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Stefana Sabin

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Beschreibung

Andy Warhol (1928 – 1987) galt als Papst der Popkunst; mit Bildern von Produkten der Lebensmittel- und Unterhaltungsindustrie wurde er zum Star der internationalen Kunstszene, mit Filmen zum Meister des experimentellen Kinos, mit Porträts zum Liebling des Jet-set. Warhols künstlerische Entwicklung sinkt ab von der Erfindung avantgardistischer Darstellungsformen zur Routine gefälliger Verkaufskunst, sein Lebensweg steigt auf aus der Armut seiner Pittsburgher Jugend zum Glanz seiner New Yorker «Factories». Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

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Stefana Sabin

Andy Warhol

Über dieses Buch

Andy Warhol (1928–1987) galt als Papst der Popkunst; mit Bildern von Produkten der Lebensmittel- und Unterhaltungsindustrie wurde er zum Star der internationalen Kunstszene, mit Filmen zum Meister des experimentellen Kinos, mit Porträts zum Liebling des Jetset. Warhols künstlerische Entwicklung sinkt ab von der Erfindung avantgardistischer Darstellungsformen zur Routine gefälliger Verkaufskunst, sein Lebensweg steigt auf aus der Armut seiner Pittsburgher Jugend zum Glanz seiner New Yorker «Factories».

 

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Vita

Stefana Sabin hat in Frankfurt, Haifa und Los Angeles studiert und 1982 mit einer literaturwissenschaftlichen Studie promoviert. Sie schreibt für das Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung und gehört der Redaktion des Onlinemagazins Faust-Kultur an. Sie hat mehrere Anthologien zeitgenössischer Prosa herausgegeben, Biographien verfasst und kulturgeschichtliche Essays veröffentlicht. Eine Auswahl ihrer Aufsätze ist in dem Band «Die Wahrheit der Literatur» (2011) erschienen. 2014 gab sie eine Sammlung von Aufsätzen zur Säkularisation heraus («Politik ohne Gott»), und 2019 ist «AugenBlicke. Eine Kulturgeschichte der Brille» erschienen.

Vorwort

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts veränderten der wirtschaftliche Aufschwung und die Entwicklung der elektronischen Medien das Habitat des Menschen: Die natürliche Umwelt wurde mehr und mehr durch in Serie hergestellte Industrieprodukte und elektronisch reproduzierbare Bilder verdrängt. Die Massenproduktion von Bildern unterminierte die Einzigartigkeit des einzelnen Bildes und stellte die Besonderheit der Kunst in Frage: Unendlich oft reproduziert, als Postkarte für Pfennigbeträge käuflich, musste die «Mona Lisa» zum ersten Mal mit einer Schar anderer Frauen konkurrieren, die von den Plakatwänden der Großstädte und aus den Seiten der Zeitschriften lächelten. In der Flut von Bildern drohte die bildende Kunst zu verschwinden.

So begann die Kunst in den fünfziger Jahren, die Medien-Umwelt abzubilden und sich an den Objekten und Symbolen der Konsumgesellschaft und der Massenkommunikation zu orientieren. Bunte Bilder, Collagen und Montagen, die Gegenständen des Alltags Darstellungs- und Ausstellungswert verliehen und eine neue, auf den Zeichen der Werbe- und Medienwelt beruhende Ikonographie begründeten, wurden als «pop» beschrieben – ein Wort, das als Interjektion im britischen wie im amerikanischen Englisch «klatsch» oder «patsch» bedeutet und daher geeignet war, Knalliges zu bezeichnen. Der Begriff «Pop-Art», der dem englischen Kunstkritiker Lawrence Alloway zugeschrieben wird, steht für eine Kunst, die der Banalität, ja Vulgarität der Konsumgesellschaft ästhetisch Rechnung tragen wollte und gerade durch ihre bewusste Bezugnahme auf die Alltagssphäre und das Tagesgeschehen einen gesellschaftskritischen Charakter besaß.

Nirgends wurde die Popkunst so produktiv wie in den USA, wo die Grenze zwischen Kunst und Trivialität ohnehin durchlässiger war. «Objekt ist Tatsache, nicht Symbol», erklärte 1961 der amerikanische avantgardistische Komponist John Cage, der die dadaistischen Ideen von der Aufhebung der Grenzen zwischen Kunst und Wirklichkeit weiterführte: Indem er in seine Kompositionen alltägliche Geräusche einbezog, ließ er das Leben in die Kunst eindringen und kombinierte erfundenes Material mit gefundenem. Ähnlich verfuhr der Künstler Robert Rauschenberg, als er in seinen «Combine paintings» dreidimensionale Gegenstände auf die Oberfläche seiner abstrakt-expressionistisch gemalten Bilder klebte; mit dicken Wachsbildern der amerikanischen Flagge schockierte Jasper Johns nicht nur die Sehgewohnheiten des kunstbeflissenen Publikums, sondern auch dessen nationalistische Gefühle. Diese Künstler griffen auf das Konzept der «Ready-mades» von Marcel Duchamp zurück: Indem sie den Alltag zum Fundus und Stimulus der Kunst erklärten, relativierten sie zugleich die Kategorien von Originalität, Erfindungskraft und Schönheit und machten die Produkte der Wirtschaft und der Medienindustrie kunstwürdig. «All is pretty» – «Alles ist hübsch», entschied Richard Lindner und erklärte das New Yorker Kaufhaus Macy’s zum neuen Louvre. Mit dem Satz «Pop Art is liking things» – «Pop-Art heißt, Sachen zu mögen», definierte Andy Warhol die Kunstrichtung, zu deren berühmtestem Vertreter er selbst werden sollte.

Werbung, Comicstrip und die Massenmedien ebenso wie die alltäglichen Industrieprodukte boten Sujets auch für Claes Oldenburg, Roy Lichtenstein, Tom Wesselmann und James Rosenquist, die eine der Konsumwelt entnommene Ikonographie zu einer neuen Ästhetik umformulierten: Große Formate, grelle Farben und Flächenkontraste bestimmten ihre Bilder. Die Popkunst war gegenständliche Kunst, die in programmatischem Gegensatz zum Abstrakten Expressionismus eines Jackson Pollock oder Mark Rothko stand. Um eine unverschlüsselte Aussage bemüht, verleugnete sie nicht ihr Gefallen an den trivialen Industrie- und Medienprodukten und füllte die Kunst mit der modernen Lebenswirklichkeit. Nach Roy Lichtenstein war Popkunst «antikontemplativ, antigeheimnisvoll», und Claes Oldenburg bekannte sich zu einer einfachen Kunst als vorgefertigter, ausgeglichener Mahlzeit. So erklärt sich, dass «Pop» seit den sechziger Jahren auf das Wort «populär» bezogen wurde: Popkunst war «populär», nicht «elitär».

Einfache und billige Druckverfahren eröffneten den Popkünstlern neue Verbreitungsmöglichkeiten: Als Offsetdrucke kosteten ihre Bilder nicht viel mehr als ein gebundenes Buch. Die Popkunst profitierte von den modernen Vervielfältigungstechniken und vergrößerte die Bilderflut. Vordergründig einfach, schön bunt und erschwinglich wurden die Popbilder zu einem weiteren Konsumprodukt der Überflussgesellschaft. Aber auch durch ihre Bezugnahme auf frühere Kunstrichtungen und ihr ironisches Zitieren aus dem Repertoire der Kunstgeschichte machte die Popkunst die Kunst populär.

Die Popbilder waren keine einfachen Abbilder: Ihr Realismus bedeutet nicht das unkritische Nachahmen der Wirklichkeit, sondern die Bloßlegung von gesellschaftlichen Verhaltensmustern und Gewohnheiten. Die überdimensionalen Hamburger-Skulpturen von Claes Oldenburg oder die Bilder von Roy Lichtenstein, die mit ihrem genauen Rastermuster wie Vergrößerungen von Comicstrips aussehen, repräsentierten eine Gesellschaft, die «junk», «Schund», aß und «junk» las. Auf ihre Weise waren die Popkünstler Visionäre: Nicht das real Existierende bildeten sie ab, sondern ihre Abbildungen schufen Existenz. Den vertrauten Industrieprodukten oder den Fotos der Massenmedien verliehen die Popbilder durch die puristische Genauigkeit der Zeichnung und die plakative Farbigkeit eine besondere Kraft: Als Kunstwerke, die kein Verfallsdatum mehr kannten, gewannen die Wegwerfprodukte und kurzlebigen Medienbilder eine neue Realität. Die Popkunst wurde geradezu zur Metapher der Konsum- und Mediengesellschaft und übernahm die Rolle des Dandy, des distanzierten, amüsierten, toleranten und zugleich bissig-ironischen Beobachters.

Diese Rolle spielte kein Künstler so konsequent wie Andy Warhol. Als Werbekünstler zum Star der Kunstszene geworden, wurde er zum Werbeträger seiner Kunst. Er errichtete eine Kunst-Werkstatt, eine Factory eben, in der er die Bilder und Ikonen der Konsumgesellschaft serienmäßig reproduzierte, und die Produkte verkaufte er – wie im Supermarkt – sowohl einzeln als auch billiger im Dutzend. In Warhols Factories vollzog sich der Wandel von der Kunstszene zum Kunstmarkt, und sein Schaffen bewegte sich von der Innovation avantgardistischer Popkunst hin zur Routine der gefälligen Verkaufskunst. Aber seine Karriere steht auch für den «American Dream», den «amerikanischen Traum» von Reichtum und Berühmtheit. Warhols Lebensweg von der Armut seiner Jugend in Pittsburgh zum Glanz seiner New Yorker Factories und seine künstlerische Entwicklung von den Zeichnungen seiner Studienzeit zu den Autobildern seiner letzten Jahre sollen hier nacherzählt werden.

Von Pittsburgh nach New York

Im Jahre 1754 errichteten die Franzosen am Zusammenfluss von Allegheny und Monongahela zum Ohio das Fort Duquesne. Nach dem Abzug der Franzosen wurde es durch die Engländer 1759 als Fort Pitt wiederbegründet; in seiner Nähe legte Joseph Campbell 1764 einen Handelsposten an, der 1816 Stadtrecht erhielt. Dank ausgedehnter Steinkohlelager, Erdgas- und Erdölfelder war Pittsburgh bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts das Zentrum der nordamerikanischen Schwerindustrie – die Stadt, in der Industriemagnaten wie Andrew Carnegie und H.C. Frick ihre legendären Vermögen gemacht hatten. Die Hochöfen und Walzwerke des Konzerns U.S. Steel zogen sich im Tal oberhalb der Halbmillionenstadt über 20 Kilometer hin, Crusible Steel und Westinghouse besaßen hier ihre größten Werke. Rauch und Ruß lagen wie eine Decke über der Stadt, und aus den Stahlwerken und Kokereien schossen ständig Flammen empor, sodass die Stadt wie von Feuern umringt war. Die Arbeiter in diesen Werken waren größtenteils Einwanderer aus Osteuropa, die in der Neuen Welt besser zu leben hofften als in der Alten.

Einer dieser Einwanderer war Ondrej Warhola. Er war Ruthene, stammte also aus den Transkarpaten, einem Gebiet zwischen Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und Russland, das bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zur Donaumonarchie gehörte. Er war mehrere Male nach Amerika gekommen, aber immer wieder in seine Heimat zurückgekehrt, wo er 1909 Julia Zavacky heiratete. Erst als nicht nur die allgemeine wirtschaftliche Lage in Europa sich verschlechterte, sondern Ondrej auch befürchten musste, in die kaiserlich-königliche Armee eingezogen zu werden, emigrierte er 1912 endgültig nach Amerika und ließ seine Frau auf dem Bauernhof seiner Eltern zurück. Dort überlebte Julia trotz Kälte und Hungersnot den Ersten Weltkrieg; mit angeblich vom Pfarrer geborgtem Geld reiste sie 1921 zu Ondrej nach Pittsburgh.

In Pittsburgh gehörten die Warholas zu den «Hunkies», wie die osteuropäischen Arbeitsimmigranten herablassend genannt wurden; sie sprachen schlecht Englisch und bildeten durch ihre Zugehörigkeit zur ruthenischen Kirche[1] eine Minderheit in der Minderheit. Zwar waren sie Katholiken, ihr Ritus zeigte aber noch Anklänge an die byzantinische Kirche, statt einem Bischof unterstanden sie einem Metropoliten. Ondrejs Entschluss, sich in Pittsburgh niederzulassen, war sicher von den günstigen Arbeitsbedingungen in dieser Industriestadt bestimmt, jedoch muss die Tatsache, dass die Stadt Sitz des ruthenischen Metropoliten und damit das Zentrum der ruthenischen Kirche war, ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Denn die Warholas waren strenggläubig, regelmäßige Kirchgänge gehörten zum Familienalltag. Ondrej arbeitete für die Baufirma Eichleay und bewohnte mit seiner Familie eine Zweizimmerwohnung im Armenviertel Soho, 73 Orr Street, nur einige Blocks von der Kirche entfernt.

Am 26. Juni 1922 wurde das erste Kind der Warholas, Paul, geboren, am 31. Mai 1925 folgten John und am 6. August 1928 Andrew. Die Weltwirtschaftskrise traf die Industriestadt Pittsburgh besonders schwer, auch Ondrej verlor vorübergehend seine Stelle. Julia nahm Putzarbeiten an und versuchte darüber hinaus, mit selbstgemachten Blechblumen, die sie aus Konservendosen herstellte und für 25 Cents verkaufte, das Einkommen der Familie aufzubessern. Die fleißigen und sparsamen Warholas konnten 1934 auf die andere Seite der Stadt nach South Oakland in ein eigenes Haus ziehen, für das sie 3200 Dollar bar bezahlten. 3252 Dawson Street war ein einstöckiges Backsteinhaus; im Erdgeschoss befand sich ein rund zwölf Quadratmeter großes Wohnzimmer, dahinter lag die Küche, der erste Stock war in zwei Schlafzimmer aufgeteilt. Das Elternschlafzimmer lag zur Straße, das hintere Zimmer teilten sich John und Andrew, und Paul wandelte den Dachboden in einen Wohnraum für sich um. Als besonderer Komfort galten das kleine Badezimmer mit Wanne und der Garten, in dem Julia Gemüse zog. Um den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen, arbeitete Ondrej zwölf Stunden und mehr am Tag und nahm auch Aufträge außerhalb der Stadt an. Von meinem Vater habe ich nicht viel gesehen, er war meist in den Kohlebergwerken[2], erinnerte sich Andrew.

Das Haus lag einen Häuserblock von der Holmes-Grundschule entfernt, die Andrew ab 1934 besuchte. 1934 erkrankte er an Scharlach, 1936 an Veitstanz (Chorea minor); er blieb lange Zeit im Bett und wurde von Julia umsorgt, die ihm Filmmagazine, Comics und Malbücher brachte und ihn anwies, Papierfiguren auszuschneiden. Trost spendete ihm auch das neue Radiogerät, das im kleinen Wohnzimmer auf dem Kamin thronte. Ich hatte als Kind in drei Jahren hintereinander Nervenzusammenbrüche gehabt, einen mit acht Jahren, einen mit neun und einen mit zehn. Die Anfälle – Veitstanz – fielen immer auf den ersten Tag der Sommerferien. (…) Ich brachte dann den ganzen Sommer im Bett zu, hörte Radio, spielte mit meiner Charlie-McCarthy-Puppe und mit meinen nicht ausgeschnittenen Ausschneidepuppen, die überall auf der Bettdecke und unter dem Kopfkissen herumlagen.[3] Aus dieser Zeit stammen Andrews Begeisterung für Comic-Helden wie Superman und Dick Tracy und seine Leidenschaft für Schokolade, denen er sein Leben lang frönen wird. Meine Mutter las mir, so gut sie mit ihrem breiten tschechischen Akzent konnte, Dick-Tracy-Comic-Hefte vor. Wenn sie fertig war, sagte ich immer: «Danke, Mama», auch wenn ich kein Wort verstanden hatte. Und jedesmal, wenn ich eine Seite in meinem Malbuch fertig hatte, gab sie mir einen Hershey-Schokoriegel.[4]

Die langen Krankheiten hinterließen sichtbare und unsichtbare Spuren: Die ständige Hautirritation, der Pigmentmangel und verschiedene Allergien machten aus Andrew einen schüchternen Jungen voller Komplexe und mit einer starken Mutterbindung. Auf die Lektüre der Film- und Mode-Illustrierten sollte er nie mehr verzichten; die Kinostars aus Hollywood und die Modeschöpfer aus New York wurden und blieben für ihn der Inbegriff von Erfolg. Der kränkliche, hässliche, arme Junge im schmutzigen Pittsburgh entdeckte in diesen Illustrierten eine bunte, lustige Welt voller gesunder, schöner, reicher Menschen – wie sie zu leben, war sein Wunsch. Später sollten dieselben Illustrierten dem etablierten Künstler Andy Warhol bestätigen, dass er zu dieser Welt gehörte und sein Traum Wirklichkeit geworden war.

Mitte der dreißiger Jahre erlag ganz Amerika dem Charme des Kinderstars Shirley Temple, die in ihren Filmen auch tanzte und sang. Andrew imitierte ihre Gesten und Bewegungen und schrieb ihr einen Fanbrief, der prompt mit einem Autogrammfoto beantwortet wurde – der Anfang einer großen Sammlung, in der dieses Foto einen besonderen Platz einnehmen sollte. Andrew wurde ein fleißiger Kinogänger und verfolgte in der Boulevardpresse die Karrieren der Filmstars. Ich ging leidenschaftlich gern ins Kino und hoffte vermutlich, daß die Filme mir was übers Leben beibringen würden. (…) Seit das Kino erfunden wurde, bestimmt es das Leben in Amerika. Es zeigt dir, was du tun sollst, wann und wie du’s tun sollst, was für Gefühle du dabei haben sollst und wie du aussehen sollst, wenn du diese Gefühle hast.[5] Mitte der vierziger Jahre schwärmte er dann für Elizabeth Taylor, die 1944 ihre erste große Rolle an der Seite von Mickey Rooney in dem Film «National Velvet» spielte. Liz Taylors Karriere und Leben schienen von den Klatschkolumnen der Boulevardpresse gemacht zu sein, auch noch für den Künstler Warhol symbolisierte sie Ruhm und Glamour Hollywoods.

1941 erkrankte Ondrej Warhola an Gelbsucht; obwohl es ihm lange Zeit sehr schlecht ging, weigerte er sich, ins Krankenhaus gebracht zu werden, weil er fest davon überzeugt war, es nicht mehr lebend zu verlassen. Als er sich schließlich doch ins Krankenhaus bringen ließ, war es zu spät, und er starb fünf Tage nach seiner Einlieferung am 15. Mai 1942 an Bauchfellentzündung. Nach Ondrejs Tod mussten John und Paul für den Unterhalt der Familie sorgen: John nahm Gelegenheitsjobs an, und Paul arbeitete in einem Walzwerk, bevor er zur Armee einberufen und nach Europa an die Front geschickt wurde. Andrew besuchte ab 1942 die Schenley High-School. Wenn ich an meine High-School-Zeit denke, fällt mir nur der lange Schulweg durch das tschechische Ghetto ein, mit den Babuschkas und den blauen Arbeitsanzügen an den Wäscheleinen.[6] In der Schule fiel seine Zeichenbegabung auf, und das Lehrerkollegium schickte ihn zu den kostenlosen Kunstkursen des Carnegie Museum of Art, die jeden Samstagnachmittag stattfanden und ihn nicht nur in Zeichen- und Maltechniken einführten, sondern auch mit der Kunstgeschichte bekannt machten. Aus dieser Zeit stammt das erste Selbstporträt: 1942 zeichnete er sich mit dicken Lippen, unförmiger, wulstiger Nase und buschigen Augenbrauen. Immer wieder machte er Kopfstudien, immer wieder von sich selbst. Ein Vergleich späterer Porträts mit Kopfstudien von Henri Matisse zeigt, dass Andrew Warhola von dem französischen Maler die gekünstelte Kopfhaltung übernommen hatte, vor allem aber die einfache und sparsame Strichführung, die er auch weiterhin beibehalten sollte. Die dekorativen Blumenbilder von Matisse müssen ihn an die Blechblumen seiner Mutter Julia erinnert haben: In die Ästhetik der Popkunst übersetzt, wurden die Blumen Teil der Warhol’schen Ikonographie.

Julia Warholas Gesundheitszustand verschlechterte sich, und 1944 stellte man Dickdarmkrebs fest; der Arzt gab ihr eine fünfzigprozentige Überlebenschance, wenn sie sich einer Operation unterziehen würde. Obwohl die Operation erfolgreich verlief und sie sich schnell erholte, war Julia davon überzeugt, die Operation sei eine Machenschaft der Ärzte und medizinisch unnötig gewesen. Andrew übernahm dieses Misstrauen gegenüber der Medizin und hegte es bis zuletzt.

Im Herbst 1945 schrieb sich Andrew am Pittsburgher Carnegie Institute of Technology als Student des Department of Painting and Design ein und belegte «Pictorial Design» als Hauptfach. Die «Pittsburgh-Millionäre», wie die Industriemagnaten Andrew Carnegie, H.C. Frick und Andreas William Mellon genannt wurden, betätigten sich – amerikanischer Tradition folgend – auch als Mäzene und Förderer des Bildungswesens, indem sie der Stadt mehrere Kultur- und Forschungsinstitute stifteten. Das Mellon Institute for Industrial Research war eine ebenso renommierte Adresse wie das Carnegie Institute of Technology, dessen Kunstabteilung das Gedankengut und die Kunstauffassung des Bauhauses weiterführte.

Im ersten Studienjahr hatte Andrew große Schwierigkeiten mit den philosophischen Pflichtseminaren, er wurde erst ins zweite Jahr versetzt, als er die während der Sommerferien angefertigten Zeichnungen vorlegte. Er hatte zusammen mit seinem Bruder John von einem Wagen aus Obst und Gemüse verkauft, und während sie durch die ärmsten Viertel Pittsburghs zogen und John mit den Kunden feilschte, zeichnete Andrew. Seine Skizzen von engen Straßen und heruntergekommenen Häusern, seine Porträts müder, abgearbeiteter Menschen vermitteln einen Eindruck von den sozialen Verhältnissen in der Stadt, sie zeigten aber auch, dass Andrew ein aufmerksamer Beobachter und geschickter Zeichner war. Diese Zeichnungen nun sicherten ihm nicht nur die Fortsetzung des Studiums am College, sie brachten ihm auch ein Stipendium ein und machten ihn, da sie auf dem Campus ausgestellt wurden, unter den Kunststudenten bekannt. Galt er schon als Original, so bestätigte er seinen Ruf, indem er einer Tanztheatergruppe beitrat; aus dieser Zeit stammt wohl seine Vorliebe für schwarze Rollkragenpullover, wie sie die Tanz-Studenten trugen. Diese dunkle Kleidung muss seine Gesichtsblässe und die wulstige Nase betont haben, denn er bekam den Spitznamen «Andy, the rednosed Warhola», der «rotnasige Warhola», in Anspielung auf ein populäres Weihnachtslied.[7]

Im zweiten Studienjahr freundete sich Andrew Warhola mit Philip Pearlstein an, der aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt war und sein Studium wiederaufnahm. Pearlstein, den der Krieg nach Europa verschlagen hatte, beeindruckte Andrew durch seine Weltläufigkeit, durch sein kunstgeschichtliches Wissen und vor allem durch Bilder, die das Magazin «Life» schon 1941 veröffentlicht hatte. Mit Pearlstein und einigen anderen Kommilitonen mietete Andrew einen Schuppen, in dem sie sich trafen, um ihre Zeichenaufgaben zu erledigen, und den sie alle als «Studio» bezeichneten.

Zu den Pflichtseminaren, die Andrew besuchte, gehörte der Kurs «Medien und Vervielfältigungen». Er war als Einführung in die «Medien, die der Künstler bei der Herstellung von Bildern für Vervielfältigungszwecke benutzt, die Verfahren der Vervielfältigung, nach denen sie auf die Druckseite übertragen werden, und die Bedeutung dieser Verfahren für die Wahl des Mediums und seine Handhabung»[8] angekündigt. Zusammen mit Pearlstein besuchte er zwischen 1947 und 1949 bei Professor Robert Lepper die Pflichtseminare «Pictorial Design I» und «Pictorial Design II». Das Vorlesungsverzeichnis erläuterte als Ziel des ersten Seminars: «Konzeption und Herstellung von Illustrationen, Werbegraphik und andere Arten von Auftragsarbeit sollen den Künstler als Teilhaber und Mitgestalter am gesellschaftlichen Prozess zeigen. Die kritische Analyse einschlägiger Beispiele soll zur Wahrnehmung und Einschätzung aktueller Richtungen auf diesen Gebieten motivieren.» Im zweiten Seminar ging es um gestalterische Probleme: «Aufgaben zur Illustration, Werbegraphik und Wandmalerei, die nach bestimmten Vorgaben gelöst werden müssen, wechseln ab mit anderen, die zu vollkommener konzeptioneller Freiheit ermuntern. Mehr und mehr wird der Zusammenhang zwischen Entwurf und technischer Ausführung betont.»[9]

Lepper stellte den Studenten thematische Aufgaben, die eine genaue Beobachtung von individuellem Verhalten und gesellschaftlichem Habitus voraussetzten.[10] Eine dieser Aufgaben war die graphische Darstellung der Konsum- und Warenwelt, wobei die Studenten angehalten wurden, ein signifikantes Einzelobjekt aus der Menge von Produkten zu isolieren, das Symbolfunktion übernehmen könne. Das Konzept, einen komplexen gesellschaftlichen Sachverhalt durch die Darstellung eines einzelnen Objekts zu veranschaulichen, lässt sich durch das ganze spätere Werk Warhols verfolgen: Die Stiefel-Bilder der fünfziger Jahre sind dieser Darstellung des Pars pro Toto genauso zuzurechnen wie die Suppendosen der sechziger Jahre. Professor Lepper stellte auch die Aufgabe, Kurzgeschichten oder Romane zu illustrieren. Aus dem Jahre 1947 stammt ein Aquarell Andrews, das eine Szene aus der Geschichte «Die Leiden unserer Sterblichkeit» von Katherine Anne Porter aufgreift: Die Geschwister Miranda und Maria entkommen dem strengen Internat, einer Klosterschule, als ihr Vater und ihr Cousin sie zum Pferderennen ausführen. Das Aquarell zeigt zwei junge Frauen in auffälliger Kleidung und ihnen gegenüber zwei sich autoritär gebärdende Männer, wobei die Überzeichnung der Figuren auf Toulouse-Lautrec verweist, die Darstellung des gesellschaftlichen Habitus auf George Grosz und die perspektivische Organisation des Bildes auf Ben Shahn. Die Charakterisierung der Figuren durch Merkmale ihrer Kleidung und die Darstellung der sozialen Beziehungen durch typische Gesten – der Vater mit erhobenem Zeigefinger – entsprechen jedoch der Aufgabenstellung des Lepper-Kurses.

Die Stipendien des Carnegie Institute reichten zwar für die Bezahlung der Studiengebühren aus, den Lebensunterhalt musste sich Andrew jedoch selbst verdienen: So arbeitete er 1948 als Schaufensterdekorateur im Kaufhaus Horne. Einmal hatte ich einen Sommerferienjob in einem Kaufhaus. Ich mußte für Mr. Vollmer (…) Modejournale wie Vogue und Harper’s Bazaar sowie einige europäische Modezeitschriften durchsehen. Ich bekam ungefähr fünfzig Cent in der Stunde, und ich sollte nach Ideen suchen. Ich kann mich nicht erinnern, daß ich je eine gefunden hätte (…) Mr. Vollmer war ein Idol für mich, weil er aus New York kam, und das schien mir ungemein aufregend.[11]

Auf dem Campus war Andrew als zwanghafter Zeichner bekannt, der immer kritzelte: Zu Weihnachten schickte er seinen Freunden selbstentworfene Karten, und bei einer Ausstellung der Pittsburgher Künstlervereinigung stellte er Zeichnungen aus. Der Originalität seiner Zeichnungen verdankte er die Stelle des graphischen Direktors bei der Campus-Zeitschrift «Cano»: Für den Umschlag der Novemberausgabe 1948 entwarf er ein Bild mit einem Dutzend rundgesichtiger Violinspieler; während die parallel gehaltenen Bögen ein regelmäßiges diagonales Gittermuster bilden, weisen die Gesichter minimale, jedoch deutliche Unterschiede auf, sodass schon hier seine Methode der späteren Serienporträts angelegt ist. Darüber hinaus ist dieser Umschlag im «blotted line»-Verfahren hergestellt, einer monotypischen Drucktechnik, die eine vielfache Reproduktion erlaubt und durch eine leichte, teilweise unterbrochene, gepunktete Umrisslinie (blotted line) gekennzeichnet ist. Dieses Verfahren ist ebenso einfach wie bedeutungsvoll für Warhols künstlerische Entwicklung. Einfach in der Ausführung, stellt es einen ersten Schritt auf dem Weg zur mechanischen Herstellung von Bildern dar, die Warhols Werk bestimmen sollte: Auf wasserabweisendem Papier wird zunächst eine Bleistiftzeichnung angelegt; deren Linien werden mit Tinte nachgezogen, und die feuchte Zeichnung wird auf ein zweites Blatt gepresst, das zwar das erste Druckblatt ist, aber als Original gilt. Dieser Vorgang lässt sich beliebig oft wiederholen, das Nachziehen des Bleistiftoriginals mit Tinte können auch andere Personen besorgen. Diese Technik lässt sich variieren, indem man zum Beispiel durchsichtiges Papier benutzt, um ein Foto nachzuzeichnen und auf das Original zu übertragen. Das Offsetverfahren, das dann wesentlich zur Verbreitung der Popkunst beigetragen hat, führt einen Zwischenträger (Gummimatte) in den Druckvorgang ein, um die spiegelbildliche Verkehrung rückgängig und Schriftteile wieder lesbar zu machen. Die Technik der gepunkteten Linie erlaubte dem Studenten Warhola, seine Pflichtzeichnungen mit einem Minimum an Zeit, Material und Kreativität herzustellen. Die mehrfache Verwendung desselben Motivs mit nur geringer Variation sollte sich bis zu den Serigraphien und Fotografien der New Yorker Jahre halten.

Schon 1947 war Andrew mit Philip Pearlstein in New York gewesen, im September 1948, nach Abschluss des Studiums, fuhren sie erneut hin. In der Redaktion der Zeitschrift «Glamour» zeigte Andrew seine Zeichnungen Tina Fredericks, die versprach, ihn als freien Mitarbeiter zu beschäftigen. Das Gesprächsthema in New York, «the talk of the town», war der gerade veröffentlichte Roman «Other Voices, Other Rooms» («Andere Stimmen, andere Räume») von Truman Capote. Die erotische Thematik und die Kühnheit der Sprache machten den dreiundzwanzigjährigen Autor zum Star der Literaturszene. Aber vor allem das provozierende, latent homoerotische Foto auf der Rückseite des Buchs beeindruckte Andrew, der sich in der gleichen Pose fotografieren ließ und Illustrationen zu Capotes Roman schuf.

Bei der Ausstellung der Pittsburgher Künstlervereinigung im März 1949 reichte er jedoch ein anderes Bild ein, das an George Grosz, Ben Shahn und Paul Klee anknüpfte und einen Jungen zeigt, der in der Nase bohrt: The Broad Gave Me My Face, But I Can Pick My Own Nose wurde zum Skandalon. Die ikonographischen Bezüge sind nicht zufällig, da er Bilder dieser Künstler im New Yorker Museum of Modern Art gesehen hatte, von Ben Shahn sogar eine große Einzelausstellung. Von den meisten Mitgliedern der Jury, die die Bilder auswählte, wurde Andrews Bild als moralisch anstößig und ästhetisch minderwertig abgelehnt; George Grosz, der auch der Jury angehörte, soll diese umzustimmen versucht haben, scheiterte aber. Auf dem Campus dennoch ausgestellt, lockte dieses Bild mehr Besucher an als die Ausstellung der Künstlervereinigung.

Sei es, dass dieser Publikumserfolg den Entschluss gefördert hatte, nach New York zu ziehen, sei es, dass die Versuche, in Pittsburgh Arbeit zu finden, fehlgeschlagen waren: Im Sommer 1949 ließen sich Andrew Warhola und Philip Pearlstein jedenfalls in New York nieder, wo sie anfangs zusammen wohnten und Arbeit suchten. New York war damals nicht nur das literarische Zentrum Amerikas und die Hochburg der Kunst, sondern auch die Hauptstadt der Werbung. Die Konsumgesellschaft formierte sich: Eine kauffreudige Bevölkerung wurde ständig mit neuen Produkten konfrontiert, die die Werbung zu unverwechselbaren Objekten zu stilisieren versuchte. Der wirtschaftliche Aufschwung zog einen Reklameboom ohnegleichen nach sich: Anfang der fünfziger Jahre kletterte der jährliche Werbeetat der amerikanischen Wirtschaft auf neun Milliarden Dollar, also auf 53 Dollar pro Einwohner des Landes. Immer mehr Werbeseiten füllten die Zeitschriften und finanzierten sie dadurch, sodass der Reklameboom einen Illustriertenboom nach sich zog. Die Art-Direktorin von «Glamour», Tina Fredericks, hielt ihr Versprechen und besorgte dem jungen Zeichner aus Pittsburgh erste Aufträge. Im Septemberheft 1949 von «Glamour» erschienen seine Illustrationen zur Titelgeschichte «Success Is a Job in New York»: Schuhe auf Leitersprossen stellen das Emporstreben auf der Erfolgsleiter dar, sie werden in der Legende als «Zeichnungen von Warhol» ausgewiesen. Die Zeitschrift «Mademoiselle» veröffentlichte dann im Februar 1950 Zeichnungen, die mit «Andy Warhol» signiert waren. Aus Andrew Warhola war Andy Warhol geworden.

In zerknitterten Baumwollhosen, Rollkragenpullover und Turnschuhen besuchte Warhol Tag für Tag Zeitschriftenredaktionen und präsentierte seine Zeichnungen, die er in einer Papiertüte bei sich trug. Unbeirrt wartete er mitunter stundenlang in den Redaktionen oder rief die Redakteure immer wieder an und spielte mit an Unverschämtheit grenzender Hartnäckigkeit die Rolle eines hungernden und unverstandenen Künstlers. Als er der «Grande Dame» der Werbung, Carmel Snow von «Harper’s Bazaar», seine Zeichnungen vorführen wollte, kroch eine Küchenschabe aus seiner Mappe auf einen der elegantesten Schreibtische New Yorks; das Mitleid soll Carmel Snow gepackt haben, und er bekam einen Auftrag.

Die Aufträge, die Warhol sich auf seinen Redaktionsgängen ergatterte, erledigte er nachts, und seiner Schnelligkeit verdankte er immer neue Aufträge. Den ganzen Tag über war ich auf der Suche nach Aufträgen, und wenn ich abends nach Hause kam, fing ich mit dem Zeichnen an. So sah mein Leben in den fünfziger Jahren aus: Grußkarten und Aquarelle und ab und zu eine Lyrik-Lesung in einem Café.[12] Sein schäbiges Aussehen trug ihm den Beinamen «raggedy Andy», «zerlumpter Andy» ein, aber in der Jammerfigur steckte neben einer schier grenzenlosen Arbeitskraft die unerschütterliche Überzeugung von seinen Fähigkeiten als Zeichner und eine eiserne Entschlossenheit, dank dieser Fähigkeiten reich und berühmt zu werden und wie sein schreibendes Idol Truman Capote New York zu erobern. Seine Blässe und seine Schüchternheit verstand Warhol auszunutzen, indem er sich zum bedürftigen Künstler stilisierte, gleichzeitig nahm er aber das Gesetz des Kapitalismus ernst: Er war entschlossen, Kreativität zu Geld zu machen.