Anessaiy - Band 1: Dunkle Zeiten - Katja Zusset - E-Book

Anessaiy - Band 1: Dunkle Zeiten E-Book

Katja Zusset

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Beschreibung

Die Reihe "Anessaiy": Für den dreizehnjährigen Lukas beginnt die Reise seines Lebens. Gemeinsam mit seinem Onkel und seinen beiden Freunden kehrt er in seine ursprüngliche Heimat Anessaiy zurück, um für den Frieden im Land und die Freiheit der Bürger zu kämpfen. In der fremden Welt sieht sich Lukas einem fantastischen Abenteuer gegenüber. Die Suche nach seiner Mutter, die Hilfe der Ur-Völker Anessaiys im Kampf gegen den machtbesessenen König und die Unterstützung seiner Freunde und Verbündeten halten viele Gefahren für Lukas bereit. Aber dadurch lernt er auch Zusammenhalt, Freundschaft, Hoffnung und die Sehnsucht nach Freiheit kennen. "Anessaiy. Band 1: Dunkle Zeiten": Lukas suchen Visionen heim, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Als er von seinem Onkel erfährt, dass die Visionen Erinnerungen an ihre gemeinsame Vergangenheit in der für Lukas fremden Welt Anessaiy sind, begeben sie sich gemeinsam mit Lukas' Freunden auf eine abenteuerliche Reise. König William, der Mörder von Lukas' Vater und Thronräuber, herrscht grausam über Anessaiy. Um gegen den König vorzugehen, begibt sich Lukas auf die Suche nach Verbündeten. Dabei kommen ihm Gerüchte zu Ohren, seine Mutter sei noch am Leben. Die Wahrheit über seine Mutter herauszufinden, ist fortan sein großes Ziel.

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Katja Zusset

Anessaiy

Jugend-Fantasy-Serie

Band 1:

Dunkle Zeiten

Die Serie „Anessaiy“

Für den dreizehnjährigen Lukas beginnt die Reise seines Lebens. Gemeinsam mit seinem Onkel und seinen beiden Freunden kehrt er in seine ursprüngliche Heimat Anessaiy zurück, um für den Frieden im Land und die Freiheit der Bürger zu kämpfen. In der fremden Welt sieht sich Lukas einem fantastischen Abenteuer gegenüber.

Die Suche nach seiner Mutter, die Hilfe der Ur-Völker Anessaiys im Kampf gegen den machtbesessenen König und die Unterstützung seiner Freunde und Verbündeten halten viele Gefahren für Lukas bereit. Aber dadurch lernt er auch Zusammenhalt, Freundschaft, Hoffnung und die Sehnsucht nach Freiheit kennen.

„Anessaiy – Band 1: Dunkle Zeiten“

Lukas suchen Visionen heim, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Als er von seinem Onkel erfährt, dass die Visionen Erinnerungen an ihre gemeinsame Vergangenheit in der für Lukas fremden Welt Anessaiy sind, begeben sie sich gemeinsam mit Lukas‘ Freunden auf eine abenteuerliche Reise.

König William, der Mörder von Lukas‘ Vater und Thronräuber, herrscht grausam über Anessaiy. Um gegen den König vorzugehen, begibt sich Lukas auf die Suche nach Verbündeten. Dabei kommen ihm Gerüchte zu Ohren, seine Mutter sei noch am Leben. Die Wahrheit über seine Mutter herauszufinden, ist fortan sein großes Ziel.

Die Autorin

Katja Zusset wurde 1986 in Böblingen geboren und lebt dort bis heute – gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Tochter. Sie ist Kauffrau für Bürokommunikation und hat nach ihrer Ausbildung eine Weiterbildung zur Wirtschaftsfachwirtin, ein Bachelor Studium in Betriebswirtschaft, ein Fernstudium zur Mediatorin und ein Fernstudium zur Journalistin absolviert. Katja Zusset ist zudem seit 2015 als Texterin und Bloggerin selbstständig. Während ihres Fernstudiums zur Journalistin nahm Katja Zusset an einem Literaturwettbewerb Teil und konnte mit einer Kurzgeschichte, die in einer Anthologie veröffentlicht wurde, ihr Schreibdebüt präsentieren. Die Jugend-Fantasy-Reihe „Anessaiy“. Band 1: Dunkle Zeiten“ erscheint ab Winter 2017 bei mainbook.

Weitere Informationen: www.katjazusset.de

Copyright © 2017 mainbook Verlag, mainebook Gerd Fischer

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-946413-73-8

Lektorat: Gerd Fischer

Covergestaltung und -rechte: Lukas Hüttner

Besuchen Sie uns im Internet: www.mainbook.de oder

www.mainebook.de

Für die beiden Mädchen, die ich auf der Reise ihres Lebens, dem Erwachsenwerden, begleiten darf: meine Cousine Lena und meine Tochter Mona.

Inhalt

Die Autorin

Kapitel 1: Erinnerungen

Kapitel 2: Fremde Stimmen

Kapitel 3: Das Portal

Kapitel 4: Vorbereitung auf Anessaiy

Kapitel 5: Reise ins Ungewisse

Kapitel 6: Sonnenburg

Kapitel 7: Die Freiheitskämpfer

Kapitel 8: Hannahs Mission

Kapitel 9: Die Prophezeiung

Kapitel 10: Der Maulwurf

Kapitel 11: Dunkle Mächte

Kapitel 12: Angst und Schrecken

Kapitel 13: Der Krieg beginnt

Kapitel 14: Dunkle Zeiten

Danksagung

Kapitel 1: Erinnerungen

Das Klingeln an der Tür schien gar nicht mehr enden zu wollen.

„Was zur Hölle …?“ Gregor war gerade erst von der Arbeit nach Hause gekommen und wollte es sich auf dem Sofa gemütlich machen, doch das Sturmklingen durchkreuzte seine Pläne. Gequält richtete er sich wieder auf und ging zur Tür.

Noch bevor er die Türklinke zu fassen bekam, spurtete Lukas, sein Sohn, an ihm vorbei, schob sich vor ihn und riss die Tür auf. Lukas sah in zwei vor Freude leuchtende, grüne Augen. „Warum hat das denn so lange gedauert?“, fragte er seinen besten Freund Philipp. „Ich warte schon eine Ewigkeit!“

„Tschuldige …“, grinste Philipp. „Musste noch auf meine kleine Schwester aufpassen.“

Gregor beobachtete die beiden Freunde einen kurzen Augenblick, bevor er sich in das Gespräch einmischte: „Kannst du dir – um Gottes willen – bitte abgewöhnen, immer so einen Aufriss zu machen, wenn du zu uns kommst?“

„Oh …, hi Gregor“, antwortete Philipp mit einem verlegenen Grinsen. „Wusste gar nicht, dass du schon zu Hause bist.“

Gregor schüttelte den Kopf und wandte sich ohne ein weiteres Wort von der Tür ab. Er schlenderte zurück zum Sofa, um endlich seinen Feierabend in Ruhe genießen zu können.

„Komm rein!“, forderte Lukas seinen Freund auf. Die beiden ließen hinter sich die Tür ins Schloss fallen und Philipp marschierte zielbewusst voraus in die Küche. Nach einem kurzen Abscannen der Obstschale schnappte sich Philipp einen Apfel und schwang sich gekonnt auf den Küchentresen. „Und? Hast du eine Idee, was wir jetzt machen?

„See?“, fragte Lukas.

Philipp überlegte kurz und zuckte schließlich mit den Schultern. „Klar, warum nicht?“

Lukas nahm sich seinen Rucksack und holte vier Dosen Limo aus dem Kühlschrank. Philipp nahm zwei Äpfel aus der Obstschale und hielt sie Lukas entgegen. Für einen kleinen Ausflug zum See sollte das ausreichen. Den Rucksack auf den Schultern, ging Lukas voran.

Auf dem Weg durch den Flur rief Gregor ihnen nach: „Wo soll´s denn hin gehen?“

„Nur zum See“, antwortete Lukas.

„Um neun bist du wieder hier!“

Lukas verdrehte die Augen. „Aber es sind doch Ferien …“

Gregor saß auf dem Sofa und war in seine Zeitung vertieft. Ohne davon aufzusehen, antwortete er: „Das ändert nichts daran, dass du um neun wieder hier bist.“

„Ach, komm schon …“, setzte Lukas an. „Ich bin doch kein Kind mehr!“

„Soweit ich weiß, bist du 13. Und ich bin mir da so sicher, weil ich bei deiner Geburt dabei war.“ Gregor legte seine Zeitung beiseite und drehte sich zu Lukas und Philipp um. „Und mit 13, finde ich, kannst du – auch in den Ferien – um neun zu Hause sein.“

„Aber …“, wollte Lukas die Diskussion mit Gregor weiterführen, doch der schnitt ihm das Wort ab. „Lukas, wir machen das jetzt ganz einfach“, erklärte Gregor. „Entweder du bist um neun zu Hause, oder du bleibst hier.“

„Alles klar …“, antwortete Lukas zerknirscht. „Wir sehen uns um neun!“

Lukas packte Philipp am Arm und zog ihn eilig hinter sich her. Er wollte so schnell wie möglich los, bevor ihm noch eine freche Antwort über die Lippen kam und Gregor dadurch seine Drohung wahrmachte.

Gregor schüttelte den Kopf und sah den beiden Freunden grinsend nach. „Viel Spaß“, rief er ihnen hinterher und widmete sich wieder voll und ganz seiner Zeitung.

Lukas und Philipp antworteten ihm nicht mehr, da sie bereits aus der Tür waren. Gemeinsam schlenderten sie die große Allee entlang, die sie in den Wald zum See führte. „Ich frage mich, wann er lernt, dass ich kein kleines Kind mehr bin“, brummte Lukas.

„Mach dir nichts draus“, versuchte Philipp seinen Freund aufzumuntern. „Meine Eltern sind genauso.“

Die beiden wechselten einen kurzen Blick, grinsten und gingen wortlos weiter.

Lukas ließ seinen Blick über den See und den Badestrand wandern. Neben Familien mit kleinen Kindern sah er auch zahlreiche Schulkameraden und Kinder aus der Nachbarschaft. Abseits vom großen Getümmel entdeckte er ein paar von ihren Klassenkameraden. „Schau mal da …“, raunte Lukas und nickte in die Richtung, in der er Emma und ihre Clique sah.

Philipp folgte Lukas´ Blick und verdrehte die Augen beim Anblick der kleinen Truppe. „Die sind echt wie Schmeißfliegen. Lästig und immer dort, wo man sie nicht braucht!“

Lukas grinste verschmitzt und nickte. „Das riecht nach Ärger … Lass uns da rüber gehen!“

Die beiden Freunde suchten sich einen freien Platz unter den Bäumen. Von hier aus waren sie aus dem Sichtfeld von Emmas Clique verschwunden, konnten aber selbst einen knappen Blick auf die Gruppe werfen. Schweigend saßen sie unter den Bäumen, tranken ihre Limo und beobachteten die Badegäste, die allmählich ihre Sachen zusammenpackten, um sich auf den Heimweg zu begeben. Je später es wurde, desto überschaubarer wurden auch die kleinen Gruppen um den See herum. Bald waren die Familien mit den kleinen Kindern ganz verschwunden und nur noch die Cliquen waren vertreten. Lukas beobachtete, wie auch Emmas Clique in Aufbruchsstimmung kam. Auch Philipp musterte die Gruppe aufmerksam. Sie sahen zu, wie sich die Clique um ihre frühere Freundin Emma scharte.

„Echt widerlich …“, bemerkte Philipp.

„Was meinst du?“, fragte Lukas eher beiläufig.

Philipp räusperte sich: „Wie die sich ihr an den Hals schmeißen. Ich meine, klar ist sie hübsch. Aber hinter den blonden Haaren und dem Engelsgesicht steckt eine richtige Hexe. Ich frag mich echt, was das für ein Hype um sie ist.“

„Neidisch?“, fragte Lukas grinsend.

„Auf die hirnlosen Marionetten oder auf Emma?“, gab Philipp, ebenfalls mit einem Grinsen im Gesicht, zurück.

Emmas Clique setzte sich in Bewegung und steuerte direkt auf die Bäume zu, an denen es sich Lukas und Philipp bequem gemacht hatten. Der Gruppe gingen Simon und Mark voraus. Die beiden Fußballer hatten im letzten Schuljahr kaum eine Gelegenheit ausgelassen, um Philipp in der Schule entweder bloßzustellen oder zu drangsalieren. Zwar waren Simon und Mark dafür bekannt, fast allen Ärger zu machen, doch auf Philipp hatten sie es besonders abgesehen.

Simon und Mark waren inzwischen fast gleichauf mit Lukas und Philipp. An ihren Mienen konnte Lukas erkennen, dass sie sie entdeckt hatten. Er spürte, wie sich sein Körper anspannte – bereit für die Konfrontation und bereit, seinem Freund beiseite zu stehen.

„Sieh mal an, wen wir da haben …“, rief Simon angriffslustig. „Dumm und Dümmer!“

Mark lachte gehässig. Die restliche Clique sah sich neugierig um. Emma und ihre Freunde begannen aufgeregt zu tuscheln, als sie Lukas und Philipp bei den Bäumen sahen.

Simon und Mark steuerten direkt auf Lukas und Philipp zu. „Vor euch Schwachköpfen ist man wirklich nirgendwo sicher, oder?“, rief ihnen Simon entgegen.

„Simon, lass gut sein. Heute hab ich echt keine Nerven für dich“, antwortete Philipp.

„Reiß deine Fresse nicht so auf!“, mischte sich Mark mit ein. „Oder schreist du mal wieder nach einer Abreibung?“

Philipp verdrehte die Augen. „Komm, verpiss dich!“

Als wäre das eine Aufmunterung gewesen, sahen sich Simon und Mark mit einem angriffslustigen Lächeln an, gingen zwei Schritte vor und zogen Philipp an den Armen hoch.

„Hey Leute, lasst den Mist“, versuchte Lukas, die Situation zu entschärfen.

„Schnauze, sonst bist du als nächstes dran, verstanden?“, zischte Simon drohend.

Grölend und unter Anfeuerungen durch die Clique schleiften Simon und Mark Philipp zum See. Lukas hechtete hinterher und schrie auf die beiden ein. Doch nichts half. Die Schlägertypen ließen nicht von Philipp ab. Philipp hingegen versuchte, sich mit Tritten aus dem Griff der beiden zu befreien. Zwar konnte er den Gang zum See hinauszögern, doch er kam einfach nicht von ihnen los. Kurz bevor sie den See erreichten, warf sich Lukas mit all seinem Gewicht von hinten gegen Simon und stieß ihn mit voller Kraft weg. Simon kam ins Straucheln und ließ endlich Philipp los, der sofort reagierte, ausholte und Mark mit der Faust in den Magen schlug. Mark rang zwar kurz nach Luft, konnte sich aber schnell von dem Schlag erholen, packte Philipp in den Schwitzkasten und drehte ihm die Arme grob auf den Rücken. Lukas hingegen lag inzwischen mit Simon auf dem Boden und versuchte, im Gerangel die Oberhand zu bekommen. Während Simon auf dem Bauch lag, saß Lukas auf ihm und drehte diesem die Arme auf den Rücken.

„Ihr sollt uns in Ruhe lassen, verdammt!“, schrie Lukas auf Simon ein.

Doch Lukas konnte den Vorteil nicht lange für sich ausmachen. Schnell kamen die anderen Jungs von Emmas Clique dazu. Zu viert zogen sie Lukas von Simon weg, der sich wieder aufrappelte. Zornig funkelte er Lukas an. „Du hast ja nicht hören wollen …“, zischte er ihn an. Simon holte in seiner Wut aus und verpasste Lukas mit der Faust einen Schlag ins Gesicht.

„Hey, das reicht jetzt aber wirklich“, hörte Lukas eine Mädchenstimme sagen.

„Misch dich da nicht ein!“, fuhr Simon das Mädchen an. Er packte Lukas an den Armen und schleifte ihn die letzten Schritte zum Ufer. Unter lautem Jubelgeschrei der übrigen Clique packten die Schlägertypen Philipp und Lukas und zogen sie in den See.

Lukas holte drei Mal tief Luft – jedes Mal, wenn sie seinen Kopf wieder aus dem Wasser zogen. Neben sich hörte er Philipp, der ebenfalls nach Atem rang.

„Was glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid?!“, rief eine tiefe laute Stimme. „Lasst die beiden sofort los, oder wir machen das Gleiche mit euch!“

Der Tumult rief die wenigen Badegäste, die noch am See waren, auf den Plan. Um die Clique herum scharten sich ein paar ältere Jungs, die Lukas schon öfter in der Schule gesehen hatte. Sie waren bestimmt schon drei oder vier Jahre älter als Lukas und Philipp. Simon und seine Freunde sahen auf und ließen von ihren beiden Opfern ab. Zwei der älteren Jungs halfen Lukas und Philipp aus dem Wasser.

„Alles okay bei euch?“, fragte einer der beiden.

Lukas wischte sich das Blut von der Lippe, das ihm der Schlag ins Gesicht beschert hatte und nickte stumm.

Der ältere Junge ließ von Lukas ab und wandte sich an Simon und Mark: „Wenn ich sowas nochmal sehe, seid ihr dran, verstanden?“, zischte er die beiden an. „Und jetzt macht, dass ihr Land gewinnt!“

Simon und Mark wechselten unsichere Blicke. Ein anderer Junge der Clique klopfte schließlich Simon auf die Schulter: „Kommt schon, lasst uns gehen …“

Simon war zwar noch auf Krawall gebürstet, ließ sich aber von seinem Freund überzeugen. Ein letztes Mal funkelte er Lukas und Philipp zornig an, entschied sich aber für den Rückzug und trat mit der restlichen Clique den Heimweg an.

Lukas und Philipp sahen der Clique hasserfüllt nach. Emma lief zum Schluss los. Sie sah Lukas und Philipp reumütig an und zog entschuldigend die Schultern nach oben. Philipp funkelte Emma nur zornig an und Lukas wandte seinen Blick vollständig von ihr ab. Nun wandte sich ihr Retter an die beiden Freunde. „Am besten, ihr wartet noch ein bisschen, bevor ihr geht. Wir kommen noch ein Stück mit euch mit, falls die Vollpfosten euch nochmal irgendwo abpassen wollen.“

„Danke, aber wir haben das auch alleine im Griff“, antwortete Philipp trotzig.

Der ältere Junge lachte kurz auf und klopfte Philipp freundschaftlich auf die Schulter. „Das hab ich gesehen …“

Auch wenn es Philipp gegen den Strich ging, folgten sie dem Rat ihres Retters und warteten noch ein bisschen ab, bevor auch sie sich auf den Heimweg machten.

„Wann genau ist sie eigentlich mit diesen Riesenärschen so dicke geworden?“, fragte Philipp.

Lukas war irritiert. „Meinst du Emma?“

„Klar, wen denn sonst?“

„Keine Ahnung. Ich frag mich auch, wann sie so ein charakterloses Biest geworden ist. Und wann sie vergessen hat, dass wir mal Freunde waren“, antwortete Lukas.

Die beiden gingen zurück zu ihrem Platz unter dem Baum, packten die leeren Dosen zurück in den Rucksack und setzten sich unter das Blätterdach. Die älteren Jungs waren wieder zurück zu ihrem Platz und ihren Freunden gegangen. Schweigend saßen Philipp und Lukas da und ließen ihre Blicke über den See schweifen.

Lukas fühlte sich plötzlich benommen und kniff die Augen zusammen. Als würde sich ein seichter Nebel um seine Augen legen, verschwammen um ihn herum die Umrisse von Bäumen und Menschen. Einzig den See schien er deutlich erkennen zu können. Lukas lehnte sich zurück, schloss seine Augen und atmete einmal tief durch. Als er seine Augen wieder öffnete, erhob sich über dem See eine Art Schleier, der alles zu umhüllen schien. Grelle Lichtblitze leuchteten über dem Wasser und ein düsterer Nebel breitete sich aus. Lukas traute seinen Augen nicht und sah weiterhin angestrengt geradeaus. Zwischen dem Nebel und den Lichtern ragten plötzlich Dächer auf, aus denen Flammen schossen. Der Nebel begann, sich weiter zu lichten und die Dächer schienen in weite Ferne zu rücken, während ein großes Schloss über dem See emporragte.

„Ich glaub, ich spinne!“, flüsterte Lukas wie in Trance. Die Farben und Formationen auf dem See, umhüllt in Flammen und Nebel, zogen ihn vollkommen in den Bann. Erst ein unangenehmes Rütteln führte ihn wieder zurück in die Wirklichkeit. Lukas schüttelte den Kopf. Als er wieder aufsah, war seine Sicht frei und weder von den Flammen noch von dem Schloss war etwas zu sehen.

„Alles klar bei dir?“ Philipp sah Lukas besorgt an.

„Ähm, ja … alles klar“, antwortete Lukas. „Lass uns gehen – ich mag nach Hause!“

Philipp sah Lukas zwar noch immer besorgt an, doch er bohrte nicht weiter nach. Stattdessen hievte er sich auf und reichte seinem Freund die Hand, um ihm auf die Beine zu helfen. Gemeinsam machten sie sich auf den Heimweg.

Mit etwas Abstand folgten ihnen, wie versprochen, die älteren Mitschüler. Von Emmas Clique war keine Spur zu sehen und der Rückweg verlief ohne weitere Zwischenfälle.

Lukas öffnete leise die Tür und schlich am Wohnzimmer vorbei. Gerade als er den Flur durchquert hatte und die Treppe hinauf zu seinem Zimmer erreichte, bemerkte er Gregor. Eigentlich wollte Lukas ihm aus dem Weg gehen, doch nun musste er sich wohl oder übel mit ihm unterhalten. Gregor ging lächelnd auf Lukas zu. Doch als er sein Gesicht und die nasse Kleidung sah, fror seine Miene ein. „Was ist denn passiert?“, fragte er ohne Umschweife.

„Ach, nichts“, winkte Lukas ab.

„Nach Nichts sieht mir das aber nicht aus“, entgegnet Gregor.

„Ich will nicht drüber reden, okay?“, antwortete Lukas tonlos.

Gregor musterte Lukas eindringlich. „Lukas, wenn ich dir irgendwie helfen kann, musst du aber schon mit mir reden …“

„Ich weiß“, antwortete Lukas. „Aber ich brauch keine Hilfe. Wirklich nicht.“

„Wenn du dir sicher bist …“, setzte Gregor an.

„Bin ich!“, schnitt ihm Lukas hastig das Wort ab.

„Wie sieht´s mit Abendessen aus?“, rief Gregor Lukas nach, der schon auf dem Weg in sein Zimmer war.

„Kein Hunger“, antwortete Lukas knapp und schloss schnell die Zimmertür hinter sich. Erschöpft ließ sich Lukas aufs Bett fallen und dachte noch einmal an die Zwischenfälle am See. „Irgendwann zahl ich es Simon heim!“, schwor Lukas im Stillen, bevor er in einen tiefen Schlaf fiel.

Mitten in der Nacht wachte Lukas plötzlich auf. Er fühlte sich genauso benommen wie am Abend zuvor am See. Er öffnete die Augen und sah auf die Uhr – 1:03 Uhr. Schlaftrunken schaute er sich in seinem Zimmer um. Er hatte das Gefühl, vor seinen Augen verschwimme alles. Ein seichter Schleier lag in der Luft.

„Nicht schon wieder …“, flüsterte Lukas ungläubig. Er kniff die Augen zusammen und rieb sie sich. Doch es half nichts – der Schleier umgab ihn weiterhin und breitete sich immer weiter aus. Lukas setzte sich auf und stieg ungeschickt aus seinem Bett. Vorsichtig tastete er sich zu seinem Fenster. Als er den Griff zu fassen bekam, riss er es mit einem Schwung auf und sog die frische Nachtluft ein. Er sah sich um. Alles um ihn herum war in einen dichten Nebel gehüllt, den er nicht zu durchdringen vermochte. Einzig den Vollmond am sonst schwarzen Nachthimmel konnte Lukas deutlich sehen. Plötzlich verstummten sämtliche Geräusche in der Nachbarschaft. Angestrengt lauschte Lukas der unheimlichen Stille, die abrupt von einem lauten Knall durchbrochen wurde.

Ungläubig sah Lukas zum Mond auf und beobachtete, wie sich dort grelle Blitze ballten und bedrohlich aufflackerten. Gebannt von dem Spektakel beobachtete Lukas das Schauspiel, das außer ihm niemand wahrzunehmen schien. Allmählich beruhigten sich die Lichtblitze wieder. Stattdessen stieg im Vollmond dichter Qualm auf, der sich wie Nebelschwaden um die helle Scheibe legte. Der Qualm formatierte sich zu dicken Wolken, die erst aufbrausten, bevor sie sich wie ein Vorhang wieder zur Seite schoben. Wie in einer Theateraufführung vollführte der Mond ein Schauspiel und es schien, als geschehe dies eigens für Lukas. Der Nebel lichtete sich und es kamen zwei Gesichter zum Vorschein. Auf der linken Hälfte des Monds zeichnete sich das Gesicht einer jungen Frau ab. Die rechte Hälfte hingegen zeigte das Gesicht eines jungen Mannes, das Lukas bekannt vorkam. Fasziniert verfolgte er das Schauspiel weiter. Der junge Mann erinnerte Lukas an eine jüngere Fassung von Gregor. Der Mann wirkte sehr aufgebracht, während sich in den Augen der Frau das blanke Entsetzen widerspiegelte. Als die beiden Gesichter begannen, miteinander zu sprechen, hielt Lukas vor Spannung den Atem an.

Die Stimme der jungen Frau zitterte voller Furcht und Sorge: „Gregor, du musst es mir versprechen!“

Gregor hingegen wirkte wütend und entgegnete der Frau zornig: „Vergiss es. Ich lass dich hier nicht alleine!“

„Ich flehe dich an! Bring Lukas in Sicherheit. Er ist alles, was jetzt noch wichtig ist!“, flehte die Frau Gregor an.

„Wenn ich mit dem Jungen gehe, bedeutet das dein Ende!“, schrie Gregor die Frau an.

Tränen liefen der Frau über ihre Wangen. Sie fasste Gregor sanft am Nacken, zog ihn ganz nah an sich heran und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Leb wohl, Bruder!“

Einen Moment lang sahen sich die Geschwister tief in die Augen. Der junge Gregor wirkte noch immer wütend, seufzte aber schließlich verzweifelt. Er wandte sich von der jungen Frau ab und schien etwas aufzuheben. Als er wieder aufrecht stand, blickten sich die Geschwister erneut an. Sie ließen ihre Augen wandern und Lukas bekam das Gefühl, dass die beiden nun auf ihn herab schauten. Ein weiterer lauter Knall ließ Lukas aufschrecken. Erneut erhoben sich Nebelschwaden, die ihm dieses Schauspiel offensichtlich ermöglicht hatten. Doch die dichten Wolkenformationen wirbelten auf und umhüllten die Gesichter im Mond, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Während sich der Nebel aus dem Mond zurückzog und die ruhige leuchtende Scheibe des Vollmonds wieder freigab, kehrten auch die Geräusche von der Straße zurück. Beruhigt stellte Lukas fest, dass er den Nachbarshund bellen hörte. Lukas sah sich in seinem Zimmer um und auch hier waren die Nebelschleier verschwunden, die sich um Lukas´ Augen und in sein Zimmer gelegt hatten.

„Was um alles in der Welt war das gewesen?!“, flüsterte Lukas und sah erneut zum Mond auf, der ruhig über ihm ragte. Nachdenklich schloss er das Fenster und ging zurück in sein Bett. Lange Zeit lag er noch wach da und dachte über das nach, was er gerade gesehen hatte. Alles schien so real gewesen zu sein, dass Lukas sich das Spektakel nur schwer als Traum erklären konnte. Doch alles andere machte für ihn keinen Sinn. Ungläubig und gedankenverloren wälzte sich Lukas im Bett von einer Seite auf die andere. Nach einer gefühlten Ewigkeit fiel er schließlich in einen unruhigen Schlaf.

Kapitel 2: Fremde Stimmen

Gedankenverloren rührte Lukas in seiner Cornflakes-Schale. Gregor nippte an seinem Kaffee und beobachtete Lukas besorgt.

Lukas riss sich von seinen Gedanken los und sah auf. „Was …?“, fragte er.

„Ob mit dir alles in Ordnung ist?“, wiederholte Gregor.

„Äh, ja. Alles klar. Ich fühl mich heute nur nicht besonders gut.“

Gregor runzelte die Stirn. „Kann ich dich denn alleine lassen?“

„Klar“, antwortete Lukas. „Ich leg mich gleich wieder hin. Ich hab eine ziemlich miese Nacht hinter mir.“

Gregor überlegte, ob er nicht doch lieber bei Lukas bleiben sollte, doch der winkte ab. Zwar ließ er Lukas nur ungern allein. Aber er entschied sich, doch zur Arbeit zu gehen. Immerhin war Lukas kein kleines Kind mehr. Und sollte er Gregor brauchen, wäre er ganz in der Nähe. Nur ein paar Häuser weiter wollte er heute den Zaun vom Nachbarn reparieren.

Nachdem er seinen Kaffee leer getrunken hatte, packte Gregor sein Werkzeug zusammen und verließ das Haus. Lukas hingegen schleppte sich erschöpft zurück in sein Bett.

Als Lukas aufwachte war es bereits Mittag. Er war in einen tiefen und festen Schlaf gefallen, der frei von Träumen war. Nachdem er sich aus dem Bett gequält hatte, ging er in den Garten. Nachdenklich saß er auf der kleinen Bank vor dem Küchenfenster und starrte ins Leere. Erneut kreisten seine Gedanken um das gespenstische Flammenmeer, das über dem See emporgestiegen war und an die Unterhaltung zwischen der Frau und dem jungen Gregor, die er in der vergangenen Nacht im Mond verfolgt hatte. Ein sanfter Windhauch strich Lukas durchs Haar und er sah auf. Als würde der Wind ein Wispern in seinen Ohren hinterlassen, überkam ihn ein leichter Schauder. Er schüttelte den Kopf und sah hinauf zum Blätterdach der großen Eiche. Ein weiterer Windhauch durchzuckte die Blätter und ein Rascheln legte sich über den Garten.

„Du musst nach Hause kommen“, hörte Lukas eine fremde Stimme sagen.

Ruckartig sah er sich um, doch er konnte niemanden sehen. Der Wind trug einzelne Blätter durch die Luft und wirbelte sie umher, bis die Windböe Lukas erreichte. Fasziniert beobachtete er die tanzenden Blätter, die sich über Lukas´ Kopf auftürmten.

„Du bist schon sehr lange fort. Es ist Zeit, dass du zurückkehrst!“, flüsterte die fremde Stimme.

Hektisch sprang Lukas von der Bank auf und drehte sich in alle Richtungen. Doch er konnte nicht ausmachen, woher die Stimme kam. Sie schien den Wind zu begleiten.

„Ich glaub, jetzt ist es soweit“, murmelte Lukas. „Ich verlier den Verstand!“

Irritiert und zugleich besorgt ging Lukas zurück ins Haus. Mit großen Schritten hastete er in die Küche, um der vom Wind getragenen Stimme zu entkommen. Er griff in den Kühlschrank und schnappte sich eine Dose Limonade, die er mit einem Zischen öffnete. „Bitte Lukas, wir brauchen dich hier!“, zischte es ihm aus der Dose entgegen. Wie im Wahn donnerte Lukas die Dose auf den Tresen und wich von ihr zurück. Reflexartig griff er zum Telefon und rief Philipp an. Nach dem dritten Klingeln hob Philipp ab und Lukas stammelte atemlos in den Hörer: „Komm sofort her!“

„Lukas?“, fragte Philipp verdutzt in den Hörer.

„Wer denn sonst?“, antwortete Lukas hektisch. „Komm bitte schnell her!“

Philipp hielt kurz Inne, bevor er antwortete. „Beruhig dich erst mal. Was ist denn los?“

„Ich glaub, ich dreh gerad durch! Da ist diese Stimme.“ Lukas erschrak, weil er so laut gesprochen hatte und flüsterte weiter. „Ich glaub, die Stimme ist in meinem Kopf!“

Einen kurzen Moment lang herrschte Stille. „Verarschst du mich gerade?“, fragte Philipp zögernd.

Lukas holte tief Luft, bevor er antwortete: „Ich wünschte, es wäre so! Aber irgendwas Seltsames passiert hier gerade mit mir!“

„Ich bin gleich bei dir!“, sagte Philipp knapp und legte sofort auf. Ohne zu zögern sprang Philipp in seine Schuhe und rannte los.

Kaum hatte Philipp aufgelegt, musste Lukas nach Luft ringen. Seine Gefühle fuhren Achterbahn mit ihm. War gerade noch ein Anflug von Panik da, überrollte ihn nun die pure Verzweiflung. Was geschah hier mit ihm? Unruhig streifte Lukas durchs Haus und versuchte, die Stimme auszumachen. Doch sie blieb stumm. Gerade als Lukas dachte, er würde den Boden unter den Füßen verlieren, klingelte es Sturm. Außer Atem stand Philipp vor der Tür. Beim Anblick seines Freundes beruhigte sich Lukas ein wenig. Ohne ein Wort zu sprechen, klopfte Philipp Lukas freundschaftlich auf die Schulter und ging an ihm vorbei ins Wohnzimmer. Lukas sah ihn dankbar an und folgte ihm. Schweigend saßen die Freunde nebeneinander auf dem Sofa.

Nach einer kurzen Verschnaufpause richtete sich Philipp an Lukas: „Und jetzt erzähl! Was ist hier los?“

Lukas holte tief Luft, um sich zu sammeln. Doch alle Bemühungen, ruhig zu bleiben, scheiterten. Stattdessen sprudelte die Geschichte ohne Punkt und Komma aus ihm heraus. Hastig fasste er die Ereignisse vom Vortag und der vergangenen Nacht zusammen, bis er schließlich bei der fremden Stimme endete, die er in seinem Kopf zu hören glaubte.

„Das hört sich nicht gut an …“, sagte Philipp unruhig. „Wie fühlst du dich sonst?“

Lukas zuckte verlegen mit den Schultern. „Ganz gut, denke ich.“

Nachdenklich betrachtete Philipp seinen Freund und boxte ihm leicht gegen den Arm. „Ich warte hier mit dir, bis Gregor wieder da ist.“

Lukas sah Philipp erleichtert an und nahm seinen Vorschlag dankbar entgegen.

Als Gregor am späten Nachmittag nach Hause kam, fand er im Wohnzimmer zwei verstört wirkende Jungen vor. „Hallo ihr zwei. Habt ihr was ausgefressen?“, rief er den Freunden gut gelaunt entgegen.

Lukas und Philipp sahen schweigend und mit einer bedrückten Miene zu Gregor auf.

Langsam ging Gregor auf Lukas und Philipp zu und musterte die beiden besorgt. Er setzte sich vor sie auf den Wohnzimmertisch, stemmte die Hände auf die Oberschenkel und redete mit ruhiger Stimme: „Im Ernst, Jungs … Was ist los? Steckt ihr in Schwierigkeiten?“

Philipp gab Lukas zur Ermutigung einen kleinen Stups, ehe dieser Luft holte und ein weiteres Mal seine Geschichte erzählte. Gregor hörte aufmerksam zu, ohne Lukas zu unterbrechen.

Als Lukas endete, sah er Gregor zerknirscht an. „Was hältst du davon?“

Gregor wirkte nervös und rieb sich verlegen am Unterarm. Geduldig wartete Lukas Gregors Einschätzung ab. Doch je mehr Zeit verstrich, desto nervöser wurde er.

Gregor räusperte sich verlegen. „Lukas, da gibt es etwas, das du wissen solltest …“

Lukas und Philipp wechselten einen kurzen Blick, bevor sie Gregor gespannt und aufgeregt fixierten.

„Junge …“, begann Gregor. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“ Lukas merkte, wie sein Kopf zu glühen begann. Neugierig und aufgeregt wartete er darauf, dass Gregor weitersprach: „Ich war nicht ganz ehrlich zu dir.“

Kapitel 3: Das Portal

Schuldbewusst sah Gregor zu Boden. „Es geht um deine Eltern …“, gestand er.

Philipp fühlte sich plötzlich vollkommen fehl am Platz. Doch er schwieg und kauerte sich in die Ecke des Sofas. Lukas hingegen horchte auf. Misstrauisch beäugte er Gregor. „Was ist mit meinen Eltern?“

„Ich habe den Moment hinausgezögert. Ich wollte dich schützen. Deshalb habe ich dir erzählt, dass deine Eltern bei einem Brand ums Leben gekommen sind. Natürlich habe ich dich zu mir genommen. Schließlich bist du der Sohn meiner Schwester.“ Gregor rang nach Luft. „Doch die Geschichte geht ein bisschen anders.“ Er sah auf und hielt Lukas‘ festem Blick stand. „Wir kommen von sehr weit her. Weiter, als du es dir vorstellen kannst.“

Lukas sah Gregor misstrauisch an, unterbrach ihn aber nicht und Gregor fuhr fort: „Als du noch klein warst, habe ich dir abends Geschichten von Anessaiy erzählt … Erinnerst du dich daran?“

Lukas überlegte einen Augenblick, nickte. Er hatte die spannenden Geschichten aus einer fremden Welt geliebt, die ihm Gregor jeden Abend erzählt hatte. Irritiert sah er ihn an. „Glaubst du wirklich, jetzt ist der richtige Moment, um alte Märchen auszugraben? Was …“

Bevor Lukas seine Frage beenden konnte, schnitt ihm Gregor das Wort ab: „Lukas, du wurdest in Anessaiy geboren!“

Lukas verschlug es die Sprache und Philipp beäugte skeptisch den Mann, der vor ihm saß. Auch er kannte die Geschichten von Anessaiy und hatte immer gebannt zugehört, wenn Gregor die fantastischen Abenteuer über Ritter und Schlösser erzählt hatte. Bisher hatte Philipp Gregor immer für vernünftig und zuverlässig gehalten, doch jetzt überkam ihn das Gefühl, dass vor ihm ein Wahnsinniger saß. Um das Gespräch in geordnete Bahnen zu lenken, mischte er sich ein: „Gregor, du wolltest erzählen, was mit Lukas´ Eltern passiert ist …“

Gregor sah Philipp dankbar an und fuhr an Lukas gewandt fort: „In Anessaiy herrschte Krieg. Als Ritter und als Bruder der Königin war es meine Aufgabe, euch vor den Feinden zu schützen. In der Nacht, als es zu der großen, vernichtenden Schlacht gekommen war, bestand meine Aufgabe darin, dich und deine Mutter Anne in Sicherheit zu bringen. Erst glaubte ich nicht, dass die Angreifer die Burg stürmen könnten. Sie waren zahlenmäßig vollkommen unterlegen. Doch es gelang ihnen. Hinter den Schlossmauern wurde unerbittlich gekämpft. Für dich, für deine Eltern und für das ganze Volk. Als Friedrich, dein Vater, in dieser Schlacht getötet wurde, befahl mir deine Mutter, dich in Sicherheit zu bringen. Ich hatte keine Chance gegen Anne. Obwohl ich sie nicht alleine lassen wollte, bin ich schließlich mit dir geflohen. Du warst so ein kleines, zerbrechliches Bündel. Ich habe damals geschworen, dass ich dich niemals im Stich lassen werde.“

Schwer atmend schaute Gregor abwechselnd zu Lukas und Philipp, bevor sein Blick nachdenklich zu Boden wanderte und dort verharrte.

Die beiden Freunde sahen sich irritiert an. Philipp tippte sich, fast unscheinbar, mit dem Finger gegen die Schläfe und grinste Lukas verschwörerisch an. Lukas war zum Schreien zumute. Immerhin hatte er geglaubt, etwas wirklich Wichtiges von Gregor zu erfahren. Stattdessen tischte dieser ihm eine abenteuerliche Geschichte auf, die mindestens genauso irre klang wie seine eigene. Doch Lukas konnte nicht anders und musste auch ein breites Grinsen aufsetzen. Er hustete – in der Hoffnung, so seine Fassung zurückzugewinnen.

Mit bebender Stimme und bedacht darauf, nicht loslachen zu müssen, richtete er sich an Gregor. „Naja, dann ist der Fall ja klar. Das Ganze ist wohl erblich bedingt …“ Gregor sah auf und Lukas brachte seinen Gedanken laut zu Ende: „Sieht ganz so aus, als wäre bei uns beiden eine Sicherung durchgebrannt.“

Philipp konnte nicht anders und prustete los. Auch Lukas konnte sich nicht weiter beherrschen und musste so heftig lachen, bis ihm davon Tränen in die Augen schossen.

Gregor hingegen verzog keine Miene. Er lachte nicht. Im Gegenteil – Gregor sah Lukas bitterernst an.

Während Philipp noch nach Luft japste, beruhigte sich Lukas allmählich wieder. Als er Gregor ansah und dessen Blick wahrnahm, wurde Lukas nachdenklich. „Du nimmst uns doch gerade auf den Arm, oder? Machst du das, um das Ganze runterzuspielen? Oder ist das nur ein echt mieser Scherz auf meine Kosten?“

„Ich wünschte, es wäre ein Scherz, mein Junge!“ Gregor wirkte plötzlich traurig.

Auch Philipp beruhigte sich wieder. Doch inzwischen rang er nicht mehr nach Luft, sondern nach Fassung. Er war sich zwar nicht sicher, wer in diesem Raum den größeren Dachschaden hatte, doch er versuchte, ruhig zu wirken.

„Gregor, bist du dir sicher, dass das der richtige Weg ist, um Lukas zu helfen?“, versuchte Philipp, die Situation zu entschärfen.

Gregor stand abrupt auf und schleuderte wütend eine Zeitung in die Ecke. „Ich werde es euch beweisen!“, rief Gregor aus und stürmte aus dem Wohnzimmer.

Lukas und Philipp sahen Gregor verdutzt hinterher und warfen sich ratlose Blicke zu.

„Was denkst du?“ Lukas schaute Philipp eindringlich an. „Ist er vollkommen verrückt oder könnte da ein Funke Wahrheit dran sein?“

Philipp zuckte hilflos mit den Schultern. „Keine Ahnung! Aber ich befürchte, das finden wir gleich raus …“

Philipp sollte recht behalten, denn kurz darauf kehrte Gregor zurück ins Wohnzimmer. Unter dem Arm hielt er eine kleine, hölzerne Truhe. Er stellte sich vor die beiden Jungen, die noch immer auf dem Sofa saßen und erwartungsvoll aufschauten.

„Rutscht mal ein bisschen“, sagte Gregor, drängte sich zwischen die Freunde und machte es sich auf dem Sofa bequem.

Neugierig musterte Lukas die Truhe. „Und was genau hast du uns da mitgebracht?“, flüsterte er.

„Das hier …“, begann Gregor und hielt die Truhe triumphierend in die Höhe. „… habe ich damals aus Anessaiy mitgenommen und bis heute aufbewahrt.“ Gregor dachte einen Moment nach. „Das Schwert müsste ich aber noch mal suchen …“, flüsterte er nachdenklich.

„Schwert?“, rief Philipp entsetzt aus.

Lukas warf seinem Freund einen mahnenden Blick zu. Dieser verstand ihn sofort und verstummte abrupt.

Skeptisch beäugte Lukas die Truhe, die ein angeblicher Beweis für das Königreich Anessaiy sein sollte.

Vorsichtig öffnete Gregor die kleine Truhe, während Lukas und Philipp wie gebannt den Atem anhielten. Die beiden Freunde sahen hinein. Zum Vorschein kamen ein zerschlissener Stofffetzen, vergilbtes Papier und ein kleiner Dolch. Der Reihe nach holte Gregor die Gegenstände aus der Truhe und breitete sie sorgfältig auf dem Wohnzimmertisch aus.

Gregor sah Lukas und Philipp erwartungsvoll an. Nach einem peinlichen Augenblick der Stille fand Lukas als erster seine Stimme wieder: „Ähm, ja. Und was genau soll das beweisen?“, fragte er.

„Schau hier!“ Gregor nahm den Stofffetzen vom Tisch und hielt ihn Lukas aufgeregt hin.

Lukas verzog das Gesicht und rümpfte die Nase. „Riecht modrig!“

„Du sollst nicht daran riechen. Du sollst es dir anschauen!“, fuhr ihn Gregor aufgeregt an.

Philipp und Lukas schauten sich den Fetzen, den Gregor auf seinem Schoß ausbreitete, angestrengt an. Sanft strich er ihn mit den Händen glatt. „Darin warst du eingewickelt, als wir hier ankamen. Und schau – hier!“ Gregor tippte mit dem Finger an eine Ecke des Stofffetzens, an der sich eine Stickerei befand. „Ein Adler und ein Löwe. Das ist das Familienwappen. Nur das Königshaus trägt es. Und das …“ Gregor nahm den Dolch in die Hand und hob ihn vorsichtig in die Luft. „Das ist der Dolch deiner Mutter, den sie mir vor unserer Flucht gab. Auch er trägt das Wappen des Königshauses.“

Lukas zog die Augenbrauen hoch. „Aha. Und das Papier da?“ Er zeigte mit einer kurzen Bewegung auf das vergilbte Papier.

„Das ist eine Karte von Anessaiy.“ Gregor nahm das Papier behutsam vom Tisch und faltete es vorsichtig auseinander. Lukas und Philipp beäugten die Karte.

„Ich habe sie hier nach unserer Ankunft gezeichnet. Sie zeigt unser Königreich, so wie wir es verlassen hatten. Hier …“ Gregor tippte auf eine Stelle der Karte. „Hier ist der Wald der Nebel. Dorthin mussten wir fliehen, um in Sicherheit zu gelangen.“

„Wald der Nebel? Soso!“, antwortete Lukas und bemühte sich, nicht allzu gehässig zu klingen.

„Ja. Wald der Nebel!“

Lukas holte tief Luft und schaute Gregor mitleidig an. „Also ehrlich. Was soll das Zeug hier beweisen?“ Als Lukas Gregors ungläubigen Blick wahrnahm, rang er kurz um Fassung. Er war sich nicht sicher, was genau hier vor sich ging und entschied, das Spiel vorerst mitzuspielen. Er holte tief Luft und seufzte. „Okay. Nur mal angenommen, das stimmt … da wären hier aber noch ein paar Fragen offen!“

Philipp, der aus seiner Schockstarre erwachte, nickte heftig.

Gelassen lehnte sich Gregor zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Gut, fragt!“, forderte er gut gelaunt.

Tausende Gedanken rasten Lukas durch den Kopf. Er brauchte einen Augenblick, um sie zu sortieren. „Gut, von vorne: Was genau war das für ein Krieg?“

„Dein Vater, Friedrich, war ein großartiger König! Das Volk liebte ihn. Aber in Anessaiy gab es auch böse Menschen – sehr böse Menschen! Unter ihnen war William. Ein missgünstiger Mann, der Anessaiys Thron für sich beanspruchen wollte. Dafür hatte er eine überschaubare Truppe um sich geschart, die ihn unterstützte. William und seine Leute hatten bereits zahlreiche Versuche unternommen, Friedrich zu stürzen. Somit waren sie zu Feinden der Krone geworden und hielten sich im Verborgenen. Doch eines Tages, am Tag unserer Flucht, war es ihnen gelungen, eine große Schlacht zu führen und diese letztendlich auch zu gewinnen.“

Lukas stockte der Atem. „Zu gewinnen … Was heißt das genau? Was ist mit meinen Eltern passiert?“

„Das war der Tag der entscheidenden Schlacht. William und seine Anhänger hatten erst die kleineren umliegenden Dörfer angegriffen und drangen weiter vor, bis sie schließlich das Schloss erreicht hatten. Es war, als hätte sich die Hölle aufgetan. Überall brannte es und die Menschen schrien. Ich brachte deine Mutter und dich in die Schutzräume des Schlosses.“ Gregor senkte seine Stimme und blickte betreten zu Boden. „Nachdem wir erfahren hatten, dass William deinen Vater ermordet hat, mussten wir schnell handeln.“

Lukas hörte aufmerksam zu. Es schien ihm fast so, als wäre er zurück in seine frühe Kindheit versetzt. Und als würde er den fabelhaften Märchen von Gregor lauschen. Auch wenn er die Geschichte noch immer nicht glauben konnte, wollte er doch wissen, wie es weiterging.