Alles, was uns blieb – Eine Familien-Saga auf Sylt - Alea Raboi - E-Book

Alles, was uns blieb – Eine Familien-Saga auf Sylt E-Book

Alea Raboi

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Fennekes Kindheit auf Sylt endet sehr abrupt im Jahr 1948, als sie zehn Jahre alt ist. Sie verliert ihre Familie, sogar von ihren geliebten Schwestern Insa und Almke wird sie getrennt und sie hat ein fast unmenschlich hartes Los für ihren weiteren Lebensweg gezogen. Ein Los, das ihr Vertrauen in die Menschen beinahe vollkommen zerstört und sie in Angst dahinvegetieren lässt.
Doch dann, nach weiteren Irrungen und Wirrungen, wendet sich wunderbarerweise das Blatt! Aber kann das tapfere Mädchen, das sich nie völlig aufgegeben hat, ihr Glück überhaupt annehmen, das ein gütiges Geschick ihr sendet?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

Alea Raboi

 

 

 

 

Alles, was uns blieb

 

 

 

 

Eine Familien-Saga auf Sylt 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © Steve Meyer nach Motiven mit Bärenklau Exklusiv, 2023 

Korrektorat: Antje Ippensen

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt. 

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Alles, was uns blieb 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

Epilog 

Weitere Romane von Alea Raboi 

 

Das Buch

 

 

 

Fennekes Kindheit auf Sylt endet sehr abrupt im Jahr 1948, als sie zehn Jahre alt ist. Sie verliert ihre Familie, sogar von ihren geliebten Schwestern Insa und Almke wird sie getrennt und sie hat ein fast unmenschlich hartes Los für ihren weiteren Lebensweg gezogen. Ein Los, das ihr Vertrauen in die Menschen beinahe vollkommen zerstört und sie in Angst dahinvegetieren lässt.

Doch dann, nach weiteren Irrungen und Wirrungen, wendet sich wunderbarerweise das Blatt! Aber kann das tapfere Mädchen, das sich nie völlig aufgegeben hat, ihr Glück überhaupt annehmen, das ein gütiges Geschick ihr sendet?

 

 

***

Alles, was uns blieb

 

Nicht alle meinen es gut mit dir und so bleibt die Angst

 

1. Kapitel

 

 

1959

Der Bittgang wogte durch die Gassen. Die klagenden Gesichter brachten nicht einmal ansatzweise die tiefe Trauer der Bewohner zum Ausdruck. Die Hinterblieben hatten um einen einzigen langen Flor gebeten, der sich über die Länge des Trauerzugs erstreckte. Üblicherweise trugen die Männer einen am Arm und die Frauen einen am Hut. Doch hier war nichts mehr üblich. Alles hatte sich verändert. Alles.

Wie ein Wasserfall ergoss sich eine Nebelbank entlang der Felsen, weitete sich zu einer dicken, feuchten Nebelglocke über das Bergdorf aus und verschlang den Sarg.

Sie stand vor der Haustür. Ihre Lippen bebten, als die Musik der Blaskappelle lauter wurde und die Prozession in ihre Gasse einbog. Für einen Wimpernschlag drosselte sie ihre Atmung, dann, als die Musiker auf ihrer Höhe ankamen, sog sie die kalte Luft scharf durch ihre Zähne ein und behielt sie einen Augenblick in der Lunge. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie senkte den Blick den Boden und hielt inne, während der Trauerzug an ihr vorüberschritt. Dann reihte sie sich hinten ein und folgte den Dorfbewohnern zum Friedhof, ohne dass jemand wusste, wer sie war.

 

*

 

1948

Nicht der Tag, an dem der Krieg ausgebrochen war, war der schlimmste in meinem Leben, auch wenn diesen Millionen von unschuldigen Menschen mit ihren Leben bezahlt hatten. Nicht der Tag, an dem uns die Nachricht ereilt hatte, dass mein einziger Bruder an der Front gefallen war. Auch nicht der Tag, an dem ich realisiert hatte, dass in diesem unsäglich leidvollen Krieg die Wahrscheinlichkeit zu sterben höher war als die zu leben.

Nein. Heute war dieser Tag. Auch wenn er noch nicht einmal vorüber war, so wusste ich, dass heute der schlimmste Tag meines Lebens war. Ein Tag, der alles veränderte. Ein Tag, der mein Schicksal besiegelte.

In der Schule während des Unterrichts war noch alles in Ordnung gewesen.

Eisige Kälte kroch unter meine Jacke und legte sich wie eine Bleidecke auf meiner Haut nieder. Ich hatte Mühe, mich auf den Unterricht zu konzentrieren, und war froh, als Fräulein Roth die Pausenglocke schellte.

Während meine Mitschüler hinausrannten, suchte ich die Toilette auf. Es gab eine für Jungen und eine für Mädchen, notdürftig mit einem Plumpsklo eingerichtet. Die Hände mussten wir draußen neben dem Eingang waschen, dort hatte Frau Roths Ehegatte, Herr Manfred Roth, der Schulleiter, ein großes, mit Regenwasser befülltes Fass aufgestellt. Die Schüler hatten dabei geholfen. Mit vereinten Kräften und mithilfe unserer Väter war aus der zerbombten Schule wieder ein halbwegs brauchbares Schulgebäude geworden.

Auf der Insel hatten wir noch Glück gehabt, wir waren verschont geblieben, im Vergleich zum Festland explodierten bei uns bei Weitem nicht so viele Bomben. Dafür pflasterten und verunstalteten unzählige Geschützbunker und Falk-Stellungen unsere wunderschönen Dünen.

Bei einem der Angriffe hatte es unsere Schule erwischt, aber gottlob hatte es kein Menschenleben gekostet.

Einige Väter meiner Mitschüler waren im Krieg gefallen, deren Frauen weinten nur noch, tagein, tagaus, und die ältesten Kinder mussten die Rolle ihrer Väter einnehmen. In meiner Familie litt meine Mutter stark unter dem qualvollen Verlust ihres einzigen Sohnes. Es war grauenvoll mitanzusehen. Sie, die Mutter, die stets frohen Mutes jeden Morgen in der Küche stand und Frühstück zubereitete. Sie, die Mutter, die in all den ungewissen Stunden, in der Sehnsucht nach ihrem Sohn und ihrem Mann, für uns da war. Mit uns spielte, uns mit Rat und Tat bei den Hausaufgaben unterstützend zur Seite stand. Sie, die Mutter, die niemals die Hoffnungslosigkeit, die in ihr schlummerte, offen zeigte. Sie hatte sich aufgegeben. Sie war zu einem Schatten ihrer selbst verkommen.

Ich trocknete meine nassen Hände an meiner Kleidung ab und eilte hinaus. Trotz der schmerzhaften Kälte, die uns in unsere Gesichter peitschte, freuten wir uns immer auf die Pause. Draußen war es nur minimal kühler als drinnen, aber der Wind, der uns um die Ohren heulte, war unsäglich.

Just, als ich hinausstürmte, sah ich, wie drei Mädchen sich vor meiner ältesten Schwester Almke aufbauten. Das verhieß nichts Gutes. Entschlossenen Schrittes eilte ich zu ihnen.

»Nazi-Kind!«, brüllte die Schlaksige.

»Hau ab!«, kläffte die Rothaarige.

»Ja«, pflichtete die Kleine ihren Freundinnen bei, »hau ab, Nazi-Kind!«

»Lasst meine Schwester in Ruhe!« Schützend schob ich meinen zierlichen Körper dazwischen. »Geh, Almke, geh«, raunte ich nach hinten, während ich die drei Mädchen mit einem durchbohrenden Blick anstarrte. »Was soll das? Warum nennt ihr meine Schwester Nazi-Kind?«

»Na, weil euer Vater …«

»Kinder!«, erscholl Fräulein Roths Stimme in einem galligen Unterton.

Nicht jetzt, Frau Roth. Nicht jetzt. Bitte.

»Der Unterricht geht weiter! Und hört auf, euch zu zanken, Mädchen. Das schickt sich nicht. Mit so einem Verhalten werdet ihr niemals heiraten.«

Mama hatte einmal erzählt, dass Frau Roth mit sechzehn vermählt worden war. In ihrem Unterricht sprach sie immer mal wieder davon, wie gut es wäre, früh zu heiraten. Und wie Mädchen sich zu benehmen hatten. Eigentlich hätte sie als verheiratete Frau nicht als Lehrerin arbeiten dürfen, doch als der Krieg ausgebrochen war, flüchtete Herr Janssen mit seiner Familie nach Amerika. Frau Roth war die Einzige, die uns unterrichten konnte, na ja, halbwegs zumindest, ihr Vater war Lehrer gewesen. Herr Roth hatte ohne zu zaudern eingewilligt, er war ein sehr moderner und netter Mann, obschon er viel Wert darauf legte, dass Frau Roth in der Öffentlichkeit nicht viel sprach. Aber hier in der Schule war er gelassen, und ich fragte mich immerzu, wie ein so zuvorkommender, moderner Mann mit solch einem Drachen verheiratet sein konnte.

»Kommt jetzt unverzüglich herein!« Frau Roths Kreischen riss mich aus den Gedanken.

Schweigend blickten die Mädchen und ich uns an, dann begaben wir uns zurück in unser Klassenzimmer.

Eines war sicher, das war es noch nicht gewesen.

 

*

 

Die zweite Hälfte des Morgens verstrich nur zäh. Ich konnte kaum ruhig sitzen, wollte die Mädchen fragen, was sie über unseren Vater zu erzählen hätten. Mama hatte zwar schon des Öfteren gesagt, ich sollte diese Gören, wie sie die Mädchen nannte, ignorieren und ihnen nicht alles glauben, aber ich musste wissen, was sie mit ihrer Anspielung meinten.

Dann war es so weit. Endlich schellte Frau Roth die Glocke, und wir schossen von den Holzbänken hoch und stürmten hinaus.

Die drei Mädchen standen neben dem Eingang, als hätten sie auf mich gewartet.

»Sagt ihr mir jetzt, weshalb ihr Almke ein Nazi-Kind schimpft?«

»Nicht nur Almke«, sagte die Große, »Almke, Insa und du, ihr seid alle drei Nazi-Kinder.«

»Ja, genau. Wegen eures Vaters sind mein Vater, mein Großvater und mein Onkel im Krieg gestorben«, meinte die Kleine.

Ich fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen und wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. »Was meint ihr damit? Was hat mein Vater mit den Nazis zu tun? Die Nazis sind böse, und mein Papa ist keineswegs böse.«

Abermals meldete sich die Hochgewachsene zu Wort: »Euer Vater«, begann sie und sprach dabei quälend langsam und laut. Sie kam einen Schritt näher und schob ihren Kopf ein bisschen nach vorne, sodass ihre Lippen nahe an meinem Ohr waren. »Euer Vater war und ist ein Nazi-Schwein.«

»So ein Quatsch«, negierte ich.

Unwirsch verzogen sich meine Gesichtszüge, meine Hände ballte ich zu Fäusten. Wie konnte sie es nur wagen! Das war völliger Nonsens. Annegret war schon immer ein garstiges Kind gewesen, aber so etwas zu sagen, ging sogar für sie zu weit.

»Ach ja?« Annegret verschränkte die Arme vor der Brust, wohl um bedrohlicher auszusehen.

Das gelang ihr aber nicht, ich hatte vor ihr keine Angst. »Das ist eine, die nur eine große Klappe hat, aber nichts dahinter«, hatte meine Mutter einmal gesagt.

»Fenneke«, rief meine Schwester Insa hinter mir.

Ich wandte mich nicht zu ihr um.

»Komm, wir müssen nach Hause.«

Wie angewurzelt blieb ich stehen.

»Das ist es nicht wert, Fenneke. Lass uns heimgehen.«

»Geht ihr schon mal vor, ich komme nach«, sagte ich aus dem Mundwinkel.

»Na gut, dann gehen wir«, sagte Almke.

Ich wusste, dass sie Insa an die Hand nehmen und gehen würde. Almke kam nie zu spät nach Hause. Niemals.

»Es ist in Ordnung, Insa. Geht nur, ich komme nach. Keine Sorge.«

Aus dem Augenwinkel sah ich meine Schwestern an mir vorbeihuschen. Dann galt meine Aufmerksamkeit wieder den drei Mädchen.

»Du willst wissen, woher ich weiß, dass dein Vater ein Nazi ist?«

Ich nickte stumm.

»Mein Onkel hat ihn ausfindig gemacht. In den Kriegsjahren arbeitete euer Vater im Reichsinnenministerium. Mein Onkel hat im Zuge seiner Recherche herausgefunden, dass dein Vater tausende Menschen getötet hat.«

»Sei still, du dumme Kuh!«, entschlüpfte es mir. »Das ist unmöglich. Du redest Blödsinn.«

»Und warum ist gerade die Polizei auf dem Weg zu eurem Haus, um euren Vater festzunehmen? Ihr habt euch hier auf der Insel versteckt, aber mein Onkel ist ein guter Detektiv!«

Ich machte auf dem Absatz kehrt und rannte so schnell wie noch nie nach Hause.

Das durfte nicht wahr sein. Das konnte nicht wahr sein. Unmöglich! Mein geliebter Vater sollte ein Massenmörder sein? Nein, das war absoluter Nonsens! Mein Vater hatte an der Front gekämpft und dabei nicht nur seinen Sohn verloren, sondern beinahe auch sein eigenes Leben. Als der Krieg endlich vorüber gewesen war, waren wir auf die Insel gezogen. Aber wir waren nicht geflüchtet wie Herr Janssen und seine Familie, und wir hatten uns hier auch nicht versteckt. Wir hatten alle noch unsere richtigen Namen und meine Schwestern und ich gingen zur Schule. Mein Vater hatte sogar dabei geholfen, die zertrümmerte Schule wieder aufzubauen. Er hatte einfach Sehnsucht nach Hause gehabt, er war Insulaner und wollte wieder zurück. Dahin, wo er aufgewachsen war.

Ich sammelte mich, dann bog ich in unsere Straße ein, und was ich sah, raubte mir den Atem.

»Papa!«, kreischte ich aus vollem Halse.

Doch mein Vater hörte mich nicht.

Der Polizeiwagen mit ihm auf dem Rücksitz rollte los, und ich sah nur noch Vaters Hinterkopf.

 

 

2. Kapitel

 

»Fenneke!«, schrien Almke und Insa unisono zur Tür heraus.

Wie versteinert stand ich mitten in der Straße, unfähig, mich zu bewegen, unfähig, mich zu äußern.

Das Aufklatschen ihrer nackten Füße auf dem Asphalt hörte ich gut. Als sie mich erreichten, drückten sie mich innig.

»Lasst uns reingehen. Die Nachbarn haben schon mehr als genug mitbekommen«, sagte ich und schritt voran.

Im Wohnzimmer fand ich mich vor einer gebrochenen Frau wieder. Wie ein Häufchen Elend saß Mutter mit angewinkelten Beinen an die Wand gelehnt. Ihre Augen verquollen, Tropfen entglitten ihrer Nase. Sie blickte vom Boden auf. »Fenneke, Liebes.«

»Mama.« Ich kniete mich zu ihr nieder. »Dann stimmt es also?«, fragte ich weinend.

»Was?«

»Na, was die Leute reden. Dass Papa, also, dass er ein Massenmör…«

»Nein!«, schnitt meine Mutter mir scharf das Wort ab. »Euer Vater hätte so etwas niemals getan. Nicht mein Barne. Irgendjemand muss ihn angeschwärzt und verleumdet ha… ben.« Ihre Stimme brach.

Meine Schwestern und ich umarmten und drückten sie innig. Einen Augenblick verharrten wir in dieser Position in absoluter Stille. Dann fuhr ich meinen Kopf hoch und blickte zum Fenster hinaus. Eine Frau schritt auf das Haus zu, ihr auf dem Fuße folgten zwei Männer in Anzügen.

»Mama, wer sind diese Leute?«, fragte ich, Angst schwang in meiner Stimme.

Mutter spähte hinaus. Ihr resignierender Seufzer und ihre Gesichtszüge, die ihr zu einem verzweifelten Schatten entglitten, ließen mir das Blut in den Adern gefrieren. Ein schwerer Klumpen nistete sich in meiner Magengrube ein, keimte und durchzog meinen gesamten Körper. Gerne hätte ich gewusst, wer diese Menschen waren, traute mich jedoch nicht, meine Mutter danach zu fragen. Ich spürte, wie ihr unbehaglich zumute war und somit auch mir. Ich spürte, dass gleich etwas unsäglich Schreckliches geschähe. Jählings wurde die Luft zum Zerschneiden dick.

Mutter wand sich aus der Umarmung und begab sich zur Haustür. Wartete.

Es klopfte.

Zögerlich öffnete sie. »Ja, bitte?« Ihre Stimme war kaum hörbar.

»Frau Gerdes, ich bin Anna-Sofia Lunger vom Kinderheim Dünenhof. Ich komme …« Mit einem durchbohrenden Blick inspizierte sie uns Mädchen nacheinander.

---ENDE DER LESEPROBE---