AMANI - Heldin des Morgenrots - Alwyn Hamilton - E-Book
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AMANI - Heldin des Morgenrots E-Book

Alwyn Hamilton

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Beschreibung

Das atemberaubende Finale der spektakulären Fantasy-Trilogie!

Der Sultan vor Miraji steht kurz vor dem Sieg. Die Rebellen sind in alle Winde zerstreut, der Prinz ist in Gefangenschaft und Amani bleiben nur wenige Verbündete im Kampf gegen den unerbittlichen Tyrannen. Nur mit ihrem Revolver und ihren Demdji-Kräften bewaffnet muss sie einen Weg durch die Wüste in die sagenumwobene Stadt Eremot finden, die nicht einmal auf der Landkarte existiert. Als immer mehr Gefährten ihr Leben verlieren, verzweifelt Amani fast: Führt sie die Rebellen unaufhaltsam ins Verderben? Wird es ihr gelingen, den Prinzen zu befreien?

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Seitenzahl: 576

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Alwyn Hamilton

Aus dem Englischenvon Ursula Höfker

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1. Auflage 2018

© 2018 by Alwyn Hamilton

Published by Arrangement with BLUE EYED BOOKS LTD., UK

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur

Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2018

unter dem Titel »Hero at the Fall«

© 2018 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Ursula Höfker

Umschlaggestaltung: Carolin Liepins, München,

unter Verwendung mehrerer Motive von

Arcangel (Rekha Garton),

Shutterstock (Farid Sani, Alex Zaitsev)

he · Herstellung: eR

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-17248-0V001

www.cbj-verlag.de

Für Molly Ker Hawn. Sie war die Erste, die sich in Amanis Geschichte verliebt und dies alles erst möglich gemacht hat.

Charaktere

Die Rebellion

Amani Scharfschützin, Demdji, hat auffällig blaue Augen, kann den Wüstensand manipulieren. Auch unter dem Spitznamen »Blauäugiger Bandit« bekannt. Während der Abwesenheit von Prinz Ahmed faktisch Anführerin der Rebellion. Siebzehn Jahre alt.

Prinz Ahmed Al-Oman Bin Izman Rebellenprinz, Anführer der Rebellion. Zurzeit in Gefangenschaft. Schicksal ungewiss. Neunzehn Jahre alt.

Jin Prinz von Miraji, Bruder von Ahmed. Sein voller Name lautet Ajinahd Al-Oman Bin Izman. Neunzehn Jahre alt.

Prinz Rahim Prinz von Miraji, Halbbruder von Ahmed und Jin. Bruder von Leyla. Früher Kommandant von Iliaz. Zurzeit in Gefangenschaft. Schicksal ungewiss. Neunzehn Jahre alt.

Shazad Al-Hamad Tochter eines mirajinischen Generals, gehört zu den ursprünglichen Mitgliedern der Rebellion. Bestens ausgebildete Kämpferin, Strategin. Zurzeit in Gefangenschaft. Schicksal ungewiss. Achtzehn Jahre alt.

Sam Desertierte aus der albischen Armee und wurde Dieb. Kann durch Stein gehen. Achtzehn Jahre alt.

Tamid Amanis ehemals bester Freund, angehender Heiliger Vater. Hinkt, weil ihm das Bein aufgrund einer Schussverletzung oberhalb des Knies amputiert werden musste. Siebzehn Jahre alt.

Delila Demdji, fällt durch ihre lila Haare auf, kann aus Licht Trugbilder in der Luft entstehen lassen. Leibliche Schwester von Ahmed, Adoptiv-Schwester von Jin. Zurzeit in Gefangenschaft. Schicksal ungewiss. Fünfzehn Jahre alt.

Hala Demdji, gebrandmarkt durch goldfarbene Haut, kann in den Köpfen anderer Menschen Halluzinationen erzeugen. Neunzehn Jahre alt.

Izz und Maz Zwillinge und Demdji, ihr Markenzeichen sind ihre blaue Haut beziehungsweise ihr blaues Haar. Können jede beliebige Tiergestalt annehmen. Siebzehn Jahre alt.

Navid Imins Ehemann. In Gefangenschaft. Schicksal ungewiss.

Sara Leiterin des Versteckten Hauses in Izman.

Fadi Sohn von Shira und dem Djinni Fereshteh. Demdji, geboren mit blauem Haar. Benannt nach seinem Großvater. Wurde aus dem Palast geschmuggelt und in Sicherheit gebracht.

Nordmiraji

Sultan Oman Herrscher über Miraji, Vater von Ahmed und Jin.

Leyla Tochter des Sultans und Schwester von Prinz Rahim. Begnadete Erfinderin. Betrog die Rebellion. Fünfzehn Jahre alt.

Lord Bilal Emir von Iliaz. Liegt aufgrund einer langwierigen Erkrankung im Sterben. Neunzehn Jahre alt.

General Hamad Gibt vor, dem Sultan gegenüber loyal zu sein. Shazads Vater.

Samira Tochter des verstorbenen Emirs von Saramotai. Vor Kurzem von der Rebellion zum Oberhaupt von Saramotai ernannt. Siebzehn Jahre alt.

Die Djinn

Bahadur Unsterblicher Djinni. Amanis Vater.

Fereshteh Unsterblicher Djinni. Fadis Vater. Wurde getötet, damit seine Energie in der Maschine des Sultans in Elektrizität umgewandelt werden konnte. Der erste Djinni, der seit dem Ersten Krieg starb.

Die Letzte Provinz

Farrah Amanis Tante, die ältere Schwester ihrer Mutter.

Asid Farrahs Mann, Pferdehändler in Dustwalk.

Nasima Eine von Amanis jüngeren Cousinen.

Olia Eine von Amanis jüngeren Cousinen.

Fazim Einwohner von Dustwalk. Früher Shiras Geliebter. Amanis Feind.

Noorsham Demdji, gebrandmarkt durch blaue Augen, kann Djinni-Feuer erzeugen, das eine ganze Stadt dem Erdboden gleichmacht. Geboren in der Minenstadt Sazi. Wird seit der Schlacht um Fahali vermisst.

Die zu Tode gekommenen

Zahia Amanis Mutter, wurde für den Mord an ihrem Ehemann erhängt.

Hiza Ehemann von Amanis Mutter, nicht der leibliche Vater von Amani. Wurde von seiner Frau getötet.

Nadira Ahmeds und Delilas leibliche Mutter. Wurde vom Sultan getötet, weil sie das Kind eines Djinni gebar.

Lien Xichainerin, Frau des Sultans. Jins leibliche Mutter, nach Adoption auch Ahmeds und Delilas Mutter. Starb an einer Krankheit.

Bahi Jugendfreund von Shazad. In Ungnade gefallener Heiliger Mann. Wurde von Noorsham getötet.

Prinz Naguib Einer der Söhne des Sultans, Armeekommandant, wurde von den Rebellen in der Schlacht um Fahali getötet.

Malik Al-Kizzam Unrechtmäßiger Herrscher von Saramotai. Wurde von Shazad getötet.

Ranaa Eine junge Demdji, die Licht in ihren Händen entstehen lassen konnte. Kam in einem Gefecht ums Leben.

Sayidda Spionin für die Rebellion im Sultanspalast. In der Maschine des Sultans durch Folter in den Wahnsinn getrieben. Getötet auf der Flucht aus dem Rebellenlager.

MahdiSayiddas Geliebter. Verriet die Rebellion, um Sayidda zu retten. Getötet auf der Flucht aus dem Rebellenlager.

Ayet, Uzma und Mouhna Frauen von Prinz Kadir. In der Maschine des Sultans durch Folter in den Wahnsinn getrieben.

Shira Amanis Cousine. Frau von Prinz Kadir. Sultima. Auf Befehl ihres Ehemanns hingerichtet, weil sie das Kind eines Djinni gebar.

Prinz Kadir Ältester Sohn des Sultans. Als Sultim Erbe des Throns von Miraji. Wurde vom Sultan ermordet.

Imin Demdji, gebrandmarkt durch goldene Augen und ausgestattet mit der Gabe, sich in jede beliebige menschliche Gestalt zu verwandeln. Schwester von Hala. Nahm Ahmeds Identität an und ließ sich für ihn hinrichten, damit er gerettet werden konnte.

Mythen und Legenden

Erstwesen Von Gott erschaffene unsterbliche Wesen wie Djinn, Buraqi und Vögel Roch.

Die Weltenzerstörerin Ein Wesen aus dem Mittelpunkt der Erde, das an die Erdoberfläche kam, um Tod und Dunkelheit zu bringen. Von der Menschheit besiegt.

Ghule Die Diener der Weltenzerstörerin. Zu den Ghulen zählen Nachtmahre, Gestaltwechsler und andere.

Der Erste Held Eigentlich die Erste Heldin. Die erste Sterbliche, von den Djinn erschaffen, damit sie sich der Weltenzerstörerin entgegenstellte. Erschaffen aus Sand, Luft und Wasser und mit Djinni-Feuer zum Leben erweckt. Auch als Erste Sterbliche bekannt.

Prinzessin Hawa Sagenumwobene Prinzessin, die die Sonne an den Himmel sang.

Der Held Attallah Geliebter von Prinzessin Hawa.

Ich erwachte aus einem Albtraum, als jemand meinen Namen rief.

Automatisch griff ich nach meiner Pistole, doch dann erkannte ich Saras Gesicht über mir. Ich war so erschöpft, dass es immer wieder vor meinen Augen verschwamm.

Ich nahm den Finger vom Abzug. Kein Feind, nur Sara, Hausherrin im Versteckten Haus. Sie hatte eine kleine Lampe dabei, die nur ihr Gesicht beleuchtete, sodass es für einen Moment aussah, als sei sie ein in der Dunkelheit schwebender, körperloser Kopf. So wie die Köpfe in meinem Traum, der jetzt mit meinem Erwachen verblasste.

Ich hatte von Imin geträumt, die mit Ahmeds Gesicht freiwillig zum Richtblock gegangen war.

Von meiner Cousine Shira, die ihren Trotz hinausschrie, als man sie vor dem Block zum Niederknien zwang.

Von Ayet mit dem irren Blick, der man die Seele aus dem Leib gefoltert hatte und die jetzt auf den Tod wartete.

Von der kleinen Ranaa, einem Demdji, die die Sonne in ihren Händen gehalten hatte und in einem Gefecht, in das sie nicht hätte verwickelt werden dürfen, durch einen Querschläger ums Leben kam.

Von Bahi, der durch die Hand meines Bruders vor meinen Augen verbrannte.

Von meiner Mutter, die damals in Dustwalk erhängt wurde, weil sie ihren Ehemann erschoss, der nicht mein Vater war.

Alles Menschen, die ich sterben sah. Menschen, die ich sterben ließ. Ihre Anklage stand ihnen ins Gesicht geschrieben.

Aber Sara war nicht aus meinem Traum. Sara lebte noch. Wie andere auch.

Als der Sultan das Rebellenlager überfiel, wurden viele Rebellen gefangen genommen. Aber nur eine Einzige wurde hingerichtet.

Imin. Unsere Demdji-Gestaltwandlerin.

Ahmed lebte noch, weil Imin sein Gesicht angenommen, so den Sultan und ganz Izman getäuscht hatte und an seiner Stelle gestorben war. Und weil Delila mit ihnen in Gefangenschaft war und es ihr gelang, Ahmed so lange für aller Augen unsichtbar erscheinen zu lassen, dass Imin zum Richtblock geführt werden konnte.

Deshalb war Ahmed noch am Leben. Genau wie Shazad, unsere »Generalin«, obwohl sie es hasste, wenn wir sie so nannten. Sie war unentbehrlich im Kampf gegen den Sultan. Ebenso wie Rahim, ein Sohn des Sultans, der einen tiefen Groll gegen unseren erlauchten Herrscher hegte, da der Sultan den Tod seiner Mutter zu verantworten hatte. Rahim war der Garant dafür, dass sich uns vielleicht bald eine ganze Armee aus den Bergen anschließen würde. Soldaten, die dem Sultan nie treu gewesen, dafür aber Rahim ergeben waren.

Und jetzt war es an mir, sie und all die anderen gefangenen Rebellen zu retten. Also, an mir und einer Handvoll anderer, die sich der Gefangennahme entziehen konnten. Jin, unser widerstrebender Prinz, unsere für gewöhnlich anstrengende Demdji Hala mit der goldfarbenen Haut, unsere Zwillinge Izz und Maz, beides Gestaltwandler, und unser nur an manchen Tagen zuverlässiger fremder Dieb Sam. Nicht gerade eine Armee, aber wir waren die Übriggebliebenen.

Ich war in irgendeiner Ecke des Versteckten Hauses auf einem Stuhl eingeschlafen. Das Versteckte Haus war unsere letzte Zuflucht in Izman. Hierher hatten sich alle, die von der Rebellion noch übrig waren, zurückgezogen. Ein schwacher Lichtschein von draußen huschte über Saras Gesicht, hell genug, um zu erkennen, wie besorgt sie war. Ihr Haar war nach einem unruhigen Schlaf zerzaust und der dunkelrote Morgenmantel, den sie über ihren Nachtkleidern trug, hing an ihr, als hätte sie ihn in aller Eile übergeworfen.

Der Tag musste bereits angebrochen sein, doch meine Glieder waren noch schwer vor Erschöpfung, als hätte ich nur wenige Stunden geschlafen. Aber wahrscheinlich könnte ich ein Jahr lang schlafen und diese Müdigkeit steckte mir immer noch in den Knochen. Es war die Erschöpfung aus Schmerz und Trauer. In meinem Bauch pochte es noch von der Anstrengung, die mich der Einsatz meiner Kräfte vor wenigen Stunden gekostet hatte, und eine Sekunde lang kippte die Welt gefährlich auf die Seite, als könnte ich das Gleichgewicht verlieren.

»Was ist los?«, krächzte ich, als ich meinen schmerzenden Körper reckte. Erst tags zuvor hatte meine Tante mir die Metallplättchen herausgeschnitten, und mir tat noch alles weh. »Ist schon Morgen?«

»Nein, es ist noch mitten in der Nacht. Ich bin aufgewacht, weil das Baby unruhig war.« Als meine Augen sich langsam an das Dämmerlicht gewöhnten, sah ich, dass sie ein schlafendes Kind im linken Arm hielt. Es war der kleine Fadi, der neugeborene Sohn meiner Cousine Shira und ein Demdji. Er war jetzt in Saras Obhut, da Shira enthauptet worden war. Ich erinnerte mich an Shiras anklagenden Blick in meinem Albtraum, weil ihr Sohn allein meinetwegen ohne seine Mutter aufwachsen musste. »Und als ich aufstand, war da …« Sara stockte. »Am besten schaust du es dir selbst an.«

Das klang nicht gut. Ich presste die Handflächen auf meine müden Augen. Was hatte in den letzten paar Stunden denn noch alles schiefgehen können? Hinter meinen Augenlidern sah ich noch einmal Imins Kopf auf diese Plattform fallen. Ich ließ die Hände sinken. Es war besser, sich der Wirklichkeit zu stellen als den Albträumen. Langsam stand ich auf. »Gut. Geh du voraus.«

Mit dem kleinen blauhaarigen Demdji im Arm führte Sara mich die dunkle Wendeltreppe zum Dach hinauf, das dem Versteckten Haus seinen Namen gegeben hatte. Der Garten auf dem Flachdach war auf allen vier Seiten von dicht bewachsenen Rankgittern umgeben, die das Haus vor neugierigen Blicken schützten und Sara und all den Frauen unter ihrer Obhut Schutz gewährten.

Noch bevor wir ganz oben angelangt waren, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Es war fast Mitternacht, doch draußen herrschte ein gedämpftes Licht, ähnlich dem Rot einer verhangenen Morgendämmerung. Das ergab keinen Sinn um diese Uhrzeit, nicht einmal im Sommer.

Sara war vor mir auf dem Dach und trat rasch zur Seite, damit ich einen freien Blick hatte. Und ich sah, was sie angedeutet hatte.

Über der Stadt wölbte sich eine Feuerkuppel.

Flackernde Flammen hingen über mir und umgaben uns von allen Seiten wie eine riesige über die Stadt gestülpte Halbkugel. Dahinter konnte ich gerade eben die Sterne erkennen, doch es war, als schaute ich durch eine Glasscheibe mit unregelmäßiger Struktur. Sie waren unscharf gezeichnet und verschwammen. Im Westen bog sich das Feuer zur Stadtmauer hinunter und im Norden fiel es zum Meer hin ab. Unvermittelt tauchte in meiner Erinnerung das Bild meiner Mutter auf. Sie stand in unserer Küche, als ich noch klein war, und fing einen Käfer, der über den Tisch kroch, indem sie ihm ein Glas überstülpte. Neugierig hatte ich beobachtet, wie das Insekt hektisch und verwirrt an der Innenseite des Glases hinaufgekrabbelt war. Es saß in der Falle. Als ich jetzt hinaufstarrte zu der Feuerkuppel über uns, konnte ich es dem kleinen Käfer aus Dustwalk nachfühlen.

Sara blickte grimmig durch die schimmernden Flammen hinauf zu den Sternen. »Zauberei«, stellte sie fest.

»Nein.« Früher hätte ich das vielleicht auch geglaubt, doch jetzt erkannte ich dieses flackernde, zu helle, nicht ganz und gar natürliche Feuer wieder. Es war dasselbe, das ich in den Kellergewölben unter dem Palast gesehen hatte, als Fereshteh starb. Dasselbe gestohlene Feuer, das vor meinen Augen die Abdale erstrahlen ließ, die immer noch in den Straßen unter uns patrouillierten und dafür sorgten, dass die Ausgangssperre eingehalten wurde. »Sondern der Trick einer Erfinderin.« Eine neue Schöpfung Leylas, der Tochter des Sultans, dazu erdacht, uns am Verlassen der Stadt zu hindern. Noch nie dagewesen und zugleich seltsam bekannt.

Und siehe, eine gewaltige Feuerwand umschloss den Berg, sodass sie bis in alle Ewigkeit darin gefangen war.

Diese Stelle aus den Heiligen Büchern kam mir im vollen Wortlaut in den Sinn. Dustwalk hatte mir in den ersten sechzehn Jahren meines Lebens die heiligen Schriften eingehämmert. Wie jeder andere kannte ich die Geschichte von Ashras Wand und wusste um die gewaltige Flammenbarriere, die die Weltenzerstörerin am Ende des Ersten Krieges einschloss.

Unsterbliche umbringen und sich bei den heiligen Schriften bedienen. Der Sultan spielte wirklich Gott.

Nur dass uns dies hier nicht vor einem großen Übel bewahren sollte und weit davon entfernt war, etwas Heiliges zu sein.

Das große Übel selbst hielt uns gefangen.

Ich weckte nicht das ganze Haus auf, nur Jin. Bis ich ihn in einem der vielen Zimmer des Hauses endlich entdeckte, dauerte es allerdings länger, als mir lieb war. Er war, vollständig angezogen, auf einem ungemachten Bett eingeschlafen, einen Arm über dem Gesicht, um das Licht auszublenden. Ich musste ihn nicht einmal wach rütteln. Meine Fingerspitzen hatten kaum seine Schulter berührt, als er mit einem Ruck die Augen öffnete. Seine Hand schloss sich schmerzhaft um mein Handgelenk. Gerade noch rechtzeitig erkannte er mich, sonst hätte er es mir gebrochen.

Er fluchte auf Xichain, ließ mich rasch los und setzte sich auf. Durch seine Erschöpfung hindurch kämpfte er sich wach.

»Du hast mich erschreckt, Bandit.«

»Du wirst mir doch nicht erzählen wollen, dass du zum ersten Mal mitten in der Nacht von einem Mädchen geweckt wurdest.« Meine Lockerheit war gespielt. Mit der Hand strich ich ihm eine lange dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht, damit ich ihn richtig ansehen konnte. Er hätte einen Haarschnitt vertragen können, aber es war lange her, seit wir Zeit für solche Nichtigkeiten gehabt hatten. Nicht mehr, seit wir aus dem Lager in der Wüste vertrieben worden waren.

Er ergriff wieder meine Hand, behutsamer dieses Mal, und für eine Sekunde war da ein Anflug dieses alten Lächelns, eines, das leichter zu lösende Schwierigkeiten bedeutete als die, vor denen wir im Moment standen. Dann erst schien er meine Worte richtig zu begreifen. »Es ist mitten in der Nacht?«, fragte er und schaute zu dem Licht, das durchs Fenster schien. Und der kurze Moment, in dem wir das wirkliche Leben ausgeblendet hatten, war dahin.

Ungeduldig warteten wir auf das Morgengrauen, während ich ihm zeigte, was Sara mir gezeigt hatte. Nach und nach erwachte das Haus unter uns und ich sah, wie sich auf allen Gesichtern dasselbe beklemmende Gefühl widerspiegelte, als einer nach dem anderen die Flammenkuppel sah. Und alle schauten mich an und warteten auf Antworten, die ich nicht hatte.

Wie wurde das gemacht? Können wir hindurch? Ist es da, um uns hier festzuhalten?

Als der erste Funke der Morgendämmerung endlich durch den Feuervorhang drang und das Ende der Ausgangssperre anzeigte, machten Jin und ich uns auf den Weg. Die Straßen füllten sich bereits mit Menschen, Männer und Frauen, die, den Blick auf den Flammenhimmel über uns gerichtet, aus ihren Häusern stolperten. Und alle hatten dieselben Fragen auf den Lippen, die die Rebellen mir gestellt hatten. Jin und ich schlängelten uns zwischen ihnen hindurch, so schnell es, ohne Aufsehen zu erregen, ging, den Blick fest auf den Kompass in Jins Hand gerichtet. Der Kompass, der mit dem von Ahmed verzwillingt war. Ahmed hatte seinen Kompass bei sich gehabt, als er in Gefangenschaft geriet.

»Er hat ihn immer noch.« Wir eilten durch die engen Straßen der Stadt und ich sagte den Satz laut vor mich hin, um sicher zu sein, dass es stimmte. Je näher wir dem Palast kamen, desto kurzatmiger wurde ich. Hier waren die Gefangenen gestern, vor Imins Hinrichtung, festgehalten worden. Sie mussten immer noch da sein. Oder sonst irgendwo in der Stadt. Doch als wir uns den breiten, wohlhabenderen Straßen um den Palast herum näherten, schlug die Nadel nicht in seine Richtung aus, sondern zeigte weiter nach Süden.

Wir liefen am Palast vorbei und mein Herz krampfte sich mit jedem Schritt mehr zusammen, den wir uns von dem Ort entfernten, an dem unsere Rebellen tags zuvor gefangen gesetzt wurden,. Doch solange wir noch in der Stadt waren, klammerte ich mich an das letzte Fünkchen Hoffnung. Solange auch nur der Hauch einer Chance bestand, dass die Nadel in Jins Kompass sich drehte, bevor wir die Wand erreichten.

Sie tat es nicht.

Der Himmel hinter der Feuerwand hatte sich von Rosa zu Gold verfärbt, als wir vor dem Südtor der Stadt anlangten. Es war das Zaman-Tor, benannt nach dem ersten Sultan von Miraji, ein Vorfahre des Mannes, der uns hier eine Falle gestellt hatte. Er war auch Jins Vorfahre.

Und gleich hinter dem Tor erhob sich die Feuerwand.

Aus der Nähe betrachtet wirkte sie noch sehr viel imposanter als in der Nacht. Da hatten wir sie nur hoch über uns gesehen. Sie schien unheilverkündend zu knistern und zu knacken. Ab und zu sprühte sie Funken, als hungerte sie nach Zerstörung. Als wollte sie jeden verschlingen, der es wagte, durch sie hindurch zu gehen.

Und der Kompass in Jins Hand zeigte direkt darauf.

Die Gefangenen befanden sich außerhalb der Stadt. Der Sultan hatte sie aus der Stadt bringen lassen und um uns herum eine Mauer errichtet. Wir steckten hier drinnen fest, während sie draußen irgendwohin verschleppt und für den Rest ihres Lebens ohne Gerichtsverhandlung eingesperrt wurden. Das verstand unser Sultan wohl unter Gnade.

Von da, wo wir standen, spürten wir die Hitze, die von der Wand ausging. Doch Jin hob einen Stein auf. Er warf ihn ein paarmal in die Luft und fing ihn wieder auf. Dabei wirkte er jung, wie ein Kind, das einen Streich ausheckt. Und dann schleuderte er den Stein gegen die Wand. Er prallte nicht daran ab, wie an einer richtigen Wand, und flog auch nicht hindurch, wie durch gewöhnliches Feuer. Er verglühte. In Sekundenschnelle wurde der Stein zu Asche.

Wir würden noch rascher verglühen, falls wir versuchten hindurchzugehen.

Mein erster Gedanke war, dass der Sultan uns davon abzuhalten versuchte, zu den Gefangenen zu gelangen. Dass er mich am Verlassen der Stadt zu hindern versuchte, damit er mich wieder zu fassen bekam und zum Palast zurückschleifen konnte. Doch Jin sprach meinen nächsten Gedanken aus, bevor ich es tun konnte.

»Es ergibt keinen Sinn.« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und schob dabei seine Sheema zurück. Ich blickte mich rasch um, ob jemand in der Nähe war, der uns womöglich erkannte. »Nicht, wenn er Ahmed für tot hält. Das alles … es kann nicht unseretwegen sein.«

Er hatte nicht unrecht. »Für wen hat er es dann gemacht?«

Noch vor Sonnenuntergang erhielten wir die Antwort darauf. Beklommen warteten wir auf Nachrichten aus dem Palast. Auf eine Erklärung des Sultans, weshalb er sein Volk mit Feuer krönte.

Die Zwillinge Izz und Maz kreisten als Lerchen über dem Palast und kamen abwechselnd zum Versteckten Haus geflogen, um uns über das Kommen und Gehen zu informieren. Doch viel Interessantes gab es nicht zu berichten.

Bis kurz vor Sonnenuntergang, als Izz und Maz zusammen zurückkamen, zwei sandfarbene Vögel, die hektisch im Zickzack über den Himmel flogen, bevor sie auf dem Dach landeten und wieder zu Jungs wurden.

Izz sprach als Erster, noch ganz außer Atem. »Feindliche Truppen. Von Westen.«

»Banner in Blau und Gold«, ergänzte Maz keuchend. Seine Brust hob und senkte sich.

Mein Herz geriet ins Stocken. Die Galla. Die Galla marschierten auf die Stadt zu. Die nur zu vertrauten Besatzer der Wüste kamen, um unser Land ein für alle Mal an sich zu reißen.

Deshalb war die Wand da. Nicht um uns einzusperren, sondern um sie auszusperren.

Die Stadt war geschützt. Doch wir saßen in der Falle.

DIE UNSTERBLICHE SULTIMA

Es waren einmal eine Wüste im Belagerungszustand und ein Sultan ohne einen Erben, der sein Land hätte verteidigen können.

Die Wüste hatte viele Feinde. Sie kamen von Osten, Westen und Norden, besetzten die Wüstenstädte, versklavten ihre Bewohner und stahlen ihre Waffen, um in weit entfernten Ländern andere Schlachten zu schlagen.

Der Sultan sah, dass seine Wüste von vielen Seiten belagert wurde und seine eigenen Streitkräfte zahlenmäßig unterlegen waren. Und so lud er die Könige, Königinnen und Prinzen seiner Feinde zu sich in seinen Palast ein. Er nannte es einen Waffenstillstand. Seine Feinde sahen es als Kapitulation an. Doch es war eine Falle.

Der Sultan ließ Soldaten aus Metall und Magie gegen seine Feinde antreten, und deren Anführer zerfielen zu Staub.

Viele Feinde des Sultans zogen sich zurück, doch das große Reich im Norden vernahm die Kriegserklärung des Sultans und beschloss, sie anzunehmen. Die Menschen dort waren wütend über das Abschlachten ihres Königs und ihrer Soldaten. Und so befahl der junge Prinz, der in Kürze die Stelle seines Vaters einnehmen sollte, seinen Truppen, in die große Wüstenstadt zu marschieren und sie zu zerstören.

Der Sultan hörte von der nahenden Gefahr. Er hatte zwar etliche Söhne, die er gegen die heranmarschierenden Truppen in die Schlacht hätte schicken können. Doch er hatte keinen Erben. Sein Erstgeborener war durch die Hand seines eigenen Bruders, des Rebellenprinzen, gestorben. Der Rebellenprinz verzehrte sich vor Eifersucht und wollte selbst den Thron besteigen.

So zumindest behaupteten einige.

Andere sahen in dem Rebellenprinzen keinen Verräter, sondern vielmehr einen Helden. Und diese Männer und Frauen verlangten lautstark, dass keiner der Söhne des Sultans, die im Palast aufwuchsen, die Wüste verteidigen sollte, sondern der Rebellenprinz, sein verlorener Sohn und der eigentliche Erbe. Doch die feindliche Armee hatte die Stadt noch nicht erreicht, da wurde der Rebellenprinz gefangen genommen. Wie vehement die Leute auch verlangten, dass er sie retten sollte, sie konnten nicht verhindern, dass er zum Richtblock geführt wurde. Denn das Wüstenvolk wusste, dass es keine Rolle spielte, ob er Rebell, Verräter oder Held war. Am Ende waren alle Menschen sterblich.

Aber als die Axt heruntersauste, schworen einige Augenzeugen, er sei mehr gewesen als ein einfacher Sterblicher, sogar, dass sie Zeuge gewesen seien, wie seine Seele in einem hellen Licht seinen Körper verlassen und sich in einen Feuerschild um ihre Stadt herum verwandelt hätte. Man flüsterte, dass der Rebellenprinz noch im Tod ihren Ruf um Beistand erhört hätte. Gerade so wie Ashra, die Gesegnete, vor Tausenden von Jahren in Zeiten der Not den Ruf der Wüste erhört hatte.

Und als der Feind die Stadt erreichte, sah er, dass tatsächlich eine gewaltige Barriere aus Feuer die Stadt schützte. Der Feind konnte nicht angreifen und das Wüstenvolk pries den Rebellenprinzen, weil er sie beschützte. Die Feinde konnten nichts tun, als die Stadt zu umzingeln und zu warten, dass die Feuerwand fiel oder der Sultan einen Kämpfer – einen Prinzen und Erben – schickte, der seine Truppen gegen sie in den Kampf führte.

Am ersten Tag der Belagerung kam der älteste überlebende Sohn des Sultans, ein berühmter Schwertkämpfer, zu seinem Vater und bat um die Ehre, ihre Truppen in den Kampf gegen die Belagerer vor ihren Toren führen zu dürfen. Doch der Sultan lehnte ab. Er wusste nicht, ob dieser Sohn der Sache würdig war.

Am zweiten Tag kam der zweitälteste Sohn des Sultans, ein berühmter Bogenschütze, zu seinem Vater und bat um die Ehre, die Männer anführen zu dürfen, die Pfeile auf die Feinde ringsherum regnen ließen. Doch auch ihn lehnte der Sultan ab, da er sich nicht sicher war, ob er der Sache würdig war.

Am dritten Tag wurde der dritte Sohn des Sultans vorstellig und auch er wurde abgelehnt.

Viele Tage vergingen, dann Wochen, ohne dass ein Erbe auserkoren wurde, der gegen den Feind kämpfen sollte. Die Leute in der Stadt wurden unruhig.

Schließlich erklärte der Sultan, nachdem er alle seine Söhne, die alt genug waren, um zu kämpfen, abgewiesen hatte, dass derjenige zum Erben ernannt würde, der die anderen im Kampf besiegte, wie es in der Wüste seit den frühesten Tagen der Menschheit und seit der Zeit des ersten Sultans üblich war.

Die Leute kamen in Scharen zum Palast, um die Kämpfe zu sehen. Sie drängten sich um die Palaststufen, um einen Blick auf den Mann zu erhaschen, der möglicherweise ihr neuer Herrscher wurde. Der Sultan erschien vor seinen Untertanen und erklärte ihnen, dass er, obwohl er immer noch um seinen Erstgeborenen trauere, zum Besten seines Landes und seines Volkes die Notwendigkeit sähe, einen neuen Erben zu erwählen.

Doch kaum hatte der Sultan das Wort ergriffen, hörten die Umstehenden eine andere Stimme.

Er lügt.

Es war die Stimme einer Frau. Sie schrie nicht; sie flüsterte. Dennoch hörte man sie klar und deutlich, als hätte sie den Leuten direkt ins Ohr gesprochen. Oder als käme die Stimme aus ihrem eigenen Kopf.

Die Anwesenden blickten sich überrascht um und suchten nach der Frau, die kühn genug war, so über ihren erlauchten Herrscher zu reden. Und dann sahen sie etwas, das sie kaum glauben konnten. Die Frau, die gesprochen hatte, stand nicht neben, sondern vor ihnen. Sie hielt ihren abgetrennten Kopf in den Händen und drückte ihn an ihre Brust.

Ihr Nacken endete in einem blutigen Stumpf.

Wer sie erkannte, nannte ihren Namen denen, die sie nicht erkannten, und bald wussten alle Umstehenden, dass vor ihnen die erhabene Sultima stand. Die verräterische Frau ihres ermordeten Sultims, die auf Befehl ihres Ehemanns hingerichtet worden war.

Und jetzt von den Toten auferstanden.

Obwohl ihre Lippen sich nicht bewegten, hörten alle sie sprechen.

Er lügt, wiederholte sie. Haarsträhnen wurden über ihre Finger geweht, als sie anklagend in die Menge blickte. Und lügen ist eine Sünde.

Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, da verdunkelte sich der Himmel. Und als die Bewohner von Izman aufschauten, hatte sich ein gewaltiger Sandsturm über der Stadt zusammengebraut. Er verbarg die Sonne und hüllte den Palast in Dunkelheit, wodurch die erhabene Sultima umso heller strahlte. Die Leute duckten sich unter dem unheilverkündenden Sturm, den das tote Mädchen über sie gebracht hatte und der über ihren Köpfen hing wie eine Axt, die heruntersausen und sie vor ihren Augen töten konnte, so wie das Mädchen vor ihren Augen getötet worden war. Sie fielen auf die Knie und flehten um Gnade, auch wenn sie nicht wussten, ob sie Gott oder das tote Mädchen anflehten.

Doch die tote Sultima scherte sich nicht um Gnade. Sie interessierte nur die Wahrheit.

Nicht der Rebellenprinz hat den Sultim getötet. Ihre Stimme übertönte den immer stärker werdenden Wind, der den Sand über ihren Köpfen schweben ließ.

Sondern sein eigener Vater. Die Sultima zeigte mit einer blutigen Hand auf den Sultan auf seinem Balkon hoch über seinen Untertanen. Ihr Kopf rutschte ihr dabei aus der anderen Hand und landete so auf dem Boden, dass ihre Augen wütend zu ihm aufschauten. Doch ihre Stimme blieb fest. Kaltblütig tötete er seinen Sohn, so wie er seine Brüder und seinen Vater getötet hat. Und jetzt steht er vor euch und heuchelt Trauer und ist doch bereit, weitere Söhne im Kampf gegen die Belagerer, die er über die Stadt gebracht hat, in den Tod zu schicken.

Die Bürger von Izman, die vor dieser übernatürlichen Erscheinung auf den Knien lagen, glaubten ihr. Denn aus welchem Grund sollten die Toten lügen?

Dann hob die Sultima ihren Kopf vom Boden auf und hielt ihn so, dass ihre Augen auf die Prinzen hinter ihr gerichtet waren. Einer fiel auf die Knie. Ein anderer spannte seinen Bogen und schoss einen Pfeil auf ihre ohnehin schon blutgetränkte Brust ab. Der Pfeil fuhr durch die tote Sultima hindurch wie durch Wasser und bohrte sich in den Boden hinter ihr.

Die Sultima betrachtete den Pfeil unbewegt und wandte sich dann wieder an die Prinzen, die ihren Worten hilflos ausgeliefert waren.

Aus diesem Haufen unwürdiger Prinzen wird kein neuer Sultim erwählt werden. Der wahre Sultim wurde bereits erwählt, und ich bin hierhergekommen mit einer Warnung.

Später sollten die in der Menge erzählen, wie sie ihren Kopf in ihren Armen wiegte, als sei er das Kind, das ihr zu früh genommen wurde, das Kind, das nicht von ihrem Ehemann war, sondern, wie einige behaupteten, von einem Djinni. Selbstverständlich würden diese die Mutter eines ihrer Kinder als ihre Botin von außerhalb dieser Welt schicken.

Der Rebellenprinz ist der wahre Erbe. Er muss in Miraji regieren, andernfalls wird nie mehr ein Sultan regieren. Unser Land wird bekriegt und erobert werden und den Streitkräften in die Hände fallen, die bereits vor unseren Toren warten.

Dieser Sultan kann nur Dunkelheit und Tod bringen. Nur der wahre Erbe Mirajis kann Friede und Wohlstand bringen.

Ein Aufschrei ging durch die Menge, dennoch hörten alle ihre nächsten Worte:

Der Rebellenprinz wird auferstehen.

Er bringt ein neues Morgenrot. Eine neue Wüste.

Von so hoch oben sah Izman ganz anders aus.

Ich stand auf dem Sims direkt unter der Kuppel des großen Gebetshauses, von wo aus ich die vielen Menschen sehen konnte, die sich zu den Sultimsprüfungen weit unter uns versammelt hatten. Wir hatten diese Stelle ausgewählt, damit wir ein Auge auf die Geschehnisse dieses Vormittags behielten. Um der Bequemlichkeit willen garantiert nicht.

Ich veränderte meine Stellung auf dem schmalen Sims, soweit ich mich traute, um besser sehen zu können, was sich unten tat. Ich schwankte ein wenig nach vorn, als die Schwerkraft nach mir griff. Jin, der rechts neben mir stand, packte mich instinktiv am Arm und brachte mich wieder ins Gleichgewicht, bevor ich mehrere hundert Fuß in den Tod stürzte.

»Ich ertrag’s nicht, dich auch noch zu verlieren, Bandit«, sagte er, als er mir auf unserem Ausguck wieder zu einem festen Stand verhalf.

Maz und Izz standen rechts und links von uns. Sie hatten uns kurz vor Tagesanbruch, als sich die ersten Leute versammelten, in Gestalt zweier Riesenvögel hier heraufgeflogen. Die Sonne ließ die goldene Kuppel des Gebetshauses so hell erstrahlen, dass sie mich fast blendete, und das obwohl ich mit dem Rücken zu ihr stand. Was bedeutete, dass sie jeden aus der Menge, der zufällig in unsere Richtung schaute, blenden und uns wie kaleidoskopische Trugbilder erscheinen lassen würde und nicht wie Menschen aus Fleisch und Blut.

Wenn ich unten durch die Straßen lief, war die Stadt ein einziges Rätsel für mich. Scharfe Ecken, verborgene Nischen, plötzliche Sackgassen; lange Straßen, gelegentlich gespickt mit Fenstern, aus denen komplett andere Welten auf die staubigen Pflastersteine schienen; schmale Durchgänge, die durch Marktstände und einem steten Strom von Menschen noch schmaler wurden, und das Ganze überdacht von bunten Baldachinen, die den Himmel ausblendeten. Ich kannte mich immer noch nicht in der Stadt aus, obwohl ich durch die gewaltige Feuerkuppel nun schon fast einen Monat darin gefangen war.

Die Reaktion der Einwohner auf das Erwachen unter einer solchen Kuppel war eine Sache für sich.

Ich wusste sofort, dass sie unnatürlich und eine von Leylas Erfindungen war. Doch die Leute hatten dieselbe Schlussfolgerung gezogen wie Sara in jener ersten Nacht. Sie glaubten, dass es sich um uralte Magie handelte, wie man sie seit dem Ende des Ersten Krieges nicht mehr gesehen hatte.

Viele nannten das Phänomen Ahmeds Wand. Einige beteten sie sogar an. Ahmeds Diener nannten sich die Männer und Frauen, die ihre Kleider ansengten, ihre Gesichter mit Asche einrieben und Tag für Tag versuchten, möglichst nah an die Feuerwand heranzukommen, um sie anzuflehen, gegen die Belagerer vor unseren Toren standzuhalten. Egal wie oft die Soldaten des Sultans sie zurückdrängten, sie kamen zuverlässig jeden Morgen bei Sonnenaufgang zurück. Ein paar waren sogar schon gestorben, weil sie der Mauer zu nah gekommen waren. Sie hatten sich aufgelöst wie der Stein, den Jin am ersten Tag hineingeworfen hatte. Sie verkündeten, dass Ahmed uns alle gerettet habe.

Auch wenn ich es nur höchst ungern zugab: Die Barriere hatte uns möglicherweise tatsächlich gerettet. Nur wusste ich, dass es nichts mit Ahmed zu tun hatte.

Von unserem Ausguck hier oben sah ich die Reihen blauer Zelte, die unsere Stadt mit militärischer Präzision umschlossen. Die Galla warteten, so wie sie es seit Wochen taten. Nachdem die Zwillinge sie am Horizont entdeckt hatten, hatte es nicht mehr lang gedauert, bis sie die Stadt erreichten. Auch ihre Kugeln waren in der Feuerbarriere zerfallen, worauf die Galla den Beschuss ziemlich schnell einstellten und die Stadt lediglich einkreisten. Sie spielten ein Wartespiel mit dem Sultan.

Die Galla hielten unsere Wüste bereits seit fast zwei Jahrzehnten besetzt. Sie hatten unseren Sultan auf den Thron gebracht, nachdem sie ihm geholfen hatten, seinen Vater und seine Brüder aus dem Weg zu räumen. Als Gegenleistung ließ er zu, dass sie uns ihre Gesetze aufzwangen. Dass sie ihrem abstrusen Glauben entsprechend Demdji und Erstwesen töteten und unsere ärmsten Mitbewohner zu gefährlicher Fronarbeit zwangen, um genügend Waffen herzustellen, damit sie ihre Kriege führen konnten. Dass sie mit Gewalt gegen uns vorgehen konnten, ohne ein Nachspiel der Justiz fürchten zu müssen. Der Sultan hatte es hingenommen und abgewartet, bis die Galla seinen Zwecken nicht mehr dienten. Erst dann hatte er versucht, sie auszuschalten, und zwar mithilfe meines Bruders Noorsham, einem Demdji, der Städte in Schutt und Asche legen konnte. Doch wir waren dazwischen gegangen, bevor Noorsham sie auslöschen konnte, da wir sahen, dass er jede Menge Mirajiner mit in den Tod reißen würde. Das Einzige, was dabei herauskam, war, dass die Galla sich in ihrem Zorn zum Einmarsch entschlossen.

Mit dem Ergebnis, dass wir jetzt vom größten Reich der Welt belagert wurden. Die Galla schienen zu glauben, dass sie nur lang genug auf der anderen Seite der Feuerwand zu warten bräuchten. Irgendwann mussten Izman die Vorräte ausgehen. Aber ich kannte den Sultan einigermaßen. Und ich hatte das Gefühl, als spielte er immer noch mit ihnen. Und der Sultan spielte keine Spiele, wenn er nicht überzeugt war, sie gewinnen zu können.

Wie viele mirajinische Dörfer und Städte hatten die Galla auf ihrem Weg nach Izman wohl überrannt? Wie viele Menschen waren durch ihre Hand gestorben, während der Sultan auf sie wartete?

Der Sultan hatte mir gegenüber einmal behauptet, sein Ziel sei es, das Land zu beschützen. Er wolle aus Miraji ein Reich machen, mit dem man rechnen müsse, eines, das nie wieder durch eine fremde Armee besetzt würde. Und vielleicht erwies sich das ja als wahr. Doch wie viele Mirajiner würden auf dem Weg dahin niedergetrampelt werden und wie viel mächtiger würde der Sultan dadurch? Das mirajinische Volk hatte nicht eingewilligt, Spielfiguren in einem Spiel zu sein, das der Sultan gegen feindliche Eindringlinge führte.

Wir würden das Spiel beenden. Sobald wir einen Weg fanden, dieser verfluchten Stadt zu entkommen.

Wir würden Ahmed zurückholen. Und Rahim. Und Shazad. Und Delila. Und all die anderen, die in Gefangenschaft geraten waren. Wir würden dem hier ein Ende bereiten.

Eine Schweißperle bahnte sich ihren Weg von meiner Sheema aus meinen Nacken hinunter und hinein in meine Kurta.

»Alles in Ordnung, Bandit?«, fragte Jin leise, den Mund an meinem Ohr.

Ich hätte gern gelogen und behauptet, ich sei fit wie ein Fisch im Wasser, aber da ich nicht lügen konnte, antwortete ich lieber gar nicht. »Es ist Zeit«, sagte ich stattdessen, streckte meine Hände über der Stadt unter mir aus und spreizte die Finger, so weit es ging. »Mach dich bereit.«

Selbst wenn ich die Sanddünen hinter der künstlichen Barrikade des Sultans nicht erreichen konnte, war diese Stadt doch voller Wüstensand. Er steckte in ihren Knochen. In ihrer Seele.

Ich zog. Die Wunde in meiner Seite schmerzte wie ein Muskel, der gegen seinen Einsatz protestiert. Das war so, seit das Metall aus meinem Körper entfernt worden war. Die Wunde an meiner Seite bereitete mir Schmerzen, als erinnerte sie sich an das Eisen und kämpfte gegen meine Demdji-Kräfte. Anfangs war es nur ein Ziehen, doch es wurde von Mal zu Mal schlimmer. Und ein, zwei Mal hatte ich Angst gehabt, der Sand könnte sich meinem Griff ganz entziehen.

Ich ignorierte den Schmerz, so gut es ging, während der Staub in einem goldenen Nebel aus den Straßen aufstieg, wie Wasserdampf aus einem Bad aufsteigt. Er löste sich zwischen den Pflastersteinen, aus den Falten der Kleider und von den Pflanzen auf Dachgärten, erfüllte die Luft, wirbelte nach oben und sammelte sich. Milliarden winziger Sandkörnchen, die für sich allein überall verteilt gar nichts waren, taten sich zusammen zu einem gewaltigen Sturm, der über die Stadt hereinbrach.

Irgendwo da unten in der Menge, die sich versammelt hatte, um die Sultimsprüfungen mitzuerleben, war Hala, verschleiert, bis auf die Augen, damit niemand ihre goldene Haut sah. Riad und Karam, zwei andere Rebellen, die mit uns fliehen konnten, waren bei ihr. Ich vertraute ihnen. Sie würden für ihre Sicherheit sorgen – oder sie wegtragen, falls die Illusion zu viel für sie wurde.

Eine Illusion in dieser Dimension hatte Hala bisher noch nie erzeugt: Es ging darum, meine Cousine Shira, die erhabene Sultima, auferstehen zu lassen, und zwar genau so, wie sie mir in meinen Albträumen erschien: mit abgeschlagenem Kopf und anklagendem Blick. Dieses Bild musste sie in die Köpfe Tausender von Menschen gleichzeitig projizieren, damit Zweifel am Sultan säen und den Beginn der Sultimsprüfungen hinauszögern.

Es war riskant, Halas Kräfte bis an ihre Grenzen auszureizen, doch wir waren verzweifelt und mussten etwas tun. Wir konnten nicht zulassen, dass das Land sich hinter einen neuen Prinzen stellte, während wir versuchten, den alten zu retten. Doch die Sultimsprüfungen hinauszuzögern, war lediglich unser untergeordnetes Ziel.

Hala war die Ablenkung. Ich war die Deckung.

Unser oberstes Ziel war, in den Palast zu gelangen.

Etwas kann Ablenkung sein und gleichzeitig dem Zweck dienen.

Das hatte Shazad einmal zu mir gesagt, als sie mit Pamphleten, die vom Himmel regneten, zum ersten Mal versucht hatte, mich aus dem Harem zu befreien. Aber bei Shazad sah immer alles so einfach aus.

Zwei Ziele. Eine Kugel. Das verstand ich. Zwei Ziele. Ein Plan.

Ich hörte unter mir jemanden rufen, als Halas Illusion sich in die Köpfe der Menschen um sie herum schlich. Für einen Augenblick ließ meine Konzentration nach und meine Kräfte entglitten mir. Ich spürte, wie der brennende Schmerz in meiner Seite nachließ. Es war eine solche Erleichterung, dass sie, nur für eine Sekunde, den Wunsch in mir weckte loszulassen. Einfach alles loslassen und zur Ruhe kommen. Der Sturm sollte sich legen und der Schmerz aufhören.

Hastig holte ich den Sand zurück, und sofort setzte der Schmerz wieder ein, während ich noch darum rang, die Kontrolle zurückzuerlangen. Ich kämpfte, bis der Sandsturm den Platz unter uns mit einer wirbelnden Masse überdeckte und man uns nicht mehr sah. Ich verlagerte mein Gewicht etwas, damit der Schmerz nachließ, und der Sand verlagerte sich überraschend mit. Ich konnte nicht länger warten, ich musste das Signal geben, da ich meine Kräfte schon jetzt kaum noch kontrollieren konnte. Ich drehte den Kopf gerade weit genug, dass Jin und die Zwillinge mich über dem Tosen des Sturms hören konnten, und sagte: »Jetzt!«

Man musste es ihnen nicht zweimal sagen. Maz hatte es schon seit Stunden kaum ausgehalten, hatte immer wieder seine Gestalt verändert und ungeduldig auf den Befehl gewartet. Jetzt breitete sich ein erleichtertes Grinsen auf seinem Gesicht aus. Er schüttelte seinen Umhang ab und ließ ihn in den Sandsturm hinunterfallen, während er, ohne zu zögern, vom Sims sprang. Eine Sekunde lang war er nichts als ein Junge mitten im Sprung, kurz vor dem Moment, in dem man aufhört zu fliegen und unvermeidlich auf die Erde zustürzt. Und dann hörte er auf, nur ein Junge zu sein. Sein Körper veränderte sich, die Arme wurden zu Flügeln, die Füße zu Klauen und die Haut überzog sich auf einen Schlag mit Federn. Izz folgte seinem Beispiel. Er riss das Bündel auf seinem Rücken herunter und hielt es mit dem Mund fest, als dieser zu einem Schnabel wurde. Dann stürzte auch er sich vom Sims. Hätten die Leute auf dem Platz die beiden sehen können, hätten sie vielleicht geglaubt, zwei Rochs seien aus der goldenen Kuppel des Gebetshauses entsprungen, als wären sie aus einem geheimnisvollen Ei geschlüpft. Elegant schwebten sie über dem Sand, der sie verbarg, unendlich glücklich, wieder in Bewegung zu sein.

Im Gegensatz zu den Zwillingen hatte Jin sich kaum gerührt, seit wir hier oben angekommen waren. Das beherrschte er gut – Ruhe zu bewahren, während alle um ihn herum unruhig wurden. Doch ich sah ihm seine Ungeduld an. Auch er wartete nur darauf, aktiv werden zu können. Seit Wochen schon trieb ihn diese Anspannung um, seit dem Tag, an dem wir miterlebt hatten, wie Imin anstelle Ahmeds hingerichtet wurde. Seit der Nacht, in der uns klar wurde, dass wir hier gefangen waren und unsere Leute nicht zurückholen konnten. Seine Familie, die er jahrelang beschützt hatte. Manchmal ertappte ich ihn dabei, wie er krampfhaft nach dem Messingkompass griff und wieder losließ. Doch das war das einzige Anzeichen dafür, dass er genauso besorgt war wie wir alle. Jetzt blickte er mich von der Seite an, nur einen Herzschlag lang. Ich hatte gerade Zeit genug, ihm zuzunicken und ihm zu versichern, dass alles in Ordnung war und ich weitermachen konnte. Ich würde ihm nicht sagen, dass der Schmerz von der alten Wunde in meiner Seite höllisch brannte und ich nicht wusste, wie lang ich noch durchhalten konnte.

Jin schenkte mir ein kleines, gequältes Lächeln; ein schwacher Abglanz seines typischen Lächelns aus der Zeit, als alles noch einfacher war und andere Leute diese Rebellion für uns anführten. Das Lächeln, mit dem er mir sagte, dass es gleich Schwierigkeiten geben würde. Jetzt steckten wir bereits in Schwierigkeiten.

Und dann machte er einen Schritt in die Luft.

Maz flog unter ihm her und nahm ihn problemlos auf den Rücken, änderte dann mit einem einzigen, mühelosen Flügelschlag in der Luft seine Richtung und trug ihn zum Palast, wo Izz in seiner ganzen blau gefiederten Pracht auf sie wartete.

Ich atmete beklommen aus und kämpfte gegen den Drang an, meine Hand sinken zu lassen und sie auf meine schmerzende Seite zu pressen. Wir mussten einen Weg durch diese unnatürliche Wand und aus der Stadt hinaus finden. Wir hatten bereits den gesamten Stadtrand von Izman nach einer wie auch immer gearteten Lücke abgesucht – ein Tor, einen schmalen Spalt, durch den wir uns zwängen konnten, irgendetwas. Doch es gab kein Schlupfloch. Das bedeutete, dass wir anderswo nach einem Weg nach draußen suchen mussten. Zum Beispiel im Durcheinander von Papieren auf dem Schreibtisch des Sultans. Dort fand man alles vor, von den Versorgungswegen der Armee bis zu Einladungen an fremde Herrscher zum Auranzeb-Fest, das anlässlich des Jahrestages der Thronbesteigung des Sultans stattfand. Ich selbst hatte diese Papiere während meiner Zeit im Palast durchsucht.

Da wir keinen Spion mehr im Palast hatten, mussten wir selbst hinein, wenn wir an Informationen gelangen wollten.

Dies war längst nicht unser erster Versuch, in den Palast einzudringen. Sam hatte schon vor ein paar Wochen versucht, durch die Palastmauern zu gehen. Seine seltsame albische Magie erlaubte es ihm, durch dicke Steinmauern zu schlüpfen, als seien sie Wasser. Von dieser Gabe hatte man in Miraji noch nie etwas gehört, weshalb niemand wusste, wie man sich dagegen schützen konnte.

Doch wir hatten unseren Trumpf bereits ausgespielt, als der Sultan uns gemeinsam mit den anderen Rebellen fast gefangen genommen hätte.

Nachdem wir mit knapper Not entkommen waren, wusste der Sultan genau, was wir im Ärmel hatten. Er ließ die Palastmauern auf der Innenseite mit Holzpaneelen verkleiden, die für Sam ein genauso undurchdringliches Hindernis darstellten wie für alle anderen.

Mehr noch: Er erwartete uns, als wir es vor ein paar Wochen noch einmal versucht hatten.

Die Kugel hätte Sam direkt ins Herz getroffen, wenn er sich nicht in letzter Sekunde bewegt hätte. Er hatte der Versuchung nicht widerstehen können, sich noch einmal in die Wand zu lehnen, hinter der wir unter dem Schutz von Halas Trugbild warteten, um einen flapsigen, sarkastischen Kommentar abzugeben. Die Kugel traf ihn stattdessen in der Schulter. Es floss eine Menge Blut. Die Flecken waren auf der Wand, als er herauswankte, an meinen Händen, als ich ihn auffing, als er ohnmächtig wurde, und auf Jins Hemd, als er ihn sich rasch auf die Schulter hievte. Und das Blut färbte die vorher sauberen Leintücher auf dem Bett rot, als wir ihn endlich ins Versteckte Haus zurückbrachten und er immer noch atmete. Wenn auch gerade eben. Nicht dass seine Rettung uns auf lange Sicht geholfen hätte.

So lernten wir unsere Lektion. Wir mussten auf eine andere Möglichkeit warten, wenn wir nicht weitere Menschenleben aufs Spiel setzen wollten. Selbst wenn es bedeutete, dass die Gefangenen mit jeder Sekunde, die wir untätig blieben, weiter von uns fortgebracht wurden. Gefoltert wurden. Vielleicht sogar getötet.

Wir mussten abwarten.

Die Sultimsprüfungen waren die Gelegenheit, auf die wir gewartet hatten. Also mussten wir sie nutzen, und wenn es noch so aussichtslos erschien.

Unter mir breitete Izz seine gewaltigen blauen Schwingen aus. Er ließ sich von einem Aufwind des Sandsturms über den Palast tragen, über die Mauern und Gärten des Harems, bis zu der gläsernen Kuppel über den Gemächern des Sultans.

Durch die Wände kamen wir nicht hinein. Egal. Dann versuchten wir eben etwas weniger Diskretes.

Izz ließ die Sprengladung, die er im Schnabel trug, über dem Glasdach fallen. Die Kuppel explodierte. Die Scherben fingen das Sonnenlicht ein, sodass es aussah, als regnete es Sterne vom Himmel. Jin und Maz tauchten durch den neu geschaffenen Eingang in den Palast direkt in die Gemächer des Sultans ein, während Izz zu mir zurückkehrte, um mich zu holen.

Er flog unter mir her und ich atmete tief durch und versuchte, den Sandsturm unter Kontrolle zu halten, auch wenn ich meine Aufmerksamkeit teilen musste. Der Schmerz lenkte mich ab, doch ich musste darauf vertrauen, dass Izz mich auffangen würde, wenn ich sprang. Also beugte ich ein ganz klein wenig die Knie, hielt meinen Körper gerade und sprang ins Nichts. Ich landete auf Izz’ Rücken. Alle Luft entwich aus meiner Lunge und mir wurde schwarz vor Augen. Doch ich ließ nicht los. Während Izz aufstieg, gelang es mir, mich an seinen Rücken zu klammern und gleichzeitig die Wüste unter Kontrolle zu halten.

Uns blieb nicht viel Zeit.

Halas Trugbild sollte die Bewohner von Izman glauben lassen, Shira sei tatsächlich von den Toten auferstanden. Doch der Sultan würde sich nicht so leicht täuschen lassen und uns dahinter vermuten. Und er würde nicht lang brauchen, um sich auszurechnen, dass wir es nicht dabei bewenden lassen würden, seine Leute aufzupeitschen und gegen ihn und seine Söhne aufzubringen. Er würde nach uns suchen. Ich musste Jin noch etwas mehr Zeit verschaffen.

Izz zog mehrere weite Kreise, bis wir uns direkt über der explodierten Kuppel befanden. Jin und Maz waren im Arbeitszimmer des Sultans verschwunden. Ich konnte gerade eben die Kante des Tischs erkennen, an dem der Sultan und ich gesessen und eine Ente verzehrt hatten. Ich hatte sie in seinem Garten geschossen, während er mich manipulierte und Zweifel an Ahmed in mir säte.

Jetzt war der Tisch mit Scherben übersät.

Ich ignorierte den Schmerz in meiner Seite und stemmte mich von Izz’ Rücken hoch, damit ich den Sandsturm sehen konnte. Der Wind fuhr in mein Haar, blies es mir ins Gesicht und zerrte an meinen Kleidern, und ich musste um mein Gleichgewicht ringen. Ich atmete tief durch, rief den Sand zu uns zurück und verstärkte meinen Griff. Dann hob ich die Arme und zog ihn nach oben, als wollte ich, dass der Sturm sich legte. Doch anstatt den Sand auf den Straßen von Izman zu verteilen, riss ich ihn in einem gewaltigen, wirbelnden Strudel in unsere Richtung.

Der Sand schoss an mir vorbei und verfehlte knapp Izz’ Flügel. Die Druckwelle trieb ihn nach oben. Ich ließ nicht locker, als Izz mit den Flügeln schlug und hektisch versuchte, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Ohne mich um den bohrenden Schmerz zu kümmern, ließ ich sämtliche Sandkörner, die ich von Izmans Straßen aufgesammelt hatte, in einem dichten, kontrollierten Strom in die geborstene Kuppel fließen. Ich dirigierte ihn in Richtung des Flurs, der zu den Gemächern des Sultans führte, überflutete ihn, verschloss ihn, wie ein Korken eine Flasche verschließt, und schnitt so den Soldaten den Weg zu Jin ab.

Dann ließ ich los. Endlich ließ der Schmerz nach. Aus dem heftigen Stechen wurde ein dumpfes Pochen, das irgendwann aufhörte. Ich sackte auf Izz’ Rücken zusammen und betrachtete mein Werk. Es würde nicht ewig halten, schließlich war es nur Sand. Irgendwann würden sie es schaffen, sich durchzubuddeln. Doch das sollte mindestens so lang dauern, bis Jin gefunden hatte, was wir brauchten. Wenn es überhaupt da war.

Mit wenigen kräftigen Flügelschlägen trug Izz mich weiter nach oben, außerhalb der Reichweite von Gewehrkugeln, die vom Boden abgefeuert wurden. Aus dieser Höhe sah der Palast wie ein Spielzeugmodell aus. Soldaten eilten bereits zu den Gemächern des Sultans. Auf dem Platz vor dem Palast fielen Männer und Frauen auf die Knie, als die Vision von Shira aus ihren Köpfen verschwand. Die zwölf Prinzen standen wie vom Donner gerührt da. Einer hatte sein Schwert gezogen, ohne dass es etwas zu bekämpfen gab. Andere flohen vor dem Sandsturm, vor der Explosion ganz in der Nähe und vor dem plötzlichen Auftauchen eines riesigen Rochs über ihren Köpfen.

Und dann entdeckte ich unter mir eine einzelne Gestalt. Sie stand in einem der Haremsgärten und blickte zu uns herauf. Ihre Reglosigkeit machte mich auf sie aufmerksam. Ich erkannte sie sofort, selbst aus dieser Entfernung, an der Art, wie sie ihr Haar gebunden hatte, und an der abfallenden Linie ihrer Schultern. Sie glich einer Statue, reglos wie die Abdale, bevor sie zum tödlichen Schlag ausholten.

Leyla.

Unsere Verräterprinzessin.

Sie wirkte winzig von hier oben. Wie eine Maus, die zu einem Falken aufschaut und zu dumm ist, um davonzulaufen.

Ich beugte mich zu Izz’ Kopf vor und wies an ihm vorbei auf Leyla. Auch in Tiergestalt verstand er sehr wohl, was ich wollte. Er sollte mich zu ihr hinunterbringen. Ich spürte, wie er ein paar gewaltige Flügelschläge lang zögerte. Er wollte nicht in den Harem fliegen. Das gehörte nicht zu unserem Plan. Fast hörte ich Shazads Stimme in meinem Kopf. Um Himmels willen, Amani, nein. Wir haben ja nur monatelang versucht, dich aus dem Harem herauszubekommen. Aber nur zu, geh direkt wieder hinein, wenn ich nicht da bin, um dich rauszuholen. Ahmed würde auf ihren guten Rat hören, das tat er immer. Er wäre vorsichtig.

Doch Shazad und Ahmed befanden sich in Gefangenschaft. Wegen Leyla. Ihretwegen lag die Verantwortung für diese Rebellion bei mir, ohne dass es jemanden gab, der mir einen guten Rat geben könnte.

Ich sprach den Befehl aus. »Izz, bring mich nach unten.«

Dieses Mal gehorchte er. Ich hielt mich an seinem Rücken fest, als er im Sturzflug direkt auf die Haremsgärten zu hielt.

Leyla merkte viel zu spät, dass sie unser Ziel war. Als sie sich nach einer Deckung umschaute, waren wir schon bei ihr. Der Luftzug von Izz’ Flügelschlag warf sie hintenüber. Als sie unbeholfen rückwärts kroch, glitt ich von Izz’ gefiedertem Rücken. Zum ersten Mal seit meiner Flucht befand ich mich wieder im Harem. Izz verwandelte sich in einen riesigen blauen Löwen, sprang sie an, bevor sie sich aufrappeln konnte, und drückte sie mit den Vorderpfoten auf den Boden. Sie schrie nicht, als er sie rücklings auf die Erde presste, die messerscharfen Zähne nur Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt, sondern kniff nur die Augen zu, als sei sie bereit zu sterben.

Sie versuchte tapfer zu sein, und das gelang ihr auch ganz gut. Sie hatte etliche Tage bei uns, ihren Feinden verbracht, und ohne mit der Wimper zu zucken so getan, als sei sie auf unserer Seite. Ich hätte sie vielleicht dafür bewundert, wenn sie nicht unsere Feindin gewesen wäre.

»Lass sie aufstehen, Izz«, befahl ich. Er tat es, hob sein Gesicht mit den gefletschten Zähnen und nahm langsam seine schwere Pfote von ihrer Brust. Sobald sie frei war, wich sie hastig zurück, doch schon nach ein paar Schritten stieß sie mit den Schultern gegen die Wand und kam nicht weiter. Für einen langen Augenblick schwiegen wir. Leyla atmete schwer, während sie mich beobachtete. Ich zog meine Pistole und entschied, was genau ich mit ihr tun wollte. So weit hatte ich nicht gedacht, als ich uns hier herunterdirigierte.

»Hm.« Besser, ich ergriff das Wort. »Ich vermute mal, wir haben es deinem brillanten Verstand zu verdanken, dass dieser …« Ich blickte hinauf zu der Feuerkuppel am Himmel und suchte nach dem richtigen Wort. » … dieser ganze Schlamassel über uns hereingebrochen ist.« Ich öffnete die Kammer meiner Pistole, um nachzusehen, wie viele Patronen ich noch hatte. Sechs Schuss. Gut.

»Die Wachen meines Vaters …«, begann Leyla mit leicht zittriger Stimme.

»Ich vermute weiter, dass die Wachen deines Vaters den Befehl erhalten, sich zuerst um seine Papiere zu kümmern und erst danach um seine Tochter.« Um uns herum war es seltsam still. Man hörte nur Leylas panisches Keuchen und das laute Klicken, als die Patronenkammer wieder zurückschnappte.

Sie zuckte bei dem Geräusch zusammen. Vielleicht auch, weil ich die Wahrheit so offen ausgesprochen hatte.

»Du wirst mich nicht töten.« Trotzdem huschte ihr Blick zu meiner Pistole, als sei sie sich nicht sicher. Ich war keine zwei Jahre älter als sie, doch sie wirkte viel jünger. In der Wüste war ich schnell erwachsen geworden. Sie war ein Kind des Palasts. Ich suchte nach Mitgefühl in mir, hatte für das Mädchen, das uns betrogen hatte, jedoch keines mehr übrig. Zu viel hatten wir verloren, weil ich in meiner Leichtgläubigkeit angenommen hatte, sie sei so unschuldig, wie sie aussah.

»Willst du dein Leben darauf wetten?« Ich zielte mit der Pistole auf ihren Kopf und Leyla duckte sich, als könnte sie nicht getroffen werden, wenn sie sich nur klein genug machte. Sie unterschätzte meine Schießkünste. Aber ich drückte nicht ab. »Ich sage dir jetzt, wie es weitergeht.« Ich versuchte so zu klingen, als wüsste ich genau, was ich tat, als sei dies ein richtiger Plan und nicht nur irgendeine dumme, halb ausgegorene Idee. Als sei ich nicht lediglich ein Mädchen aus Dustwalk mit einer Pistole, die so tat, als könnte sie dem brillanten Geist eines Mädchens Informationen entlocken. Eines Mädchens, das aufgrund ihrer Herkunft so weit über mir stand, dass sie mich wahrscheinlich nicht hätte sehen können, selbst wenn sie geruht hätte, auf mich herabzuschauen. »Ich stelle dir jetzt eine Frage und entsichere meine Pistole. Wenn die Antwort ehrlich ausfällt, schlägt die Kugel in die Wand hinter dir. Lügst du, fließt Blut. Ist das klar?«

Das plötzliche, angsterfüllte Begreifen, das sich auf ihrem Gesicht widerspiegelte, ließ keinen Zweifel daran, dass es klar war. Ich war ein Demdji. Ich konnte nur die Wahrheit sagen, und jetzt war nicht ich es, die darüber entschied, ob die Kugel sie traf, sondern sie. Aus dem Augenwinkel glaubte ich zu sehen, wie Izz, immer noch in Gestalt eines Löwen, unbehaglich seine Sitzhaltung veränderte. Ich wusste, was er dachte. Dass ich mich in entsetzlich tiefe Gewässer vorwagte. Doch jetzt war es zu spät, um zurückzurudern.

»So.« Ich zielte auf Leyla. »Wie bringen wir sie denn zum Einsturz, diese kleine Feuerwand, die du um die Stadt errichtet hast?«

Leyla schaute mich direkt an. »Das bringst du nicht fertig.«

Ich drückte ab, noch bevor sie den Mund zugemacht hatte und bevor ich darüber nachdenken konnte, was ich tat. Die Kugel traf sie am Arm. Ihr Schrei war Eingeständnis genug. Rasch ließ ich den Blick über den Garten hinter uns schweifen. Ein Schuss verklang nicht ungehört, nicht einmal im Harem, wo die Frauen Übung darin hatten, die schrecklichen Dinge, die um sie herum geschahen, zu ignorieren.

Ich wandte mich wieder der blutenden Leyla zu. »Denk dran, wie sehr das wehtut, wenn du die Frage noch einmal beantwortest.« Ich versuchte, meine Nervosität zu verbergen, während ich den Hahn spannte und die nächste Patrone ins Lager gleiten ließ. »Antworte, oder diese Kugel trifft dein Knie. Wenn du danach je wieder laufen willst, musst du dir ein Metallbein machen, so wie du Tamid eines gemacht hast. Du erinnerst dich doch noch an Tamid, oder? Ein Freund von mir. Du hast mich glauben lassen, du seist in ihn verliebt, damit du ihn benutzen konntest, um deinen Vater zu uns zu locken.«

Leyla atmete durch die Nase. Ihr war anzusehen, welche Schmerzen sie litt, doch in die Schmerzen mischte sich jetzt Wut. Das geschah mit einem, wenn man angeschossen wurde. »Du kannst die Mauer nicht einreißen«, fauchte sie und redete rasch weiter, bevor ich wieder abdrücken konnte. »Weil ich die Möglichkeit dafür noch nicht gebaut habe. Bis es so weit ist, wird man die Mauer nur los, indem man die Maschine abstellt.« Sie meinte die riesige Vorrichtung, die sie unter dem Palast erbaut und die den Djinni Fereshteh gefangen und getötet hatte. Sie hatte ihn in Energie verwandelt, mit der sie ihre unseligen Maschinen, wie die Abdale, antrieb. Und jetzt befeuerte diese Vorrichtung die gewaltige Flammenkuppel über der Stadt. »Und dafür brauchst du die richtigen Worte.«

Wir brauchten die Worte, die einen Djinni aus der Falle befreien würden, in die ich ihn und die anderen gelockt hatte. Damit konnten wir sowohl die lebenden Djinn als auch Fereshtehs Energie freilassen, die Leylas sämtlichen Erfindungen Leben einhauchte.

Tamid hatte die Worte gefunden, mit denen die Djinn herbeigerufen und festgehalten werden konnten. Doch es waren nur Worte, bis ein Demdji sie aussprach. Dann wurden sie zu einer allmächtigen Wahrheit. So hatte ich die Djinn im Palast gefangen gesetzt. Den ganzen letzten Monat hatte Tamid nach den Worten gesucht, mit denen die Djinn wieder befreit werden konnten. Bis jetzt hatte er sie nicht gefunden.

Ich spannte den Hahn erneut. Dieses Mal fuhr die Kugel in die Wand hinter ihr. Verdammt, sie sagte die Wahrheit.

»Kennst du die Worte, mit denen man einem Djinni die Freiheit schenken kann?«, fragte ich. Sie hatte uns zwar schon gesagt, dass sie sie nicht wusste, doch das war, als sie noch die arme kleine Prinzessin mit den verweinten Augen spielte und ich zu vertrauensselig war, um nachzuhaken.

»Nein.« Die dritte Kugel bohrte sich in die Wand. Steinsplitter explodierten in alle Richtungen und sie wich zur Seite hin aus. Wenigstens in einem Punkt hatte sie die Wahrheit gesagt.

Leyla begann zu weinen. Die Gartenmauern warfen ihr lautes Schluchzen als Echo zurück.

Das war der dritte Schuss, der innerhalb des Harems gefallen war. Irgendjemand sollte doch inzwischen gekommen sein. Etwas stimmte nicht. Ich lauschte auf andere Geräusche außer Leylas Weinen. In der Ferne glaubte ich, die Schreie aufgescheuchter Vögel zu hören. Wahrscheinlich kamen sie aus der Menagerie, wo sie gefangen gehalten wurden. Der laute Knall hatte sie aufgeschreckt und sie konnten nicht wegfliegen. Doch andere Schreie waren nicht zu hören – keine Hilferufe der Frauen, die durch die Schüsse in ihrer Nähe in Panik geraten wären. Nur Brunnenplätschern und die Hintergrundgeräusche aus der Stadt.

»Warum ist es so still hier?« Meine Frage war nicht an Leyla gerichtet, doch sie beantwortete sie dennoch.

»Es ist niemand mehr hier«, schluchzte sie. »Mein Vater hat alle weit weg geschickt, an einen sicheren Ort außerhalb der Stadt.« Sie sprach es nicht aus, doch fast hörte ich das Nur damit du es weißt, das sie zu gern hinzugefügt hätte. Als wollte sie mich glauben machen, es sei ein Fehler, ihren Vater als Bösewicht in dieser Sache hinzustellen. Als sei er ein Mann, der sich um seine Frauen und Söhne sorgte und sie in Sicherheit brachte. Doch es war mir gleichgültig, was ich von ihrem Vater halten sollte. Nicht gleichgültig war mir die Art und Weise, wie sie es gesagt hatte. Er hat sie alle weit weg geschickt.