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Atemberaubende Coups, eiskalt durchgezogen, sind das Markenzeichen des genialen Artemis Fowl. Gerade ist er dabei, das am besten gesicherte Gemälde der Welt aus einer Bank zu stehlen, da gerät das geheime Erdland in äußerste Gefahr: Die gefährliche Wichtelin Opal ist ihren Bewachern entkommen und plant finstere Rache... Lernen Sie auch das Hörbuch zu diesem Titel kennen! Artemis Fowl ist der berühmt berüchtigte Spross einer irischen Gangsterfamilie und zählt zu den besten Dieben im Land. Er ist hochintelligent, extrem technikaffin, mit hervorragenden Manieren und stets bestens gekleidet. Wenn er nicht gerade abgefahrene Technik-Gadgets entwickelt, legt er sich mit Schwerkriminellen an, um sie zu beklauen, was diese natürlich nicht so mögen. Unterstützung bekommt Artemis – wenn er sie denn mal braucht – von der Elfe Holly Short, die vom Erdvolk unter der Erde stammt. (Und ohne sie wäre er, ehrlich gesagt, schon öfter verloren gewesen.) Die acht Bände der Artemis-Fowl-Serie: Band 1: Artemis Fowl Band 2: Artemis Fowl – Die Verschwörung Band 3: Artemis Fowl – Der Geheimcode Band 4: Artemis Fowl – Die Rache Band 5: Artemis Fowl – Die verlorene Kolonie Band 6: Artemis Fowl – Das Zeitparadox Band 7: Artemis Fowl – Der Atlantis-Komplex Band 8: Artemis Fowl – Das magische Tor
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Veröffentlichungsjahr: 2012
Das Buch
Seit jede Erinnerung an das Reich der Unterirdischen aus Artemis’ Gedächtnis gelöscht wurde, arbeitet er wieder als Meisterdieb. Mit Hilfe von Butler will sich Artemis den Traum aller hochkarätigen Einbrecher erfüllen: Er möchte als Jüngster das berüchtigte Gemälde Der Elfendieb stehlen. Allerdings kann er nicht wissen, dass er dabei in eine unterirdische Falle tappt. In Erdland ist nämlich der gefährlichen Wichtelin Opal Koboi die Flucht geglückt. Nun will sie sich an all ihren Gegnern rächen: an der Untergrundpolizei, an Captain Holly Short und an Artemis. Mit finsterer Entschlossenheit legt sie ihre Netze aus …
»Spannung, Action und anarchischer Spaß pur« Berliner Morgenpost
»Colfer wird von Buch zu Buch besser.« Augsburger Allgemeine
Der Autor
Eoin Colfer wurde mit seinen Romanen um den Meisterverbrecher Artemis Fowl, für die er sowohl den Children’s Book Award als auch den Deutschen Bücherpreis erhielt, zum internationalen Bestsellerautor. Er lebt mit seiner Familie in Irland.
Von Eoin Colfer sind in unserem Hause bereits erschienen:
Artemis Fowl – Die Akte
Artemis Fowl
Artemis Fowl – Die Verschwörung
Artemis Fowl – Der Geheimcode
Artemis Fowl – Die Rache
Artemis Fowl – Die verlorene Kolonie
Artemis Fowl – Das Zeitparadox
Meg Finn und die Liste der vier Wünsche
Cosmo Hill – Der Supernaturalist
Fletcher Moon – Privatdetektiv
Dieser Artikel wurde auf der Seite www.horsesense. gnom ins unterirdische Netz gestellt. Man nimmt an, dass der Webmaster dieser Seite der Zentaur Foaly ist, der technische Leiter der Zentralen Untergrund-Polizei, obwohl es nie nachgewiesen werden konnte. Fast sämtliche Einzelheiten des folgenden Berichts widersprechen der offiziellen Verlautbarung der ZUP-Pressestelle.
Wir alle kennen die offizielle Erklärung für die tragischen Ereignisse, die sich im Rahmen der Zito-Sondierungs-Affäre abgespielt haben. Die Aufsichtsbehörde der ZUP will uns weismachen, dass einer ihrer Officer nahezu allein für die ganze Sache verantwortlich war. Ich stelle diesen Bericht ins Netz, um dafür zu sorgen, dass Sie keine voreiligen Schlüsse ziehen, weil Sie die Fakten nicht kennen. Die hohen Herren der ZUP mögen ihre Officer vielleicht zum Schweigen bringen, aber mir können sie nicht das Maul stopfen.
Ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass der besagte Officer, Captain Holly Short, das abscheuliche Verbrechen, das ihr zur Last gelegt wird, nicht begangen hat, und wenn Sie diesen Bericht gelesen haben, werden Sie davon ebenfalls überzeugt sein.
Im Zentrum dieses speziellen Falls stehen Menschenwesen. Die meisten Menschen sind zwar zu blöd, um die Beinlöcher in ihrer Hose zu finden, aber es gibt einige Oberirdische, deren Intelligenz mich nervös macht. Wenn sie herausbekämen, dass es in den Tiefen der Erde eine Stadt der Unterirdischen gibt, würden sie mit Sicherheit alles daransetzen, um deren Einwohner auszubeuten. Der größte Teil der Menschen wäre unserer Technologie nicht gewachsen, aber ein paar von ihnen sind so clever, dass sie fast als Unterirdische durchgehen könnten. Vor allem einer. Ich glaube, wir wissen alle, wen ich meine.
In der gesamten Geschichte der Unterirdischen hat uns nur ein Menschenwesen ausgetrickst. Und es klemmt mir noch immer in den Hufen, dass dieses Menschenwesen obendrein nur ein Junge ist. Artemis Fowl, das irische Verbrechergenie. Der kleine Arty hat die ZUP kreuz und quer über die Kontinente gejagt, bis man ihm schließlich mit unterirdischer Spitzentechnologie die Erinnerung an uns aus dem Gehirn löschen konnte. Doch selbst in dem Moment, als der talentierte Zentaur Foaly die Erinnerungslöschung vornahm, fragte er sich, ob das Erdvolk nicht erneut ausgetrickst wurde. Hatte der irische Junge womöglich etwas hinterlassen, um die Erinnerungen wieder herzustellen? Natürlich hatte er, wie sich bald zeigen sollte.
Artemis Fowl spielt bei den folgenden Ereignissen eine wichtige Rolle, aber ausnahmsweise hat er nicht versucht, das Erdvolk zu bestehlen, da er vollkommen vergessen hatte, dass es uns gibt. Nein, der Drahtzieher hinter dieser Affäre ist tatsächlich ein Unterirdischer.
Wer also ist in diese tragische Geschichte zweier Welten verwickelt? Wer sind die unterirdischen Hauptpersonen? Der wahre Held in diesem Drama ist natürlich Foaly. Ohne seine Erfindungen hätte die ZUP schon längst die Oberirdischen am Hals. Er ist der ungepriesene Held, der die uralten Rätsel löst, während die Typen von der Aufklärung und der Bergung an der Oberfläche herumschwirren und den ganzen Ruhm einheimsen.
Dann ist da Captain Holly Short, der Officer, dessen guter Ruf unter Beschuss steht. Holly ist eine der Besten und Klügsten der ZUP. Eine geborene Pilotin, die enormes Improvisationstalent zeigt, wenn der Einsatz es erfordert. Mit dem Ausführen von Befehlen hat sie es allerdings nicht so, was sie schon mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht hat. Holly war die Unterirdische, die bei allen Artemis-Fowl-Affären die Hauptrolle spielte. Die beiden waren schon beinahe Freunde, als der Rat der ZUP befahl, Artemis einer Erinnerungslöschung zu unterziehen, und das, wo er gerade anfing, ein netter Menschenjunge zu werden.
Wie wir alle wissen, war auch Commander Root eine wichtige Figur in den Ereignissen. Seinerzeit der Jüngste, der je zum ZUP-Commander ernannt wurde. Ein Elf, der das Erdvolk durch so manche Krise geführt hat. Nicht gerade der Umgänglichste, aber oft taugen die besten Anführer nun mal nicht besonders als Freunde.
Ich nehme an, Mulch Diggums sollte ich auch erwähnen. Bis vor kurzem war Mulch im Gefängnis, aber wieder einmal hat er es geschafft, sich da irgendwie herauszuwinden. Dieser kleptomanische, aufgeblähte Zwerg hat in allen Fowl-Affären eine Rolle gespielt, wenn auch nicht unbedingt freiwillig. Doch bei diesem Einsatz war Holly froh über seine Hilfe, denn ohne Mulch und seine Körperfunktionen hätte das Ganze noch sehr viel schlimmer ausgehen können. Und es war so schon schlimm genug.
Die zentrale Figur in diesem Fall ist Opal Koboi, die Wichtelin, die damals den Versuch der Kobolde, Haven City in ihre Gewalt zu bringen, finanzierte. Auf Opal wartete ein lebenslänglicher Aufenthalt hinter Lasergittern – sofern sie je aus dem Koma erwachte, in das sie gefallen war, als Holly Short ihre Pläne durchkreuzte.
Fast ein Jahr lag Opal Koboi schon in der geschlossenen Abteilung der Argon-Klinik, ohne in irgendeiner Weise auf die Wiederbelebungsversuche der Zaubererärzte zu reagieren. Die ganze Zeit sprach sie kein Wort, aß keinen Bissen und zeigte keinerlei Reaktion auf Reize. Zunächst waren die Behörden misstrauisch. Sie tut nur so, hieß es. Koboi schütze Katatonie vor, um ihrer Strafe zu entgehen. Doch als die Monate vergingen, ließen sich schließlich auch die größten Skeptiker überzeugen. Niemand kann nahezu ein Jahr lang so tun, als läge er im Koma. Unmöglich. Dazu müsste dieser Unterirdische schon völlig besessen sein …
Die Argon-Klinik war kein staatliches Krankenhaus. Niemand wurde dort kostenlos aufgenommen. Argon und sein Psychologenteam behandelten nur Unterirdische, die es sich leisten konnten. Unter all den reichen Patienten der Klinik war Opal Koboi ein Sonderfall. Sie hatte über ein Jahr zuvor einen Notfallfonds für sich selbst eingerichtet, nur für den Fall, dass sie irgendwann verrückt wurde und Geld für eine Behandlung brauchte. Eine kluge Vorsichtsmaßnahme. Ohne diesen Fonds hätte ihre Familie sie zweifellos in einer billigeren Institution untergebracht. Obwohl Opal den Unterschied kaum bemerkt hätte, denn sie lag die ganzen Monate nur sabbernd da, während in regelmäßigen Abständen ihre Reflexe überprüft wurden. Nach Professor Argons Ansicht hätte sie nicht einmal einen ausgewachsenen Troll wahrgenommen, wenn er sich vor ihr auf die Brust getrommelt hätte.
Der Fonds war nicht das Einzige, was Opal Koboi zu einem Sonderfall machte. Sie war außerdem die berühmteste Patientin der Argon-Klinik. Seit dem Umsturzversuch der B’wa Kell-Kobold-Bande galt sie in ganz Erdland als Inbegriff des Bösen. Schließlich hatte die milliardenschwere Wichtelin sich damals mit dem frustrierten ZUP-Officer Briar Cudgeon verbündet und den Aufstand der Kobolde finanziert. Koboi hatte ihr eigenes Volk verraten, und nun verriet ihr eigener Verstand sie.
Während ihrer ersten sechs Monate in der geschlossenen Abteilung wurde die Klinik von Reportern belagert, die jedes Zucken der Wichtelin filmten. Die ZUP bewachte ihre Zimmertür rund um die Uhr, und jeder Klinikmitarbeiter wurde gründlichen Überprüfungen unterzogen und war ständig strengen Blicken ausgesetzt. Ohne Ausnahme. Selbst Professor Argon musste immer wieder DNS-Tests über sich ergehen lassen, um sicherzustellen, dass er wirklich derjenige war, der er zu sein behauptete. Bei Koboi wollte die ZUP kein Risiko eingehen. Falls es ihr gelang, aus der Argon-Klinik zu entkommen, würde sich ganz Erdland über die ZUP lustig machen, und außerdem wäre Haven City einer überaus gefährlichen Verbrecherin ausgeliefert.
Doch je mehr Zeit verging, desto weniger Kameras tauchten morgens am Tor auf. Eine sabbernde, katatonische Wichtelin war für die Zuschauer irgendwann nicht mehr sonderlich spannend. Nach und nach reduzierte die ZUP ihre Wacheinheit von zwölf auf sechs und dann auf einen einzigen Officer pro Schicht. Wie sollte Opal Koboi auch von dort verschwinden, sagten sich die Verantwortlichen. Ein Dutzend Kameras waren rund um die Uhr auf sie gerichtet, in ihren Oberarm war ein Seeker-Sleeper eingepflanzt, ein »Schläfer« mit Mini-Sender, und sie wurde viermal am Tag einem DNS-Test unterzogen. Und selbst wenn es jemand schaffte, Opal da rauszuholen, was konnte er schon mit ihr anfangen? Die Wichtelin konnte nicht einmal von alleine stehen, und die Aufzeichnungen ihrer Gehirnströme zeigten kaum mehr als flache Linien.
Trotz allem war Professor Argon sehr stolz auf seine berühmte Patientin und erwähnte ihren Namen häufig auf Dinnerparties. Seit Opal Koboi in die Klinik eingeliefert worden war, galt es beinahe als schick, dort einen Verwandten behandeln zu lassen. Fast alle reichen Familien hatten irgendwo einen verrückten Onkel. Und der bekam jetzt die beste Pflege in einer luxuriösen Umgebung.
Wenn doch nur alle Patienten in der Klinik so gefügig gewesen wären wie Opal Koboi. Alles, was sie brauchte, waren ein paar intravenöse Schläuche und ein Monitor, deren Kosten durch ihre ersten sechs Monatsraten mehr als gedeckt waren. Professor Argon hoffte inständig, dass die kleine Opal nie wieder aufwachte. Denn falls sie es tat, würde die ZUP sie sofort vor Gericht zerren. Und sobald sie wegen Hochverrat verurteilt war, würde ihr gesamtes Vermögen beschlagnahmt, einschließlich des Klinikfonds’. Nein, je länger Opals Schläfchen dauerte, desto besser war es für alle, vor allem für sie selbst. Aufgrund ihrer dünnen Schädeldecke und ihres großen Gehirnvolumens litten Wichtel häufiger an Krankheiten wie Katatonie, Amnesie und Narkolepsie. Es war also gut möglich, dass ihr Koma mehrere Jahre anhielt. Und selbst wenn Opal daraus aufwachte, konnte es sein, dass ihr Gedächtnis in irgendeiner Schublade ihres riesigen Wichtelgehirns verschlossen blieb.
Professor Argon drehte jeden Abend seine Runde. Er behandelte kaum noch selbst, aber er war der Meinung, es täte seiner Belegschaft gut, sie regelmäßig an seine Gegenwart zu erinnern. Wenn die anderen Ärzte wussten, dass Jerbal Argon seinen Finger am Puls hielt, würden sie sich eher bemühen, es ihm gleichzutun.
Argon hob sich Opal stets bis zum Schluss auf. Irgendwie beruhigte es ihn, die kleine Wichtelin in ihrer Schwebeaufhängung schlafen zu sehen. Nach einem stresserfüllten Tag beneidete er Opal oft um ihr ungestörtes Dasein. Als die Belastung für die Wichtelin zu stark geworden war, hatte ihr Gehirn einfach sämtliche Funktionen außer den absolut lebensnotwendigen ausgeschaltet. Sie atmete noch, und ab und zu zeichneten die Monitore eine kleine Traumkurve in ihren Gehirnströmen auf. Doch davon abgesehen, existierte Opal Koboi im Grunde nicht mehr.
An diesem schicksalhaften Abend war Jerbal Argon noch gestresster als sonst. Seine Frau hatte die Scheidung eingereicht, mit der Begründung, er habe seit über zwei Jahren nicht mehr als sechs Worte am Stück mit ihr gesprochen. Der Rat drohte damit, ihm die Subventionen zu streichen, weil er mit seinen neuen Patienten aus gehobenen Kreisen so viel Geld verdiente, und er verspürte einen Schmerz in der linken Hüfte, den anscheinend keine Magie unter der Erde heilen konnte. Die Zaubererärzte meinten, es sei wahrscheinlich rein psychisch. Offenbar fanden sie das witzig.
Argon humpelte durch den Ostflügel seiner Klinik und überprüfte im Vorbeigehen die Plasmaanzeige jedes Patienten. Jedes Mal, wenn sein linker Fuß auf dem Boden aufsetzte, verzog er das Gesicht.
Die beiden Hausmeisterwichtel, Mervall und Descant Brill, standen vor Opals Tür und entfernten mit elektrostatischen Wedeln den Staub. Wichtel waren wunderbare Angestellte. Sie waren methodisch, geduldig und zuverlässig. Wenn man einem Wichtel etwas auftrug, konnte man sicher sein, dass es erledigt wurde. Außerdem waren sie niedlich mit ihren Babygesichtern und den übergroßen Köpfen. Allein der Anblick eines Wichtels heiterte die meisten Leute schon auf. Sie waren eine wandelnde Therapie.
»’n Abend, Jungs«, sagte Argon. »Wie geht es unserer Lieblingspatientin?«
Merv, der ältere der Zwillinge, blickte von seinem Wedel auf. »Wie immer, Jerry, wie immer«, sagte er. »Vorhin dachte ich, sie hätte einen Zeh bewegt, aber es war nur eine optische Täuschung.«
Argon lachte, aber es klang gezwungen. Er konnte es nicht leiden, wenn man ihn Jerry nannte. Immerhin gehörte ihm die Klinik, er verdiente Respekt. Aber gute Hausmeister waren kostbar wie Goldstaub, und die Brill-Brüder hielten das Gebäude seit mittlerweile fast zwei Jahren tipptopp sauber und in Schuss. Die Brills waren selbst fast Berühmtheiten. Zwillinge sind bei den Unterirdischen sehr selten, und Mervall und Descant waren derzeit das einzige Wichtel-Zwillingspaar in ganz Haven. Sie waren schon mehrmals im Fernsehen gewesen, unter anderem bei Canto, der beliebtesten Talkshow von PPTV.
ZUP-Corporal Grub Kelp hatte Wachdienst. Als Argon zu Opals Zimmer kam, war der Corporal völlig in einen Film auf seiner Videobrille versunken. Argon konnte es ihm nicht verdenken. Opal Koboi zu bewachen war ungefähr so aufregend, wie einem Zehennagel beim Wachsen zuzusehen.
»Spannender Film?«, fragte der Arzt freundlich.
Grub klappte die Brille hoch. »Nicht übel. Ein oberirdischer Western. Jede Menge Schießereien und zusammengekniffene Augen.«
»Vielleicht kann ich ihn mir ja mal ausleihen, wenn Sie fertig sind?«
»Kein Problem, Professor. Aber seien Sie vorsichtig. Oberirdische DVDs sind sehr teuer. Ich gebe Ihnen ein spezielles Tuch.«
Argon nickte. Jetzt erinnerte er sich wieder. Grub Kelp war ausgesprochen eigen, was seine Sachen betraf. Wegen einer hervorstehenden Bodenniete, die einen Kratzer auf seinen Stiefeln hinterlassen hatte, hatte er bereits zwei Beschwerdebriefe an die Leitung der Klinik geschrieben.
Argon überprüfte Kobois Anzeige. Der Plasmabildschirm an der Wand lieferte unablässig die aktuellen Daten der Sensoren, die an den Schläfen der Patientin befestigt waren. Alles war unverändert, wie er es erwartet hatte. Ihre Vitalfunktionen lagen im Normalbereich, während die Gehirntätigkeit quasi gleich null war. Einige Zeit zuvor hatte sie offenbar einen Traum gehabt, aber jetzt war in ihrem Kopf alles wieder ruhig. Zusätzlich teilte ihm die Kontrollanzeige des Seeker-Sleepers in ihrem Arm – überflüssigerweise – mit, dass Opal Koboi tatsächlich dort war, wo sie sein sollte. Normalerweise wurden Seeker-Sleeper im Kopf eingepflanzt, aber Wichtelschädel waren zu empfindlich für direkte Eingriffe.
Argon tippte seine persönliche Codenummer auf der Tastatur der Panzertür ein. Die schwere Tür öffnete sich in einen großzügigen Raum, dessen Boden mit sanft pulsierenden Stimmungslichtern ausgestattet war. Die Wände waren aus weichem Kunststoff, und aus verborgenen Lautsprechern erklangen leise Naturgeräusche. Im Moment plätscherte gerade ein Bach über flache Felsen.
In der Mitte des Raums hing Opal Koboi in einer schwebenden Ganzkörperaufhängung. Die Gurte waren gelgepolstert und passten sich automatisch jeder Körperbewegung an. Falls Opal tatsächlich aufwachte, konnte die Aufhängung über eine Fernbedienung wie ein Netz festgezurrt werden, damit sie sich nicht selbst verletzte.
Argon vergewisserte sich, dass die Sensoren auf Opals Stirn gut befestigt waren. Er hob das eine Lid der Wichtelin an und leuchtete mit einer Stablampe in ihr Auge. Die Pupille zog sich leicht zusammen, aber seine Patientin wandte den Blick nicht ab.
»Na, haben Sie mir heute etwas zu erzählen, Opal?«, fragte der Arzt leise. »Vielleicht das erste Kapitel für mein Buch?«
Argon sprach gerne mit Koboi. Vielleicht konnte sie ihn ja hören, und wenn sie dann aufwachte, hatte er schon eine Beziehung zu ihr aufgebaut. Das hoffte er zumindest.
»Nichts? Nicht ein winziger Hinweis?«
Opal reagierte nicht. Wie sie es schon seit Monaten nicht tat.
»Na gut«, sagte Argon, nahm das letzte Wattestäbchen aus seiner Brusttasche und fuhr damit über die Innenseite ihres Mundes. »Dann vielleicht morgen, hm?«
Er rollte das Wattestäbchen über eine Testfläche auf seinem Klemmbrett. Sekunden später leuchtete auf einem kleinen Monitor Opals Name auf.
»Die DNS lügt nie«, murmelte Argon und warf das Wattestäbchen in einen Recyclingeimer.
Mit einem letzten Blick auf seine Patientin wandte Argon sich zur Tür. »Schlafen Sie gut, Opal«, sagte er fast zärtlich.
Er fühlte sich besänftigt, der Schmerz in seiner Hüfte war fast vergessen. Opal Koboi war so weit abgetaucht, wie es nur ging. Sie würde so bald nicht aufwachen. Der Koboi-Fonds war sicher.
Schon erstaunlich, wie sehr ein Gnom sich irren kann.
Opal Koboi war nicht katatonisch, aber sie war auch nicht wach. Sie schwebte irgendwo dazwischen, in einer fließenden Welt der Meditation, wo jede Erinnerung wie eine Blase aus buntem Licht sanft in ihr Bewusstsein ploppte.
Von früher Jugend an war Opal Schülerin von Gola Schweem, dem Guru des Reinigungskomas, gewesen. Schweems Theorie zufolge gab es noch eine tiefere Schlafebene als die allgemein bekannte und erlebte. Das Stadium des Reinigungskomas konnte man normalerweise nur durch Jahrzehnte disziplinierten Übens erreichen. Opal gelang ihr erstes Reinigungskoma im Alter von vierzehn Jahren.
Die Vorzüge des Reinigungskomas lagen darin, dass der Unterirdische von Grund auf erfrischt war, wenn er erwachte, zugleich aber die Zeit des Schlafens zum Nachdenken nutzen konnte – oder in diesem Fall zum Pläneschmieden. Opal überlistete die Sensoren, und sie störte sich nicht an dem unwürdigen Zustand, über Schläuche ernährt und entleert zu werden. Das bisher längste aus freiem Entschluss herbeigeführte Reinigungskoma hatte siebenundvierzig Tage gedauert. Opal befand sich jetzt seit über elf Monaten in diesem Zustand, aber sie hatte nicht vor, den Rekord noch sehr viel höher zu schrauben.
Als Opal Koboi sich mit Briar Cudgeon und seinen Kobolden zusammentat, war ihr klar gewesen, dass sie für den Notfall einen Plan B brauchte. Ihre Intrige, um die ZUP zu stürzen, war genial, aber schließlich konnte immer etwas schief gehen. Und falls das passierte, wollte Opal nicht den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen. Eine Möglichkeit zur Flucht bestünde für sie nur, wenn alle dachten, sie säße noch hinter Schloss und Riegel. Also hatte Opal einige Vorkehrungen getroffen.
Als Erstes hatte sie den Notfallfonds für die Argon-Klinik eingerichtet. Damit war sichergestellt, dass sie an den richtigen Ort kam, falls sie gezwungen war, ein Reinigungskoma herbeizuführen. Der zweite Schritt bestand darin, zwei ihrer vertrauenswürdigsten Untergebenen einen Job in der Klinik zu besorgen, damit sie ihr bei einer eventuellen Flucht helfen konnten. Dann zog sie riesige Mengen Gold aus ihren Unternehmen ab. Schließlich wollte sie im Exil nicht auch noch arm sein.
Zu guter Letzt spendete sie etwas von ihrer DNS und gab einen Klon in Auftrag, der ihren Platz im Klinikzimmer einnehmen würde. Klonen war absolut illegal und schon vor über fünfhundert Jahren nach den ersten Versuchen in Atlantis gesetzlich verboten worden. Dieser Zweig der Wissenschaft ließ daher einiges zu wünschen übrig. Den Ärzten war es nie gelungen, einen Unterirdischen exakt zu klonen. Die Klone sahen wunderbar aus, aber sie waren im Grunde nur leere Hüllen, deren Gehirnkapazität gerade eben ausreichte, um die körperlichen Grundfunktionen auszuführen. Ihnen fehlte der Funke echten Lebens. Ein ausgewachsener Klon war nicht mehr als die komatöse Variante der ursprünglichen Person. Perfekt.
Opal hatte weit entfernt von ihrer Firma Koboi Laboratorien eine Art Zuchtlabor bauen lassen und genug Geld abgezweigt, um das Projekt zwei Jahre lang laufen zu lassen, denn so lange würde es dauern, bis ihr Klon ausgewachsen war. Wenn sie dann aus der Argon-Klinik fliehen wollte, würde eine vollkommene Opal-Kopie an ihrer Stelle zurückbleiben. Die ZUP würde nie bemerken, dass sie verschwunden war.
Wie sich zeigte, war es klug gewesen vorauszuplanen. Briar war zum Verräter geworden, und ein kleines Grüppchen von Menschenwesen und Unterirdischen hatte dafür gesorgt, dass sein Verrat auch Opals Untergang nach sich zog. Nun hatte sie ein Ziel, das ihre Willenskraft stärkte. Sie würde dieses Koma durchhalten, solange es nötig war, weil sie eine Rechnung zu begleichen hatte. Foaly, Root, Holly Short und der Menschenjunge Artemis Fowl. Sie waren verantwortlich für ihre Niederlage. Bald würde sie aus dieser Klinik herauskommen, dann würde sie sich diejenigen vorknöpfen, die sie derart tief gestürzt hatten, und ihnen selbst von ihrer eigenen Medizin zu kosten geben. Sobald ihre Feinde besiegt waren, konnte sie mit Phase zwei ihres Plans fortfahren: die Menschenwesen mit dem Erdvolk bekannt machen, und zwar auf eine Weise, die nicht mit ein paar Erinnerungslöschungen rückgängig zu machen war. Das geheime Dasein der Unterirdischen würde bald zu Ende sein.
Opal Kobois Gehirn schüttete ein paar wohlige Endorphine aus. Der Gedanke an die Rache weckte in ihr immer so ein angenehmes, warmes Kribbeln.
Die Brill-Brüder sahen Professor Argon nach, wie er den Flur entlanghumpelte.
»Idiot«, brummte Merv und fischte mit seinem Saugstab ein paar Fusseln aus einer Ecke.
»Du sagst es«, stimmte Scant ihm zu. »Der alte Jerry wäre nicht mal imstande, ein Wühlmaus-Curry zu analysieren. Kein Wunder, dass seine Frau ihn verlässt. Wenn er als Psychofuzzi was könnte, hätte er das kommen sehen.«
Merv schob den Saugstab zusammen. »Wie sieht’s aus?«
Scant warf einen Blick auf seinen Mondmeter. »Zehn nach acht.«
»Gut. Was macht Corporal Kelp?«
»Guckt immer noch seinen Film. Der Kerl ist wirklich klasse. Wir müssen die Aktion heute Abend starten. Für die nächste Schicht könnte die ZUP jemand Intelligenteres schicken. Und wenn wir länger warten, wächst der Klon noch ein paar Zentimeter.«
»Du hast Recht. Check mal die Überwachungskameras.«
Scant klappte den Deckel des Putzwagens auf, der mit Mopps, Wischlappen und diversen Sprays bestückt war. Unter einem Einsatz mit Saugrohraufsätzen war eine in mehrere Bildschirme unterteilte Monitorfläche verborgen.
»Und?«, zischte Merv.
Scant antwortete nicht sofort, sondern überprüfte erst sämtliche Bildschirme. Die Videoeinspeisung stammte von verschiedenen Mikrokameras, die Opal vor ihrer Einweisung in der Klinik angebracht hatte. Die Kameras bestanden aus genetisch verändertem organischem Material. Die Bilder, die sie sendeten, waren also im wahrsten Sinne des Wortes »Live«-Übertragungen. Die ersten lebenden Maschinen der Welt. Völlig unaufspürbar von Wanzensuchgeräten.
»Nur die Nachtbesetzung«, sagte er schließlich. »Außer unserem Corporal Dämlich ist niemand in diesem Abschnitt.«
»Was ist mit dem Parkplatz?«
»Völlig verlassen.«
Merv streckte die Hand aus. »Okay, Bruderherz. Es ist so weit. Jetzt oder nie. Sind wir bereit? Wollen wir Opal Koboi zurückholen?«
Scant pustete sich eine schwarze Haarlocke aus dem runden Wichtelauge. »Ja, denn wenn sie von allein zurückkommt, wird sie sich was ausdenken, um uns das Leben schwer zu machen«, sagte er und schlug ein. »Also ja, wir sind bereit.«
Merv nahm eine Fernbedienung aus seiner Tasche, die auf einen Sonix-Empfänger in der Giebelwand der Klinik eingestellt war. Der wiederum war mit einem Säureballon verbunden, der auf dem Hauptgenerator in der Verteilerbox des Klinikparkplatzes lag. Ein zweiter Ballon lag auf dem Notgenerator im Versorgungskeller. Als Hausmeister der Klinik war es für Merv und Scant eine Kleinigkeit gewesen, die Säureballons am Abend zuvor dort zu positionieren. Natürlich war die Argon-Klinik auch ans Hauptnetz angeschlossen, aber wenn die Generatoren ausfielen, dauerte es zwei Minuten, bis das Hauptnetz aktiviert wurde. Weitere Vorbereitungen waren nicht nötig, denn schließlich war das hier ein Krankenhaus, kein Gefängnis.
Merv holte tief Luft, klappte die Sicherheitsabdeckung auf und drückte auf den roten Knopf. Die Fernbedienung aktivierte über ein Infrarotsignal den Sonix-Empfänger, der seinerseits zwei Schallwellen aussandte. Diese brachten die Ballons zum Platzen, und die Säure ergoss sich über die Generatoren. Zwanzig Sekunden später hatten sich die Generatoren restlos aufgelöst, und die Klinik versank in Dunkelheit. Merv und Scant setzten eilig Nachtsichtbrillen auf.
Sobald der Strom ausfiel, blinkten am Boden grüne Lichtbänder auf, die den Weg zu den Ausgängen wiesen. Merv und Scant setzten sich schnell und zielstrebig in Bewegung. Scant schob den Putzwagen, und Merv steuerte direkt auf Corporal Kelp zu. Grub schob sich gerade die Videobrille auf die Stirn.
»He«, sagte er, irritiert durch die plötzliche Dunkelheit. »Was ist hier los?«
»Stromausfall«, sagte Merv und rempelte ihn mit beabsichtigter Ungeschicklichkeit an. »Ich habe Professor Argon schon hundertmal gesagt, dass die Leitungen dringend erneuert werden müssen, aber die Leute stecken das Geld ja lieber in schicke Dienstwagen als in Reparaturen.«
Merv quasselte nicht aus Spaß an der Freude, sondern er wartete darauf, dass das selbstauflösende Betäubungspflaster, das er Grub aufs Handgelenk gedrückt hatte, seine Wirkung tat.
»Wem sagen Sie das«, seufzte Grub und blinzelte plötzlich sehr viel mehr als sonst. »Ich versuche schon ewig, im Polizeipräsidium neue Schließfächer durchzukriegen. Mann, hab ich einen Durst. Sie auch?« Dann erstarrte er zur Salzsäule, ausgelöst von dem Serum, das durch sein System floss. In weniger als zwei Minuten würde der ZUP-Officer aus der Betäubung erwachen und sofort wieder voll da sein. Er würde sich nicht an die Bewusstlosigkeit erinnern, und mit etwas Glück würde er auch den Zeitunterschied nicht bemerken.
»Los«, sagte Scant knapp.
Merv war schon unterwegs. Mit geübten Bewegungen tippte er Professor Argons Codenummer in Opals Tür ein. Er war schneller, als Argon es je sein würde, weil er in seiner Wohnung auf einer gestohlenen Tastatur stundenlang geübt hatte. Argon änderte seinen Code jede Woche, aber die Brill-Brüder sorgten dafür, dass sie immer vor Opals Zimmer putzten, wenn Argon seine Runde machte. Bis zur Mitte der Woche hatten die Wichtel meist den gesamten Code.
Das Lämpchen an der Tastatur blinkte grün, und die Tür glitt auf. Opal Koboi schwebte sanft in ihrer Aufhängung wie ein Käfer in einem exotischen Kokon.
Merv senkte sie auf den Putzwagen ab. Mit schnellen, präzisen Bewegungen schob er Opals Ärmel hoch, bis er die Narbe in ihrem Oberarm fand, wo der Seeker-Sleeper eingepflanzt worden war. Er fixierte den harten Knubbel mit Daumen und Zeigefinger.
»Skalpell«, sagte er und streckte die freie Hand aus. Scant reichte ihm das Instrument. Merv hielt den Atem an, nahm das Skalpell und machte einen zwei Zentimeter langen Schnitt in Opals Haut. Dann schob er seinen Zeigefinger in die Öffnung und fischte die elektronische Kapsel heraus. Sie war in Silikon gebettet und ungefähr so groß wie eine Schmerztablette.
»Versiegeln«, befahl er.
Scant beugte sich dicht über die Wunde und legte von beiden Seiten die Daumen daran. »Heile«, flüsterte er. Blaue Magiefunken sprangen aus seinen Fingern und versanken in der Wunde. Innerhalb weniger Sekunden hatte sich die Haut wieder geschlossen, und nur eine blassrosa Narbe ließ erkennen, dass dort ein Schnitt gewesen war. Eine Narbe, die fast genauso aussah wie die, die vorher dort gewesen war. Opals eigene Magie war schon seit Monaten aufgebraucht, da sie keine Gelegenheit gehabt hatte, das Aufladungsritual zu vollziehen.
»Miss Koboi«, sagte Merv energisch. »Zeit, aufzuwachen. Hopp, hopp.«
Er befreite Opal aus den Gurten. Die bewusstlose Wichtelin plumpste auf den Deckel des Putzwagens. Merv schlug sie auf die Wangen, um Farbe in ihr Gesicht zu bringen. Opals Atemrhythmus beschleunigte sich ein wenig, doch ihre Augen blieben geschlossen.
»Versetz ihr einen Schlag«, sagte Scant.
Merv zog einen gestohlenen ZUP-Elektrostock aus seiner Jacke. Er schaltete ihn ein und berührte Opal damit am Ellbogen. Der Körper der Wichtelin zuckte krampfartig, und Opal Koboi erwachte so abrupt wie ein Schlafender aus einem Albtraum.
»Cudgeon!«, schrie sie. »Du hast mich betrogen!«
Merv packte sie an den Schultern. »Miss Koboi. Wir sind’s, Mervall und Descant. Es ist Zeit.«
Opal starrte ihn mit funkelnden Augen an.
»Brill?«, sagte sie, nachdem sie ein paarmal tief durchgeatmet hatte.
»Genau. Merv und Scant. Wir müssen los.«
»Los? Was soll das heißen?«
»Wir müssen hier raus«, sagte Merv drängend. »Wir haben noch ungefähr eine Minute.«
Opal schüttelte den Kopf, um die Benommenheit loszuwerden. »Merv und Scant. Wir müssen los.«
Merv half ihr vom Deckel des Putzwagens herunter. »Ganz recht. Der Klon ist einsatzbereit.«
Scant löste die Schutzfolie von einem verborgenen doppelten Boden im Putzwagen. In dem Fach lag eine geklonte Kopie von Opal Koboi, gekleidet in einen Komaanzug der Argon-Klinik. Der Klon war absolut identisch mit dem Original, bis zum letzten Haarfollikel. Scant entfernte die Sauerstoffmaske vom Gesicht des Klons, hievte die Gestalt aus dem Wagen und begann, sie in die Aufhängung zu schnallen.
»Bemerkenswert«, sagte Opal und strich mit ihrem Fingerknöchel über die Haut des Klons. »Bin ich so schön?«
»O ja«, sagte Merv. »Sogar noch schöner.«
Plötzlich kreischte Opal auf. »Ihr Idioten! Die Augen von dem Ding sind offen! Es kann mich sehen!«
Hastig schloss Scant die Lider des Klons. »Keine Sorge, Miss Koboi, es kann niemandem davon erzählen, selbst wenn sein Gehirn in der Lage wäre, das Gesehene zu begreifen.«
Noch immer etwas benommen kletterte Opal in den Putzwagen. »Aber seine Augen registrieren die Bilder. Foaly könnte auf die Idee kommen, das zu überprüfen. Dieser teuflische Zentaur.«
»Nur die Ruhe, Miss«, sagte Scant und verschloss den doppelten Boden über seiner Chefin. »Das dürfte bald Foalys geringste Sorge sein.«
Opal streifte sich die Sauerstoffmaske übers Gesicht. »Später«, murmelte sie durch das Plastik. »Wir reden später.«
Koboi fiel in einen natürlichen Schlaf. Bereits diese kleine Anstrengung hatte sie erschöpft. Es konnte noch Stunden dauern, bis die Wichtelin wieder bei vollem Bewusstsein war. Nach einem so langen Koma bestand sogar die Gefahr, dass Opal nie wieder ganz so intelligent sein würde wie früher.
»Was sagt die Zeit?«, fragte Merv.
Scant sah auf seinen Mondmeter. »Noch dreißig Sekunden.«
Merv klinkte den letzten Gurt ein. Alles sah genauso aus wie zuvor. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und machte einen zweiten Schnitt mit dem Skalpell, diesmal im Arm des Klons, und setzte den Seeker-Sleeper ein. Während Scant die Wunde mit einem Magiestoß heilte, arrangierte Merv die Putzutensilien wieder über dem doppelten Boden des Wagens.
Scant hüpfte ungeduldig auf und ab. »Noch acht Sekunden, sieben. Bei den Göttern, das ist das letzte Mal, dass ich die Chefin aus einer Klinik entführe und sie durch einen Klon ersetze.«
Merv schwenkte den Wagen auf seinen Rollen herum und schob ihn durch die offene Tür.
»Fünf … vier …«
Scant sah sich noch ein letztes Mal um, ließ den Blick über alles gleiten, was sie berührt hatten.
»Drei … zwei …«
Sie waren draußen und zogen die Tür hinter sich zu.
»Eins …«
Corporal Grub sackte ein wenig zusammen, dann zuckte er kurz und war wieder wach. »He, was … Mann, hab ich einen Durst. Sie auch?«
Merv stopfte die Nachtsichtbrille in den Putzwagen und blinzelte sich einen Schweißtropfen aus dem Auge. »Das kommt von der Luft hier drinnen. Ich fühle mich dauernd wie ausgetrocknet. Furchtbare Kopfschmerzen.«
Grub massierte sich den Nasenrücken. »Ich auch. Ich werden denen einen Brief schreiben, sobald das Licht wieder funktioniert.«
Genau in dem Moment ging das Licht wieder an; eine Röhre nach der anderen flackerte an der Decke des Flurs auf.
»Na bitte«, sagte Scant grinsend. »Die Krise ist überstanden. Vielleicht lassen sie jetzt endlich neue Leitungen verlegen, was, Bruderherz?«
Professor Argon kam den Flur entlanggerannt, fast so schnell wie das Aufflackern der Lampen.
»Ihrem Bein scheint’s ja besser zu gehen, Jerry«, sagte Merv.
Argon beachtete die Wichtel gar nicht. Seine Augen waren weit aufgerissen, und er rang nach Atem. »Corporal Kelp«, keuchte er. »Was ist mit Koboi? Ist sie …«
Grub verdrehte die Augen. »Beruhigen Sie sich, Doc. Miss Koboi hängt noch genau da, wo sie vorher war. Sehen Sie selbst.«
Argon stützte sich mit den Handflächen an der Wand ab und überprüfte zuerst ihre Vitalfunktionen.
»Gut, keine Veränderung. Keine Veränderung. Zwei Minuten Unterbrechung, aber das ist nicht weiter schlimm.«
»Habe ich Ihnen doch gesagt«, brummte Grub. »Aber wo Sie gerade hier sind, ich muss mal mit Ihnen über meine Kopfschmerzen reden.«
Argon schob ihn beiseite. »Ich brauche ein Wattestäbchen. Scant, haben Sie welche?«
Scant tastete seine Taschen ab. »Tut mir Leid, Jerry. Nicht am Mann.«
»Nennen Sie mich nicht Jerry!«, heulte Jerbal Argon und zerrte den Deckel vom Putzwagen. »Irgendwo da drin müssen doch Wattestäbchen sein«, sagte er. Ein paar dünne Haarsträhnen klebten auf seiner schweißglänzenden breiten Gnomenstirn. »Schließlich ist das ein Putzwagen, verflucht noch mal.« Seine Stummelfinger wühlten in den Utensilien und scharrten über den doppelten Boden.
Merv schob ihn beiseite, bevor er das Geheimfach oder die Monitorleiste entdecken konnte. »Schon gefunden, Professor«, sagte er und hielt eine Dose mit Wattestäbchen hoch. »Reicht für ’nen ganzen Monat. Bedienen Sie sich nach Herzenslust.«
Argon fummelte ein einzelnes Stäbchen aus der Dose und warf den Rest weg. »Die DNS lügt nie«, murmelte er, während er seinen Code in die Tür eingab. »Die DNS lügt nie.«
Er stürzte in den Raum und strich grob mit dem Wattestäbchen über die Mundschleimhaut des Klons. Die Brill-Brüder hielten den Atem an. Sie hatten eigentlich gehofft, schon aus der Klinik heraus zu sein, wenn das geschah. Argon rollte die Spitze des Stäbchens über die Testfläche seines Klemmbretts. Wenig später leuchtete auf dem winzigen Monitor Opal Kobois Name auf.
Argon stieß einen kellertiefen Seufzer aus und stützte beide Hände auf den Knien ab. Er lächelte seinen Beobachtern verlegen zu. »Tut mir Leid. Ich habe die Panik gekriegt. Wenn wir Koboi verloren hätten, wäre die Klinik am Ende gewesen. Ich bin wohl ein bisschen paranoid. Gesichter kann man verändern, aber …«
»Die DNS lügt nie«, sagten Merv und Scant wie aus einem Munde.
Grub zog seine Videobrille wieder über die Augen. »Ich glaube, Professor Argon braucht ein bisschen Urlaub.«
»Wem sagen Sie das«, spöttelte Merv und schob den Putzwagen Richtung Personalaufzug. »Na, aber jetzt sollten wir mal lieber nachsehen, was die Ursache für den Stromausfall war, Bruderherz.«
Scant schloss sich ihm an. »Hast du ’ne Idee, woran es liegen könnte?«
»Ich habe so eine Ahnung. Schauen wir mal auf dem Parkplatz nach, oder unten im Keller.«
»Wie du meinst. Schließlich bist du der Ältere von uns beiden.«
»Und der Klügere«, fügte Merv hinzu. »Vergiss das nicht.«
Die beiden Wichtel marschierten weiter munter plaudernd den Flur entlang, obwohl ihnen die Knie zitterten und das Herz bis zum Hals schlug. Erst als sie die Spuren der Säurebomben entfernt hatten und in ihrem Lieferwagen auf dem Weg nach Hause waren, begannen sie wieder normal zu atmen.
Als sie in Opal Kobois Wohnung angekommen waren, befreite Merv Opal aus dem Geheimfach. Jegliche Sorgen, ihr IQ könnte möglicherweise gelitten haben, wurden augenblicklich zerstreut. Die Augen ihrer Chefin funkelten hellwach.
»Bringt mich auf den neuesten Stand«, sagte sie und kletterte auf wackligen Beinen aus dem Putzwagen. Ihr Verstand war zwar voll funktionsfähig, aber ihre Muskeln würden ein paar Tage im Elektromassagegerät brauchen, bis sie wieder fit waren.
Merv half ihr auf ein niedriges Sofa. »Alles ist vorbereitet. Das Geld, der Chirurg, alles.«
Opal trank gierig aus einem Krug mit Quellwasser, der auf dem Beistelltisch stand. »Gut, gut. Und was ist mit meinen Feinden?«
Scant stellte sich neben seinen Bruder. Sie sahen fast identisch aus, nur Mervs Stirn war ein winziges Stück höher. Er war immer der Denker gewesen. »Wir haben sie beobachtet, wie Sie gebeten hatten.«
Opal hörte auf zu trinken. »Gebeten?«
»Befohlen«, stammelte Scant. »Befohlen natürlich. Das wollte ich sagen.«
Kobois Augen verengten sich. »Ich hoffe doch, dass die Brill-Brüder nicht auf irgendwelche eigenmächtigen Ideen gekommen sind, während ich im Koma war.«
Scant neigte sich ein Stück vor, fast wie eine Verbeugung. »Nein, nein, Miss Koboi. Wir leben, um zu dienen. Nur um zu dienen.«
»Genau«, sagte Opal. »Und ihr lebt nur, solange ihr dient. Jetzt zu meinen Feinden. Ich nehme an, sie sind gesund und munter.«
»O ja. Julius Root wird als ZUP-Commander immer einflussreicher. Ist inzwischen in den Rat berufen worden.«
Opal lächelte. Es war das hinterhältige Lächeln eines Raubtiers. »In den Rat, so, so. Das wird ein tiefer Fall. Und Holly Short?«
»Wieder voll im Dienst. Sechs erfolgreiche Aufklärungseinsätze, seit Sie Ihr Koma eingeleitet haben. Sie soll demnächst zum Major befördert werden.«
»Zum Major, sieh an. Nun, das Mindeste, was wir tun können, ist, dafür zu sorgen, dass diese Beförderung nie stattfindet. Ich werde Holly Shorts Karriere zerstören, sie soll in Schande sterben.«
»Der Zentaur Foaly ist unerträglich wie immer«, fuhr Scant fort. »Ich schlage vor, einen besonders unschönen …«
Opal erhob ihren zierlichen Zeigefinger und schnitt ihm das Wort ab. »Nein. Foaly wird vorläufig nichts zustoßen. Er soll nur über den Verstand besiegt werden. Zweimal in meinem Leben hat es jemand geschafft, mich auszutricksen. Beide Male war es Foaly. Ihn einfach nur zu töten wäre fantasielos. Ich will ihn geschlagen, gedemütigt und von allen verlassen sehen.« Voller Vorfreude klatschte sie in die Hände. »Und dann werde ich ihn töten.«
»Wir haben Artemis Fowls Gespräche abgehört. Anscheinend hat der Menschenjunge den größten Teil des vergangenen Jahrs damit zugebracht, ein bestimmtes Gemälde zu suchen. Wir haben herausgefunden, dass das Bild sich in München befindet.«
»Ein Gemälde? Tatsächlich?« In Opals Gehirn drehten sich die Rädchen. »Nun, sorgen wir dafür, dass wir es vor ihm in die Finger bekommen. Vielleicht können wir diesem Kunstwerk ja eine Kleinigkeit beifügen.«
Scant nickte. »Ja. Kein Problem. Ich kümmere mich heute Nacht darum.«
Opal räkelte sich auf dem Sofa wie eine Katze im Sonnenlicht. »Gut. Der Tag fängt ja vielversprechend an. Und jetzt holt den Chirurgen.«
Die Brill-Brüder warfen sich einen Blick zu.
»Miss Koboi?«, sagte Merv nervös.
»Ja, was ist?«
»Wegen dem Chirurg. Diese Art von Operation kann nicht mal durch Magie rückgängig gemacht werden. Wollen Sie nicht vielleicht noch mal darüber nachdenken …«
Opal sprang vom Sofa. Ihre Wangen glühten vor Zorn. »Nachdenken? Ich soll darüber nachdenken? Was glaubt ihr eigentlich, was ich das ganze letzte Jahr getan habe? Ich habe nachgedacht! Vierundzwanzig Stunden am Tag. Ich pfeife auf die Magie. Nicht die Magie hat mir bei der Flucht geholfen, sondern die Wissenschaft. Die Wissenschaft wird meine Magie sein. Und von jetzt an spar dir deine guten Ratschläge, Merv, sonst wird dein Bruder zum Einzelkind. Verstanden?«
Merv war fassungslos. Er hatte Opal noch nie so wütend gesehen. Das Koma hatte sie verändert. »Jawohl, Miss Koboi.«
»Und jetzt hol den Chirurgen.«
»Sofort, Miss Koboi.«
Opal legte sich wieder auf das Sofa. Bald würde in ihrer Welt alles zum Besten stehen. Ihre Feinde würden tot oder entehrt sein. Sobald die offenen Rechnungen beglichen waren, konnte sie ihr neues Leben beginnen. Nachdenklich massierte sie sich die spitzen Ohren. Wie würde sie als Menschenwesen wohl aussehen?