Am Anfang war die Liebe: Darf ein Boss so zärtlich sein? - Roxanne St. Claire - E-Book

Am Anfang war die Liebe: Darf ein Boss so zärtlich sein? E-Book

Roxanne St. Claire

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Beschreibung

Die Liebe ist stärker als alle Hindernisse!

Cade ist hingerissen von seiner Praktikantin Jessie. Leider muss er befürchten, dass sie für die Konkurrenz spioniert - und nur deshalb einwilligt, ein romantisches Wochenende mit ihm zu verbringen.

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Seitenzahl: 189

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Roxanne St. Claire

Am Anfang war die Liebe: Darf ein Boss so zärtlich sein?

Aus dem Amerikanischen von Brigitte Marliani-Hörnlein

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Intern Affair

Copyright © 2006 by Roxanne St. Claire

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Maya GAuse

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München

ISBN eBook 978-3-95649-471-0

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

 

 

 

 

 

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

1. KAPITEL

Cade McMann witterte Ärger.

Der Ärger roch nach Heckenkirsche, zumindest stellte er sich den Duft von Heckenkirschen so vor – süß und frisch und … verlockend.

„Sie wollten mich sprechen, Cade?“

Er schwang sich mit seinem Schreibtischstuhl herum und blickte auf die junge Frau, deren erwartungsvoller Gesichtsausdruck zum großen Teil von einer riesigen Hornbrille mit lila getönten Gläsern verdeckt war. Diese Brille hatte sie beim Vorstellungsgespräch vor sechs Monaten nicht getragen, dessen war er sicher.

Seit dem ersten Tag ihres Praktikums in der Redaktion von Charisma versteckte Jessie Clayton sich hinter der Brille und trug die langen rotbraunen Haare straff zurück zu einem Zopf geflochten oder in einem strengen Knoten. Am Ende des Tages hatten sich aber meist einige seidige Strähnen aus dem Gefängnis befreit und liebkosten ihre zarten Wangen. Liebkosen?

Oh Mann! Er steckte in ernsthaften Schwierigkeiten.

Cade zwang sich, den Fokus auf die berufliche Situation zu richten und sich nicht in poetischen Fantasien zu ergehen. „Ja, Jessie.“ Er deutete auf einen der Besucherstühle. „Setzen Sie sich.“

Sie presste einen billigen Kunstlederkalender an ihre Brust, den Blick auf ihn gerichtet. „Alles cool, Cade?“

Nein. Nichts war cool, wenn diese temperamentvolle junge Frau im Raum war. Eine Situation, die er, der Mann, der vier Schwestern hatte und vorwiegend weibliche Mitarbeiter anleitete, nicht besonders reizvoll fand.

„Absolut cool, Jessie.“ Er verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln und wurde mit diesem fröhlichen Lachen belohnt, das in der Redaktion mittlerweile dazugehörte wie das Klingeln der Telefone.

„Vorsichtig. Sonst klingen Sie weniger wie der Boss und mehr wie einer unserer treuen Leser.“

Sie schob eine der vorwitzigen Haarsträhnen zurück. Natürlich, es war nach vier Uhr nachmittags. Der Zopf löste sich allmählich.

„Ich bin erst dreißig. Ich kann noch cool sagen. Außerdem bin ich nicht der Boss, sondern nur deren rechte Hand.“ Sicher, er war leitender Redakteur und damit in den Augen dieser Praktikantin weit oben auf der Karriereleiter. „Und da wir gerade von unserer Chefin Finola sprechen, ich habe aufregende Neuigkeiten für Sie.“

Er hätte geschworen, dass die Farbe aus ihrem Gesicht wich, wodurch ihre Sommersprossen deutlicher hervortraten.

„Wirklich?“ Umständlich öffnete sie ihren Kalender und nahm einen Stift, um sich Notizen zu machen.

„Sie müssen nichts aufschreiben. Was ich Ihnen zu sagen habe, vergessen Sie ganz bestimmt nicht.“

Sie sah zu ihm auf, lächelte zögerlich. „Werde ich nicht?“

„Sie sind auserwählt, Finola Elliotts sogenannte Schattenpraktikantin zu werden.“

Das Lächeln gefror auf ihren Lippen und verblasste völlig, stattdessen zeigten sich kleine Falten auf ihrer Stirn. Sie schluckte.

„Schattenpraktikantin? Das klingt … geheimnisvoll.“

„Ist es aber nicht. Jedes Jahr suchen wir einen Praktikanten aus, der sich wie ein Schatten einen Monat lang an die Herausgeberin des Magazins hängt. Finola geht zu einem Meeting, Sie gehen zu dem Meeting, Fin prüft die Ausgabe des nächsten Monats vorab beim Drucker, Sie prüfen die Ausgabe beim Drucker. Fin wird von einem Anzeigenkunden zum Essen eingeladen, Sie werden …“

Sie hielt eine Hand hoch. „Ich habe verstanden.“

Wieder schluckte sie schwer. Ihre Reaktion bestärkte ihn in seinem Entschluss, gerade sie als Schattenpraktikantin auszuwählen. Sie hatte zwar alle beruflichen Qualifikationen, sie war klug und beliebt und fleißig, aber irgendetwas stimmte nicht mit Jessie Clayton.

Nur für den Fall, dass es etwas mit Charisma zu tun hatte, rief er sich in Erinnerung, dass er besser auf ihr merkwürdiges Verhalten, statt auf die kleine Kuhle an ihrem Hals achten sollte. Deshalb zwang er sich, den Blick auf ihre getönten Brillengläser zu richten. Sobald Jessie in der Nähe war, dachte er weniger ans Geschäft als an sie.

„Komisch“, sagte er langsam. „Ich hätte erwartet, dass Sie sich über diese Möglichkeit freuen.“

Kaum merklich schüttelte sie den Kopf und schob die Brille zurecht. „Ich … ich kann das Angebot nicht annehmen.“

„Wie bitte?“

„Ich bin sicher, andere Praktikanten haben es eher verdient. Außerdem hat mir Scarlet gerade dieses unglaubliche Layout-Projekt übertragen, das ich eigenverantwortlich bearbeiten soll, und da im Moment der ganze Verlag kopfsteht, um … Sie wissen schon, alle arbeiten so unermüdlich daran, dieses Familiending zu gewinnen … Ich denke einfach, das Timing ist nicht richtig.“

Cade holte tief Luft und lehnte sich zurück. „Mit Familiending meinen Sie vermutlich die Frage, wer die Geschäftsführung von Elliott Publication Holdings übernehmen wird.“

Sie rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her. „Nun, ich meine, jeder weiß, dass Patrick – Mr Elliott – einen Wettstreit unter den vier Magazinchefs ausgerufen hat, um denjenigen zu bestimmen, der letztendlich die Geschäftsleitung des gesamten Verlags übernehmen wird.“

Von der Vorstandsetage bis hinunter zum Hausmeister diskutierten alle darüber. Der erfolgreichste Spartenleiter würde das Ruder übergeben bekommen, und der Kampf der vier Herausgeber wurde langsam schmutzig.

Es überraschte ihn nicht, dass Jessie Clayton über die Situation Bescheid wusste. Vor allem, wenn seine Vermutung stimmte. Ihre Reaktion bestätigte nur seinen Argwohn. Warum sollte sie sich sträuben, etwas zu akzeptieren, was unter den Praktikanten bei einer der weltweit erfolgreichsten Zeitschriften als das große Los galt?

„Habe ich das richtig verstanden? Sie wollen das Angebot, Finola Elliotts Schattenpraktikantin zu sein, nicht annehmen?“ Er gab sich keine Mühe, seine Verwunderung zu verbergen.

Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zungenspitze. „Stimmt. Genau das habe ich gesagt.“

Cade lachte ungläubig auf. „Sie wissen aber doch, dass dieser Job für einen Praktikanten wie ein Sechser im Lotto ist?“

Ihre Augen wurden groß, die Farbe der Iris war hinter den getönten Brillengläsern jedoch nur schwer zu erkennen.

„Ich fühle mich geehrt und bin sehr dankbar, Cade. Ich weiß nicht, wieso ich ausgewählt wurde, aber …“

„Weil Sie eine ausgezeichnete Kandidatin sind“, unterbrach er sie. „Weil Sie innovative Ideen haben, immer dynamisch sind, nie zu spät kommen und nie krank waren. Außerdem haben Sie vielversprechende Ansätze in der Berichterstattung über die Haute Couture gezeigt.“

Und Sie haben Wert darauf gelegt, jeglichen Kontakt mit Finola Elliott zu vermeiden.

Diese kleine Information fügte er nicht hinzu. Sie konnte nicht wissen, dass ihr ungewöhnliches Verhalten ihn auf sie aufmerksam gemacht hatte. Natürlich waren ihm auch ihr seidiges Haar, der schlanke Körper, die Porzellanhaut und ihr melodisches Lachen nicht entgangen. Doch es war die Tatsache, dass sie Finola aktiv aus dem Weg ging, während die anderen Praktikanten alles taten, um ihre Chefin zu beeindrucken, die am Ende dazu geführt hatte, dass sie jetzt in seinem Büro saß.

„Sie sind eine vorbildliche Praktikantin, und Sie haben diese Belohnung verdient.“

Jessie öffnete den Mund, dann schloss sie ihn wieder. Erneut rückte sie ihre Brille zurecht. „Nein. Danke. Ich möchte sie lieber nicht annehmen.“

Sämtliche Alarmglocken schrillten bei ihm. Vor ihm saß eine junge Frau, die intelligent, attraktiv, qualifiziert und ehrgeizig genug war, um unentgeltlich zu arbeiten, damit sie Erfahrung in diesem Geschäft sammelte. Wieso sollte sie dieses fantastische Angebot ablehnen?

„Warum nicht?“, fragte er.

„In ein paar Tagen haben wir Redaktionsschluss für die Januarausgabe, und Scarlet hat mir das gesamte Layout für den Bericht über das Frühlingsfest in der Märzausgabe überlassen, das bedeutet, dass ich zum Fotoshooting muss und mich mit …“ Sie befeuchtete sich erneut die Lippen. „Ich würde im Moment einfach lieber auf einen solchen Posten verzichten“, schloss sie ruhig.

Es gab nur eine Erklärung, die ihm in den Sinn kam. Sie wollte nicht eng mit Finola zusammenarbeiten, und es könnte einen guten Grund dafür geben. Sein Instinkt sagte ihm, dass sie diesen Grund nicht verraten würde, egal, welche Fragen er stellte. Er würde nichts aus ihr herausbringen.

Weder sein Master in Betriebswirtschaft noch seine sprichwörtlichen Fähigkeiten als Manager führten ihn in diesem Fall ans Ziel. Er musste sich etwas Raffinierteres einfallen lassen.

„Wissen Sie, Jess, das kaufe ich Ihnen nicht ab.“

Dieses Mal bestand kein Zweifel daran, dass sie blass wurde.

„Nein?“

Er schüttelte den Kopf. „Sie verheimlichen mir etwas.“

Hinter den getönten Brillengläsern weiteten sich ihre Augen. Wenn er recht hatte, und sie arbeitete tatsächlich als Informant für Pulse oder Snap oder sogar für The Buzz, dann hatte einer aus Finolas Familie eine schlechte Lügnerin für den Job ausgewählt. Er würde die Wahrheit aus ihr herausbekommen. Er musste sie nur aus der Reserve locken.

„Wissen Sie was?“ Er stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Schreibtisch ab und senkte die Stimme. „Was halten Sie davon, wenn wir uns nach Feierabend auf einen Drink treffen und uns in zwangloserer Umgebung weiter darüber unterhalten? Vielleicht brauchen Sie etwas Zeit, um über das Angebot nachzudenken.“

„Einen Drink?“ Sie wich kaum merklich zurück.

„Kennen Sie das ‚Bull and Bear‘? Im ‚Waldorf‘?“ Als sie nickte, sagte er: „Schön. Lassen Sie uns dort reden.“ Er hielt ihren Blick einen Moment zu lange gefangen. Seit dem ersten Vorstellungsgespräch kämpfte er gegen den Drang an, mit diesem hübschen Energiebündel zu flirten, doch seine Professionalität verbot, mit einer Mitarbeiterin des Verlags auszugehen. Es wäre ein schwerer Fehler. Dies jedoch war kein Date. Es war die einzige Möglichkeit, etwas aus der jungen Frau herauszuholen. „Sagen wir um sechs in der Bar?“

„Ich weiß nicht …“

Er zwinkerte ihr zu. „Kommen Sie schon, Jess. Nur auf einen Drink.“

Wieder rückte sie ihre Brille zurecht. „Okay. Sechs Uhr. Im ‚Waldorf‘.“

Wenn er nur in ihre Augen sehen könnte. Was musste er tun, damit sie die Brille abnahm? „Dann bis später“, sagte er.

Sie verließ sein Büro, zurück blieb der süße Duft der Verlockung.

Um genau zwanzig vor sechs wählte Jessie die Nummer von Lainie Sinclair.

„Ist er weg?“, fragte sie ihre Mitbewohnerin, die von ihrem Schreibtisch aus einen Blick auf das Büro des leitenden Redakteurs hatte.

„Seit ein paar Minuten“, berichtete Lainie leise. „Er ist zuerst auf die Herrentoilette gegangen, kam mit richtig sitzender Krawatte wieder heraus, aber nicht frisch gegelt und parfümiert.“

„Dich kann man als Spionin gebrauchen.“ Jessie lachte. „Und jetzt wünsch mir Glück.“

„Wofür brauchst du Glück? Die Chefin deines Chefs hat dich für den coolsten Job im Verlag auserwählt. Ich verstehe immer noch nicht, wieso du ihn ablehnst.“

Jessie verspürte den starken Wunsch, alles zu gestehen. Lainie hatte sich am Tag ihres Vorstellungsgesprächs mit ihr angefreundet und sie wohnten inzwischen zusammen. Sollte sie sich jemals jemandem anvertrauen, dann wäre sie es.

Der Zeitpunkt war aber nicht richtig. Lainie war ein Schatz, so zuverlässig und treu, wie eine Freundin nur sein konnte, doch ihr Geheimnis würde für den heißesten Klatsch bei EPH sorgen, seit Patrick Elliott den Kampf um den Geschäftsführerposten eingeläutet hatte.

Selbst ihre neue beste Freundin könnte vielleicht die Wahrheit nicht für sich behalten. Sie platzte jetzt schon fast, und dabei wusste sie nur, dass Cade ihr einen tollen Job angeboten hatte und bei einem Drink mit ihr darüber sprechen wollte.

Wenn sie die Wahrheit wüsste …

„Ich habe dir meine Meinung dazu gesagt, Lainie. Ich sehe in dem Angebot keinen Vorteil für mich. Ich müsste den Bericht über das Frühlingsfest abgeben.“

„Du bist verrückt. Hast du mit Scarlet gesprochen?“

„Sie ist heute zu einem Fototermin.“ Jessie warf einen Blick auf den verlassenen Bereich im Großraumbüro, wo sonst Charismas schillernde stellvertretende Moderedakteurin über einer Flut von Fotos, Zeitungsausschnitten und Stoffmustern gebeugt saß. „Ich vermute, deshalb hat Cade mir die Neuigkeit überbracht, denn eigentlich ist Scarlet meine Chefin.“

„Aber es erklärt nicht, wieso er das Gespräch in einer eleganten Hotelbar fortsetzen will.“ Nach einer kurzen Pause fragte Lainie: „Glaubst du, dass er dort ein Zimmer hat?“

„Hör auf zu träumen.“ Nicht, dass ihr nicht auch der Gedanke gekommen wäre, doch ausnahmsweise waren nicht Fantasien über Sex mit Cade McMann Ursache für die Rebellion in ihrem Magen. „Wir treffen uns nur auf einen Drink.“ Eine Einladung, gestand sie sich ein, die mit einem Blick ausgesprochen worden war, bei dem ihr Körper bis in die Zehenspitzen gekribbelt hatte.

Lainie kannte eins ihrer Geheimnissen: Cade McMann war ihr großer Schwarm. Sie musste ihr zugutehalten, dass ihre Freundin es seit Monaten für sich behielt.

„Hör dir an, was er zu sagen hat“, riet Lainie. „Vielleicht findet ihr eine Möglichkeit, sodass du diesen Layout-Auftrag nicht abzugeben brauchst und trotzdem den Posten bei Finola Elliott bekommst.“

Auf keinen Fall würde sie so viel Zeit mit Finola Elliott verbringen, aber den Grund dafür musste sie für sich behalten. „Wir werden sehen“, antwortete Jessie vage. „Ich gehe jetzt besser.“

„Soll ich aufbleiben?“, fragte Lainie scherzhaft.

„Ich bin gegen acht Uhr zu Hause.“

„Morgen früh?“

„Sehr lustig.“

Jessie stieß die Fronttür des EPH-Gebäudes auf und trat in das abendliche Menschengewirr auf der Park Avenue. Der Septemberwind wehte über die Baumkronen auf dem begrünten Mittelstreifen, und sie holte sehnsüchtig tief Luft, atmete jedoch nur die Abgase eines Taxis ein, das gerade anfuhr.

Ihre Heimat Colorado war so weit entfernt. Sie blieb stehen, um sich zu orientieren. Selbst nach sechs Monaten in New York musste sie noch auf die Straßenschilder achten und sich den Stadtplan im Geiste vor Augen halten, bevor sie sicher war, in welcher Richtung das „Waldorf“ lag. Das war ziemlich traurig für ein Mädchen, das allein aufgrund der Farbe der Sonnenstrahlen auf den Bergen wusste, wo Norden und wo Süden war.

Nachdem sie sich entschieden hatte, trat sie auf den Bürgersteig und blickte den endlosen Korridor zwischen den Wolkenkratzern an der Park Avenue entlang. Sie konnte sich kaum noch erinnern, wann sie das letzte Mal grüne Täler und Berge gesehen und frischen Wind in den Haaren gespürt hatte, der nicht nach Abgasen stank.

Doch, ich kann es.

Es war an dem Tag gewesen, als sie Colorado wegen dieser verrückten Geschichte verließ, aber die einzigen Fakten, die sie bisher gefunden hatte, waren dürftig.

Ein Mann mit einem Handy am Ohr rempelte sie an, und eine Frau mit schweren Einkaufstüten entschuldigte sich, als sie sich an ihr vorbeidrängelte.

Seufzend blieb Jessie an der Straßenecke stehen. Einige mutige Einheimische überquerten die Straße bei Rot. Irgendwann würde sie vielleicht auch den Nerv haben, das zu tun, bisher aber wartete sie stets die Grünphase ab. Als der Klingelton ihres Handys ertönte, griff sie nach dem Apparat wie eine Verhungernde, der man ein Steak anbot.

„Hallo, Dad“, sang sie fast ins Telefon, während sie die Park Avenue überquerte, immer wieder in beide Richtungen blickend. Sie traute den Taxen nicht. „Du wirst nie erraten, wo ich bin!“

„Erzähl es mir, mein Engel.“ Travis Claytons wohltönender Bariton klang so laut und deutlich, als würde sie ihm gegenüber auf der Veranda sitzen und auf die schneebedeckten Berge blicken, die die Silver Moon Ranch umgaben.

„Ich überquere gerade die Park Avenue.“ Jessie lachte. „Ziemlich cool, oder?“

„Sei vorsichtig, Liebes“, warnte er sie. „Die Autofahrer in New York sind verrückt.“

Sie akzeptierte den elterlichen Rat, ohne die Augen zu verdrehen. Dazu freute sie sich zu sehr, die Stimme ihres Vaters zu hören. „Wie geht es dir, Daddy? Was macht Oscar?“

„Ich bin heute mit ihm ausgeritten. Ich sage dir, der Wallach vermisst dich.“

Jessie stellte sich einen Moment vor, wie sie sich in den Sattel schwang.

„Den Namen hat er dir allerdings immer noch nicht verziehen.“

Sie lachte. „Wo bist du? Auf der Veranda?“

„Ja. Ich muss gleich wieder in die Scheune, aber ich dachte, ich erreiche dich vielleicht auf dem Weg von der Arbeit nach Hause.“

„Ich gehe nicht nach Hause. Stell dir vor, ich bin auf dem Weg ins ‚Waldorf-Astoria‘. Wie klingt das?“

„Als wärst du weit weg von Colorado, mein Engel.“

Sie hörte die Wehmut in seiner Stimme. Obwohl seit dem Tod ihrer Mutter drei Jahre vergangen waren, war es vielleicht nicht eine ihrer besten Ideen gewesen, ihren Dad allein zu lassen, ganz sicher aber war es ihre spontanste. Wie auch immer, sie musste diese Frage, die sie schon so lange quälte, endlich klären.

„Was machst du in diesem eleganten Hotel?“

Ein Page vom ‚Waldorf‘ öffnete ihr die Tür, dabei hatte er ein Lächeln im Gesicht, das die Männer in New York hübschen Frauen schenkten. Jessie strahlte und dankte ihm.

„Ich habe ein Meeting mit dem leitenden Redakteur des Magazins, stell dir vor.“

„Ach? Meinst du, sie wollen dich jetzt endlich bezahlen?“

„Das Praktikum dauert ein Jahr, und glaube mir, Dad, meine Kommilitonen an der Kunstakademie beneiden mich um diese Chance. Mach dir keine Gedanken, ich passe auf mein Geld auf.“ Sie sah sich nach dem Eingang zur Bar um.

„Ich weiß, Sweetheart.“ Seine Stimme wurde weich. „Deine Mutter hat es dir zur freien Verfügung hinterlassen. Wenn es dich glücklich macht, in New York zu leben und für ein großes Magazin zu arbeiten – ohne Bezahlung –, dann würde es sie auch glücklich machen.“

Sie schloss die Augen und stellte sich einen Moment lang das Gesicht ihrer Mutter vor. Ihrer wirklichen Mutter. Der Frau, die sie aufgezogen hatte.

Plötzlich verspürte sie den Drang, sich ihrem Vater anzuvertrauen.

„Worum geht es bei diesem Meeting, Jess? Hast du noch genug Zeit, mir davon zu erzählen?“

Sie blickte auf ihre Uhr. Wie lange würde es dauern, ihm die Wahrheit zu sagen? Auf jeden Fall länger als die drei Minuten, die ihr blieben. Das Verlangen war jedoch übermächtig. „Ich habe das Angebot bekommen, sozusagen der Schatten von Finola Elliott, der Herausgeberin des Magazins, zu werden.“ Sie wartete einen Moment, um zu sehen, ob er auf den Namen reagierte. „Aber ich weiß nicht, ob ich es annehmen möchte.“

„Warum nicht? Das klingt nach einer tollen Chance, und du wärst nicht ausgewählt worden, wenn sie nicht erkannt hätten, wie klug und talentiert du bist.“

„Ich bin einfach nicht sicher, ob ich so viel Zeit mit Finola Elliott verbringen will.“

„Würde sich das nicht gut in deinem Lebenslauf machen? Vielleicht bieten sie dir auch einen Job mit einem Gehalt an?“

Jessie lächelte. Ihr Vater hatte keinerlei Verständnis dafür, dass man ihr Praktikum nicht bezahlte. „Wäre möglich.“

„Wieso zögerst du dann noch?“

„Ich weiß nicht, ob ich so eng mit Finola zusammenarbeiten will.“

„Warum nicht?“

Sie holte tief Luft, schloss die Augen und flüsterte die Worte, die ihr seit fast einem Jahr durch den Kopf gingen. Sie musste sie aussprechen, musste es jemandem sagen.

„Weil Finola Elliott meine leibliche Mutter ist.“

2. KAPITEL

Jessie traf mit einigen Minuten Verspätung in der schummerigen Bar ein. Die warnenden Worte ihres Vaters schwirrten ihr noch durch den Kopf.

Erwarte keine Halleluja-Rufe, sobald sie das herausfindet. Sie ist eine Städterin, die wahrscheinlich nicht an eine Vergangenheit erinnert werden möchte, die sie vor dreiundzwanzig Jahren hinter sich gelassen hat. Wenn sie ein Wiedersehen gewollt hätte, Honey, meinst du nicht, sie hätte dich gefunden?

Selbst die Tatsache, dass Finolas Name auf einer Adoptionen-Suchliste im Internet aufgeführt war, überzeugte ihren Vater nicht, dass ihre leibliche Mutter vielleicht mit derselben Hoffnung und Angst, von der auch sie ergriffen war, die Suche aufgenommen hatte.

Jessie liebte diesen Traum, liebte es, sich den Moment vorzustellen, wenn Finola Elliott sie in die Arme schloss und ausrief: meine Tochter!

Ihr Vater könnte jedoch recht haben. In den fünf Monaten, die sie Fin jetzt beobachtete, hatte sie absolut nichts gesehen, das darauf hinwies, der achtunddreißigjährige Workaholic Finola Elliot könnte daran interessiert sein, das Kind zu finden, es kennenzulernen und zu lieben, das sie im Alter von fünfzehn Jahren zur Adoption freigegeben hatte.

Der Anblick ihres Traummannes an einem Ecktisch holte Jessie ins Hier und Jetzt zurück. Seit sie vor fünf Monaten zum Vorstellungsgespräch Cade McManns Büro betreten hatte, verspürte sie ein Kribbeln im Bauch, sobald sie ihn sah. Zuerst war es nur sein Äußeres gewesen – groß, muskulös, dunkelblondes Haar, blaugraue Augen. Unter der einnehmenden Schale steckte ein wunderbarer Chef mit Sinn für Humor, wie sie schon bald entdeckte.

Zudem war er ein Mann, der jede Entscheidung genau überdachte und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtete. Nur selten, wenn überhaupt, machte er einen Fehler. Weshalb also lud er eine Praktikantin zu einem Drink ein?

Und warum sah er sie an, als wollte er etwas? Aber was?

Ein Lächeln breitete sich auf seinem attraktiven Gesicht aus. Ihr Herz schlug für einen Moment schneller und sie wünschte, er würde sie wollen.

„Entschuldigen Sie meine Verspätung“, sagte sie, als er einen Stuhl für sie hervorzog.

„Sagen Sie nichts. Scarlet hat von einem Fotoshooting aus angerufen und Ihnen noch zwanzig Dinge aufgetragen, die Sie unbedingt vor Feierabend erledigen mussten.“

Sie stellte ihre Tasche auf den Boden und berührte ihre Brille, um sicher zu sein, dass sie richtig saß. Selbst in diesem gedämpften Licht könnte er entdecken, dass ihre Augen dieselbe Form und die grüne Färbung wie die der Frau hatten, für die er arbeitete.

„Ehrlich gesagt, hat mein Vater angerufen, und ich brachte es nicht übers Herz, einfach aufzulegen.“

Interessiert zog er die Augenbrauen hoch. „Er lebt in Colorado, nicht wahr?“

Wusste er das noch aus dem Vorstellungsgespräch oder hatte er Erkundigungen eingeholt? „Ja. Wir haben eine Viehranch nicht weit von Colorado Springs.“

Cade gab dem Kellner ein Zeichen, und sie entschied sich für einen Chardonnay, den sie in kleinen Schlückchen trinken wollte. Einen Schwips konnte sie sich nicht leisten. Dem Mann so nah zu sein, den sie seit fünf Monaten bewunderte – gut, anschmachtete – war schon berauschend genug.

Nachdem sie bestellt hatten, zog Cade sein Jackett aus und warf es über die Lehne eines Stuhls. Jessie gratulierte sich, weil sie es schaffte, ihren Blick nicht über den muskulösen Oberkörper unter dem maßgeschneiderten weißen Oberhemd schweifen zu lassen.

„Wie kommt es, dass ein Mädchen, das auf einer Ranch in Colorado aufgewachsen ist, im Großstadtdschungel landet?“

„Das erwähnte ich bereits im Vorstellungsgespräch“, erinnerte sie ihn leise. „Ich war am Art Institute of Colorado und habe einen Bachelor in Grafikdesign mit Schwerpunkt Mode. Was wäre da beruflich besser als New York?“

„Um Ihre Liebe zu Kunst und Mode zu kombinieren?“

„Ich lese Charisma seit meinem vierzehnten Lebensjahr“, erzählte sie. „Ich habe das Magazin schon als Schülerin geliebt, ebenso wie Mode.“ An dem Tag, an dem sie herausfand, dass ihre leibliche Mutter die Herausgeberin war, hatte sich ihre Welt für immer verändert.

„Dann ist das also Ihr Traumjob“, sagte er.

„So könnte man es sagen.“

„Mal abgesehen von der Bezahlung.“

Er zwinkerte ihr zu, und ein kleiner Schauer schoss durch ihren Körper.