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Wer schon einmal im Krankenhaus war, weiß, dass dies ein Ort des Kampfes und der Entbehrungen ist. Diese Nöte beschränken sich nicht nur auf körperliche Probleme: Wenn unser Körper leidet, kann auch unser geistliches Leben darunter leiden. Die ehemalige Unfallchirurgin Dr Kathryn Butler hat dies aus erster Hand erfahren, als sie Patienten, Kollegen und Freunde durch verschiedene Krankheiten und schmerzhafte Verluste begleitete. In "Am Puls der Gnade" schöpft Butler aus dieser Erfahrung, um Gläubige durch die schwerwiegenden Fragen nach der Vertrauenswürdigkeit Gottes mitten im Leid zu führen. In einer Mischung aus Biografie und Andachtstexten verwebt Butler ihre eigenen Geschichten der Gnade mit Erzählungen aus der Heiligen Schrift, um zu zeigen, dass Gottes unerschütterliche Liebe auch in Zeiten großer Bedrängnis Bestand hat.
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Seitenzahl: 271
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Für David, meinen Bruder im Himmel,der vielen ein Licht der Gnade war.Wir lieben dich, mein Freund.Du darfst jetzt vor dem Thron jubeln und jauchzen.
Kathryn Butler
Gedanken und Erlebnisseeiner Unfallchirurgin
Kathryn Butler
Am Puls der Gnade
Gedanken und Erlebnisse einer Unfallchirurgin
Best.-Nr. 275535 (E-Book)
ISBN 978-3-98963-535-7 (E-Book)
Titel des amerikanischen Originals:
Glimmers of Grace: A Doctor's Reflections on Faith, Suffering, and the Goodness of God
© 2021 by Kathryn Butler
Published by Crossway, a publishing ministry of Good News Publishers, Wheaton, Illinois 60187, U.S.A.
This edition published by arrangement with Crossway. All rights reserved.
Wenn nicht anders vermerkt,
wurde folgende Bibelübersetzung verwendet:
Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen.
Außerdem wurde verwendet:
NeÜ bibel.heute,
© 2010 Karl-Heinz Vanheiden und Christliche Verlagsgesellschaft (NeÜ).
1. Auflage (E-Book)
© 2025 Christliche Verlagsgesellschaft mbH
Am Güterbahnhof 26 | 35683 Dillenburg
Übersetzung: Svenja Tröps
Satz und Umschlaggestaltung: Christliche Verlagsgesellschaft mbH
Wenn Sie Rechtschreib- oder Zeichensetzungsfehler entdeckt haben, können Sie uns gern kontaktieren: [email protected]
Einführung
Teil 1:Der Weg durch die Wüste
1.Deine Großtaten will ich erzählen
2.Deiner Wunder will ich gedenken
3.Auf erstaunliche Weise gemacht
Teil 2:Ich bin dein Gott: Frieden darin finden, wer Gott ist
4.Der Herr wird versorgen
5.Unser Vater im Himmel
6.Nicht von Brot allein soll der Mensch leben
7.Der Name des Herrn sei gepriesen
8.Meine Gnade genügt dir
9.Ein gnädiger und barmherziger Gott
10.Leben und Odem
11.Groß ist deine Treue
Teil 3:Durch Gnade seid ihr gerettet: Sich an Gottes Taten erinnern
12.Warum hast du mich verlassen?
13.Durch seine Striemen
14.Harre auf den HERRN!
15.Gott erweist uns seine Liebe
16.Dies ist mein Blut
17.Aus der Finsternis gerufen
18.Lebendiges Wasser
19.Ich werde euch Ruhe geben
20.Ich bin bei dir
Danksagung
Anhang 1
Anhang 2
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst! Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein. Wenn du durchs Wasser gehst, ich bin bei dir, und durch Ströme, sie werden dich nicht überfluten.
JESAJA 43,1B-2
Ich war mitten in der chirurgischen Ausbildung, als eine einzige Nachtschicht in der Notaufnahme meinen Glauben an Gott zerschellen ließ.
Rückblickend würde ich mich als Namenschristen bezeichnen. Mein Bild von Gott gründete sich mehr auf Gefühle als auf biblischen Wahrheiten. Doch in dieser besagten Nacht hörten zu viele Herzen unter meiner Hand auf zu schlagen, und mein fadenscheiniger Glaube fing an, sich aufzulösen. Am nächsten Morgen und dem Ende meiner Schicht fühlte ich mich leer, als wäre mir ein lebenswichtiges Organ aus dem Leib gerissen worden. Zwar sehnte sich mein Körper nach Ruhe; dennoch nahm ich eine zweistündige Autofahrt auf mich in der verzweifelten Hoffnung, wieder die Verbindung zu etwas Gutem, Wahrem zu finden.
Es war einer dieser wunderschönen Oktobertage, an denen Neuengland in Juwelenfarben erstrahlt. Ich hielt an einer Brücke in den Berkshire Mountains, wo sich der Connecticut River blau und gesprenkelt zwischen den wie in Flammen stehenden Bergen hindurchwindet. Inmitten dieser schönen Kulisse schloss ich die Augen zu einem Gebet.
Doch kein Wort kam aus meinem Mund. Vor meinem inneren Auge sah ich nur meine blutbeschmierten Handschuhe und die Augen eines Jungen, die in ihrem letzten Blick erstarrt waren. Ich hörte seine Mutter laut schreien, während sie in ihrem Schmerz auf dem Boden zusammenbrach.
Ich öffnete die Augen wieder und ließ meinen Blick über den Horizont gleiten, auf dem Gottes Fingerabdrücke zu glitzern schienen. Wie sehr wünschte ich mir, die Gewissheit, dass er ein guter Gott ist, würde mich wie ein Blitz treffen und mein Innerstes durchdringen.
Aber in mir war nicht einmal der Funke eines Glaubensfeuers. Stattdessen quälten mich viele Fragen: Wie können Menschen einander ansehen und keinen Wert im anderen erkennen? Wie kann Gott so etwas Böses zulassen? Wie kann er zulassen, dass Leid Menschen zerstört, die ihre Familien lieben, die von Glück träumen und auf bessere Zeiten hoffen, so wie wir alle?
Am nächsten Tag im Krankenhaus machte ich meine übliche Runde. Ich kümmerte mich wie immer um meine Patienten, sah mir schwarz-weiße CT-Aufnahmen an und löste Verbände von Wunden. Aber in meinem tiefsten Inneren hatte sich etwas verhärtet. Meine Glieder gingen ihrer gewohnten Routine nach, doch meine Gedanken befanden sich noch immer auf dieser Brücke und sehnten sich nach dem Gott, dem ich den Rücken zugekehrt hatte.
Viele kennen diese Glaubenszweifel, wie ich sie im Krankenhaus hatte. In all den Jahren, in denen ich kranke Patienten, Kollegen und Freunde begleitete, habe ich hautnah erlebt, wie Krankheit unser Verständnis von Gottes Liebe bedrohen kann. Im Gottesdienst singt man Gott noch mit Inbrunst Loblieder, doch wenn wir keine Luft mehr bekommen, wenn der Schmerz nicht loslässt oder wenn wieder einmal eine Behandlung fehlgeschlagen ist, rückt seine Gegenwart in weite Ferne.
Auch wenn wir nicht selbst erkranken, werden wir doch alle von den Schockwellen erfasst. Vielleicht saßt du am Bett einer dir nahestehenden Person, und während sich die Falten der geliebten Hand, die du einfach nicht loslassen willst, in dein Gedächtnis einprägten, hast du dir über die Frage den Kopf zerbrochen, wo in alledem Gottes Plan zu erkennen sein soll. Vielleicht hast du dich aber auch dazu entschlossen, dein Leben der Pflege von Kranken zu widmen, und du hinterfragst regelmäßig Gottes Mitgefühl, wenn Kinder sterben oder wenn Familien durch schlimme Unfälle ihrer Liebsten beraubt werden. Wo ist Gott?, fragst du dich. Warum antwortet er scheinbar nicht, wenn ich bete? Ob du nun selbst schwer erkrankt bist oder jemand, den du liebst, oder aber ob du Kranke pflegst – im Krankenhaus kann man die dunkelsten Stunden erleben, und es drängen sich Zweifel an Gottes Liebe oder gar an seiner Existenz auf.
Schnelle Antworten können derartige Qualen nicht mindern. Nichts auf der Welt kann den Schmerz wegnehmen, wenn der Bildschirm des Kardiogramms eine Nulllinie zeigt, oder die Fragen auslöschen, wenn der Schmerz uns lähmt. Unsere einzige Hoffnung und eine zufriedenstellende Antwort finden wir, wenn wir uns mit Herz, Verstand und Seele an den Wahrheiten der Bibel festhalten: dass Gott „barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und reich an Gnade und Treue“ ist (2. Mose 34,6) und dass er „die Welt [so] geliebt [hat], dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat“ (Johannes 3,16).
Auch wenn uns die Verzweiflung den Blick auf Gott verschleiert, versichert uns sein Wort, die Bibel: Er ist da. Er ist heilig und gnädig, der große „ICH BIN“, der Manna vom Himmel herabfallen lässt, um die Hungrigen satt zu machen (2. Mose 3,14; 16,4; 34,6). Aus Liebe gab der Vater seinen eingeborenen Sohn für uns hin (Johannes 3,16). Aus Liebe steht ebendieser Sohn nun für uns ein, wenn der „Lohn“ der Sünde uns niederzudrücken droht (1. Johannes 2,1-2; Römer 8,34; Epheser 2,4-7). Er geht mit uns, wenn unser Körper schwächer wird und nach und nach kaputtgeht, wenn unsere Hoffnungen zerbröckeln und sich schließlich in alle Winde zerstreuen (Psalm 34,19). Wenn die Flut steigt, hält er unseren Kopf über der Wasseroberfläche (Jesaja 43,2). Er hat selbst unsäglich gelitten (Jesaja 53,3) und umschließt uns mit seiner Liebe – ganz egal, welche schlechte Nachricht wir erhalten oder welche Ängste wir auszustehen haben. In ihm haben wir Vergebung. In ihm haben wir ein Leben jenseits des Todes, jenseits unserer vergänglichen Hülle (1. Korinther 15,55).
Auch wenn wir in Bedrängnis geraten und niedergeschlagen durch Flure schlurfen, den Geruch von Desinfektionsmittel in der Nase und den Aufklärungsbogen in der Hand: Gottes Güte ist unveränderlich. Seine Liebe zu uns, die er in Christus gezeigt hat, bleibt bestehen. Seine Treue hört niemals auf.
Wenn die Sünde Körper und Seele quält, ziehen wir unsere einzige Hoffnung aus dem inspirierten Wort Gottes. Allein durch die Bibel können wir uns daran erinnern, wer er ist und was er für uns in Christus getan hat – aus Liebe zu uns. Und wenn wir uns an die Verheißungen erinnern, die Gott bereits erfüllt hat, und unseren Blick auf die richten, die er uns für die Zukunft gegeben hat, dann erblühen die Geschichten unseres Lebens mit Beispielen seiner Gnade.
In diesem Buch möchte ich dich einladen, dich gemeinsam mit mir an Gottes unerschütterliche Liebe zu erinnern, die uns auch inmitten von medizinischem Elend umhüllt. Als ich darüber nachdachte, dieses Buch zu schreiben, betete ich zum Herrn, und dabei kamen mir immer wieder Bibelverse in den Sinn, in denen es um das Erinnern geht: Josua richtete ein Denkmal aus zwölf Steinen auf (Josua 4,1-7); der sterbende Mose ermahnte sein Volk, sich immer an die Taten Gottes zu erinnern (5. Mose 4,9); Asaf richtete seine Gedanken auf das, was Gott bereits getan hatte, um sich in der Verzweiflung aufrechthalten zu können (Psalm 77,10-12); Jesus forderte seine Jünger am Abend vor seiner Hinrichtung auf, sich mithilfe von Wein und Brot an ihn zu erinnern (Lukas 22,19). Solche Bibelabschnitte machen deutlich, dass wir lernen können, seine leitende Hand zu erkennen, wo wir bislang nur Leid sehen – wenn wir uns nur an Gottes Gnade erinnern. Wir erkennen Streiflichter der Gnade, die durch die Dunkelheit schimmern wie unvergängliche Sterne.
Dieses Buch hat einen anderen Schwerpunkt als mein erstes Buch Between Life and Death. Das Anliegen dieses ersten Buches war es, praktische Hilfestellung zu leisten, und so fanden sich darin viele medizinische Studien und Tabellen. In dem vorliegenden Buch hingegen stehen persönliche Zeugnisse und Eindrücke aus meiner Stillen Zeit im Vordergrund. Ich möchte die Erlebnisse verwalten, die Gott mir während meiner Zeit im Krankenhaus anvertraut hat. Wie Jackie Hill Perry1 es so schön ausgedrückt hat, lade ich dich mit diesem Buch ein, mit mir gemeinsam anzubeten.
In den meisten der folgenden Kapitel finden sich Geschichten aus meinem eigenen Erleben als Chirurgin auf einer Intensivstation und als Freundin erkrankter Personen, die ich mit biblischen Aussagen in Verbindung zu bringen versuche. Kapitel mit Andachtscharakter, gekennzeichnet durch kursiv gesetzte Titel, wechseln sich mit Fallbeispielen ab und konzentrieren sich darauf, wie medizinische Routinehandlungen – das Legen eines Venenzugangs, eine Bluttransfusion und so weiter – eine Erinnerung an die Gnade Gottes in uns wecken können. Diese kürzeren Kapitel schließen mit einem Gebet ab und reflektieren mein Anliegen, dass der Heilige Geist uns Herzen geben möge, die verstehen, und Augen, die Gottes Liebe in Aktion sehen – selbst im zuweilen erschöpfenden Alltagstrott eines Krankenhauses (5. Mose 29,4).
Dieses Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil werden wir uns in groben Zügen ansehen, wie die medizinischen Umstände unseren Glauben herausfordern können. Im zweiten Teil werden wir in der Bibel erforschen, wer Gott ist, während es im dritten Teil darum gehen soll, was Gott für uns getan hat, insbesondere durch Jesu Tod und Auferstehung. Im Anhang schließlich findest du konkrete Hilfen, zum Beispiel in Form eines Glossars und von Bibelversen, die man auswendig lernen sollte, bevor die Krankheit im eigenen Leben zuschlägt.
Zum Schutz der Privatsphäre Einzelner habe ich personenbezogene Daten wie Namen, Diagnosen und Geschlecht verändert. Die Geschichten und Dialoge sind jedoch so wiedergegeben, wie es meine Notizen und meine Erinnerung erlauben. Besondere Aufmerksamkeit habe ich dem Zeugnis meines verstorbenen Freundes David gewidmet, durch den ich in sechs Monaten mehr über den Glauben gelernt habe als in über zehn Jahren in meiner Funktion als Ärztin. Ich bin seiner Familie, besonders seiner Schwester Roxi – die mittlerweile auch mir eine Schwester geworden ist – zutiefst dankbar, dass ich seine Geschichte hier erzählen darf und dass sie die entsprechenden Kapitel noch einmal für mich überarbeitet haben.
Ich hoffe sehr, dass du durch die folgenden Seiten ermutigt wirst, denn selbst in den schrecklichsten Momenten im Krankenhaus wird Gott dich immer ganz fest in seiner Hand halten. So, wie er das Wasser des Roten Meeres unter Moses Stab teilte (2. Mose 14,21-22), so bereitet er auch für uns durch Christus einen Weg, indem er uns weg aus der Abhängigkeit von unserem zerfallenden Körper hin zu einer ewigen Gemeinschaft mit ihm führt.
Wir wollen uns gemeinsam daran erinnern, dass unser gewaltiger, liebender Gott in Christus sogar dem Tod seinen Stachel genommen hat (1. Korinther 15,55). Wenn sich der Herzschlag beschleunigt und das Überwachungsgerät Alarm schlägt, bleibt Gott barmherzig, großzügig, gnädig, voller überfließender Liebe und Treue (2. Mose 34,6). Um uns herum mag alles im Chaos versinken. Die Wasser steigen unaufhaltsam. Du klammerst dich vielleicht am Geländer einer Brücke fest und sehnst dich danach, gerettet zu werden. Aber in Christus wird dich Gottes Liebe durch den Sturm tragen, und durch sein Wort werden Streiflichter seiner Gnade durch die Dunkelheit strahlen.
1Jackie Hill Perry, Gay Girl, Good God (Nashville, B&H Books, 2018), S. 192.
Er gab acht auf deine Wanderung durch diese große Wüste: Diese vierzig Jahre ist der HERR, dein Gott, mit dir gewesen.
5. MOSE 2,7
„Sie sollen sprechen von der Kraft deiner furchtbaren Taten, und deine Großtaten will ich erzählen.“
PSALM 145,6
„Sie sollten schnell kommen!“
Ich hörte, wie sie tief Luft holte. Wir hatten in den vergangenen Monaten so viel Zeit miteinander verbracht, gemeinsam so viel Schreckliches erlebt, dass ich sie vor meinem inneren Auge sehen konnte, mit der Hand an der Stirn, den Augenfalten, die tiefer wurden, während sie sich mit den Fingern durch die Haare fuhr. Wir hatten schon so manches erschütternde Gespräch am Telefon geführt, aber dieses Mal war es anders. In der länger werdenden Stille zwischen uns bemerkte ich, dass auch ihr das bewusst wurde.
„Wie viel Zeit habe ich?“, fragte sie mit brüchiger Stimme. „Ich brauche eine halbe Stunde mit dem Auto. Habe ich noch so viel?“
Ich schaute auf den Überwachungsmonitor ihres Mannes. Seine Sauerstoffwerte waren sehr niedrig. Die Aufzeichnung seiner Herztätigkeit zeigten Störungen an, die in einen tödlichen Rhythmus überzugehen drohten.
„Bitte kommen Sie einfach, so schnell Sie können“, sagte ich.
Kaum hatte ich aufgelegt, kämpfte ich gemeinsam mit der Krankenschwester weiter, um ihn am Leben zu erhalten. Wir erhöhten die Medikamentendosis, um sein Herz dazu zu bringen weiterzuschlagen und um seine Durchblutung zu verbessern. Wir gaben ihm Blut und Kalzium und korrigierten die Infusionsmenge, die stetig in seinen Blutkreislauf floss. Der für die Beatmung zuständige Arzt hockte neben dem Respirator und passte das Volumen und den Druck jedes mechanischen Atemzuges an.
Seine Werte wollten sich jedoch nicht verbessern. Sie setzten den Abwärtstrend weiter fort, und schon bald bekam seine Haut Flecken, die auf unzureichende Sauerstoffversorgung hindeuteten. Ich führte eine Bronchoskopie durch und sah, dass sich Blut in seinem Bronchialbaum sammelte. Ich saugte es ab, und es flackerte ein Fünkchen Hoffnung auf, als ich die perlenartige Oberfläche seiner Atemwege sah, doch sogleich versperrte einfließendes Blut wieder das Blickfeld.
Wir kamen mit dem Absaugen nicht hinterher.
Die entmutigenden Signale blinkten weiter auf dem Bildschirm. Ich dachte an all die Monate, in denen er gekämpft hatte, an die Operationen, die Katastrophen. Die vielen wichtigen Momente, in denen er nicht bei Freunden und Angehörigen hatte sein können. Den Schmerz. Und die ganze Zeit über hatte seine Frau ihm zur Seite gestanden. Es hatte Augenblicke gegeben, in denen die Belastung für sie zu groß geworden war; dann hatte sie Schwestern und Ärzte angeblafft und versucht, ihr zerbrechliches Herz mit Worten zu schützen. In anderen Momenten hatte sie regelrecht stoisch auf das erdrückende Leid reagiert; ihr Herz schien sich angesichts des immensen Drucks in Stein verwandelt zu haben, so wie hoher Druck zarte Muscheln zu Kalkstein und schließlich zu Marmor werden lässt. Die ganze Zeit über jedoch war sie voller Hingabe für ihn da gewesen. Sie hatte stundenlang an seinem Bett gesessen, auch wenn er aufgrund der Medikamente immer wieder wegdöste und ihre Gegenwart gar nicht mehr wahrnahm.
Nach alldem, was sie miteinander durchgestanden hatten, würde er nun die Schwelle ohne sie überschreiten. Er war im Begriff zu sterben, und sie steckte irgendwo im Verkehr fest.
Bitte, Herr, lass ihn noch durchhalten, bis sie da ist, betete ich immer und immer wieder. Bitte nimm ihn noch nicht zu dir, solange sie sich nicht von ihm verabschieden konnte. Sie haben so viel miteinander durchgemacht. Bitte gib ihnen noch einen letzten Moment miteinander.
Ich starrte auf den Bildschirm, vermochte aber kaum etwas zu sehen. Die Linien verschwammen vor meinen Augen. Ich wartete darauf, dass der Alarm losging, darauf, dass das Herz aufhören würde zu schlagen. Die Krankenschwester wartete ebenfalls. Unsere Hände, die selten stillstanden, zuckten nun vor Untätigkeit, aber es gab nichts mehr, was wir tun konnten.
Wir warteten auf das Alarmsignal. Ich lief unruhig auf und ab und betete dabei. Ich flehte Gott an, die Zeit anzuhalten, die Gesetze der Physik nur einen Moment lang außer Kraft zu setzen. Ich betete, dass sich die Autoschlangen, die die Straßen von Boston verstopften, auf wundersame Weise teilen würden wie das Rote Meer unter Moses Stab, dass ihre Rücklichter den Weg säumen würden wie für einen Trauerzug und seine Frau durchfahren ließen. Damit sie sich von ihm würde verabschieden können.
Sein Herz schlug weiter. Er hielt noch durch.
Die Schwester und ich schauten einander ungläubig an. Die Werte waren ins Bodenlose gesunken. Seine minimalen Sauerstoffwerte reichten nie und nimmer aus, um ihn zu versorgen. Und dennoch: Er lebte.
Eine weitere halbe Stunde.
Schließlich stürzte seine Frau ins Zimmer, die Jacke noch geschlossen bis unters Kinn. Sie eilte an uns vorbei und griff nach seiner Hand. Ihre Finger umschlossen die, welche sie schon als Frischverheiratete gehalten und geliebt hatte und welche sie auch noch gestreichelt hatte, als die Krankheit sie bereits bis zur Unkenntlichkeit entstellt und verfärbt hatte.
Genau in diesem Moment hörte sein Herz auf zu schlagen. Der Alarm ertönte.
Ich verließ den Raum. Die Trauer verlangsamte meine Schritte, und Fassungslosigkeit erfüllte mein Innerstes. Die Erinnerungen an die vergangenen Stunden wirbelten in meinem Kopf durcheinander wie Wellen, die sich am Strand brechen.
Er hatte bis zu dem Moment durchgehalten, in dem er ihre Berührung gespürt hatte. Allen Widrigkeiten zum Trotz. Entgegen aller Statistiken, Regeln und physiologischer Annahmen hatte er durchgehalten. Seine Sauerstoffwerte waren so niedrig gewesen, dass sich das Blut in seinem Körper in Säure verwandelt hatte. Seine Proteine hatte sich entrollt, die Enzyme hatten ihre Arbeit eingestellt. Die Zellmembranen waren aufgeplatzt und hatten die DNA aus ihren Poren gespült. Der Tod hatte sich wie ein ausgebleichter Mantel über ihn gelegt.
Gott aber … (Epheser 2,4). Gott hatte ihn durch das dunkle Tal geführt. Gott war mit ihm gegangen, selbst als das Blut in seinen Lungen schäumte, selbst als das Leben langsam aus seinem Körper wich. Aus Gnade. Aus Liebe und aus Gnade.
Auch Jesus ertrug den gleichen Sturm aus Blut und Wasser und rief nach seinem Vater, aber er starb allein. Und derselbe Gott, der seinen Sohn für uns hingegeben hat, schaute auf diesen Mann, der da allein in seinem Bett lag, während das Leben aus seinem entstellten Körper wich, und schenkte ihm Gnade. Ein letztes Mal die Hand seiner Frau in der seinen. Eine letzte Berührung.
Das war eine Gebetserhörung.
Ich zitterte. Die einzige angemessene Reaktion wäre gewesen, auf die Knie zu fallen, Gott anzubeten und ihm für seine Liebe und Treue zu danken und dafür, dass er ist, wer er ist – der große „ICH BIN“, der Retter. Dies wäre ein Moment gewesen, um es vor allen zu sagen, die es hätten hören können. Es war ein Moment für zehntausend Hallelujas: „Denn Großes hat der Mächtige an mir getan, und heilig ist sein Name“ (Lukas 1,49).
Aber ich lobte ihn nicht. Ich kniete nicht, ich sang und betete auch nicht. Ich jubelte nicht darüber, dass Gott sich hier gezeigt hatte, darüber, dass seine Gnade das Krankenhauszimmer erfüllt hatte, so wie einst die Säume seines Gewandes den Tempel (Jesaja 6,1). An jenem Tag dort auf der Intensivstation verlor ich kein Wort über Gottes Wirken.
Stattdessen meldete sich mein Piepser, und ich ging wieder an die Arbeit. Es warteten noch 19 weitere Patienten darauf, dass man nach ihnen sah. Ich hatte keine Zeit, innezuhalten oder nachzudenken.
Außerdem reden wir im Krankenhaus nicht über solche Dinge.
Die moderne Medizin ermöglicht Heilungsraten, die in der Geschichte beispiellos sind. HIV ist heutzutage eine chronische Krankheit, aber kein Todesurteil mehr. Verbesserte Behandlungsmöglichkeiten und Wiederbelebungstechniken haben die Todesrate bei ernsten Infekten drastisch reduziert. Chirurgen können heute minimalinvasive Eingriffe an der Gallenblase oder am Blinddarm durchführen, sodass die Patienten innerhalb von ein oder zwei Tagen nach Hause gehen können, statt wie früher erst nach Wochen.
Doch bei allen Verdiensten der Medizin wird die menschliche Dimension der Krankheit oft vergessen, besonders die Fragen, die eine Erkrankung in Bezug auf den Glauben aufwirft. Im Studium beschäftigten wir uns damit, wo Gefäße und Nervenbahnen verlaufen, und wir lernten, aus der Konzentration von Salzen und Molekülen im Blut Rückschlüsse zu ziehen, aber wir erfuhren nichts darüber, dass Krankheit Menschen dazu nötigt, zu trauern, zu beten und nach einer Bedeutung hinter all dem zu suchen. Wir lernten die sichere Beherrschung medizinischer Begriffe, bekamen aber kein Vokabular für die Themen Trauer, Glaube oder Mitleid an die Hand. Und so kommt es, dass Ärzte wie ich eher auf die Laborwerte schauen, als dir in deinem Schmerz beizustehen, wenn du im Krankenhaus nach Hilfe für dein zerbrochenes Herz suchst.
In meinem ersten Studienjahr brachten mich die ersten Hinweise auf diese Diskrepanz zwischen der Wissenschaft auf der einen und der Menschlichkeit in der Medizin auf der anderen Seite dazu, mein Anatomiebuch gegen die Wand zu pfeffern. Seit Wochen war ich nur noch damit beschäftigt, für eine Prüfung zu lernen, und ich wurde durch die mir unbekannte Terminologie ausgebremst. Ständig musste ich Begriffe in einem medizinischen Wörterbuch nachschlagen. Das Wort dekussiert war es schließlich, das meine Wut zum Überschäumen brachte. Ein Griff nach dem Buch, und schon flog es gegen die Wand meines Zimmers im Wohnheim, wo es abprallte und mit zerknitterten Seiten auf dem Boden landete.
„Wieso können die nicht einfach ‚gekreuzt‘ sagen?“, schrie ich ins Nichts hinein. „Wie kann ich mit den Patienten reden, wenn Medizin eine Fremdsprache ist?“ Im College hatte ich Biochemie als Hauptfach gewählt, und so war ich wissenschaftliche Diskussionen im Labor gewohnt, aber ich wusste, dass die Medizin über den Bereich von Mikroskopen und Pipetten hinaus in das Leben von Menschen hineinreicht, die Angst haben und leiden. Würde so eine technische Sprache nicht eine Distanz schaffen zwischen mir und den Menschen, denen ich helfen wollte?
Ich schwor mir, dass ich mir immer meine Leidenschaft erhalten und niemals den Blick für den Einzelnen als Individuum, als komplexes und von Gott geliebtes Wesen verlieren wollte.
Doch als Jahre später im Schnitt 40 Patienten um sieben Uhr morgens auf die Visite warteten, verwandelte auch ich mich in die unnahbare und distanzierte Ärztin – viel Wissenschaft, wenig Menschlichkeit –, die ich nie hatte werden wollen. Diese demütigende Tatsache wurde mir gegen Ende meiner Ausbildung zur chirurgischen Fachärztin so richtig bewusst, als meine Assistenzärzte mich während einer Abschlussfeier mit einem Video auf die Schippe nahmen. In dem Clip eilte eine Schauspielerin, die mich darstellte, während der Morgenvisite durch den Flur und schubste andere dabei wie ein Bulldozer beiseite. Die Ausbilder und Assistenzärzte im Publikum kicherten. Ich wand mich in meinem Sitz. Wie die meisten Parodien war die Darstellung lustig und demütigend, weil sie die Wahrheit widerspiegelte.
Anders als ich mir vorgenommen hatte, hatte ich gelernt, Effektivität vor Mitgefühl und harte, kalte Daten vor die Gefühle von Menschen zu setzen. Während das Gelächter in der Menge langsam verebbte, fragte ich mich, wie viele Menschen mit quälenden Fragen ich um der reinen Zweckmäßigkeit abgewiesen hatte. Ich fragte mich, wie viele Sorgen ich ignoriert, wie viele Menschen ich verletzt hatte, weil ich, statt mir einen Moment Zeit zu nehmen, einen Schnitt gesetzt oder Lungen abgehört hatte, um anschließend aus kaltem Pflichtbewusstsein zum nächsten Patienten zu marschieren.
Wenn man Untersuchungen Glauben schenken kann, lautet die Antwort: vermutlich sehr viele. Studien zeigen, dass Patienten zwar oft seelsorgerliche Unterstützung bei ihren Ärzten suchen2, diese Bitte aber häufig ignoriert wird.3 In einer Kultur, die in Wissenschaft und Säkularismus verwurzelt ist, führt das medizinische Personal meistens ungern Gespräche über den Glauben, ja, sie sind eher unwillkommen. Wenn wir zuhören, vermischen wir zu oft humanistisches Gedankengut mit geistlichen Dingen und bieten ein Sicherheitsnetz, obwohl Patienten eigentlich um ein Gebet bitten.4
Geistliche Fragen sind tatsächlich nicht Teil des Aufgabenbereiches von Ärzten und Pflegepersonal, wenn sie isoliert betrachtet werden und besonders, wenn ein Glaubenskonflikt besteht. Die Kompetenz eines Krankenhausseelsorgers ist daher von enormer Bedeutung. Aber nun gibt es ein Problem: Wir Ärzte verweisen Patienten gar nicht erst an die Klinikseelsorge. In einer multizentrischen Studie unter sterbenskranken Krebspatienten gaben 85 Prozent an, geistliche Nöte zu haben, aber nur ein Prozent berichtete, dass ihr Arzt sie an den Seelsorger verwiesen habe.5 Krankenschwestern schnitten besser ab, auch wenn das Ergebnis nicht brillant ausfiel; bei ihnen waren es vier Prozent der Patienten, die auf den Seelsorger hingewiesen wurden.6 Studien zeigen, dass Ärzte, wenn überhaupt, erst in den letzten zwei Tagen vor Ableben des Patienten daran denken, einen Seelsorger zu rufen, oder sogar erst dann, wenn die Patienten unmittelbar im Begriff sind zu sterben, wenn sie an Beatmungsgeräten hängen und nicht mehr in der Lage sind zu kommunizieren.7 Wir überprüfen den Herzschlag und den Kaliumwert unserer Patienten, doch wenn diese von Fragen zur Sinnhaftigkeit ihres Leids gequält werden, lassen wir sie allein. Im Studium lernen angehende Ärzte eine Menge über den menschlichen Körper, aber ziemlich wenig darüber, wie man mit Menschen umgeht, wenn die Krankheit ihre Seele zerstört.
Diese Diskrepanz ist beunruhigend, weil Krankheit nicht allein damit beginnt oder endet, dass biologische Prozesse Amok laufen. Ein Krankenhausaufenthalt beraubt uns unserer eigenen vier Wände, unseres Berufs und unserer Familie. Er legt das Leben auf Eis, führt uns in Einsamkeit und Verzweiflung und stellt unsere Überzeugungen in Bezug auf Leben, Tod, Leid und die Güte Gottes auf den Prüfstand. James Gibbons und Sherry Miller haben es vor einigen Jahrzehnten treffend formuliert:
Krankenhäuser sind weitaus mehr als biologische Werkstätten, in denen kaputte menschliche Teile repariert oder ersetzt werden. Sie sind vielmehr Orte, an denen Patienten und ihre Lieben mit ihrer eigenen Verletzlichkeit, ihren Grenzen und schließlich ihrem Tod konfrontiert werden. Als solche sind Krankenhäuser Orte der leidvollen Ungewissheit. [Patienten] reisen auf einem Weg, der auf der einen Seite gesäumt ist von Hoffnung und Genesung, während sie auf der anderen von Angst und Tragödien bedroht werden.8
Wir versuchen zwar, uns einen Puffer aus Wissenschaft anzueignen, aber auch wir, die wir Stethoskop und weiße Kittel tragen, gehen diesen Weg. Wir erleben das Leid der Kranken und liegen nachts wach. Wir werden von Schuldgefühlen geplagt, wenn wir an das Kind, die Mutter oder den Großvater denken, die wir nicht retten konnten. Wir analysieren unsere Fehler und rufen uns immer wieder neu schlimme Szenen in Erinnerung, und diese schrecklichen Eindrücke zerreißen uns das Herz. Auch wir fragen uns: Wo ist Gott in all dem? Wo ist er in all dem Leid und Verlust?
Doch während wir in der Hektik des Krankenhausalltags gefangen sind, reden wir nicht darüber. Selbst wenn unser Glaube zerbricht und zerbröselt, sprechen wir unsere Fragen nicht aus. Auch wenn wir in einem Krankenzimmer der Intensivstation Zeugen von Gottes Gnade werden, wenn er das Herz eines sterbenden Mannes länger schlagen lässt, sprechen wir unsere Gebete und unser Lob nur im Stillen.
Ich habe als Ärztin, die tief in einem säkularen System verfangen war, viel zu lange geschwiegen, wenn ich Gottes Größe erleben durfte. Ich habe die Fragen leidender Personen im Nichts verhallen lassen und zugelassen, dass die Erinnerungen von sterbenden Gläubigen an das Evangelium verschwammen.
Christus beruft uns zu mehr.
Im Johannesevangelium warnt Jesus seine Nachfolger davor, dass die Welt sie verachten wird, und verspricht ihnen: „Wenn der Beistand gekommen ist, den ich euch von dem Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der von dem Vater ausgeht, so wird der von mir zeugen. Aber auch ihr zeugt, weil ihr von Anfang an bei mir seid“ (Johannes 15,26-27). Beachten wir die Formulierung „von mir zeugen“. All diejenigen, die Christus kennen und die Gott mit dem Heiligen Geist beschenkt hat, sind aufgefordert zu verkünden, wer er ist und was er getan hat. Ein Christ darf nicht schweigen.
Die Apostelgeschichte berichtet uns davon, wie die Jünger diese Aufforderung Jesu unter den gefährlichsten Umständen befolgten. In Kapitel 4 nehmen die Hohen Priester und die Sadduzäer Johannes und Petrus gefangen, weil sie die Auferstehung Jesu verkündet haben. Wenn du oder ich in derselben Situation wären, würden wir vermutlich den Mund halten, um weiteren Ärger zu vermeiden. Doch die Wahrheit brannte so sehr in ihren Herzen, dass Petrus und Johannes erklärten: „Es ist uns unmöglich, von dem, was wir gesehen und gehört haben, nicht zu reden“ (Apostelgeschichte 4,20)!
Ihr Ausruf dient uns als Vorbild dafür, wie wir unseren Brüdern und Schwestern selbst in einem Umfeld, das Gottes Wort gegenüber feindlich gesinnt ist, seine Taten verkünden dürfen. Wenn unser Eifer für den Herrn überfließt, werden wir nicht nur seinen Namen verherrlichen, sondern auch daran festhalten, dass es stimmt, was in der Bibel steht, nämlich: dass er da ist und denen, die ihn lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken lässt (Römer 8,28). Seine Hand umfasst uns mitten im Schmerz, wenn wir unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln stehen und unser Körper mehr und mehr abbaut. Wenn ein Beatmungsgerät für uns seufzt oder der Krebs Körperteile erobert, die ihm nicht zustehen, bleibt Gott bei uns (Matthäus 28,20). „Wohin sollte ich gehen vor deinem Geist“, singt David, „wohin fliehen vor deinem Angesicht? Stiege ich zum Himmel hinauf, so bist du da. Bettete ich mich in dem Scheol, siehe, du bist da. Erhöbe ich die Flügel der Morgenröte, ließe ich mich nieder am äußersten Ende des Meeres, auch dort würde deine Hand mich leiten und deine Rechte mich fassen“ (Psalm 139,7-10).
Dieselbe Hand, die die weißen Spitzen des Himalajas emporgehoben und uns aus Erde geformt hat, führt uns durch die Stürme, die über uns hereinbrechen. Diesseits des Kreuzes erleben wir Schmerz und Schweres, aber die Narben und Wunden, die unsere Körper hier erleiden, werden irgendwann vergehen, sie werden von Gott selbst weggenommen (Offenbarung 21,4-6).
In Psalm 145 lesen wir, dass wir Gott bekannt machen und seinen Verheißungen Glanz verleihen, wenn wir von seiner Größe Zeugnis geben. Wir erinnern einander daran, wer Gott ist: „Gnädig und barmherzig ist der HERR, langsam zum Zorn und groß an Gnade. Der HERR ist gut gegen alle, sein Erbarmen ist über alle seine Werke“ (Psalm 145,8-9). Und wir erinnern einander daran, dass der Herr auch durch die Wüste mit uns geht:
Der HERR stützt alle Fallenden, er richtet auf alle Niedergebeugten.
Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit.
Du tust deine Hand auf und sättigst alles Lebendige nach Wohlgefallen.
Der HERR ist gerecht in allen seinen Wegen und getreu in allen seinen Werken.
Nahe ist der HERR allen, die ihn anrufen, allen, die ihn in Wahrheit anrufen.
Er erfüllt das Verlangen derer, die ihn fürchten. Ihr Schreien hört er, und er hilft ihnen.
Der HERR bewahrt alle, die ihn lieben, aber alle Gottlosen vertilgt er.
Mein Mund soll das Lob des HERRN aussprechen,
und alles Fleisch preise seinen heiligen Namen immer und ewig!
(Psalm 145,14-21)
Wir Brüder und Schwestern in Christus müssen uns an solche Wahrheiten erinnern. Wir müssen wissen, dass der Herr auch dann, wenn sich ein schwerer Tag an den nächsten reiht, nahe ist. Wenn wir einen weiteren Test oder noch einen Nadelstich über uns ergehen lassen müssen, müssen wir uns daran erinnern, dass er die Fallenden stützt und die Niedergebeugten aufrichtet.
Wie schnell verdecken die technische Routine im Krankenhaus und die Checklisten des Pflegepersonals solche Erinnerungen! Der Durst nach Gott, nach dem kühlenden Trost seines Wortes ist da, aber man muss sich damit zufriedengeben, einen Abstrich zu bekommen. Man kämpft mit Fragen, die einem den Brustkorb zuschnüren, aber der emotional überforderte und unter Zeitdruck stehende Arzt hört die Lunge ab, zuckt mit den Schultern und geht zum nächsten Patienten.