Abraham trifft Ibrahîm. Streifzüge durch Bibel und Koran - Sibylle Lewitscharoff - E-Book

Abraham trifft Ibrahîm. Streifzüge durch Bibel und Koran E-Book

Sibylle Lewitscharoff

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Beschreibung

Eine hochdramatische Szene: Der Vater beugt sich über den wehrlosen Jungen, das Messer blitzt in seiner Hand – da befiehlt ihm im letzten Moment ein Engel, statt des eigenen Sohnes einen Widder zu opfern. Die Geschichte von Abraham und Isaak ist bekannt. Dass sie dem Philosophen Kierkegaard eine schlaflose Nacht am Berliner Gendarmenmarkt bescherte, in deren Verlauf ihm eine göttliche Maus erschien, um Fragen der Barmherzigkeit zu erörtern – das weiß nur Sibylle Lewitscharoff. Was wiederum der Koran aus diesem Stoff macht, davon erzählt uns Najem Wali.
Von Eva bis Maria, von Moses bis Satan: Neun Figuren aus Bibel und Koran haben die sprachmächtige Religionswissenschaftlerin Sibylle Lewitscharoff und der irakisch-deutsche Autor Najem Wali ausgewählt. Deren Geschichten gehen die beiden aus ihrer je eigenen Sicht nach, temperamentvoll, engagiert, auch augenzwinkernd. Mit dem geplagten Hiob fragen sie nach der göttlichen Gerechtigkeit, mit Jona, dem ängstlichen Wal-Reisenden, nach Mut und Toleranz und berühren mit ihrem Dialog zwischen den Weltreligionen die Krisen unserer Zeit.

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Seitenzahl: 390

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Sibylle Lewitscharoff – Najem Wali

Abraham trifft Ibrahîm

Streifzüge durch Bibel und Koran

Die von Najem Wali verfassten Kapitel wurden von Christine Battermann aus dem Arabischen übersetzt.

Suhrkamp

»Die Wahrheit war einst ein Spiegel in der Hand Gottes. Sie fiel und zerbrach in Stücke. Jeder nahm ein Stück davon, und sie schauten es an und dachten, sie hätten die Wahrheit.«

Dschalâl al-Din Muhammad al-Rûmi

Inhaltsverzeichnis

Najem Wali

Vorwort

Sibylle Lewitscharoff

Vorwort

Najem Wali

Einleitung

Grenzgänge zwischen Bibel und Koran

Sibylle Lewitscharoff

Eva

Najem Wali

Hawwâ

Sibylle Lewitscharoff

Abraham

Najem Wali

Ibrahîm

Sibylle Lewitscharoff

Moses

Najem Wali

Mûsa

Sibylle Lewitscharoff

Lot

Najem Wali

Lût

Sibylle Lewitscharoff

Hiob

Najem Wali

Ayyûb

Sibylle Lewitscharoff

Jona

Najem Wali

Yûnus

Sibylle Lewitscharoff

König Salomo

Najem Wali

Sulaimân

Sibylle Lewitscharoff

Maria

Najem Wali

Maryam

Sibylle Lewitscharoff

Der Teufel

Najem Wali

Schaitân oder Iblîs

Literaturverzeichnis

Textnachweise

Najem Wali

Vorwort

Jahrelang trug ich mich mit einer Idee. Eines Tages wollte ich ein Buch schreiben, in dem ich die Geschichten der Propheten und anderer wichtiger Figuren der Bibel und des Korans erzählte. Seit langem fiel mir auf, dass die drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam über fast die gleichen Legenden verfügen, von Ibrahîm/​Abraham, Lût/​Lot, Ayyûb/​Hiob, Sulaimân/​Salomo und anderen. Natürlich gibt es Nuancen und Unterschiede, aber sie haben unverkennbar denselben Kern.

Die Geschichte der Menschheit bis zu unserer heutigen Zeit zeigt, mit welchen Schwierigkeiten diejenigen konfrontiert sind, die sich als Vermittler zwischen Konfliktparteien verstehen, die Brücken bauen und Grenzen öffnen wollen. Viele sind gläubig, ohne zu wissen, was genau in den Büchern steht. Man ist Jude, Christ oder Muslim von Geburt an, geht in die Schule, kämpft sich durchs Leben und bekommt die immer gleichen religiösen Geschichten erzählt, die seit Generationen weitergegeben werden. Warum also sollte man das Alte Testament, das Evangelium oder den Koran überhaupt noch lesen? Mûsa/​Moses führte sein Volk in das Gelobte Land, aber hat es selbst nicht erreicht. Wer war der Mann, der seinen Platz einnahm? Yunûs/​Jona war im Bauch des Wals gefangen. Aber wie er dort gelandet ist, wissen nur wenige. Die Jungfrau Maryam/​Maria gebar den Messias, aber wie viele Geschwister er hatte, weiß man nicht. Muhammad fuhr von Jerusalem aus in den Himmel auf. Aber was tat er in einer Stadt, in der es damals weder Muslime noch Moscheen gab? Diese und andere Fragen ließen mich nicht los, und immer wieder plante ich, dieses Buch zu schreiben. Meine Freundin riet mir, ein solches Buch nicht alleine zu verfassen, als zu einseitig könnte meine Betrachtung der drei sogenannten Heiligen Bücher interpretiert werden, gab sie zu bedenken. Die Idee blieb also weiterhin in meinem Kopf.

Als ich im Sommer 2015 zu den Nibelungenfestspielen in Worms eingeladen wurde, wusste ich nicht, dass ich dort jemanden kennenlernen würde, mit dem ich das Buch endlich schreiben konnte: Sibylle Lewitscharoff. An einem Abend saßen wir beim Wein nebeneinander, und unvermittelt sagte ich: »Frau Lewitscharoff, Sie sind die Autorin, die mit mir dieses Buch schreiben wird!«, und erzählte ihr von meiner Idee.

Jetzt ist so weit, verehrte Leserinnen und Leser, Sie halten das Buch in den Händen. Ich wünsche Ihnen Freude beim Lesen, neue Kenntnisse und nicht zuletzt Erkenntnis.

Mein Dank gilt in besonderer Weise Verena Kurth, der Freundin, die mich gewarnt hat, dieses Buch alleine zu verfassen.

Sibylle Lewitscharoff

Vorwort

Vor etwa drei Jahren haben wir uns bei einer Veranstaltung über die Nibelungen in Worms kennengelernt. Ein gutes und munteres Gespräch ergab sich, in dessen Verlauf Najem Wali mir von seiner Idee erzählte, wir könnten die Bibel und den Koran nach den wichtigsten Figuren durchkämmen, die in beiden Schriften vorkommen, und darüber ein Buch schreiben. Gesagt, vereinbart. Es dauerte natürlich seine Zeit, bis wir loslegen konnten.

Wir haben uns rasch auf die Figuren verständigt, über die wir schreiben wollten: Eva/​Hawwâ, Abraham/​Ibrahîm, Moses/​Mûsa, Lot/​Lût, Salomo/​Sulaimân, Hiob/​Ayyûb, Jona/​Yûnus, Maria/​Maryam und den Teufel/​Iblîs. Natürlich haben wir im Lauf der Zeit über sie diskutiert, geschrieben jedoch auf getrennten Wegen. Ich habe die Texte zu den biblischen Figuren verfasst, die jeweils am Anfang eines Kapitels stehen, Najem Wali widmet sich anschließend deren Auftritt und Wirken im Koran. Diese Aufteilung ergab sich von selbst – die behandelten Figuren sind in der altehrwürdigen jüdischen Bibel und im Neuen Testament wesentlich früher präsent, ihr Erscheinen im Koran erfolgt Jahrhunderte später. Wir mussten uns auf eine Auswahl beschränken. Jesus, der im Koran Îsa genannt wird, hätte natürlich auch ein eigenes Kapitel verdient gehabt. Nun haben wir von Maria ausgehend Jesus in den Blick genommen.

In der Annahme, dass die wichtigen Figuren der Bibel hierzulande eher bekannt sind, habe ich mir erlaubt, die Interpretation der Texte bisweilen mit kleinen Geschichten zu umzirken. Der Leser wird jedoch sofort merken, in welchen Passagen es sich um eigene Zutat handelt und wo es nur um die Deutung der Bibel geht. Da weder Najem Wali noch ich Theologen sind, bitten wir darum, etwaige Ungereimtheiten milde zu belächeln.

Um nicht auf gar zu schwankendem Grund herumzutappen, habe ich drei Ratgeber um Beistand gebeten, und es hat mir großes Vergnügen bereitet, mit ihnen über die biblischen Texte zu sprechen. Besonders zu Dank verpflichtet bin ich Jan-Heiner Tück, einem herausragenden Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien für Systematische Theologie. Wahrlich, ein kluger Kopf! Er hat großzügig Material beigesteuert, vor allem schreibt er erstklassige Bücher. Die Gespräche mit Professor Tück, das Hin- und Herwitschen unserer schriftlichen Botschaften, sie waren für mich mehr als nur ein bisschen erhellend, bisweilen auch sehr erheiternd.

Nicht vergessen darf ich meine beiden langjährigen Freunde Dorothee von Tippelskirch-Eissing und Ilan Diner. Beide sind Psychoanalytiker, Dorothee auch evangelische Theologin. Uns vereint die Debattierfreudigkeit, die mir immer wieder frisch Vergnügen bereitet. Mit Hilfe von klugen Freunden, die einem munter widersprechen, wird man klüger und kann den Fährnissen des Alltags trotzen. Dorothee hat einige Texte durchgesehen und Ergänzungen vorgeschlagen, vor allem aber hat sie mir zu einer wichtigen Lektüre verholfen, deren Existenz mir völlig unbekannt war. Dabei handelt es sich um ein vielstündiges Gespräch, das Josy Eisenberg und Elie Wiesel 1985 im französischen Fernsehen etappenweise miteinander geführt haben.1 Ein schier unglaublicher Dialog! Undenkbar, dass etwas von derartiger Intensität und Qualität, noch dazu in zahlreichen Folgen, auf einem deutschen Fernsehkanal je hätte ausgestrahlt werden können. Ilan wiederum hat sich ausführlich über das Moses-Kapitel gebeugt und mir in seiner freundlichen, umsichtigen Art zu etlichen Verbesserungen geraten.

Eines scheint mir gewiss: Eine intensive Beschäftigung mit Bibel und Koran lohnt sich. Beide Bücher haben sich tief in das Gedächtnis vieler Generationen eingegraben und eine Fülle von Kommentaren hervorgelockt. Die Diskussionen um diese Werke, auch der Streit darüber, dieses seltsame Gemisch aus Liebe, Hass und vernünftiger Analyse, sie reißen nicht ab.

1

Abgedruckt in: Job ou Dieu dans la Tempête, Éditions Fayard 1986.

Najem Wali

Einleitung

Grenzgänge zwischen Bibel und Koran

Dem Koran1 zufolge gab es, von Âdam bis Muhammad2, insgesamt fünfundzwanzig Propheten (arabisch: Anbiyâ, Singular: Nabi). Manche von ihnen werden auch als Rasûl (»Gesandter«) betitelt, wobei die Religionsgelehrten unterschiedliche Definitionen aufstellen. Folgen wir der Argumentation, dass ein Prophet bei einer bestimmten Gruppe von Menschen eine göttliche Mission erfüllt, während die Aufgabe des Gesandten weiter reicht – er soll die gesamte Menschheit zur Umkehr bewegen –, kommen wir auf fünf Gesandte.

Daraus erklärt sich auch, warum drei von ihnen im Islam mit heiligen Büchern verbunden sind: Mûsa (Moses) mit der Thora, Îsa (Jesus) mit dem Indschîl (den Evangelien) und Muhammad mit dem Koran. Die übrigen zwei Gesandten brachten zwar keine heiligen Bücher, trugen diesen Titel aber dennoch, weil auch sie allen Menschen gegenüber eine heilige Mission versahen. Die Aufgabe des einen, Âdam, bestand darin, Gottes Stellvertreter auf Erden zu sein, die des anderen, Nûh (Noah), war es, die Menschheit durch den Bau eines großen Schiffs, auf das er von jeder Art Lebewesen ein Paar lud, vor der vollständigen Vernichtung durch die Sintflut zu bewahren.

Jeder Gesandte ist also zugleich auch Prophet, umgekehrt gilt dies jedoch nicht. Unbekannt ist dabei, warum der Prophet Dawûd (David) nicht ebenfalls den Titel eines Gesandten trägt, sagt Gott doch im Koran über ihn: »David [Dawûd] gaben wir den Psalter« (Sure 4,163 – gemeint sind die Psalmen). Denn der Psalter ist ebenso ein heiliger Text wie jene, die mit Mûsa, Îsa und Muhammad in Zusammenhang gebracht werden. Dasselbe gilt für Sulaimân (König Salomo), Ayyûb (Hiob) und die alttestamentlichen Propheten. Zudem spricht der Koran selbst in zahlreichen Suren von den Ahl al-Kitâb, den Buchbesitzern, zu denen nach islamischem Recht die Juden und die Christen gehören, die er den übrigen Glaubensgemeinschaften gegenüber privilegiert und denen er einen hohen Rang zuweist.

Sämtliche Prophetengeschichten im Koran haben einen Vorläufer im Alten Testament (abgesehen von der Christusgeschichte bei Matthäus, Markus, Lukas und Johannes im Neuen Testament). Dies schlägt sich auch in seiner Erzählweise und Erzählstruktur nieder. Denn unabhängig davon, welchen Rang Muhammad den ihm vorausgegangenen Propheten zuerkennt, sind von ihren Legenden im Koran nur Bruchstücke überliefert, die sich zudem auf verschiedene Suren und Verse verteilen. Der Anspielungsreichtum und die Knappheit der Schilderungen zeigen, dass Muhammads Publikum die entsprechenden Geschichten schon gehört oder gelesen haben musste und die fehlenden Informationen zu ergänzen vermochte, sonst wären sie kaum verständlich gewesen. Dafür wurde später der Begriff der Israiliyât geprägt. Um ihn zu erläutern, muss man auf die These von den Buchbesitzern, den Juden und Nasâri, »Nazarenern« (wie die Christen im Koran genannt werden), zurückkommen. Die religiöse Kultur der Juden stützte sich hauptsächlich auf den Tanach, die der Christen auf das Neue Testament. Als nun viele Anhänger dieser beiden Glaubensrichtungen dem Islam beitraten, brachten sie das Wissen und die Überlieferungen, die zu ihrer religiösen Kultur gehörten, mit. Wenn sie dann die Geschichten im Koran lasen, erinnerten sie sich all der Details, die in der Bibel Erwähnung fanden.

Wie sollte es auch anders sein, da doch der Koran selbst seine Geschichten zu großen Teilen aus dem Alten und dem Neuen Testament importiert hatte. Dieses Eindrucks konnte sich auch Umar Bin al-Chattâb, ein berühmter Zeitgenosse Muhammads, der nach dessen Tod der zweite Kalif werden sollte, nicht erwehren. Wie in der Koranexegese des islamischen Geschichtsschreibers Ibn Kathîr berichtet wird, kam er eines Tages mit einem Buch, das er von einigen Buchbesitzern erworben hatte, zu Muhammad und las es dem Propheten vor. Dieser geriet daraufhin in Zorn, hinderte ihn am Weiterlesen und wies den Vorwurf, die Geschichten der Juden übernommen zu haben, weit von sich.

Der tatsächliche Befund des Korans allerdings widerspricht Muhammads Behauptung. An einundvierzig Stellen werden explizit die Kinder Israel erwähnt. Dies legt nahe, dass Muhammads Publikum zum größten Teil aus Juden bestand oder dass Muhammad sie auf seine Seite ziehen wollte, um im Bündnis mit ihnen den Stamm der Quraisch, die nach dem Verständnis sowohl der neuen als auch der alten – jüdischen – Religion Götzendiener und Heiden waren, schlagen zu können. Und so geschah es tatsächlich: Im Jahre 622 wanderte Muhammad nach Yathrib (das spätere Medina, von »Medina al-munawwara«, »die erleuchtete Stadt«) aus. Dort wurde zwischen seinen muslimischen Anhängern und den nichtmuslimischen arabischen und jüdischen Stämmen Yathribs die Gemeindeordnung von Medina vereinbart. Es handelte sich dabei um einen Vertrag, der festlegte, dass die jüdischen und muslimischen Stämme jeweils ihre eigene Religion besaßen, im Krieg aber Verbündete waren und nicht einer den anderen verraten durfte. Dieses Abkommen versetzte Muhammad und seine Anhänger in die Lage, sich zunächst ausschließlich dem Krieg gegen die mekkanischen Quraisch zu widmen.

Als es Muhammad aber trotz aller Bemühungen nicht gelang, die jüdischen Stämme Yathribs zum Islam zu bekehren, wandte er sich auch gegen sie und vertrieb sie aus der Stadt. Kaum hatte er mit den Oberhäuptern und Kaufleuten der Quraisch den Vertrag von Hudaibîya geschlossen, der einen Nichtangriffspakt enthielt und ihm und seinen Anhängern die Pilgerfahrt nach Mekka erlaubte, bekämpfte er die ehemaligen Verbündeten noch verbissener. Nach ihrer Vertreibung aus Yathrib wurden sie vom muslimischen Heer nun auch aus ihrem kulturellen Zentrum Chaibar vertrieben. Der vordringliche Grund dafür war, dass die sich dem Islam anschließenden Kaufleute die Juden der Arabischen Halbinsel, vor allem des Hedschas, der an das Rote Meer grenzenden Landschaft, als Handelsrivalen betrachteten.

Im Zuge des Bruchs mit den jüdischen Stämmen vollzog Muhammad auch die Änderung der Qibla, der Gebetsrichtung. Statt weiterhin wie die Juden in Richtung Norden zu beten, in Richtung des Tempels in Jerusalem, beteten die Muslime nun Richtung Mekka, wo sich die Kaaba, das erste Gotteshaus der Muslime, befindet. Dabei ist zu bedenken, dass diese historischen Städte sowohl wirtschaftlich wie religiös gesehen gleichermaßen wichtige Zentren waren. Nachdem Muhammad 630 nach Mekka zurückgekehrt war und den mekkanischen Kaufleuten zugesichert hatte, die Kaaba zu einem islamischen Zentrum der Verehrung zu machen, willigten sie in die Zerstörung ihrer Götzenbilder und den Beitritt zum Islam ein. Schon Rom hatte es so gehandhabt, als es die christliche Religion als neue Ideologie für seine Weltherrschaft übernahm. Die Quraisch hatten die Lektion gelernt. Muhammad auch.

Würden wir die im Koran aufgeführten Geschichten untersuchen, würden wir feststellen, dass sie sich vor allem auf zwei Aspekte konzentrieren: Drohung und Verheißung. Denn wir haben es beim Koran mit einer Textgattung zu tun, deren Aufgabe es war, sich auf die missionarischen Lehren zu konzentrieren. Deshalb mussten die erzählten Geschichten – so sinnentstellt und widersprüchlich sowie fragmentarisch in Form und Erzählstruktur sie auch sein mögen – ihr Augenmerk auf ein einziges Ziel richten: auf das Publikum, das sie ansprechen sollten. Damit die missionarische Botschaft des Korans ihre Adressaten aber erreichte und Muhammad am Ende sein Ziel verwirklichen konnte, die Arabische Halbinsel zu einen und sie sich, dem Propheten und Überbringer der neuen Religion, zu unterwerfen, musste er, wenn er alte Geschichten vor allem jüdischer Herkunft übernahm, diese umdichten und dem arabischen Wüstenklima anpassen. Als die Zeiten sich änderten, das neue Reich sich immer weiter ausbreitete und schließlich große Kalifate und Imperien umschloss, die verschiedene Völker und Nationen diverser Kulturen beherbergten; als die Widersprüchlichkeit der koranischen Texte so offenbar wurde, dass sie nicht mehr in Einklang zu bringen waren mit den Erfordernissen, die sich aus dem Beitritt nichtarabischer Völker und Nationen ergaben – da behalfen sich die islamischen Rechtsgelehrten (Fuqahâ) oder Religionsgelehrten (Ulama) damit, diese Geschichten durch die Prophetenbiographie (Sîrat an-Nabi) sowie durch die sogenannten Hadîthe zu ergänzen. Dazu beriefen sie sich auf eine Überlieferungskette – eine Äußerung stamme von Person X, die sie von Person Y übernommen habe, welche sich wiederum auf Person Z beziehe –, bis sie schließlich bei Muhammad angelangt waren, um die behauptete Handlung oder Aussage auf ihn zurückzuführen.

Es ist nicht nötig, hier weiter auszuholen, sämtliche koranischen Geschichten aufzuzählen und sie mit den Israiliyât zu vergleichen. Denn all dies und noch Weiteres, wie die Übernahme des persischen und des christlichen Erbes in den Koran, ist bereits hinreichend erforscht. Betonen müssen wir an dieser Stelle allerdings, dass der Koran einerseits in den nahöstlichen theologischen Kontext gehört und in ihm verwurzelt ist, andererseits aber auch in die arabische Gesellschaft, in der er formuliert wurde.

Selbstverständlich ist die Entlehnung und Aneignung von Geschichten kein rein islamisches Phänomen. Wenn wir uns einig sind, dass der Koran zahlreiche bekannte Geschichten aus dem Alten Testament übernimmt, wie die Schöpfung von Himmel und Erde in sechs Tagen und die Erschaffung Adams, die Prophetengeschichten, einige gesetzliche Regelungen und noch Weiteres, was ist dann mit der Quelle? Wissenschaftler haben festgestellt, dass die Geschichten und gesetzlichen Bestimmungen in den Büchern des Alten Testaments auf sumerischen, babylonischen und assyrischen Aufzeichnungen fußen und die Verfasser vieles übernahmen, was ihnen nützlich war, jedoch in großem Umfang alles strichen, was nicht ihre Billigung fand. Genauso verfuhren die Verfasser des Korans, wenn sie Geschichten entlehnten und so modifizierten, dass sie im Einklang mit der Wüstenumgebung standen, wie zum Beispiel die Darstellung des Paradieses, wo Bäche fließen und an Früchten vorhanden ist, was das Herz begehrt, eben alles, was der Mensch in der Wüste entbehrte.

Aber ist Literatur dies nicht immer: eine Reihe von Variationen, die um nur wenige Grundthemen kreisen? Eines dieser Themen ist die Rückkehr. Ein gutes Beispiel dafür bildet die Odyssee. Ein anderes Motiv sind die Liebenden, die einander finden, die Liebenden, die gemeinsam sterben, Romeo und Julia beispielsweise. Oder die Opferung des Helden für die Gemeinschaft, Prometheus, der für die Menschen das Feuer raubt, und desgleichen mehr. Ohne Homer hätte es keinen Vergil gegeben, ohne Vergil keinen Dante. Ilias, Aeneis, Göttliche Komödie – ihnen kann man den Tanach, das Neue Testament und den Koran gegenüberstellen. Jedes ist eine Fortsetzung von Vorausgegangenem, angewendet auf die Fragen seiner Zeit. Mündliche Erzählungen verbreiteten sich in verschiedenen Sprachen, wanderten von einem Ort zum anderen, um schließlich zu schriftlichen Texten zu werden.

Früher, in grauer Vorzeit, dem Tag am Fuße der Leiter, wussten die Menschen noch nicht, dass die Nachkommenden die Aufzeichnungen in politische Dogmen verwandeln würden, in Aufrufe zu Hass und Krieg, zum Liquidieren des anderen, ohne dass irgendetwas an den Geschichten dies erzwänge. Einzigartig sind sie allesamt, und einst erzählte sie jemand, der über die Bühne des Lebens irrte. Wer ihnen zuhörte, fand vielleicht einen gewissen Nutzen oder Genuss in ihnen und dachte nicht daran, dass sie ihm den Tod bringen könnten – Geschichten, die einander durchdrangen, bis sie Eigentum sämtlicher Sprachen und Kulturen wurden.

1

Für sämtliche Koranzitate in dieser Übersetzung siehe: Der Koran. Neu übertragen von Hartmut Bobzin, München 2015 (Anm. d. Übers.).

2

Für die Propheten im Islam wurde jeweils die arabische Namensform verwendet, wie sie sich im Koran findet. Zugunsten der besseren Lesbarkeit wurde dabei auf eine vereinfachte Umschrift zurückgegriffen und auf Sonderzeichen weitgehend verzichtet. Nur lange und gleichzeitig betonte Vokale wurden durch einen Zirkumflex gekennzeichnet. Die in den Zitaten aus Hartmut Bobzins Koranübertragung leicht abweichende Schreibung arabischer Namen resultiert aus der Verwendung eines anderen Umschriftprinzips. Wo Bobzin die Namen aus dem Koran in die im Deutschen geläufige Form übersetzt hat, wurde jeweils der arabische Name in eckigen Klammern hinzugefügt (Anm. d. Übers.).

Sibylle Lewitscharoff

Eva

Im Anfang. Beginn einer dynamisierten Ewigkeit, der das Taumelgeschöpf Zeit entspringt, welches im Lauf der Jahrtausende unerbittlich an Präzision gewinnt. Licht – Tag. Finsternis – Nacht. Das Meer. Der Himmel. Die Erde. Das Paradies. Wir kennen Eva, Adam und Eva. Eva wurde aus des schlafenden Adams Rippe erschaffen. Der göttliche Odem wurde in sie beide eingeblasen, das kennzeichnet sie als herausragende Geschöpfe, Gott näher stehend als die Tiere. Auf den Odem kommt es an, nicht allein auf das Wort machen, das bei den Schöpfungsetappen mehrfach fällt. Man kann sich den Akt auch anders vorstellen, als Fingerzeig etwa, aber dann wäre die Beseelung des Menschen nicht so intim mit Gott in Verbindung gebracht. Als ein von Ihm behauchtes Geschöpf ist der Mensch Gott nah. Später fällt oft das Wort Ruf. Es richtet sich an den bereits existierenden Menschen, der zu einem Innehalten und zur Umkehr aufgefordert wird. Adam ist zunächst jedoch nur Mensch. Erst bei der Erschaffung Evas, während Adam in einen tiefen Schlaf fällt, entsteht die definierte Zweiheit von Mann und Frau. Die Einsamkeit des ersten Menschen war groß, denn er hatte nur die Tiere um sich, mit denen er jedoch nicht sprechen konnte. Mit dem Augenaufschlag Evas war die Möglichkeit des Sprechens eröffnet und damit die Sonderstellung des Menschen betont. Wiewohl die moderne Zoologie weiß, dass es erstaunlich komplexe Arten der Verständigung bei manchen Tieren gibt, bleibt es das Privileg des Menschen, sich differenziert in Lautfolgen und mit Hilfe einer zunehmend ausgefeilten Grammatik zu verständigen. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass die biblischen Erstmenschen schon Sätze im Perfekt geformt, gar den Konjunktiv beherrscht haben könnten. Das Gedächtnis war noch nicht gefüttert mit Erlebnissen, um das sprachliche Erfassen der Vergangenheit herauszubilden, erst recht nicht, um die in der Vergangenheit liegenden Möglichkeiten zu erkunden. Vor der Verführung durch die Schlange gab es ja auch keine Zukunft, das paradiesische Leben bestand aus einem genussreichen Jetzt und Immerdar. Die beiden ersten Menschen wurden geschaffen, mussten aber nicht erzogen werden. Sie waren annähernd vollkommen. Gott vertrat bei ihnen nicht die Stelle von Vater und Mutter.

Annähernd vollkommen, aber nicht ganz. Wären Adam und Eva restlos von der Vollkommenheit durchdrungen gewesen, hätten sie gar nicht sündigen können. Mit ihnen ist die gesamte Menschheit samt und sonders gefallen. Gerade das ihnen nicht Zuträgliche hat ihren Gefallen gefunden. Wir kennen die Geschichte mit dem Apfel, das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen, kennen die lispelnde Schlange, der das teuflische Privileg zukommt, als einziges Tier im Paradies sprechen zu können. Sie ist ein höchst seltenes Wesen, denn sie kann nicht nur vor sich hin zischeln, sondern auch mit lockenden Worten verführen. Natürlich kreuzen auch in zahllosen Märchen kluge Tiere auf, die sprechen können. Oft beherrschen sie sogar eine erstaunliche Gewandtheit der Rede. Im Märchen sprechen jedoch selten luziferische Windewürmer mit gespaltener Zunge, sondern Raben, Mäuse, Ratten, Löwen, Bären, Frösche, hin und wieder ein Schlänglein mit Krönchen. Ganz und gar ins Reich der Legende wollen wir die Geschichte vom Paradies aber nicht verbannen. Dazu besitzt sie eine zu große Sprengkraft als Parabel für die Hirnleistung des Menschen und seine Leiden. Im Paradies war doch alles wunderbar. Wozu sündigen? Wozu das einzige, noch dazu klitzekleine Verbot übertreten, das es überhaupt gab?

Ohne Zweifel war die Schlange ein märchenhaft begabtes Schwatzgeschöpf und wendete auf die Verführung Evas mehr Worte und bezwingendere Satzaufschwünge als in der Bibel vermerkt. Zu einer erfolgreichen Verführung gehört ja das süße Gelispel. Am Ende der Geschichte haben die Tiere in zumindest einer Hinsicht gewonnen: Sie brauchen sich nicht zu verhüllen, weil sie keine sexuelle Scham kennen.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, war die Tat Evas, auch ihrem Mann den Apfel vom Baum der Erkenntnis zu reichen, um diesen gemeinsam zu verzehren, keineswegs die simple Übertretung eines Verbots, sondern ein Akt mit äußerst weitreichenden Folgen. Seither werden alle Menschen von der Last der Ursünde niedergedrückt und sind gezwungen, sie in den verschiedensten Varianten, kleinen wie großen, zu wiederholen. Das Bemerkenswerte an der Erkenntnis, die den Menschen Gott annähert, ohne ihm dessen Macht- und Gestaltungsfülle zu verleihen, ist das Vermögen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Damit wurde die Vertreibung des Menschen aus unmündiger Unschuld besiegelt und eine ungeheure Dynamik in Gang gesetzt. Wer nie Erkenntnis besessen hat, mag sich in einem Paradies, in dem wohlwollende Naivität herrscht, wohlfühlen. (Falls Wohlgefühl, gar die entzückte Seligkeit, als immerwährender Zustand überhaupt denkbar ist). Ein Wesen, dessen Gehirnzellen von Neugier geleitet werden, ist im Herrlichen wie im Grausamen ganz anderer Taten fähig. Insofern setzt die Ambivalenz, die diesem Schöpfungsmenetekel innewohnt, eine Schwirrnis von Erfahrungen frei, die den Menschen in einen Abgrund führen oder ihm zu einer herzerhebenden Himmelsschau verhelfen können. Kurioserweise ist es die neugierlüsterne, man könnte auch sagen, die nach Erkenntnis dürstende Frau – und nicht der Mann –, die das Geschehen in Gang setzt. Und damit ist der Weg für Evas Nachfahren vorgezeichnet, eines Tages zu der Vermutung zu gelangen, dass es Gott womöglich gar nicht gibt. Ohne Zweifel, die stetig an ihr zwacken, ist Erkenntnis gar nicht möglich. Sie muss sich ja fortwährend öffnen für diesen radikalen Gesellen an ihrer Seite, der fragt und fragt und fragt und dabei die Tendenz hat, das scheinbar Sichere umzustoßen zugunsten eines immerzu neuen, anders verlockenden Wissens.

Aus der spielerischen Freiheit der Unschuld in die Zwangsjacke der Sünde. Halten wir fest: Eva ist die erste Figur in der Bibel, deren Neugier, modern gesagt, deren Wissensdurst, die Geschichte der Menschheit in Gang setzt. Zugleich flackert darin schon das faustische Menetekel, ständig über die eigenen Grenzen hinauszugehen und dabei Prozesse in Gang zu setzen, die nicht beherrschbar sind. Wenn’s anders kommt als gewollt, paart sich Neugier nur zu gern mit der Verleugnung, denn von Gott ertappt, bezichtigten sich unsere Ureltern wechselseitig der Schuld. Und das ist ein Mechanismus, der uns gut bekannt ist und zum finsteren Erbe der Ursünde zählt, die sich dadurch ungehindert fortzeugt. Die eigene Schuld ohne Ausflüchte und Verdrehungen der Wahrheit nüchtern zu erkennen, so etwas kommt bei Menschen äußerst selten vor, auch bei den phantasiebegabten Schuldbohrern, die sich gern kasteien, um sich dadurch anderen überlegen zu fühlen. Wir haben grundsätzlich einen für unsere Zwecke günstig gefärbten Blick auf die Welt, vor allem aber wähnen wir uns den Menschen überlegen, denen wir in Worten oder Taten geschadet haben. Über die tatsächliche, die anbehauptete oder erfundene Schuld hat die Psychoanalyse dank ihrer Patienten einen großen Erfahrungsschatz angesammelt, aber dieser Schatz breitet sich, wie es seit Fontane immer so schön heißt, über ein weites Feld, das wir hier nicht bestellen können. Wie schwer die Schuld wiegen und wie erleichternd es sein kann, wenn diese von einem genommen wird, das bringt der Hymnus Ave, maris stella zum Ausdruck, der das gewendete Schicksal des Menschen seit Eva durch Maria zum Ausdruck bringt: Ave, maris stella, / ​Dei Mater alma / ​Atque semper Virgo / ​Felix caeli porta. / ​Sumens illud Ave / ​Gabrielis ore, / ​Funda nos in pace, / ​Mutans Hevae nomen … Meerstern, sei gegrüßet, Gottes hohe Mutter, / ​allzeit reine Jungfrau, / ​selig Tor zum Himmel! / ​Du nahmst an das Ave / ​aus des Engels Munde. / ​Wend den Namen Eva, / ​bring uns Gottes Frieden.

Kehren wir zu Adam und Eva zurück. Die Schwierigkeit bei ihrer Geschichte ist weniger, dass sie in einem mythischen Bett gezeugt wurde und deshalb einer naturwissenschaftlichen Betrachtung nicht standhält. Das Thema, das hier verhandelt wird, siedelt in der geistigen Verfasstheit des Menschen, die sich bis heute nicht so geändert hat, dass es obsolet wäre, sich damit zu beschäftigen. Evas und Adams Vertreibung aus dem Paradies hat eine Fülle von Interpretationen hervorgelockt, die alles andere als naiv sind. Die Schwierigkeit liegt im erschütterten Glauben an die Wirkmacht Gottes, die als Auge und Ohr über diesem biblischen Anfang hängt. Wenn Er dem Bösen den Eintritt in die Schöpfung nicht verwehrt hat, dann ist dies womöglich auf Seine Schwäche zurückzuführen, auf eine momentane Geistesabwesenheit oder auf einen monströsen Spieltrieb. Oder, oder, oder … die Möglichkeiten der Deutung spannen einen weiten Bogen über der Geschichte, darum ist sie so gut.

Zur Strafe der Vertreibung gehört natürlich die Entfremdung vom eigenen Körper, in welchem die Seele nicht mehr in inniger Verbindung mit ihm haust. Sie ist nun anderer Flugmanöver fähig, gerät in ein Spannungsverhältnis zu Knochen, Fleisch, Haut, Haar und Blut. Und wird zu einem Gefäß, in das das Denken einzieht und auf neue Weise in die Welt hinausfunkelt. Im besten Falle ist sie »… keine nervöse Entladung, sondern ein Feiern der Welt, Poesie. Der Leib ist ein fühlendes Gefühltes … Als gefühlter steht er zwar noch auf der einen Seite, auf der Seite des Subjekts; doch als fühlender ist er schon auf der anderen Seite, auf der Seite des Objekts; er ist Denken, das nicht mehr gelähmt ist, er ist Bewegung, die nicht mehr blind ist, sondern Schöpfer von Kulturobjekten.«1 Das führt zu einer völlig neuen Dimension von Selbstzweifeln und Selbstunterjochung in Bezug auf den eigenen Körper, von der wir heutzutage ein grusliges Lied singen können. Der Preis der Freiheit und der ästhetischen Anverwandlung an die Natur ist hoch. Wer davon gekostet hat, ist nicht mehr fähig, sich in der traulichen Naivität des Nichtwissens zu wiegen. Das Einssein mit dem Körper ist ihm genommen. Der Körper gerät dabei in eine besondere Zwinghaft. Adam und Eva müssen sich nun ihrer Nacktheit schämen und an geschlechtsverhüllendem Blattwerk herumbasteln. Damit ist auch die Demut beschädigt, nackt und bloß vor Gott zu stehen. Als Ausgestoßene erhalten sie von Gott eine Bedeckung mit Fell. Die Manie der Nudisten, durch prosternierende Nacktschau der einst verhängten Scham zu entkommen, ist kein wirksamer Ausweg aus dem Dilemma.

Die Dynamik von Neugier, Wissen und Leid wird natürlich auch in der Mythologie verhandelt. Bei den antiken Griechen ist es Prometheus, der das Feuer zu den Menschen bringt und damit eine machtvolle Entwicklung in Gang setzt. Dafür wird er für lange Zeit streng bestraft – an einen Felsen geschmiedet, besucht von einem Adler, der täglich an seiner Leber frisst. Wenig später wird die Büchse der Pandora geöffnet, aus der eine Vielzahl quälender Übel entfleucht, darunter Krankheit und Tod, die die Menschheit seither bedrücken. Sowohl in der Bibel als auch in der antiken griechischen Sage geht es um ein Sich-Emporraffen des Menschen, den Versuch, gottgleich zu werden, der in beiden Fällen schlimm ausgeht, meistens zum Tod führt. Johann Georg Hamann sah darin vor allem einen Verlust der Seinsfrische, und er hatte dafür auch einen poetischen Vergleich zur Hand, der von einer Schönheit kündet, die in aktuellen Gedichten kaum aufscheint. Den Sündenfall verglich er mit zerschnittenen Gedichtteilen, die wieder zusammengesetzt werden müssten, um eine Erneuerung des Garten Eden außerhalb seiner zu bewirken.2

Der Baum der Erkenntnis, den man auch als den Baum Evas bezeichnen könnte, taucht übrigens in verwandelter Form im Neuen Testament wieder auf. Das Holz des Kreuzes, an dem Jesus Christus gehangen hat, soll von jenem berühmten Paradiesbaum stammen, der Eva zum Verhängnis wurde. Das Neue Testament ist immer bestrebt, Bezüge zur jüdischen Bibel herzustellen, zum einen als Beglaubigungsstrategie, zum anderen, um sein Potential der Umdeutung und Verwandlung unter Beweis zu stellen. Die Symbolkraft vieler Details aus der jüdischen Bibel, die dort verhandelte Genealogie, etliche Taten der wesentlichen Personen werden aufgerufen, um sie in eine andere Bahn zu lenken, vor allem aber, um das Auftreten und die Botschaft Jesu Christi von alters her zu legitimieren. Im Grunde spinnt das Neue Testament so manche alte Geschichte weiter und hebt sie auf eine neue Bühne. Und so wird die sehr viel später in Erscheinung tretende Maria zu einer Verwandten der Eva. Über den gewaltigen Zeitritt hinweg könnte man von zwei Schwestern reden, einer älteren, die das Unglück des Menschen heraufbeschwört, und einer jüngeren, die es in Gestalt ihres Kindes sänftigt und löscht.

Ebenso verfährt bisweilen der Koran, obwohl hier eine Vielzahl anderer Erzählmomente aus dem arabischen Kulturraum eindringt und die Verknüpfung mit den vorangehenden monotheistischen Religionen ungleich lockerer ist. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass Mohammed sechshundert Jahre später als Jesus auf den Plan tritt, in einer Zeit, in der sich das Leben im Vorderen Orient bereits stark verändert hatte. Der Koran ist im Übrigen viel weniger an einer historischen Konstruktion interessiert als die Bibel, in der die Berichte systematisch gereiht werden, um aus dem Wandel der Menschheit eine schlüssige, bis zu einem gewissen Grade nachprüfbare Abfolge der Etappen einer heilsgeschichtlichen Vollendung zu entwickeln, in deren Bahn die Geschichte des Volkes Israel und später der gesamten Erdbevölkerung sich abspinnt, um dem großen Gericht und der Erlösung zuzustreben.

In Dantes Divina Commedia befinden sich Adam und Eva auf dem Gipfelrund des Läuterungsberges. In schwindelerregende Höhe ist die unangetastete paradiesische Landschaft versetzt worden. Hoch oben in den Wolken, wo das Paradies nun thront, ist es für lebende Menschen (mit Ausnahme des Jenseitspilgers Dante) nicht zu erreichen. Zwar durchschwirren Adam und Eva nicht den glanzdurchwobenen Luftraum des Himmels, wie es so manche Heilige als gänzlich erlöste Seelen vermögen, erst recht nicht gesellen sie sich zu den Scharen, aus deren Flugmanövern sich die um das göttliche Zentrum kreisende Himmelsrosette zusammensetzt. Auch weilen sie auf keinem der Sterne als ausgeprägte Charaktere, aber die Erbsünde ist bereits von ihnen genommen – bis auf einen winzigen Kleberest vielleicht, der von ihrer Anhaftung an das einst sündige Leben zeugt. Die irdische Landschaft ist in den Zustand der Perfektion zurückversetzt.

Darüber spekuliert Dante allerdings nicht. Ansonsten kommt Eva bei Dante nicht sonderlich gut weg, etwa in Canto 12 des Purgatorio, wo im Umlauf des Läuterungsberges Gottes bildnerische Felsarbeiten zu besichtigen sind. Lauter vermessene Sünder sind da im Relief zu bestaunen; zugerufen wird ihnen: »Stolziert einher denn, steifend die Genicke, / ​Ihr Kinder Evas; lasst den Kopf nicht hangen, / ​Dass euren üblen Pfad er nicht erblicke!«3 Bei der riesigen allegorischen Prozession in Canto 32 des Purgatorio, die in der Ferne an Dantes Blick vorüberzieht, heißt es: »So wallten durch den hohen Forst wir, öde / ​Durch jener Schuld noch, die geglaubt der Schlange, / ​Nach Engelstönen mäßigend die Schritte.«4

Evas Schuld hallt also nach. In früheren Jahrhunderten wurde viel nachdrücklicher auf sie verwiesen als heute. Zum einen hat die Bibel in den modernen westlichen Gesellschaften an Prägekraft verloren, zum anderen neigen wir trotz aller Skepsis, die den Fortschritt begleitet, eher dazu, ihm zu huldigen. Einer paradiesischen Versorgungslandschaft begegnen wir allenfalls in Reiseprospekten. Der Apfelbiss Evas steht dann eher für den rasanten Aufstieg des Menschen aus der kindhaften Unmündigkeit in eine von raffinierten Techniken umgestaltete Lebenswelt. Aus naiver Sicht mag die Figur der Eva noch immer für das Einschleusen des Bösen stehen, auch in Gesellschaften, die den Frauen mit durchdringender Skepsis begegnen, ist das so. Bei genauerem Hinschauen entpuppt sie sich allerdings als eine unerschrockene Heldin des Fortschritts. Und damit wächst etwas heran, was man als Entlaufen des Menschen aus Gottes Hut, als eine Selbsterhebung bezeichnen kann. Erst langsam, im Lauf der Jahrhunderte, und dann immer schneller, bis der Mensch, wie Hans Urs von Balthasar so treffend sagte, zu einem geworden ist, »… der sich mit dem Ordnen des Diesseits begnügt, soweit es sich eben ordnen lässt. Der moderne Mensch ist metaphysisch resigniert, er lebt in der Bescheidung, ist sehr, sehr bescheiden geworden.«5 Bescheiden mögen Evas Nachkommen zwar im Hinblick auf die Hoffnung auf Erlösung und ein mögliches Weiterleben nach dem Tod geworden sein, radikal unbescheiden sind sie jedoch in Bezug auf die Eroberung der Erde, ihre Nutzbarmachung für die eigenen Zwecke. Doch wer wollte leichterdings auf das glänzende Wissen der Naturwissenschaften verzichten, das dem reichen Teil der Welt eine unglaubliche Fülle von Annehmlichkeiten beschert hat? Trotz aller Verbundenheit mit den technischen Erneuerungen und naturwissenschaftlichen Entdeckungen unserer Gegenwart hat sich eine Fühlungnahme mit der Religion erhalten. Sie lebt spätestens dann auf, wenn ein Mensch aus seinem bisherigen Kosmos der Sorgen und Gewohnheiten gerissen wird und Bekanntschaft mit dem Tod schließen muss. Auch der hartleibigste Atheist wird sich auf dem Totenbett schwerlich vorstellen können, sang- und klanglos ins Nichts einzugehen, weil sich das Nichts dem Vorstellungsvermögen des Menschen beharrlich entzieht. Auf das Nichts ist keinerlei Verlass. Deshalb kehrt eine arme Seele in Not spätestens auf dem Totenbett zum kindlichen Wunschpanoptikum der Geborgenheit zurück.

Kehren wir nun wieder zu Eva zurück. Eine differenzierte Sicht auf sie taugt wenig für die Bearbeitung eines Stoffes, die ein größeres Publikum fesseln will. Eine durch und durch böse Eva beherrscht einen hinreißenden Schwarzweißfilm von Joseph L. Mankiewicz. Er trägt den vielsagenden Titel All About Eve. In ihm spielt Bette Davis eine junge, aufstrebende Schauspielerin, die eine ihr fürsorglich zugewandte ältere Kollegin gekonnt aus dem Feld schlägt. Klar zuzuordnen lässt sich dieser modernen Eva ein Adam allerdings nicht, wiewohl sie eine erstklassige Verführerin und Männerkönigin ist. Allerdings bleibt sie in der Geiselhaft eines durchtriebenen Kritikers, der ihre intriganten Machenschaften durchschaut. Wer weiß, vielleicht findet sich hier Adam in der Rolle eines einflussreichen Mentors wieder, der im selben trüben Gewässer fischt wie sein weiblicher Schützling. Ein Mann namens Jacob Dean Stockton sah den Film und lebte fortan mit der fixen Idee, Bette Davis sei leibhaftig die wiederauferstandene Eva. Auf dem Hollywood Boulevard vor Grauman’s Chinese Theatre griff er eine Frau mit dem Messer an, die er für Bette Davis hielt. Er wurde in die Psychiatrie eingewiesen. In dem Häuschen, das er mit seiner Mutter Krystal Eve Stockton bewohnt hatte, fand sich der Kellerraum, beklebt mit Photographien der Schauspielerin, mal mit abgeschnittenem Kopf, mal mit Schnitten an Brust und Unterleib, die mit roter Farbe markiert waren. Stockton nahm sich in der Anstalt das Leben. Er erhängte sich mit einem Betttuch, auf das in roter Malkreide geschrieben stand: Evil Eve.

In vielen älteren Gemälden sind Adam und Eva schön. Eva ist sogar sehr schön. Blondes oder rötliches Haar umrahmt ihren Kopf, ihre sehr hellen Gliedmaßen wirken biegsam und schlank. Natürlich sind die Eltern der Menschheit im Paradies noch jung, Adam scheint um ein weniges älter, beide sind gerade erblüht, um es miteinander zu treiben und Kinder zu bekommen. In einem Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren von 1531 ist Eva nackt, langhaarig und blond. Die zierlich gelockte Schönheit reicht ihrem Adam den berühmten Apfel. Ein Ast mit Feigenblättern und einer unreifen Frucht ist in ihren Händen, zur Bedeckung der Blöße Adams. Traulich steht ein Hirsch neben ihm, ein schönäugiges, aufmerksames Tier. Einen Huf hält er wie ein schüchternes Mädchen ein bisschen angewinkelt, dennoch ist er eine glaubwürdige Paradiesgestalt. Neben Eva befindet sich ein Löwe, zwar ebenfalls friedlich, doch sein Haupt ist geduckt. Im Vergleich zum Hirsch wirkt er kurios vergrätzt. Ein Viech, das sich ärgert. Vermutlich hat der Maler noch nie einen ruhig dastehenden Löwen in Gefangenschaft studieren können. Interessant ist die Schlange, bäuchlings hell, ihre Oberseite dunkel. Sie windet sich aus dem Baum der Erkenntnis heraus, ihr Lispelmaul befindet sich über dem Scheitel Evas. Womöglich zischelt sie noch immer süße Worte vor sich hin, um zu bekräftigen, was gleich geschehen wird. Der Apfelbiss ist jedenfalls nicht fern. Auf die Gestaltung des Paradieses hat die europäische Malerei einige Jahrhunderte lang große Mühen gewendet und wartet mit wundersamen Ergebnissen auf. Damit ist durchaus eine wesentliche Form der Erkenntnis verbunden: Die genaue Anschauung der Natur, oftmals bevölkert von exotischen Tieren und prachtvollen Vögeln, gründet auf der Sehnsucht, mit Gott und allen seinen Geschöpfen in Eintracht zu leben. Die hinreißenden Waldbilder von Roelant Savery, in denen sich heimische und fremde Tierarten tummeln, sind von Menschenhand geschaffene Landeflächen für die göttliche Friedensschöpfung. Wobei sich der immer genauer werdende Blick auf Tiere und Pflanzen noch eine geraume Zeit lang mit der Phantasie von ewiger Schönheit verträgt.

Die naturkundlichen Forschungen heutigentags sind zwar immer noch bewundernswert, zumal sich durch neue Kameratechniken eine unglaubliche Präzision der Anschauung entwickelt hat, die uns Ehrfurcht vor der Schöpfung lehren kann, aber all diesen Paradiesen, die uns im Wohnzimmer vor Augen kommen, droht die Zerstörung. Es wirkt manchmal so, als würden Tausende von Kameras etwas dokumentieren, was es bald nicht mehr geben wird. Nicht allein dadurch, dass Tiere Tiere fressen, sondern durch den Raubbau des Menschen, der keine Genügsamkeit kennt.

In den modernen westlichen Gesellschaften ist Gott in eine verwaschene Unbestimmtheit gerückt, weil er einen äußerst potenten Gegner bekommen hat. Es ist nicht Luzifer, es ist das Geld. Oder, wenn man unbedingt will, Luzifer in Gestalt des universal herrschenden Kapitals, das unseren Alltag dominiert und als phantasmagorische Währung unsere Träume invadiert hat. Jedermann weiß, dass am Geld ein Fluch klebt, der den Menschen umtreibt und ihn unersättlich werden lässt. »Wir sind die Geschöpfe eines großen Durstes, darauf versessen, an einen Ort heimzukehren, den wir nie gekannt haben.«6 Natürlich ist dieser Ort paradiesisch, auch wenn es uns inzwischen an Kraft fehlt, ihn in einer großen Dichtung zu beschwören, gar seine leuchtenden Einzelheiten zu gestalten. Die großen Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts wissen sehr genau um den Verlust solcher Gestaltungskraft und suchen Auswege, teils sind diese komisch wie bei Samuel Beckett, oft von herablassender Bitterkeit, teils verstörend wie bei Franz Kafka. Bei Marcel Proust ist Er unauffindbar hinter einem ästhetischen Glanzgewebe verschwunden, die Macht der Kathedralen ist zwar stolz, aber auch verzwergt zu äußerlichem Prunk, sie reicht nicht mehr hin, Ihn zu erwecken. Ein müder Gott, ein schlafender Gott, ein abwesender Gott interessiert sich nicht mehr für das Verschleichen der messianischen Energie. Seine Werkstatt ist verwaist. Damit ist es insbesondere um die bildende Kunst geschehen, aber so langsam sich abzeichnend auch um Literatur und Musik. Eine Kunst, die sich nicht mehr die Frage nach dem göttlich durchfluteten Sein im Schein stellen kann, hat am Ende nichts mehr zu bedeuten, allenfalls plakativen Unsinn, der sich noch ein bisschen bläht. Die Gott nacheifernden Energien des Menschen verlieren an Wert, weil sie sich nur noch in der ausschließlich dem Gebrauch dienenden Technik entladen können (deren Subtilitäten in der Formgebung man eine betörende Schönheit bisweilen nicht absprechen kann). Eine stabile Wegbefestigung im Diesseits für die Reise ins Jenseits, die immer auch eine Reise zum Anfang ist, suchen wir vergebens. Bombastische Science-Fiction-Filme, die versuchen, die Leere der Zukunft zu füllen, sind da kein rechter Trost. Die geistige Reise zum Anfang, zu Eva und Adam, bietet dagegen immer noch eine erstaunliche Fülle von Spekulationen – über das Wesen des Menschen, darüber, was ihn umtreibt, wie er sich Gott entzieht und vorsichtig tastend zu Ihm zurückfindet.

1

Emmanuel Levinas, Humanismus des anderen Menschen, Hamburg 2005, S. 19.

2

Gerhard Nebel, Hamann, Stuttgart 1973, S. 198.

3

Dante Alighieri, Dantes Göttliche Komödie, übertragen von Georg van Poppel, Würzburg 1928, S. 227.

4

Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie, aus dem Italienischen von Philalethes (König Johann von Sachsen), Frankfurt am Main 2008, S. 278.

5

Hans Urs von Balthasar, Eschatologie in unserer Zeit, Einsiedeln 2010, S. 91.

6

George Steiner, Grammatik der Schöpfung, München und Wien 2001, S. 25.

Najem Wali

Hawwâ

Der Koran, so heißt es, verlange von den Frauen, keusch und anständig zu sein und sich nicht »nach Art der ›Zeit der Unwissenheit‹ zuvor« herauszuputzen, sondern zu Hause zu sitzen, auch wenn sich der entsprechende Appell, wie wir im Folgenden sehen werden, eigentlich an die Gattinnen des Propheten Muhammad richtet:

»Ihr Frauen des Propheten! Ihr seid nicht wie die anderen Frauen.

Wenn ihr gottesfürchtig seid, dann redet nicht unterwürfig,

so dass nicht jemand, in dessen Herzen eine Krankheit ist, begehrlich wird.

Sprecht auf angemessene Weise!

Bleibt in euren Häusern wohnen,

und putzt euch nicht heraus nach Art der ›Zeit der Unwissenheit‹ zuvor!

Verrichtet das Gebet,

entrichtet die Armensteuer,

und seid Gott und seinem Gesandten gehorsam!

Gott möchte ja die Unreinheit von euch nehmen,

ihr ›Leute des Hauses‹, und euch ganz und gar reinigen.

Gedenket dessen, was in euren Häusern vorgetragen wird

von den Versen Gottes und der Weisheit.

Siehe, Gott ist umsichtig, erfahren.« (Sure 33,32-34)

Ich halte diesen angeblichen Anspruch an die Frauen deshalb für diskussionswürdig. Genau wie die Stelle, an der sie dazu angehalten werden, ihre Scham zu bewahren. Denn dort sind auch die Männer angesprochen:

»… den Männern und den Frauen, die ihre Scham bewahren …

all denen hält Gott Vergebung und reichen Lohn bereit.« (Sure 33,35)

Oder der Aufruf an die Frauen, den Hidschab zu tragen, wie ihn manche spätere islamische Gelehrte aus einigen Suren herauslesen, zum Beispiel aus folgender:

»Und sprich zu den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke senken

und ihre Scham bewahren und ihren Schmuck nicht zeigen sollen,

bis auf das, was ohnehin zu sehen ist,

und dass sie sich ihren Schal um den Ausschnitt schlagen

und dass sie ihren Schmuck nur ihren Gatten zeigen sollen,

den Vätern und den Schwiegervätern, den Söhnen und Stiefsöhnen,

den Brüdern und den Söhnen ihrer Brüder oder Schwestern,

dann ihren Frauen oder ihren Sklavinnen

und den Eunuchen und den Kindern,

die die Scham der Frauen noch nicht kennen.

Ihre Beine sollen sie nicht eins auf das andere legen,

so dass man ihren dort verborgenen Schmuck bemerke.

Und wendet euch alle Gott reumütig zu, ihr Gläubigen!

Vielleicht wird es euch dann wohlergehen!« (Sure 24,31)

Oder aus einer weiteren Sure, auch wenn es darin wieder vor allem um den Propheten und seine Frauen geht:

»Prophet! Sag deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie mögen ihre Gewänder über sich schlagen;

es ist dann leichter, dass man sie erkennt,

auf dass sie nicht belästigt werden.

Gott ist bereit zu vergeben, barmherzig.« (Sure 33,59)

Und nicht zuletzt aus den Versen, in denen der Koran Anstandsregeln für den Eintritt von Männern in die Häuser des Propheten aufstellt:

»O ihr, die ihr glaubt! Betretet nicht die Häuser des Propheten

– es sei denn, ihr seid zum Essen eingeladen –,

ohne den rechten Zeitpunkt abzuwarten; doch tretet ein, wenn ihr gerufen werdet!

Und wenn ihr gegessen habt, geht fort, ohne euch in ein Gespräch zu verwickeln.

Das könnte dem Propheten lästig sein, so dass er sich euch gegenüber schämt;

Gott aber schämt sich nicht der Wahrheit.

Und wenn ihr seine Frauen um eine Sache bittet, so tut das hinter einem Vorhang!

Das ist für eure und ihre Herzen besser.

Ihr sollt dem Gesandten Gottes nicht lästig fallen

und auch niemals seine Frauen nach ihm ehelichen!

Siehe, das wäre bei Gott ungeheuerlich.« (Sure 33,53)

Kurz, all diese Appelle, die der Koran an die Frau richtet, sind für die Allgemeinheit unerheblich, denn bei genauerer Prüfung stellen wir fest, dass sich die meisten davon auf die Ehefrauen des Propheten Muhammad beziehen. Der Koran verbietet es sogar, eine von ihnen nach seinem Tod zu ehelichen, obwohl er allen übrigen muslimischen Witwen eine erneute Heirat gestattet. Nichts von alledem also muss uns interessieren, abgesehen von einer Sache, in der sich der Koran in frauenfreundlicher Weise von den feindseligen und die Frau abwertenden Äußerungen der anderen heiligen Schriften, besonders des Juden- und des Christentums, abhebt.

In den meisten Religionen wird die erste Sünde auf der Welt und in der Menschheitsgeschichte Eva zugeschrieben, besonders in der Thora. Der bekannten Geschichte zufolge war sie aus der Rippe Adams erschaffen worden, sie gehörte also zu ihm, doch sie allein gehorchte dem Satan und verführte Adam im Paradies, von genau dem Baum zu essen, dem sich zu nähern und von dessen Früchten zu kosten Gott ihnen verboten hatte. Dass Gott Adam und Eva aus dem Paradies verbannte, ist also allein ihre Schuld.

Fünfundzwanzigmal in neun Suren kommt Âdam im Koran vor.1 Hawwâ (Eva) wird sonderbarerweise nicht namentlich genannt, genauso wenig wie die verbotene Frucht Erwähnung findet. Nur von einem Baum ist die Rede, dem »Baum des ewigen Lebens« (Sure 20,120). Dieser Baum erinnert uns an die Pflanze der ewigen Jugend, nach der Gilgamesch im nach ihm benannten Epos sucht. Aber das ist hier nicht das Thema. Vielmehr geht es hier darum, dass erstens Hawwâs Erschaffung im Gegensatz zu der in jeder der neun Suren ein wenig anders beschriebenen Schöpfung Âdams im Koran nicht erwähnt wird. Der Koran begnügt sich damit, sie in Verbindung mit Âdam zu nennen, um zu zeigen, dass sie überhaupt existiert. Aber wie sie erschaffen wurde und woher sie gekommen ist, darauf finden wir dort keine Antwort. Mögen Sunniten und Schiiten über Hawwâs Schöpfung auch uneinig sein, mit einer Koransure können beide Seiten ihre Behauptungen nicht belegen. Nach Meinung der Sunniten schuf Gott Hawwâ aus Âdams Rippe, während die Schiiten diese Vorstellung ablehnen. Ihrer Ansicht nach formte Gott Hawwâ aus dem Lehm, der bei Âdams Erschaffung übrig geblieben war.

Zweitens soll hier hervorgehoben werden, dass sich die koranische Erzählung über die erste Sünde von jener der Thora unterscheidet. Denn nicht Âdams Frau Hawwâ wird hier für die Freveltat, vom verbotenen Baum zu essen, verantwortlich gemacht. Wer sich den Koran noch einmal genauer ansieht, wird feststellen, dass die erste Sünde und die Vertreibung aus dem Paradies in nur drei Suren mehr oder weniger detailliert geschildert werden. Wir wollen zwei davon zitieren:

»Wir sprachen: ›Adam! Bewohne du mit deiner Frau den Garten,

und esst daraus in reichem Maß, wo immer ihr nur wollt!

Doch naht euch diesem Baume nicht,

denn sonst gehört ihr zu den Frevlern!‹

Doch der Satan [Schaitân] ließ sie beide an ihm straucheln

und trieb sie dann hinaus aus dem, worin sie waren.

Wir sprachen: ›Steigt herab! Ihr seid einander feind!

Auf Erden sei euch eine feste Statt und Lebensgenuss für eine Zeit!‹

Da wurden Adam Worte von seinem Herrn zuteil, und der kehrte sich ihm zu.

Siehe, er ist es, der sich gnädig zukehrt, der Barmherzige.

Wir sprachen: ›Steigt von ihm herab, allesamt!

Wenn dann Rechtleitung von mir zu euch kommt –

wer dann meiner Leitung folgt,

die brauchen keine Furcht zu haben und sollen auch nicht traurig sein!« (Sure 2,35-38)

»Wir hatten früher schon mit Adam einen Bund geschlossen,

doch er vergaß ihn;