Alpenglück und Herzgeflüster – Ein Neuanfang für Florentine - Gabriele von Braun - E-Book
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Alpenglück und Herzgeflüster – Ein Neuanfang für Florentine E-Book

Gabriele von Braun

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Beschreibung

Florentine lebt mit ihrem sechzehnjährigen Sohn Max und ihrem Partner Kai in München. Schon seit längerem läuft ihre Beziehung im Autopilot-Modus. Jeder lebt im stressigen Alltag seiner Welt, und als Paar haben sich die beiden immer weiter voneinander entfernt. Am Abend, bevor Florentine für ein paar Tage in ihre alte Heimat aufbrechen will, streiten Kai und sie sich heftig, und er stellt die Beziehung in Frage. Florentine ist überfordert. Sie weiß nicht, was sie fühlt. Möchte sie noch mit ihm zusammen sein? In ihrem Heimatdorf Kranzwinkl wird sie Zeit zum Nachdenken haben.

Dort angekommen sieht Florentine unerwartet Franz wieder - ihre erste große Liebe und Vater ihres Sohnes. Aber davon weiß Franz nichts, denn er hat sie damals verlassen, ist nach Portugal abgehauen, noch ehe sie ihm von der Schwangerschaft erzählen konnte. Nach all den Jahren reden sie lange miteinander, alte Gefühle leben auf. Doch bevor sie sich näherkommen, macht Florentine einen Rückzieher. Sie ist verwirrt. Und dann taucht auch noch Kai in der Berghütte auf, und Flos Gefühlschaos ist perfekt!

Der erste Band der gefühlvollen und romantischen Reihe rund um die Clique von Florentine in dem idyllischen Alpendorf Kranzwinkl und der wildromantischen Natur der Alpen.

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Inhalt

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Über dieses Buch

Florentine lebt mit ihrem sechzehnjährigen Sohn Max und ihrem Partner Kai in München. Schon seit längerem läuft ihre Beziehung im Autopilot-Modus. Jeder lebt im stressigen Alltag seiner Welt, und als Paar haben sich die beiden immer weiter voneinander entfernt. Am Abend, bevor Florentine für ein paar Tage in ihre alte Heimat aufbrechen will, streiten Kai und sie sich heftig, und er stellt die Beziehung in Frage. Florentine ist überfordert. Sie weiß nicht, was sie fühlt. Möchte sie noch mit ihm zusammen sein? In ihrem Heimatdorf Kranzwinkl wird sie Zeit zum Nachdenken haben.

Dort angekommen sieht Florentine unerwartet Franz wieder – ihre erste große Liebe und Vater ihres Sohnes. Aber davon weiß Franz nichts, denn er hat sie damals verlassen, ist nach Portugal abgehauen, noch ehe sie ihm von der Schwangerschaft erzählen konnte. Nach all den Jahren reden sie lange miteinander, der Alkohol fließt. Doch bevor sie sich näherkommen, macht Florentine einen Rückzieher. Sie ist verwirrt. Und dann taucht auch noch Kai in der Berghütte auf, und Flos Gefühlschaos ist perfekt!

GABRIELE VON BRAUN

Alpenglück und Herzgeflüster

Ein Neuanfang für Florentine

Wenn die Sehnsucht größer als die Angst ist, wird Mut geboren. Ohne Sehnsucht machen wir uns nicht auf den Weg.

Rainer Maria Rilke

1

Wenn mir Scherben jemals Glück gebracht hätten, dann würde ich jetzt vor Freude kreischen. Haben sie aber nicht.

»O nein! Nicht diese Vase!«, schreie ich hysterisch.

Sie ist ein Neuzugang, mehr Kunst als Vase. Feinstes Porzellan in skulpturalem Design, siebzig Zentimeter hoch, Unikat einer aufstrebenden Designerin aus Mailand, Verkaufspreis knapp zweitausend Euro. Frau von Hagen hat sie bis morgen reservieren lassen. Aus groß mach klein, so schnell geht das, schießt es mir durch den Kopf, während mir die Tränen kommen. Es ist kurz vor Feierabend, meine Nerven sind schwächer als der argentinische Peso. Längst schon wollte ich nicht mehr hier sein, aber meine Mitarbeiterin Clara ist wegen einer üblen Migräneattacke ausgefallen.

Stefan sieht mich an, als wäre er soeben zum Tode verurteilt worden. Kreidebleich ist er. Verstört schüttelt er den Kopf. »So etwas ist mir noch nie passiert! Es tut mir so leid, Florentine. Das regele ich alles über meine Haftpflichtversicherung, versprochen.«

»Hm«, knurre ich und hole Handfeger und Müllschippe aus dem kleinen Büro neben dem Verkaufsraum.

Stefan macht mit seinem Handy Fotos von der Unfallstelle. So viele bunte, teure Scherben! Er kriecht auf allen vieren auf dem Boden herum und sammelt sie ein, ich fege die kleineren auf. Einatmen, Luft anhalten, ausatmen. Selbst wenn du dich noch so sehr aufregen würdest, es ändert nichts. Stimmt. Es ist, wie es ist, sage ich mir innerlich immer wieder wie ein Mantra. Ich werde ruhiger.

Mein alter Freund Stefan ist Innenarchitekt. Wir arbeiten öfter bei Einrichtungsprojekten zusammen. Bisher hat das unserer Freundschaft nicht geschadet.

Seit über zehn Jahren habe ich einen Interieur-Concept-Store mitten in München. Mein Laden heißt Raumseligkeit und läuft richtig gut.

Stefan hat für einen Kunden einen Beistelltisch, drei Kissen und eine Stehlampe ausgesucht. Schon seit über zwei Stunden ist er im Geschäft. Wie meist waren wir so vertieft in unsere Unterhaltung, dass wir die Zeit aus dem Blick verloren haben. Eben hatte er mir von einem neuen Kunden aus Grünwald berichtet, Fußballer und gesegnet mit einem Stilempfinden, das bei Stefan Ausschlag verursachen würde, wie er mir gestenreich erklärte. Er sprach gar von Gotteslästerung. Anders als er es gewohnt ist, folgt der Kicker nicht blind seinen Vorschlägen und Ideen, sondern hat eigene Vorstellungen, denen er sich nun notgedrungen fügen muss.

»Wie schön, dass du auch mal die Hure deines Bauherrn bist«, scherzte ich und dann – nur eine unbedarfte Geste – krachte es.

Der Verkaufsraum wird mit sanftem Chillout-Sound beschallt. Bloß gut, dass gerade keine Kunden hier sind. Es hat beinahe etwas Meditatives, wie wir schweigend den Scherbenhaufen beseitigen.

»Wenn das nur im Leben auch so einfach wäre«, flüstere ich, bevor ich zum Finale den kontemplativen Moment mit Staubsaugerlärm durchbreche. Dann wieder Ruhe und Stefans betretenes Gesicht.

»Jetzt sieh mich nicht so an!«

»Entschuldige, ich kann gerade nicht anders gucken. Florentine, wie kann ich das nur wiedergutmachen? Darf ich dich auf einen Drink einladen? Und zum Essen?«

Mir fällt auf, dass Stefan heute schon zum wiederholten Mal meinen vollen Vornamen ausgesprochen hat. Normalerweise schrumpfen meine vier Silben zu einer: Flo. Es ist wie ein Automatismus, in den die meisten Menschen verfallen, sobald sie mich etwas besser kennen. Aber ich habe kein Problem damit, denn weder besitze ich Züge eines Parasiten, noch mache ich allzu große Sprünge, außerdem bin ich knapp eins achtzig groß.

»Essen und Trinken immer gern, aber heute passt es nicht. Morgen fahre ich in die Berge. Den Abend habe ich Kai versprochen.«

Ich schließe den Laden von innen ab. Es ist Viertel vor sieben, erst in fünfzehn Minuten ist offiziell Schluss. Aber heute möchte ich niemanden mehr empfangen.

»Ach, stimmt ja, deine Wanderwoche in der alten Heimat, wie konnte ich die nur vergessen? Läuft es wieder besser mit Kai?«

Ich mache den Kassenabschluss und seufze. »Frag nicht! Aber es wäre jetzt zu ausufernd, darüber zu reden. Da wäre ich vor Mitternacht nicht zu Hause. Wir reden beim nächsten Mal, okay?«

»Alles klar. Dann macht euch einen romantischen Abend, bevor ihr euch tagelang nicht sehen werdet. Hach, was würde ich dich an seiner Stelle verwöhnen.«

Stefan sieht mich so hingebungsvoll an, dass ich grinsen muss. Er ist ein attraktiver Mann, groß gewachsen, gut gekleidet, charmant und stets wohlriechend.

»Danke. Daniel hat so ein Glück mit dir, du bist und bleibst der perfekte Mann.«

Ich kann Stefan nicht lange böse sein – nicht mal wegen einer Vase – und werfe ihm einen Luftkuss zu. Er erwidert ihn leidenschaftlich.

»Erinnere Daniel beim nächsten Mal daran. Nach fünf Jahren Ehe habe ich manchmal das Gefühl, dass ihm das nicht mehr bewusst ist.«

»Verlass dich drauf!«

In Eile schnappe ich mir meine Tasche und nehme den Trenchcoat von der Mid-Century-Garderobe. Heute Morgen war es kühl und regnerisch. Zum Feierabend kitzeln an diesem Maitag Sonnenstrahlen das Interieur im Schaufenster.

»Hast du schon etwas von Max gehört?«, fragt Stefan.

Wir gehen durch den Hinterausgang nach draußen.

»Nein, bisher nicht.«

Max ist mein sechzehnjähriger Sohn, und Stefan ist sein Patenonkel. Heute Morgen ist er mit seinem Französisch-Leistungskurs für eine Woche nach Lothringen gefahren. Ein Privileg, drei Wochen lang hat er keine Schule. Die Pfingstferien schließen sich gleich daran an.

»Na, er wird sicher Spaß haben mit den kleinen Französinnen.«

»Arrêtes, Stefan! Der Junge ist zum Lernen dort.«

»Eben drum.«

Ich rolle mit den Augen und schneide eine Grimasse, bevor wir uns mit einer Umarmung in verschiedene Richtungen verabschieden.

Der überraschend laue Frühlingsabend fühlt sich an wie eine zärtliche Umarmung. Ich nehme ein paar tiefe Atemzüge von der frisch gewaschenen Luft und marschiere schnellen Schrittes zur Tramhaltestelle am Sendlinger Tor.

Biergartenwetter, wer hätte das heute Morgen gedacht. Eine Frau mit Mütze und Daunenjacke kommt mir entgegen, dicht gefolgt von einem Pärchen in T-Shirts und Shorts. Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich das Temperaturempfinden ist.

Auf meinem siebenminütigen Fußmarsch zur Haltestelle wird der Schreck um die kaputte Vase abgelöst von Gedanken an Max. Warum hat er sich noch nicht gemeldet? Langsam werde ich unruhig. Er wollte mir Bescheid geben, wenn er angekommen ist. Du wolltest, dass er sich meldet, wenn er angekommen ist. Ja, schon gut, es fällt mir schwer loszulassen. Kai würde jetzt sagen, dass ich mich entspannen soll, weil Max der beste Sohn der Welt ist, selbst, wenn er mal was vergisst, zum Beispiel den Müll runterzubringen, dass TikTok und Netflix keine Grundnahrungsmittel sind oder eben, sich zu melden.

Ich beschleunige meinen Schritt. Seit sechzehn Jahren bin ich mit Kai zusammen. Für Max ist er sein Papa, obwohl er nicht sein biologischer Vater ist. Kai war damals an meiner Seite, als mich Max’ Vater, der Mann, den ich geliebt und zu kennen geglaubt habe, völlig unerwartet verlassen hat. Kein schönes Thema.

Ich konzentriere mich darauf, auf keine Gehwegfuge zu treten. Das ist eine meiner bewährten Strategien, um auf andere Gedanken zu kommen. Dass ich dabei wie eine Zwangsneurotikerin – Tippelschritt hier, Ausfallschritt dort – wirke, ist mir mittlerweile egal.

Kai. Wir waren Freunde, irgendwann liebte ich ihn und er mich. Kai wurde mein Mann, obwohl wir nicht verheiratet sind. Gern hätte er Max adoptiert, aber irgendwas war immer, und so haben wir den Zeitpunkt verpasst.

Und heute? Ein Ziehen geht durch meine Brust. Ich weiß nicht, ob ich Kai noch liebe. Innerlich habe ich mich immer weiter von ihm zurückgezogen. Dafür hat sich in mir eine tiefe Sehnsucht ausgebreitet, die ich nicht in Worte fassen kann. Immer öfter frage ich mich, ob das alles gewesen sein soll im Leben. Wann fing das bloß an?

Mist, ich bin auf eine Fuge getreten. Mit Kai bin ich zwar heute Abend verabredet, aber es ist unklar, ob er es pünktlich schaffen wird. Noch habe ich nichts von ihm gehört.

Vor einem Jahr ist er Chefarzt in der Chirurgie der Uniklinik geworden. Mehr geht nicht, und ich habe ihn nie seltener gesehen.

Elf Tram-Stationen liegen vor mir, und dann noch acht Minuten Fußweg. Die nächste Bahn in Richtung Bogenhausen kommt in sechs Minuten, zeigt mir die Anzeigentafel an. Ich lehne mich gegen ein Geländer und schwelge in Gedanken.

Schon seit Tagen freue ich mich auf die Wanderwoche. Diese Zeit mit meinen Freunden in der alten Heimat ist mir heilig. Sie hat eine lange Tradition. Seitdem wir Kranzwinkl, unser kleines Alpendorf unweit der österreichischen Grenze, verlassen haben, treffen wir uns alle zwei Jahre dort. Wir übernachten in der abgelegenen Berghütte, in der wir schon als Jugendliche wilde Partys gefeiert haben. Sie steht am Waldrand mit Blick über ein weites Tal. Allein der Gedanke daran lässt mich aufatmen. Eine Woche lang weg vom Alltag, weg von Kai. Wahrscheinlich ist es genau das, was ich brauche, um wieder klarer zu sehen.

Mein Telefon vibriert. Eine Nachricht von Max. Endlich! Auch wenn er mir nur zwei Worte schickt, wir sind miteinander verbunden.

Alles okay.

Mein Mutterherz atmet auf. Ich antworte mit einem Kuss-Emoji.

Die Tram kommt. Ich setze mich ans Fenster, stöpsle meine Kopfhörer ein und rufe Kai an. Es meldet sich nur die Mailbox. Ich schicke ihm eine Nachricht.

Bleibt es bei unserem gemeinsamen Abendessen?

Dafür habe ich mich so beeilt? Wieder einmal bin ich genervt. Das bin ich in letzter Zeit viel zu oft.

Mein Telefon klingelt. Aber es ist nicht Kai, sondern meine Freundin Johanna. Auch sie stammt aus Kranzwinkl, wir fahren morgen gemeinsam hin. Ich nehme das Gespräch an.

»Ja?«

»Wie hörst du dich denn an? Hast du Happy Pills genommen?«

»Haha, du warst schon origineller. Ich sitze in der Straßenbahn.«

»Ach so, das erklärt natürlich alles.«

»Sorry, ich bin nicht gut drauf. Aber ich kann es kaum erwarten, morgen zu dir ins Auto zu springen. Übrigens klingst du nicht viel besser.«

»Klatschen wir uns ab?«

»Was ist passiert?«

Johanna stöhnt auf. »Hör bloß auf! Wir haben einen riesigen Shitstorm abbekommen. So ein dämlicher Influencer hat seine Follower dazu aufgerufen, uns schlecht zu bewerten. Er sollte ein paar Euro für seinen Late-Check-Out zahlen, das war ihm zu viel.« Johanna ist Guest-Relation-Managerin in einem Fünf-Sterne-Hotel. Sie ist erst seit einem Jahr wieder in München, zuvor war sie vier Jahre lang in ähnlicher Position mit einem Kreuzfahrtschiff auf den Weltmeeren unterwegs. »Aber gut, wahrscheinlich ist sein Schwanz so groß wie ein Mehlwurm, deswegen braucht er diese ganze Show. Jedenfalls habe ich mir spontan für morgen Vormittag einen Friseurtermin gebucht. Wir können erst am Mittag starten. Mehr wollte ich dir gar nicht sagen.«

»Danke für das Bild, jetzt habe ich den Mehlwurm im Kopf«, sage ich.

»Besser im Kopf als in der Hose.« Johanna kichert.

»Oje, es wird nicht besser. Schade, dass wir erst so spät loskommen. Oma macht extra mir zuliebe ihren unschlagbaren Schweinsbraten mit Knödeln. Der kommt Punkt zwölf auf den Tisch.«

»Den wird sie dir sicher aufwärmen. Hm, jedes Mal, wenn sie kocht, verfluche ich mein Vegetarierinnen-Dasein. Zu gut erinnere ich mich daran, wie vorzüglich ihre Braten geschmeckt haben«, sagt Johanna.

Meine Oma heißt Maria, wird aber von allen Mitzi genannt, was bei Gästen schon zu der einen oder anderen Verwechslung mit unseren Hofkatzen geführt hat. Meine Familie bewirtschaftet in Kranzwinkl allen Krisen zum Trotz einen Bauernhof mit Milchviehbetrieb und vermietet Ferienwohnungen.

Mitzi ist zweiundneunzig, aber fitter als so manche Achtzigjährige.

»Einen Knödel kannst du ja mitessen«, sage ich. Eine weitere Tradition ist es, dass wir vor unserem Einzug in die Hütte für eine Nacht bei unseren Familien sind. Meine treffe ich ohnehin viel zu selten, obwohl uns nur rund hundertfünfzig Kilometer trennen.

»Gern. Tine, und weswegen bist du schlecht drauf?«

Johanna ist die Einzige, die mich Tine nennt. Flo ist ihr zu Mainstream. Ich sage meist Jo zu ihr.

Ich erzähle ihr von der zerschlagenen Vase und meiner Verabredung mit Kai.

»Ach Tine, ich hoffe, ihr könnt das Ruder noch rumreißen.«

Ich frage nicht nach, wie sie das mit dem Ruder meint. Denn natürlich ist es mir klar. Sollte mich jemals jemand fragen, worin ich besonders gut bin, dann kann ich besten Gewissens sagen: im Verdrängen. Aber ob das langfristig die Lösung ist, sei dahingestellt. Wir verabschieden uns voneinander.

Ausstieg Herkomer Platz, kurz nach halb acht. Ich laufe in zügigen Schritten durch eine ruhige Straße nach Hause. Hier fahren kaum Autos, sodass ich nicht auf dem Fußweg gehe und mir so die verfugten Platten spare. Ich passiere akkurat geschnittene Hecken und ihre gepflegten Grundstücke. Das viele Grün hier ist wohltuend. Früher habe ich mir gewünscht, dass wir auch einmal in so einem herrschaftlichen Haus leben. Aber letztlich wurde es eine Wohnung mit großem Balkon im zweiten Stock eines dreigeschossigen Mehrfamilienhauses aus den Neunzigern. Damit habe ich mich arrangiert und unsere vier Zimmer so eingerichtet, dass wir uns auch ohne Garten und mehreren Etagen wohlfühlen.

Lechner/Huber steht auf unserem Klingelschild aus Messing. Lechner, das sind Max und ich. Wohlwissend, dass niemand zu Hause ist, drücke ich auf die Klingel, öffne die Tür und lasse mich von der Stille einhüllen. Der Tisch beim Italiener ist für zwanzig Uhr reserviert. Ich werde allein hingehen, mein Magen knurrt bereits. Warum bin ich vorher nach Hause gekommen? Stimmt, ich wollte schon mal anfangen zu packen. Aber das kann ich auch morgen früh noch tun.

Ich gehe in die Küche und trinke ein Glas Wasser. Wein wäre mir lieber, aber damit warte ich noch. Mein Blick bleibt an meinem Lieblingsfoto hängen, das ich an die Kühlschranktür gehängt habe. Kai, Max und ich strahlen mit der Sonne um die Wette. Vor uns stehen Maßkrüge, die an dem warmen Tag mit Apfelsaftschorle gefüllt waren. Johanna hat das Foto im letzten Frühjahr aufgenommen. Wir sehen unbeschwert aus. Kurz danach ist Kai Chefarzt geworden. Es war das letzte Mal, dass wir zusammen im Biergarten waren. Meine kleine Familie. Ich lächele wehmütig. Ach Max, wenn du wenigstens jetzt hier wärst. Trotz erfolgreich bewältigten Stimmbruchs und unkoordinierter Wachstumsschübe hat er noch etwas Weiches, Kindliches an sich. Oder sehe nur ich das so, weil er für immer mein kleiner Junge bleiben soll? Ich würde ihm jetzt gern durch die Haare strubbeln und dafür sogar sein Murren in Kauf nehmen. Denn meinen Zärtlichkeiten gegenüber ist er längst nicht mehr so aufgeschlossen wie früher. Leider.

Ich muss mich beeilen, die Plätze bei Giovanni sind begehrt. Wer zur reservierten Zeit nicht erscheint, hat Pech gehabt. Schnell überschminke ich meine Müdigkeit und sprühe mir noch etwas Parfüm auf. Meinem frischen, zarten Lieblingsduft mit Nuancen aus grüner Mango, Lotus und Sykomorenholz bin ich seit Jahren treu. Manchmal empfinde ich ihn gar als eine Stütze, ohne die ich in bestimmten Momenten haltlos wäre. Heute brauche ich mein Parfüm mehr denn je.

Giovanni begrüßt mich wie immer überschwänglich, obwohl ich seit Monaten nicht bei ihm gegessen habe.

»Florentine, dass du mich mal wieder beehrst.« Er faltet die Hände und schmachtet mich an. »Du siehst hinreißend aus, molto bello, wunderschön.« Nun deutet er eine Verbeugung an und zeigt mir mit großer Geste den Zweiertisch am offenen bodentiefen Fenster, den er für Kai und mich vorgesehen hat.

Hinreißend und wunderschön sind Wörter, die ich nicht unbedingt mit meiner äußeren Erscheinung in Verbindung bringe. Gemeinhin lässt sie sich eher als burschikos beschreiben. Mein Körper fällt in die Kategorie androgyn, schmale Hüften, kleiner Hintern, wenig Oberweite, alles andere als die perfekte Dirndl-Figur. Meine Gesichtszüge sind auf eine sanfte Weise herb, das hat mir einmal eine Kosmetikerin gesagt. In Verbindung mit dem Wort sanft habe ich dagegen nicht interveniert. Ich habe dichte dunkle Augenbrauen, die ich – Trend hin oder her – schon immer besitze, markante Wangenknochen und große Zähne. Sie prädestinierten mich früher beim Fasching für die Rolle von Rotkäppchens Großmutter aka der Wolf. Im Ausweis steht, dass ich braune Augen habe, genaugenommen sind sie bernsteinfarben. Immerhin sind meine Lippen von Natur aus voll und recht ordentlich geschwungen. So bekommt mein burschikoses Wesen doch noch einen femininen Touch. Ich streiche mir eine Strähne meines braunen, überschulterlangen Haares aus dem Gesicht. Es ist warm hier drin.

»Du weißt, dass deine Komplimente nicht mehr in die Zeit passen«, mahne ich augenzwinkernd.

»Ja, leider. Aber ich kann nicht aus meiner Haut.«

Giovannis Blick dazu! Ich schmunzele.

»Gut so. Tatsächlich würde mir etwas fehlen, wenn du keine Klischees mehr bedienst.«

Giovanni lacht.

»Was kann ich dafür, dass du aussiehst wie Hilary Swank.«

Die Ähnlichkeit mit der Schauspielerin hat mir Giovanni schon mehrmals attestiert. Beim ersten Mal hüstelte ich verlegen und nannte ihn einen wahren Cineasten. Hilary war vor Jahren bei ihm essen, als sie eine Gala in München besucht hat. An seiner Fotowand, die A-bis-Z-Promis zeigt, gibt es ein Bild, auf dem die beiden zusammen strahlen.

Als ich mich setze, ruft Kai an. Giovanni nickt mir zu und lässt mich allein.

»Entschuldige, ich war bis eben nicht erreichbar.«

»Ach, das habe ich gar nicht bemerkt.« Die Ironie kann ich mir nicht verkneifen.

»In zehn Minuten bin ich da.« Kai klingt gehetzt.

»Nur keine Eile«, knurre ich und lege auf.

War es eine gute Idee, dass wir uns hier verabredet haben? Nur, weil ich morgen für eine Woche verreise? Kai hat es vorgeschlagen, er meinte, es wäre doch schön, wenn wir uns mal wieder in einer anderen Umgebung sehen würden als zu Hause. Dabei ist mir das mittlerweile egal.

Ich bestelle ein Glas Prosecco.

Bis auf einen Zweiertisch sind alle Tische besetzt. Gelächter und Gesprächsfetzen wehen durch den Raum wie aufgewirbeltes Laub. Am Nebentisch werden Trüffelnudeln serviert, der Duft der begehrten Pilze umschmeichelt meine Nase. Genau das werde ich nachher auch bestellen. Giovanni bringt mir den Schaumwein. Das kühle Prickeln in meiner Kehle tut gut und macht mich augenblicklich wieder munter.

Früher habe ich mich auf die Abende mit Kai gefreut. Unsere Date Nights waren heilig. Wir sind essen gegangen, ins Theater, Konzert oder Kino. Aber irgendwann hörte das auf. Wahrscheinlich ist das normal nach sechzehn Jahren Beziehung. Was kann ich da noch erwarten?

2

»Hallo, Flo. Entschuldige, der Neubauer hat mich abgefangen.« Kai reißt mich aus meinen Gedanken. Herr Neubauer ist der kaufmännische Direktor der Klinik, das Verhältnis zwischen den beiden schwierig. Groß und abgespannt steht Kai vor mir. Schweißperlen glänzen auf seiner Stirn. Er ist wie meistens mit dem Fahrrad gefahren – wie immer konsequent ohne Helm. Als Chirurg sollte er es besser wissen, aber anscheinend braucht er den Nervenkitzel. Sein dunkelblaues Hemd ist ihm aus der khakifarbenen Chino gerutscht, er steckt es akkurat wieder in die Hose, dann krempelt er die Ärmel auf und fächert sich Luft zu. Blass sieht er aus, seine schönen grünen Augen sind gerötet und mit tiefen Schatten unterlegt. Zum ersten Mal fällt mir auf, dass sich in seinen braunen, welligen Haaren erste graue Strähnen eingenistet haben. Wann habe ich Kai das letzte Mal richtig angesehen? In drei Monaten wird er vierzig, es werden immer mehr graue Strähnen werden. Mir bleibt ein Jahr mehr Zeit, bis ich offiziell auf Ü-40-Partys gehen darf, was ich aber nicht vorhabe. Was zum Teufel denke ich hier gerade?

»Hi! Und? Was war diesmal los?«

Zur Begrüßung bleibe ich sitzen.

Kai hängt seinen braunen Rucksack über die Stuhllehne und nimmt mir gegenüber Platz.

»Wir haben Ärger wegen der Zahlen. Jetzt brauche ich erst mal ein Bier.« Kai winkt eine Bedienung heran und bestellt ein großes Helles. »Die Budgetplanung ist ein Albtraum. Überall muss gespart werden. Wir werden die Vorgaben nicht halten können.« Er fährt sich durch die Haare. »Manchmal ist es mir immer noch suspekt, dass ich mehr Manager als Arzt sein soll.«

»Du wusstest doch, was dich als Chefarzt erwartet.«

»Ja, natürlich. Trotzdem wird es nie meine Lieblingsbeschäftigung sein, Patienten auch im Kontext der Betriebswirtschaftlichkeit zu betrachten. Wie war dein Tag?«

Schon lange haben wir uns diese Frage nicht mehr gestellt. Wenn wir uns zu Hause sehen, sprechen wir hauptsächlich über die Organisation unseres Alltags. Kai ist kaputt vom Tag, und ich bin es auch. Oft kommt er so spät nach Hause, dass ich schon auf der Couch liege und Serien schaue, froh darüber, meine Ruhe zu haben.

Ich leere mein Prosecco-Glas und winke ab. »Der übliche Wahnsinn. Und Stefan hat eine Vase zerschmettert.«

»Autsch!«

»Es geht schon wieder.«

Kai mustert mich. »Macht dir der Laden noch Freude?«

»Was ist das denn jetzt für eine Frage? Nur, weil ich nicht den besten Tag hatte?«

»In letzter Zeit wirkst du öfter unzufrieden. Aber offensichtlich habe ich das falsch interpretiert.«

Ich verziehe den Mund.

Kai schüttelt den Kopf. »Warum bist du nur so gereizt?«

Achselzuckend beuge ich mich über die Karte.

Das Bier kommt. Kai nimmt einen großen Schluck und wirft ebenfalls einen Blick auf die Speisen.

Dann signalisieren wir Giovanni, dass wir bereit zum Bestellen sind. Meine Wahl steht fest, es werden die Trüffelnudeln. Kai nimmt eine Dorade mit Gemüse. Dazu ordern wir eine Flasche stilles Wasser und eine mit Sauvignon Blanc.

Nur schleppend gelingt es uns, wieder ein Gespräch aufzubauen. Obwohl wir so dicht beieinandersitzen, könnten wir nicht weiter voneinander entfernt sein.

Die Getränke werden serviert. Giovanni lässt Kai den Wein probieren. Er befindet ihn für gut. Wir prosten uns zu, und ich wünschte, ich würde mich leichter fühlen.

Bis das Essen kommt, sprechen wir über Max, meine Reise und alles, was in der Woche während meiner Abwesenheit ansteht.

»Am Montag werden Max’ neuer Schreibtischstuhl und das Regal geliefert«, sage ich.

Kai nickt. »Okay, ich frage Frau Mayer, ob sie beides in unserer Wohnung annehmen kann. Sie hat doch noch einen Schlüssel, oder?«

Frau Mayer ist unsere Nachbarin, Rentnerin und oft Retterin in der Not.

»Ja. Aber schreib dir eine Erinnerung, dass du sie fragst, sonst vergisst du es wieder.«

»Nein, das werde ich nicht.«

»Das hast du neulich auch gesagt und dann doch nicht daran gedacht, die Stromnachzahlung zu leisten. Für die Mahngebühren gehen andere feiern.«

»Wie lange willst du mir das noch vorwerfen?« Resigniert schüttelt Kai den Kopf.

»Das war nur ein Beispiel. Ich kenne dich doch.«

»Glaubst du das wirklich?«

Wie er mich anschaut. Meine Antwort bleibe ich ihm schuldig, das Essen wird serviert. Ich habe kaum Appetit und stochere lustlos auf dem Teller herum. Giovanni schenkt Wasser und Wein nach und sieht uns fragend an.

»Alles in Ordnung bei euch?«

»Danke«, erwidert Kai nur knapp.

»Il buon giorno si vede dal mattino.«

»Wie bitte?«, frage ich.

»Den guten Tag sieht man am Morgen. Italienisches Sprichwort.«

»Ach Giovanni!«, entfährt es mir.

Er lächelt uns aufmunternd zu.

Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, essen wir. Ich schaffe nicht alles und schiebe den Rest mit der Gabel am Rand zusammen, sodass weniger auffällt, wie viel ich übrig lasse. Kai isst auf, legt das Besteck ordentlich ab und fährt mit der Serviette über seinen Mund.

»Den Abend hier hätten wir uns sparen können«, sagt er.

»Du wolltest doch, dass wir zu Giovanni gehen.«

Kai legt den Kopf in den Nacken und schaut auf zu den hellbraunen Deckenbalken.

»Keine Ahnung, was ich mir davon versprochen habe.«

»Ich bin müde«, sage ich.

»Ach, das ist ja mal was ganz Neues.« Unwirsch legt Kai die Serviette auf den Tisch und trinkt einen Schluck Wein. »Wer sind wir noch füreinander?«, fragt er dann.

Ich bringe kein Wort heraus.

Kai massiert sich die Schläfen, dann schüttelt er den Kopf.

»Ich halte diesen Zustand zwischen uns nicht länger aus. Dafür ist mir mein Leben zu kostbar.«

Bamm! Wie aus dem Nichts ist ein Kloß in meinem Hals, das Schlucken fällt mir schwer. Entsetzt sehe ich ihn an, um Worte ringend.

»Was … was ist plötzlich los mit dir? Wie kannst du so etwas sagen?«

»Was plötzlich mit mir los ist? Florentine, wo lebst du? In Wolkenkuckucksheim? Wach auf! Erzähl mir doch nicht, dass du glücklich bist, so wie wir leben.«

Kai greift nach der Dessert-Karte. Ich habe nicht einmal bemerkt, wie sie auf unserem Tisch gelandet ist.

»Möchtest du einen Nachtisch?«

O Kai!

»Nein danke.«

Ich stütze meinen Kopf mit den Händen und weiche seinem Blick aus. Tränen steigen mir in die Augen, mühevoll blinzele ich sie weg. Ja, verdammt, wie konnte es so weit kommen? Was ist nur passiert mit uns? Mit mir?

»Dann bestelle ich jetzt die Rechnung.«

Kai winkt Giovanni heran und zahlt.

»Danke«, sage ich, als wir wieder allein am Tisch sind. Noch immer bin ich bemüht, nicht in Tränen auszubrechen.

»Gern geschehen.«

Bevor ich aufstehe, leere ich mein Weinglas und spüle mit Wasser nach. Zum Abschied nicke ich Giovanni mit einem aufgesetzten Lächeln zu, froh darüber, dass ich meine Fratze nicht sehen muss. Er hat verstanden und hält sich zurück mit Worten, Italiener können durchaus feinfühlig sein.

Ich halte diesen Zustand nicht länger aus. Kais Worte hallen in mir nach wie ein Schuss. Obwohl es schon länger nicht mehr rund läuft zwischen uns, habe ich ihn bis gerade eben als selbstverständlich gesehen, als Inventar meines Lebens. Wenn jemand etwas infrage stellt, dann ich, habe ich gedacht. Aber so ist es nicht. Nichts ist selbstverständlich. Mir ist schlecht.

Draußen umfängt uns die Dämmerung. Eine Frau mit Hund läuft an uns vorbei. Gierig zieht sie an einer Zigarette. Raucher sind für 0,2 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich, habe ich irgendwo gelesen. Ich fröstele. Kai löst das Schloss von seinem Fahrrad, wir laufen los.

»Wir müssen über uns reden, Florentine.«

»Du hast recht.«

Wie lange hätte ich uns aus Bequemlichkeit noch verdrängt und mich mit meiner Unzufriedenheit arrangiert?

»Kannst du mir sagen, wann das angefangen hat?«, fragt Kai.

Ich starre auf den Boden und schüttele den Kopf.

»Aber seitdem du Chefarzt geworden bist, siehst du mich kaum mehr, zumindest nicht als Frau. Deine Karriere geht dir über alles. Krankenhaus hier, Krankenhaus da, und ab und zu sprechen wir unseren Alltag ab.«

»Wie kannst du das sagen? Weißt du, dass es mich verletzt hat, wenn du mir immer wieder Absagen erteilt hast, mich auf Einladungen zu begleiten? Ich habe so viel Schönes erlebt, aber du warst nicht dabei. Dabei hätte ich das gern mit dir geteilt.«

»Warum hast du mir das nie gesagt? Außerdem hast du mich schon lange nicht mehr gefragt, ob ich irgendwohin mitkommen möchte.«

»Warum wohl? Irgendwann habe ich aufgegeben.«

Was Kai auf den Tisch packt, ist wahr. Ich hatte keine Lust auf seine Freunde oder Kollegen, mit denen er zum Essen verabredet war oder die er auf einer Veranstaltung treffen wollte. Dabei ging es doch meist nur um den Job. Da bin ich lieber zu Hause geblieben oder habe etwas mit meinen Freundinnen unternommen. Das hat sich verselbstständigt. Fortan war es normal, dass jeder seins macht.

»Im Reden über uns und unsere Bedürfnisse gewinnen wir beide keinen Oscar«, murmele ich.

Tatsächlich ist es das erste Mal, dass wir uns die Zeit nehmen und offen über uns reden. Zu lange haben wir unseren Status quo still hingenommen.

»Sag mir, was das mit uns beiden noch ist, Flo. Ich … ich fühle mich schon lange nicht mehr geliebt von dir.«

Nun kann ich nicht mehr an mich halten, Tränen laufen mir über die Wangen.

Kai hält an. Just in diesem Moment geht die Straßenlaterne an, unter der wir zufällig stehen, und taucht uns in ihr kaltes weißes Licht. Spot an in der Dunkelheit des Lebens, schießt es mir durch den Kopf. Ich ziehe die Nase hoch.

Kais Gesicht ist voller Trauer. Dieser Anblick ist schwer auszuhalten.

Da zwitschert irgendwo ein Vogel. Ist das ein Rotkehlchen? In der Hecke neben uns ist ein Rascheln zu hören. Am klaren, dunkler werdenden Himmel zieht ein Lichtpunkt seine Bahnen. Welches Ziel hat der Flieger? Wie viele Menschen da oben sind wohl gerade unglücklich?

»Flo, bitte sag was!«

Erst kommt nur ein Schluchzen aus mir und dann: »Ich … ich … weiß nicht, was … was mit … mir los … ist.«

Nun weine ich hemmungslos. Nein, nichts im Leben ist selbstverständlich, nicht mal eine als solche angesehene Beziehung.

Es sind nur noch ein paar Meter bis nach Hause, dennoch lehnt Kai sein Fahrrad nun gegen die Laterne. Wir stehen uns gegenüber, so vertraut und doch so fremd. Wie ferngesteuert sinken wir uns hier auf dem leeren Fußweg in die Arme, wiegen uns hin und her, ohne ein Wort zu sagen. Wann habe ich Kai zum letzten Mal auf diese Weise gespürt? Seit Monaten haben wir uns nicht mehr in den Arm genommen, geschweige denn miteinander geschlafen. Der Stress, keine Zeit, kein Reiz. Wir haben die Augen zugemacht. Unsere Wünsche und Bedürfnisse haben wir nie klar kommuniziert, es lief ja lange auch gut. Ich weiß nicht, wie lange wir so dastehen. Irgendwann löst Kai sich von mir.

»Lass uns gehen«, sagt er.

Es klingt nach viel mehr als einem Aufbruch in unsere Wohnung.

Zu Hause kann ich wieder etwas leichter atmen, die Tränen sind versiegt. Zusammen im Schmerz zu sein verbindet. Wir sitzen auf der Couch.

»Warum eskaliert es ausgerechnet am Tag vor meiner Abreise?«

»Immerhin haben wir nun ein paar Tage Zeit, um einmal mit etwas Abstand in uns zu gehen.«

»In Timing-Fragen war auf dich schon immer Verlass«, sage ich.

Wir sehen uns in die Augen, und mein Herz krampft. Muss man erst etwas verlieren, um zu erkennen, wie viel es einem bedeutet? Was willst du wirklich?

Es ist nach Mitternacht, als wir ins Bett gehen. Kai schläft vor mir ein. Was, wenn das alles ein Abschied ist? Warum nur kann ich nicht klar benennen, was ich mir wünsche? Meine Reaktion heute Abend hat mir gezeigt, dass Kai mir längst nicht so egal ist, wie ich dachte. Und anscheinend bin ich es ihm auch nicht. Oder doch? Wieder krampft mein Herz. Ich berühre sanft Kais Schulter und drehe mich auf die Seite. Endlich holt der Schlaf auch mich ab.

Kai steht um kurz vor sechs auf. Er bemüht sich, leise zu sein, aber ich bin schon wach.

»Guten Morgen«, sage ich. Schlaftrunken knipse ich die Nachttischlampe an. Die Blackout-Vorhänge lassen noch kein Tageslicht ins Zimmer.

»Guten Morgen.«

Kai geht im Schlafanzug – Boxershorts und T-Shirt – ins Bad.

Ich höre die Toilettenspülung und danach das Rauschen der Dusche. Alles wie immer.

Nein, nichts ist wie immer. Unsere Beziehung steht auf dem Spiel. Es ist brutal, am Morgen aufzuwachen und sich nach einer kurzen Phase der Orientierung mitten in der Realität wiederzufinden. Bämm! Da sind sie wieder, all die Probleme und der Schmerz, alles, was in der Nacht heruntergefahren und von einer Traumwelt geschluckt wurde.

Langsam schäle ich mich aus dem Bett, gehe in die Küche und mache Kaffee. Ich habe mich so auf diesen Tag gefreut, ich möchte ihn mir nicht kaputtmachen lassen von meinen schweren Gedanken.

Kai kommt mit einem Handtuch um die Hüften aus der Dusche. Ein frischer, herber Duft umgibt ihn, die nassen Haare hat er nach hinten gekämmt. Mit ein bisschen Fantasie hat er was von Dr. Derek Shepherd aus Greys Anatomy. Was habe ich diese Serie verschlungen. Ganz im Gegensatz zu Kai, der sich nicht für diese Klinik-Soap, wie er es nannte, begeistern konnte. Wie viele Krankenschwestern mögen ihn anhimmeln? Hat er gar eine Affäre?

Florentine, jetzt reicht’s aber! Wer hat denn einen Riesenanteil daran, dass es so weit gekommen ist?

Meine weise innere Stimme scheint wacher zu sein als mein dusseliger Ego-Verstand.

»Ich mache Porridge. Möchtest du auch etwas essen?«, rufe ich. Kai ist zum Anziehen im Schlafzimmer verschwunden. Meist trinkt er morgens nur einen Kaffee, bevor er das Haus verlässt.

»Nein, danke. Aber nett, dass du fragst«, schallt es zurück.

Ich stelle einen Topf auf den Herd, gieße Hafermilch rein und gebe Haferflocken dazu, außerdem tiefgekühlte Heidelbeeren. Das lasse ich leicht köcheln und runde es mit Mandeln, Zimt, Kurkuma und Pfeffer ab.

Da kommt Kai in die Küche.

»Hm, das riecht köstlich.«

Er gießt sich Kaffee in die Steingut-Tasse, die ich ihm vor Jahren zum Nikolaus geschenkt habe. Wilder Kaiser, steht drauf, die letzten drei Buchstaben hatte ich damals mit Edding durchgestrichen. Längst ist es verblichen.

Kai setzt sich auf einen der drei Barhocker mit Wiener Geflecht an unseren Küchentresen mit Blick auf den Herd.

»Magst du doch etwas probieren?«, frage ich.

»Überredet.«

Ich fülle Kai eine kleine Portion in ein Schälchen und schiebe es samt Löffel zu ihm.

»Vielen Dank.«

Ich bin dankbar für den unerwartet entspannten Morgen.

»Wann haben wir unter der Woche das letzte Mal zusammen gefrühstückt?«

»Ich hätte es mir in den Kalender schreiben sollen«, sagt Kai und fügt an: »Das schmeckt sehr gesund, aber nicht schlecht.«

»Nachschlag?«

»Nein, danke. Wann wollt ihr los?« Kai steht auf und stellt das Schälchen in die Spülmaschine.

»Johanna hat noch einen Friseurtermin. Wir werden erst gegen Mittag starten.«

»Na dann. Ich muss los. Viele Grüße an alle.«

»Werde ich ausrichten.«

»Flo?«

»Ja?«

»Es war schön, mit dir zu frühstücken. Macht euch eine gute Zeit.«

»Danke. Und dir wünsche ich eine ruhige Woche. Endlich hast du mal sturmfreie Bude, was?«

»Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.«

»Wann sind wir das letzte Mal zusammen verreist?«, frage ich.

»Immer aufs Schlimme. Es ist sehr lange her«, sagt Kai und fügt seufzend an: »Das ist bitter.«

»So hast du Karriere gemacht.«

»Aber um welchen Preis?«

»Schön, dass dir das auffällt.«

»Für die nächsten Tage habe ich mir eine Art innere Einkehr vorgenommen. Vielleicht schaffst du das auch«, sagt Kai.

Ich nicke und gehe auf ihn zu, zögere dann aber. Einen Moment lang stehen wir uns unsicher gegenüber. Kein Kuss zum Abschied, zu viel ist in Bewegung. Aber wir sehen uns tief in die Augen.

Unbeholfen berührt er mit der rechten Hand meine Schulter, und ich lege meine Hand in seinen Nacken. Was für eine groteske Szene! Aber nichts ist mehr, wie es einmal war. Wir können nicht so tun, als hätte es gestern Abend nicht gegeben, als hätte es die letzten Monate nicht gegeben.

»Mach’s gut!«, sagt er.

»Du auch.«

Ich ziehe meine Hand von seinem Nacken weg.

Kai wirft seine Jacke über und schultert den Rucksack. Wir winken uns zu wie zwei flüchtige Bekannte, dann zieht er die Tür hinter sich ins Schloss. Ich bin allein.

Stille. Nur der Kühlschrank brummt leise vor sich hin, als wollte er mich daran erinnern, wie wichtig es ist, auf Zwischentöne zu achten. Er verstummt wieder.

»Danke für diesen Impuls«, raune ich.

Jetzt brauche ich meine »Good Vibes«-Playlist. Als Erstes kommt ein Klassiker: Queen geben Don’t stop me now zum Besten. Ich drehe auf. Ja, ich werde eine gute Zeit haben.

Wie aufgezogen tanze ich durch die Wohnung, so als ob ich damit alles abschütteln könnte, was mich belastet. Klappt aber nicht. Nach einer Atempause stelle ich mich aufrecht hin und strecke meine Arme nach oben. Berghaltung, eine meiner Lieblings-Asanas im Yoga, weil das immer geht. Auch in schwierigen Zeiten aufrecht stehen, das ist wichtig. Ich werde in mich gehen, um meiner Sehnsucht auf die Spur zu kommen, das bin ich mir schuldig – und Kai auch.

Coldplay singen Yellow. Um wie viel leichter das Leben wird, wenn der passende Soundtrack im Hintergrund läuft.

Ich fahre heute mit meinen Freunden in die Berge, und zwischen Kai und mir ist alles offen.

Oder? Da ist er wieder, dieser Stich im Herzen. Dagegen kann kein Song etwas ausrichten. Ich lasse meine Arme sinken und gehe ins Bad, um mich frisch für den Tag zu machen.

Den Vormittag verbringe ich mit Packen und einer kurzen Visite im Laden. Meiner Mitarbeiterin Clara geht es nach der Migräne-Attacke wieder besser. Sie hat für meine Urlaubswoche volle Unterstützung von Elvira, die als Aushilfe bei mir arbeitet. Kaum bin ich im Laden, kommt Frau von Hagen vorbei, um ihre Vase abzuholen. Sie nimmt die Zerstörung gelassen hin. Alles ist ersetzbar. Sie kauft eine andere, und ich fahre wieder nach Hause.

Um kurz nach zwölf klingelt Johanna und holt mich ab. Ich muss zwei Mal hinschauen, um sie zu erkennen. Sie grinst und schüttelt ihr knapp schulterlanges Haar, das von karamellfarbenen Highlights durchzogen ist. Die Mischung aus Braun und Gold sieht aus, als hätte sie eine leidenschaftliche Begegnung mit der Sonne gehabt. Ihr Gesicht strahlt dabei gleich mit.

»Und? Wie findest du es?«

Ich kann nicht aufhören, sie anzustarren.

»Wow, was für eine Typveränderung! Du siehst klasse aus. Willst du ein neues Leben beginnen?«

Johanna grinst. Normalerweise sieht man kaum einen Unterschied, wenn eine von uns vom Friseur kommt.

»Wer weiß? Es wurde Zeit. Weg mit den alten Zöpfen.«

Bis heute Morgen hatte Johanna straßenköterblonde Haare, die ihr angeblich bis zur Brust reichten, was man aber so gut wie nie gesehen hat, weil sie meist mittels einer Bananenspange zu einer Hochsteckfrisur zusammengepfercht wurden.

Johanna war schon als Kind immer die Hübsche, die Püppi mit den großen blauen Augen. Die Jungs rannten ihr scharenweise hinterher, während sie in mir mehr ihresgleichen sahen. Johanna ist einen halben Kopf kleiner als ich und hat etwas zeitloses Mädchenhaftes an sich.

»Du machst es richtig. Womöglich werde ich mir irgendwann ein Beispiel an dir nehmen und auch mal was wagen.«

»Haare können dabei ein guter Anfang sein«, sagt Johanna.

Wir laufen zu ihrem grünen Mini, den sie aus Ermangelung an Parkplätzen auf dem Fußweg geparkt hat. Eine Frau auf einem ausladenden Lastenfahrrad regt sich lautstark darüber auf, sie muss absteigen und einen kleinen Schlenker machen.

»Ja, ja, genau, das ist ein Fußweg, ich weiß«, sagt Johanna ganz ruhig.

Sie ist selten um eine passende Antwort verlegen. Die Frau schüttelt den Kopf und flucht noch ein bisschen weiter, bevor sie sich wieder auf ihr Rad schwingt und auf dem Gehweg weiterradelt.

»Gute Besserung«, ruft Johanna ihr noch hinterher.

Wir stopfen mein Gepäck in den Wagen. Anders kann man das nicht nennen. Der Kofferraum ist bereits voll beladen, und auch auf der Rückbank stapeln sich ein riesiger Rucksack und Taschen.

»Ein echtes Raumwunder, der Kleine. Dabei sind wir nur eine Woche lang weg. Was hast du alles dabei?«

»Besser haben als brauchen«, sagt Johanna.

»Oh, Beeilung! Da drüben ist ein netter junger Mann vom Ordnungsamt, der schaut schon interessiert zu uns. Den können wir jetzt nicht gebrauchen«, sage ich.

»Zumindest nicht in Uniform. Steig ein!«

Mit quietschenden Reifen fahren wir davon.

3

Stau auf dem Mittleren Ring. Wir brauchen eine knappe Stunde, bis wir München hinter uns gelassen haben und über die A8 in Richtung Kranzwinkl fahren, den Bergen entgegen. Die Zeit habe ich genutzt, um Johanna auf den neuesten Stand mit Kai zu bringen.