Altsein ist auch nur ein Teil vom Ganzen - Axel Bethke - E-Book

Altsein ist auch nur ein Teil vom Ganzen E-Book

Axel Bethke

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Beschreibung

„Wer sich entschlossen hat, alt zu werden, sollte frühzeitig vorsorgen. Geld reicht da nicht.“ (Axel Bethke) Zwölfeinhalb Jahre ist Grassy, als der Autor ihn im Internet entdeckt. Dieser – auf Menschenjahre umgerechnet etwa genauso alt wie Grassy – beschließt sofort, dem Hund das zu geben, was er auch hat: einen erträglichen, geruhsamen Lebensabend. Natürlich kommen da Zweifel vom Kopf her. Aber der Bauch ist eindeutig. Und der hat wieder recht. Die „spätpubertäre Risikobereitschaft“, wie der Autor sein Verhalten nennt, wird reich belohnt. Grassy dreht den Spieß schnell um und schenkt Freude ohne Ende. Hunde und Menschen verbindet im Alter besonders viel: Lebenserfahrung, manchmal sogar Weisheit, ein geringer gewordener Bewegungsdrang, den geduldigen Genuss des Nichtstuns, das Bedürfnis regelmäßiger Handlungsabläufe. Es geht nicht mehr um das große Ziel; eher ums Wachsen, ums gemeinsame Erleben und Entdecken dessen, was noch möglich ist. Ein heiteres Buch voller Klugheit. Es zeigt, wie man zufrieden älter wird und warum Hunde und Menschen im Herbst des Lebens erst recht zusammengehören.

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Axel Bethke

Altsein ist auch nur ein Teil vom Ganzen

Eine Hundegeschichte, die Herzen und Augen öffnet

Inhalt

Cover

Titel

Widmung

Gedanken zum Anfang

Der erste Eindruck …

Berta

Anne

Bergsteiger

Lavendel

Maßregelung

Erkenntnisse

Plato

Leicht dement?

Altersstarrsinn

Nasenschein

Schwingungsbarometer

Ein Sonnenband

Überlegung

Stratege

Vorausschauend

Ein gebrauchter Hund

Traumatisches Erlebnis

Angst

Navigation

Toleranz

Eingeschnappt oder klüger?

Prioritäten

Liebesglanz

Schwarzer Hund

Erwartung

Leichtfertig

Wohlbefinden

Schönheitsideal

Wundern beim Wandern

Friedliche Koexistenz

Kira

Klare Sache

Bank im Wald

Ist Kira doof?

Notwendigkeit

Der arme, wehrlose Kleine …

Die andere Seite der Niederlagen

Normal und anormal

Ausraster

Inspiration

Flocki

Hoffnungsvoller Tod

Frühlingsfluss

Ein guter Tag

Stimmungsaufheller

Verblüffung

Ein nicht so guter Tag

Hausbesichtigung

Zwischenbilanz

Dunkles Erinnern

Geben und Nehmen

Dialog

Leben und Tod

Hoffnung

Arthrosetherapie

An solchen Tagen

Kleine Peinlichkeit

Nervensäge

Gottes Natur oder Gott ist Natur?

Kicherndes Glück

Liebeserklärung

Wie man’s auch sehen kann

Auf gutem Weg

Verhundlichung

Vorleben

Altersbedingtes Denken

Toll und kühn

Die Treppe

Alters(ein)sicht

Bedrohte Art

Risiko

Gutes Leben

Erfüllter Traum

War’s das?

Gedanken zum Ende

Impressum

Für

Caro,

Josef und Hanko

Wenn etwas schön ist,

bevor wir es dazu machen können,

ist’s Natur.

Gedanken zum Anfang

Seit bald siebzig Jahren weiß ich, wie es ist, von Hunden gemocht zu werden. Es ist die zuverlässigste, haltbarste Zuwendung, die ein Mensch haben kann.

Nein, ich werte menschliche Beziehungen nicht ab. Aber die sind immer Schwankungen unterlegen. Hunde schwanken nicht. Oder nur so, dass Menschen das nicht merken. Sie kennen kein Wenn und Aber, kein hübsch und hässlich, kein klug und dumm, kein reich und arm.

Das Hündchen der Diva, das aus der goldenen Schüssel frisst, würde sich bei Penner Paul in der Abrisshütte genauso wohl fühlen. Vielleicht noch wohler, weil sich beide wärmen würden.

Darum geht’s.

Auch Außenseiter

haben nicht nur

die Außenseite.

Der erste Eindruck …

… ist nur ein Bild, dazu Gefühlsdurcheinander. Erst die Perspektiven, die Sichtweisen und Auseinandersetzungen mit einem Thema machen das Bild interessant oder nicht.

Relativ.

Das Internet hatte mir folgende interessante Information aus Spanien gegeben: Grassy sei ein lieber, ruhiger und stubenreiner Opa. Er habe sein ganzes Leben (zwölfeinhalb Jahre) bei seinem Herrchen verbracht, der jetzt ins Altenheim ziehen muss. Grassy sei sehr friedlich, komme gut mit anderen Hunden aus. Auch lebte er einige Jahre mit einem zweiten Hund in der Familie.

Caro, meine junge Tierfreundin, bringt täglich, wenn sie arbeitet, ihren Hund Blacky zu mir. Sie ist Tierpflegerin in dem Tierheim, in dem in den nächsten Tagen Hunde aus Spanien erwartet wurden.

Ich fragte, ob Grassy mit kommen würde. »Nein«, sagte sie, »der hat doch kaum eine Vermittlungschance.«

»Doch, hat er«, sagte ich, »bestell den mal nach!«

Meine spätpubertäre Risikobereitschaft war wieder einmal mit mir durchgegangen. Natürlich kamen da Zweifel vom Kopf her. Aber der Bauch war eindeutig. Der kennt keine Argumente, der kennt nur mich.

Und da ist er! Es hat geklappt. Caro übergibt mir ein wirres Bündel Wolle. Das strahlt nicht viel Leben aus. Nun sind wir zu dritt: Kira, die Kampfhundmischlingsdame, der Neue und ich.

Grassy, der alte Spanier, ist löwenfarbig, sehr langhaarig, sehr dick, sehr alt. Er hat die Größe eines lang gezogenen Igels. Die Körperform ähnelt einem wurstförmigen Sofakissen, ohne Bommeln. Das Zuchtziel dieser Rasse – falls es eine ist – war wohl ein Mopp. Übers Ausstauben etwas zu sagen, wäre sicher albern.

Grassy

Caro meinte: »Der muss auf Diät, hat ein kleines Gewichtsproblem.«

»Klein« ist relativ: Ein zwei Zentner schwerer Mensch, der normalerweise vierundsiebzig Kilogramm wiegen dürfte, hat prozentual das gleiche Übergewicht wie Grassy, und der wiegt zur Zeit acht Kilo.

Nach unserer ersten Nacht teilte ich dem Kleinen das Diätvorhaben in aller Deutlichkeit mit. Der stand auf, wackelte zur Tür, ging in die Küche und pinkelte seine Einverständniserklärung an den Kühlschrank. Das machte mich zwar nicht glücklich, aber bewies, dass der Hund bereit war, sein Zuhause zu akzeptieren.

Bei meiner Beschreibung von Grassy fiel mir ein, wie ich Berta und Anne kennenlernte. Ich lebte jahrelang erst in einem kleinen litauischen Dorf, dann in dessen Nähe, tief im Wald. In der Abgeschiedenheit wuchs die Harmonie mit den Tieren und gleichermaßen in mir.

Wäre das Dunkle nicht vom Hellen umgeben, könntest du’s gar nicht sehen.

Beobachtungen bringen Gedanken,

Gedanken schenken Bilder

und Bilder zeigen Ereignisse, die mal waren,

also Erinnerungen.

Berta

Unerwartet lag sie in der Scheune. Presste sich ins Heu. Zeigte die Zähne. Das stumpfe, graue Fell war oberhalb der Schwanzwurzel dunkel, fast schwarz und verkrustet. Das war angetrocknetes Blut, wie ich später feststellte. Ich ging langsam und ruhig redend auf sie zu. Ihre Nackenhaare sträubten sich, sie zog die Oberlippe noch höher, ließ leises, nachdrückliches Knurren vernehmen. Warum sie gerade in meiner Scheune lag, wer sie hier hineingeworfen oder gescheucht hatte, war mir egal. Sie lag hier und das war gut.

Ich ging zum Haus, holte Wasser und etwas Futter, stellte es in ihre Nähe. Als ich ein paar Stunden später nach ihr sah, waren die Schüsseln leer. Ich setzte mich auf einen Holzklotz und wusste nichts zu sagen. Wenn man immer alleine ist, verliert das Reden an Bedeutung. Also sang ich dem Hund etwas vor. Das sollte beruhigend wirken.

Berta, wie ich sie taufte, schien tolerant zu sein. Zumindest hatte sich ihre Angst durch meinen Gesang nicht vergrößert. Ich füllte nochmals ihre Schüsseln und ging ins Haus.

Sie wurde von niemandem vermisst, aber dass sie ein böser Hund sei, wussten alle. Jousas, mein Nachbar sagte: »Der Hund ist gefährlich, geh mit ihm zum Förster. Lass ihn erschießen.« Ich antwortete: »Ja, mein Geld ist bald zu Ende, dann muss ich vielleicht hier weg, hab kein Zuhause mehr. Gehst du dann mit mir zum Förster und lässt mich erschießen?« Er lachte mit einem Gesicht, als müsse er Magensäure runterschlucken. Abends schlief ich mit dem Gedanken ein: Hoffentlich ist Berta morgen noch da.

Sie war da und die nächsten zehn Jahre blieben wir unzertrennlich. Fuhren tausende Kilometer mit dem Auto. War ich irgendwo eingeladen und durfte Berta nicht mitbringen, fiel der Besuch aus. Sie war immer bei mir, hat mir in der Einsamkeit gezeigt, dass ich nicht allein bin. Was Beständigkeit, Treue und Zuverlässigkeit ohne Bedingungen ist, zeige sie täglich. Doch ob ihr Verhalten so ganz bedingungslos war? Wahrscheinlich erfüllte ich ihre Bedingungen genauso wie sie meine. Das bedurfte keiner Worte.

Ich hatte wenig Zukunftspläne, aber wenn einmal einer auftauchte, kam Berta immer darin vor. Drückte das Jetzt beängstigende Dunkelheit in Kopf und Bauch, konnte Berta Gefühle lesen. Sie schob ihren schlanken, grauen Kopf unter meine Hand, das half.

Ich glaube nicht, dass ich sie vermenschlicht habe, eher hat sie mich »verhundlicht«. Sie traf Entscheidungen, schlichtete Streit auf ihre Art, verhielt sich manchmal aggressiv, bedrohlich, und ich erkannte meist erst später die Sinnhaftigkeit. Besonders ablehnend verhielt sie sich gegenüber den Auswirkungen des Alkohols. Das kam mir als abstinent lebender Alkoholiker sehr entgegen. Denn was bindet stärker als ein gemeinsamer Feind? Selbst heute, nach so vielen Jahren, wenn ich intensiv an sie denke, zieht sich zuweilen Wasser in den Augenwinkeln zusammen.

Berta hatte fünf Tage nicht gefressen. Die vielen Spritzen der Tierärztin erschienen im Nachhinein nur die Rechtfertigung für das stolze Honorar zu sein. »Der Hund hat Gelbsucht«, sagte sie. Am letzten Nachmittag saß Berta, während ich die anderen Tiere versorgte, an den Zaun gelehnt und blickte zum Wald. Dann kam sie sehr langsam, fast schleppend mit ins Haus. Sie legte sich neben mich aufs Sofa. Meine Hand lag auf ihrem Kopf. Ich spürte die krankhafte Hitze an den Lefzen.

Es war dunkel geworden. Eine sternlose Nacht. Berta stand auf, trank, ging zur Tür. Sie sah mich an. Ihr Blick sagte: Du warst mir genau so wichtig wie ich dir! Dann sah sie auf die Türklinke. Ich öffnete. Berta ging in die Nacht, sie wollte beim Sterben allein sein.

Ich erinnere mich an so viele Fahrten, Ausflüge und Ereignisse mit Berta. Eigenartig ist allerdings, dass mir nur Besonderheiten – Bertas Verhalten in besonderen Situationen oder das Verhalten fremder Menschen auf ihr Erscheinen – im Gedächtnis geblieben sind. Dazugehörige Alltäglichkeiten sind völlig gelöscht, als wären sie gar nicht passiert.

Vielleicht liegt das daran, dass Berta und ich im Alltag unzertrennlich waren, eine Einheit. Uns konnte niemand etwas vom Anderen wegnehmen. Wir waren uns gegenseitig sicher. Deshalb reduziert sich die Erinnerung aufs Wesentliche, auf echtes Erleben. Unwichtige Normalität ist Oberfläche, die muss der Kopf nur zurate ziehen, wenn’s innerlich nicht stimmen würde.

Aber zwischen uns war alles klar. Der Tag war verlässlich und gefahrlos, wenn wir zusammen waren, die ganzen zehn Jahre lang.

Einer schlechten Erinnerung kann ich durch Betrachten und Bedenken das Grauen nehmen. Eine schöne Erinnerung kann ich, wenn ich sie betrachte, am Leben erhalten.

Mein Hund nascht gerne Kaffeebohnen,

die regen auf und an.

Er meint, es müsste sich doch lohnen,

im Ziegenstall mit einzuwohnen,

dann käm er ständig dran.

Anne

Sand, Kiefern, Wacholder, größere Moos- und Flechteninseln. Weit und breit kein Mensch. Die Sonne gestattete Schlangen und Eidechsen vitales Gehusche.

Meine Hunde und ich waren an der weißrussischen Grenze. Rotweiße Pfähle wiesen uns darauf hin, dass wir schon einige Male den illegalen Grenzübertritt begangen hatten. Aber weißrussische Pfifferlinge sind genau so schmackhaft wie litauische.

Die Hunde verschwanden in einem Wacholderdickicht. Dann ein schriller, durchdringender Schrei, als hätte man jemandem den Fingernagel ohne Betäubung herausgerissen. Ich brüllte die Hunde zurück. Bei irgendeinem Wildtier hätten Berta und Pico gebellt. Aber sie kamen erregt und schwanzwedelnd auf mich zu.

Im Dickicht sah ich eine Senke, mit Müll gefüllt. Ich hielt die Hunde am Halsband. Die zerrten zum Müll. Zwischen Flaschen, Gläsern, Bauschutt und stinkenden Schlachtabfällen bewegte sich etwas. Es war ein zierlicher Hund, braun, mit langem Fell. Als ich ihn aufheben wollte, schmiss er sich auf den Rücken und schrie. Es war wieder dieser Angstschrei von vorhin. Ich zog mein Hemd aus, wickelte ihn ein und verschnürte das Bündel mit Ärmeln und Zipfeln. Am See wusch ich das Hemd mit dem Hund und den Hund mit dem Hemd. Der Gestank nahm eine andere Geruchsnote an, das war’s. Nachdem mir das Hündchen mehrmals in die Finger gezwickt hatte, ergab es sich seiner Vorsehung.

Die Kleine brauchte nicht lange, um sich bei uns heimisch zu fühlen, genauso wie ich es mit Berta erlebt hatte. Ich nannte sie Anne, nach einem Lied von Hermann van Veen, den ich so gerne hörte. Da hieß es: »Anne, die Welt ist nicht so schön. Doch du kannst sie ein bisschen schöner färben …« Und das hat sie dann auch gemacht.

Ihre Ängstlichkeit entsprach der zarten Statur. Aber sie ging weder Auseinandersetzungen mit Hühnern, Küken noch mit Wachteln aus dem Weg und konnte recht bedrohlich bellen, wenn sie hinter Berta stand.

Wovon sie sich einmal ernährt haben musste, war tief in ihrer Erinnerung verwurzelt, allerdings nicht negativ. Ihr ganz besonderer Leckerbissen wurden die Hinterlassenschaften der Ziegen.

Ganz besonders klar erinnern wir uns an Ereignisse, die Gefühlsspurenhinterlassen haben.

Hundeerfahrung bedeutet,

dass Hunde aus Erfahrung wissen,

wie sie mit uns

umzugehen haben.

Bergsteiger

Ich habe eine zehnstufige Steintreppe zur Veranda. Die erklimmt Grassy in der unnachahmlich, graziös-souveränen Fortbewegungsart einer dicken Raupe. Oben angekommen, ist er von sich so begeistert, dass er mit dem ganzen Körper wedelt. Der Schwanz reicht ihm nicht zum Freuen.

Sein Ja zum Leben und diese Fröhlichkeit sind einfach beispielhaft. Je näher du dem Ende kommst, sagt mir der kleine Hund, um so ausgiebiger solltest du dich freuen, wenn es dein Inneres anbietet.

Dabei kann einem sogar das Klagen vergehen.

Tiere kennen keine bösen und keine hinterhältigen Taten, nur notwendige.

Weisheit hält nichts

vom Klagen,

weil sie