieben den ganzen Tag aus einem Meer von Licht, in dem zwei weiße Kreuze Zwillingskuppeln krönten, Stimmen herab, manchmal auch vereinzelte Holzstücke, Nägel, und einmal eine Münze, die in der traumgleichen Luft einen scheinbar endlosen Moment aufblitzte, verschwand und wieder aufglänzte, bevor sie auf der Erde aufschlug. Unter den Ästen eines Eukalyptusbaumes kündigte eine verglaste Anzeigetafel die Sonntagspredigt an: Sexualität und Gott.
Die Sonne stand hoch am Himmel, ergoß sich über Palmen, billige Apartmenthäuser und die Boulevards längs des Meeres. Spatzen hüpften ziellos zwischen den Stoßstangen von Autos. Landeinwärts, blendend und weiß, lag Los Angeles im Dunst. Sie arbeiteten mit nacktem Oberkörper, und sie hatten schwarze Flecken auf der Haut. Einer von ihnen trug ein an den Ecken geknotetes Taschentuch auf dem Kopf. Er tunkte seinen Besen in Teer und bestrich die Schindeln. Er redete ununterbrochen.
»Irgendwie fängt jede Religion mit der Hitze an«, sagte er. »Sie sind alle in der Wüste entstanden.« Er hatte die Art von jungem Bartwuchs, der wie dunkle Splitter unter der Haut sitzt. »Die Philosophie dagegen kommt, wenn man es genau betrachtet, aus gemäßigten Zonen. Der Intellekt aus dem Norden, das Gefühl aus dem Süden …«
»Du verspritzt das ganze Zeug, Gary.«
»In Kalifornien gibt es keine Ideen. Andererseits können wir hier vielleicht Gott sehen. Ein Wahnsinn, hier oben zu arbeiten. Ich sterbe vor Durst«, sagte er. »Hast du jemals Four Feathers gesehen? Das Original, mein ich – Ralph Richardson verliert seinen Helm, und die Sonne … als hätt ihn ein Vorschlaghammer getroffen. Peng! Fünf Minuten – und schon ist er blind.« Einen Moment lang streckte er tastend die Hände vor, dann wechselte er zu einer Szene aus einem anderen Film: »Ärschiiße miisch! Töäte miisch!« In seinem schwarz verschmierten Gesicht erschienen Zähne wie ein aus schmutzigem Papier gewickeltes Sandwich.
Er stand da und beobachtete seinen Kollegen, der stetig und ohne Hast arbeitete. Das Dach schimmerte, in Licht getaucht. Weit unten waren die Türen, durch die den ganzen Tag lang, von oben beäugt, Frauen ein und aus gegangen waren. Im Untergeschoß fand ein Basar statt. Auf der nächsten Ebene: Kirchenschiffe und Bänke – er war nie in einer Kirche gewesen, er versuchte sich vorzustellen, was dort gesagt wurde, wie man sich da benahm. Darüber: er und Rand. Es war alles eine große aufstrebende Ordnung. Fleisch, Seele, Götter. Der Lohn: drei Dollar die Stunde.
Von unten faßte die Tiefe nach ihm, er stand da, die Füße seitlich auf den schmalen Klampen. Sie kam in Wellen herauf, er konnte spüren, wie sie sich in ihm auszubreiten begann. Das Gerüst schien weit unter ihm, der Boden noch weiter. Er stellte sich vor zu fallen, nicht von hier – er drückte die Füße auf die Klampen, sie waren fest –, sondern von einer unbekannten Spitze, plötzlich durch nichts gehalten, frei, in einem einzigen langen Moment an Fenstern vorbeischwebend, der Schatten von innen ungläubig wahrgenommen. Er stand da und starrte hinunter.
Er wollte sich unterhalten. Die Arbeit war von lähmender Eintönigkeit. Er langweilte sich.
»Heh, Rand.«
»Was?«
»Ich bin müde.«
»Mach ’ne Pause«, sagte Rand.
In Kalifornien gibt es einen bestimmten Schlag umherziehender Männer, die als Hilfsarbeiter, Schreiner oder Parkplatzgehilfen arbeiten. Sie bewahren sich eine gewisse Würde, sie sind überraschend schamlos. Man weiß, daß ihre Gesichter bald gezeichnet sein werden, ihre einfache Sprache stupide wird, daß sie am Ende durch jene, die ihre Schulbildung abgeschlossen, Land erworben haben oder Anwälte geworden sind, erdrückt werden. Aber sie haben eine Kraft, die einen rasend machen kann, die Kraft verurteilter Männer. Sie können mit jedem reden, sie können die Wahrheit sagen.
Rand war fünf- oder sechsundzwanzig Jahre alt. Er lebte mit einer Mexikanerin zusammen, so erzählte man sich zumindest, einer hochgewachsenen Frau, deren Arme mit feinen schwarzen Härchen bedeckt waren. Gary fragte sich, wo er sie wohl kennengelernt, was er ihr zu Anfang gesagt hatte? Es war ein Ferienjob für ihn, Gary war nur Zaungast, er würde es nie erfahren. Aber noch lange Zeit danach, wann immer er in diesem Tal war und auf einer Straße durch die Felder die Staubspur eines einzelnen Pickups aufsteigen sah, kehrte die Erinnerung zurück, das Bild eines gelben Mustangs, nur noch mit halbem Verdeck, der Fahrer, ohne Hemd, vertraut, der Wind in seinem Haar.
Es war eine Welt, die er verachtete und gleichzeitig beneidete, Männer, deren Freund er gerne wäre, Geschichten, die er gerne kennen würde.
Eines stellte er sich immer wieder vor: sich in zehn Jahren wiederzusehen – er war sich nicht sicher, wo, im Norden des Staates vielleicht, oben im Präriehochland, in einer der abgelegenen Städte. Er konnte Rand klar vor sich sehen, verblaßt, älter. Was er nicht sehen konnte, war, ob er sich verändert hatte.
»Na, wie ist es dir ergangen?«
»Hi, Gary.« Ein Achselzucken. »Ganz gut. Und dir? Scheint dir nicht schlecht zu gehen.«
»Kommst du manchmal nach L.A.?«
»Ab und zu.«
»Schau doch mal vorbei«, sagte Gary. »Ich wohn gleich hinter Wilshire, hier ist meine Karte …« Und er begann, sein Leben zu beschreiben, nicht, wie er es gern gehabt hätte, sondern auf törichte Weise – er haßte sich dafür, redete schneller, kam vom Hundertsten ins Tausendste, als gäbe er jemandem Geld, der wortlos dastand und auf mehr wartete. Er konnte sich nicht abwenden, es mußte eine Summe geben, die Dankbarkeit auf sein Gesicht brachte, die es veranlaßte, einen Dank zu murmeln. Hier, sagte Gary, nimm dies und dies und das auch noch, nimm alles. Er erniedrigte sich. Er konnte nicht aufhören. Es war ein heißer Tag – in Ceres oder Modesto oder wo auch immer. In den Flußbetten lag das Wasser still da, die Bäche trocken. Auf offenem Weideland hinter der Stadt blökten Schafe. Rand hatte sich umgedreht und entfernte sich. Ohne es zu wollen, rief er:
»Heh, Rand!«
Was er sagen wollte, war: Sieh mich an, findest du nicht, daß ich mich verändert habe? Hättest du dir das damals vorstellen können?
All das im glitzernden Licht über der Kirche, ausgesetzt auf ihrem schwarzen Rücken wie gestrandete Seeleute. Er begann wieder mit der Arbeit, er stand auf der obersten Klampe und hielt sich an einer Dachrinne am unteren Rand der Kuppel fest. Er streckte den Arm aus. Sein Besen berührte fast die Kuppelspitze, aber nicht ganz.
»Schlag lieber noch ’ne Klampe ein«, sagte Rand.
»Es geht schon.«
Er streckte sich ein wenig mehr. Das Ende des Besenstiels in einer Hand balancierend, konnte er fast die Spitze erreichen. Er fühlte einen plötzlichen Moment des Triumphs. Er war schwerelos, eine Eidechse an der Wand. Er existierte in einer Art luftigen Freude. Genau in dem Moment gab die Welt nach – sein Fuß rutschte von der Klampe. Sofort fiel er. Er versuchte, sich an den Schindeln festzuhalten. Der Besen schlitterte vom Dach. Er konnte nicht einmal aufschreien.
Etwas traf ihn am Arm. Eine Hand. Sie rutschte an sein Handgelenk.
»Halt fest!«
Er hätte nach allem gegriffen, einem Blatt, einem Ast, dem Henkel eines Eimers. Er umklammerte Rands Handgelenk, seine Füße traten noch immer ins Leere.
»Zieh nicht so«, hörte er. »Nicht ziehen. Sonst kann ich dich nicht halten.« Einen Zentimeter zuerst, dann noch einen, löste sich der Pakt, den sie in letzter Sekunde geschlossen hatten. »Versuch, nicht abzurutschen!«
»Ich kann nicht!« Entsetzen schnürte ihm die Kehle zu.
»Greif mit den Fingern unter eine Schindel.« Rand wurde langsam selber hinuntergezogen. Es war seiner Stimme nicht anzuhören.
»Ich rutsch ab!«
»Halt dich an irgend etwas fest.«
Schließlich schaffte er es. Fast mit den Fingernägeln hielt er sich an einer Schindel fest.
»Kannst du dich so halten?«
Gary antwortete nicht. Er hielt sich an einer einzigen Schuppe eines Monsters fest. Rand war schon verschwunden. Er lief unten auf dem Gerüst entlang und begann rasch eine Klampe einzuschlagen. Von oben kam ein letzter Ruf:
»Meine Hände rutschen ab!«
»Schon gut. Du hast eine Klampe. Gesicht nach oben, damit du weißt, wo du bist.«
Unter ihnen hielt der Pastor den heruntergefallenen Besen in der Hand, er starrte hinauf.
»Ist alles in Ordnung?« rief er. Er war ein moderner Mensch, dem sakrales Auftreten zuwider war; er fuhr einen Porsche und streute Passagen aus verschiedenen Bestsellern in die Gebete für die Toten. »Den müssen Sie fallen gelassen haben.«
Gary stand auf dem Gerüst. Er zitterte, er fühlte sich hilflos.
»Danke«, war alles, was er sagen konnte. Sogar später, als sie am Imbißstand neben dem Bauhof einen Kaffee tranken, konnte er nicht darüber sprechen. Er war immer noch wie betäubt.
»Das war knapp«, sagte Rand.
Mädchen von der chemischen Reinigung gingen in weißen Kitteln über die Straße, sie lachten, redeten miteinander. Gary fühlte sich schwach, beschämt. »Das Gerüst hätte mich vielleicht aufgefangen«, sagte er.
»Du wärst voll darüber rausgeschossen.«
»Meinst du?«
»Wie ein Vogel«, sagte Rand.
2Über Los Angeles hing das leise Rauschen des Verkehrs wie ein Dunstschleier. Die Luft hatte eine gewisse Kühle, eine morgendliche Klarheit. Der Wind kam vom Meer, das wie kaum etwas anderes der Stadt ihre Aura verleiht. Das Morgenlicht strömte herab auf die Geschäfte, die Markisen, die Blätter jeden Baumes. Es fiel auf großzügige Villen und Auffahrten und auf die verblichenen Straßen heruntergekommener Viertel, in denen Häuser mit fünfziffrigen Nummern unter großen Namen – Harlow Avenue, Ince Way – vor sich hin dösten. Es wird oft gesagt, es gäbe zwei Los Angeles, manchmal mehr, aber in Wirklichkeit gibt es nur eines: sechs Spuren breit, in der Ferne Palmen, das eine Ende verschwindet im Meer. Kleine Apartmenthäuser mit Namen von mythischen Inseln – Nalani, Kona Kai –, Zahnarztpraxen, mexikanische Restaurants und Frauen auf Bänken, auf deren Rücklehnen für Bestattungsinstitute geworben wird. Die Autos schießen wie Projektile vorbei. An den Berghängen spiegeln hohe Gebäude die Sonne.
Es gibt Stadtteile, die abseits liegen, unbeachtet wie Treibgut in den Wellen. Einer davon ist Palms. Mit Maschendraht umzäunte Gärten. Zu vermieten-Schilder. Staubige Fenster.
Im Schatten eines Jakarandabaums, der seine Blätter auf das Dach warf, stand ein ungestrichenes Haus, eines, das man eher auf dem Land erwartet hätte. Vier weiße Pfosten stützten das Dach der Veranda. Der Vorgarten war überwuchert, Gerümpel lag herum. Hinter dem Haus war ein Garten voller Unkraut. In einem Fenster hing eine amerikanische Flagge aus Blech. Über allem ein leerer Himmel von jähem Blau. Eine graue Katze streifte mit steil aufgerichtetem Schwanz durch das Gras. Zwei Tauben stoben mit klatschenden Flügeln in die Luft. Die Katze beobachtete sie mit gehobener Pfote. In der Auffahrt parkte ein verblichen gelbes Auto, kreidig vom Staub.
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