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Alzagra, ein neues Medikament gegen Demenz, zeigt bei einigen Patienten verblüffende Ergebnisse. An die Öffentlichkeit dringt davon jedoch nichts, denn die Risiken und Nebenwirkungen, nicht nur für die Patienten, sind groß und die klinische Studie wird gestoppt. Chris, Krankenpflegeschüler in Köln, ist mit seiner verspäteten Pubertät beschäftigt. Er versucht durch das Schreiben von Geschichten sein Gedanken- und Gefühlschaos zu sortieren. Er erfährt durch Zufall von dem Geheimnis um Alzagra, und auf einmal findet er sich in einer großen realen Geschichte wieder, die ihm schnell über den Kopf wächst. Er hat immer davon geträumt, ein Held zu sein, und nun hat er wirklich die Gelegenheit dazu. Das kommt ihm eher ungelegen ...
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Seitenzahl: 513
Veröffentlichungsjahr: 2017
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1990:
Alzagra, ein neues Medikament gegen Demenz, zeigt bei einigen Patienten verblüffende Ergebnisse. An die Öffentlichkeit dringt davon jedoch nichts, denn die Risiken und Nebenwirkungen, nicht nur für die Patienten, sind groß und die klinische Studie wird gestoppt.
Chris, Krankenpflegeschüler in Köln, ist mit seiner verspäteten Pubertät beschäftigt. Er versucht, durch das Schreiben von Geschichten, sein Gedanken- und Gefühlschaos zu sortieren.
Er erfährt durch Zufall von dem Geheimnis um Alzagra und auf einmal findet er sich in einer großen realen Geschichte wieder, die ihm schnell über den Kopf wächst.
Er hat immer davon geträumt, ein Held zu sein, und nun hat er wirklich die Gelegenheit dazu. Das kommt ihm eher ungelegen.
Chinz, am 9. Juni 1968 in Köln auf die Welt gekommen und 1990 im Kyffhäuser Keller, unter freundlicher Mithilfe der besten Bedienung der Welt, zum Leben erwacht, wurde dortselbst am Zapfhahn großgezogen. Er wohnt heute mit seiner Familie in Varel.
Die Ausbildung zum Krankenpfleger absolvierte er von 1989 bis 1992 im evangelischen Krankenhaus Köln-Weyertal.
Seine Ausbildungsunterlagen hat er nach dem letzten Schultag feierlich verbrannt.
Die in dieser Zeit geschriebenen Aufzeichnungen in Kölner Kneipen lagern in einer großen Kiste auf dem Dachboden und die damals durchlebten Gefühle in seinem Herzen.
Unter kontinuierlicher Zugabe von Alkohol und Musik wurde beides miteinander vermengt, gerührt, gebacken und heraus kam dieses Buch.
Guten Appetit!
Für den perfekten Lesegenuss empfiehlt sich die Lektüre am Abend, in einem Schaukelstuhl oder gemütlichen Sessel; Kerzen oder Kamin wären von Vorteil.
Als Getränke bevorzugt Gilden- oder Reissdorf-Kölsch. Natürlich sind auch die im Buch genannten Rotweine adäquat als Lesebegleitung.
Cointreau und Baileys sollten kühl in Bereitschaft stehen. Ein Glas mit Salzstangen ist Grundausrüstung; für Fortgeschrittene, als Ergänzung, ein Käseteller.
„Denn das Leben ist ein verlorenes Gut, wenn man nicht gelebt hat, wie man hätte leben wollen.“
(Eminescu)
Prolog
Kapitel 1: „End Credits“, Hans Zimmer
Kapitel 2: „Afterglow“ (Live), Genesis
Kapitel 3: „School“, Supertramp
Kapitel 4: „Ne schöne Jrooß“, BAP
Kapitel 5: „Take the Long Way Home“, Supertramp
Erstes Jahr
Kapitel 6: „Candle in the Wind“, Elton John
Kapitel 7: „Drive“, The Cars
Kapitel 8: „Meanings Will Change“, Paul Stookey
Kapitel 9: „You Were Always On My Mind“, Elvis Presley
Kapitel 10: „Happy New Year“, ABBA
Kapitel 11: „Sound of Silence“, Simon & Garfunkel
Kapitel 12: “Lord is it Mine?”, Supertramp
Kapitel 13: „Ripples“, Genesis
Kapitel 14: „Don’t Let It Show“, Alan Parsons Project
Kapitel 15: „I’ll Be Over You“, Toto
Kapitel 16: „The Show Must Go On“, Queen
Kapitel 17: „Black Velvet“, Alanah Myles
Kapitel 18: „Imagine“, John Lennon
Kapitel 19: „Slipping Through My Fingers“, ABBA
Kapitel 20: „Halt mich“, H. Grönemeyer
Kapitel 21: „A Girl in Winter“, Sky
Kapitel 22: „The Rose“, Bette Midler
Kapitel 23: „Downstream“, Supertramp
Kapitel 24: „Against All Odds“, Phil Collins
Kapitel 25: „Maybe“, Tom Pace
Kapitel 26: „Symphonie 3, Satz 1“, L.v.Beethoven
Kapitel 27: „You Light Up My Life“, Kasey Cisyk
Kapitel 28: „Hotel California“, Eagles
Kapitel 29: „Moon River“, Henry Mancini
Kapitel 30: „Memories“, Bryn Harworth
Kapitel 31: „Your Song“, Elton John
Kapitel 32: „Don’t Leave Me Now“, Supertramp
Kapitel 33: „My Kind of Lady“, Supertramp
Kapitel 34: „Those Were The Days“, Mary Hopkins
Kapitel 35: „Ich denk, es war ein gutes Jahr“, Reinhard Mey
Kapitel 36: „Shout“, Tears for Fears
Kapitel 37: „Vielleicht“, Mario Hene
Kapitel 38: „Nothing Left To Lose“, Alan Parsons Project
Kapitel 39: „Who Wants To Live Forever“, Queen
Kapitel 40: „Englishman in New York“, Sting
Kapitel 41: „A Face in the Crowd“, Tom Petty
Kapitel 42: „Is it Okay?“, Fame
Kapitel 43: „I Feel Good“, James Brown
Kapitel 44: „Rosa“, Pe Werner
Kapitel 45: „Here Comes the Flood“, Peter Gabriel
Zweites Jahr
Kapitel 46: „Bookends“, Simon & Garfunkel
Kapitel 47: „One Better Day”, Madness
Kapitel 48: „God Only Knows“, Beach Boys
Kapitel 49: „Here’s Where the Story Ends”, The Sundays
Kapitel 50: „Adaio Cheyenne“, E. Moricone
Kapitel 51: „Poor Boy“, Supertramp
Kapitel 52: „Me and I“, ABBA
Kapitel 53: „Empty Chairs“, Don Mc Lean
Kapitel 54: „Happy Xmas“, John Lennon
Kapitel 55: „As Times Go By“, Dooley Wilson
Kapitel 56: „Time After Time“, Cindy Lauper
Kapitel 57: „You Are so Beautiful“, Joe Cocker
Kapitel 58: „Ahn ner Leitplank“, BAP
Kapitel 59: „Why Don’t You Write Me?“, Simon & Garfunkel
Kapitel 60: „A winzig kleiner Tropfen Zeit“, R. Fendrich
Kapitel 61: „Three Little Birds“, Bob Marley
Kapitel 62: „Su ne Morje“, BAP
Kapitel 63: „Liz on Top of the World“, J.Y. Thiebaudet
Kapitel 64: „New Kid in Town“, Eagles
Kapitel 65: „Time in a Bottle“, Jim Croce
Kapitel 66: „The Boxer“, Simon & Garfunkel
Kapitel 67: „Do kanns zaubre“, BAP
Kapitel 68: „Here Today“, Paul Mc Cartney
Kapitel 69: „Hello“, Lionell Richie
Kapitel 70: „The Long and Winding Road“, Beatles
Kapitel 71: „The River“, Bruce Springsteen
Kapitel 72: „I’m on Fire“, Bruce Springsteen
Kapitel 73: „Blue“, Black
Kapitel 74: „Friends Will Be Friends“, Queen
Kapitel 75: „Badge“, Eric Clapton
Kapitel 76: „Sensitive Kind“, J.J.Cale
Kapitel 77: „American Pye“, Don Mc Lean
Kapitel 78: „Losing My Religion“, R.E.M.
Kapitel 79: „Too Good to Be True“, Tom Petty
Kapitel 80: „Mit 18“, Marius Müller Westernhagen
Kapitel 81: „Dancing in the Dark“, Bruce Springsteen
Kapitel 82: „Mad Not Mad“, Madness
Kapitel 83: „Somebody Who Cares“, Paul Mc Cartney
Kapitel 84: „Through the Barricades“, Spandau Ballet
Kapitel 85: „Thank You for Being a Friend“, Andrew Gold
Kapitel 86: „Tonight, Tonight“, Genesis
Kapitel 87: „If Everyone Was Listening”, Supertramp
Drittes Jahr
Kapitel 88: „I’m No Hero“, Cliff Richard
Kapitel 89: „Firth of Fifth (Live)“, Genesis
Kapitel 90: „Every Breath You Take“, Police
Kapitel 91: „Caribbean Blue”, Enya
Kapitel 92: “Dreamer”, Supertramp
Kapitel 93: „Eagle“, ABBA
Kapitel 94: „Undertow“, Genesis
Kapitel 95: „Help“, Beatles
Kapitel 96: „Still Got The Blues“, Gary Moore
Kapitel 97: „Brothers in Arms“, Dire Straits
Kapitel 98: „Cyrano (Finale)“, Jean-Claude Petit
Kapitel 99: „Mercey Street“, Peter Gabriel
Kapitel 100: „Watermark“, Enya
Kapitel 101: „Turn of a Friendly Card“, Alan Parsons Project
Kapitel 102: „Ein Leben lang“, Mario Hene
Kapitel 103: „One of These Nights“, Eagles
Kapitel 104: „If You Could Read My Mind“ G. Lightfood
Kapitel 105: „Strange Little Girl“, Stranglers
Kapitel 106: „Easy Does It“, Supertramp
Kapitel 107: „Money’s Too Tight To Mention“, Simply Red
Kapitel 108: „You’ve Got a Friend“, Carole King
Kapitel 109: „Don’t Get Me Wrong“, Pretenders
Kapitel 110: „Sunglasses at Night“, Corey Heart
Kapitel 111: „Isn’t Life Strange“, Moody Blues
Kapitel 112: „Advice For the Young at Heart “, Tears for Fears
Kapitel 113: „Heaven Can Wait”, Meat Loaf
Schluss
Kapitel 114 : „Karins Theme”, Chinz
P.S.
Glossar
Nachwort
Er saß auf der Terrasse, trank einen Schluck Chateau les Pins und wie so oft kam ihm ein genialer Gedanke, aus dem ein ganzes Buch werden könnte; aber wie auch so oft hatte er gerade nichts zum Schreiben dabei; und falls er doch etwas zum Schreiben hatte, dann wurde aus dem leichten, klaren Gedanken auf einmal schwere, komplizierte Arbeit.
Sätze mussten ausformuliert werden, wörtliche Rede lag ihm nicht und wenn er wirklich gekämpft und etwas niedergeschrieben hatte, fiel plötzlich auf, dass der Gedanke nicht so genial war oder halt eben nur ein Gedanke, ein Gefühl - keine ganze Geschichte.
Aber ... wenn er die vielen, nie aufgeschriebenen Gedanken und Ideen, all diese Bruchstücke noch einmal vor sich hätte; wenn er Schubladen im Kopf hätte, wo er sie sammeln und sortieren könnte - Ob sie dann eine Geschichte ergeben würden?
Was geschieht mit all den vergessenen Gedanken?
Gibt es im Kopf eine Sicherungskopie?
Schweben sie irgendwo im Raum, bis jemand anderes sie denkt?
Oder lösen sie sich auf? Wie der Chateau les Pins, der auf unerklärliche Weise schon wieder aus dem Glas verschwunden war ...
Eine wirklich große Geschichte hat er erlebt. Aufgeschrieben hat er sie nicht.
Er hat sie auch nie jemandem erzählt und so erscheint sie ihm inzwischen unwirklicher als viele, die er oft erzählt hat und die nie geschehen sind.
Seit langer Zeit denkt er wieder an die Zeit mit Alzagra und Herrn Moning zurück, die ihm heute wie ein Traum vorkommt.
In der Presse ist nie etwas Größeres, Zusammenhängendes berichtet worden, jedenfalls soweit er es verfolgt hat.
Ist vielleicht gar nicht viel geschehen oder ist es vertuscht worden?
Hat es womöglich außer ihm niemand mitbekommen?
Das dürfte auch der Grund sein, warum er es nie erzählt hat. Es ist einfach zu peinlich:
Er war eine Figur in einer großen Geschichte, hatte Einblick in eine wissenschaftliche Sensation und er hat es gar nicht richtig begriffen ...
„End Credits“, Hans Zimmer
Nichts.
Völlige Leere in meinem Blick. Weltschmerz, Verzweiflung, all das spüre ich deutlich im ganzen Körper und ich spüre, wie es aus meinen Augen starrt.
Ich habe das schon oft gesehen, auf Bildern, in Filmen.
Während ich noch darüber nachdenke, welchem Filmstar ich gerade ähnlich sehe, bemerke ich irritiert, dass niemand etwas merkt.
Schwester Erika delegiert wie immer alle Arbeit an mich, gönnt mir keine Pause, um meine Melodramatik so richtig auszuleben. Von ihr habe ich das auch nicht erwartet. Hat sie je etwas mitbekommen?
Aber Agnes aus dem Kreislauflabor. Ein Mensch mit so viel Herzenswärme und Einfühlungsvermögen - Nichts! Sie hat es nicht bemerkt. Dabei hat sie mir doch ins Gesicht geschaut, hat mich angelächelt.
Ich könnte ihr natürlich auch etwas sagen, mich erklären.
Könnte ich?
Ich kann es mir ja nicht mal selbst sagen. Ich habe dafür keine Worte.
Aber wozu Worte, warum sprechen, wenn meine Augen schreien?!
Oder doch nicht?
Ich spüre es, aber ich weiß es nicht. Eigentlich glaube ich es mir nicht mal.
Zum Spiegel im Stationszimmer zu gehen, traue ich mich nicht. Da habe ich zu oft mit IHR gestanden, hinter IHR, zwangsläufig eng an SIE geschmiegt, wenn ich die Hände vorne im Waschbecken gewaschen habe. Nie hat mir jemand so wunderbar im Weg gestanden!
Ich weiß nicht, ob ich mir jemals wieder die Hände waschen kann. Das ist allerdings nicht das, was mich wirklich trifft.
In einer Endlosschleife läuft die Filmmusik aus Rainman in meinem Kopf. Ich hatte die Platte heute Morgen aufgelegt und hörte gerade End Credits, als ich IHREN Brief las. Ich weiß nicht, ob jemals wieder eine andere Musik in meinem Kopf erklingen wird.
Nun gut, es hätte schlimmere Stücke geben können.
Ich kann mich an keine längere Phase in meinem Leben erinnern, in der ich nicht ständig Musik gehört habe. Manchmal laut und bestimmend, meistens als Hintergrundmusik; immer in meinem Kopf, ein musikalisch anspruchsvoller Tinnitus sozusagen.
Auf die Musikauswahl hatte ich selten Einfluss. Nur manchmal, wenn ich von außen über Boxen oder Kopfhörer ein Lied hörte, schwenkte auch meine innere Musik um.
Nun also: Für immer End Credits. Für immer am Bahnhof stehend, dem Zug mit IHR hinterher starrend, IHREN Brief in der Hand wie Bogart in Casablanca.
Ich weiß nicht mehr, was bei ihm stand, bei mir steht:
Ich mag Dich ja gern, aber wie Du Dir auch schon mal überlegt haben solltest, ist unsere Beziehung so langsam lächerlich ... Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich jemand anderen kennengelernt habe ... Das heißt ja nicht, dass wir nichts mehr miteinander zu tun haben können ...
Ich stehe und starre dem Zug nach. Die Bahnhofsmission ist geschlossen. Die Schaffnerin tippt mich an:
„Wird das jetzt bald mal was mit dem Essen verteilen?!“
Blöde Kuh!
Ja, es wird. Ja, ich funktioniere. Was soll ich sonst tun?
Auch von den Patienten bemerkt keiner was. Sie schauen erst mich an, dann das Abendessen. Einige interessieren sich wenigstens für das Essen.
Es ist der 8.4.1989. Der letzte Tag meines Zivildienstes auf Station 223 im Merheimer Krankenhaus. Nicht nur mein Zivildienst endet heute.
Vor genau zwei Monaten habe ich SIE das erste Mal gesehen. SIE kam von links in mein Leben; hier im Stationszimmer.
„Hallo, ich bin Rea, die neue Praktikantin. Mache hier die Ausbildung zur MTA.“
Ich nicke wissend, ohne einen Schimmer, was MTA ist.
Mega Toller Anblick wäre naheliegend gewesen, ist mir damals aber noch nicht eingefallen.
Zwei Wochen später dann, mit knapp einundzwanzig Jahren, endlich die erste Freundin und der erste Kuss ...
... und nun schon der erste Abschiedsbrief.
Ich bin sonst in den meisten Dingen eher langsam.
Um halb zehn gehe ich zu Fuß nach Hause. Zwölf Kilometer von Merheim bis in den Buchenkamp. Leichter Nieselregen, End Credits.
Die passende Musik habe ich gefunden. Irgendwann werden auch die Worte kommen.
„Afterglow“ (Live), Genesis
„Afterglow“
Wie ein Blatt, das vom Baum fällt, muss ich eine neue Heimat suchen ...
Es ist viel Platz auf dem Waldboden:
Ich kann mich treten lassen und damit anderer Leute Tritt abfedern,
... ich kann mich unauffällig in der Masse der bunten Blätter verstecken,
... ich kann mich auf einen Bach fallen lassen und durch die Welt treiben, hier und da hängenbleiben,
... vielleicht kann ich als Teil eines Nestes oder Baues dienen,
... oder ich falle ins Feuer und rieche für einen Moment würzig,
... vielleicht werde ich glitschig, dass man auf mir ausrutscht,
... vielleicht werde ich getrocknet und Teil eines Kunstwerks.
Mir ist es egal. Ich werde nie mehr das sein, wofür ich eigentlich bestimmt war,
was mein Name ist,
was meine einzige Sehnsucht ist:
Ein Blatt an meinem Baum sein!
Beim Schreiben hatte ich es nicht bemerkt. Das waren die Worte, die ich gesucht hatte. Auf einen kleinen karierten Zettel geschmiert, zerknittert, wahrscheinlich achtlos in den Mantel gesteckt. Nur Zufall, dass ich ihn noch nicht weggeschmissen habe.
Erst Monate später, als ich meine Zettel durchwühle, weil Karin mich gefragt hat, ob ich noch mehr Sachen geschrieben habe, finde ich Afterglow wieder.
Wenn ich es mit Schreibmaschine getippt hätte, würde ich jetzt nicht glauben, dass das von mir ist. Aber es ist tatsächlich meine Handschrift. Und dann fällt mir auch wieder der Abend im Zarahs ein. Nein. Der Abend nicht. Ich weiß nicht mehr, ob ich alleine dort saß, ob meine damalige Lieblingsbedienung Martina da war.
Ich weiß mich nur an einem Holztisch sitzend, ein kleines Kölsch vor mir, in der Kneipe läuft irgendeine Musik, in meinem Kopf läuft Afterglow von Genesis und ich schreibe diesen Zettel voll.
Keine Erinnerung, ob ich es am Ende noch mal durchgelesen habe. Ob ich damals wenigstens schon ahnte, dass ich die Worte gefunden habe. Nach all den völlig gescheiterten Versuchen, nach all dem wortlosen Starren.
Jetzt lese ich sie, anfangs nur froh, noch etwas zum Vorlesen für Karin zu haben. Dann noch mal lesend und langsam begreife ich:
Da stehen wir. Ich konnte es schreiben. Jetzt bin ich frei. Endlich kann Neues beginnen. Vielleicht ja sogar mit Karin?
Ich nehme die Zettel und gehe in die siebte Etage. Kurz vor Karins Tür bleibe ich stehen. Nein. Jetzt nicht. Jetzt diesen Moment auskosten. So nah, so innig war ich lange nicht mit mir.
Die letzten Monate habe ich mich nur um mich selbst gedreht, habe gegrübelt, gestarrt, geschrieben, geweint, in meinem Inneren gewühlt. Und doch, erst jetzt, wo ich befreit bin, fühle ich mich mir selbst wieder nah.
Es braucht Abstand, um sich nah zu sein.
Ich gehe aufs Dach. Zwölfter Stock des Personalwohnheims. Hier stehe ich oft und starre über Köln; immer Richtung Norden.
Afterglow läuft, gefolgt von End Credits und dann kommt sehr überraschend für mich: One Better Day von Madness.
Endlich wieder Abwechslung in der Musikauswahl! Die letzten Monate bestanden aus End Credits und noch einigen, nicht von mir ausgesuchten, dramatischen Liedern. Adagio for Strings an den ganz schlimmen Tagen.
Mitten im Saxophonsolo von One Better Day quietscht die Tür zum Treppenhaus. Och nö! Wer stört?!
Karin kommt auch aufs Dach. Über jeden anderen hätte ich mich jetzt geärgert.
Sie stellt sich neben mich. Sie sagt kein Wort. Auch sie starrt.
Ich weiß nichts über andere. Gibt es noch mehr Menschen, die dauernd Musik hören? Ich glaube es nicht. Es hat keiner Andeutungen gemacht. Aber ... Ich habe auch noch nie zu jemandem davon gesprochen.
Wir starren.
Sie stört überhaupt nicht. Viele schöne Erinnerungen mit ihr werden dazu kommen und doch ist dieser Moment einer der schönsten: Sie stört nicht.
„Du bist seit Langem der erste Mensch, der mir nicht auf die Nerven geht.“ Mein liebstes Filmzitat. (Die Reifeprüfung)
Für einen unvergesslichen Moment braucht es manchmal nichts Besonderes, nichts Großes; nur das Fehlen des erwarteten Negativen.
„School“, Supertramp
Es tut mir leid, wenn ich eben ein bisschen vorgeprescht bin. Ich bin das erste Mal ein allwissender Erzähler. Meine Deutschlehrerin hat sich viel Mühe gegeben, zu erklären, was der allwissende Erzähler macht und was nicht; und in der Zeit hin und her springen gehört nicht zu seinen besseren Eigenschaften. Also:
Seit Herbst 1989 wohne ich im Personalwohnheim des Evangelischen Krankenhauses in Köln, wo ich zum Krankenpfleger ausgebildet werde.
An die ersten Wochen kaum Erinnerungen. Kein Gefühl von Heimat, auch kein Gefühl von Fremde. Vom Unterricht nur gestreift. Meine Musik ist meist lauter.
Etwas wohler fühle ich mich ab der fünften Woche, nachdem ich den frei zugänglichen Flügel im Speisesaal entdeckt habe und wenig später auch die Dachterrasse in der zwölften Etage, mit einem tollen Ausblick über Köln.
Wie schon in der Schule entwickele ich mich schnell zum Klassenclown. Es gibt aber auch wirklich einiges, was man nur mit Humor oder Alkohol ertragen kann in dieser Ausbildung.
Zum Beispiel Ernährungslehre bei Schwester Irmtraud:
In der schriftlichen Arbeit wird es mir nach zehn Minuten zu bunt. Ich schreibe bei jeder noch übrigen Frage Blumenkohl als Antwort hin und gebe nach zwölf Minuten ab.
Blumenkohl war bei zwei Fragen sogar richtig.
Ich bekomme noch eine 4-.
Das war schon wieder später. Aber wohl meine berühmteste Aktion.
Also, heute stand Sprache und Schrifttum auf dem Stundenplan und gestern Abend war mir eingefallen, dass ich die Hausaufgaben, nämlich einen objektiven Beobachtungsbericht über einen Patienten schreiben, noch nicht gemacht hatte. Ich hatte in diesem Moment allerdings schon meinen Mantel an und war im Begriff ins Zarahs zu gehen. Der einzigen Kneipe in der Gegend, die ich schon vor der Ausbildung kannte und mein erster kleiner Zufluchtsort in dieser fremden Welt mitten in Köln.
Kurzentschlossen packe ich mein Arbeitsheft und einen Stift ein und gehe in die Kyffhäuser Straße.
Nur eine Hausaufgabe, an einem ungewöhnlichen Ort erstellt, aber sie sollte mein Leben verändern.
„Ne schöne Jrooß“, BAP
Beobachtungsbericht
Am Dienstag den 21.11.89 um 1930 verließ ich meinen Zweitwohnsitz im Weyertaler Personalwohnheim und ging zu meiner wöchentlichen Bierkur ins „Zarahs“, einer Kneipe in der Kyffhäuser Straße.
Die Kneipe hat acht gemütliche Holztische, alle mit freiem Blick auf die Theke, ein Kickerspiel, ausgesprochen angenehme Musik und Fenster auf die Straße, die sich gut zur Beobachtung zukünftiger Patienten eignen.
Jetzt, um 1945, sitze ich mit einem großen Gereons-Kölsch an einem dieser Tische; die anderen noch alle leer, nur der Kicker und die Theke sind schon teilweise besetzt.
Als Musik läuft „Cocain“ von J.J.Cale, der große Dicke gewinnt beim Kicker, die Schwester, äh, Bedienung (Martina) spielt mit zwei Thekensitzern Backgammon und mein Bier ist alle.
Der erste Patient in spe steht vor dem Fenster und studiert die Wohnungsanzeige, die dort hängt. Er trägt einen grauen Mantel, hat eine sehr kleine Nase, lange fettige Haare, ist ca. 30 Jahre alt, heißt wahrscheinlich Hugo und schaut mich blöde an. Ich schaue zurück.
Da kommt mein Bier.
Als ich wieder aufblicke, ist Hugo bereits gegangen.
Aber ich gleite ins Subjektive ab.
Weitere Beobachtungen: Das Kölsch ist kalt, meine Füße sind warm, die Bedienung ist ca. 170 cm groß, blond, große Augen und ein nettes Gesicht, super Figur und lässig gekleidet. Ich werde ab jetzt nur noch kleine Kölsch bestellen, damit sie öfter vorbeikommt.
Scheiße, schon wieder subjektiv! Noch ein Versuch:
Zur Abfüllung des gebundenen Alkohols (C2H5OH) in meinen Magen hebe ich die linke Hand, umfasse fest das große Glas mit dem gelblich-goldenen Inhalt und führe es zum Mund. Durch Heben des Glases, an dem dem Mund entgegengesetzten Ende, fließt die prickelnde Flüssigkeit aufgrund der Schwerkraft und dem Gesetz der kommunizierenden Röhren in Richtung meines geöffneten Mundes.
Nachdem genügend Flüssigkeit im Mund gelagert ist, gibt mein Kleinhirn (cerebellum) den Befehl zum Schlucken.
Die Flüssigkeit durchfließt Mundhöhle, Rachen (Pharynx), Speiseröhre (Ösophagus), um dann im Magen zu landen, wo sie gerecht auf Blutbahn, Niere und Leber verteilt wird.
Die linke Hand ist währenddessen längst auf ihren Platz auf dem Tisch zurückgelangt.
Etwa zwei Meter vor mir auf dem Fensterbrett steht eine unvollständige Weihnachtskrippe, die ich in einem subjektiven Bericht als äußerst störend erwähnen würde.
Martina ist mal wieder da und bringt mir ein neues Bier. In einem subjektiven Bericht würde ich sie als äußerst ... Nun gut, es ist ja leider kein subjektiver Bericht. Bleiben wir also bei den Tatsachen:
Der ca. 25-jährige Mann, der da vor dem Fenster auf und ab geht, hat dickes, gelocktes, schwarzes Haar, ein weißes Hemd, schwarze, gebügelte Hosen, zum Glück keinen Schlips. Er wirkt leicht desorientiert und murmelt dauernd vor sich hin.
Ich tippe auf retrograde Amnesie, aber Tipps gehören auch nicht in einen Bericht. Also:
- Kurze Anamnese des hier Sitzenden:
Der 21-jährige Chris H. ist in einem guten Allgemeinzustand, bezeichnet sich allerdings selbst als leicht desillusioniert. Seine Angaben über ein gebrochenes Herz konnten durch kardiologische Untersuchungen nicht bestätigt werden.
- Bericht über eine kardiologische Untersuchung:
Beim Linksherzkatheter wird ein Katheterrohr in die linke Herzkammer geschoben, mit dem Drücke im Herzinneren gemessen werden können.
Der Patient muss am Tag der Untersuchung nüchtern bleiben, normale Blutgerinnungswerte vorweisen und sollte einen leicht erhöhten Kaliumgehalt im Blut haben, da dadurch Herzrhythmusstörungen vermieden werden können.
Der Katheter wird in der rechten Leiste eingeführt und durch die Arterie bis in die linke Herzkammer geschoben.
Durch die nun messbaren Drücke im Herzinneren lassen sich durchgemachte Herzinfarkte, Verschlüsse und Verengungen in den Herzkranzgefäßen (RCX, RCA, Riva, Rea), Herzschwäche, sowie arterielle Hyper-, bzw. Hypotonie feststellen.
Um das bei der Untersuchung verwendete Kontrastmittel aus dem Blut zu spülen, muss der Patient viel trinken. Dafür bekommt er gewöhnlich Tee, nur auf Privatstation eventuell auch mal ein Bier, womit wir endlich wieder beim Thema wären:
Die Kneipe hat sich gefüllt, mein Bierglas auch schon mehrere Male.
Fünf Tische sind besetzt.
Am linken Nebentisch spielen drei Herren Skat. Wenn der direkt neben mir mit dem Blatt nicht gewinnt, deutet das auf eine Arteriosklerose im Gehirn hin, oder er hat auch zu viel C 2H5OH im Blut.
Alkohol erschwert das objektive Beobachten. Ich merke, wie ich langsam sentimental werde. Die Musik trägt ihren Teil dazu bei: Eben direkt hintereinander: „That Was Yesterday“ (Foreigner) und „Still Loving You“ (Scorpions).
Die Musik, die jetzt läuft, kenne ich nicht, ist aber sehr gut!
Ach, es gibt so viel gute Musik, die ich noch nie gehört habe,
so viele liebe Menschen, die ich nie kennenlernen werde,
so viel kaltes Bier, das ich noch nicht getrunken habe!
- Kurzer Entlassungsbericht:
Drei Tische weiter wurde ein junges Paar entlassen.
Während des einstündigen ambulanten Aufenthaltes in der Kneipe wurden ihnen jeweils zwei Kölsch verabreicht. Die Patienten sprachen jedoch nicht offensichtlich auf die Medizin an, sondern verließen das Sanatorium, wie sie gekommen waren:
Korrekt gekleidet und nach Leben suchend.
Es ist jetzt 2130 Uhr, ich habe über zwei Liter Gereons-Kölsch (C2H5OH-Gehalt 5 %) intus und beginne mich zu fragen, was Sprache und Schrifttum mit Krankenpflege zu tun hat.
Aber das ist nicht die einzige Frage, die mich beunruhigt:
- Werden die Leute in der DDR mehr von Demokratie verstehen als wir?
- Wird der Typ neben mir mit dem Blatt höher als 20 reizen?
- Hat der FC mit dieser Mannschaft überhaupt Chancen auf die Meisterschaft?!
- Wann kommt endlich mein nächstes Bier?!?
Tausend Fragen und noch mehr Antworten schwirren durch meinen Kopf und mir ist leicht schwindelig.
Es ist langsam indiziert zu gehen.
Die Bedienung (Martina), die sich so rührend um mein Bierglas bemüht hat, hätte ein Trinkgeld verdient, das ich leider nicht aufbringen kann. Ich werde eine Kerze für sie im Dom aufstellen.
Was ich sonst noch über sie denke (Mir fällt z.B. spontan die aktuelle Plakataktion „Ich will ein Kind!“ ein) eignet sich nicht für einen objektiven Beobachtungsbericht.
Ich werde es in dem Buch „Ich, der Held - Teil 2“ veröffentlichen.
Bis denn
Ne schöne Jrooß
Martina bringt mir noch ein Kölsch. Ich wollte schon nicht mehr, habe aber vergessen, den Deckel aufs letzte Glas zu tun.
Ob ich ihr das Geschriebene vorlesen soll?
Große Lust, es jemandem vorzulesen. Ich habe mich gerade beim Durchlesen köstlich amüsiert. Jedenfalls soweit ich meine Sauklaue entziffern konnte.
Gerne hätte ich es der Rothaarigen vom Nebentisch vorgelesen, die mich öfter interessiert ansah und wahrscheinlich dachte, ich schreibe Weltliteratur. Sollte ich öfter machen. Vielleicht quatscht mich mal eine an. Ich schaffe das ja nie. Was soll ich auch sagen?
„Hallo. Sie brauchen nicht hoffnungsvoll zu gucken. Ich schreib hier nur Unfug.“
Leider ist die Rothaarige schon vor zehn Minuten gegangen und hat nicht gefragt.
Der Heimweg beschwingt.
Bei Heike brennt kein Licht, gehe ich also zu Karin. Noch größerer Erfolg als bei mir selber. Große braune Augen strahlen mich an:
„Das musst du morgen vorlesen! Bitte, Chris!“
Am nächsten Morgen lässt sie Herrn Mohaupt kaum Zeit seine Frage „Wer möchte vorlesen?“ fertig auszusprechen:
„Der Chris muss vorlesen!!!“
Das ist mir nicht unangenehm.
Und es wird auch bei diesem Publikum ein großer Erfolg. Herr Mohaupt macht noch ein paar Bemerkungen darüber, wie ein Beobachtungsbericht eigentlich aussehen soll, wird aber nicht mehr ganz ernst genommen. Diese Stunde gehört eindeutig mir.
We are the Champions wäre jetzt angebracht. Mein persönlicher DJ hat sich aber für Ha ha said the Clown entschieden.
In der Pause fragt mich Karin dann, ob ich noch mehr habe, was ich ihr vorlesen könnte.
Ich schaue in mein Zimmer. Unzählige Zettel fliegen rum.
Oft habe ich zwischendurch etwas aufgeschrieben. Wenig ist gelungen. Nichts hat geholfen.
Gut, dass ich zuerst selber lese. Einiges kann man wirklich niemandem zumuten. Das Meiste ist einfach so, wie es mir seit Monaten geht: schlecht. Zum Beispiel:
„Eins von vielen Scheißgedichten“
Ich wüsste nicht, was ich Dir noch sagen kann,
aber ich habe das Bedürfnis, Dir etwas zu sagen.
Es ist von ungeheurer Bedeutung,
aber ich finde keine Worte dafür.
Alles, was ich sagen könnte,
scheint immer zielgerichtet, auf etwas abzielend.
Aber ich kenne das Ziel nicht.
Ich rede einfach ins Grüne. (In die grüne Sonne)
Du siehst, es kommt nur Scheiße raus,
wenn ich es versuche.
Ich wollte Dir nur sagen: DU.
und dass ich das Bedürfnis habe.
Ich weiß schon, was Du sagst:
„Vergiss es!“
Ich glaube, Du hast recht.
Also: Scheiß drauf! - Wodrauf eigentlich?!
Nun, immerhin die Überschrift hat es getroffen.
Aber da muss doch noch mehr sein!
Ich habe jedenfalls schon oft Schöneres, Lesbareres gedacht. Habe ich es auch aufgeschrieben? Ich kann mich nicht erinnern.
Ich muss mehr schreiben!
Ab jetzt jeden Abend, an dem Martina bedient, ins Zarahs und Berichte schreiben. Vielleicht ist ja auch die Rothaarige wieder da.
Noch ein zerknitterter Zettel. Auch aus dem Zarahs.
Afterglow? Sofort wechselt die Musik in mir.
I miss You more ...
Ich bin froh um alles Vorlesbare, was ich finde, froh um jeden Vorwand, bei Karin vorbeigehen zu dürfen. Ich könnte ihr stundenlang vorlesen, wenn ich denn so viel hätte.
Ich muss dringend mehr schreiben!
Am besten noch andere Kneipen, andere Bedienungen finden, wo ich schreiben kann. Einmal die Woche reicht nicht, bei allem, was noch in mir ist.
„Take the Long Way Home“, Supertramp
Um halb acht stehe ich mit Paul vor dem Kyffhäuser Keller, Hausnummer 47 in der Kyffhäuser Straße. Der macht aber erst um acht Uhr auf.
Das macht die Sache jetzt unnötig kompliziert. Wir wollten eigentlich schön der Reihe nach in jeder Kneipe dieser Straße und Umgebung ein Kölsch trinken.
Pauls Idee, nachdem ich mich darüber beklagt habe, dass Martina nur einmal in der Woche im Zarahs ist und ich sonst keine vergleichbare Bedienung kenne.
Er fand es zwar unsinnig, eine Kneipe nach der Bedienung auszusuchen, aber das macht einen Freund aus:
Ich verstehe dich nicht, aber ich helfe dir.
Also: Blick durchs Fenster: Sieht gemütlich aus, müssen wir nachher unbedingt noch hin! Ich glaube, Paul nimmt mich nicht ernst, als ich schnuppere und murmle:
„Riecht irgendwie nach guter Bedienung.“
Ich nehme mich übrigens auch nur selten ernst.
Vor Zarahs stehend sind wir etwas unschlüssig: Hier waren wir doch schon dreißig Mal! Was soll's? Die kleine Kölsch-Stange ist sowieso in zwei Minuten leer. Wir grüßen die uns bekannte Theke, trinken aus und ziehen weiter.
Im Blue Shell ist das Kölsch so warm, die Bedienung so kalt und die Musik so schwül, dass selbst Paul einsieht, dass es nicht nur auf die gesicherte Alkoholzufuhr ankommt.
Ich liebe diese Abende mit Paul. Anfangs noch tiefphilosophische und tiefenpsychologische Gespräche, die langsam verebben, bis endlich nur noch die eine, die große, die ewig ungelöste Frage im Raum steht:
„Warum?“
Ab dann nur noch einzelne Gesprächsfetzen, Lästern über den FC oder Frauen, hauptsächlich aber resigniertes gemeinsames Schweigen und Trinken.
Wenn wir irgendwann doch eine Antwort auf diese Frage finden würden - Wir wären enttäuscht. Etwas Festes braucht man im Leben und sei es nur eine ungelöste Frage.
Es ist bereits nach zehn Uhr, als wir mit je 1,8l Kölsch intus, noch relativ aufrecht, in den Kyffhäuser Keller wanken.
Wie vorhin, beim Blick durchs Fenster, zu erahnen war, ist es recht düster hier, aber gemütlich.
Auf beiden Seiten der Theke dunkle Holztische mit Bänken und ansonsten große Fässer mit Kerzen darauf. Wir stellen uns an ein Fass rechts von der Eingangstür.
Die Beleuchtung ist so gut versteckt, dass der ganze Raum nur von Kerzen beschienen erscheint und von einem hellen Strahl hinter der Theke:
Die blonde Bedienung ist die mit Abstand hübscheste heute Abend.
Das Bier bringt uns allerdings die Dunkelhaarige. Kurze, wilde, dichte, braune Haare und wache, schelmische braune Augen. Eine kräftige Stimme, überhaupt ein stabiles Erscheinungsbild. Wenn sie dann direkt vor uns steht: Stabil nicht im Sinne von dick. Nein, sie ist schlank, aber halt stabil, wie ein Küstenbewohner:
Aufrechter Gang, auch bei stürmischem Wind.
Nicht die Hübscheste, aber die ...
... die ...
Nicht wirklich ein unangenehmes Gefühl, kein Adjektiv für sie zu finden.
In diesem Moment noch die Überzeugung: Wenn ich wollte, könnte ich Worte finden, aber das ist ja heute Abend nicht die Aufgabenstellung.
Ich würde gerne noch ein Kölsch von ihr bekommen, aber Paul drängt weiter. Wir sind schließlich nicht zum Vergnügen hier!
Ich schinde noch ein bisschen Zeit und tue so, als müsste ich zur Toilette. Nach freundlicher Wegweisung durch die Blonde gehe ich in den Keller. Hier noch mehr Kerzen, gemütliche Nischen. Das reinste Kuschel- und Träumeparadies. Das sollte ich mir irgendwann noch mal mit jemand anderem als Paul anschauen.
Bin dezent enttäuscht, als in der Toilette dann keine Kerzen stehen.
Eine türkische Pizza am Imbiss, um unsere Grundlage wieder zu festigen und weiter geht es zur Filmdose und von dort die Zülpicher Straße hoch.
Kurz nach ein Uhr und deutlich nach drei Liter, fährt Paul mit der Linie 1 vom Rudolfplatz nach Brück. Ich wanke über die Zülpicher Straße nach Hause, biege dabei, als kleinen Umweg, in die Heinsbergstraße und dann in die Kyffhäuser Straße ein, um noch mal beim Kyffhäuser Keller vorbeizugucken.
Wie befürchtet leider schon zu.
Nun gut, ich bin ja auch schon zu.
Ich starre noch mal durch die Fenster und jetzt glaube ich wirklich, etwas wie den Geruch einer guten Bedienung gewittert zu haben.
Ach ne, Geruch klingt so puh. Atmosphäre?
Ich starre durch die Scheibe. Nicht nur eine gute Bedienung.
Irgendwas habe ich hier gefunden, ohne es gesucht zu haben, ohne es jetzt benennen zu können.
Hier muss ich bald noch mal hin! Ich glaube, bei ihr könnte ich schreiben.
Im Wohnheim angekommen setze ich mich um kurz nach zwei Uhr an den Flügel und improvisiere vor mich hin. Gut, dass der Speisesaal so weit ab liegt. Es kann niemand hören.
Andererseits: Ich spiele wie noch nie; hört sich richtig gut an. Also eher schade, dass keiner ... Die Tür quietscht und ein heller Lichtstrahl vom Flur kommt in das Dunkel des Speisesaals. Einen sehr ausgedehnten Moment lang die Erwartung, jetzt einen furchtbaren Anschiss zu bekommen:
„Ja wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?!? Mitten in der Nacht! Unverschämtheit!“
Aber die Person, mit ziemlicher Sicherheit weiblichen Geschlechts, hat sich, ohne ein Wort zu sagen, auf einen der Stühle neben der Tür gesetzt. Die Tür ist wieder zu und es ist dunkel.
Ich sehe sie nicht, aber ich spüre eine Zuhörerin. Anfangs unsicher, insbesondere bei der unsinnigen Vorstellung, es sei die Bedienung aus dem Kyffhäuser Keller. Eher jemand aus unserem Kurs, aber wer wäre von denen noch um zwei Uhr wach? Heike? Karin?
Egal. Ich stelle mir vor, es wäre die dunkelhaarige Frau aus dem KyffKeller und versinke in diesem Traum und in meinem Klavierspiel.
Es ist wunderbar.
Der Traum oder auch mein Klavierspiel? Ich weiß es nicht mehr, als die Tür knarrt und ich recht abrupt wieder in der Wirklichkeit ankomme.
Ich lasse die gerade anwesenden Töne noch ausklingen und gehe dann recht schwebend und schwankend in die zweite Etage.
Ausziehen, Zähne putzen, Wecker stellen.
Blick auf die Uhr: Halb vier? Oh!
Gute Nacht! Wer auch immer du warst ...
Ich habe nie erfahren, wer sie war.
Je nachdem, in wen ich gerade verguckt war in den nächsten drei Jahren, die Hoffnung, sie sei es gewesen. Jedes Mal, wenn eine Frau aus dem Wohnheim mich etwas verträumter anschaute, dachte ich:
Diewar es!
Ich weiß vieles nicht.
Ich weiß nicht, ob das wirklich eine Sensation ist, was ich Ihnen hier erzählen will; bin mir nicht mal sicher, ob es wirklich so geschehen ist.
Doch, geschehen ist es, aber all das, was ich hinter dem Geschehenen vermute, ist das Wahrheit?
Von wegen, ich sei ein allwissender Erzähler. Das Meiste, was ich gerne wüsste, weiß ich nicht. Insbesondere über die Gefühle anderer Menschen.
Ich kann hier nur das Wenige aufschreiben, was ich von der Zeit noch erinnere, und versuchen, es lesenswert zu machen, nachvollziehbar, logisch, fesselnd.
Das Leben ist ja leider meistens eher chaotisch, unlogisch und lethargisch.
Warum schreibe ich trotzdem?
Mir hat es oft geholfen, von anderen zu hören oder zu lesen, dass sie ähnliche Probleme haben, dass sich überhaupt doch jemand für die gleichen Sachen interessiert.
Oft war es eine Befreiung, eine Phrase für ein Problem zu finden, das dadurch nicht gelöst, aber leichter zu tragen war. Oder sogar: eine Phrase für Glück und Liebe ... Selten und kostbar.
Das hier wird kein Bestseller, wird nie verfilmt und ich werde hoffentlich nie berühmt und kann auch demnächst noch in Ruhe in einer Kneipe sitzen und Unsinn schreiben.
Fernando Pessoa zum Beispiel ist in unseren Breiten nicht sehr bekannt. Wer von Ihnen kennt ihn? Finger hoch! - Habe ich mir gedacht.
Die meisten seiner Werke lagen jahrzehntelang in Kisten und wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht. Ob er, als er starb, wusste, dass er wunderbare Worte und Phrasen gefunden hatte?
Mir jedenfalls hat sein Buch der Unruhe in schweren Zeiten sehr viel gegeben. Keine bahnbrechenden Erkenntnisse, keine Antwort auf die Frage Warum?, nichts, was mich wesentlich verändert hätte. Aber das Gefühl, dass irgendwo, an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, eine verwandte Seele existierte - Manchmal reicht das, um weiter zu gehen.
Genau das ist meine Hoffnung:
Mögen drei Menschen eine Phrase in diesem Buch finden, an der sie sich an stürmischen Tagen festhalten können,
mögen zwei geliebte Menschen lächeln und denken Ach ja, der Chris!
oder möge wenigstens einer merken:
Ich bin doch nicht der einzige Depp!
Also, ich drehe die Geschichte noch einmal kurz zurück an den Anfang und überlasse der Erinnerung und dem Schreibblock das Wort.
Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass meine Pubertät etwas verspätet kam?
Sagen wir mal so:
Sie sind jetzt live dabei.
„Candle in the Wind“, Elton John
Zarahs, 2.10.89
Die Kerze auf dem Tisch flackert heftig, als ob hier kräftiger Wind wäre im Zarahs. Ein Blick zur Tür, zu den Fenstern: alle zu. Tür und Fenster flackern auch.
Zeit zu Gehen.
Blick auf den flackernden Bierdeckel: dreizehn Striche. Ne, das gibt Unglück! Also doch noch ein letztes Kölsch von Martina.
Eigentlich will ich sowieso nicht weg von ihr. Sie ist hier im Umkreis von mindestens fünf Kilometern der einzige Mensch, den ich kenne.
Meine Mitschüler habe ich heute, bei einem nicht gerade zwanglosen Frühstück, zwar gesehen, aber nicht kennengelernt. Keine Liebe auf den ersten Blick. Nur zwölf Mäuse, die sich verängstigt in die Augen gucken, am ersten Tag dieses dreijährigen Experimentes in unserem Käfig:
Krankenpflegeausbildung im Evangelischen Krankenhaus Köln-Weyertal.
Martina scheint nicht genauso viel an meiner Anwesenheit zu liegen wie mir an ihrer. Sie gibt recht deutliche Zeichen, dass die Kneipe jetzt zu macht. Sie flackert ja auch schon leicht.
Ich schwanke auf das Wohnheim zu.
Dank der frischen Luft flackert es wenigstens nicht, aber es macht auch sonst nichts. Es steht da, dunkel, außer zwei schwach erleuchteten Fenstern in der vierten Etage. Ich kann den Lichtern noch keine Personen zuordnen.
Das ist nicht meine Welt hier.
Bloß: Das, was mein bisheriges Leben war: Glaube, Abitur, Familie, Rea, das ist vorbei, das ist auch nicht mehr meine Welt.
Ich komme mit meiner neuen Realität noch nicht zurecht; fühle mich, als wäre ich in einem Film. Da wäre ich gar nicht uncool: einsam, melodramatisch, in leichtem Nieselregen ... Oder wenigstens in einem Buch: der einsame Held, der ... Aber hier, in der Realität: sehe ich doch eher aus, wie ein überflüssiger Fleck auf einem langweiligen Bild.
Ich schließe die Tür auf. Das ist jetzt mein Zuhause? Dieses große, dunkle, eckige, hässliche Haus?
Was will ich hier?!?
Andererseits: Was will ich sonst wo?!?
Ich gehe in das fremde Zimmer in der zweiten Etage, wo meine Matratze liegt.
Mein Zimmer zu sagen, wäre stark übertrieben. Vielleicht wird es besser, wenn ich morgen meine Bilder und Cartoons hier aufgehängt habe.
Ich liege auf meiner Matratze.
Drei Meter höher liegt wahrscheinlich eine junge Frau auf mir.
Na ja. Halt über mir.
So viele Menschen in unmittelbarer Nähe, nur wenige Meter von mir entfernt und doch so einsam wie nie.
„Drive“, The Cars
Mit dem Drehstuhl im Einkaufswagen steuere ich auf die Kasse im OBI in Mülheim zu, träumend und unaufmerksam, wie die letzten Tage im Unterricht.
KRACH, SCHEPPER, BOING! stände jetzt in einem Comic.
Der junge Mann mit Lederjacke, mit dessen Einkaufswagen ich zusammengestoßen bin, beginnt mich wild zu beschimpfen.
Ich habe keine Ahnung, ob es sowas wie Vorfahrtsregeln für Einkaufswagen gibt. Ich kam von rechts und fuhr langsamer als er ... Egal! Ich will wieder Ruhe.
„Tschuldigung!“
Habe ganz andere Worte und Sätze im Kopf, aber das gäbe nur mehr Diskussion und Arbeit und er würde es doch nicht begreifen.
An der Kasse motzt er die offensichtlich neue und unsichere Kassiererin an, die noch kleiner wird, als sie vorher schon war.
Ich würde ihn am liebsten ... Schade, mir fällt grade nichts Passendes ein.
Das geht mir im Unterricht auch oft so.
Bin ich denn nur noch in der Schule?
Chris, aufwachen! Wenigstens hier noch leben!
Ich nehme ein Snickers aus dem Regal, vielleicht helfen Kohlenhydrate?
Mein freundliches Lächeln wirkt leider nicht so aufbauend wie sein Motzen niederschmetternd. Die Verkäuferin sieht immer noch klein aus, als ich sie verlasse.
Ich schiebe den Einkaufswagen auf den alten Kadett Caravan zu, den ich von meinem Vater geliehen habe, da knirscht es heftig. Jemand schrammt beim Ausparken den neben dem Kadett stehenden nagelneuen BMW kräftig in den Lack.
Kurzer Blick durch die Scheibe des Ascona – Es ist der blöde Jüngling von eben, der laute Stampfmusik hört und raucht. Kann der froh sein, dass das nicht mein Auto ist, sonst hätte ich jetzt endlich etwas gesagt.
Ich glaube, er hat es gar nicht bemerkt.
Das kann ja wohl nicht wahr sein!
Ich klopfe gegen die Scheibe.
Der Jüngling stoppt, macht die Musik aus, starrt nach links zum BMW und begreift jetzt wohl, was er wegen der Musik nicht gehört hatte.
Er kurbelt das Fenster runter, schaut den BMW an, schaut mich an:
„Ist das deiner?“
Ich sehe in seinem fragenden Gesicht: Wenn der BMW nicht mir gehört, geht es mich auch nichts an. Ich ahne schon, wie er gleich einfach davon fährt.
Mehr im Reflex, als nach Überlegung, führe ich eine spontane Idee aus und motze, was mir gerade einfällt: über seine Blindheit, den neuen Wagen und meine Frau, die einen Tobsuchtsanfall bekommen wird und ...
Mir fällt nicht so viel ein, wie ich mir für eine überzeugende Vorstellung wünschte, aber vielleicht ist gerade mein Gestammel so glaubwürdig. Der Schnösel reagiert wie erhofft:
„Oh, Scheiße! Sorry, Mann! Tut mir leid. Können wir das ohne Versicherung regeln? Das ist nämlich nicht mein Wagen. Kann ich das so bezahlen?“
Na ja, wenn es sein muss.
Der Jüngling namens Franz sucht in seiner Tasche nach dem Portemonnaie.
Ein Mann kommt aus dem OBI auf uns zu und guckt entsetzt auf die Beule im Heck – Scheiße!!!
Er schaut fragend in meine Richtung:
„Kann ich helfen?“
Franz und ich stottern gleichzeitig:
„Nein ...! ... Danke.“
Er geht weiter, zu seinem Omega hinter meinem Kadett.
Franz hat endlich sein Portemonnaie rausgeholt.
„Ich hab achthundert Mark. Ich kann noch zum Geldautomaten, wenn Sie wollen ...“
„Danke, ich habe es sehr eilig. Geben Sie mir die Achthundert, Ihren Namen und Telefonnummer, dann können Sie fahren.“
Umständlich suche ich nach meinem Portemonnaie und stopfe das Geld langsam rein. Verdammt, wann fährt der Knilch denn endlich?!? Hoffentlich fragt er mich nicht, ob ich meinenBMW ein bisschen vorfahren kann, damit er besser raus kommt.
Was noch machen?! – Ich ziehe meinen Schuh aus und drehe ihn um, als wäre ein Stein drinnen, da lässt er endlich den Motor an.
Franz zielt diesmal besser, setzt zurück und fährt davon.
Wieder kommt ein potentieller BMW-Fahrer aus dem OBI.
Wenn er es wirklich sein sollte - Wie soll ich ihm das hier erklären? Ich weiß nicht, was da eben in mich gefahren war.
Wäre das ein Eishockeyspiel, würde ich jetzt eine Auszeit beantragen, um meine Sätze zu formulieren.
In was bin ich da nur rein geraten?
Er kann doch bestimmt Franz anrufen und was noch fehlt einfordern! Oder geht es vielleicht trotzdem noch über die Versicherung? Ich habe von so vielen Dingen keine Ahnung.
Andererseits: Ohne mich hätte er gar nichts bekommen!
Der BMW-Fahrer steht fassungslos vor seinem zerbeulten Neuwagen und fängt an, auf die vielen Ausländer in Mülheim zu schimpfen.
Hä?! Was hat der denn?! Franz war aber so was von deutsch!
Ich starre ihn fassungslos an. Wahrscheinlich denkt er, auch ich würde mich über die zum Autofahren unfähigen Ausländer aufregen.
Erst jetzt fällt mir sein Aufkleber „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!“ neben dem Nummernschild auf.
Ich stecke das Geld, dass ich ihm grade geben wollte, in meine Hosentasche, schimpfe noch ein wenig mit ihm zusammen über die unglaubliche Dreistigkeit von Ausländern und Unfallflüchtigen, steige in den Kadett, zerknülle den Zettel mit der Telefonnummer und fahre nach Weyertal.
Dort baue ich den Drehstuhl auf und den neuen Verstärker, den ich mir auf dem Weg noch geholt habe.
Die restlichen vierhundert Mark werde ich morgen beim Integrations-Café in Mülheim vorbeibringen.
„Meanings Will Change“, Paul Stookey
„Du willst wirklich keinen Kaffee?!“
Marlene schaut mich skeptisch an, als ob sie denken würde, dass jemand, der keinen Kaffee trinkt, eigentlich keinem Pflegeberuf nachgehen kann.
„Nein danke, echt nicht! Ich bleibe bei meiner Milch.“
„Und warum willst du Pfleger werden?“, fragt mich jetzt Susanne. „Du hast doch Abi gemacht!“
„Ja. Sogar mit Mathe und Physik als Leistungskurse. Klingt nicht nach Pflege, stimmt schon. Aber ich wusste halt nicht, was tun und habe erst mal Zivi im Krankenhaus gemacht und bin auf den Geschmack gekommen.“ (Unter anderem wegen der vielen hübschen Schwestern, wie ihr beiden. Das sage ich natürlich nicht.) „Eine genaue Vorstellung davon, was auf mich zukommt, habe ich allerdings ehrlich gesagt noch nicht.“
„Ach weißt du, eigentlich ist Krankenpflege das Gleiche wie Prostitution“, sagt Susanne zu mir. Sie liebt es, mich zu schocken.
„Wir machen Arbeit, die schon immer benötigt wurde und immer benötigt werden wird; die die meisten Menschen nicht machen könnten, weil sie sich davor ekeln würden, einen Patienten im vollgeschissenen Bett zu säubern oder einem wildfremden Mann den Schwanz zu lutschen. Es sieht von außen gar nicht schwer aus, aber die Meisten sind nach ein paar Jahren kaputt. Die Hälfte aller examinierten Pflegekräfte hört nach weniger als fünf Jahren auf. Und glaub mir, die meisten nicht, weil sie den Chefarzt geheiratet hätten. Ach ja, und für beide Arbeiten holt man sich am besten Frauen aus Osteuropa, die sind billig und willig und meckern nicht so viel.“
So haben sie uns das in der Schule nicht beigebracht. Schwester Sigrid, unsere obere Schulschwester, hatte auch etwas über Grundsätze der Krankenpflege erzählt. Ich weiß allerdings nichts mehr davon. Es war kein so griffiges Beispiel dabei gewesen.
Vielleicht sollten die sich Susanne für ein paar Grundlagenstunden ausleihen. Sie bringt viele Sachen schön auf den Punkt. Übrigens auch Marlene, die gerade mit dem Zivi diskutiert.
„Im Zuge der Gleichheit von Wehr- und Zivildienst sollte es einen freiwilligen Zeitzivildienst geben, wie die vier Jahre beim Bund. Am besten direkt inklusive Krankenpflegeausbildung! So täten wir was gegen den unausweichlichen Pflegenotstand, der sich aus der demographischen Entwicklung ergibt.“
Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst hinhören soll, bekomme oft die Anfänge nicht mit. Da hat man mal zwei fähige Lehrerinnen und dann unterrichten sie gleichzeitig!
Ich fühle mich wohl auf Station A1, einer großen inneren Station mit vierzig Betten; wohler als in der Schule und lernen kann ich hier auch deutlich mehr.
Gut, auch durch die Schule habe ich schon etwas Wichtiges gelernt: Schreiben in Kneipen. Ich freue mich schon auf den Abend heute im Zarahs! Leider werde ich weniger Zeit als letztes Mal haben, da ich erst noch den Spätdienst hinter mich bringen muss und morgen Frühdienst habe.
Nach der Pause gehe ich Blutdruck messen.
Im ersten Zimmer steht noch das Essenstablett. Ich frage Frau Donner beim Abräumen:
„Hat es geschmeckt?“
„Ja. Sollte es denn nicht?“, fragt sie erschrocken zurück.
„Doch, doch“, antworte ich etwas verwirrt.
Im Radio ihrer Nachbarin läuft WDR4 und ich stecke schnell das Stethoskop in die Ohren, damit meine innere Musik nicht infiziert wird.
„Hundertzwanzig zu siebzig“, sage ich, während ich die Luft aus dem Blutdruckgerät lasse.
„Ist das nicht zu tief?“, fragt Frau Donner wieder, genau wie die letzten vier Abende, egal wie hoch der Blutdruck war.
„Nein, Frau Donner. Alles in Ordnung. Das ist im Normalbereich.“
Dabei muss ich mir vorstellen, wie sie früher mit ihrem Mann geschlafen hat und wenn es so richtig heftig wurde, fragte sie entrüstet:
„Ist das nicht zu tief?!“
Wohin die Gedanken so schweifen, wenn man von hübschen Schwestern umgeben ist ...
Obwohl, mein Vizechef ist ein Mann: Michael Nelkenhauer. Er lief vorhin vor der Übergabe „Aaaahhhrg!!!“ schreiend über den Flur, hielt sich mit links die rechte Hand, rote Flüssigkeit tropfte vom Handschuh - ein schauriger Anblick.
Aber wir kennen ihn ja. Das wird wieder nur Betaisodona-Salbe gewesen sein. Er macht dauernd so was. Ob wir es mitbekommen würden, falls er wirklich mal verletzt sein sollte?
Ich sehe schon den Zeitungsartikel vor mir:
Verstorbener Pfleger sitzt wochenlang im Dienstzimmer neben seinen Kollegen, die ihm den Tod nicht glauben!
Wohin wohl Frau Donners Gedanken abschweifen, wenn sie so ins Nichts starrt? Irgendwas steckt dahinter. Eine fremde Welt, in die ich nicht reinkomme.
„Der schönste Platz ist immer an der Theke“, klingt es aus dem Radio.
Frau Donner guckt erstaunt: „Apotheke? Wieso in der Apotheke?“
Die Nachbarin korrigiert: „Nicht Apotheke. An der Theke.“
„Andere Apotheke?“
„Nein! Das hieß ..., wie hieß das?“
„Aber in der Kirche ist es doch viel schöner!“
„In der Küche?“
Mir wird schwindelig. Eine halbe Minute später weiß ich auch nicht mehr, wie das Lied wirklich ging, und habe auch vergessen, was ich noch im Zimmer wollte, außer Blutdruck messen. Meistens hilft es, auf den Flur zurückzugehen; aber auch auf dem Flur hellt sich meine Erinnerung nicht auf.
Demenz? An dieser Stelle in meinem Hirn herrscht Dunkelheit. Unangenehmes Gefühl. Zum Glück bisher nur punktuell.
Als ich wieder in das Zimmer gehe, schaut mich Frau Donner überrascht an:
„Ach wie schön, dass du kommst! Musst du denn heute nicht arbeiten?“
Ich mag dieses Zimmer.
Das geht nicht jedem so.
Meine ersten zwei Tage auf Station half ich Schwester Gitta bei der Pflege der Dementen. So ähnlich stelle ich mir den Ton auf einem Kasernenhof vor.
„Die brauchst du nicht fragen, was sie wollen, die sind nicht mehr hier in dieser Welt. Was soll ich groß freundlich und geduldig sein, wenn sie sowieso gleich vergessen haben, was ich gesagt habe? Nein, das gibt nur unnötige Diskussionen und stundenlange Erzählungen aus ihrer Vergangenheit. Da haben wir keine Zeit für! Also, merk dir: Immer zackige Anweisungen! Dann funktionieren sie am besten!“
Ich versuche wirklich, es mir zu merken - für den Fall, dass ich Gitta später mal pflegen muss.
„Die bekommen nicht wirklich mit, was du ihnen sagst. Eigentlich ideal für eine Beichte. Denen kannst du alle deine Sünden erzählen, die petzen nicht.“
Gitta lacht, Frau Donner starrt mit unbewegter Miene aus dem Fenster und ich tue so, als wäre ich konzentriert am Arbeiten.
Gitta ist nicht zufrieden mit dem Erfolg ihres ersten Witzes und versucht noch einen draufzusetzen:
„Frau Donner! Springen sie aus dem Fenster!“
Und dann zu mir: „Keine Angst, spätestens wenn sie das Fenster auf hat, hat sie vergessen, was sie dort sollte!“
Diesmal lacht sie schallend.
Ich bin enttäuscht von mir, dass ich nichts dagegen sage. Immerhin habe ich nicht mal gelächelt.
Nicht nur, dass ich Gitta nicht leiden kann. Irgendwie fühle ich mich selber angegriffen. Als würde ich zu Frau Donner und ihren Demenz-Kolleginnen dazugehören. Offensichtlich leben sie in ihrer eigenen Welt, fern der Realität. Ähnlich wie ich im Unterricht: ins Leere starrend, nur körperlich anwesend auf diesem Stuhl im Klassenzimmer.
Bin ich vielleicht auch schon dement? Ich habe oft das Gefühl, aus einer anderen Welt gerissen zu werden, wenn mich Schwester Irmtraud auf einmal anspricht. Wenn ich Frau Donner anspreche, wird sie auch aus einer Welt gerissen, aber sie kommt meistens danach nicht in dieser Welt an, sondern in einer anderen von ihren vielen vergangenen Welten.
Ich möchte lieber nicht wissen, was Gitta mit ihr anstellt, wenn keiner von uns dabei ist. Frau Donner zuckt immer zurück, wenn Gittas Hände in ihre Nähe kommen. Bei meinen Händen nicht. Das macht mich ein bisschen stolz.
Seit ein paar Tagen bekommt Frau Donner Alzagra, ein neues Medikament gegen Demenz. Wir unterstützen hier eine Studie der Uni-Klinik und müssen deswegen bei den Patienten, die Alzagra bekommen, noch mehr aufschreiben als bei den anderen.
Bisher wohl noch keine großen Erfolge. Es gibt aber auch deutlich Wirksameres als Medikamente:
Marlene geht völlig anders mit Dementen um als Gitta. Nach ruhigen, freundlichen Anweisungen kann Frau Donner auf einmal noch eine ganze Menge selber machen, es geht nicht schneller, aber in angenehmer Atmosphäre. Keine Abwehrhaltung, wenn Marlenes Hände sich beruhigend auf Frau Donners Schultern legen. Sie lächelt glücklich.
Nicht, dass sie dann in dieser Welt ankäme. Es sind eher Marlenes Hände, die in Frau Donners Welt ankommen.
Ob Marlene zurückzucken würde, wenn sich meine Hände nähern?
Jaja, schon gut! Sie hat, glaube ich, einen Freund und all der Mist, und ich muss ja noch fünf Zimmer messen!
Ich mache die Tür auf. Marlene kommt gerade rein. Unsere Hände berühren sich kurz an der Klinke.
Sie lächelt und geht ins Zimmer.
Ich strahle und gehe raus.
„You Were Always On My Mind“, Elvis Presley
9.12.89
Kreativer Unterricht. Schwester Irmtraud erzählt vor sich hin. Sie scheint nicht mit mir zu sprechen. Gut, ich bin nämlich mit anderem beschäftigt: Ich schreibe ein Gedicht für Heike.
Das Schreiben fällt schwer, da meine Hand noch vom Torjubel von vor drei Tagen wehtut. Ich kann es immer noch nicht glauben:
3:0 für den FC durch Ordenewitz in der letzten Minute!
Ich habe vor Begeisterung dermaßen mit der rechten Hand auf den Boden gehämmert, dass ich zwei Tage mit links die Zähne putzen musste, weil ich die Bürste rechts nicht gehalten bekam.
Das sollte übrigens eine Pflichtübung für alle Pflegenden in der Ausbildung sein! Man macht sich vorher keine Vorstellung, wie schwierig die Umstellung auf die linke Seite nach einem Schlaganfall mit Lähmung rechts ist. Genauso wie man sich keine Vorstellung macht, wie furchtbar es sich anfühlt, falsch rum liegend im Pflegebett gefahren zu werden. Dauernd das Gefühl, gleich stößt das Bett irgendwo gegen.
Habe ich im Zivildienst gelernt, als Fine mich auf einem Bett durch den Tunnel in Merheim fuhr und mal kurz die Richtung wechselte. Sie wusste das und warnte mich vor.
Sie wusste sowieso sehr viel über die Gefühle anderer. Ich glaube, sie war der erste Mensch, bei dem ich das Gefühl hatte: Die weiß mehr über mich als ich selber.
Schade, dass sie nicht hier in Weyertal ist.
Schön, dass Karin hier ist. Ihre Augen vor ein paar Tagen im Kerzenschimmer, als ich ihr Gitarre vorspielte - dafür lässt man gerne mal einen Kneipenschreibabend sausen!
So, wie das Schlagen auf den Boden noch drei Tage später in der Hand nachwirkt, wirken ihre Augen in meinem Gemüt nach.
Auch schön, dass Heike hier ist. Mit ihr am Abend vor Nikolaus Ostereier gefärbt, in Körbchen gelegt und in der Nacht im Wohnheim verteilt. Dabei fast mit der Oberin zusammengestoßen, die gerade Nikolausgrüße verteilte. Sie wäre not amused gewesen. Wir haben uns königlich amüsiert.
Doch ..., langsam das Gefühl, dass es hier ganz nett werden könnte.
Das Gedicht ist fertig. Unauffällig rüber geben und auf Heikes Lachen freuen.
Wenn ich Dir in die Augen schau -
Sie sind wie ein See so blau,
Versinke ich in ihren Tiefen
Und muss mich dann vor Rührung schniefen.
Die Haare haben mich betört,
auch wenn die blöde Haube stört.
Sie fallen herab in goldenen Wellen
Und lassen mein Herz zu Dir hin schnellen.
Nur die Uhr rechts an Deiner Jacke,
Ist die allergrößte Kacke.
Doch wer guckt schon auf die Uhr,
Sieht er Deine Beine nur:
Schlank und rank und wunderbar
Stelln sie sich den Blicken dar.
Ich gäb den letzten Pfennig noch,
rutschte der Rock ein wenig hoch.
Denn dann säh ich Deine Knie,
Ja, und die vergäß ich nie.
Höher wag ich nicht zu schauen,
Du würdst mir eine runterhauen.
Denke ich an Deinen Mund,
Erbebe ich am Herzensgrund.
Die Lippen sind so lockend rot,
Ich sterbe bald den Sehnsuchtstod.
Berührt im Traum Deine Hand mich zart,
So sag ich nach der Väter Art:
„Denk ich an Heike in der Nacht,
So bin ich um den Schlaf gebracht.“
Ertönt Deine Stimme unter den Locken,
Erschallen im Herzen laute Glocken,
Sie klingen hell und laut und rein,
Und läuten unsre Hochzeit ein.
Denk ich an unsere erste Nacht,
Die große Gier in mir erwacht
Und wenn erst Deine Haube fällt,
Bin ich der glücklichste Mann der Welt.
Doch noch ist es nicht so weit,
Es dauert noch ne Ewigkeit,
Bis ich Dich auf den Mund gebützt
Und Du mir in die Eier trittst ...
Scheint kein schlechter Tag zum Schreiben zu sein. Falls mich Karin nachher nicht noch zu Kerze und Gitarre zerrt, werde ich endlich mal wieder im Zarahs sitzen. Und vielleicht gehe ich danach noch bei Karin vorbei, und weil es dann zu spät für zur Gitarre zerren ist, zerrt sie mich woanders hin.
Zarahs, 9.12.89
„Glufg“
Eine Schnitzerei auf dem Tisch, da, wo mein Kölschglas steht, hält mich schon seit einer halben Stunde vom Schreiben ab. Statt hochwertige Literatur zu verfassen, überlege ich die ganze Zeit, was das heißen könnte. Erster Gedanke:
„Gitta labert und fersteht garnix!“
(Kurz in Versuchung, dass „f“ auf dem Tisch rot anzustreichen und eine Bemerkung für die Eltern daneben zu schreiben.)
Oder hat sich hier ein Bruder von Karl-Theodor verewigt?
„Gotthold Leopold Ulrich Freiherrvonabundzu Guttenberg“
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Noch mehr als Glufg hält mich meine Verträumtheit vom Schreiben ab. Ich sitze die meiste Zeit einfach da, starre in die Kerze auf dem Tisch und stelle mir genussvoll vor, wie ich nachher mit vielen schönen, frischgeschriebenen Texten zu Karin gehe und ihr vorlese.
Die Vorfreude wäre ungetrübter, wenn mir wenigstens schon ein kleiner schöner Text eingefallen wäre. Ich verspüre ja nicht mal den Drang, zu schreiben. Eher:
„Gähnende Leere und ...“ und dann fällt mir nichts mehr ein. Immerhin spüre ich die Leere sehr intensiv. Ah!
„Gähnende Leere und fehlende Geistesblitze“
Ist die Ausformulierung der Unfähigkeit jetzt schon ein Fortschritt? Martina stellt mir mein drittes Kölsch hin.
„Geht’s leichter dUrch frisches Gereons?“
Ich trinke einen großen Schluck und versuche „Ganz locker und freivonderLeber geschrieben“ zu schreiben:
Wenn ich die Wolken am Himmel dahinziehen sehe, frage ich mich: „Woher? Wohin?
Und eine leise Stimme in mir sagt: „Von der einen Scheiße in die nächste ...“
Wenn ich wirklich einen romantischen Abend bei Karin verbringen will, sollte ich meine Texte etwas positiver gestalten.
„Gieske lässt unseren FC gewinnen.“
Konkretisierung der Aufgabenstellung:
Positiv. Und ein Thema, das Karin interessiert.
„Ganz leichte und fröhliche Gedanken“ halt.
Wenn ich bloß wüsste, was Karin interessiert! Essen und Trinken?
„Gyros lecker und frischer Gerstensaft“
„Großes Lammfilet und frittiertes Gemüse“
„Gereons literweise und Fischstäbchen gebraten“
Ich bekomme Hunger.
Martina stellt mir kurz darauf ungefragt ein Glas Salzstangen hin. Wie macht sie das?
Am Nebentisch flüstert der junge Mann seiner Begleiterin etwas ins Ohr. Sie lacht und umarmt ihn und dann beginnen sie, sich lang und leidenschaftlich zu küssen.
Hat er ihr „Glufg“ zugeflüstert?
Wieder dieses altbekannte Gefühl, der treuste Freund unter meinen Gefühlen sozusagen, dass alle anderen sofort wüssten, was Glufg bedeutet. Dass das völlig klar ist, zumindest halt für Menschen, die eingeweiht sind, die wissen wie das Leben funktioniert, die auch die anderen Geheimwörter kennen, die mir keiner verraten hat.
Glufg
...
Obwohl ich dem Blatt den Geheimcode in seine Kästchen geflüstert habe, bleibt es distanziert. Gut, leidenschaftliche Küsse hätte ich ja auch lieber von Karin nachher und jetzt halt von meiner Muse.
Wenn ich bloß wüsste, wer meine Muse ist! Denn damit scheint es mir etwas zu tun zu haben. Vielleicht hat sie es hier für mich als Versprechen hingeschnitzt? Jedenfalls ist „Große Literatur und fantastische Geschichten“ die erste Lösung, die mir wirklich gefällt.
Es wird ruhig und warm in mir. Ich starre wieder glücklich in die Kerze, träume von Karin („Gemütliches Licht und faszinierendes Gesicht“) und genieße die Vorfreude auf die Verleihung des Literaturnobelpreises.
Zwei Stunden später stehe ich ratlos vor Karins Tür. Ihr wirklich „Glufg“ ins Ohr zu flüstern, würde ich mich nicht mal trauen, wenn ich an die Wirksamkeit glauben würde.
Und sonst?
Habe wenig Vernünftiges geschrieben heute, mit welcher Begründung also klopfen? Nur um ihr zu sagen, dass ich fast den ganzen Abend an ihre Augen im Kerzenschein gedacht, aber weder Worte für Kneipenliteratur noch für ihre Augen gefunden habe?
Ich werde auch keine Worte dafür finden, wie schön dieser Abend trotzdem oder sogar deswegen war. Womöglich würde sie es verstehen, aber will sie es denn wissen?
Sie tut mir gut. Tue ich ihr was? Ich habe keine Ahnung.
Ich würde mich unsagbar freuen, wenn Karin zu mir käme und mir sagen würde, dass sie den ganzen Abend mit Wärme im Herzen an mich gedacht hat.
Warum bin ich der Überzeugung, dass sie sich nicht über das Gleiche bei mir freuen würde?
Ich kenne sie doch noch sehr wenig!