Arden Hall – Zeiten des Schicksals - Julia Schreiber - E-Book

Arden Hall – Zeiten des Schicksals E-Book

Julia Schreiber

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Beschreibung

Das Leben auf Arden Hall geht weiter seinen turbulenten Gang. Lord und Lady Arden führen ihre vier Kinder in die Gesellschaft ein. Während Louisa und Samuel schon bald ihr Herz an die Liebe verlieren, erkennt Charlie den Wert seiner Ehe erst, als das Schicksal einen Schatten auf sein Leben wirft. Und Anne, die jüngste, wehrt sich vehement dagegen, sich in das gesellschaftliche Korsett zwängen zu lassen. Stattdessen will sie Schriftstellerin werden. Und während sie anfangs noch versucht, sich vor der Liebe zu verstecken, merkt auch Anne bald: Das Herz findet immer einen Weg ...

Diese romantische Familien-Saga erzählt von den Mitgliedern der Familie Arden, ihren Freunden und Nachkommen und begleitet sie auf der Suche nach Glück und der großen Liebe.

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Seitenzahl: 342

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

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Über dieses Buch

Das Leben auf Arden Hall geht weiter seinen turbulenten Gang. Lord und Lady Arden führen ihre vier Kinder in die Gesellschaft ein. Während Louisa und Samuel schon bald ihr Herz an die Liebe verlieren, erkennt Charlie den Wert seiner Ehe erst, als das Schicksal einen Schatten auf sein Leben wirft. Und Anne, die jüngste, wehrt sich vehement dagegen, sich in das gesellschaftliche Korsett zwängen zu lassen. Stattdessen will sie Schriftstellerin werden. Und während sie anfangs noch versucht, sich vor der Liebe zu verstecken, merkt auch Anne bald: Das Herz findet immer einen Weg ...

Über die Autorin

Es sind die Happy Ends, die uns glücklich machen. Davon ist Julia Schreiber überzeugt. Von vielen wunderschönen Happy Ends erzählt sie in ihrem Erstling, der Familiensaga Arden Hall. Julia Schreiber ist 1974 geboren und lebt mit ihrer Familie in Tübingen in einem Haus, das nicht ganz, aber fast ebenso alt ist wie Arden Hall.

Julia Schreiber

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dr. Clarissa Czöppan

Lektorat/Projektmanagement: Johanna Voetlause

Covergestaltung: www.bürosüd.de unter Verwendung von Motiven © www.bürosüd.de

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7325-9825-0

be-ebooks.de

lesejury.de

Die Liebe ist nie das Ende einer Geschichte. Sie ist immer der Anfang. Denn Hand aufs Herz: Diejenigen, die, nachdem sie die Liebe gefunden haben, glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben, sind rar, und wir ziehen vor ihnen den Hut und verneigen uns in ehrfurchtsvoller Bewunderung. Dennoch sind es die Anfänge, die unser Herz rühren und unserem Leben Zauber verleihen. Dies ist eine Erzählung von vielen Anfängen – und auch davon, wie die Liebe weitergeht.

Anmerkung des Erzählers

1

Wie es der Brauch verlangte, wurde Lady Louisa Colstone mit siebzehn Jahren am Hof der jungen Königin in die Gesellschaft eingeführt. Dieses wichtige Ereignis hatte bereits im Winter davor seine Schatten (oder besser, seinen Glanz) vorausgeworfen. Neben dem offiziellen Hofball würden die Colstones selbst einen Ball in London veranstalten, der sich in die lange Reihe der Veranstaltungen während der Ballsaison einfügte. Sarah Colstone, die Countess of Arden, hatte für den Ball ihrer Tochter extra den großen Saal im Stadthaus neu herrichten lassen. Weder sie noch ihr Ehemann hatten in den letzten Jahren viel auf Bälle gegeben, beide zogen kleinere, intimere Feste und Gesellschaften auf dem Landsitz Arden Hall vor. Aber nun war die Zeit gekommen, wo auch das Stadthaus in frischem Glanz erstrahlen musste. Louisa war ja nicht das einzige Kind: Sie hatte einen älteren und einen jüngeren Bruder und zudem noch eine kleine Schwester, die allesamt früher oder später einen passenden Partner wählen mussten, und wenn der Tanzsaal der Colstones irgendetwas dazu beitragen konnte, so würde Sarah in dieser Hinsicht nichts dem Zufall überlassen.

Dass sich für Louisa eine gute Partie finden würde, daran zweifelte Sarah nicht. Bereits im letzten und sogar im vorletzten Jahr hatte George Colstone, Earl of Arden, der vor dem Gesetz Louisas Vater war, immer wieder zarte Anfragen erhalten, ob man für das Mädchen nicht schon jetzt eine Vereinbarung zu einer künftigen Verbindung treffen könne. Als älteste Tochter eines Grafen hatte sie einen hohen gesellschaftlichen Rang, der so manche Eltern eines heiratsfähigen Adeligen auf sie aufmerksam machte. Ihre Mitgift und Aussteuer würden diesem Rang entsprechen. Doch George hatte alle Anträge, die ihn vor Louisas siebzehnten Jahr erreicht hatten, rundheraus abgelehnt. Er wollte diese Entscheidung auf keinen Fall über Louisas Kopf hinweg treffen, hielt sie aber noch für zu jung, um sich darüber eine tragfähige Meinung bilden zu können.

Auch von den heiratsfähigen Adeligen selbst hatten einige bereits ihre Blicke auf sie geworfen. Louisa war schon immer ein ausgesprochen hübsches Mädchen gewesen, und sie wuchs rasch zu einer Schönheit heran, die die ihrer Mutter Sarah gewiss noch übertreffen würde. Mehr als ihre Mutter hatte sie eine mädchenhafte Vorliebe für Putz und Tand und wohlerzogene Höflichkeit, und sie freute sich sehr auf ihr Debüt. Als sie vor der Abreise nach London ihre neuen Ballkleider anprobiert hatte, war ihr gewesen, als öffne sich ihr eine Welt voller Glanz und Licht, wieder und wieder drehte sie sich in dem weißseidenen Rock vor dem Spiegel und bewunderte seine leichten Schwünge.

Halb stolz, halb amüsiert betrachtete Sarah ihren Spross. Einerseits freute sie sich über die wohlgeratene Tochter, und sie konnte ihre Aufregung nachempfinden – aber andererseits empfand sie auch für einen Moment eine brennende Sehnsucht nach dem kleinen Mädchen mit den langen Zöpfen, das Louisa vor gar nicht allzu langer Zeit noch gewesen war. Wie gerne hätte sie noch mehr Kinder gehabt ... Sarah selbst hatte sich ebenfalls neue Ballkleider schneidern lassen, aber diese waren weitaus schlichter geworden. Sie hatte nicht selten andere Mütter beobachtet, die sich bei solchen Anlässen für mindestens ebenso wichtig hielten wie ihre Töchter und sich dementsprechend herausputzten – eine solche Mutter wollte Sarah lieber nicht sein. Bewundernde Blicke hatte sie selbst lange genug auf sich gezogen, sie fühlte sich nicht mehr in der Pflicht dazu.

Wie zu erwarten, war Louisas erster Auftritt ein großer Erfolg. Ihre Augen strahlten mit dem von der Mutter geborgten Diamantschmuck um die Wette, ihre Tanzkarte füllte sich im Nu, und das weiße Kleid hatte mehr als genug Gelegenheit, über die Tanzfläche zu wirbeln. Sarah wurde von so vielen Personen auf ihre Tochter angesprochen, dass sie George zuflüsterte, sie überlege sich, eine Liste anzulegen, um nicht die Übersicht zu verlieren – so wie sie es in ihrer ersten eigenen Ballsaison mit den neuen Bekanntschaften gemacht hatte.

Sarah hatte Vertrauen in ihre Tochter. Sie hatte ihr eingeschärft, dass es weder notwendig noch wünschenswert sei, dem Erstbesten irgendeine Versprechung zu machen. Doch es sind nicht die Ermahnungen, sondern die Vorbilder, die unser Leben prägen. In ihrem Herzen wusste Louisa, dass sie nur aus Liebe eine Beziehung eingehen würde.

So beobachtete sie das Defilee ihrer Verehrer amüsiert und geschmeichelt. Sie hatte rasch eine kleine Gruppe junger Mädchen im selben Alter um sich geschart – zum Teil waren es Internatsfreundinnen, zum Teil andere Debütantinnen, die sie in London kennengelernt hatte. Tuschelnd tauschten sie sich über den bunten Jahrmarkt der Flirts und Verlobungen aus, deren Mittelpunkt sie waren. Es war ein merkwürdiges, spannendes, manchmal beinahe würdeloses Spiel, doch die jungen Frauen waren sich bewusst, dass dieser oder der nächste Sommer über ihr restliches Leben entscheiden würde. Wer auch im übernächsten Sommer keine Partie für sich gewinnen würde, müsste sich mit Witwern, Emporkömmlingen oder der Rolle einer bei Verwandten lebenden alten Jungfer zufriedengeben. Nicht jeder unverheirateten Frau mag ihr Schicksal schrecklich vorkommen (und es mag sogar die eine oder andere verheiratete Frau geben, die dieses Empfinden im Geheimen teilt), aber davon wussten die jungen Mädchen nichts: Keinen Mann zu finden war das Schlimmste, was sie sich vorstellen konnten.

Empört war Louisa dann, wenn mit den Herzen der jungen Damen, die sich auf diese Weise präsentieren mussten, Schindluder getrieben wurde. Sie hatte ein paarmal beobachtet, wie ein Mann eines der jungen Mädchen mit Komplimenten und Superlativen überhäufte, um dann am nächsten Abend eine andere mit denselben Liebesschwüren zu beglücken. In diesen Momenten bewies sie, dass sie auch das Temperament ihrer Mutter geerbt hatte, und wenn sich einer dieser jungen Männer ihr zuwandte, erhielt er eine kalte Dusche, nach der ihm jeder Liebesschwur im Halse stecken blieb. Per Flüsterpost wurde es dann unter den Mädchen verbreitet, und manch ein junger Herr sah sich unerwartet kaltgestellt.

Sarah und George beobachteten erstaunt, wie viel Macht Louisa in ihrem ersten Londoner Sommer anhäufte. Da sie diesen Einfluss jedoch nicht willkürlich oder böswillig einsetzte, ließen sie sie gewähren.

Doch die Flüsterpost war ein unzuverlässiger Ratgeber. Diese Erfahrung musste Louisa bei einem Empfang im Juli machen. Zu dieser Zeit war der erste Zauber der langen Abende bereits etwas abgeklungen, und sie hatte Muße, sich ihrerseits die jungen Männer genauer anzusehen.

Es war früher Abend. Heute trug Louisa keines der Ballkleider, sondern hatte mit Erlaubnis der Mutter ein smaragdgrünes Abendkleid angezogen, in dem sie sich noch ein wenig fremd und sehr erwachsen vorkam. Sie stand neben einer ihrer Freundinnen und ließ den Blick über die Menge schweifen. Da stand ein Grüppchen junger Herren beisammen und schien sich gut zu amüsieren. Ihre Aufmerksamkeit erregte vor allem einer davon. Nicht so sehr, weil er gut aussah – dafür war er entschieden zu schmal und schlaksig –, sondern weil ihr sein herzhaftes Lachen gefiel, das bis zu ihr zu hören war. Kurz fing sie seinen Blick auf, dann verbarg sie ihr Gesicht rasch hinter ihrem Fächer.

»Weißt du, wer der Blonde da drüben ist?«, wisperte sie ihrer Freundin zu.

»Der Große? Das ist Lord Maxwell Kerry. Er macht seit einigen Tagen Linda Osbourne den Hof.«

Louisa nickte und strich gemäß ihren Grundsätzen den jungen Mann von ihrer geistigen Liste interessanter Männer.

Umso ärgerlicher war sie, als er eine Weile später neben ihr auftauchte. »Nun habe ich mich wie Odysseus durch den ganzen Raum gekämpft, um zu sehen, wer diese hinreißende Dame in grün ist«, eröffnete er das Gespräch charmant.

»Dann können Sie sich direkt wieder auf den Rückweg machen. Ich hoffe, Sie werden dazu weniger lang brauchen als Odysseus«, gab Louisa schnippisch zurück.

Er stutzte überrascht. »Bitte um Entschuldigung! Habe ich etwas allzu Dummes gesagt? Hätte ich warten sollen, bis man uns einander vorstellt?«

»Auf diese Vorstellung kann ich verzichten, Lord Kerry. Kämpfen Sie sich einfach wieder zurück und nehmen Sie sich vor Scylla und Charybdis in Acht. Wie ich höre, lauern sie drüben beim Buffet!«, meinte Louisa und wollte sich abwenden.

»Bitte, Mylady, warten Sie kurz!«, rief er aus. »Da muss eine Verwechslung vorliegen! Ich bin keineswegs Lord Kerry und möchte es wahrhaftig auch nicht sein. Mein Name ist Alan Mavering!«

Louisa blieb stehen und starrte ihn an. »Standen Sie vorhin vielleicht neben Lord Kerry?«, fragte sie schließlich.

»Ja, richtig, das tat ich«, räumte er ein.

»Wie furchtbar peinlich. Ich fragte eine Freundin, wer Sie seien ...« In dem Moment, in dem sie das sagte, war ihr bewusst, welche Blöße sie sich damit gab. »... und sie dachte vermutlich, ich meinte Ihren Nebenmann. Von Lord Kerry weiß ich, dass er bereits einer Freundin von mir den Hof macht, und wollte keinesfalls mit ihm in Verbindung kommen«, erklärte sie mit roten Wangen. »Es tut mir leid, dass ich so unhöflich war.« Wieder wollte sie sich abwenden.

»Nun, da ich nicht Lord Kerry bin, könnten wir doch noch einmal von vorne beginnen«, beeilte er sich zu sagen.

Sie blickte ihn über die Schulter an. »Auf keinen Fall. Es ist nicht Ihre Schuld, aber wann immer ich Sie in Zukunft sehen werde, werde ich mich an dieses peinliche Gespräch erinnern, und das ist mir einfach zu unangenehm. Leben Sie wohl, Mr. Mavering!« Und sie entschwand zwischen den anderen Leuten.

Sir William Harley hatte das Gespräch aus der Entfernung beobachtet. Er hatte dem plaudernden Grüppchen, bei dem er stand, ohnehin nur halbherzig zugehört. Solcherlei Empfänge, bei denen sich alle gut benahmen und nichts als höfliche Worte austauschten, pflegten ihn zu langweilen. Den Ruf als eingefleischter Junggeselle hatte er sich hart erarbeitet, indem er heiratswilligen Damen jederzeit aus dem Wege ging und über Jahre hinweg möglichst oft spöttische Bemerkungen über das grässliche Joch der Ehe fallen ließ. Obwohl seine elegante und stets modische Kleidung die Tatsache verdeckte, dass er die Vierziger seit einiger Zeit hinter sich gelassen hatte, kam es kaum noch vor, dass jemand auf den Gedanken fiel, ihn verkuppeln zu wollen. Aber wenn man nicht selbst auf der Suche nach einer guten Partie war, so konnte doch das Vergnügen einer Veranstaltung durchaus darin liegen, für andere Menschen zarte Bande zu weben. Sir William war ein enger Freund von Louisas Eltern und dem Mädchen sehr zugetan. Spontan beschloss er, heute einmal die gute Fee zu spielen. Er schob sich neben den perplexen Mr. Mavering, den er als Mitglied der Anwaltskammer, des Inner Temple, kannte. »Lady Louisa ist eine eigensinnige junge Dame«, bemerkte er.

»Ganz offenbar ist sie das«, antwortete Mr. Mavering. Er klang recht ratlos. Billy beugte sich zu ihm und flüsterte verschwörerisch: »Sie tanzt sehr gerne. Zum Beispiel übermorgen, beim Ball der Duchess of Roxmond.«

»Ach ja?« Mr. Mavering wandte sich ihm nun ganz zu und sah ihn überrascht an. In dem glatt rasierten rundlichen Gesicht des älteren Mannes zeigten sich kleine Lachfältchen um die Augen herum. Zumindest sah er nicht aus, als ob er Mr. Mavering Böses wollte. »Ich fürchte, bei der Duchess bin ich gar nicht eingeladen«, meinte der jüngere verzagt.

»Möchten Sie denn eingeladen werden? Nichts, was sich nicht arrangieren ließe, wenn Sie es wollen«, meinte Billy liebenswürdig.

»Das würden Sie für mich tun, Sir William?«, fragte der junge Mann erfreut. »Wenn ich eine zweite Chance bekäme, würde ich sie gewiss besser nutzen.«

»Ich bin sehr gespannt, was Sie aus dieser Chance machen werden, Mr. Mavering«, meinte Billy schmunzelnd, nickte dem jungen Mann zu und machte sich dann auf die Suche nach der Duchess, um sein Angebot in die Tat umzusetzen und dem jungen Mann eine Einladung zu verschaffen.

Also tauchte Alan Mavering beim Ball der Duchess of Roxmond erneut an Louisas Seite auf. Es war dies eine besonders prunkvolle Angelegenheit, die sich über mehrere Säle und Salons erstreckte und bei der sich die vornehmsten Mitglieder der Londoner Gesellschaft ein Stelldichein gaben.

Louisa sah ihn mit tadelndem Blick an, doch er begann rasch: »Lady Louisa, ich habe einen Plan. Ich werde einfach dafür sorgen, dass Sie möglichst viele erfreuliche Erinnerungen an mich bekommen. Damit wird irgendwann die unangenehme Erinnerung überlagert und verliert an Gewicht. Ich bin von Herzen überzeugt, dass dieses Vorhaben erfolgreich sein wird. Bitte lassen Sie es mich probieren!«

Sie musste lächeln. »Meinen Sie, das wird gelingen?«

»Oh, falls nicht, hätte ich noch einen zweiten Plan: Ich müsste nur heute Abend so viele Missgeschicke hervorrufen, dass wiederum Ihr kleines Missverständnis ganz in den Hintergrund tritt und in Vergessenheit gerät. Ich könnte eine der Zierpalmen umstoßen oder der Duchess auf den Rocksaum treten ... aber wenn ich ehrlich bin, würde ich gerne dem ersten Plan den Vorzug geben«, meinte er sorgenvoll.

»Wenn das die Alternative ist, bin ich auch für den ersten Plan – schon aus Rücksicht auf unsere Gastgeberin«, meinte Louisa trocken und reichte ihm ihre Tanzkarte.

Er strahlte sie an. »Sie machen sich keine Vorstellung, wie sehr mich das freut – nicht nur in Hinblick auf der Herzogin Topfpalmen.«

In der Folge der weiteren Ballsaison machte Alan Mavering, jüngerer Sohn des Viscount Mavering, Louisa den Hof. Dies bestand nicht so sehr darin, dass er sie mit Komplimenten überhäufte, wie das die meisten taten, sondern dass er sie bei jeder passenden und mancher unpassenden Gelegenheit zum Lachen brachte. Es konnte keinen Zweifel daran geben, dass sie die Gesellschaft des anderen sehr genossen.

Deutlich zu sehen war das bei dem Ball, den die Colstones selbst gaben. Insgesamt dreimal schwebte Louisa mit ihrem Verehrer an diesem Abend über die Tanzfläche – eine Anzahl, die alle anderen Aspiranten deutlich auf die hinteren Plätze verwies. Halb tadelnd, halb neugierig wandte sich Sarah an Billy, der selbstverständlich auch anwesend war: »Ich habe genau gesehen, dass du deine Finger im Spiel hattest. Wie kommst gerade du dazu, meine Tochter zu verbandeln?«

»Ich habe es mit bester Absicht getan, meine Liebe. Mavering ist nett. Er passt zu uns.«

»Was soll denn das heißen?«, frage George mit hochgezogenen Augenbrauen. Er stand zwischen den beiden und folgte Louisas Verehrer ebenfalls mit prüfenden Blicken. »Dir ist klar, dass nicht du ihn heiraten sollst?«

»Es soll heißen, er hat Humor. Den wird er brauchen bei dieser Schwiegerfamilie. Er ist der Richtige für Louisa, glaubt mir.«

»Dir ist ferner klar«, fuhr George fort, »dass ich für das Mädchen bereits mindestens drei Anträge von gesellschaftlich und finanziell bessergestellten Herrschaften erhalten habe?«

»Pfui, möchtest du deine Tochter etwa verschachern?«, fragte Billy mit gespielter Empörung.

»Nichts läge mir ferner, das weißt du«, brummte George. »Mavering wäre alles in allem schon in Ordnung.«

»Die letzte Entscheidung liegt ohnehin bei Louisa«, sagte Sarah fest.

Es dauerte einige Wochen, und noch mehrere Empfänge, Bälle und Abendgesellschaften mussten ins Land gehen, bis Mr. Mavering sich durchringen konnte, seine Frage zu stellen. Vielleicht lag das auch daran, dass man bei Empfängen, Bällen und Abendgesellschaften selten alleine ist. Für manche Art Gespräche sind fremde Augen und Ohren wenig zuträglich. Sowohl das Glück einer positiven wie die Schmach einer negativen Antwort sind Gefühle, die man ungern mit Dritten teilt. An einem Abend im August endlich erbot sich eine Chance, denn der Tanzsaal, in dem die heutige Gesellschaft stattfand, grenzte an einen hübsch angelegten, von einer hohen Mauer umgebenen Garten. Alan Mavering führte nach einem Tanz seine Angebetete in die dunkle Kühle hinaus, wo – wie es sich für eine romantische Nacht gehörte – die Rosen dufteten und der Mond schien. Es herrschte eine geradezu magische Stimmung, sodass Louisa, die die Scherze und Blödeleien ihres Begleiters bisher immer genossen hatte, ihn schließlich rügte: »Können Sie nicht einmal für fünf Minuten ernsthaft sein und nichts Komisches sagen?«

Er blieb stehen, blickte auf die Rosen und den Mond und holte dann tief Luft. »Vergeben Sie mir, Lady Louisa. Ich schwöre, der einzige Grund, warum ich so viel Unsinn rede, ist der, weil ich so gerne Ihr Lachen höre. Der einzige Grund für meine albernen Bemerkungen ist die Freude in Ihren blitzenden Augen, wenn Sie mir eine schlagfertige Antwort geben.« Er griff behutsam nach ihrer Hand und schüttelte den Kopf. »Der Mond kann mich nicht bezaubern, denn das haben bereits Sie getan.« Dann senkte er sein Gesicht und küsste sie sehr zart auf den Mund. »Lady Louisa, möchten Sie meine Frau werden?«

Louisa spürte noch kurz der warmen Berührung ihrer Lippen nach. Dann sagte sie: »Mr. Mavering, hätten Sie morgen Zeit, mich auf einen Spaziergang zu begleiten?«

Er riss die Augen auf. »Äh, ich frage gerade, Lady Louisa, möchten Sie ...«

»Ich habe Sie gehört«, unterbrach sie ihn, »und ich fragte zurück, ob Sie morgen Zeit für einen Spaziergang haben.« Sie blickte zu ihm auf. »Ich kann Ihre Frage erst beantworten, wenn ich Ihnen etwas Bestimmtes erzählt habe, und das würde ich gerne bei Tag tun und nicht, wenn ich schon drei Gläser Champagner getrunken habe.«

»Nun – ja. Ich werde Sie morgen Nachmittag abholen«, meinte er verwirrt. Dann reichte er ihr den Arm, um sie wieder zurück zu dem hell erleuchteten Haus zu führen.

»Mr. Mavering?«, fragte sie.

»Ja, bitte?«

»Mr. Mavering, würden Sie mich noch einmal küssen?« Er lachte leise. »Mit dem allergrößten Vergnügen.«

Wie vereinbart holte Mr. Mavering Louisa am nächsten Tag ab, um mit ihr in den Park zu fahren. Hier herrschte freilich nicht der mondbeschienene Zauber von gestern Abend. Im Gegenteil, alles war freundlich und klar, die Augustsonne schien hell über die bunten Blumenbeete und den kiesbedeckten Weg, den sie eingeschlagen hatten. Erst als sie so nebeneinander her schlenderten, begann Louisa.

»Mr. Mavering, ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen. Sie handelt von einem jungen Mädchen, etwa so alt wie ich jetzt. Sie gehörte dem Landadel an, ihr Vater hatte ein Gestüt. Sie verliebte sich in einen der Bereiter ihres Vaters, einen Mann namens Rob Marsham, der noch dazu selbst das uneheliche Kind einer Näherin war. Sie hätten niemals heiraten können. Also ging das junge Mädchen eine Scheinehe ein. Sie heiratete einen Lord, der seinerseits kein Interesse an einer Ehe hatte. Aber in Wahrheit folgte ihr Liebhaber ihr, er wurde Verwalter auf dem Gut des Lords, und sie lebten zusammen und bekamen vier Kinder.« Sie holte tief Luft. »Eines dieser Kinder bin ich.«

»Oh!«, machte er überrascht und runzelte die Stirn. »Sie wollen mir sagen, dass Sie in Wahrheit nicht die Tochter von Lord Arden sind?«

Louisa nickte.

»Und Lord Arden? Warum hat er dabei mitgemacht?«

»Weil er seinerseits eine Liebesbeziehung mit einem anderen Mann unterhält«, sagte Louisa sachlich und fügte rasch hinzu: »Als Jurist wissen Sie, wie prekär diese Information ist. Ich hoffe inständig, Sie werden über diese Geschichte Stillschweigen bewahren, Mr. Mavering.«

»Gewiss, da Sie mich darum bitten ... Aber dennoch zeigt sich Lord Arden vor der Öffentlichkeit als Ihr Vater?«, fragte er zögernd weiter.

»Er ist nie etwas anderes als ein Vater zu mir gewesen. In gewisser Weise habe ich zwei Väter. Auch der Lebensgefährte meines Vaters gebärdet sich manchmal recht väterlich, sodass ich sogar drei Väter habe«, meinte sie trocken, aber Mr. Mavering war zu verwirrt, um diese Andeutung zu verstehen.

Er dachte nach. »Wenn ich es recht verstehe, wird der Umstand Ihrer Herkunft auch in Zukunft ein Geheimnis bleiben?«

»Laut meiner Geburtsurkunde sind meine Eltern Lord und Lady Arden, insofern kann sich daran gar nichts mehr ändern«, meinte Louisa.

Er blieb stehen. »Und nun?«, fragte er vorsichtig.

Sie sah ihm offen in die Augen. »Nun können Sie Ihre Frage von gestern wiederholen, wenn Sie das noch wollen«, sagte sie mit einem etwas zaghaften Lächeln.

»Muss ich wirklich? Es hat gestern schon meinen ganzen Mut gekostet!« Er lachte. »Liebste Louisa, wie immer Ihr Name und Titel lauten mag, möchten Sie meine Frau werden?« Sie lächelte. »Denken Sie, ich hätte Ihnen sonst meine dunkelsten Geheimnisse anvertraut?«

»Vermutlich nicht. Aber ein Ja wäre dennoch schön«, meinte er.

»Ja, das möchte ich«, sagte sie, und er ergriff ihre Hand mit den seinen. »Sie machen mich zum glücklichsten Mann dieser Welt«, sagte er leise.

2

Dann und wann machte sich Francis Kimball auf, seinen unehelichen Sohn Rob Marsham zu besuchen. Er sagte sich selbst, es sei seine Pflicht, das für beide Männer schwierige Verhältnis auf diese Weise aufrechtzuerhalten, nachdem er Rob in dessen Kindheit aufs Schändlichste vernachlässigt hatte. Dass Francis es auch angenehm fand, sich auf Arden Hall aufzuhalten, wo Rob die Stelle eines Verwalters einnahm, hätte er geleugnet, denn die Familienverhältnisse dort lehnte er nach wie vor strikt ab. Dennoch: In der kalten Jahreszeit, wenn ihm sein eigenes Haus dunkel und einsam schien, empfand er eine unausgesprochene Vorfreude bei dem Gedanken an den großen, großzügig beleuchteten Landsitz, an das exzellente Essen, die gut gewärmten Schlafkammern und die zahlreichen beflissenen Angestellten, die stets bereit waren, ihm ein heißes Bad einzulassen – eine Arbeit, die seiner Haushälterin von Winter zu Winter immer beschwerlicher ankam.

An einem kalten Tag nach Neujahr, kurz vor der frühen Dämmerung, lenkte er seinen ältlichen Zweispänner die Allee entlang. Während die kleine Kutsche einen kahlen Baum nach dem anderen passierte, schob sich langsam sein Ziel ins Blickfeld: das ehrwürdige Haus mit der langgestreckten Fensterfront, mit den grauen Dächern und den kleinen Türmen an jeder Seite. Trotz der einschüchternden Größe wirkte das Gebäude einladend. Aus den vielen Kaminen stieg Rauch auf, der den Schluss zuließ, dass im Innern die meisten Räume großzügig geheizt waren.

Rob hatte den Zweispänner schon von Weitem gesehen und kam seinem Vater auf dem Vorplatz entgegen. Auch Francis hatte die groß gewachsene Gestalt in Reitstiefeln und gefütterter Lederjacke bereits erblickt, im Näherkommen sah er auch das schmale Gesicht mit den grauen Augen und das dichte braune Haar, das wie immer im Nacken zusammengebunden war.

»Guten Abend. Eiskalt heute! Meine Familie wirst du nicht antreffen, sie sind allesamt zu einem Festessen bei einer von Georges Nichten eingeladen – aber komm doch herein!«, begrüßte ihn Rob.

»Wie schade«, murmelte Francis Kimball eher höflich als ehrlich. Für Sarah empfand er inzwischen eine schwiegerväterliche Zuneigung, doch noch immer fühlte er sich in Georges und Billys Gegenwart manchmal unwohl. Aber dies würde er nicht erwähnen, denn er wusste aus Erfahrung, dass Rob die Lebensweise seines Dienstherrn in eherner Loyalität verteidigen würde.

In diesem Moment fuhr in sportlichem Tempo noch eine Kutsche vor, weit modischer und eleganter als das andere Gefährt und von zwei Pferden gezogen, die man offensichtlich sowohl wegen ihres Temperaments als auch wegen ihrer auffälligen Schönheit ausgewählt hatte. Rob trat auf die Kutsche zu, während Mr. Kimball zögernd bei seinem Wagen stehen blieb. Vielleicht würde der vornehme Besuch sogleich weiterfahren, wenn er hörte, dass die Herrschaften nicht da waren. Vielleicht musste Rob sich aber auch erst einmal um die Unterbringung des Gastes kümmern, sodass er selbst sich besser im Hintergrund hielt, bis sein Sohn wieder Zeit für ihn fand.

Nichts von beidem traf ein. Rob begrüßte den Mann, der aus der Kutsche stieg, mit Handschlag, machte eine lachende Bemerkung, offenbar über das feurige Gespann, und trat dann mit dem Neuankömmling auf Francis zu. »James, darf ich dir Mr. Francis Kimball vorstellen, meinen – Vater. Francis, Lord Waterfield.«

Der Ältere hatte das hauchfeine Zögern bemerkt, mit dem Rob das Wort ›Vater‹ ausgesprochen hatte. Aber immerhin hatte er ihn überhaupt mit dieser Bezeichnung vorgestellt, und das war vielleicht alles, was er erwarten durfte. Falls Lord Waterfield sich über diese Pause oder die Namensungleichheit von Vater und Sohn irgendwelche Gedanken machte, waren sie ihm nicht anzusehen. Er meinte, es sei eine Freude, Mr. Kimball kennenzulernen, schüttelte ihm die Hand, und dann ging man ins Haus, um sich im Salon bei einem Glas Punsch aufzuwärmen.

Das Gespräch kam rasch in Gang. »Kennst du eigentlich diesen Mavering? Ich habe ihn nur kurz getroffen«, meinte Rob, der Louisas Verlobung im letzten Sommer noch immer nicht ganz verdaut hatte. Zu gerne hätte er sie bei ihrer ersten Ballsaison begleitet und beschützt, und er hatte es zum ersten Mal als Nachteil empfunden, nicht als ihr Vater auftreten zu können. Nun hatte sie einem jungen Mann ihr Verlobungsversprechen gegeben, den er kaum kannte und zu dem sie ihn kein bisschen um seine Meinung gebeten hatte. Im Grunde wusste er, dass Louisa bei aller jugendlichen Leichtfertigkeit über ein solide Menschenkenntnis und einen gesunden Menschverstand verfügte – aber dass er nicht dabei gewesen war, wurmte ihn doch.

»Misstraust du etwa Billys Empfehlung?«, fragte James Waterfield lachend.

»Eigentlich nicht – aber ich weiß nicht, ob ihm in diesem Fall der Ernst der Lage bewusst ist«, meinte Rob düster, und James lachte noch mehr. »Nach allem, was ich weiß, ist der junge Mavering ein absolut anständiger Kerl. Allemal anständiger, als wir es waren, würde ich sagen! Aber was bin ich froh, dass meine Morgan erst sechs ist.«

»Warte nur, auch dir wird diese schreckliche Zeit blühen. Wenn Morgan nach ihrer Mutter kommt, wird sie so hübsch, dass du sie in einen Turm sperren musst, um die Verehrer abzuhalten«, meinte Rob drohend, und Francis wurde auf einmal bewusst, dass er die Situation falsch eingeschätzt hatte. Er hatte gedacht, Rob müsse den vornehmen Gast in Vertretung von George und Sarah unterhalten und sei vielleicht sogar froh, seinen Vater bei dieser anstrengenden gesellschaftlichen Aufgabe als Unterstützung an der Seite zu haben. Doch tatsächlich waren die beiden jüngeren Männer Freunde und hatten sich womöglich sogar verabredet, um in Abwesenheit von Lord und Lady Arden den Abend bei Punsch und entspannten Gesprächen zu verbringen. Er war erleichtert, dass in diesem Moment der Gong zum Essen rief.

Der Speisesaal war von vielen Kerzen erleuchtet, deren Lichter sich im blank polierten Holzmosaik des Bodens spiegelten. Die Mahlzeit war, wie zu erwarten, köstlich und reichhaltig. Währenddessen bezog Lord Waterfield den Vater seines Freundes mit routiniertem Geschick ins Gespräch ein, sodass die Atmosphäre sogar entspannter war als sonst, wenn Vater und Sohn zusammentrafen. Themen, die Mr. Kimball unangenehm hätten sein können, umschiffte James elegant. Als sie später wieder im Salon saßen, fragte Francis allerdings: »Wie haben Sie beide sich eigentlich kennengelernt?« Rob und James sahen sich an. Rob verzog das Gesicht. James hob die Augenbrauen und sagte mit kolossaler Ironie: »Das ist eine sehr langweilige Geschichte!«, und dann mussten beide ganz fürchterlich lachen.

Francis lehnte sich unwohl zurück und verzichtete darauf, die Geschichte einzufordern. Stattdessen beugte James sich nun neugierig vor. »Wie fanden Sie es damals eigentlich, Ihren Sohn kennenzulernen? Es muss doch für Sie auch merkwürdig gewesen sein, auf diesen ungewöhnlichen jungen Mann zu treffen.«

Gewissenhaft rief sich Francis Kimball dieses Ereignis ins Gedächtnis. »Wenn ich aufrichtig bin, war ich sehr erleichtert, als ich ihn zum ersten Mal sah.«

»Erleichtert?«, fragte Rob befremdet. »Warum denn das?«

»Nun ja. Ich musste ja befürchten, einen ... ungehobelten Burschen aufzufinden, dem ich mich kaum verständlich machen konnte«, erklärte Francis vorsichtig, »also war ich erleichtert, einen so gebildeten, verständigen Mann anzutreffen.«

»Ich bin nicht gebildet«, sagte Rob scharf.

»Aber nein«, besänftigte James ihn ironisch, »du bist praktisch frei von jeglichem tieferem Wissen. Mr. Kimball, ich verstehe, was Sie meinen. Hatten Sie Angst, dieser ungehobelte Bursche würde Sie gänzlich ablehnen? Oder waren Sie eher in Sorge, ihn unterstützen zu müssen?«

»Ja, genau – hättest du dem unzivilisierten Stallburschen auch angeboten, in deinem Haus zu wohnen?«, fragte Rob böse. Es war nicht so, dass er seinem Vater beständig grollte, aber dann und wann empfand er dennoch einen unbestimmten Zorn auf den Mann, der ihn als Kind im Stich gelassen hatte.

Etwas hilflos antwortete Francis: »Als ich mich damals auf die Suche nach dir machte, war ich fest entschlossen, mein Versagen wiedergutzumachen, egal welche Art Mensch du geworden warst.«

Rob presste die Lippen aufeinander. James fuhr fort: »Und dann trafen Sie einen jungen Mann, der auf die Wiedergutmachung nicht angewiesen war, sondern sein Glück bereits gemacht hatte. Das hat es für Sie in gewisser Hinsicht schwerer gemacht – denn es gab keinen Grund, Ihnen für diese Großzügigkeit dankbar zu sein.«

Vater und Sohn schwiegen einen Moment, um die Wahrheit in diesen Worten zu begreifen.

»Andererseits bin ich auf eine Art auch stolz auf Rob, auf seine Leistungen«, meinte Francis zaghaft.

»Meine einzige Leistung war es, mich in die falsche Frau zu verlieben«, schnaubte Rob.

James lachte. »Das glaubst du doch selbst nicht. George hat mir erzählt, was du für dieses Gut getan hast. Du hast aus dir selbst sehr wohl einen gebildeten Mann gemacht. Du bist bestimmt der tüchtigste Mensch, den ich kenne!«

»James, das wirst du nie verstehen. Ich will nur wenigstens ein bisschen zurückgeben von dem ... von dem, was ich empfangen habe. Für mich und für meine Kinder«, meinte Rob nachdrücklich.

»Deine Kinder – das erinnert mich an etwas«, meinte James. »Sam ist jetzt neunzehn geworden, richtig? Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, ihn eine diplomatische Karriere einschlagen zu lassen?«

»Eine diplomatische Karriere?«, fragte Rob bass erstaunt.

»Ja, ganz recht. Man wird auch dieses Jahr wieder einige Junior Attachés berufen. Wenn du den Plan billigst, werde ich mich für ihn verwenden.«

»Warum?«, fragte Rob begriffsstutzig.

»Warum nicht?«, fragte James leichthin zurück.

»Ich meine, würdest du das für mich tun?«

»Nein. Ich würde es für England tun«, bemerkte James zynisch. »Im Ernst, das Corps kann etwas frischen Wind brauchen. Ich könnte mir vorstellen, dass Sam genau der Richtige wäre.«

»Gibt es nicht allzu viele, die ... die von seiner Abstammung wissen?«, fragte Rob vorsichtig.

James zuckte die Achseln. »Diejenigen, die es wissen, haben ihre Gründe, darüber zu schweigen. Nach jedem formalen Kriterium ist er der Sohn von Lord Arden, und aufgrund dieser Abstammung wird man ihn auf jegliches gesellschaftliche Parkett entsenden können. Aber da er auch dein Sohn ist, wird er die Dinge vielleicht manchmal aus einem anderen Blickwinkel sehen, was dem Corps insgesamt nur zugutekommen kann.«

Rob schwieg eine Weile. Auch Francis sagte nichts, über die Erziehung seiner Enkel hatte er ohnehin nie ein Wort verlauten lassen. Schließlich meinte Rob verlegen: »Siehst du – ein weiterer Grund, warum ich mich bezüglich meiner Kinder beständig in anderer Leute Schuld fühle.«

»Herrje, in meiner Schuld stehst du deswegen ganz sicher nicht! Und ich glaube, sowohl George als auch Sarah würden dir versichern, dass du ebenso wenig in ihrer Schuld stehst«, meinte James beinahe liebevoll.

Rob seufzte. »Das würden sie vermutlich«, murmelte er.

Sein Freund lehnte sich bequem wieder zurück. »Die Diplomatie ist ein sehr abwechslungsreicher Zeitvertreib. Aber immer, wenn ich eine Weile auf Reisen war, freue ich mich, wieder einmal hier bei euch zu sein. Es ist so entspannend. Wissen Sie, Mr. Kimball«, bezog er den älteren Herrn wieder ins Gespräch ein, »George hat hier einen Ort geschaffen, an dem jeder Mensch ganz er selbst sein kann. Ein sonderbarer Grenzgänger wie Rob, ein alternder Salonlöwe wie ich, sogar solch eine exaltierter Vogel wie Billy, wir alle können hier unsere Masken abnehmen und einfach nur sein.«

Dann wandte er sich Rob zu in dem Gefühl, nun sei genug Ernsthaftes geredet worden und Zeit für ein wenig anzügliche Provokation: »Apropos George, was geschieht eigentlich, wenn er und Sarah irgendwo eingeladen sind und ein gemeinsames Gästezimmer bewohnen?«

Rob tat, als wollte er ihn vor das Schienbein treten. »Was genau denkst du denn, was dann geschieht? Du kannst dir völlig sicher sein, dass George Sarah keinerlei Avancen machen wird.«

»O ja, vermutlich ist eher George in Gefahr vor ihren Avancen, jetzt wo du es sagst«, frotzelte James weiter.

»Die würde er sicher mit größtmöglicher Höflichkeit abwehren«, meinte Rob. Beide lachten sehr bei der Vorstellung, und Mr. Kimball widmete sich konzentriert seinem Punschglas, um der Unterhaltung nicht weiter folgen zu müssen.

3

Eine Familie ist eine merkwürdige Gesellschaft. Zwei Kinder mögen die gleichen Eltern, die gleichen Tanten und Onkel, die gleichen Lehrer und sogar das gleiche Zimmer haben und doch so verschieden sein, als wären sie an entgegengesetzten Enden der Welt geboren. Und auch ihren Eltern ähneln sie vielleicht in manchem, während sie in anderen Dingen ganz verschieden sind. Man kann sich fragen, was Familienmitglieder denn überhaupt zusammenhält. Es heißt, es sei das Blut, obwohl doch der Anblick dieser trüben Substanz in vielen von uns eher Angst und Schrecken auslöst. In den günstigen Fällen ist es nicht das Blut, sondern die Liebe, die aus Menschen eine Familie macht.

Wie unterschiedlich Schwestern sein können, dafür waren Louisa und Anne Colstone ein beredtes Beispiel. »Ich möchte nicht debütieren. Es ist ein albernes, würdeloses Schauspiel voller Manierismus und Heuchelei.« Mit einer überzeugten Endgültigkeit, wie sie vielleicht nur eine Sechzehnjährige äußern konnte, sprach Anne diese Worte aus. Es war bei einem Frühstück auf Arden Hall sehr früh in dem Jahr, in dem Anne in die Gesellschaft eingeführt werden sollte.

»Warum nicht? Ich habe Alan auch in der Saison meines Debuts kennengelernt«, bemerkte Louisa. Sie war seit letztem Jahr verheiratet, und in ihrer Stimme war ein aufrichtiges Mitleid mit ihrer Schwester zu hören, dass es Alan nur einmal gab und er mithin nicht ein zweites Mal für eine Verlobung zur Verfügung stand.

Anne kommentierte diese Bemerkung nur mit einer hochgezogenen Augenbraue.

»Ach, Anne! Du weißt, dass dich niemand zu irgendeiner Eheschließung oder Verlobung drängen wird«, sagte George beschwichtigend.

»Es ist doch nur eine Sitte, mein Schatz!«, schloss sich auch Sarah mit mildem Unverständnis an. »Noch dazu eine, die sehr unterhaltsam ist. Seit wann hast du etwas gegen das Tanzen?«

»Gerade die Sitte ist es ja, die mich so anwidert«, sagte Anne, »man gesteht einer Frau nicht das Recht zu, eigenes Vermögen zu machen, also preist man sie vor der Gesellschaft an, um sie so rasch wie möglich einem anderen Eigentümer zu überstellen. Ich werde das nicht mitmachen.«

»Das klingt so, als wollten wir dich so schnell wie möglich loswerden. Das entspricht nicht der Wahrheit, und das weißt du auch«, sagte George ein wenig strenger. »Meinethalben kannst du dein Leben lang hierbleiben – aber du solltest dennoch Brauch und Anstand Genüge tun.«

»Es ist gut, dass du mir das zugestehst«, meinte Anne, den letzten Teil des Satzes geflissentlich übergehend, »denn ich will Schriftstellerin werden und als solche unverheiratet bleiben.«

Den Gedanken, Schriftstellerin zu werden, hegte Anne, seit sie elf Jahre alt war. Niemand hatte versucht, ihr dies auszureden, aber es konnte sich auch niemand ernstlich etwas darunter vorstellen. Dass sie schrieb, war nicht zu leugnen. Sie produzierte Gedichte und Aufsätze, dann und wann auch Geschichten, doch erst seit Kurzem hatte sie sich dazu herabgelassen (oder es gewagt), diese Erzeugnisse ihrer Familie zu präsentieren. Dass sich das meiste davon nicht oder noch nicht für eine Veröffentlichung eignete, war offensichtlich, auch wenn einige von Annes Lehrern ihren Schreibstil und ihren Fleiß mit höchstem Lob bedachten.

»Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?«, fragte Sarah, »es gibt doch verheiratete Schriftsteller?«

»Possum, sed nolo!«, konterte Anne, aber ihre Mutter ließ sich nicht unterbrechen:

»Abgesehen davon sprechen wir ja überhaupt nicht von einer Heirat, lediglich davon, dass du in dieser Saison mit nach London kommst und an ein paar Bällen teilnimmst – und das soll weder deine Ambitionen untergraben, noch wollen wir dich meistbietend verkaufen«, fügte sie vorwurfsvoll hinzu.

George schloss sich noch einmal an: »Sieh uns an, Anne – du kannst dir absolut sicher sein, dass dir niemand Vorschriften zu deiner Partnerwahl machen wird.«

»Das weiß ich«, sagte Anne gnädig, »aber ich mache vom Recht meiner Selbstbestimmung eben schon insofern Gebrauch, als dass ich dieses Spiel erst gar nicht mitspielen möchte.«

»Es sind noch zwei Monate bis zu Beginn der Saison«, sagte Samuel, ihr Bruder und der Friedensstifter in der Familie, »du kannst es dir ja noch einmal durch den Kopf gehen lassen.« Anne presste die Lippen aufeinander in dem klaren Zeichen, dass sie ihre Meinung nicht ändern würde, aber sie erwiderte nichts mehr.

Am meisten befremdet von Annes Ambitionen war Rob. Er war sehr stolz gewesen, wenn sie ihm als Kind kurze Gedichte vorgetragen hatte, Gedichte über Blumen und Tiere, sie war immer sein besonderer Liebling gewesen, gerade weil sie die Offenheit und Eigensinnigkeit ihrer Mutter geerbt hatte. Dann war eine Zeit gekommen, in der sie niemandem ihre Gedichte gezeigt hatte. Nun, da sie wieder damit begann, stand er sprach- und ratlos davor. Sie waren so gelehrt und verschlungen, dass er kein Wort mehr verstand. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass sie ihm am liebsten die schwierigsten Passagen vorlas, als machte sie sich einen Spaß aus seiner Unwissenheit.

Die Einzige, die Anne begeistert unterstützte, war ihre Patin. Prinzessin Anne liebte einerseits die Dichtkunst und war mit etlichen Schriftstellern persönlich bekannt – andererseits hatte sie eine Vorliebe für eigensinnige junge Mädchen, die sich nicht ohne Weiteres der Konvention unterwarfen. Sie war sehr angetan von den Gedichten, ermutigte die junge Namensvetterin nach Kräften und ließ sich alles neu Entstandene vortragen, wenn sie zu Besuch auf Arden Hall war.

»Hast du gestern noch einen weiteren Vers zustande gebracht?«, fragte sie einige Tage nach dem Streit über Annes Debüt. Sie saßen des Nachmittags auf der Terrasse vor dem Salon und genossen die ersten Frühlingssonnenstrahlen.

»Ja, das habe ich.« Anne zog ihr Notizheft hervor, in das sie die in Arbeit befindlichen Texte eintrug, bevor sie fertig waren und in Schönschrift in ein anderes Büchlein übertragen wurden.

»Rob, hören Sie doch auch zu«, ermunterte Prinzessin Anne den Vater der jungen Dichterin.

Zögernd blieb Rob stehen, er hatte gerade in sein Bureau gehen wollen.

»Ja, Rob, bitte hör zu!«, schloss sich Anne an, »es ist etwas ganz Neues, ein Monolog der Chryseis an die Briseis, gewissermaßen ein Prolog zur Ilias aus weiblicher Sicht. Ich schreibe in trochäischem Oktonar ...«

Rob winkte ab, als verscheuchte er eine Fliege. »Ich habe keine Zeit für solchen Tand«, sagte er grob.

Anne presste ihre Lippen aufeinander, klappte ihr Heft zu und ging wieder ins Haus.

Die Prinzessin hob die Augenbrauen. »Ich hoffe, Sie wissen, Rob, dass sie das nicht tut, um Sie zu brüskieren. Sie macht es, weil sie Sie beeindrucken will.«

Er schnaubte und sagte recht unhöflich: »Ich habe wirklich keine Zeit dafür«, und ging dann mit großen Schritten in Richtung des Wirtschaftshofs davon.

Nach diesem Gespräch hatte er keine Lust mehr auf Verwaltungsarbeit. Er sattelte eines der Pferde, um bei einem Ritt über Land wieder mit sich ins Reine zu kommen. Schon nach wenigen Minuten war sein Ärger auf Anne verraucht, und er ärgerte sich nur noch über sich selbst. Es war nicht Annes Schuld, dass er ihren Bestrebungen nicht folgen konnte. Er war unzulänglich, und das war es, was ihn in Wahrheit grämte.

Als er zurückkehrte, dämmerte es schon, denn die Tage waren noch kurz. Im Stall war es still. Er nahm bei den Pferden eine wachsame Atmosphäre wahr, die er gut kannte. In einer der hinteren Boxen stand eine Stute namens Grizelda, die hoch trächtig war. Rasch nahm er seinem Reittier Sattel und Trense ab und begab sich zu der Stute.

In der Ecke der Box stand Anne, die dem Pferd beruhigend die Mähne kraulte. Sie tauschten einen Blick, er nickte. Wortlos machten sie sich an die Vorbereitungen. Rob verteilte noch mehr Stroh in der Box, während Anne den Schweif bandagierte. Dann blieben sie beide außerhalb der Box stehen, um die Stute ihren Instinkten zu überlassen.

Rob hatte den Vorgang oft genug gesehen. Dennoch war es immer ein kleines Wunder. Die Stute ging noch ein paarmal im Kreis, dann legte sie sich nieder. Wellen zogen über den Leib, dann tauchten die Vorderhufe, von der Eihaut umgeben, am Geburtskanal auf. Langsam wurde die frisch geschaffene Kreatur auf die Welt gepresst.

Wie einfach es geht im Vergleich zum Menschen, dachte Rob. Wie viel Ärger, wie viel Mühe macht uns die Natur, nur um uns einen großen Kopf mitzugeben. Was nehmen wir nicht während des Lebens auf uns, diesen Kopf bis zur Neige anzufüllen ...