Aschenputtel mit Businessplan - Monika Starzengruber - E-Book

Aschenputtel mit Businessplan E-Book

Monika Starzengruber

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Abendkleid, ein Kaninchen und ein Kurs in Millionärsjagd – was kann da schon schiefgehen? Lena hat Schulden bis unters Dach, null Erspartes, aber einen ziemlich ambitionierten Plan: Einen reichen Mann finden. Nach einem skurrilen Seminar, einer spontanen Verwandlung von Kellnerin zur Society-Lady und einem viralen Video wird sie über Nacht zum Internetphänomen – ungewollt. Zwischen schmierigen Angeboten, Social-Media-Ruhm, Möchtegern-Machos und einem Mann, der zu perfekt wirkt, um echt zu sein, fragt sich Lena bald: Sucht sie wirklich einen Millionär – oder hat sich ihr Herz längst entschieden? Turbulent, frech und mit ganz viel Herz – eine chaotische Liebesgeschichte mitten im Wiener Großstadtwahnsinn. ________________________________________

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 481

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Monika Starzengruber
Aschenputtel
mit
Businessplan
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25

Impressum neobooks

Monika Starzengruber

Aschenputtel mit Businessplan

Monika Starzengruber

Aschenputtel

mit

Businessplan

Humorvoller Roman

Texte: © 2025 Copyright by Monika Starzengruber

Monika Starzengruber, 4625 Pennewang

[email protected]

www.monika-starzengruber.at

Umschlaggestaltung:

© 2025 Copyright by Carmen Schneider - www.covermanufaktur.art

Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Kapitel 1

Die Wohnung war schief, laut und so charmant heruntergekommen, dass man fast glauben konnte, sie sei absichtlich so gestaltet worden – als Kunstinstallation über das Leben am Existenzminimum. Altbau in der Wiener Innenstadt klang auf dem Papier edel, in der Realität bedeutete es: Eine Toilette, die gelegentlich gluckerte wie ein Walross, und Heizkörper, die wahlweise dampften oder beleidigt schmollten.

Lena und Nele – zwei Kellnerinnen im Wiener Stadtcafé mit Überstundenkonto, WG-Vertrag und sehr unterschiedlichem Weltbild saßen am Frühstückstisch. Lena, kurzhaarig, blond und normalerweise mit einem Blick auf die Welt, der selbst auf einer halb verschimmelten Toastscheibe noch Hoffnung auf ein Happy End erkannte. Und Nele – trocken wie ein Weißwein ohne Restzucker, mit einem Sinn für Ironie, der schon so manchen Möchtegern-Casanova aus dem Café vertrieben hatte.

Der Morgen begann wie oft: mit zu wenig Kaffee, zu viel Realität und einem dieser Gespräche, bei denen man hinterher entweder lachte oder eine neue Therapie begann.

Lena war auffallend schlecht gelaunt – was in dieser WG immer ein sicheres Zeichen für eine mittelgroße Katastrophe war.

Sie starrte auf das letzte Stück Toast, als wäre es ein Symbol ihrer Misere – trocken und ohne jeglichen Belag. Mit einem dramatischen Laut legte sie die Stirn auf den Küchentisch, der genauso wacklig war, wie ihre zukünftige Lebensplanung.

Nele, ihre beste Freundin und Arbeitskollegin, mit der sie sich die 2-er Schicht im Café teilte, beobachtete sie und kaute bedächtig an einem Apfel.

„Ne-leee, ich kann nicht mehr, ich halt das nicht mehr aus.“

Nele kaute langsam zu Ende und sah Lena an, als hätte die gerade verkündet, sie wolle Astronautin werden – mit einem Staubsauger als Rakete.

Sie kannte Lenas deprimierten Schübe, aber so ein Tief war auch ihr neu.

„Was ist es diesmal?“, fragte sie trocken. „Burnout vom reich-sein-wollen oder hat dich wieder mal die Erkenntnis getroffen, dass dein Kontostand mehr Nullen aufweist, als dein Liebesleben, jetzt am Ende des Monats?“

Lena hob den Kopf vom Tisch und warf ihr einen empörten Blick zu. „Das ist nicht lustig.“ Kurze Pause. „Ich hab gestern im DM eine Zahnpasta zurückgelegt. WEIL ICH ERST GUCKEN MUSSTE, OB ICH SIE MIR LEISTEN KANN! Dabei hab ich überlegt, ob es wirklich nötig ist, sich jeden Tag die Zähne zu putzen und wieviel man sparen könnte, wenn man es nicht mehr macht oder wenigstens nicht mehr täglich! Weißt du, wie sich das anfühlt? Ich habe die Tube angeschaut, wie eine Rolex im Schaufenster.“

Nele legte seelenruhig den Apfelputz auf den Tisch, verschränkte die Arme und blinzelte Lena mit gespieltem Ernst an.

„Nicht wahr! Du hast auf Zahnpasta verzichtet? Da bricht ja die Werbeindustrie weltweit in Panik aus. Geht´s noch?“ Sie beugte sich leicht vor und sagte nun dramatisch-ironisch: „Lena, wenn du nun auch noch Klopapier rationierst, melde ich dich offiziell beim ORF an, für: ‚Armes Österreich mit Stil‘.“

Dann lehnte sie sich zurück und fügte mit einem Grinsen hinzu: „Du tust ja, als wärst du schon unter der Armutsgrenze des Mindeststandards. Bald kommt wahrscheinlich jemand vom Sozialamt vorbei und fragt, ob du wenigstens noch Zähne hast, die man putzen könnte und schenkt dir falsche Zähne.“

Lena seufzte. „Du nimmst mich wieder mal nicht ernst.“

Nele lachte laut. „Wie auch. Es ist nicht das erste Mal, dass du wegen nicht vorhandenem Geld in Selbstmitleid versinkst. Dabei ist es ganz normal, wenn man am Monatsende etwas knapp bei Kasse ist.“

Am Monatsende? Ha! Die Untertreibung des Jahrhunderts. Lena dachte an den ersten des Monats – dieses magische Datum, wenn sich für exakt 3,2 Sekunden der Kontostand in den positiven Bereich schob, bevor er sich kopfüber in den Abgrund stürzte. Lohn nannte man das. Lohn für ihr gastronomisches Spießrutenlaufen zwischen schlecht gelaunten Gästen, chronischem Rückenleiden und Trinkgeldern, die eher symbolischen Wert als finanzielle Entlastung boten. Doch - bevor man noch „piep“ sagen konnte, war das Geld auch schon weitergewandert - auf Nimmerwiedersehen, in Richtung Schuldenberg. Warum? Ein ehemaliger Freund, dem sie einst blauäugig eine Bürgschaft überließ. Wahrscheinlich hatte er nie die Absicht gehabt, jemals etwas zurückzuzahlen. Seitdem spielte sie die Hauptrolle in ihrem ganz persönlichen Finanzhorror: Die Geldheranschaffungsmaschine - Teil unendlich. Die monatliche Rate war kein Loch im Budget, mehr ein Krater. Also suchte sie das Gespräch mit einem Bankangestellten. Und siehe da – der war sogar nett! Fast schon verdächtig nett. Nur leider erklärte er ihr mit seinem Zahnpastalächeln, dass eine niedrigere Rate zwar machbar sei, aber dann würde sie praktisch nur noch die Zinsen bezahlen. Für immer. Auf ewig. Herzlichen Glückwunsch. Super Aussichten für ihre Finanzen und ihren Schuldenberg. Und wenn man die Rate so verringern würde, dass sie sich´s leisten könne, sie für immer und ewig zurückzuzahlen?, wagte Lena zu fragen. Worauf sie hörte: „Vorübergehend würden wir Ihnen da entgegenkommen, aber auf Dauer nicht empfehlenswert. Für sie nicht und für die Bank auch nicht.“ Und so wurde sie zur wandelnden Rückzahlungsmaschine - Klotz am Bein inklusive, Rückgabe ausgeschlossen. Wohl oder übel musste sie sich damit arrangieren mit diesem Klotz am Bein ihr zukünftiges Leben zu fristen. Manchmal gelang es ihr sogar. Also, mit ausreichend innerer Verdrängung. Aber an anderen Tagen – etwa, wenn sie im DM stand und sich beim Anblick eines Deos fragte, ob Körperhygiene wirklich notwendig sei – da wünschte sie sich, sie hätte damals nicht nur für den „Freund“, sondern auch gleich für sein Karma gebürgt, damit es irgendwann hart genug zurückschlug.

Lena fuhr sich durch ihr dichtes, blondes Haar.

„Ich kann das nicht mehr, Nele. Ehrlich. Ich knechte jeden Tag meine Schicht ab für Trinkgeld und Mindestlohn, und muss mich Monat für Monat entscheiden, ob ich Strom zahle oder mir endlich mal ne neue Jacke kaufe, die nicht ausfranst. Ich bin 24. Was ist das für ein Leben? Ich will reich sein, Nele. Nicht so ein bisschen, wie ‚ich kann mir den teuren Feta leisten‘-reich. Ich meine RICHTIG reich. Champagner-statt-Wasser-reich. Ohne-Schulden-angst-reich. Ich will mein Leben zurück. Oder meinetwegen auch ein besseres, das mir gar nicht gehört.“

Neles Blick wurde glasig. Sie verstand Lena nur zu gut – und genau das machte es noch schlimmer. Denn helfen konnte sie ihr nicht. Zumindest nicht wirklich. Höchstens mit diesen farblosen Trostfloskeln, die sich anhörten wie ein winziger Teebeutel in einem Eimer voller Verzweiflung. Worte, die eher dafür sorgten, dass auch der letzte Funken Hoffnung leise den Raum verließ.

Trotzdem fragte sie – obwohl sie die Antwort schon kannte und obwohl sie wusste, dass es nichts ändern würde: „Was willst du denn machen, Lena? Wir sind halt, was wir sind. Willkommen in der Realität, da gibt’s keinen Notausgang.“

„Es gibt Leute, die haben weniger Grips als wir, aber die wissen, wie man Geld macht. Irgendwas läuft da falsch. Ach, eigentlich will ich gar nicht reich sein, ich will nur nicht mehr jeden Euro zehnmal umdrehen müssen.“

„Okay, sagen wir mal, ich nehme dich ernst. Nur für eine Sekunde – hypothetisch. Was genau ist dein Plan? Aktien? Online-Casino? Männer mit Yachten daten oder mit Drogen handeln?“

Lena richtete sich ruckartig auf, als hätte sie eine Erleuchtung vereinnahmt.

„Vielleicht was davon. Vielleicht was ganz anderes. Keine Ahnung. Aber so wie es jetzt ist geht es nicht mehr. Ich will mein Leben nicht mehr mit Depressionen verschwenden, dafür ist es mir zu kostbar.“

Stille.

Lena personifizierte ein Drama in drei Akten – Konto leer, Schultern hängend, Hoffnung abgereist. Nele hielt das keine zwei Sekunden aus. Trotz des traurigen Anblicks, den Lena für sie darbot, prustete sie los vor Lachen. „Du willst reich werden, hast aber keinen Plan? Das ist ja so wie: Ich will Influencerin werden – aber ohne Internet und mit Sozialphobie.“

„Lach ruhig“, murmelte Lena beleidigt und schob sich das letzte traurige Toaststück und eine Scheibe Salatgurke in den Mund. „Aber ich meins ernst. Ich kann nicht mehr jeden Euro beäugen, wie ein Banker Falschgeld. Ich will mehr als ... das hier.“ Sie zeigte in den Raum. Der antwortete mit einem verdächtigen Gluckern aus dem Wasserhahn.

„Also, Lena Schneider...“, Nele zog die Augenbraue hoch, „du willst reich werden, weißt aber nicht wie. Klingt nach einem Masterplan.“

„Es ist ein Gefühl, okay? Ein innerer Aufbruch. So fangen Revolutionen an.“

„Ah, du meinst wie bei den Französinnen damals. Nur dass du statt der Bastille dein Konto sprengen willst.“

„Genau.“

Nele stütze das Kinn auf die Hand. „Na gut. Vielleicht fängst du klein an. So wie mit den Vorsätzen im Januar: weniger pleite, mehr Pech beim Lotto.“

„Nele, sei endlich mal ernst! Ich will nicht mit 30 noch in dieser Wohnung leben, in der die Dusche kleiner ist als mein Kleiderschrank. Ich will meine Schuhe nicht mehr mit Alleskleber reparieren müssen. Ich will …, Lena warf dramatisch die Hände hoch, ...ein Leben, in dem man Toast nicht mehr als vollwertige Mahlzeit bezeichnet! Ich will ... Optionen.“

„Ich verstehe. Du willst raus aus der Armut, aber so, dass Netflix gleich eine Miniserie draus macht.“

„Warum nicht?“ Lena blickte trotzig. „Ich hab zwei Beine, funktionierende Organe und keine Weizenallergie. Sollte doch wohl reichen für eine Erfolgsstory, oder?“

Kaum war es raus, verdrehte sie die Augen.

Hatte sie das gerade ernsthaft gesagt?

Ganz klar: Frust spricht. Und Frust hat bekanntlich keine Filter.

Nele grinste. „Kommt drauf an. Vielleicht fehlt nur noch ein Kamerateam – und du bist der Star deiner eigenen Realityshow mit Tiefgang – der Erfolgs-Doku.“

Sie lachten, aber nur kurz.

„Erfolg wäre schön. Aber vor allem will ich Geld. Nicht im Sinne von, ich bin jetzt Millionärin und bade in Champagner, sondern eher: Ich will Schuhe. Echte. Neue. Ohne Superkleber. Ist das zu viel verlangt?“

Wieder Stille. Dann ein Kichern von Nele. Und schließlich auch von Lena.

Plötzlich fühlte es sich gar nicht mehr so schlimm an, trockenen Toast mit Gurken zu frühstücken. Ein guter Start in den Tag.

Vielleicht der Anfang von was Größerem oder aber auch ein Anfang von völliger Selbstüberschätzung. Aber hey – schlimmer als Toast ohne Belag mit Gurke konnte es kaum werden, oder?

Lena betrachtete ihr Leben an diesem Morgen, als stünde es ihr in Form eines krummen Stuhles gegenüber, der so knarrte, als würde er bei jeder Bewegung um Gnade flehen.

Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee – einer Mischung aus Bitterkeit und Koffein – und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. Die Wände zierten Raufasertapeten, die sich in der oberen rechten Ecke schon entschieden hatten, ihr Leben eigenständig zu beenden. Ein Tapetenlappen hing herunter wie ein trauriger Vorhang von einer schäbigen Theaterbühne. Ihr Zeigefinger streckte sich in Richtung Wand.

„Siehst du? Selbst die Tapete will hier raus.“

Sie stand auf. Ihr Stuhl quiekste, wie eine traurige Ziege. „Wäre es nicht schön, eine Küche zu haben, bei der wir uns beim Umrühren des Nudelwassers nicht den Ellbogen brechen? Der Kühlschrank beim Öffnen der Tür nicht stöhnt, wie ein alter Mann mit Rückenschaden? Die Dusche nicht nur eine Einstellung hätte zwischen Gefriertod und Lavaregen? Und das WLAN nicht jedes Mal zusammenbricht, wenn jemand YouTube öffnet?“

Nele nickte. „Vielleicht hätten wir die Wohnung nicht nach ‚warm und günstig‘ auswählen sollen, sondern wie lange man ohne Schutzmaske drin leben kann.“

Lena machte nur: „Pfff.“

Für diese Miethöhe warm eigentlich ein Geschenk, denn hier drin kriegten sie Depressionen gratis dazu.

„Sieh es doch so – wir leben in einer Wohnung mit dem Charme eines Altbaus“, meinte Nele.

„Das ist kein Altbau, das ist eine Immobilie mit Dinosaurierrechten.“

Oft schon hatte Lena es bereut, in diese möblierte Wohnung eingezogen zu sein. Sehr oft. Aber damals drängte die Zeit – außerdem war der Geldbeutel knapp.

Als Nele und sie auf Wohnungssuche waren, ging es nicht um Wohnträume, sondern ums nackte Überleben mit Dusche.

Eine Besichtigung? Schon, aber eine mit schnellem Blick, einem gezwungenen Lächeln, einem „wird schon passen“. Richtig hingesehen hatten sie erst, als die Umzugskartons schon drin standen. Zu spät. Viel zu spät für Rückzieher und große Einwände. Risse in der Wand und Türen, die klangen wie Horrorfilm-Requisiten. Vielleicht das Geschäftsmodell der Zukunft. Billig möbliert hausen – neues Wohnglück. Man durfte nur nicht zu genau hinsehen.

„Wenn ich hier alt werde, Nele, dann bitte mit einem Heliumballon um den Hals, damit man mich wenigstens findet, wenn der Putz über mir einbricht.“

Die starrte auf die gelbliche Wand über der Spüle, die sich langsam, von Tag zu Tag mehr und mehr in einen kontinentförmigen Wasserfleck verwandelte.

„Mit dem desolaten Zustand der Wohnung hast du ausnahmsweise recht.“

Sie deutete auf Lenas wackeligen Stuhl. „Deiner ist kurz vor dem zusammenbrechen und meiner klingt, als würde er es sich wünschen. Trotzdem – ausziehen ist keine Option.“

Das sah Lena genauso. Sie setzte sich wieder, wobei ihr Untersatz Töne von sich gab, als hätte er Arthritis. Sie hörte es nicht, denn ihr war eingefallen: „Was, wenn wir nicht ausziehen, sondern... aufsteigen?“ Ihre Augen funkelten.

Nele blinzelte und zog die Stirn in Falten. „Aufsteigen? Meinst du spirituell, finanziell oder mit Heißluftballon?“

Lena grinste.

„Wir machen irgendwas Cleveres. Ein Geschäft. Irgendwas Eigenes. Wir sind jung und dynamisch, haben Ideen und einen halbdefekten Drucker... das ist doch fast ein Startup, oder?“

Nele war wieder in ihrem Belustigungsmodus. „Aha. Und was genau soll das sein? Ein Wort-Lieferservice für Autoren über Sarkasmus, die selbst keine Einfälle dazu haben? Ein Podcast über Küchenfliesen im Burnout?“

Lena zuckte die Schultern.

„Keine Ahnung. Aber wir fangen an. Jetzt und heute.“

Nele war da nicht so optimistisch und schon gar nicht blauäugig.

„Lena, wir sind berufstätig, für ein eigenes Geschäft müssten wir unsere Schlafenszeit in die Wüste schicken, unserem Nervenkostüm und Geldbeutel viel Glück wünschen und Bücher über Steuerrecht lesen.“

Sie nahm den letzten Schluck von ihrem Kaffee und schaute ihre Freundin über den Rand der Tasse hinweg an. Nachdem sie den Kaffee geschluckt hatte, war sie von ihrem Predigtmodus etwas abgerückt. „Aber wir könnten reichen Männern schöne Augen machen. Wäre lukrativer. Und ehrlich gesagt weniger zeitaufwendig.“

Lena sprang auf und marschierte aufgeregt im Raum hin und her.

„Natürlich! Das ist es! Wir suchen uns einen reichen Mann!“ Sie blieb stehen. „Nein, nicht suchen. Wir lassen uns finden. Ich meine, wie schwer kann das sein? Wir lernen ein paar bedeutungsvolle Blicke und arbeiten an unserem Champagner-Lächeln und – zack ist es da, das Penthouse mit Parkettboden und funktionierendem Wasserhahn.“

Nele lachte herzhaft auf. Nachdem sie sich beruhigt hatte, sagte sie: „Lena, das war kein Vorschlag, das war ein Witz!“

„Aber einer der sich realisieren ließe.“

„Du hasst doch Champagner, weil du davon Sodbrennen bekommst.“

„Ja, aber ich hasse auch unsere Dusche.“

Nele meinte es wirklich nicht ernst, als sie vorschlug: „Okay, Lena. Gründen wir einen exklusiven Datingclub für verzweifelte WG-Mädchen mit Unterfinanzierung.“ Sie lehnte sich zurück und spielte mit dem Kaffeelöffel.

„Oder wir kombinieren beides“, warf Lena ein. „Start-Up trifft Sugar Daddy. Ein Geschäftsmodell mit Herz, Humor und Kontoauszügen, die uns nicht weh tun.“

Nele schüttelte amüsiert den Kopf und Lena grinste.

Sie diskutierten schon – wie lange?, und waren noch kein bisschen weitergekommen, aber es war immerhin ein Anfang.

Nele wollte was sagen, da hob Lena mahnend den Finger. „Bevor du mit deinem „Träume-schön-Mädchen-Blick“ kommst mach dir bewusst, was du vorhin sagtest: Einen Millionär zu heiraten ist weniger stressig als ein Business mit null Geldmittel aufzubauen und steuerlich bestimmt günstiger.“

Nele wurde plötzlich unsicher. „Du willst jetzt aber nicht wirklich reich heiraten und machst nur Spaß, oder?“

„Was bleibt mir anderes übrig. Wenn ich nicht bald ein Konto finde, das mehr als 27 Euro hergibt, fange ich noch an, meine Organe auf EBay zu versteigern.“

„Und was ist mit Liebe?“

Daraufhin setzte Lena einen satanischen Blick auf und gurrte: „Liebe ist, wenn er mir morgens seinen schwindelerregend hohen Kontostand zeigt und sagt: Für dich, Baby. Nur Bares ist Wahres.“

Nele bekam einen Lachkrampf. Dazwischen Luft holend prustete sie hervor: „Du bist so romantisch wie ein Steuerbescheid mit roten Zahlen.“

Lena kam nun vollends in Fahrt. „Okay. Entweder das oder... wir gehen online und suchen nach Sugar Daddies mit Herz.“

Sie schauten sich an. Lachten. Laut. Verzweifelt. Und irgendwie aufgeregt. Denn, egal wie albern die Idee war – es war ein Plan. Oder zumindest sowas Ähnliches wie Hoffnung.

Lena ließ sich auf das danebenstehende Sofa fallen, das wie ein nasser Schwamm nachgab und streckte die Arme in die Höhe. „Eines Tages werde ich reich sein, Nele.“

„Klar, so wie ich morgen Balletttänzerin werde.“

„Immerhin habe ich eine Vision. Das reicht für den Anfang.“

Dann versanken sie in wohligem Schweigen.

Für einen Moment war das Elend wohnlich. Fast gemütlich. Irgendwie so, als wäre die Hoffnung wieder zurückgekommen.

Lena sah auf die Uhr und erschrak. Sie sprang auf und rief gehetzt: „Ich muss zur Schicht!“ Diese Woche war sie mit Frühschicht dran.

Im Café.

Von neun bis siebzehn Uhr hatte Lena Menschen mit schicken Blazern, Menschen mit Kinderwagen und Menschen mit Koffeinmangel und komplizierten Bestellungen zu bedienen.

Vormittagsbetrieb.

Und sie mittendrin – mit einem Tablett in der Hand und einem Kopf voller Szenen, in denen sie sich mit einem Millionär auf einer Dachterrasse küsste, während ein Butler ihr Croissants reichte und sie nie wieder Worte wie „macht neun Euro fünfzig, bitte“ sagen musste.

Ihr Wunschtraum.

Die Realität aber war: Latte macchiato auf dem Notizbuch eines Steuerberaters, drei vertauschte Bestellungen, ein Croissant auf dem Boden und das Sahnehäubchen: ein Metalllöffel in der Kaffeetasse einer Frau, die allergisch auf Metall reagierte.

Lena war nicht bei der Sache. Gar nicht bei der Sache.

Sie lächelte, sie nickte, aber innerlich notierte sie: Millionär-Suchstrategie entwickeln. Anforderungen: Hält Monogamie nicht für ein Ernährungskonzept. Kennt keine ‚Ex mit Sonderstatus‘. Benutzt das Wort ‚Drama‘ nicht automatisch für alles, was ich sage. Hält Smalltalk nicht für Beziehungsarbeit. Ist schon mal pünktlich gewesen – freiwillig.

„Lena?“

Die Stimme riss sie aus ihrem Tagtraum.

David, mitte dreißig, immer mit leicht zerzausten Haaren, immer freundlich, aber mit einem Stirnrunzeln, das er nur dann aufsetzte, wenn´s brenzlig wurde – oder wenn jemand dem Gast Zucker statt Salz reichte.

Lena drehte sich langsam um.

„Alles okay bei dir?“, fragt er.

Lena nickte eine Spur zu schnell. „Klar. Ich... äh... war nur kurz abgelenkt. Ein bisschen nachdenklich.“

„Nachdenklich wie‚ ‚was ist der Sinn des Lebens‘ oder eher ‚will der Gast jetzt Espresso mit Hafer- oder Sojamilch‘?“

Lena lachte nervös, wollte aber so ehrlich wie möglich sein. „Ersteres. Also... philosophisch. Große Fragen. Existenz. Zukunft. So‘n Zeug.“

David hob die Augenbraue. „Willst du kündigen?“

Lena erschrak.

„Nein! Auf keinen Fall!“

„Hm. Existenz also. Klingt tief. Und das mitten im Morgentrubel. Respekt.“

Sie presste zerknirscht die Lippen zusammen. „Ja. Bin halt... äh... vielseitig belastet.“

„Belastet oder abgelenkt?“

Stille.

Er sah sie noch einige Sekunden an. Dann schob er die Hände in die Hosentaschen und sagte nun ohne den vorhin etwas vorwurfsvollen Ton in der Stimme: „Wenn irgendwas ist – du weißt, du kannst mit mir reden, ja?“

Lena nickte. „Klar. Danke. Vielleicht rede ich vorher einfach mal mit mir selbst. Soll auch helfen.“ Sie hielt die Luft an.

Er lächelte, drehte sich halb um, blieb dann aber nochmal stehen.

„Sag deinem philosophischen Teil von dir: Der Cappuccino für Tisch sechs wartet.“

Lena atmete aus.

Kaum war er weg, griff sie nach einem Tablett, drehte sich in Richtung Küche und murmelte: „Okay, Millionärsjagd, Plan A: Nicht entlassen werden. Plan B: Nicht mehr als wandelnde Pannenquelle auffallen.“

Was ihr sogar gelang, bis Nele sie von der Schicht ablöste.

Abends zu Hause - Lena saß auf ihrem Stuhl, der bei jeder ihrer Bewegungen ächzte, als würde er gleich eine Altersvorsorge beantragen – wollte sie die Dinge nun professionell angehen.

Vor ihr: Laptop. Daneben: Kaffeetasse, Notizblock und zwei Highlightmarker.

Überschrift: „Mission Millionär – Projekt Reichtum mit Stil“ Darunter schrieb sie: Orte mit hoher Millionärsdichte suchen – Gesprächseröffner für Luxustypen kreieren („Was war Ihr größter Immobilien-Fail?“, statt „was machst du so?“ – Investition in Fake-Designerhandtasche: JA oder NEIN? – Lächeln üben ohne Gierblick – Goldgräbermimik vermeiden (wenn, dann sollte er nur sanft durchschimmern).

Sie war so stolz. Das hier war kein Luftschloss. Das war eine Strategie mit Google-Rückendeckung.

Sie öffnete gerade einen neuen Tab, um sich über Golfplatz-Tageskarten zu informieren, als Google sie plötzlich mit einem blinkenden Banner ablenkte.

„Verführung beginnt mit Klasse“. Jetzt buchen – Seminar für niveauvolle Frauen mit Stil. Plätze begrenzt!“

Lena starrte. Und starrte. Ein blondes Model im roten Abendkleid lächelte ihr vom Bildschirm zu, während daneben ein Mann mit Rolex tat, als würde er an ihr interessiert sein.

„Du meine Güte“, murmelte Lena.

Sie klickte. Natürlich klickte sie. Es war wie ein Verkehrsunfall in Highheels, sie musste es einfach tun.

Seminarinhalt laut Website: Reiche Männer erkennen - Psychologie des Luxusmannes: Wie denkt ein Typ mit Villa und Personal Trainer? – Zwischen Minimalismus und Modebewusstsein – Love it or leave it: Dating-Regeln mit Stil und vieles mehr.

Lena war sprachlos. Und ein bisschen ... fasziniert.

„Die meinen das wirklich ernst“, flüsterte sie. „Das ist ein richtiges Coaching. Mit Checklisten und Urkunde! Ich kann zertifizierte Millionärsjägerin werden.“

Sie scrollte weiter. Vier Tage im Hotel sowieso in Graz, mit Übernachtung, Frühstück und Abendessen, Seminarpreis... Lena runzelte die Stirn. Eigentlich unbezahlbar für sie. Aber auch in Raten machbar.

„Na wenigstens wissen sie, dass ihre Zielgruppe noch nicht am Ziel ist“, murmelte sie.

Sie lehnte sich zurück, atmete tief ein und konnte natürlich darüber lachen. Aber irgendwie... war es auch ein bisschen genial. Wenn schon absurd träumen, dann wenigstens mit Plan.

„Nele wird mich erschlagen“, brummte sie. Aber hey – das hier war Feldforschung für die Sache. Für den verdammt gluckernden Wasserhahn.

Lena starrte auf das Anmeldeformular. Keine Frage, sie musste das Seminar buchen. Es war die Investition in eine sorgenfreie Zukunft, das konnte und durfte sie sich nicht entgehen lassen. Aber da war ein kleines Detail, das sie vorher noch klären musste. Mit ihrem Chef.

Sie griff nach ihrem Handy. Gleich danach noch ein letztes Aufbäumen, bevor sie sich einer Aufgabe stellte, die für sie alles andere als einfach war. Sie fühlte sich wie ein Bittsteller – und nicht nur das, sie fühlte sich wie ein undankbarer Bittsteller, der die Kollegen ausnutzen und gleichzeitig ihren eigenen Chef überrumpeln musste. Aber es blieb ihr keine Wahl. Sie musste da jetzt durch. Immerhin ging es um ihr Leben. Das sollten die Kollegen und ihr Chef verstehen. Jedenfalls würde Lena es verstehen, wäre die Situation umgekehrt.

Als David abnahm, atmete sie tief durch.

„Hey, David. Ich... äh... bräuchte mal kurz Urlaub. Spontan, weißt du? Vier Tage. Das müsste doch gehen, oder?“

Gespannt hielt sie die Luft an.

Am anderen Ende herrschte Stille. Lena ließ die Luft entweichen und versuchte, möglichst normal und locker zu klingen.

„Äh... vier Tage? Du hattest doch schon Urlaub – und das vor nicht mal vier Wochen.“

„Ja, schon, aber du weißt doch, David, manchmal muss man einfach den richtigen Moment ergreifen. Ich fühl mich irgendwie in einem... kreativen Block, das will ich nützen.“

„Kreativ?“, kam es zurück. „Du bist Kellnerin, Lena, keine Künstlerin.“

„Das ist doch relativ“, antwortete sie schnell, „manchmal braucht man eben Zeit um sein... kreatives Potential zu entdecken. Ich meine, es geht um geistige Erfrischung, verstehst du? Wellness fürs Gehirn.“

Wieder ein zögern. Lena begann nervös mit dem Kuli auf ihren Notizblock herumzukritzeln.

„Und was ist das für ein Seminar?“

Shit!

Das war der Moment, an dem sie ihrem stimmlichen Pokerface eines draufsetzen musste. Sie setzte sich aufrecht hin und gierte nach überzeugenden Worten, die sich aber wie ein herumhüpfender Ping-Pong-Ball benahmen und sich nicht greifen ließen.

„Ach, das Seminar ist...“.

Stille.

„Ja?“

„Es geht... äh... um die Fähigkeit meine multiaufgabenfähige Problemlöserin auszubauen. Darum, wie man erfolgreich wird, ohne dabei den Fokus zu verlieren.“

„Das klingt interessant. Aber was hat das mit uns zu tun, genau?“

„Es ist... äh, langfristig wichtig für das Café, weil ich dann ein besserer Teamplayer sein werde. Du weißt ja, wie das ist – als Kellnerin kann man so viele Fähigkeiten entwickeln, dazu braucht man aber mal eine Perspektive außerhalb der eigenen Tassen und Teller.“

Nun war er da, der entscheidende Moment. Ja oder nein? „Wann ist das Seminar, sagtest du?“

Lena hatte noch gar nichts in die Richtung gesagt, behielt das aber für sich und nannte ihm das Datum.

„Okay“, sagte David nach einer langen Pause.

„Du hast noch Urlaub übrig vom letzten Jahr. Dann mach ich im Café die Tagschicht und Nele soll für die vier Tage die Abendschicht machen. Ich hoffe nur, du hast diese geistige Erfrischung nicht in einem Hotel am Strand gebucht, Lena.“

„Was denkst du von mir“, entrüstete sie sich.

„Also gut, dann genehmige ich dir die Tage“, sagte er schließlich. „Aber dann ist für länger Schluss mit Halli-Galli.“

„Null Problem, David“, sagte sie und hoffte, dass er es nie erfahren würde, warum sie wirklich diese vier Tage brauchte.

„Ich werde meine geistige Erfrischung so schnell wie möglich im Café umsetzen.“

Kaum war die Verbindung beendet, griff sie zum Laptop um die Anmeldung zum Seminar abzuschicken. Die Anmeldung war für Lena kein Impuls, sie war ein Akt der Selbstachtung. Zumindest redete sie sich das ein, während sie sich durch das Formular klickte, zögerte, noch einmal überlegte – und dann mit einem leisen „scheiß drauf“ auf ‚jetzt buchen‘ tippte. Der Bildschirm blitzte auf, als hätte sie gerade Zugang zu einem geheimen Zirkel erhalten. In Wahrheit hatte sie ihrem Konto ein paar Hiebe verpasst. Überziehungshiebe. In ihrem Magen breitete sich ein flaues Gefühl aus. Hoffentlich waren es Hiebe, die bald wieder hereinkamen.

Danach überkam sie eine kleine schelmische Idee und schickte David folgende E-Mail: Danke für den Urlaub, David. Ich bin sicher, das Seminar wird mir helfen, in Zukunft die Kaffees aufs Beste zu servieren. Vielleicht bahnt sich ja eine Umsatzsteigerung an. Bis bald.

Mit einem frechen Grinsen schickte sie die Nachricht ab.

Als Nele gegen 23 Uhr nach Hause kam, war sie versucht, ihr die Neuigkeit und ihr überzogenes Konto brühwarm zu erzählen, überlegte es sich dann aber doch anders, da sie wusste, Nele war nach dem langen Tag müde und wollte nur noch schlafen. Gegen halb drei - sie hatte bisher kein Auge zugemacht - setzte sie sich im Bett auf und las zum vierten Mal die Website des Seminars durch, samt Preis. Aber sie sah keine Zahlen mehr, nur noch Möglichkeiten. Sie startete ein Projekt mit Mission und sie würde gewinnen. Irgendwo. Irgendwie.

Als Lena am Frühstückstisch saß, das Marmeladenglas vor sich wie eine erlegte Trophäe, huschte Nele mit wuseligen Haaren und einem verwaschenen Nachthemd an ihr vorbei, direkt ins Bad, barfuß und grummelig. Lena grinste ihr hinterher, wie ein Lebkuchenpferd auf Glückshormonen.

Nele sah das sehr wohl. Der Unterschied zu gestern war geradezu unheimlich – als hätte jemand Lenas Realität umprogrammiert. Es war ein Leuchtschild in Großbuchstaben: Laune blendend. Trotzdem sagte sie nichts.

Sie war zu müde für Rätsel und zu wach, um sie nicht zu bemerken. Als sie kurz darauf zurückkam, saß Lena immer noch grinsend da und nun auch noch summend.

Summend.

Das war ein Geräusch, das in dieser Wohnung nur selten mit Frühstück verknüpft worden war. Nele trottete in Richtung ihres Zimmers, drehte sich an der Tür um und schmalte die Augen.

„Sag mal... bist du Mr. Right begegnet? Oder hat dir ein Café-Gast fünfzig Euro Trinkgeld gegeben?“

Lena kratzte gerade die letzten Spuren Himbeermarmelade aus dem Glas und sah auf, als hätte sie den Jackpot geknackt.

„Viel besser. Ich hab’s getan.“

„Na hoffentlich nichts, was Zinsen kostet“, brummte Nele.

Sie setzte sich Lena gegenüber und runzelte die Stirn, in der Hoffnung, dass das, was Lena gleich erzählen würde, sie wenigstens positiv aus den Socken hauen würde.

Doch Lena kaute nur grinsend auf einem Stück Toast herum und summte weiter – irgendwas zwischen Popmelodie und Triumphmarsch.

„Und...“, hakte Nele schließlich nach, „was ist Weltbewegendes passiert, dass du plötzlich wieder singst, wie Schneewittchen auf Glückspillen?“

Lena schluckte und leckte sich genüsslich die Finger. Dann beugte sie sich vor.

„Ich habe mich gestern zu einem ganz besonderen Seminar angemeldet.“

„Aha.“ Nele zog eine Braue hoch. „Lass mich raten: Wie bringe ich das Universum dazu, mir einen Porsche zu schenken?“

„Fast. Einen seriösen Workshop, mit dem Titel: Verführung beginnt mit Klasse. Vier Tage in Graz. Mit echten Coaches. Stilberatung. Strategie. Körpersprache. Psychologie. Sogar mit Champagnerempfang.“

Nele blinzelte langsam. So, wie man blinzelte, wenn man hoffte, dass man sich verhört hatte – und ahnte, dass man es nicht hatte. „Du hast dir ein Seminar gebucht, um zu lernen mit Männern zu flirten?“

„Nicht flirten“, korrigierte Lena mit erhobenem Zeigefinger. „Positionieren. Präsentieren. Optimieren. Das ist ganz große Lebenskunst.“

„Und du bist dir sicher, dass du nicht einfach ein besonderes glamouröses Schneeballsystem gebucht hast?“

Lena stutzte – und nickte schließlich. Bei diesem Kurs ging es bestimmt mit rechten Dingen zu. Hoffentlich.

„Und... was soll das Seminar dir beibringen? Den Unterschied zwischen Lächeln und ‚ich will deinen Bausparvertrag‘?“

„Körpersprache. Psychologie. Stil. Wie man sich einem Mann gegenüber gibt, wenn man mehr will, als nur die Speisekarte fürs Drei-Gänge-Menü. Es ist strategisch. Und... wie gesagt, es gibt Champagner beim Empfang.“

„Na dann ist es natürlich seriös“, murmelte Nele. „Ich meine, nichts schreit so sehr nach langfristigem Beziehungsaufbau, wie ein Glas Gratis-Sekt.“

Nele schüttelte den Kopf, als hätte sie einen schlechten Witz gehört.

„Ich würde mehrere Gläser Champagner brauchen um die Illusion aufrecht zu erhalten, dass ein Millionär auf eine Kellnerin hereinfällt, sobald sie grinst wie ein Nachrichtenmoderator beim Wetterbericht.“

„Nicht reinfällt, Nele. Sich verliebt. Ich bin gutaussehend, sagen zumindest andere, charmant – mit dem richtigen Feinschliff wirke ich wie ein seltener Vintage-Wein in einer Welt voller Dosenbier.“

„Aber Dosenbier in einer teuren Karaffe, bleibt trotzdem Dosenbier, Schatz.“

„Was weißt du schon. Männer wie die stehen auf Stil, nicht auf Herkunft. Marilyn Monroe war auch keine Adelige.“

„Aber sie war berühmt, hatte Geld und Zugang zu den Reichen und Schönen. Du bist Bedienung im Stadt-Café. Der einzige Millionär der da jemals auftauchen wird will Kleingeld für den Parkautomaten, sonst nichts.“

„Du glaubst also, ich habe keine Chance?“

Nele blieb ihr die Antwort schuldig. „Was kostet denn der Spaß?“

Lena zog den Kopf ein, als sie es ihr sagte.

Neles Augen rundeten sich. „Lena! Du hast letzte Woche Reis mit Ketchup gegessen!“

„Ich weiß. Deshalb musste ich mein Konto überziehen. Aberes ist eine Investition in die Zukunft.“ Lena wollte optimistisch sein und auch so klingen.

„Du hast dein Konto überzogen, um zu lernen, wie man guckt, dass ein Mann mit Yacht denkt: Die Frau braucht Geld – kriegt sie – weil, ich hab’s. Du hast dein Konto überzogen, weil du denkst, dass ein Typ mit Geld daherkommt, wenn du gelernt hast, wie man ein Sektglas richtig hält? Du hast dein Konto überzogen, um einen Mann zu finden, der nie im selben Supermarkt einkaufen würde, wie du?“

Nele kraust die Nase. Schließlich lächelte sie überraschend.

„Aber , hey, du bist die Erste, die nach unten rutscht, um nach oben zu heiraten. Das hat auch Stil.“

Diese Worte waren wie ein Befreiungs- und Ritterschlag für Lena. Sie lachten. Und noch lachend fragte Nele: „Und du bist wirklich überzeugt, dass du nach diesem Kurs in die High-Society reinkommst? Mit überzogenem Konto, einem Kassenbon von Hofer und nur einer Vision von Yachten?“

„Ich hoffe es. Vielleicht eher mit einem Lächeln, das sagt: Ich hab nix, aber ich seh aus, als hätt ichs gleich.“

„Du weißt aber schon, dass reiche Männer einen Blick dafür haben, sollten Frauen nur auf ihr Geld aus sein.“

Lena nickte. „Deshalb ist der Kurs ja auch psychologisch durchdacht. Es geht um Authentizität mit strategischem Fokus.“

Natürlich wusste auch Nele, wie es war, nachts wachzuliegen und zu rechnen, ob das Geld bis zum nächsten Freitag noch reichen würde. Nicht umsonst wohnte sie mit Lena in einer WG. Trotzdem hätte sie nie daran gedacht, sich dafür irgendein Seminar-Ticket zu kaufen. Sie dachte in Arbeitsstunden, nicht in Investitionen.

Sie stand auf, holte sich eine Tasse und schenkte sich Kaffee ein. Anschließend hob sie die Tasse und prostete Lena zu. „Na dann: Petri Heil, meine Liebe. Aber falls du nur Sardinen angelst – ruf mich an. Ich hab noch ’nen Notfall-Keks im Vorrat.“

Lena hob ihre Tasse auch und lachte. „Deal. Und falls ich morgen im Bentley heimkomme, bekommst du den Beifahrersitz.“

Für sie war das Zimmer plötzlich heller, als hätte jemand das Fenster zur Zukunft einen Spalt geöffnet und die Sonne lachte herein.

Kapitel 2

Es knisterte und kribbelte unter Lenas Haut. Sie dachte daran, dass sie in wenigen Stunden zwischen Seidenschals, hohen Absätzen und Zielstrebigkeit im Blazer stehen würde.

Nicht als die, die nie genug Geld hatte. Sondern als die, die endlich genug wollte. Und vielleicht war es richtig, nicht zu fragen, ob man es wert war, ob ein überzogenes Konto es Wert war. Sondern sich selbst endlich so zu behandeln, als wäre man es.

Sie stand vor ihrem offenen Koffer, der wie ein riesiger offener Mund darauf wartete gefüttert zu werden. Sie hielt ein weißes T-Shirt in der Luft, betrachtete es und legte es dann doch wieder auf den Stapel in den Schrank zurück. Ihr einziges Kostüm lag schon im Koffer. Sicherheitshalber warf sie noch eine zweite Jeans ein und war sich noch immer nicht sicher, ob sie zu diesem Seminar die richtige Kleidungswahl getroffen hatte. Obwohl – viel Auswahl hatte sie ohnehin nicht.

Was, wenn alle supererfolgreich und richtig schick sind?

Die Uhr tickte, der Zug nach Graz würde in weniger als zwei Stunden abfahren.

„Habe ich genug?“, murmelte sie vor sich hin. „Oder soll ich noch das schwarze Kleid mitnehmen?

Sie zog den übervollen Koffer auf den Boden, setzte sich darauf und versuchte das Chaos unter ihr zu bändigen. Ihr Kopf war voll von Fragen, die sie jetzt nicht beantworten konnte. Ihre Gedanken sprangen hin und her. Von der Ankunft dort, bis zu der verpassten Gelegenheit ihres Lebens.

Sie schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch.

Es ist nur ein Seminar. Vier Tage. Kein Grund, sich verrückt zu machen.

„Okay, also... Schuhe...“, murmelte sie, lief zur Kommode und nahm ein paar schwarze Pumps heraus, die sie dann noch in den Koffer stopfte. Die Schuhe waren wichtig. Wer konnte wissen, was für Leute auf diesem Seminar sein würden? Vielleicht ein Millionär mit einer Schwäche für hohe Absätze?

Das Handy vibrierte. Sie hielt inne und sah auf den Bildschirm. Nele hatte ihr eine Nachricht geschickt.

Nele ➤ Lena

8:30

Denke daran, dich nicht gleich dem ersten Typen an den Hals zu werfen. Eher daran, zu üben.

Lena schnaubte und tippte zurück.

Lena ➤ Nele

8:32

Was denkst du von mir!!!! Aber ich hab’ schon ein Übungsprogramm: 3x tief durchatmen, 2x Augenrollen, 1x wegklicken.

Sie schickte die Nachricht ab, konnte dabei aber ein flüchtiges Lächeln nicht unterdrücken.

„Warum mache ich mir eigentlich so einen Kopf?“, fragte sie sich laut, während sie sich wieder auf den übervollen Koffer setzte und ihn zusammenquetschte, um ihn schließen zu können. Die Klicker rasteten zum Glück doch ein. Sie stand auf, griff nach einer kleinen Umhängetasche mit ihren persönlichen Unterlagen drin, dann nach den Visitenkarten. Lächelnd steckte sie sie in die Tasche.

Besser, man ist vorbereitet.

Sie sah kurz aus dem Fenster.

Der Himmel war im Frühlingsgrau, ein leiser Wind blies durch die Bäume. Zeit, loszufahren, denn nichts würde sich ändern, wenn sie hier bliebe. Doch in Graz... in Graz könnte sich alles ändern.

„Also gut, Seminar, ich komme“, flüsterte sie.

Ja, sie war nervös.Aber gleichzeitig war da auch das Gefühl, dass dieser Schritt der richtige war. Richtig verrückt vielleicht. Aber richtig.

Es wird schon gut gehen. Komm schon, das wird easy.

Graz fühlte sich sofort richtig an. Alt, aber nicht eingerostet. Gemütlich, aber nicht langweilig. Eine Stadt mit verschnörkelten Fassaden und charmant bröckelndem Putz. Es roch nach Regen und einer kleinen Portion Aufbruch. Ein bisschen wie Wien, nur kleiner, sauberer und ohne Nele, die ihr mehr als einmal erklärte, dass Männer mit Yacht nicht auf Frauen mit WG standen.

Im Hotel angekommen war der Check-in schnell erledigt. Es blieb noch eine Stunde bis zum Empfang, genug Zeit also, um sich frisch zu machen.

Als sie dabei war, ihren Hosenanzug mit ihrem kleinen Schwarzen zu tauschen und ihre bequemen Schuhe mit den High Heels, fiel ihr Nele ein.

Nele.

Ich brauche Nele.

Dringend.

Wie Prosecco nach einem positiven Bewerbungsgespräch.

Sie schloss den Reißverschluss am Rücken, streifte ihre High Heels über, griff zum Handy, setzte sich aufs Bett und drückte auf die Tasten. Nach mehreren Tut-Tönen hörte sie ihre Stimme.

„Na, ist der Millionär schon auf dem Flur oder brauchst du noch Lockstoff?“

„Ich... bin grad in meiner Reality-Soap gelandet“, sagte Lena trocken.

„Wie heißt die nochmal? ‚Wie binde ich mir einen Zuckerpapa ums Bein‘? Bitte sag mir, dass es ein Buffett gibt. Wenigstens. Irgendwas mit Garnelen oder Austern, damit sich das Drama lohnt.“

Lena lachte. „Ich fühle mich wie bei Germanys Next Finanzfrau – aber ohne Kamerateam und nun doch mit etwas Zweifel an meinem Geisteszustand.“

„Du, ich hab dir gesagt: Wenn das Seminar auch nur ein einziges Mal das Wort Manifestieren benutzt, dreh um.“

Lena lachte. „Auf dem Begrüßungsflyer steht: ‚Alles beginnt mit der richtigen Einstellung.‘ In Goldlettern. Nele, Gold. Lettern.“

„Klingt nach Sekte. Oder Instagram-Coach mit Leasing-Mercedes.“

„Ich weiß! Und jetzt steh ich hier im Hotelzimmer wie Cinderella kurz vor dem Finanzcoaching.“

„Gibt’s einen Dresscode? Goldkettchenpflicht und Heels mit Kreditlimit?“

Lena lachte wieder. „Ich hab mein schwarzes Kleid angezogen. Schlicht, aber elegant. Ideal für Networking oder für die Beerdigung meines Selbstrespekts.“

Pause.

„Aber weißt du was?“, meinte Lena dann, leiser. „Ich bin irgendwie froh, dass ich’s gemacht hab. Nicht wegen der Millionäre. Sondern weil’s mal... was anderes ist. Ein bisschen raus aus dem Alltagsquark. Vielleicht lernt man ja sogar was über sich selbst.“

Nele klang plötzlich ernst. „Lena. Ich liebe das an dir. Du hast Mut, dich in absurde Situationen zu stürzen und dabei noch Witze zu machen. Melde dich, ich will jedes Detail wissen. Wer weiß – vielleicht brauchen wir bald gar keine Chefs mehr, weil du uns beide rausinvestierst.“

„Genau. Ich heirate einen mit Pool und du ziehst als meine persönliche Assistentin ein.“

„Nur wenn’s auch vegane Snacks gibt.“

„Deal.“

Sie legten auf.

Lena ließ das Handy und sich aufs Bett fallen. Ihr Blick fiel auf die Zimmerdecke. Sie lächelte. Halb belustigt, halb aufgeregt. Vielleicht war das alles ein riesiger Blödsinn. Oder der Anfang von etwas, das sie nie geplant, aber dringend gebraucht hatte.

Es war still im Zimmer, abgesehen vom dezenten Summen der Minibar, das klang, als würde selbst der Kühlschrank sagen: „Weißt du sicher, worauf du dich da einlässt?“

Sie atmete durch.

Nicht flach und hektisch, sondern diese Sorte Atemzug, den man machte, wenn man zu einem Vorstellungsgespräch ging, bei dem man nicht mal sicher war, für welchen Job genau.

Dann stand sie auf und zog die Schultern gerade. Ein letzter Blick in den Spiegel. Lippenstift saß. Haltung auch.

Okay, Lena. Du weißt nicht, wo es stattfindet, wie viele Leute kommen, oder ob gleich jemand mit Klangschalen die Aura reinigt. Aber du bist hier. Und das reicht für jetzt.

Sie schnappte sich ihre Tasche, verließ das Zimmer – und machte sich auf die Suche nach dem sagenumwobenen Seminarraum. Sie schritt durch das Hotelfoyer mit der Entschlossenheit einer Frau, die vorgab, genau zu wissen, wo sie hinwollte – und innerlich gleichzeitig betete, dass irgendwo ein verdammtes Schild auftauchte.

Sie passierte die Bar. Zwei Männer in Anzügen nippten an Whiskygläsern. Potenzielle Millionäre? Oder einfach nur Steuerberater auf Fortbildung? Sie beschloss, weiterzugehen. Unauffällig, aber mit Haltung.

Ich seh aus wie jemand, der weiß, wohin er geht. Das reicht. Vielleicht ist das ja schon die erste Lektion.

Die Rezeption war leider nicht besetzt, also fiel Fragen aus.

Sie stöckelt den Gang entlang.

Links ein Konferenzraum: „Kardiologenkongress – Fallstudien und Fallzahlen“

Sie blieb stehen. Schielte vorsichtig durchs Milchglas.

Krawatten. Laserpointer. Kein Goldrahmen, keine Flipcharts mit Seelenfragen. Falsche Zielgruppe.

Weiter.

Eine Etage tiefer. Noch ein Raum. Dieses Mal mit einem Schild: „Trauerarbeit in systemischen Kontexten – geschlossene Veranstaltung“.

Definitiv nicht mein Seminar. Außer, jemand hat den Titel ganz falsch interpretiert.

Sie seufzte, ihre Heels fingen an, sich wie Strafe anzufühlen. Dann, fast schon göttlich beleuchtet vom fahlen Licht einer Deckenlampe: ein Plakat. Groß. Glänzend. Mit einem aufgedruckten roten Teppich, Champagnerglas in der Ecke und in überdimensionierten Lettern: „Verführung beginnt mit Klasse.“ Empfang heute ab 18:30 – Konferenzraum „Styria II“

Ein Pfeil zeigte nach rechts.

Lena folgte ihm, fast andächtig.

Im Flur: diffuse Lounge-Musik.

Ein Duft von Vanille-Raumduft und leichtem Erfolgsdruck lag in der Luft. Dann: der Konferenzraum „Styria II“. Die Tür stand offen. Ein goldener Aufsteller daneben: „Schön, dass Sie da sind. Ihre Reise beginnt jetzt.“

Na, dann. Leinen los.

Sie trat ein.

Drinnen: rechteckige Tische, Kerzenattrappen mit LED-Flammen, ein Stehtisch mit Wasser- und Sektflaschen und eine riesige weiße Tafel, mit ausgeschnittenen Zeitschriftenfotos drauf: Luxusyachten, ein Pärchen mit Zahncremelächeln, Palmen, Uhren, … eine Katze mit Krönchen.

Ein junger Mann mit Schreibtablet stürmt auf sie zu. „Sie müssen Lena sein! Willkommen! Ich trage Sie gleich ein.“

Er lächelte, als sei sie gerade zur Weltraummission zugelassen worden.

„Sie haben uns gefunden – das ist schon der erste Schritt.“

„Ja“, sagte Lena, „ich hab auf dem Weg hierher fast eine Trauergruppe gecrasht, aber ansonsten: gute Ankunft.“

Er lachte irritiert. „Wunderbar! Nehmen Sie gerne Platz. Es sind schon alle hier, bis auf den Kursleiter. Er kommt gleich.“

Kursleiter. Warum hatte sie immer an eine Kursleiterin gedacht?

Die Tische im Raum waren im Halbkreis angeordnet. Lena setzte sich an einen in der Mitte. Blickte sich um. In die Gesichter anderer Frauen, alle mit einem gewissen ‚ich war schon mal bei einem Seminar‘, mit Schamanen-Glanz in den Augen.

Und dann: Stille.

Noch zehn Minuten bis Beginn.

Lena lehnte sich zurück und schaute auf die Leinwandtafel mit Yachten, Cartier-Werbung und einem lächelnden Model, das aussah, als hätte es noch nie Steuererklärung sagen müssen.

Aber: Sie war hier. Im Raum. Im Kleid. Und erstaunlich aufrecht. Und das allein war ja schon fast sowas wie Persönlichkeitsentwicklung light – mit Blasen an den Füßen.

Vielleicht ist das alles ein einziger, absurder Irrweg. Aber ich bin angekommen. Und das ist mehr, als ich gestern noch von mir behaupten konnte.

Ein Mann Mitte 40, betrat den Raum. Er war makellos frisiert, in einem Anzug, der so glatt saß, dass man denken könnte, er wäre direkt aus dem Katalog eines Hochglanzmagazins gefallen. Er trug eine Sonnenbrille, obwohl es draußen vielleicht 18 Grad hatte und der Himmel bewölkt war. Aber das war wohl sein ‚Markenzeichen‘ – oder sein Versuch, ‚ein bisschen Hollywood‘ in den Raum zu bringen.

Festen Schrittes ging er auf das Pult zu, das vor den Seminarteilnehmerinnen stand – es war kein einziger Mann dabei – und sagte mit einer Stimme, die fast so laut wie ein Megafon war: „Herzlich willkommen zum millionenschöpferischen Kurs. Ich verspreche Ihnen, hier wird ihre Zukunft neu erfunden!“

Lenas Nervosität stieg wieder.

Unmerklich sah sie sich um. Ich bin ja nicht die Einzige hier, die auf schnelle Weise reich werden will, beruhigte sie sich.

Die anderen Teilnehmerinnen sahen aus... na ja, wie Menschen, die nicht in einem Millionärsseminar landen würden, wenn sie keine brillanten Ideen hätten. Eine Frau neben Lena war so perfekt in ihrem Aussehen, dass man fast befürchten konnte, sie könnte gleich einen kosmetischen Eingriff anbieten.

Der Kursleiter setzte fort. „Ich bin Felix Sky und ich freue mich sehr, heute mit euch den ersten Schritt in eine völlig neue Welt zu gehen!“

Lena machte große Augen, ohne es zu wollen.

Felix Sky? Was für ein Name. Und der hat seine Eltern wirklich mit dem Vorhaben verärgert, den Weltmarkt der Millionäre zu erobern?

Er lächelte, als hätte er gerade die besten Nachrichten der Welt verkündet und jeder im Raum sollte sich sofort für einen Deal entscheiden.

„Jetzt denkt nicht, ich bin hier, um euch nur ein paar Tricks beizubringen. Nein!“, fuhr er fort, als wäre er ein Rockstar auf seiner Welttournee, „ich bin hier, um eure Gedanken zu transformieren, eure Energie zu kanalisieren und – vor allem – euren inneren Millionär zu wecken!“ Felix Sky ließ die Worte fast wie in Zeitlupe durch den Raum fliegen. Man hörte das Knistern der Spannung, als ob ein Orchester auf das nächste große Stück hinarbeitete.

„Stellt euch vor“, sagte er dann, „ihr seid schon in dieser luxuriösen Welt. Die Yacht? Kein Problem. Der Villa in den Alpen? Vielleicht sogar schon in Planung! Glaubt mir, es gibt nichts, was wir nicht erreichen können – wenn wir nur richtig denken.“

Lena dachte an den Moment im Hotelzimmer, als sie vor dem Spiegel stand und sich fragte, ob sie nicht vielleicht einen besseren Plan brauchen würde, als nur ‚sehr positiv zu denken‘.

Aber irgendwie hatte Felix Sky etwas, das sie nicht genau greifen konnte – vielleicht diese Mischung aus Überzeugung und völligem Wahnsinn, die irgendwie ansteckend wirkte.

„Also“, Felix machte eine dramatische Pause, „lasst uns gemeinsam diese Reise beginnen – und vergesst nie: Der erste Schritt ist der wichtigste. Und der zweite… ist noch viel wichtiger. Aber wir werden uns im Laufe des Seminars auf jeden einzelnen konzentrieren!“

Mit einer letzten, entschlossenen Geste ließ er seinen Blick über die Teilnehmerinnen schweifen, als könnte er schon sehen, wie ihre Lebensläufe umgeschrieben wurden. Dann setzt er sich hinter sein kleines Pult und tippt schnell auf sein Tablet, als würde er eine geheime Formel eintragen.

„Seid ihr bereit?“, fragte er mit einem Grinsen.

Lena merkte, dass sie automatisch nickte.

Warum auch nicht? Ich bin schon zu weit gegangen, um jetzt aufzuhören.

Felix Sky klatschte einmal energisch in die Hände, so als wollte er den Raum nicht nur wecken, sondern auch gleich energetisch umprogrammieren.

„Bevor wir anfangen – bevor ihr euch vorstellt, eure Geschichten teilt, eure Träume in Worte gießt – will ich euch natürlich sagen, wer ich bin. Und warum ich das hier tue.“

Er streifte sich langsam – fast dramatisch – die Sonnenbrille vom Gesicht, als enthülle er ein Staatsgeheimnis. Darunter: leuchtend blaue Augen mit dem leicht glasigen Blick eines Menschen, der entweder zu wenig schlief oder zu viel an sein Tun glaubte.

„Ich war nicht immer Felix Sky“, begann er. „Also… doch, ich hieß schon so. Aber ich war nicht der, den ihr heute seht.“

Er machte eine bedeutungsvolle Pause.

Gleich wird er beichten, früher ein Versicherungsvertreter in Leoben gewesen zu sein.

„Früher war ich... ein Mann mit Krawatte. Mit Aktentasche. Mit grauem Innenleben.“

Ich wusste es, Versicherungen. Oder Steuerberatung.

„Ich war Kundenbetreuer bei einer Großbank. Mein Büro hatte kein Fenster. Mein Kaffee kam aus einem Automaten, der leise weinte, wenn man Espresso drückte. Ich trug Schuhe, die Geräusche machten, als wollten sie fliehen. Ich... war... klein.“

Er schaute in die Runde, als erwarte er eine kollektive Schockreaktion. Eine Frau im Leopardenblazer nickte mitfühlend.

„Dann… kam der Moment. Ich war bei einem Mittagessen mit einem Kunden, der Millionär war – also wirklich einer von denen. Der Mann hatte eine Armbanduhr, die so groß war wie mein WLAN-Router. Ich sagte zu ihm: Wie haben Sie das geschafft? Und wisst ihr, was er antwortete?“

Felix legte eine Kunstpause ein.

„Er sagte: Ich habe meine Frau geheiratet.“

Ein Raunen ging durch den Raum. Lena biss sich auf die Lippe.

„Da wusste ich: DAS ist mein Weg! Ich meine – nicht ich heirate die Millionen. Aber ich bringe Menschen zusammen. Ich werde… der Amor des Kapitals. Der Coach des Herzens mit Aktienbezug. Ich bringe Energie und Erfolg zusammen. Ich bin quasi der…“, – er fuchtelte kurz in der Luft – „...der Keanu Reeves der zwischenmenschlichen Rendite!“

„Manchmal“, sagte er schließlich, leiser als zuvor, „frage ich mich selbst, wie ich eigentlich dazu gekommen bin, einen Kurs wie diesen zu geben. Ich lebe in keiner Villa mit Marmorboden, fahre keinen Bentley, kenne keinen Grafen persönlich, bekomme keine Einladungen zu Stiftungsgalas.“

Er schüttelte leicht den Kopf, als könne er es selbst kaum glauben.

„Aber ich habe recherchiert. Zwei Jahre lang. Ich habe Interviews gelesen, Biografien gesammelt, Podcasts von Society-Coaches analysiert. Ich habe Excel-Tabellen geführt – kein Scherz – über die Ehepartner von Selfmade-Millionären. Wisst ihr, was das häufigste Muster war?“

Er wartete, ließ die Spannung steigen.

„Nicht Schönheit. Nicht Status. Sondern Nähe. Nähe zu Orten, an denen Geld sich bewegt. Flughäfen, Galerien, Golfclubs, ja – sogar bestimmte Supermärkte.“

Er lachte kurz. „Ich hab mal zwei Wochen lang in einem Delikatessenladen gearbeitet, nur um herauszufinden, welche Konversationen man führen muss, wenn man neben einem Mann mit Seidenkrawatte steht.“

Dann wurde er wieder ruhig. „Ich habe diese Welt seziert, wie ein Biologe einen seltenen Käfer. Und irgendwann“, er hob leicht die Augenbrauen, „haben sie angefangen, mich zu übersehen. Und genau da beginnt echtes Wissen.“

Jemand klatschte zaghaft.

„Und deshalb bin ich hier. Um euch zu helfen, zu wachsen. Zu sehen. Zu erkennen: Das hier ist kein Seminar. Das ist ein Upgrade. Für euer Leben. Für eure Möglichkeiten. Für euren Kalender.“

Er tippte gegen sein Tablet. „Und jetzt, meine Lieben… kommt ihr.“ Er grinste breit. „Vorstellungsrunde. Jede von euch hat 30 Sekunden. Name. Was ihr macht. Was ihr wollt. Und euer Lieblingschampagner, wenn ihr schon dabei seid.“

Lena atmete tief durch.

30 Sekunden, um mein Leben zu verkaufen. Das ist wie Dating oder Bewerbungsgespräch. Oder beides.

Felix Sky schnippte mit den Fingern, als würde er gleich eine Broadway-Choreografie auslösen.

„So, Ladies, ich will euch hören! Zeigt euch! Wer seid ihr? Was wollt ihr? Und welcher Champagner wartet auf euch im Kühlschrank eurer Zukunft? Ich will Energie! Lasst eure innere Diva sprechen – oder euren inneren Finanzberater, wenn das besser passt! Wer will anfangen?“

Kurzes Zögern.

Dann: Eine schlanke Frau mit French Twist und einem Blazer in der Farbe ‚Geschäftsführer am Freitag‘ hob selbstbewusst den Zeigefinger. Sie war bereit.

„Ja! Sie da mit dem Mut zur Entscheidung!“, rief Felix begeistert.

Sie stand auf, stellte sich in Pose, als würde gleich ein Konferenz-Talk beginnen.

„Ich bin Carina, 39, selbstständig in der Immobilienbranche, aber auch mit einem spirituellen Background – ich arbeite mit Frequenzen. Ich wünsche mir einen Partner, der meine Schwingung spürt und mich auf Augenhöhe trägt – sowohl energetisch als auch steuerlich.“

Applaus. Felix schnippt anerkennend.

Okay, das war… durchdacht. Sie hat ihren Typ Mann wahrscheinlich schon im Auge.

Die Nächste meldete sich mit einem ‚hier‘-Finger. Sie war jünger, trug ein rosa Twinset und wirkte wie aus einem Influencer-Starter-Kit gefallen.

„Hallo, ich bin Tami – ich bin Websitedesignerin und liebe es, Menschen zu inspirieren, ihre beste Version zu leben. Ich möchte einen Mann, der Visionen hat. Und ein Boot.“

„Kurz. Präzise. Boot mit Vision – starke Kombi!“, kommentierte Felix.

Und dann… hob Lena die Hand.

Ein Reflex. Oder Wahnsinn. Oder beides.

Felix entdeckte sie sofort. „Ah! Energie aus der Mitte! Sehr gut. Los geht’s, Bühne frei!“

Lena stand auf, atmete tief ein und beschloss, Souveränität zu spielen.

Das Spiel war allerdings neu für sie – und sie hatte die Regeln nicht gelesen.

„Hallo. Ich bin Lena. 24. Kellnerin – mit Leidenschaft. Also… wirkliche Leidenschaft. Ich liebe… Teller.“

Was?!

„Also nicht Teller an sich, sondern… Gäste! Und… Stimmung! Und das Chaos kurz vor Küchenschluss.“

Ein paar Lacher. Verlegen? Vielleicht. Felix nickte zustimmend.

Na gut, jetzt musst du’s durchziehen.

Sie redete weiter, obwohl ihr Gehirn schon längst auf Zuschauer-Modus umgeschaltet hatte.

„Ich suche einen Mann, der... präsent ist. Also so wirklich da, wissen Sie? Einer, der… Trinkgeld gibt, im übertragenen Sinn gesehen.“

Trinkgeld? Übertragener Sinn? Lena, was tust du?

„Er soll... stabil sein. Aber auch ein bisschen gefährlich. Also… keine Ahnung. Vielleicht so jemand, der schon mal ein Weingut gekauft hat, einfach weil’s grad gepasst hat.“

Sie lachte nervös.

Niemand sonst lachte.

Felix lächelte freundlich-professionell, wie ein Steward auf Turbulenzhöhe.

„Und mein Lieblingschampagner ist... äh... der Haus-Sekt vom Sepp. Aus dem Nachbardorf. Handgerüttelt. Mit Seele.“

Mit Seele? Wer bist du plötzlich? Eine Weinmesse-Broschüre?

Lena beendete mit einem schiefen Lächeln, das irgendwo zwischen ich-hab-das-im-Griff und holt-mich-hier-raus pendelte. Sie setzte sich. Ihr Herz klopfte wie ein Thermomixer auf Stufe 10. Aber: Sie hatte es getan. Sie war aufgestanden. Sie hatte nicht gesagt, dass sie nachts Serien guckte und dabei Toastbrot aß. Ein kleiner Sieg. Oder zumindest ein gelungener Unfall.

Felix klatschte. „Lena! Das war echt. Das war lebendig. Ich hab fast Lust auf einen Weingutbesuch bekommen.“

Und ich hab fast Lust, im Boden zu versinken.

Als auch die letzte Teilnehmerin ihren Namen gesagt und ein paar etwas verlegene Worte gestammelt hatte – sie arbeitete beim Friseur und mochte ‚echte Männer, die noch selber tanken‘ – nickte Felix zufrieden.

Es klopfte kurz an der Tür. Ein Hotelmitarbeiter kam herein, trat an den seitlich gestellten Tisch an der Wand, öffnete ein paar Champagnerflaschen, die darauf standen, goß ein paar Sektgläser voll und verschwand wieder.

„So. Jetzt wo wir wissen wer wir sind, oder wer wir sein wollen, kennen wir uns alle ein bisschen besser. Und ihr habt gesehen: Niemand hier ist perfekt. Und das ist auch gut so. Wir sind nicht hier, um Eindruck zu schinden. Sondern um zu wachsen. Und das klappt am besten mit einem Glas in der Hand.“

Er deutete auf den Tisch seitlich an der Wand, wo sich die Bläschen in den Gläsern tummelten.

„Greift zu. Trinkt was, redet miteinander, lacht. Und keine Sorge – hier gibt’s keine Tests, keine Punkte. Einfach mal schauen, wer da ist, was sie so wollen, und wie man vielleicht voneinander lernen kann. Champagner ist geöffnet, Smalltalk ist erlaubt, gute Energie ist erwünscht! Lernt euch kennen – denn wie gesagt: Beziehungen entstehen im Gespräch, nicht durch Präsentation.“

Ein leises Räuspern, ein Stuhl kratzte, erste Frauen standen auf. Lena blieb noch sitzen und sah erst mal den anderen zu.

Bin gespannt, ob das Seminar wirklich hält, was es verspricht.

Dann stand sie auf, ging zum Buffet rüber, schenkte sich ein Glas Sekt ein und mischte sich unter die anderen.

Ihre Haltung war aufrecht, ihr Blick geradeaus.

Von außen hätte man meinen können, sie machte das ständig. Von innen fühlte es sich eher an wie ein erstes Schultreffen nach einem langen Sommer – nur ohne Schultasche und mit wenig Ahnung, wie man sich eigentlich benahm. Doch sie lächelte. Sie hatte schließlich geübt.

Und niemand sah, dass sie sich innerlich fragte, ob man sich am Buffet zuerst das Glas oder die Serviette nahm.

„Na, Kellnerin?“, sagte eine Stimme neben ihr.

Es war Carina – French Twist, Powerblazer, Immobilien mit Frequenz. „Du hast ja einen ganz eigenen Stil“, sagte sie mit einem Lächeln, das zwischen Bewunderung und Belustigung balancierte.

Lena drehte sich zu ihr, hob das Glas. „Ich denke, das Leben braucht... Ecken. Und ein bisschen Spülmittel.“

Carina blinzelte. „Wie bitte?“

„Also, wegen der Teller. Kellnerin. Witz, weißt du.“

Lena lachte. Nur sie.

Carina nickte höflich und wandte sich um, als sei dort jemand, der interessanter plaudern konnte.

Lena seufzte leise, machte einen Schritt – und stieß beinahe mit einer anderen Teilnehmerin zusammen.

„Upsi!“, sagte die Frau. Klein, energisch, mit grellrotem Lippenstift und einem Blick, als hätte sie schon mehrere Ehen und ein verlorenes Aktienpaket hinter sich.

„Ich bin Roxy“, sagte sie. „Wahrscheinlich die Älteste hier. Aber hey – Diamanten entstehen unter Druck und im Alter, oder?“

„Lena“, sagte Lena. „Noch kein Diamant. Eher… Rohmaterial mit Kaffeeabhängigkeit.“

Roxy grinste. „Sympathisch. Sag mal, sind Weingüter jetzt wieder in?“

„Äh… Sind sie das nicht immer?“

Roxy prostete Lena zu.

„Du wirkst so, als hättest du grad ’ne Schicht hinter dir“, sagte sie.

„Ah, so?“

„Und hast ’nen Blick wie jemand, der heute schon sieben Mal gelächelt hat, obwohl er’s nicht wollte.“

Lena lachte.

„Wow. Bist du Gedankenleserin?“

„Zweite Scheidung. Danach entwickelt man Instinkt.“

Roxy musterte sie. „Also, Lena...- so heißt du doch?.... Was treibt dich hierher? Und sag jetzt nicht: ‚Ich will mich weiterentwickeln‘. Das ist der vegane Brotaufstrich unter den Antworten.“

Lena zögerte. Sah sich um. Auf all die Frauen, die wie Zielgruppen aussahen. Hochglanz in Pumps. Dann sagte sie langsam: „Ich glaub… ich wollt wissen, ob ich überhaupt hierher passe.“

Roxy zog eine Braue hoch.

„Und?“

„Noch kein Urteil. Aber ich hab schon dreimal gelächelt, obwohl ich’s nicht wollte. Zählt das?“

„Das zählt sogar doppelt.“

Sie prosteten sich zu.

Ein kurzer Moment, in dem sich nichts drängte. Kein Ehrgeiz. Kein Coaching. Nur zwei Frauen, die auf derselben Metaebene miteinander anstießen.

„Weißt du, was ich glaube?“, sagte Roxy dann. „Du bist zwar hier, um jemand anders zu finden, aber vorher willst du dich selbst finden. Und das ist jetzt nicht als esoterisches Geblubber gemeint, sondern ganz praktisch: Wenn du weißt, was du willst, erschreckst du dich nicht mehr, wenn du’s kriegst.“

Lena runzelte die Stirn. „Wow. Das war jetzt fast... weise.“

„Fast? Schatz, ich bin eine wandelnde TED-Talkerin. Aber mit Aperol.“

Sie lachten beide. Und in diesem Lachen war zum ersten Mal das Gefühl, dass dieser seltsame Kurs vielleicht mehr konnte als Hochglanzträume verkaufen.

Lenas Hände fühlten sich irgendwie zu schwer an für so ein kleines Glas, aber sie tat so, als wäre sie es gewohnt, regelmäßig bei Empfängen Champagner zu trinken. So fühlte sie sich wenigstens ein bisschen weniger wie eine unwillkommene Verwandte beim Familienfest.

Carina trat hinzu. Sie hielt ihr Glas in der Hand, als wäre es der teuerste Tropfen, den sie je in der Hand gehalten hatte. Ihre Lippen zogen sich in einem fast perfekten Lächeln nach oben, doch Lena hatte das Gefühl, dass das Lächeln viel mehr mit dem Glanz ihrer weißen Zähne zu tun hatte, als mit echter Freude.

„Also, ich muss sagen“, begann Carina, „das ist jetzt nicht mein erster Kurs dieser Art. Ich habe schon bei einigen hochkarätigen Veranstaltungen teilgenommen, trotzdem bin ich wirklich gespannt, wie hier die Leute ticken.“

Sie klang dabei so, als würde sie gerade von einem exklusiven Club berichten, aber Lena nickte trotzdem höflich.

Nicht weit entfernt stand Tami, die sich mit einem erfrischend offenen Grinsen ein zweites Glas gefischt hatte. „Ach, wie schön“, sagte sie laut, „ich liebe es, mit neuen Leuten zu quatschen! Wisst ihr, was das Beste an so einem Kurs ist? Man redet nicht viel – und man kann sich gleichzeitig ein bisschen ausruhen, weil die Leute denken, man tut was Wichtiges.“

Sie zwinkerte ihren Nachbarinnen zu, und Lena konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Tami schien die Art von Person zu sein, die sich in jedem Raum wie zu Hause fühlte.

„Ich mag es, mit echten Menschen zu reden, die keinen Filter haben“, fuhr Tami fort. „Also keine Marketingmasche oder so. Wisst ihr, was ich meine?“ Sie gab sich, als hätte sie gerade das Geheimnis des Universums in einem Satz gelöst.

Lena nickte – und sah zu Roxy.

Sie hatte das Gefühl, dass die sich nicht von irgendwelchen gesellschaftlichen Regeln beeindrucken ließ.