Amanda - Ulrieke Ruwisch - E-Book

Amanda E-Book

Ulrieke Ruwisch

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Beschreibung

Auf Liebeswolke sieben scheint die Sonne ganz schön heiß! Amanda muss das wissen, denn sie ist fast ständig dort oben. Immerzu verliebt sie sich in irgendwen oder irgendwas: in Film- und Buchhelden, Comic- und Fantasiewesen, Lehrer, Hamster, Kater, ja, sogar in Bäume und Wolkenberge! Dann taucht auch noch Philipp auf - und Amanda muss sich wirklich vor Sonnenbrand in Acht nehmen …

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Ulrieke Ruwisch wurde 1958 in Groningen (Niederlande) geboren und wuchs mit vier älteren Brüdern in verschiedenen Bundesländern der BRD auf. Nach dem Studium der Germanistik, Philosophie und Publizistik arbeitete sie in mehreren Verlagen als Lektorin. Ihr Engagement gilt vor allem der Kinderund Jugendliteratur, aber sie schreibt auch unter anderem für Hörfunk und Printmedien über belletristische und kulturgeschichtliche Bücher und ist als Dozentin tätig. Darüber hinaus ist sie Liebhaberin von Lyrik aus aller Welt und schreibt selbst Gedichte.

Sie ist Mitglied des Übersetzerverbands im Verband deutscher Schriftsteller sowie Vorstandsmitglied und Pressesprecherin der Europäischen Autorenvereinigung DIE KOGGE e.V. Ulrieke Ruwisch lebt heute als freie Autorin, Übersetzerin, Lektorin, Journalistin und Dozentin in München.

Weitere Informationen unter www.ulrieke-ruwisch.de

Ulrieke Ruwisch

Amanda

Sonnenbrand auf Wolke sieben

Weitere Informationen über den Verlag und sein Programm unter www.allitera.de

Für Usch, die allerbeste Freundin

Februar 2012 © 2012 Allitera Verlag in der Buch&media GmbH, München Umschlaggestaltung: Kay Fretwurst, Freienbrink, unter Verwendung einer Illustration von Frauke Bahr Herstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt Printed in Germany · ISBN 978-3-86906-300-3

Wie kann man nur so schöne Ohren haben?! Klein und rund und puschelig. Ach, und deine Strubbelhaaren leuchten wie – wie Wüstensand. Dein Lächeln ist so geheimnisvoll und ich würde zu gerne wissen, was in dir vorgeht. Was macht es schon, dass du ein wenig klein bist. Denn dein Herz ist groß und weit! Und deine liebevollen dunklen Augen sind tief wie ein See, in dem ich gern schwimmen, ertrinken würde …“, schreibt Amanda.

„He, Amanda!“, faucht Christine. „Ich hab dich etwas gefragt!“ „Wie? Was? Ähm …“ Amanda fährt auf ihrem Stuhl herum, starrt Christine an und legt rasch den Arm über das Blatt Papier auf ihrem Schreibtisch. „Kannst du nicht anklopfen, Tine?! Ich stürme ja auch nicht …“

„Krieg dich wieder ein, Schwesterherz“, unterbricht Christine sie. „Erstens hab ich beinahe deine Tür eingeschlagen, aber du bist ja taub. Zweitens steh ich bestimmt schon eine Viertelstunde im Türrahmen und rede auf dich ein! Verblödest du jetzt völlig mit deinen gerade mal zwölf Jahren?“

Sie steht an den Türrahmen gelehnt, mit verschränkten Armen, eine zierliche, drahtige Gestalt, deren langes braunes Haar zu einem Knoten verzwirbelt ist, und sie grinst.

„Wenn du dich vielleicht einen Augenblick von deinen grünen Männchen losreißen könntest …“

„Was willst du überhaupt, Stine?“, zischt Amanda.

„Von denen träumst du doch gerade oder etwa nicht?“, fügt Christine hinzu. „Amanda, gib’s auf, dich können nicht einmal grüne Marsmänner ins Herz schließen! Du bist einfach total verquer drauf! Aber“, fährt sie fort, „ich liebe dich, Schwesterchen – falls du mir dein Fahrrad leihst und mich wie verabredet Christiiiin nennst.“

Amanda zuckt zusammen und bewegt tonlos die Lippen.

„Was ist? Mein Rad hat einen Platten. Ich muss zum Training! Komm, gib deinem Herzen einen Stoß, dann bist du mich los.“ „Du nimmst dir doch sonst alles, ohne zu fragen.“ Amanda starrt sie an.

Christine mustert sie, schüttelt den Kopf und verdreht dabei ihre katzengrünen Augen.

„Amanda, Amanda, mit deiner Begriffsstutzigkeit machst du deinem Namen alle Ehre … Ich brauche den Schlüssel – den Fahr – rad – schlüs – sel!“

Amanda kramt in ihrer Hosentasche und schmeißt ihr den Schlüssel zu. „Hier!“ Betont ruhig wirft sie hinterher: „Schildkröten sind nicht so platt wie du und verfügen über Würde, liebe Stine.“

Rums – Christine knallt die Zimmertür zu.

Amanda seufzt und wendet sich wieder ihrem Schreiben zu: „Ach, Charly, ich weiß gar nicht, was sich die doofe Stine einbildet! Einfach so in mein Zimmer zu platzen! Glaubt die etwa, nur weil sie drei Jahre, zwei Monate und elf Tage älter ist, kann sie sich alles erlauben?! Und wie ich ihr Getue hasse – Christiiiin! Und immer ihre Masche, nur Schildkröten hießen Amanda. Das ist doch nichts als eine Luftmasche! Die ist ja nur neidisch auf meinen weich klingenden Namen! Womit hab ich so eine Schwester verdient? Aber gerade hab ich‘s ihr gegeben, hab ihr den Fahrradschlüssel vor die Füße geschmissen, sodass sie vor mir zu Kreuze kriechen musste. Ach, Charly, wenn ich dich nicht hätte. Du bist mir der Liebste! Wenn ich dich an mich drücke, wird mir ganz feurig ums Herz.

Mir brennt etwas auf der Seele: Ob sie uns belauscht hat? Hab ich etwa vor mich hin gemurmelt? Oder vielleicht hat sie meine Briefe an dich gefunden und – gelesen! Wir müssen vorsichtiger sein! So geht das nicht mehr weiter.“

Abrupt legt Amanda den Stift zur Seite, steht auf, geht zum Kleiderschrank, öffnet ihn und hockt sich davor. Dann holt sie aus der geheimsten Ecke ihres Schranks – unter den Schuhen, wo Christine nie herumwühlt, weil ihr Amandas Schuhe ohnehin nicht passen – eine wunderschöne blaue Kladde hervor, pustet einmal darüber und den Staub fort, trägt sie schließlich zum Schreibtisch und legt sie behutsam dort ab.

Sie setzt sich davor, schlägt die Kladde auf und starrt auf eine strahlend weiße Seite. Vorsichtig streicht sie über das Papier und murmelt beschwörend:

„Dieses Buch habe ich mir selbst und ohne Wissen von anderen zum Geburtstag geschenkt. Ab heute wird es sich meiner Lieben geduldig annehmen und – schweigen. Niemand wird jemals meine geheimsten Heimelichkeiten erfahren! Es ist mein Geheimbuch, das Buch mit sieben Siegeln. So wahr ich Amanda heiße!“ Dann nimmt sie ihren Lieblingsfüller zur Hand und beginnt zu schreiben.

Sonntag

Letzten Freitag krallte mich Tine am Arm und schleppte mich ins Kaufhaus. Erst habe ich gedacht, sie wollte sich rächen, weil ich mein herzallerliebstes Schwesterchen an diesem Tag mal wieder Stine genannt hab – und nicht mit dem von ihr geforderten französischen Zungenschlag „Christiiiin“. Die hat wirklich einen Schlag weg! Ich glaubte noch immer an Rache, als sie mich auf eine Art Waage zerrte und ein Eurostück einwarf. Aber dann säuselte sie sanft und süß: „Kleine, du hast doch morgen Geburtstag … Ich schenke dir eine Computerberechnung deines Biorhythmus. Das hat etwas Zukunftweisendes.“ Natürlich zischte sie noch: „Und wir sehen gleich, ob du nicht doch zu fett bist.“

Wusste ich es doch, es war eine Art Rache. Hier der Beweis:

25.03.11, 12:10 Größe: 149 cm Geb.: 25.03.99

Sie sind 4382 Tage alt

Ihr Gewicht nach Abzug von 1,5 kg für Kleidung beträgt: 42,5 kg

somit zum Normalgewicht 2 kg zu wenig

Bei Ihrem Gewicht verbrauchen Sie durchschnittlich ca. 1751 Kcal pro Tag.

Bezogen auf Ihr Normalgewicht dürften Sie ca. 1798 Kcal zu sich nehmen.

Biorhythmus Tendenz:

Körperlich sind Sie noch 3 Tage aktiv und belastbar Kritisch der 28. März Seelisch sind Sie noch 5 Tage verletzbar Kritisch der 30. März

Geistig sind sie noch 3 Tage spritzig und konzentriert Kritisch der 27. März

hre persönlichen Glückszahlen für den heutigen Tag sind: 3 7 9 11 19 37 Viel Glück

Rennen Sie nicht mit dem Kopf gegen die Wand, ohne Beulen kommen Sie auch zum Ziel.

Ein tolles Geburtstagsgeschenk! Und dann hab ich mich auch noch prompt an meinem Geburtstag mit Nadine gestritten. Trotz des knallroten Buddha-Armbands, das sie mir geschenkt hat und das Glück und Harmonie bringen soll. Und so was will meine beste Freundin sein! Als die anderen weg und wir allein waren, haben wir den Nachmittag durchgehechelt. Irgendwie kamen wir auf das Thema Verliebtsein und Liebe. Sie meinte, ich sei diesbezüglich nicht normal! Wäre für mein Alter total zurück! Und ab – so – lut seltsam veranlagt! Sie mache sich Sorgen … Die spinnt! Und dabei hat sie mit Charly gekuschelt! Mit meinem Charly! Dann hat sie mich angelächelt, gesagt, Charly wäre voll süß, doch mit zwölf Jahren müsse man seinen Teddybären nun endlich vergessen. Die hat ja von nix ’ne Ahnung! Mit Charly kuscheln und ich soll ihn in die Ecke kruscheln! Die dampft doch auf dem falschen Gleis! Oder!?!

Ich will es jetzt wissen! Heute, am 4384. Tag meines Daseins beginne ich eine Art Liebes-Buch-Führung.

Mir tut die Hand weh, außerdem grinst Lorenz so verschmitzt vom Himmel. Ich muss vor die Tür! Will endlich die Inliner testen, die Mama und Papa mir geschenkt haben.

Amanda hockt im Flur auf der untersten Treppenstufe, zieht die schwarzen Knieschützer über ihre verschlissene blaue Jeans und drückt die Klettverschlüsse zu. Sie schlüpft in ihre schwarz-blauen Inliner, schnürt sie fest. Dann zieht sie sich am Treppengeländer hoch und greift nach den schwarzen Ellbogenschützern, die auf der Stufe liegen.

„Uiii!“, quietscht sie auf.

Die Inliner sind ins Rollen geraten und ziehen ihr den Boden unter den Füßen weg.

Sie hält sich mit der linken Hand am Geländer fest und stützt sich mit der rechten auf der Treppenstufe ab. Langsam richtet sie sich wieder auf, dreht sich vorsichtig um und rollt auf die Garderobe zu. Dabei stolpert sie über den Berberteppich.

„Uiiiiiih!“, quietscht sie erneut, krallt sich mit der einen Hand an den Mänteln fest, mit der anderen findet sie an der Wand Halt.

Ihr Vater öffnet die Tür der Bibliothek und ruft in den Flur:

„Amanda, quietschst du da so?!“ Dann geht er die zehn Schritte zur Treppe hinüber. „Oh, warte, ich helfe dir“, sagt er und packt sie am Arm.

„Danke, Papa“, nuschelt Amanda und bemüht sich, die Ellbogenschützer in der rechten Hand, ums Gleichgewicht. „Es geht schon.“

„Du wackelst aber bedenklich“, antwortet ihr Vater. „Komm, ich helfe dir. Mama und Tine sind nicht da und ich schweige wie ein Fels.“

Amanda seufzt, nickt mit dem Kopf und nimmt seine ausgestreckte Hand. „Kannst du mir bitte mein Fleeceshirt rüberreichen? Das blaue da.“

„Mach ich.“ Ihr Vater nimmt es vom Haken und zieht es ihr über den Kopf.

Während Amanda in die Ärmel ihres Kapuzenshirts schlüpft, stützt er sie am Rücken. Und als er ihr die Ellbogenschützer überzieht, hält sich Amanda an seinen rundlichen Hüften fest. „Ich bring dich noch bis zum Gartentor, Amanda. Schaffst du es dann allein?“

„Papa, es genügt, wenn du mir die beiden Eingangsstufen herunterhilfst. Den Rest schaffe ich allein.“

„Wie du meinst“, brummelt ihr Vater.

Eine Hand um ihren Arm, die andere an ihrem Po hält er sie, während sie draußen vor der Tür die zwei Stufen hinunterstakst.

„Danke, Papa.“ Amanda lächelt ihn an und wendet sich zur Gartenpforte um.

Ihr Vater bleibt eine Weile vor der Haustür in der Sonne stehen und sieht, wie sie wackelnd den Weg zur Pforte hinunterschlingert.

„Hoffentlich geht das gut“, murmelt er.

Sonntag

Die Inliner sind einsame Spitze! Es lief und rollte sich total problemlos. Von Anfang an. Bin ein absolutes Naturtalent!

Am Abend sitzt Familie Walter um den runden Tisch im kleinen Esszimmer. Christine legt Messer und Gabel beiseite.

„Deine Antipasti waren sehr lecker, Papa“, sagt sie und blitzt ihn aus ihren katzengrünen Augen an. „An dir ist wirklich ein Koch verloren gegangen.“

„Du bist schon satt?“ Der Vater schüttelt ungläubig seinen Kopf mit dem dunkelblonden Strubbelhaar. „Magst du denn nicht die Pfannkuchenlachsrolle probieren?“

Er schiebt sich genüsslich ein Stück davon mit der Gabel in den Mund.

„Wirklich, es gibt nichts Besseres, als was man selbst isst“, sagt er und rollt die großen blauen Augen.

„Das sieht man dir durchaus an“, meint die Mutter und lächelt ihren Mann an. „Mal ehrlich, Valentin, du solltest mehr Sport treiben. Du wolltest doch zumindest sonntags mit mir Tennis spielen und …“

„Ach, mein flottes Lottchen“, säuselt der Vater, „ich hatte so viel zu tun … die Englischarbeiten korrigieren … den Geschichtstest vorbereiten … Nächste Woche …“

„… hast du dich in irgendeinem Buch festgelesen oder musst dringend einen Bericht über die Papuas in Neuguinea hören oder, oder, oder“, ergänzt Mutter Charlotte lachend.

„Lässt du dich jetzt von mir scheiden?“

Amanda fällt die Gabel aus der Hand. Aus ihrem Gesicht ist alle Farbe gewichen, sie würgt an einem Stück Zucchini und ihre blauen Augen wandern weit aufgerissen von der Mutter zum Vater.

Christine prustet los und kreischt: „Ach, seid ihr niedlich!“ Amanda senkt den Kopf und schielt halb versteckt hinter ihren mittelblonden, schulterlangen Haaren zu ihrem Vater hinüber.

„Amanda“, sagt ihr Vater und streichelt ihr übers Haar, „keine Sorge, wir bleiben zusammen.“

„Mensch, du bist ja langsamer als ’ne Schildkröte, Amanda“, giftet Christine. „Kapierst keinen Witz und verschluckst dich dabei an Salatblättern vor Schreck.“

Die Mutter legt Christine ihre rechte Hand auf den Arm. „Lass stecken, Tine.“ Nur mit Mühe unterdrückt sie ein Lachen. „Mach dir keine Sorgen, Kleines“, sagt sie zu Amanda. „Bevor Papa ganz aus dem Leim geht, mache ich ihm Beine.“ Amanda schaut ihre Mutter an, dann ihren Vater, dann wieder ihre Mutter. Christine würdigt sie keines Blickes.

„Wo bleibt eigentlich Opa Max?“, fragt der Vater, bevor er unbeirrt weiterisst.

Wie aufs Stichwort klingelt es an der Haustür. Christine und die Mutter springen gleichzeitig auf und rufen: „Ich geh schon!“ Und stürmen beide aus dem Zimmer zur Haustür.

„Die zwei werden sich immer ähnlicher“, murmelt der Vater. „Beide zierlich, drahtig und kaum zu bremsen. Na, Amanda, wir zwei halten es mehr mit Gelassenheit und Genuss, nicht wahr?“ „Wo ist denn das Geburtstagskind?“, ruft der Großvater vom Flur aus. Und schon saust er ins Esszimmer, eine große, hagere Gestalt mit wirren weißen Haaren und blauen blitzenden Augen. „Komm in meine Arme, Amanda! Alles Liebe und Gute nachträglich zum Geburtstag!“

Amanda liegt ihm in den Armen. „Danke, Opa!“

„Und hier noch eine Kleinigkeit für dich.“ Der Großvater kramt ein kleines Päckchen aus seinem Rucksack.

Amanda wickelt das Päckchen aus. Schwarze Handgelenkschützer sind drin.

„Oh, danke Opa! Die kann ich gut gebrauchen.“

„Die müssten passen“, meint der Großvater, nimmt Amandas Hände in seine und betrachtet sie. „Sag mal, was hast du denn da gemacht?“, fragt er, als er Amandas aufgescheuerte Handflächen entdeckt.

„Ach, nichts weiter“, antwortet Amanda schnell, entzieht ihm ihre Hände und schlüpft in die Handgelenkschützer. „Passen prima.“ Christine grinst und zischt ihrer Mutter zu: „Da hast du die obersportliche Abteilung der Familie – Papa und Amanda.“ Zum Großvater gewandt sagt sie: „Tja, Opa, so wie‘s aussieht, kommen die Handschoner etwas zu spät. Amanda hat heute beim Skaten offensichtlich schon die Handbremse benutzt.“ Dann kichert sie los und schlägt sich auf den Schenkel.

„Hier hab ich noch ein Buch für dich, für das man nie zu alt ist“, fährt der Großvater unbeirrt fort und zieht ein weiteres Päckchen hervor.

Amandas Hände stecken noch in den Handgelenkschützern und so zerreißt sie das Papier. Das Buch heißt Sophiechen und der Riese, Roald Dahl hat es erfunden.

„Schön …“, haucht sie.

„Dazu schenke ich dir, meine liebe Amanda, noch zehn Stunden meiner Zeit, in der du mit mir fast alles machen darfst, was du willst“, erklärt der Großvater feierlich.

„Prima!“ Amanda fliegt ihrem Großvater um den Hals und gibt ihm einen Kuss auf jede Wange.

„Papa, magst du etwas essen?“, fragt der Vater den Großvater. „Und wie war überhaupt dein Kurztrip nach Paris?“

Montag

Ich bin angenervt! Weil in der Schule ALLE gefragt haben, ob ich mit den Händen die Straße geschrubbt hätte. Sehr witzig! Und Nadine hat von einem Schlappo oder so geschwärmt, der im Fernsehen in einem Aquarium zu sehen ist oder in einem Müllcontainer oder einer Pappschachtel oder … Sie findet den supersüß und supertoll und fand mich unmöglich, weil ich gar nicht wusste, wovon sie redet. Ich hab ihr dann vom GuRie aus meinem neuen Buch erzählt, der die schönsten Segelohren im ganzen Riesenland hat und groß ist und unheimlich lieb und die tollste Sprache spricht. Die Königin von England zum Beispiel redet er mit Eure Majonese an. Oder Kaffee ist für ihn scheußliches Gluckergully. Zu komisch. Das kapierte Nadine nicht. Meinte zickig, ich sei absolut kindisch und total out und voll krass daneben. Ein Baby! Sie hat mich einfach stehen lassen und ist mit Boris abgeschwirrt. Zeit hat sie morgen auch keine. Sie geht zum Frisör. Warum hat sie mir nichts davon erzählt? Seiner besten Freundin erzählt man doch alles! Sie ist so gemein!

Ach, Charly, kannst du nicht den GuRie aus dem Buch holen, damit er mal mit Nadine redet? Auf meine Bitten reagiert er nicht. Auch nicht, wenn ich ihn auf einem Bild streichele. Ich find ihn sooo süß! Wieso sagst du nichts?! Und Julius treibt sich auch wieder rum.

Ich gehe mit Lisa spazieren! Lisa ist fast so lieb wie Julius. Frau Neumann findet das bestimmt gut. Und Lisa bellt wenigstens. Ich brauche Ansprache – und Luft.

Dienstag

Nadine ist völlig verändert. Ihre langen dunkelbraunen Haare sind zwar höchstens fünf Zentimeter kürzer, aber nicht mehr glatt, sondern lockig! Jetzt wirkt sie noch schmaler und größer. Dieser Reif in ihrem Haar sei mega trendy, sagte sie. Ich finde ihn albern. Irgendwie erinnert er mich an die Dornenkrone. Zeit hatte sie wieder nicht, musste zum Ballett. Sie tanzt mir auf der Nase rum. Glaub ich.

Ich habe gleich Klavierstunde. Sollte vorher noch die Clementi Sonatinen üben. Ich höre Friederike Schall schon meckern: „Amanda, Amanda! Du hast Talent, wirf es nicht einfach weg! Dein linker kleiner Finger ist eine Katastrophe, hat überhaupt keine Kraft. Da hilft nur eines: üben, üben, üben!“ Soll ich Fingerhakeln, oder wie?

Mittwoch

Bin völlig fertig. Bei Nadine hakt’s aus! Nicht weil sie ihre Dornenkrone nicht mehr im Haar hat, nein, sie hat am rechten Handgelenk eine Ornament-Kette und auf dem Handrücken ein Herz! Das sei Mendhi-Magie, erklärte sie, spende Kraft, verstärke den Liebeszauber und erfülle Träume. Was braucht sie Tattoos? Wozu gibt es mich? Was ist mit mir? Bin ich zu gar nichts nutze? Sie tut mir weh. Andauernd! Ich will nie wieder etwas mit ihr zu tun haben!

Ich fühle mich so allein! Gehe jetzt Julius suchen.

Nadine trägt noch links das Buddha-Armbändchen wie ich. Ein Zeichen der Liebe? Vielleicht liebt sie mich doch noch …