Artgerecht - Markus Strauß - E-Book

Artgerecht E-Book

Markus Strauß

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Beschreibung

Der Mensch hat sich im Lauf der Jahrhunderte so weit von einem artgerechten Leben entfernt, dass es höchste Zeit wird gegenzusteuern. Markus Strauß zeigt auf, wie sehr sich vor allem im 20. Jahrhundert unsere Lebensweise, Nahrung und die Qualität von Landschaft und Boden verändert haben. Was wir brauchen, ist eine "natürliche Revolution". In 13 Thesen macht er deutlich, wie wir den Wandel konkret einleiten und in ein neues, grünes Jahrtausend finden können. Denn nur so wird unsere Umwelt zu einem Raum der Natürlichkeit, der Freiheit des Einzelnen und des Miteinanders.

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Seitenzahl: 384

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Liebe Leserin, lieber Leser,

in diesem Buch geht es um Ihr Leben und um das Leben von uns allen als Gesellschaft. Es geht um Gerechtigkeit. Gerechtigkeit uns selbst gegenüber und Gerechtigkeit unseren Mitmenschen, den Tieren und Pflanzen, der ganzen Erde gegenüber. Es geht mir dabei um ein umfassendes Verständnis für die großen Zusammenhänge und sehr weit zurückreichenden Ursachen, die zur heutigen sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen und geistig-spirituellen Lebenssituation geführt haben. Erst auf dieser Basis lassen sich fundiert Möglichkeiten für eine artgerechte Zukunft aufzeigen – sowohl für Sie privat als auch gesamtgesellschaftlich. Wir stecken heute mitten in einer multiplen, kulturellen Krise und merken auf die eine oder andere Art wohl fast alle, dass wir so, wie wir jetzt leben, noch nicht einmal unseren ureigenen Bedürfnissen gerecht werden. Schlaf, Bewegung, Ernährung, Partnerschaft, Familie, Beruf und Finanzen, unsere Umwelt, das soziale Miteinander bis hin zu Krieg und Frieden – irgendwo hakt es immer.

Mein Buch liefert hier nicht nur 13 Thesen, sondern auch 13 Lösungsansätze, die solch ein artgerechtes und damit erfülltes, glückliches und gesundes Leben ermöglichen. Dabei schaue ich als Liebhaber der essbaren Wildpflanzen von außen, von der wilden Seite her, auf das, was wir Menschen im Laufe der Geschichte als Kultur geschaffen haben. Die Geschichtsschreibung betrachte ich dabei jedoch nicht aus der Perspektive der Herrschenden, sondern aus der Sicht der ganz normalen Bevölkerung. So betrachtet sind die markantesten Wendepunkte der gesamten kulturellen Entwicklung der Menschheit nicht etwa der Aufstieg und Fall großer Reiche und mächtiger Herrscher, sondern schlicht und einfach drei aufeinanderfolgende Revolutionen.

Im Zuge der sogenannten neolithischen Revolution wurden aus nomadisierenden Sammlern und Jägern sesshafte Bauern, erst mit der industriellen Revolution wurden aus Bauern mehrheitlich Arbeiter und im Zuge der frühen Phase der digitalen Revolution seit den 1980er Jahren diese wiederum zu Angestellten. Und siehe da: Für alle in den 13 Kapiteln dieses Buches behandelten Themen lässt sich mit diesem einfachen Modell in relativ kurzer Zeit ein Überblick gewinnen. Die Übersichtstabelle auf der folgenden Doppelseite kann Sie bei der Lektüre begleiten und unterstützen. Außerdem mache ich am Ende jedes Kapitels Vorschläge, was Sie ganz konkret und sofort unternehmen können und was meiner Ansicht nach gesamtgesellschaftlich gemeistert werden muss. Oft müssen wir dabei das Rad gar nicht neu erfinden – Lösungen für heutige Probleme finden sich häufig durch die Re-Integration von altbewährtem, traditionellem Wissen in die heutige Alltagskultur. So kann sich in den nächsten Jahren ein großer Kreis schließen:

Unsere künstliche Trennung von der Natur kann nun überwunden werden – 7.800 Jahre nach der Umsetzung der neolithischen Revolution und rund 140 Jahre nach der industriellen Revolution bei uns in Mitteleuropa. Wir leben jetzt in einer der spannendsten Zeiten jemals: Wir stehen vor den Toren des Paradieses! Diese werden sich für uns öffnen, wenn wir es erstens verstehen, mit den Kräften der Natur zu leben, statt in einer künstlich geschaffenen Welt ständig gegen die Prinzipien der Natur zu arbeiten, und wenn wir zweitens die Früchte der digitalen Revolution nun zum Wohle aller Menschen nutzen. In diesem Sinne ist ein artgerechtes Leben ein Leben im irdischen Paradies. Der Apfel der Erkenntnis soll nun endlich mit Genuss gegessen werden. Er ist reif, leuchtet rot und wartet darauf, jetzt von uns geerntet zu werden. Greifen Sie zu!

Allgäu, im Januar 2018

Markus Strauß

Eine Art Gebrauchsanweisung für artgerechtes Lesen

ARTGERECHT handelt von einer lebenswerten Zukunft. Hierfür schaue ich für Sie in die Vergangenheit und analysiere die Gegenwart. Die schonungslose Betrachtung unseres heutigen Lebens kann Reaktionen wie Angst, Wut, Erschöpfung, Ohnmacht, Ekel oder Trauer auslösen. Diese können, sofern man nicht darin stecken bleibt, der Beginn eines heilsamen Prozesses sein. Da jeder von uns seine eigene Lebensgeschichte hat, fallen auch die Reaktionen unterschiedlich aus. Sie werden selbst spüren, welche Themen Ihnen besonders nahe und unter die Haut gehen. Lassen Sie diese Reaktionen einfach einmal zu. Diese haben alle ihre Berechtigung, und glauben Sie, ich kenne dies auch von mir selbst. Wenn wir es jedoch zulassen, dass Angst, Erschöpfung, Wut, Ohnmacht und Trauer dauerhaft von uns Besitz ergreifen, dann sind wir tatsächlich Opfer von „dunklen Kräften“ geworden, die sich jetzt überdeutlich in der Welt zeigen. Hier braucht es einen gut gefüllten Erste-Hilfe-Kasten. Diesen finden Sie am Ende des Buches ab hier. Mein allererster Ratschlag: Lassen Sie erst einmal Dampf ab! Bewegung aller Art hat sich hierfür bewährt. Die Wutenergie sollte auf jeden Fall aus Ihrem Körper hinaus. Wenn Sie das Gefühl haben, die sachliche Ebene wieder erreicht zu haben, können Sie sich in aller Ruhe fragen: „Warum regt mich das denn so auf? Welche alten seelischen Wunden werden schmerzhaft berührt?“ So werden Sie Beobachter Ihrer selbst und lenken die Wutenergie bewusst in sinnvolle, konstruktive Tätigkeiten um. Auf diese Weise verhindern Sie auch ein Abrutschen in destruktive Verhaltensweisen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nun eine spannende und anregende Lektüre.

Die Menschheitsgeschichte im Überblick

1 › Ehrliche Lebensmittel

Kraft aus der Natur statt künstliches Hightechfood

Nirgends ist die Globalisierung so weit fortgeschritten wie bei der Ernährung. Aus allen möglichen Ländern und Traditionen greifen wir heute Ideen und Impulse auf und kombinieren und experimentieren wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Aus kulinarischer Sicht bringt dies viel Spaß und Freude ins Leben und ist so gesehen wunderbar. Wir haben heute die größte Auswahl, selbst an exotischsten Zutaten aus aller Welt, die wir nicht nur im normalen Supermarkt, sondern auch beim Asiaten oder beim Türken um die Ecke erhalten. Dennoch ist die Erweiterung des Spektrums auf dem Teller nicht unbedingt als Fortschritt zu sehen. Schnell kommt hier Überforderung auf, denn das Durcheinander an am Genuss orientierten Rezepten und Zubereitungsarten, die Vielfalt der Zutaten sowie die unzähligen Ernährungstipps und Lehren schaffen am Ende vielleicht doch ein gehöriges Durcheinander im Verdauungstrakt.

Sozusagen »mulitkulti« im Darm – da kommt auch gleich das wichtige Thema der Darmbakterien mit auf den Esstisch, worauf ich später nochmals eingehe. Was sich im heutigen Essverhalten auch einschneidend geändert hat: Wir kochen immer weniger zu Hause und essen dafür immer mehr unterwegs. Entweder holen wir uns international einheitliches Fast Food »to go«, nutzen Lieferdienste verschiedenster Art, verbringen die Mittagspause in Kantinen oder beim Imbiss, oder wir machen schnell etwas in der Mikrowelle warm. Gedanklich überfordert sind wir gesamtgesellschaftlich offensichtlich auch, wenn es um den Zusammenhang zwischen Ernährung und Umwelt geht: Noch nie wurde so viel giftige Agrarchemie eingesetzt, war das Leid der Tiere in den Massenhaltungen so groß und die Menge an Gülle so riesig. Und noch nie war die Qualität der industriell hergestellten Nahrungsmittel so schlecht.

Alternativ gibt es hervorragende biologisch erzeugte Lebensmittel, doch deren Marktanteil liegt heute trotz Bioboom immer noch bei unter 10 Prozent. Der große Rest stammt aus konventioneller oder industrieller Produktion. Deren Produkte bezeichne ich konsequent als »Nahrungsmittel«, aber niemals als ehrliche und wirklich lebendige Lebensmittel, die uns im echten Wortsinn als »Mittel zum Leben« dienen können. Und als ob das alles nicht schon genug wäre, ist da ja noch das große Thema Ernährung und Gesundheit – spätestens jetzt tauchen Widersprüchlichkeiten auf und wird die Überforderung so groß, dass uns der Kopf schwirrt. Im Gegensatz zu einem wilden Tier, welches sehr wohl aus sich heraus weiß, welche Art der Ernährung ihm zuträglich und damit artgerecht ist und welche eben nicht, haben wir Menschen diesen direkten Zugang zu uns selbst offensichtlich verloren. Die Krone der Schöpfung weiß inzwischen nicht mehr, was sie essen soll?! Da lachen ja die Biohühner (den konventionellen Hühnern ist das Lachen schon längst vergangen ...). Doch die bittere Wahrheit ist: Wir sind auf tragische Weise »getrennt« von uns selbst. Wären wir dies nicht, wüssten wir doch intuitiv, welche Nahrung uns zuträglich ist, welche Produkte im Supermarktregal stehen sollten und welche nicht. Das Thema hat auf einer höheren geistig-spirituellen Ebene somit auch mit der Rückverbindung zu unserem wahren Wesen zu tun. Ohne Verbindung zu uns selbst sind wir in der scheinbar ausschließlich rational erklärten Welt empfänglich für allerlei Lehren, Diäten und Philosophien. Die Art, wie wir uns ernähren, ist für viele Suchende zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität erhöht worden. Viele praktizieren diese wie eine Art Ersatzreligion. Zumindest schimmern hier durchaus christlich-religiöse Konzepte durch, wenn man in einem schwachen Moment glaubt, eine Ernährungssünde begangen zu haben.

Verschiedene Strömungen und Entwicklungen im Bereich Ernährung sind also heute im Umlauf. Da gibt es zum einen die graduellen Abstufungen beim Weglassen von Fleisch und anderen tierischen Produkten. Da gibt es namentlich also die Flexitarier1, die Pescitarier2, die Ovo-lacto-Vegetarier3, die Lacto-Vegetarier4 und die Veganer5. Bei den Kohlenhydraten gibt es die Polarität zwischen Lowcarb6 und Highcarb7, die ketogene Ernährung8, die glutenfreie Ernährung9, die Paleoernährung10 sowie die Mittelmeerernährung. Schließlich gibt es noch große Unterschiede in der Art der Zubereitung: Im aus Indien kommenden Ayurveda und in der 5-Elemente-Lehre der Traditionellen Chinesischen Medizin sollen je nach Typus viele Nahrungsmittel ausschließlich gekocht verzehrt werden. Die Traditionelle Europäische Medizin kennt die »Vier-Säftelehre« oder die »Vier-Temperamentenlehre«, die je nach Typus unterschiedliche Nahrungsmittel und Zubereitungsarten empfiehlt. Und dann gibt es noch die Rohköstler, die nichts über 42 Grad erwärmen. Oder die Frutarier, die nur das essen, was direkt vom Baum fällt. Clean Eating ist ein relativ neuer Ernährungstrend, der sich auf die Verwendung ausschließlich natürlicher Nahrungsmittel mit mehreren kleineren Mahlzeiten über den Tag verteilt bezieht. Und dann rücken glücklicherweise unsere kleinsten Mitbewohner, die Darmbakterien ins Rampenlicht, besonders seit dem Erfolgstitel »Darm mit Charme«11. Inzwischen kennt und benennt die Wissenschaft die drei hauptsächlichen Bakterienprofile bzw. Enterotypen Prevotella, Bacteroides und Ruminococcus. Diese sind weltweit bunt gemischt, unabhängig von Alter, Geschlecht und Rasse. Die einen können fast alles gut verwerten, die anderen eher Fleisch und die dritten eher pflanzliche Kost. In jedem Fall sind es 100 Billionen Kleinstlebewesen, mit denen wir uns gut stellen sollten. In diesem Bereich wird die Forschung sicherlich noch weiter Spannendes zu berichten wissen.

Die beiden Autoren und Wissenschaftler Andrea und Florian Überall skizzieren in ihren beiden Büchern zur EssMedizin12, welche Auswirkungen »falsche« oder zu wenige »richtige« Bakterien haben. Sie zeichnen das Ungleichgewicht im Darm verantwortlich für die verschiedensten Symptome wie Bauchfett, Entzündungen, Bluthochdruck, Diabetes Typ 2 usw. Hausgemachte Funktionsstörungen, die beispielsweise durch ausreichend Bitterstoffe sowie fermentierte Nahrung verbessert werden können. Hier zeigt sich auch eine schöne Analogie zur miserablen Qualität unserer Ackerböden: Mit viel Gift und grober Behandlung geht die wertvolle Bodenkultur zu Grunde. Essen wir das Gift in den Pflanzen und stark verarbeitete Nahrungsmittel, geht auch unsere Darmkultur und Gesundheit flöten.

Sehr gerne wird auch der völlig nichtssagende Begriff einer »ausgewogenen« Ernährung verwendet, unter dem jeder alles verstehen kann, aber nichts verstehen muss. Das ist sehr praktisch, da sich damit jeder wohl und irgendwie richtig fühlen kann. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. ist als »neutral getarntes« Sprachrohr der Ernährungsindustrie mit ihrer Pyramide und ihren Empfehlungen regelmäßig mit Anpassungen beschäftigt. Da steckt natürlich ein wenig Ironie dahinter, denn die enge Verknüpfung dieser Institution mit der Lebensmittelindustrie lässt nicht unbedingt den Schluss zu, dass hier der Weisheit letzter Schluss liegt. Und immer pünktlich zu Beginn eines neuen Jahres erscheinen die ultimativen Diäten in diversen Frauenzeitschriften von Brigitte bis Tina und neuerdings auch für Männer in Men`s Health und im GQ-Magazin. Da sich inzwischen das Phänomen des Jo-Jo-Effektes auch in den Mainstreammedien herumgesprochen hat, werden bei den Diäten immer mehr die gesundheitlichen Aspekte hervorgehoben und nicht unbedingt die reine Gewichtsreduktion. Und ja, viele dieser Ernährungsempfehlungen und Richtungen behaupten, dass wir genau so und nicht anders ein langes und gesundes Leben erwarten können. Sie beziehen sich in ihrer Begründung natürlich oftmals auf Studien, die die Ernährungsgewohnheiten und den Gesundheitszustand verschiedener Bevölkerungsgruppen unter die Lupe genommen haben und in ihren Statistiken den Stein der Weisen gefunden zu haben scheinen. Oft wird auch auf die paradiesischen Ernährungszustände der Steinzeit Bezug genommen. Darauf gehe ich später noch ein. Doch so viel schon vorweg: Keine dieser Studien oder Lehren hat meiner Ansicht nach Unrecht – und keine hat Recht.

Klingt verrückt, ich weiß. Was ich aber meine, ist das Folgende: Wenn ich mir in der Menschheitsgeschichte eine Zeitperiode oder eine bestimmte Lebenssituation einer Kultur als Beleg herauspicke, ist es immer möglich, einen scheinbaren Beweis zu finden. Allerdings gibt es auch immer gleich mehrere Gegenbeispiele. So kommt man hier also nicht weiter. Meiner Meinung nach sollten wir beim Thema Ernährung genau so, wie im Folgenden bei anderen Themen, wieder des großen Bildes gewahr werden und die großen Zusammenhänge und Entwicklungslinien unserer Menschheitsgeschichte betrachten. Aus dieser übergeordneten Perspektive lassen sich die Details dann meist viel leichter passend sortieren – oder sind klar als Irrweg zu erkennen. Kümmern wir uns also nun um diesen Überblick und lenken dabei immer auch den Blick auf die Qualität der in der jeweiligen Epoche verzehrten Lebensmittel. Denn Qualität leidet in einem System, dessen Werte fast ausschließlich monetär und ökonomisch definiert sind, immer.

Seit 2,7 Millionen Jahren: wilde Lebensmittel

Die Sammler- und Jägergemeinschaften der Steinzeit ernährten sich vor allem von essbaren Wildpflanzen. Dies waren allerdings nicht nur Kräuter, sondern war auch Essbares von Sträuchern und Bäumen. Hier bietet uns die Natur auch heute noch eine Fülle an Lebensmitteln wie Blattgrün, Gemüse, Beeren, Nüsse, Wurzeln, Baumsäfte oder Baumblätter. Der Beitrag der Sammler zur gesamten Ernährung wurde lange unterschätzt, daher habe ich die Bezeichnung bewusst umgedreht und schreibe hier von Sammlern und Jägern! Bei Ausgrabungen sind natürlich vorrangig Tierknochen und Geweihe noch relativ gut erhalten und darum auch leicht zu entdecken. Dagegen sind die pflanzlichen Reste von Löwenzahn und Co. logischerweise zu 99,9 Prozent verwest und nur in Ausnahmefällen erhalten geblieben, wie z. B. Haselnussspuren oder Reste von Hagebuttenkernen. Neuere Untersuchungen des Zahnschmelzes und des Knochenmaterials von Neandertalern sowie vom Homo Sapiens zeigten hohe Werte für Mineralien und Spurenelemente, die aus pflanzlicher Nahrung kommen.

Natürlich war die Jagd lebensnotwendig, gerade in den kalten, nördlichen Kältesteppen während der Eiszeit. Dort gab es ja nur in den kurzen Sommern etwas zu sammeln, ansonsten überwogen tierische Produkte. Allerdings waren die Jagd, der Umgang mit den Tieren und die Qualität des Fleisches völlig anders als heute. Während in den Eiszeiten Großwild gejagt wurde, wurde in der anschließenden Mittelsteinzeit, also in der Warmzeit, aufgrund der Rückkehr der Wälder vor allem Kleinwild gejagt, und es wurden Fische gefangen.

Die heutige Rohkostbewegung und auch die Frutarier beziehen sich theoretisch auf die älteste Menschheitsgeschichte 1 Million Jahre vor unserer Zeit. Damals kannten unsere Vorfahren noch kein Feuer, sie hatten auch keine ausgefeilten Jagdwaffen entwickelt, um große Beute machen zu können. Diese frühen Menschen lebten daher größtenteils vom Sammeln von Früchten, Blättern und Kräutern. Wollten sie auch Fleisch essen, so konkurrierten sie mit anderen Wildtieren um das von Raubtieren gerissene Aas. Der Fleischkonsum stieg erst mit der fortschreitenden Entwicklung von entsprechenden Waffen und durch die Zubereitung auf dem Feuer. Die Domestizierung des Feuers wird auf etwa 1 Million Jahre vor unserer Zeit datiert. Mittels Waffen und Feuer verbesserte sich also die Ernährungssituation erheblich. An den tropischen Küsten Afrikas entdeckten Archäologen große steinzeitliche »Müllberge« mit haufenweise Muschelschalen – ein Hinweis auf Kulturen, die das wertvolle tierische Eiweiß der Muscheln und Krustentiere an den Küsten nutzten.

Zusätzlich wurde bestimmt auch pflanzliche Kost als mineral- und vitaminreiche Beilage gesammelt. Das war dann sozusagen die Paleoernährungaus Fleisch und Fisch, zusammen mit Gemüse und Salat. In extremer Form findet man einen sehr hohen Fleisch- und Fischkonsum bei den Inuit in Alaska, Kanada und Grönland sowie bei den Urvölkern Nordsibiriens. Doch auch dort wurden den Sommer über Pflanzen in Form von Beeren, Flechten und Kräutern gesammelt, sonst wären Mangelerscheinungen aufgetreten. Diese wurden für die Winterzeit getrocknet. Somit spielten in der Steinzeit tierische Eiweiße eine wesentliche Rolle, und dies hat den damaligen Menschen nicht geschadet, sondern ihrer Entwicklung genutzt, denn ein Überleben in kälteren Regionen wäre ohne die Jagd nicht möglich gewesen. Auch wenn ich selbst als langjähriger Vegetarier immer wieder gerne auf die Steinzeitgemeinschaften zurückblicke, sind die Gründe für eine vegetarische oder vegane Lebensweise heute schwerpunktmäßig in der fatalen Entwicklung der Fleischproduktion zu sehen. Auch ethische Gesichtspunkte spielen hier natürlich eine Rolle. Bei einem genauen Blick auf die Steinzeitkulturen erkennt man schnell, dass die Menschen ständig in Bewegung waren, oftmals längere Fastenzeiten durchlebten und das Fleisch eine wesentlich bessere Qualität hatte. Bei Wildtieren ist der Gehalt an lebenswichtigen Omega-3-Fettsäuren viel höher, da die Tiere sich in der freien Natur bewegen, und ihre eigene Nahrung war wild gewachsen. Das ist wirklich kein Vergleich zu heutigem Folterfleisch aus der Massentierhaltung. Doch im Verlauf der weiteren Menschheitsgeschichte landeten nunmehr die ersten Nutztiere auf der Feuerstelle …

Seit 7.800 Jahren: Ur-Bio

Mit dem Beginn der Sesshaftigkeit wurde in den Rodungsinseln der Wälder Ackerland angelegt. Dort erfolgte die Aussaat von Urformen des heutigen Weizens wie Einkorn, Emmer oder Dinkel, dazu die an pflanzlichem Eiweiß reichen Linsen und Erbsen sowie Gemüse und Obst aller Art. Schweine, Schafe, Ziegen und Rinder wurden als Nutztiere gehalten, ab der Bronzezeit schließlich auch Hühner. Die Haupteiweißquelle bestand aus dem Fleisch und aus den Milchprodukten der Nutztiere. Die Jagd verlor nahezu komplett an Bedeutung. Das Sammeln im Wald beschränkte sich auf wilde Heil- und Gewürzpflanzen, auch als Ersatz für Kulturgemüse in Folge einer schlechten Ernte. Die Qualität der angebauten Pflanzen war sozusagen »Ur-Bio«.Die Ackerböden waren damals noch reich mineralisiert, reich an Bodenleben und reich an Humus. Noch tötete keine Agrarchemie die wertvollen Bakterien, noch verdichteten keine schweren Landmaschinen die Böden. Dafür kannte man die Anwendung von Fruchtfolgen wie z. B. die Drei-Felder-Wirtschaft, in der das Land in jedem dritten Jahr brach lag und sich erholen konnte.

Im Brachjahr wucherten hier schließlich die Wildkräuter, und man sammelte die essbare Melde und den Feldsalat zum Teil für den eigenen Bedarf oder ließ den Rest das Vieh abweiden. Die Tiere düngten dann gleichzeitig auch das Feld mit. Außerdem brachte man auf dem Brachfeld den Stallmist und die Küchenabfälle aus. Grundsätzlich und selbstverständlich wurde ein Teil der Ernte äußerst sorgfältig aufbewahrt: nämlich als Saatgut für das folgende Jahr! Es bildeten sich so regionale Sorten heraus, die an die Bedingungen der Gegend besonders gut angepasst waren. Zwischen den Bauern eines Dorfes erfolgte auch oft ein reger Saatguttauschhandel13.

Seit 120 Jahren: künstliche Nahrungsmittel

Die Landwirtschaft wurde kontinuierlich abgekoppelt vom Lebensalltag der Menschen, die im Zuge der industriellen Revolution in Fabriken und Büros arbeiteten. Die Landwirtschaft wurde so zum reinen Produzenten von Rohstoffen reduziert. Dazu kamen die großzügige Verwendung von Dünger und Spritzmittel sowie der Einsatz von schwerem Gerät. Der Wandel von Klasse zu Masse nahm nunmehr seinen Lauf. Die Optimierung der Gewinnspannen hat logischerweise eine massive Verschlechterung der Nahrungsmittelqualität zur Folge. Zwar wird hier oft mit einer Veredelung der Nahrungsmittel argumentiert – in Wirklichkeit ist sie aber alles andere als das. Die vielen Erdbeerjoghurts, die man heute weltweit kaufen kann, können gar nicht aus richtigen Erdbeeren bestehen, die auf richtigem Ackerboden angebaut werden. Doch da nimmt man einfach die naturidentischen Aromen zu Hilfe, die zusammen mit Zucker, Farbstoffen und Stabilisatoren für eine künstliche und langfristig giftige Geschmacksexplosion sorgen. Eine beschönigende Wortneuschöpfung, wenn in Aromastoffen getränkte Sägespäne als »naturidentisch« bezeichnet werden dürfen. In der Fleischproduktion nutzt man wiederum gerne den Begriff »Veredelung«, wenn es um das Verfüttern von minderwertigen pflanzlichen Produkten geht. Immerhin braucht man acht bis zwölf Mal so viel Pflanzenfutter dieser Art, um ein Tier zur Schlachtreife zu bringen. »Richtiggehende« Veredelung eines Nahrungsmittels hingegen geschieht beispielsweise beim Fermentierungsprozess, wie bei der Herstellung von Sauerkraut, Joghurt, Käse oder Roggenbrot. Verfechter der konventionellen Landwirtschaft argumentieren gerne, dass so viele Menschen, wie sie auf unserer Welt leben, nicht mit 100 Prozent Bio zu ernähren sind.

Eine aktuelle Studie einer Gruppe von Wissenschaftlern der Welternährungsorganisation FAO, der Universitäten Aberdeen, Klagenfurt und Zürich, unter Federführung des Forschungsinstituts für biologischen Landbau, kommt zu einem anderen Ergebnis: Weniger tierische Produkte, weniger Kraftfutter aus Soja und Getreide und außerdem weniger Essensverschwendung würden eine vollständige biologische Ernährung aller Menschen ermöglichen!14 Dazu noch eine Anmerkung aus der Realität: Die DGE empfiehlt, maximal 43 Kilogramm Fleisch pro Person pro Jahr zu verzehren15. Die aktuellen Statistiken zeigen aber für Deutschland einen Fleischkonsum von 60 Kilogramm pro Person pro Jahr auf! Da geht noch was …

Digital Natives: Von Fast Food bis Neo-Bio

Im Zeitalter der digitalen Revolution hat sich die Ernährungsweise radikal verändert. Im Vordergrund stehen Flexibilität und Schnelligkeit. Wie schon zu Beginn des Kapitels aufgezählt ist scheinbar alles möglich. Systemgastronomie und Lieferservices, Imbiss und Fast Food, Convenience und Tiefkühlessen boomen auf der einen Seite. Seit ungefähr 25 Jahren gibt es auf der anderen Seite auch schon große Biosupermärkte, die seitdem ergänzend zu den allerersten und kleinen Naturkostläden oder Reformhäusern das Bedürfnis nach mehr Bionahrung stillen. Man könnte dies durchaus als »Neo-Bio« bezeichnen. Die Sehnsucht und Notwendigkeit nach ehrlicher Qualität tritt wieder zum Vorschein wie ein Urbedürfnis der Menschheit. Seit den 1990er Jahren ist darum auch ein beständiges Wachstum der Biobranche zu verzeichnen. Zudem hat diese Branche eine enorme Professionalisierung erlebt – nicht nur hinsichtlich Größe und Struktur. Die klischeehaft dreckigen Möhren und der Ladeninhaber in Birkenstockschuhen und Jutehemd gehören fast der Vergangenheit an.

Heute geht man in schicke Supermärkte als Erlebniswelt mit Verkostungsaktionen und moderner Produktpräsentation. Ladenketten mit zum Teil über 150 Filialen im ganzen Land haben sich aufgrund der gestiegenen Nachfrage entwickelt. Dazu kommt eine ebenso riesige, fast unüberschaubare Produktvielfalt, die sich auch dem allgemeingültigen Zeitgeist angepasst hat. Teils mit aufwändigen Verpackungen, teils mit Fertig- und Tiefkühlgerichten oder einer Infantilisierung bei Kinderprodukten. Bio ist heute weit verbreitet, und der Zugang zu Biolebensmitteln ist viel leichter geworden. Selbst normale Supermarkt- oder Drogerieketten führen sie heute im Sortiment. Trotz des Booms sind die realen Zahlen ernüchternd. Ökologischer Landbau macht in Deutschland nur 6,4 Prozent aus. Im Jahr 2015 waren 12.420 Betriebe in ökologischen Verbänden organisiert16. Da die Nachfrage nach Biolebensmitteln größer ist als das Angebot in deutschen Biomärkten wird mittlerweile entsprechend viel in Osteuropa, China oder Argentinien produziert. Und ein bedeutender Aspekt kommt da hinzu: Bio ist nicht gleich Bio! Es gibt verschiedene ökologische Verbände, die jeweils ihre eigenen Richtlinien erstellen und dementsprechend die Messlatte höher oder niedriger hängen. Eine wesentlich strengere und damit sinnvollere Reglementierung haben die Verbände Demeter, Bioland sowie Naturland. Am anderen Ende stehen die Verbände, die sich der EU-Bio-Verordnung anschließen. Hier würde ich persönlich von einem »laschen Biogemüse« reden. Diese Sorte Bio findet sich übrigens am häufigsten in normalen Discounter mit einem im Verhältnis kleinen Biosortiment. So richtig echtes Bio ist heute aber »auf die Schnelle« kaum noch möglich, da die dafür notwendigen Ackerböden schlicht und einfach kaputt sind.

An dieser Stelle spreche ich auch gerne von einer verdrehten Biologik. Denn warum muss »Bio« durch einen aufwändigen und teuren Zertifizierungsprozess? Gerade die Mitgliedschaft im Verband, die regelmäßigen Prüftermine sowie die Kosten für das Biosiegel bedeuten einen zusätzlichen monetären Aufwand. Konkret: »Bio« und damit Bioqualität gibt es seit 7.800 Jahren auf unserer Erde. Zieht man die wilden Lebensmittel aus der Alt- und Mittelsteinzeit noch hinzu, so kann man mit Recht sagen: »Bio war immer!« Die massive industrielle Verarbeitung zu künstlichen Nahrungsmitteln ist auf der linearen Zeitschiene hingegen ein absolutes Novum, gerade mal um die 120 Jahre alt! Wir haben also ein Verhältnis von 2,7 Millionen Jahre bewährte Ernährungspraxis mit Biolebensmitteln gegen lächerliche 120 Jahre mit künstlichen Nahrungsmitteln. Aus diesem Grund müsste hier doch ausführlich und akribisch geprüft werden, ob diese künstlichen Produkte langfristig überhaupt verträglich oder gesund sind. »Bio« hat diesen Beweis seit 2,7 Millionen Jahren geliefert! Wir leben hier also in einer völlig verdrehten Logik. Das ist ein wirkungsvoller Manipulationstrick! Solange wir dies einfach so akzeptieren, wird sich grundlegend nichts ändern. Das, was also schon immer für die Menschheit vorhanden war, nämlich naturbelassene, ehrliche Nahrungsmittel in bester Qualität, wird uns heute als neu oder neumodisch und als außergewöhnlich und exotisch verkauft.

So werden Bioprodukte zusätzlich verteuert, was bei genauer Betrachtung allerdings ein Trugschluss ist. Die industriell und künstlich hergestellten Nahrungsmittel sind scheinbar die ganz normalen Lebensmittel. Das ist quasi ein Faktum, was jeden Tag in Echtzeit nachvollzogen werden kann, wenn man die vollen, riesigen Parkplätze vor den Discountern auf dem freien Feld anschaut. Das jetzige System stellt eine Wettbewerbsverzerrung dar, die in die völlig falsche Richtung geht, denn die Kosten für eine notwendige Sanierung wegen Nitrat im Grundwasser und Giftrückständen in den Ackerböden als Folge der konventionellen und der industriellen Landwirtschaft sowie Nahrungsmittelproduktion werden auf Umwegen dem Steuerzahler, also uns, in Rechnung gestellt. Diese Rechnung wird komischerweise niemals im Detail angeschaut. Die Schweiz hat in einem Pilotprojekt die externen volkswirtschaftlichen Kosten des Pestizideinsatzes berechnen lassen. Diese belaufen sich auf 50 bis 100 Millionen Schweizer Franken pro Jahr. Die Kosten wurden dabei in Gesundheitskosten, Kosten wegen Ökosystemschäden und Kosten für Regulierungsaufwand unterteilt17. Hier sollte unbedingt weiter recherchiert und entsprechend konsequente Aufklärung betrieben werden! Verdreht ist auch exemplarisch die Tatsache, dass das Lieblingsgemüse der Europäer, die Tomate, mittlerweile tonnenweise aus China importiert wird, weil die italienischen Landwirte ihre eigenen Tomaten tonnenweise und mit EU-Subventionen gefördert nach Australien exportieren. Auch so ein Unsinn, wo jegliche Vernunft und Sinnhaftigkeit doch ernsthaft hinterfragt werden muss. Nebenbei arbeiten in Italien Migranten unter erbärmlichen Zuständen auf den Tomatenfeldern …18

Die Möglichkeit, ehrliche Lebensmittel im Wortsinn erwerben und essen zu können, ist doch ein Grundrecht des Menschen. Spekulationen an Börsen, Gewinnoptimierung, interkontinentale Transportwege, Vergiftung des Ökosystems und so weiter gehören hier nicht her. Nur Qualität zahlt sich am Ende aus.

Meine persönlichen Empfehlungen:

› Sie kaufen schon regelmäßig Biolebensmittel ein? Prima. Wenn nicht, dann wagen Sie doch mal einen Schritt in solch ein Geschäft. Je nach Wohnort gibt es sicherlich in Ihrer Nähe die Möglichkeit dazu. Auf dem Wochenmarkt gibt es bestimmt auch einen Stand mit Biolebensmitteln. Prima. Auch hier lohnt sich doch ein Besuch. Noch besser: Werden Sie gleich Mitglied bei der Solidarischen Landwirtschaft e.V.

19

! Es gibt deutschlandweit immerhin 166 dieser Initiativen. Der Biolandverband hat ein Verzeichnis mit Hofläden, Bäckereien und Bauernhöfen

20

, die direkt vermarkten. Auch der Demeterverband verfügt über solch ein hilfreiches Onlineverzeichnis

21

.

› Probieren Sie mal eine Mahlzeit aus wilden Zutaten. Hier 2 Rezepte für wilden Genuss:

Brennnessel-»Spinat«-Gemüse

Pro Person werden mindestens zwei Handvoll gewaschene Brennnesselblätter und ­-triebspitzen kurz mit heißem Wasser überbrüht und dann klein geschnitten. In einer Pfanne wird eine kleine, gewürfelte Zwiebel in Oliven- oder Kokosöl angedünstet. Dann kommen die Brennnesselblätter hinzu. Alles wird schließlich mit einer Tasse Gemüsebrühe abgelöscht und 10 Minuten auf kleiner Flamme weiter gedünstet. Dazu kommen je nach Geschmack noch Salz und Pfeffer, wer mag auch gerne frischen Knoblauch oder Muskat. Am Ende kann der wilde Spinat eventuell noch mit Sahne oder Schmand verfeinert werden. Das wilde Gemüse passt hervorragend zu Kartoffeln, Reis, Quinoa oder Hirse.

Brennnessel-Smoothie als wilde Rohkost

2 Handvoll frische Brennnesselblätter / Triebspitzen, gut gewaschen

1 Apfel

1 Banane 1 Zitrone 1 Stück Ingwer (ca. 1 cm)600 ml reines Wasser Nach Belieben mit 1–2 entsteinten Datteln süßen. Alle Zutaten in einem leistungsstarken Mixer ca. 1 Minute zu einem cremigen Smoothie pürieren.

Was sich im Zuge der natürlichen Revolution ändern muss:

› Abschaffung der Biozertifizierung, stattdessen:

› Einführung einer von der Industrie und ihrer Lobby unabhängigen Prüfung aller künstlichen Nahrungsmittel, ob diese langfris­tig überhaupt verträglich sind. Erst nach erfolgreich bestandener Prüfung werden diese Produkte für den Handel zugelassen und mit einem großen und auffällig gestalteten Logo »künstlich & verarbeitet« auf der Vorderseite der Verpackung gekennzeichnet.

› Verbot der Massentierhaltung. Es dürfen nur so viele Tiere auf einem Hof gehalten werden, wie von den eigenen Flächen ernährt werden können. Kein Zukauf von Futter aus Übersee.

› Verbot jeglicher Gentechnik und aller gentechnikähnlichen Verfahren (Stichwort »Genome Editing/CRISPR«).

› Abschaffung aller Subventionen für die konventionelle und für die industrielle Landwirtschaft.

› Konsequente Förderung des kleinbäuerlichen Bioanbaus.

› Konsequente Förderung des gärtnerischen Anbaus von Gemüse, Kräuter und Obst in Permakultur.

› Konsequente Förderung des Aufbaus eines Netzwerkes von Essbaren Wildpflanzenparks (EWILPA) in der unmittelbaren Umgebung aller Siedlungen.

2 › Lebendige Böden

Aufbau statt Raubbau

Man kann Boden gewinnen oder auch verlieren, den verlorenen Boden wieder gutmachen, sich auf sicherem oder auf unsicherem Boden bewegen, auf festem Boden stehen oder auch keinen Fuß auf den Boden bekommen, zu Boden gehen, auf Selbigem liegen, am Boden zerstört sein oder sich fühlen, als ob es einem den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Überhebliche haben die Bodenhaftung verloren, von sich entfremdete Menschen fühlen sich nicht mehr geerdet und wieder andere müssen erst wieder auf den sprichwörtlichen »Boden der Tatsachen« heruntergeholt werden. Einer Idee kann man einen guten Boden bereiten oder darauf hoffen, dass sie auf einen fruchtbaren Boden fällt. Gebäude schießen wie Pilze aus dem Boden oder werden aus diesem gestampft. Risikoreich sind Projekte ohne Netz und doppelten Boden, bei denen sich erst später zeigt, ob sie sich zu einem Fass ohne Boden entwickeln oder ob sie einen goldenen Boden gefunden haben. Unsere Sprache zeigt es deutlich: Der Boden ist eine grundlegende Bezugsgröße unserer menschlichen Existenz. Wo immer wir gehen, stehen oder liegen – unser ganzes Leben spielt sich auf dem Boden ab. Wir leben aber nicht nur auf, sondern indirekt – auf dem Umweg über die Pflanzen – aus dem Boden. Pflanzen produzieren für uns und die Tiere Sauerstoff und energiereiche Verbindungen wie Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße. Dies passiert im Zuge der Photosynthese, in der sie Nährelemente des Bodens sowie Wasser und Kohlendioxid umwandeln. Die Rollen im Ökosystem sind also klar verteilt: Pflanzen sind Produzenten, Tiere und Menschen Konsumenten, und der Boden ist von Natur aus die Heimat der Zersetzer, auch Destruenten genannt. Der Boden ist das Recyclingzentrum, in dem sich der Stoffkreislauf schließt, um von vorne beginnen zu können. Damit nehmen die Böden eine Schlüsselrolle für das gesamte Leben auf der Erde ein!

Unsere heutige Sicht auf die Böden ist dagegen fast ausschließlich von ökonomischen Interessen geprägt – es geht um die Grundsteuer, Preise für Bauland sowie um die Nutzung von Bodenschätzen. Andere Faktoren, wie der Zusammenhang zwischen der Qualität und Lebendigkeit eines Bodens und den darauf produzierten Lebensmitteln sowie die grundlegende und ganzheitliche Rolle der Böden im Ökosystem der Erde, spielen in der öffentlichen Wahrnehmung dagegen kaum keine Rolle. Höchste Zeit also, sich dem Phänomen »Boden« einmal unvoreingenommen – d. h. ohne monetär-ökonomische Interessen – zu nähern, um so ein besseres Verständnis für die stoffliche Basis unseres Lebens gewinnen zu können.

»Boden« – was ist das überhaupt?

Ein Boden ist etwas ganz Besonderes, denn viele Faktoren wirken hier zusammen. Die Definition ist daher nicht einfach. Die offizielle Version lautet:

»Boden ist das mit Wasser, Luft und Lebewesen durchsetzte, unter dem Einfluss der Umweltfaktoren an der Erdoberfläche entstandene und im Ablauf der Zeit sich weiter entwickelnde Umwandlungsprodukt mineralischer und organischer Substanzen mit eigener morphologischer Organisation, das in der Lage ist, höheren Pflanzen als Standort zu dienen und die Lebensgrundlage für Tiere und Menschen bildet. Als Raum-Zeit-Struktur ist der Boden ein vierdimensionales System.«22

Diese Definition muss man vielleicht mehrmals hintereinander lesen. Ich probiere es daher noch einmal mit meinen Worten: Ein Boden bildet sich im Ablauf der Zeit im Überlappungsbereich von Gestein, Luft und Wasser sowie der belebten Natur (Pflanzen, Tiere und Pilze).

Das perfekte Zusammenspiel: Fruchtbarkeit

Erst das fein aufeinander abgestimmte Zusammenspiel aller oben genannten Faktoren lässt den Boden fruchtbar sein. Das einfachste und wohl jedem bekannte Beispiel: Sie haben vergessen, ihre Topfpflanze im Wohnzimmer zu gießen und diese verdorrt. Der Boden besteht jetzt nur noch aus mineralischer und organischer Substanz sowie reichlich Luft – im Blumentopf herrschen Bodenverhältnisse wie in einem sizilianischen Hochsommer. Noch extremer geht es nur in der Wüste zu. Mangels Pflanzenwachstum kann sich hier erst gar keine organische Substanz bilden, man spricht daher auch von sogenannten Rohböden wie etwa Kies, Schutt oder Sand. Diese Böden bestehen nur aus zwei Komponenten: mineralischer Substanz und Luft. Das andere Extrem ist ein Überangebot an Wasser. Auch hier geht es Ihrer Topfpflanze schlecht, da das Wasser sämtliche Luft aus den Hohlräumen des Bodens verdrängt hat. Die Wurzeln können nicht mehr atmen und beginnen nach kurzer Zeit zu faulen. Die Pflanze stirbt von unten her ab. In der Natur gedeihen auf solchen Böden nur noch Spezialisten wie etwa Schilfrohr im Verlandungsbereich um einen See herum. Der morastige Sumpfboden besteht hier aus mineralischer und organischer Substanz, die Hohlräume sind komplett mit Wasser gefüllt. Absolut extrem sind die Verhältnisse in einem Hochmoor, da hier auch noch die mineralische Substanz komplett fehlt. Die Torfmoose wachsen beständig nach oben, deren ältere Teile sterben unter Wasser ab und werden zu Torfböden, die nur aus organischer Substanz und Wasser bestehen. Da basische Mineralien fehlen, können die reichlich vorhandenen Huminsäuren aus dem Torf ihre Wirkung voll entfalten, in der Folge sinkt der pH-Wert in solch einem Hochmoor auf einen Wert von pH 2 bis 3 ab, dies entspricht dem des Essigs an Ihrem Salat23. Der Salatpflanze an sich würde ein solcher Standort aber gar nicht gefallen!

Zusammenfassend kann man also feststellen: Ist auch nur einer der vier Faktoren (mineralische und organische Substanz, Luft und Wasser) im Übermaß oder gar nicht vorhanden, leidet die Fruchtbarkeit des Bodens erheblich. Fruchtbarkeit entsteht ausschließlich da, wo die Boden bildenden Faktoren in einem balancierten, somit ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Fruchtbare Böden sind wahre Wunderwerke und ein bisher noch viel zu wenig beachteter Kosmos an Lebendigkeit und gegenseitigen Wechselbeziehungen direkt unter unseren Füßen.

Bäume und Sträucher wirken als Mineralienpumpe

Die Gehölze überlassen ihren Abfall einfach der Schwerkraft – herbstliches Laub, abgestorbene Zweige, Blütenblätter und Fruchtreste – alles lassen sie auf den unter ihnen liegenden Boden fallen. Im Gegensatz zu uns dürfen sie das, denn es handelt sich ja ausnahmslos um organisches Material, und auf diese Weise bildet sich eine den Boden immer bedeckende und schützende Schicht aus sogenanntem Mulch. Bei der Zersetzung des Mulchs werden Huminsäuren freigesetzt. Diese wandern mit dem Sickerwasser in den Boden hinunter und gelangen dort in tieferen Schichten in Kontakt mit dem unter dem Boden anstehenden Gestein. Dieses setzt sich aus einzelnen Mineralien zusammen, die fest miteinander verbunden sind. Pflanzenwurzeln könnten sich hier nicht einfach so der Mineralien und Spurenelemente bedienen. Doch das relativ saure Sickerwasser löst nun einzelne Mineralbestandteile aus dem Gestein. Aus dieser Lösung heraus werden die Mineralien zum Teil direkt über die Wurzeln aufgenommen, vor allem aber helfen den Pflanzen hierbei in partnerschaftlicher Beziehung zu ihnen stehende Pilze. Die Pflanzen geben den Pilzen im Gegenzug Kohlenhydratverbindungen ab, welche sie im Rahmen ihrer Photosynthese hergestellt haben. Einfacher gesagt: Die beiden tauschen Nährstoffe gegen Zucker und beide sind glücklich. Ein solches kooperatives Verhältnis nennen Biologen »Symbiose«. Auf diese Weise gelangen also Mineralien und Spurenelemente aus der Tiefe in die Gehölze, werden in Holz, Zweigen, Blätter, Nadeln, Blüten und Früchten verbaut und gelangen früher oder später wieder per Schwerkraft auf den Mulch – ein ewiger, bestens funktionierender Kreislauf. Auf diese Weise werden krautige Pflanzen, welche unter den Gehölzen leben, per Nährstoffpumpe gedüngt. Bärlauch, Brennnesseln, Wald-Ziest und viele andere essbare und auch nicht essbare Wildpflanzen gedeihen hier prächtig. Ein Grund, warum naturnahe Laub- und Mischwälder meiner Ansicht nach die besten Sammelgelegenheiten für Wildkräuter und wildes Gemüse bieten. Auch als Gärtner und Landwirt kann man sich hier von der Natur etwas abschauen: Boden ist in der Natur nie nackt, sondern immer mit Bewuchs und Mulch bedeckt.

Bodenluft und Bodenwasser: Es lebe die goldene Mitte

Ein erheblicher Anteil des Bodens besteht aus – man glaubt es zunächst kaum – Luft! Sowohl die Bodenluft als auch das Bodenwasser teilen sich das gleiche Zuhause: die Hohlräume innerhalb des Bodens. Wissenschaftlich spricht man hier vom sogenannten Porenvolumen eines Bodens. Je nach Bodentyp ist dieses schon von Natur aus sehr unterschiedlich. Die Poren eines schweren, tonigen Lehmbodens sind zwar zahlreich, aber winzig klein, ergeben in der Summe also wenig Volumen, und daher enthält solch ein Boden auch nur wenig Luft. Ein leichter Sandboden ist dagegen sehr luftig, er zeichnet sich durch sehr grobe Poren zwischen den einzelnen Sandkörnern aus. Die Anzahl und Größe der Poren eines Bodens sind für dessen Fruchtbarkeit von großer Bedeutung: Die kleinen Hohlräume im Boden erleichtern Pflanzen das Einwurzeln und Durchwurzeln.

Pflanzenwurzeln verhalten sich pragmatisch – sie gehen gerne den Weg des geringsten Widerstandes und orientieren sich am Gefüge der Poren, kriechen regelrecht in diese hinein. Besonders spannend wird es sowohl für die Pflanzen als auch für die Gärtner beim Thema Bodenwasser. Sind die Poren wie beim Sand sehr groß, kann der Boden zwar schnell viel Regen aufnehmen, doch dieses rauscht regelrecht durch den Boden hindurch; es versickert sehr schnell in Richtung Grundwasser und ist für die Pflanzen nicht mehr verfügbar. Hier kann kaum Wasser gegen die Schwerkraft gespeichert werden, und in trockeneren Perioden droht schnell Trockenheit. Das andere Extrem sind schwere Tonböden. Die zahlreichen, aber winzig kleinen Poren können den Regen nicht so schnell aufnehmen, vieles fließt oberirdisch ab, und besonders an Hanglagen droht dann Erosion. Zudem wird in den winzigen Poren ein erheblicher Teil des Bodenwassers so stark gebunden, dass es den Pflanzen nicht mehr zur Verfügung steht. Die Saugkraft ihrer Wurzeln ist zu schwach, um das Wasser aus den Poren herauszuziehen. Und noch schlimmer: Kommen auf solchen Böden schwere Traktoren oder Holzerntemaschinen zum Einsatz, so droht eine zusätzliche Verdichtung der Poren. Hier bildet sich in Folge Staunässe, das Sauerstoff liebende Bodenleben stirbt dann endgültig ab und Fäulnisbakterien übernehmen die Regie. Die Fruchtbarkeit ist dahin.

In Sachen Porengröße liegt für Pflanzen daher das Optimum in der goldenen Mitte: Poren mittlerer Größe bieten die beste Speicherkapazität für Wasser und Nährstoffe, die von Pflanzen auch wieder aufgenommen werden können. Auch der Gehalt an Humus ist hierbei sehr entscheidend: Humusteilchen fügen sich zu kleinen Krümeln zusammen, welche dem Boden eine stabile Struktur geben. Diese Gebilde – man spricht von einem stabilen Bodengefüge – können ebenfalls sehr gut für Pflanzen verfügbares Wasser sowie Nährstoffe speichern. Die Düngung mit Kompost und ein aktiver Aufbau von Humus durch die konsequente Bedeckung der Böden mit Mulchmaterial (Laub und andere Gartenabfälle) wirken sich äußerst positiv auf die Fruchtbarkeit aus. Zudem kann man auf diese Weise zu schwere Tonböden mit der Zeit etwas leichter und durchlässiger werden lassen, zu luftigen Sandböden hingegen zu etwas mehr Gehalt verhelfen. Kluge und verantwortungsvolle Gärtner, Landwirte und Förster arbeiten auf diese Weise mit den Kräften der Natur in Richtung Ausgleich, Aufbau und Verbesserung des ihnen anvertrauten Bodens.

Boden – ist da der Wurm drin?

Graben wir im Garten den Boden auf, so begegnet uns der eine oder andere Regenwurm, denn sie sind die auffälligsten Bewohner dieses Lebensraums. Doch im Boden steckt noch viel mehr Leben, unglaublich viel mehr! Unter dem Mikroskop betrachtet wird deutlich: In einer Handvoll Boden leben mehr Pilze sowie Algen, Einzeller, Springschwänze, Bakterien, Larven, Flagellaten, Asseln und andere Tierchen, als es Menschen auf der Erde gibt. Das klingt unglaublich, ist aber wissenschaftlich belegt. Wohlgemerkt in einereinzigenHandvoll Boden. Wissenschaftler haben berechnet, dass diese für uns unscheinbaren Klein- und Kleinstlebewesen des Bodens unter einer Kuhweide zusammengenommen weit mehr auf die Waage bringen als die Kühe, die oberirdisch darauf herumlaufen24. Da sich die Bodenbewohner für uns sehr unauffällig verhalten und wir diese Lebewesen ohne Lupe oder Mikroskop nicht sehen können, ist uns gar nicht bewusst, was da unten los ist. In den Böden steckt mindestens so viel Leben wie auf den Böden!

Regenwürmer als die größten und damit gut sichtbaren Vertreter dieses Universums der Bodenbewohner machen da zwar nur einen kleinen Teil aus, doch sie sind ein zuverlässiger Indikator für die Lebendigkeit und damit für den Gesundheitszustand eines Bodens. Die Gärtner unter Ihnen freuen sich über möglichst viele der Humusproduzenten im locker aufgeschichteten Kompost und in einer an organischer Substanz reichen Gartenerde. Regenwürmer durchziehen die Böden mit zahllosen Gängen, indem sie sich richtiggehend durch diese hindurchfressen. Dabei ziehen sie abgestorbenes Pflanzenmaterial von der Oberfläche hinunter in tiefere Schichten. Dort vermodert dieses und wird später, zusammen mit dem »Tunnelaushub«, verspeist. Das WC der Würmer befindet sich hingegen an der Erdoberfläche. Hier setzen sie die typisch geformten, kleinen Kothäufchen ab. Regenwürmer leisten folglich einen Stofftransport von oben nach unten (organisches Material) sowie von unten nach oben (mineralisches Material).

In welchem Ausmaß dies geschieht, verdeutlichen folgende Zahlen: In einem Quadratmeter intakten Bodens leben bis zu 500 Regenwürmer, und auf der gleichen Fläche ist die obere Bodenschicht von über 400 senkrechten Regenwurmröhren regelrecht perforiert. Durch diese schaffen die kleinen Tierchen jährlich eine Bodenschicht von 2 bis 5 mm von unten nach oben – sie sind bis in eine Tiefe von einem Meter aktiv. Rein rechnerisch werden die oberen 30 cm des Bodens – tiefer graben oder pflügen wir Menschen auch nicht – im Laufe von 60 bis 150 Jahren ein Mal komplett durchmischt. Bodenkundler nennen diesen Vorgang in ihrer Fachsprache »Bioturbation«. Bei den Permakulturgärtnern gilt übrigens der Leitsatz »Der Regenwurm ist unser Pflug«.

Doch das segensreiche Wirken der Würmer beschränkt sich nicht nur auf das Durchmischen des Bodens. Da deren Tunnelröhren mit Wurmkot ausgekleidet und verfestigt sind, ist das weitverzweigte Röhrensystem erstaunlich stabil. Es fördert die tiefe Belüftung des Bodens ebenso wie das leichtere Einsickern von Regenwasser. Pflanzenwurzeln erkennen diese Chance schnell und umspinnen die Wurmgänge mit ihrem dichten Geflecht, hier finden sie sowohl Sauerstoff als auch Nährstoffe (Wurmkot) und Wasser. Auf die in der Überschrift gestellte Frage: »Boden – ist da der Wurm drin?« kann man folglich nur antworten: »Na, hoffentlich!«

Der Faktor Zeit

Böden kommen überall auf der Erde vor. Im Erdmaßstab gesehen sind sie allerdings nur eine hauchdünne Schicht an ihrer Oberfläche. Bei uns in Mitteleuropa ist diese meist nur etwa einen Meter tief entwickelt – und doch trägt diese Bodenschicht die ganze Fruchtbarkeit in sich, welche alles Leben ernährt, also sämtliche Pflanzen, Pilze, Tiere und auch unsere Art des Homo sapiens. Die Entstehung dieser dünnen Lebensgrundlage dauerte rund 12.000 Jahre, nachdem Europa nach dem Ende der letzten Eiszeit wieder auftaute. Vereinfacht entsprechen also 8 cm Bodentiefe 1.000 Jahren Bodenentwicklung. Hier wird deutlich: Die Natur »denkt« in ganz anderen Zeitdimensionen, die unser menschliches Zeitempfinden völlig überfordern. 8 cm Boden entsprechen einem ganzen Jahrtausend! Und wie gehen wir heute mit diesem Erbe um? Sind wir uns des wirklichen Wertes dieses Erbes überhaupt bewusst?

Nachdem wir oben alle natürlichen Faktoren der Bodenentwicklung betrachtet haben, fehlt also noch der kritische Blick auf unser eigenes Verhalten. Denn längst sind auch wir Menschen zum Boden bildenden Faktor geworden, spätestens seit wir Landwirtschaft betreiben und ganz sicher seit wir Straßen bauen und Gift versprühen.

Der Faktor Mensch

Der Einfluss einer Jäger- und Sammlerkultur auf den Boden ist, wie man sich leicht vorstellen kann, gering. Nur an der temporären Feuerstelle hinterließen die umherziehenden Nomaden punktuell verbrannte Erde. Mit der Einführung der Landwirtschaft in Mitteleuropa vor nunmehr 7.800 Jahren änderte sich dies jedoch schlagartig. Nun wurde der Urwald mittels Brandrodung zurückgedrängt, um Platz für die ersten Felder zu schaffen. Kaum waren die ersten Flächen ihrer dichten, schützendenVegetationsdecke beraubt, begann das Problem der Bodenerosion. Anhand von Bohrungen in den Ablagerungen der mitteleuropäischen Flussauen lässt sich dies genau nachvollziehen. Perioden verstärkter Landnahme und Rodung gingen immer einher mit einer deutlich gesteigerten Ablagerung von Lehmschichten in den Auen der Flüsse. Die Problemstellung ist damals wie heute die gleiche: Nach der Bestellung der Ackerflächen im Frühjahr sind die aufgelockerten Böden zunächst für einige Wochen oder sogar Monate nicht durch eine geschlossene Vegetationsdecke geschützt. Vor allem in Hanglagen und bei starkem Regen kommt es dann zum oberirdischen Abfluss von braun gefärbtem Hochwasser – der Ackerboden wird zu Tal geschwemmt. In den weiträumigen Überschwemmungsgebieten der Flüsse, den Auen, welche sich eher in deren Mittel- oder Unterlauf befinden, steht das braune Hochwasser oft tagelang und hinterlässt nach dessen Abfluss eine Lehmschicht. Wir kennen diese Bilder aus eigener Anschauung oder von Berichten über heutige Hochwasserkatastrophen. Anhand des in der jeweiligen Lehmschicht eingelagerten organischen Materials ist eine zeitliche Datierung mit der sogenannten C 14-Methode25 möglich.

Die Perioden besonders intensiver Waldvernichtung und Erweiterung der Siedlungsgebiete, wie im Hochmittelalter und in der Barockzeit, korreliert exakt mit der Ablagerung der viele Meter mächtigen Lehmschichten in den Auen. Das Problem der Bodenerosion ist folglich ein altes und nicht nur für unsere heutige Zeit kennzeichnend. Andererseits sind für die gesamte Epoche der bäuerlich geprägten Landwirtschaft, welche bis in das 20. Jahrhundert hinein andauerte, aus ökologischer Sicht auch sehr positive Kulturtechniken typisch: Diese kennzeichnen sich durch eine weitgehend geschlossene Kreislaufwirtschaft auf dem Hof der Großfamilie, eine im Vergleich zu heute besser an die natürlichen Gegebenheiten vor Ort angepasste Bewirtschaftung des Bodens mit entsprechenden Fruchtfolgen, lokalen Getreide- und Obstsorten sowie Nutztierrassen. Die daraus resultierende kleinteilige, vielgestaltige und damit auch artenreiche Kulturlandschaft spiegelte die bäuerliche Kultur einer Gegend, gab ihr einen unverwechselbaren Charakter und prägte das Heimatgefühl der Menschen. War während der Epoche der Jäger und Sammler die enge Verbundenheit zur Naturlandschaft der Nährboden und Bezugspunkt ihrer Kultur, so wurde diese in der darauffolgenden Epoche der bäuerlichen Kultur durch die Kulturlandschaft abgelöst.

Boden als industrieller Produktionsfaktor

Das enge Band zwischen Mensch und heimatlichem Boden riss erst mit der zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft. Die immer weiter fortschreitende Einbindung ehemals freier Bauern in ein heute global organisiertes Korsett aus ökonomischen Zwängen und behördlichen Vorschriften etablierte ein künstliches System, welches sich weder an den natürlichen Gegebenheiten in der jeweiligen Kulturlandschaft noch an den bewährten bäuerlichen Kulturtechniken und Traditionen orientiert. Stattdessen wird vom modernen Agrar­unternehmer vor Ort die konsequente Umsetzung der Vorgaben des weltweit agierenden Finanzsystems eingefordert. Er hat Rendite aus dem Boden herauszuwirtschaften, um Zins und Tilgung leisten zu können. Die Konsequenzen dieser Entwicklung für den Zustand der Böden sind verheerend.

Die heute konventionell bewirtschafteten Ackerböden befinden sich in einem unnatürlichen, labilen Zustand. Um moderne Agrartechnik im Sinne des Systems rentabel zum Einsatz bringen zu können, benötigt man möglichst große, leer geräumte Flächen. Auf diesen wird dann alles Lebendige wie Kräuter und Insekten als potentielle Konkurrenz und Gefährdung der auf Hochertrag gezüchteten Nutzpflanzen gesehen und daher mit Gift getötet. Die vordergründig wichtigsten Pflanzennährstoffe werden »just in time« mittels Kunstdünger zugeführt, die Nutzpflanzen damit aufgeputscht und dann komplett abgeerntet.