Apostoloff - Sibylle Lewitscharoff - E-Book

Apostoloff E-Book

Sibylle Lewitscharoff

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Beschreibung

Zwei Schwestern, unterwegs im heutigen Bulgarien. Auf der ersten Hälfte ihrer Reise waren sie Teil eines prächtigen Limousinenkonvois, der die Leichen von 19 Exilbulgaren – in den Vierzigern von Sofia nach Stuttgart ausgewandert – in ihre alte Heimat überführte. Darunter der frühverstorbene Vater der Schwestern. Jetzt sind sie Touristinnen, chauffiert vom langmütigen Rumen Apostoloff. Er möchte den beiden die Schätze seines Landes zeigen, aber für seine Vermittlungsversuche zwischen Sofia und Stuttgart zeigen die Schwestern wenig Sinn. Zwei Schwestern, ein Fahrer: Ihre Reise durch Bulgarien wird zur rabenschwarzen, erzkomischen Abrechnung mit dem Vater und seinem Land. Preis der Leipziger Buchmesse 2009

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Seitenzahl: 320

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Sibylle Lewitscharoff

Apostoloff

Roman

Suhrkamp

Umschlagillustration: Sibylle Lewitscharoff

ebook Suhrkamp Verlag Berlin 2010

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2009

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das

der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

www.suhrkamp.de

Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski

eISBN 978-3-518-74350-8

Lulin Danailoff gewidmet

Unterwegs mit Rumen

Wir, sage ich zu meiner Schwester, sind noch gut davongekommen. Meine Schwester sitzt vorne auf dem Beifahrersitz und schweigt. Nur ein winziges Neigen des Kopfes Richtung Fenster deutet an, daß sie verstanden hat. Sie ist an meine Eröffnungen gewöhnt und weiß, was gemeint ist.

Weg und fort und Ende, sage ich. Ein Vater, der ein Ende macht, bevor er die ganze Familie zermürbt, ist eher zu loben als zu verdammen.

Machen, da spielt doch der hellichte Tag mit hinein? Da will doch etwas angestaunt werden, wenn’s fertig ist? Gemach, Gemächt, gemacht. Gemacht wird jetzt eine Boxbewegung auf die Kopfstütze zu, aber alles bleibt an der Luft, schneller als gehoben liegt die Hand wieder auf dem Knie. Dumm? Ja, dumm ist so manches, was ich tu, aber noch kein vernünftig Kraut dagegen gewachsen. Meine Schwester hört und sieht mich im Moment nicht, weil sie Rumen anlächelt und weil der Lärm des Wagens die feineren Geräusche schluckt.

Manchmal spreche ich zu meiner Schwester wie in den Wind. Sie kennt die Anläufe von meiner Seite, in denen unser Vater selten gut, meistens schlecht wegkommt. Von der Mutter schweigen wir eisern. Das Bezaubernde an meiner Schwester ist: sie nimmt mich nicht ernst und verzeiht alles. Sie ist eine vorbildliche ältere Schwester, die der jüngeren mit Engelsgeduld begegnet. Obwohl wir inzwischen mittleren Alters sind, denkt meine um zwei knappe Jährchen ältere Schwester, sie habe es mit einem unschuldigen Kind zu tun, über dessen Marotten man ein bißchen die Stirn runzelt, im guten Glauben, sie würden sich noch auswachsen.

Rumen Apostoloff ist nicht an uns gewöhnt, sein Haar steht bis zu den Spitzen in Hab-Acht-Stellung. Über meine Reden erschrickt er, meine Schwester himmelt er an. Sein Gehör ist exzellent, er versteht fast immer, was wir sagen, nur wenn wir absichtlich in breiteres Schwäbisch fallen, kommt sein detektivischer Sprachsinn mit den weichen, verschliffenen Lauten nicht zurecht.

Rumen ist unser Hermes, er trägt die Sprachen hin und her, fährt und findet im Fahren den Weg, einer jener verzweifelten bulgarischen Fahrer, die kein Auge dafür haben, was am wegflitzenden Straßenrand alles krepiert. Als uns ergebener Nervösling fährt er durch sein verzweifeltes Land, das bei Nacht noch viel verzweifelter ist.

Wir, sage ich zu meiner Schwester, können uns nicht beschweren. Wir wurden ernährt, wurden nicht geschlagen und haben lange Ausbildungen finanziert bekommen, zu guter Letzt reichte es sogar zu einem bescheidenen Erbe. Was will man mehr.

Die freudlose Vernunft meiner Sätze widert mich an, was dazu führt, daß ich eine Weile den Mund halte. Meine Schwester schweigt ohnehin viel, und Rumen wagt es nicht, sich in eine Rede zu mengen, die auf Fortsetzung angelegt ist.

Wir rollen auf der gut ausgebauten Straße nach Veliko Tarnovo dahin. Sofia haben wir gerade hinter uns gelassen, auf der linken Seite zeigen sich marode Industrieanlagen, von denen rötlichgelbe Rauchfahnen in den Himmel wehen. Die ganze linke Seite ist in einen rötlichgelben Schleier gehüllt, dessen Partikel im Sonnenlicht giftig glitzern. Es stinkt. Eine lange Reihe Lastwagen befindet sich vor uns. Rumen Apostoloff rückt den Oberkörper in seinem Sitz zurecht und packt das Steuer mit Entschlossenheit, vor sich das harte Geschäft des Überholens, auf der Rückbank eine Frau, die er nicht leiden kann.

Die Windrose des Vaterhasses verwirbelt so manches Fünkchen Vaterliebe, sage ich unhörbar zu meiner Schwester, während wir die roten Staubwolken des Metallurgiekombinats von Kremikovski, einstmals ein Kind bulgarisch-sowjetischer Freundschaft, hinter uns lassen.

Wir sind Kinder der deutsch-bulgarischen Freundschaft, einer ebenso zweifelhaften, wie es die bulgarisch-sowjetische war. Eine Freundschaft aus Lügen, Eisen und Blech, von der nicht viel mehr blieb als verschrottete Panzer und längst verweste Haufen von Leichen. Unter einem Separathäufchen, als Spät-, nicht als Kriegsleiche, ist unser Vater verwest.

Zeige er sich doch, der Vater, wenn er kann!

Nichts da. Noch ist die Zeit nicht reif, mit zartem Hämmern das Bild des Vaters auszuklopfen. Kristo, sein durchdringend symbolischer Name. Kein elastischer, gutmütiger Name, der einem Knaben hilft, sich in der Welt umzutun. Was für ein eiserner Kranz von Bedeutungen auf diesem Kreuznamen lastet. Dieser Vater-Kristo, damals natürlich noch nicht Vater, sondern bloß Sohn, soll das Schreiben zwar rasch erlernt, bei seinem Namen soll es jedoch gedauert haben, bis er ihn ohne Zögern hat hinschreiben können. Als Erwachsener, Arzt dann, hatte er eine versudelte Schrift, für jeden Apotheker, der seine Rezepte entziffern mußte, eine Zumutung. Der Namenszug war völlig unleserlich. Ja, auch bei unserem Vater bildete der Name den Kern der Persönlichkeit. Eine völlig versudelte Persönlichkeit, sage ich zu meiner Schwester und glaube zu hören, wie sie seufzt – meines Geredes wegen, der unbegreiflichen Launen, denen es folgt.

Eine Persönlichkeit ohne Stimme und Gewicht, zumindest für seine Töchter, falls er in deren Köpfen überhaupt vorkommt, sage ich triumphierend. Dochdoch, er kommt vor. Zeigt sich huschhusch nach Belieben, dieses Aas von einem Vater!

Es sind die nachts begonnenen und tagsüber ausgeschmückten Träume, in denen unser Vater regelmäßig wiederkehrt.

Da meine Schwester beharrlich schweigt, Rumen nur stöhnt und mit der Faust aufs Lenkrad schlägt, wenn, wie er glaubt, ein ausgemachter Schwachkopf ihn am freien Fahren hindert, spreche ich jetzt für meine Schwester mit – obwohl sie für gewöhnlich leugnet, daß Väter in Träumen erscheinen, unser versudelter Vater sogar mit einiger Hartnäckigkeit.

Neulich, in der Nacht, bevor wir nach Sofia flogen, saß er bei mir im Zimmer. Seine Präsenz war so wenig merkwürdig, wie zum Beispiel in einer Erzählung von Murakami, in der es heißt: Als Katagiri in seine Wohnung kam, wartete dort ein riesenhafter Frosch auf ihn.

Auf mich wartete keine riesenhafte Amphibie, sondern bloß der Vater. Er benahm sich diskreter als Murakamis Frosch, schwieg. Wozu die Stimmbänder strapazieren, zwischen uns gibt es nichts zu bereden. Langsam stand er auf und ging durch die Wand. Während er schon verschwunden war, schleppte das Ende seines Stricks noch am Boden, bis es allmählich ebenfalls verschwand. Mein Vater hat seinen Strick meistens dabei, das ist ganz und gar nichts Neues.

Unser Rumen ist ein hektischer Fahrer. Immer wieder reißt er mich aus meinen Gedanken. Wenn er überholt, fragt man sich unwillkürlich, schafft er’s, oder schafft er’s nicht. Gerade hat er einen Lastzug hinter sich gelassen, beladen mit Baumstämmen, an deren längstem ein roter Wimpel flattert. Wir sind noch mal davongekommen.

Rumen Apostoloff möchte uns die Schätze Bulgariens zeigen. Meine Schwester und ich wissen es besser: solche Schätze existieren nur in den bulgarischen Hirnen. Wir sind überzeugt, Bulgarien ist ein grauenhaftes Land – nein, weniger dramatisch: ein albernes und schlimmes. Seine Gegenden? Meer, Wald, Gebirge, Auen? Unseretwegen mag es da verborgene Reize geben. Wir sind aber keine Ornithologen und wollen auch nicht auf Bärenjagd gehen. Auf malerische Rhodopenschluchten geben wir nichts, Hammerschläge in Rhodopentälern erschüttern uns nicht, Glockengeläut lädt uns nicht zum Kirchgang ein. Rosenfelder sind für uns Rosenfelder und sonst wenig, Rosenfelder bringen unsere Herzen nicht in Wallung. Bloß weil man auf eine blutrote Fläche zeigt, benehmen wir uns nicht wie Frischverliebte und erfahren auch keine Extrablutzufuhr. Nüchtern bleiben ist eine Kunst. Eisern wird sie von uns praktiziert, sobald wir bulgarische Luft wittern, gar die ersten vorsichtigen Schritte auf bulgarischem Boden tun.

Und sonst? Sind die bulgarischen Chöre etwa nichts? Le Mystère des voix bulgares, wie es immer so nobel heißt? Hört sich das nicht an wie hoch droben in den Äther hineingesungen und vom Berg herabtönend? Kommen wir nicht ins Grübeln, wenn wir an Orpheus denken, der in den Rhodopen so rein und bezaubernd sang und dazu die berühmte Leier schlug, daß Steine und Bäume sich um ihn her scharten, alles Wild die Hörner senkte, Hirschen und Rehen die Beine einknickten vor Entzücken, Fell an Fell, Fell an Kleid von Gejagten und Jägern sich aufs weiche Moos lagerte und Frieden herrschte und Lauterkeit unter allen Wesen, die Ohren haben und in deren Brust ein Herz schlägt, weil alles nur noch ein Lauschen war, ein sonderbares Lauschen, ein Lauschexzeß mit fühlenden Steinherzen und auffangsamen Steinohren, wie ihn nicht einmal die Bibel kennt.

Tja, sagen wir, mag wohl sein, aber ihr habt eure Ur-Ur-Urgroßmütter vergessen, diese geifernden Mänaden, diese Lärmkanaillen, rachsüchtig, blutwütig, böse. So lange bliesen die auf ihren Hörnern und schrieen und schlugen Krach, bis Orpheus’ Gesang nicht mehr verfing und sie den Sänger schlachten konnten. Auf der Mariza schwammen alsbald die marmorweißen Körperstücke, schwamm das immerfort singende Haupt des Orpheus vorbei an Buchenwäldchen und Weidengehölzen, vorbei an Haselsträuchern und Pappeln, es schwamm und schwamm das schöne Haupt meerzu und fort. Fort aus diesem Malefizland, damals noch Thrakien geheißen. Kein Schatz an geistigem Behagen, der sich da in euren Rhodopen versteckt. Nicht Orpheus ist’s, der aus euren Chören tönt, Mänaden sind’s, jedenfalls die späten Abkömmlinge davon. Und damit wäre das Rätsel gelöst, warum in den bulgarischen Chören die Kehlköpfe so unnatürlich gequetscht werden.

Er sang so schön, unser Frauenarzt, seufzt der Chor der Vaterverehrerinnen, lauter ehemalige Patientinnen, die ihren exotischen Orpheus am Fenster, am Schreibtisch, mit dem Fingernagel an eine Kanüle klopfend, übers ärztliche Besteck gebeugt oder sonstwo haben singen hören wollen. Bis er schließlich sein eignes Totenliedchen sang, ein allmählich in Röcheln übergehendes Sterbe-kr-kr, das von der einst überaus melodiösen Vaterstimme noch ein wenig ausgeziert wurde, solange das bißchen Luft im Hals für Zierat eben reichte.

Sein Haupt aber, o dieses Vaterhaupt, war von der Fülle der Schwärze bereits bedeckt und in den Tod geschlungen.

Weiter im Text, sage ich, weiter und fort im bulgarischen Unglück, das dieses Aas von einem Vater auf Häupter und Herzen seiner Töchter geladen hat. Gottlob geschieht es nicht wie üblich laut, sondern so leise, daß Rumen mich unmöglich hören kann, auch wenn ich nicht weiß, ob er es nicht doch könnte, weil sein sicherheitsdienstliches Gehör so geschärft ist, daß es Laute vernimmt, die sich noch gar nicht an der Luft befinden, sondern als kitzlige Gebilde auf der Zunge.

Rumen, armer Rumen, haben wir schon von der bulgarischen Keramik gesprochen, die du uns so gerne zeigst? Dem Pfauenaugendekor, dem Fließmuster auf all den braunen Krügen, Näpfen, Tellern, Aschenbechern, Kaffeetäßchen, seinerzeit beliebte Mitbringsel für DDR-Urlauber, heute eher von Engländern geschätzt? Uns kommen Teller, Tassen, Becher dick vor. Eine unangenehm wulstige Kinderkeramik. Außerdem empfiehlt sich das Zeug nicht als Eßgeschirr; das eingebrannte Kobaltblau dringt durch die Glasur und ist giftig.

Und was ist mit der Schwarzmeerküste? Schwarzmeerküste, das klingt doch nach Meeresrauschen, Möwen, Dünen, nach Strandcafés, dümpelnden Bötchen, klickenden Jachtmasten, und etwas weiter weg, schon nicht mehr in Bulgarien, nach Ovid? Ach was. Verbaut, verpatzt, verdreckt. Das aschgraue Meer – leergefischt. Das bulgarische Essen? Ein in schlechtem Öl ersoffener Matsch. Der Fisch ein verkokelter Witzfisch. Bulgarische Kunst im zwanzigsten Jahrhundert? Abscheulich, und zwar ohne jede Ausnahme. Die Architektur, sofern nicht Klöster, Moscheen oder Handelshäuser aus dem neunzehnten Jahrhundert? Ein Verbrechen!

Meine Schwester schüttelt den Kopf. Nicht zum Widerspruch – sie hat mich ja nicht gehört –, nur wegen einer Mücke, die in ihr Haar geflogen ist und sich darin verfangen hat.

Wie immer kommt ihr Einwand zur rechten Zeit.

Oh, ich weiß! Weiß es im geheimen besser, kann mich aber nicht zügeln. Das Wort Bulgarien genügt, ein Reizwort, es erzeugt einen Anfall, und der schwemmt in der Sekunde alle Vernunft fort. Vaterhaß und Landhaß sind verquickt und werden auf vertrotzte Weise am Köcheln gehalten. Bulgarien? Vater? Ein Schnappmechanismus. Da helfen auch einzelne zartsinnige Bulgaren nicht, die uns durchaus schon begegnet sind und denen ich wiederum, kaum daß ich sie erblickte, mit einer fast irrsinnigen Euphorie entgegenflog. Solche Menschen rechnet der kindische Buchhalter in mir aber nicht den Bulgaren zu. Sie siedeln auf volksfreiem Gebiet, wo alle meine Lieblinge siedeln.

Was immer uns Rumen zeigt, meine Schwester quittiert es mit einem lieblichen Lächeln. Ich kenne dieses Lächeln genau. Meine Schwester setzt es auf, wenn sie im tiefsten Inneren angeödet ist. Es ist ein die Welt ihrer Lieblichkeit versicherndes Lächeln, das kommentarlos bleibt und keinerlei Anteil nimmt. Die trockene, in Zucker erstarrte Version ihres Lächelns. Insgeheim ist auch sie froh, wenn sie wieder mal feststellen kann, wie stumpfsinnig Bulgarien ist. Das weiß ich genau, obwohl meine Schwester viel zu höflich, viel zu vorsichtig ist, um ihrer Abneigung freien Lauf zu lassen. Das lächerliche Land beweist: uns ist kein wertvoller Vater weggestorben, sondern bloß ein alberner Bulgare. Wir haben keinen Verlust erlitten, sondern im Gegenteil Glück gehabt, denn die Zeit war zu knapp, als daß er uns mit seinem bulgarischen Hokuspokus hätte infizieren können. Der einzige Unterschied: meine Schwester verschließt diese Gedanken in sich und lächelt, lächelt immerzu, während ich Rumen auf die Palme bringe, indem ich wortreich das bulgarische Unglück zerpflücke.

Wir haben Bulgarien schon satt, bevor wir es richtig kennengelernt haben. Traurig, aber wahr, die bulgarische Sprache dünkt uns die abscheulichste von der Welt. So eine weichliche, plump vorwärtsplatzende Sprache, labiale Knaller, die nicht zünden wollen. Keinerlei Schärfe in den Konsonanten. Um Rumen zu ärgern, greife ich gern zu dem Trick, die benachbarten Rumänen zu loben. Wie angenehm Rumänisch in den Ohren klingt! Wie dunkelschwer und weltverloren. Jaja, es gereichte den Rumänen zum Vorteil, daß sich ihre slawische Art nach den romanischen Sprachen verzehrte. Und wie gut sie aussehen! Jawohl, sie sehen manchmal aus wie großgewachsene Römer. Und was für eine wunderbare schwarzmagische Literatur sie besitzen! Logisch, sie hatten Ovid zu Gast, sie hatten bedeutende Dissidenten und waren nicht samt und sonders solche sowjetischen Kriechlinge, wie die Bulgaren es waren. Die wenigen, die es nicht waren, hat man im Steinbruch von Lowetsch oder im Lager Belene erledigt.

Sobald er das Wort Rumänien aus meinem Mund hört, verzieht Rumen das Gesicht, als habe er Zahnschmerzen. Ich glaube, Nacht für Nacht mordet er mich im Traum, schnappt sich meine Schwester und verschleppt sie hinter einen bulgarischen Hügel.

Ein paarmal hab’ ich’s zu weit getrieben. Rumen hat inzwischen gelernt, wie man mich in Schach hält. Lobe ich die Rumänen, wird er scharf. Was, die Rumänen zivilisiert? Ha, kontert Rumen, ihr Lieblingssport war es, Juden in Schweineställe zu sperren und sie bei lebendigem Leib zu verbrennen. Und die bereuen nichts, gar nichts, deine herrlichen Rumänen, schreit er, und seine Stimme zittert vor Groll und Empörung.

Inzwischen dämmert es, und die Fahrbahn wird leer. Wir rollen durch eine schwach besiedelte Gegend. Leben da überhaupt Menschen? fragen wir uns, nachdem wir eine Viertelstunde durch hügeliges Land gefahren sind, und keine einzige Siedlung weit und breit. Nur die Esel- und Pferdekarren der Zigeuner, die hin und wieder am Straßenrand entlangtrotten, erzählen davon, daß irgendwo hinter den Hügeln Leute wohnen müssen, in irgendwie zusammengeworfenen Siedlungen mit schäbigen Läden, die notdürftig aus Brettern zusammengenagelt sind, falls es hinter den Hügeln überhaupt Läden gibt. Nichts, was das Fernweh anreizen, die Mär vom balkanischen Abenteuer beleben könnte. Arme Klepper, denen sich das Elend mit hartem Stift durchs Fell zeichnet, laufen nach der Peitsche, ihre Stirnen geschmückt mit roten Bommeln.

Diese lastende Dämmerung ist ein Vorposten der bulgarischen Nacht. Nachts schlafen die bulgarischen Berge wie große schwarze Tiere, und nur hie und da, weit entfernt, dringen Lichtpunkte aus morschen Häusern. Weil er weniger mit Lastwagen zu kämpfen hat, hängt Rumen jetzt lässig in seinem Sitz, eine brennende Zigarette im Mundwinkel.

Heute bin ich in besserer Stimmung, das Herumgefahrenwerden bekommt mir. Auch nehme ich gern mit der Rückbank vorlieb, weil ich mein Gift lieber von hinten einstreue. Außerdem würde es Rumen noch mehr ärgern, wenn ich neben ihm säße. Da er ein schlechter Autofahrer ist, könnte uns das ernstlich gefährden.

Bitte mich zu entbehren

Bitte mich zu entbehren, sagt der Vater. Eine schäumende Vaterwoge überspült das Wageninnere, im Gemüt ein gewaltiger Hopser, der das Autodach wegfliegen läßt, so daß wir momentweis unter dem blanken Himmel dahinfahren.

Bitte mich zu entbehren hat er noch nie gesagt, so höflich ist er uns noch nie abhanden gekommen. Der aschfahle Himmel bezeugt: er ist weg. Dubios bleibt, was für ein Vater das gerade gewesen sein soll. An seine Stimme kann ich mich nicht erinnern, meine Schwester ebensowenig, wir scheitern, wenn wir die Stimme unseres Vaters beschreiben sollen. Was für ein Deutsch er gesprochen hat? Ein gutes? Ein klares? Mit österreichischem Akzent, weil er es in Wien verfeinert hat? Sprach er von der Grammatik her einwandfrei? War sein Wortschatz groß oder eher mickrig? Wir wissen es nicht, obwohl wir es doch wissen müßten, denn ich war elf und meine Schwester dreizehn.

Ob er losplatzte beim Reden oder zögernd anfing, wir wissen es nicht. Ob er in Schleifen, gleichsam hinterrücks sich versichernd, sprach, wir wissen es nicht. Ob sich die Rede ruckend vorwärtsbewegte, ob glatt, ob schnell, ob lahm – keine Ahnung. Hatte er die Unart vieler Ausländer, das Sprechtempo zu beschleunigen, wenn er nicht mehr Herr über die Grammatik war? Und seine Stimme? Hoch, piepsig, kehlig, oder kam sie aus tiefer Brust? Der Chor der Schwärmerinnen, der uns früher umgab, will uns weismachen, unser Vater habe ein wunderbares, so wunderwunderbares Deutsch gesprochen, daß es ein Gedicht gewesen sei, ihm zu lauschen. Vor allem habe er so wunderbar gesungen, daß es wiederum nicht auszuhalten gewesen sei.

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