Astrid Lindgren - Susanne Lieder - E-Book
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Astrid Lindgren E-Book

Susanne Lieder

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Beschreibung

Als Kinderbuchautorin ist sie weltberühmt, doch wer kennt sie als Frau und Liebende? 

1929: Endlich ist Astrid wieder mit ihrem Sohn Lasse vereint. Als unverheiratete Mutter hat sie es nicht leicht, aber sie will es schaffen. Für Lasse und für sich. Jahre später scheint dies alles vergessen. Astrid hat ihre große Liebe Sture geheiratet. Was geblieben ist, sind die Geschichten, die sie ihrem Sohn und ihrer Tochter Karin erzählt. Geschichten über ein mutiges Mädchen mit zwei Zöpfen und einem Affen. Astrid beginnt sie aufzuschreiben und schickt sie an einen Verlag. Ihr plötzlicher Erfolg als Autorin kommt überraschend. Eigentlich könnte jetzt alles gut sein. Doch zwischen Astrid und Sture kriselt es, und dann ereilt die Familie ein tragischer Schicksalsschlag. 

Das einfühlsame Porträt einer der wichtigsten Frauen unserer Zeit, die mit ihren Geschichten Generationen von Kindern glücklich macht.

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Seitenzahl: 376

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Über das Buch

Von einem Tag auf den anderen ändert sich Astrids Leben, als sie ihren dreijährigen Sohn Lasse endlich wieder zu sich nehmen kann. Wenn er nachts in ihren Armen liegt, ist ihr Glück vollkommen, doch als alleinerziehende Mutter ist der Alltag nicht immer leicht. Dann verliebt sie sich in Sture, der nicht nur die Schatten ihrer Vergangenheit vertreibt, sondern sich auch rührend um Lasse kümmert. Zu dritt verbringen sie ausgelassene Sommer auf dem Hof ihrer Kindheit in Vimmerby, und bald schon wird ihre Tochter Karin geboren. Abend für Abend erzählt Astrid ihren beiden Kindern zum Einschlafen Geschichten. Noch ahnt sie nicht, dass diese Erzählungen einmal Generationen von Kindern glücklich machen und um die Welt reisen werden …

Über Susanne Lieder

Susanne Lieder ist in der Nähe von Bad Oeynhausen aufgewachsen und lebt mit ihrer Familie südlich von Bremen. Seit 2012 arbeitet sie hauptberuflich als Schriftstellerin und hat sich damit ihren Kindheitstraum erfüllt. Sie schreibt Unterhaltungsromane, historische Romane und Romanbiografien.

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Susanne Lieder

Astrid Lindgren

Ihr Leben ist voller Kindheit, in der Liebe muss sie nach dem Glück suchen

Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

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Widmung

Motto

Teil 1 — 1929–1931

Kapitel 1: Stockholm im Winter 1929

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5: Stockholm, 1930

Kapitel 6

Kapitel 7: Vimmerby, Hof Näs im Frühjahr

Kapitel 8

Kapitel 9: Stockholm im Herbst

Kapitel 10: Stockholm im Frühjahr 1931

Teil 2 — 1933–1934

Kapitel 11: Stockholm im Herbst 1933

Kapitel 12: Stockholm im Frühjahr des folgenden Jahres

Teil 3 — 1941–1942

Kapitel 13: Stockholm im Frühjahr 1941

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16: Stockholm im Herbst desselben Jahres

Kapitel 17: Stockholm im Winter

Kapitel 18

Kapitel 19: Vimmerby, Hof Näs im Frühjahr 1942

Kapitel 20: Furusund im Sommer

Teil 4 — 1944–1946

Kapitel 21: Stockholm im Winter 1944

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27: Stockholm im Frühjahr 1945

Kapitel 28: Furusund im Sommer

Kapitel 29: Stockholm

Kapitel 30

Kapitel 31: Stockholm im Jahr darauf

Teil 5 — 1949–1950

Kapitel 32: Stockholm im Frühjahr 1949

Kapitel 33

Kapitel 34: Furusund

Kapitel 35: Hamburg im Herbst

Kapitel 36: Stockholm, Ostern 1950

Teil 6 — 1952–1953

Kapitel 37: Stockholm im Frühjahr 1952

Kapitel 38

Kapitel 39: Furusund

Kapitel 40: Stockholm, Ende des Jahres

Kapitel 41: Hamburg im Herbst 1953

Kapitel 42: Berlin, zwei Tage später

Kapitel 43

Teil 7 — 1958

Kapitel 44: Stockholm im Frühsommer

Kapitel 45: Zwei Tage nach Karins Hochzeit

Nachwort

Quellennachweis

Impressum

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Für Ella

Wenn ich auch nur eine einzige düstere Kindheit erhellen konnte, bin ich zufrieden.

Astrid Lindgren

Teil 1

1929–1931

Kapitel 1

Stockholm im Winter 1929

Astrid zog die Schultern hoch. Sie fror und kroch noch tiefer in ihren Wollmantel.

Was für ein ungemütliches Wetter! Der Himmel war voller grauer Wolken, die tief und schwer über der Stadt hingen. Es sah aus, als würden sich die Häuser Stockholms darunter ducken. Die kahlen Bäume im Vasapark, den Astrid und ihr Sohn Lasse nun passierten, glänzten vor Nässe.

Alle warteten sehnsüchtig auf Schnee, doch dieses Jahr würde es wohl keine weiße Weihnachten geben.

Der dreijährige Lasse trabte missmutig neben ihr her, die Mütze tief ins Gesicht geschoben. »Wann sind wir endlich da?«

»Gleich, nur noch ein paar Schritte. Ein scheußliches Wetter, nicht wahr?«

Er hob den Kopf und schaute sie verwundert an, als verstünde er die Frage nicht.

»Wenn es morgen besser ist, könnten wir in den Park gehen«, schlug sie vor, als sie die Straße überquerten, seine Hand fest in ihrer. Sie hatte schreckliche Angst, er könnte sich losmachen und ihr davonlaufen. Wäre sie an seiner Stelle, würde sie es tun. Wie musste er sich fühlen! Er wurde aus seiner Routine, seinem Leben gerissen und in ein neues gesteckt. Ohne, dass er gefragt worden war. Es ging nicht anders, es gab keine andere Möglichkeit, doch das konnte er nicht verstehen.

Astrid hatte gar nicht erst versucht, es ihm zu erklären.

Stattdessen hatte sie sich vor ihn gehockt und gesagt: »Du musst jetzt mit mir kommen, Lasse.«

»Und wohin?«, hatte er gefragt, die großen blauen Augen ängstlich auf sie gerichtet.

»Nach Stockholm.«

»Aber ich will hierbleiben.« Seine Stimme war ein Flüstern gewesen. »Bei meiner Mama.«

Ihr Herz hatte sich zusammengekrampft. Ich bin deine Mama, Lasse. Wie gern würde sie es aussprechen und ihn daran erinnern, was er doch längst wusste. »Marie ist sehr, sehr krank«, hatte sie mit rauer Stimme erwidert. »Deswegen nehme ich dich mit zu mir.«

»In den Park, versprochen?«, fragte er nun, und sie zuckte zusammen.

Seit sie Kopenhagen verlassen hatten, hatte er kaum ein Wort gesprochen. Im Zug hatte er still dagesessen, die kleinen Hände im Schoß. Sein trauriger Blick war unruhig hierhin und dorthin gehuscht, bis er irgendwann an ihr hängengeblieben war. Muss ich wirklich mit dir kommen?, stand darin geschrieben, und sie hätte gern die Arme um ihn geschlossen und ihn fest an sich gezogen.

»Ja, wir könnten Fangen oder Verstecken spielen. Oder auf Bäume klettern.«

Lasse zog einen Schmollmund, und sie befürchtete, er würde weinen. Doch das tat er nicht. »Mit Carl und Esse hab ich auch Fangen gespielt.« Wieder waren seine Worte geflüstert, mühsam hervorgebracht.

Astrid war, als nähme man ihr das Herz aus der Brust und zerdrückte es vor ihren Augen. »Ich weiß, Lasse.«

»Wann kann ich wieder heim?«

Sie schluckte. »Du bleibst bei mir, das habe ich dir doch erklärt, mein Kleiner.« Sie hatte ihn gar nicht so ansprechen wollen, weil sie befürchtete, ihn damit zu verschrecken.

Wieder schluckte sie. Reiß dich zusammen und mach weiter.

Das waren die Worte ihrer Mutter, die sie im Laufe ihres Lebens so häufig gehört hatte, dass sie sich ihr eingebrannt hatten.

Energisch räusperte sie sich und deutete nach vorn auf ein graues Haus mit weißer Eingangstür. »Siehst du das Haus dort drüben? Da wohne ich.«

Der Regen tropfte ihr in den Kragen, ihr Kopftuch war völlig durchnässt. Als sie in die Manteltasche griff, um ihren Schlüssel hervorzuholen, trat ihre Nachbarin aus dem Haus.

»Guten Tag, Frau Terstegen.« Astrid wich das Blut aus dem Gesicht, gleichzeitig fühlte es sich heiß und brennend an.

»Wen haben wir denn da?« Ihre Nachbarin sah Lasse an, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Du bist aber ein niedlicher kleiner Junge. Wie heißt du denn?«

»Er heißt Lasse«, erklärte Astrid hastig.

Frau Terstegen blickte erst zu ihr, dann zu ihm und schien zu überlegen – und sich sehr wahrscheinlich zu fragen, in welchem Verhältnis sie zueinanderstanden.

Astrids Wangen glühten. »Komm, Lasse.« Sie schob ihn vor sich her durch die Haustür. »Einen schönen Tag noch.«

»Wünsche ich Ihnen auch, Fräulein Ericsson.«

Hatte sie »Fräulein« betont? Unsinn, das bilde ich mir ein.

Mit zittrigen Händen nahm Astrid die Post aus dem Briefkasten; zwei Briefe für ihre Vermieterin, ein zerknitterter, feucht gewordener Werbezettel eines Kaufhauses und eine Karte von ihrem Bruder.

Lasse rümpfte die Nase. »Iih, hier stinkt’s.«

Sie musste lachen. »Das ist nichts Ungewöhnliches. Daran gewöhnst du dich.« Man gewöhnte sich bekanntlich an alles.

Als sie die Treppe hinaufgingen, betrachtete sie erneut ihren kleinen Sohn, das Kind, das sie gleich nach seiner Geburt bei einer Pflegefamilie hatte zurücklassen müssen. Sie hatte damals keine andere Wahl gehabt, hatte Vimmerby Hals über Kopf verlassen.

Nun war ihr Sohn bei ihr –, und wieder hatte sie keine andere Wahl gehabt. Lieber hätte sie Lasse aus freien Stücken zu sich geholt. Weil die Zeichen nun günstig standen. Weil sie endlich seine Mutter sein durfte und sich um ihn kümmern konnte. Doch wieder hatte das Schicksal die Karten gemischt.

Es fühlte sich unwirklich an, ihn bei sich zu haben, hier in diesem Haus, in dieser Stadt.

»Manchmal riecht es nach nassem Hund«, plapperte sie drauflos und hoffte, ihm ein Lachen entlocken zu können. »Obwohl niemand hier einen hat.«

Lasse schaute sie ernst an.

»Aber ich weiß, wer einen hat«, sprach sie weiter, während sie die Wohnungstür aufschloss. »Du magst doch Hunde, oder?«

Ihr Sohn schwieg, blickte sich nur in dem schmalen Flur um.

Sie unterdrückte ein Seufzen. »Komm, ich zeige dir mein Zimmer.«

Es gab nur dieses eine Zimmer, in dem schlief und aß Astrid, beantwortete ihre Post und las in ihren Büchern.

»Wo ist mein Zimmer?«, fragte Lasse, nachdem sie sich ausgezogen und die Haare trocken gerubbelt hatten.

Sie deutete auf das kleine Bett, das sie von ihrem letzten Geld gekauft hatte. Sie hatte so feilschen müssen, dass es ihr peinlich gewesen war. Jetzt hatte sie keine einzige Krone mehr. Vielleicht könnte sie ihren Chef um einen kleinen Vorschuss bitten.

Ihr Geld reichte nie, und oft hatte sie nicht nach Kopenhagen fahren und ihren Sohn besuchen können.

Gott sei Dank hatte ihre Mutter Anfang der Woche wieder ein Ess-Paket mit Brot, einem Töpfchen gesalzener Butter, Wurst, Käse und sogar einem kleinen Kuchen geschickt. Ohne diese regelmäßigen Pakete wäre sie aufgeschmissen gewesen.

»Setz dich drüben aufs Bett, Lasse. Du hast doch bestimmt Hunger. Meine Mutter hat uns einen leckeren Käse geschickt.« Sie verstummte, ärgerte sich, dass sie nicht »deine Großmutter« gesagt hatte. Aber würde sie ihn damit nicht überfordern? Schließlich kannte er seine Großeltern nicht.

Astrid sank auf ihr Bett, das sich gleich neben Lasses befand. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, alles breche über ihr zusammen. Sie würde es nicht schaffen, für Lasse zu sorgen. Was hast du dir nur gedacht, dummes Schicksal? Wie soll ich eine gute Mutter sein? Wie soll er es bei mir so gut haben, wie bei Marie? Ich weiß ja kaum, wie ich selbst über die Runden kommen soll.

»Bist du traurig?« Lasse streckte die Hand nach ihrer aus, und sie nahm und drückte sie sacht.

»Ein bisschen vielleicht.«

»Und wieso?«

»Weil … weil ich mich an so vieles gewöhnen muss.« Genau wie du.

Lasse nickte mit ernster Miene.

Astrid spürte einen dicken Kloß im Hals, und wieder zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Immer das Herz, dachte sie bekümmert, straffte dann jedoch die Schultern. Reiß dich zusammen! Für ihn ist es weit schlimmer als für dich.

»Komm, ich schneide dir eine Scheibe Brot und ein dickes Stück Käse ab.«

»Ich hab keinen Hunger.« Seine Augen blickten umher, als frage er sich, was er hier zu suchen hatte. Und ob er es hier eine Weile aushalten könnte –, und wie lang diese Weile wäre. »Kommt Mama bald und holt mich ab?« Es klang bange, als ahne er, wie die Antwort ausfallen würde und dass er sie nicht hören wollte.

»Marie ist sehr krank, Lasse«, erwiderte Astrid sanft.

Es war das Herz. Ist es nicht immer das Herz?, hatte sie gedacht, als seine Pflegemutter sie über ihren Zustand unterrichtet hatte. Entweder es war klinisch krank, oder man litt aus ganz anderen Gründen an Herzweh: aus Traurigkeit, Alleinsein, Schuldgefühlen, Scham, unglücklichem Verliebtsein. Allem zusammen.

Astrid schnitt zwei Scheiben Brot ab, bestrich sie mit Butter und legte sie auf zwei Teller. Dann nahm sie den Käselaib und betrachtete ihn nachdenklich. Wie soll es bloß weitergehen? Wie soll ich mich um meinen Sohn kümmern, der mich jetzt so dringend braucht?

Sie hob den Blick und schaute zu ihm, wie er dort auf dem Bett saß und mit den Beinchen baumelte. Er war schon wieder gewachsen, jedes Mal, wenn sie ihn in Kopenhagen besucht hatte, war er wieder ein Stückchen größer. »Irgendwann wirst du noch an die Zimmerdecke stoßen«, hatte sie ihn beim letzten Besuch geneckt.

Nein, beim vorletzten, korrigierte sie sich. Bei ihrem letzten Besuch hatte sie seinen kleinen Koffer gepackt und hilflos mitangesehen, wie er sich erst von Carl und Esse und schließlich von Maries Schwester verabschiedete, die ihn vorübergehend aufgenommen und leise gesagt hatte: »Du musst jetzt ein großer, vernünftiger Junge sein, ja?«

Astrid hatte in der Tür gestanden, im Hals einen hühnereigroßen Kloß, im Magen ein heißes Brennen und das Herz wund vor Kummer. Vernünftig. War sie je vernünftig gewesen?

Sie schnitt Käse ab, zerteilte ihn in Stücke und legte ihn auf die Teller. Als sie damit zu Lasse ging, schüttelte er den Kopf.

»Aber du musst etwas essen.«

»Kein Hunger.« Ihr Sohn drehte den Kopf in die andere Richtung, und sie stellte den Teller neben ihn aufs Bett.

»Ich muss gar nichts«, hätte sie als kleines Mädchen erwidert.

Mit »müssen« und »das macht man so« hatte man ihr gar nicht zu kommen brauchen. Und ihre Mutter hatte es auch nicht erst versucht. »Wenn du mit knurrendem Magen schlafen gehen willst, bitte sehr«, hätte sie gesagt. »Dann wirst du bis zum Frühstück warten müssen.«

Astrid hatte oft genug Lehrgeld zahlen müssen, weil sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, unbedingt etwas ausprobieren wollte. Beschwert hatte sie sich hinterher nie, sondern es stets als Erfahrung verbucht.

Lasse starrte die gegenüberliegende Wand an, an der ein schmales Bücherregal stand.

»Wenn du möchtest, lese ich dir später etwas vor.« Sie ließ es heiter klingen, fröhlich, als seien sie zu einer Übernachtungsparty verabredet. »Ach nein«, sagte sie dann. »Ich fürchte, ich habe gar kein Kinderbuch da. Aber ich könnte dir eine Geschichte erzählen.«

Lasses blauen Augen blitzten, und sie spürte, wie sich der Knoten in ihrem Hals etwas lockerte. »Du magst doch Geschichten, nicht wahr?«

Ein zögerliches Nicken, und ihr Herz machte einen kleinen übermütigen Satz. Vielleicht würde sie es ja doch schaffen, vielleicht konnte sie ihm ja doch eine richtige Mutter sein.

In der Nacht saß sie im Bett, den Rücken an die Wand gelehnt, die Decke über den Knien, und lauschte Lasses Atem.

Er hatte lange gebraucht, bis er endlich eingeschlafen war.

Sie sollte wenigstens versuchen, noch zwei, drei Stunden zu schlafen, aber sie wusste, dass es zwecklos war.

Wie oft hatte sie sich in den vergangenen drei Jahren gefragt, ob Lasse wohl gerade an sie dachte, sie vermisste oder sich nach und nach von ihr entfremden würde. Als er Marie das erste Mal in ihrer Gegenwart »Mama« genannt hatte, hatte sie sich schnell umgedreht und die Hand vor den Mund gepresst.

Lasse murmelte etwas im Schlaf und drehte sich um. Sein Bettzeug raschelte, und Astrid stellte sich vor, wie sie zu ihm unter die Decke kroch und sich an ihn kuschelte. Irgendwann würde sie sich trauen.

Ihr Leben, ihr Alltag, würde sich komplett ändern. Sie war nun eine alleinerziehende Mutter, die für ihr Kind sorgen musste. Drei lange Jahre hatte sie es sich sehnlich gewünscht, und nun, da es so weit war, zog sich ihr Magen vor Furcht und Anspannung zusammen.

Astrid schloss die Augen. Ich schaffe das. Wie ich bisher alles geschafft habe, was ich schaffen musste.

Auch wenn sie beinahe jedes Mal einen Umweg hatte machen müssen.

Kapitel 2

Astrid schreckte auf – noch immer saß sie an die Wand gelehnt im Bett –, als Lasse plötzlich vor ihr stand und ihre Schulter berührte. »Kann ich heute wieder heim?«

Sie musste sich eisern beherrschen, nicht aufzuschluchzen, und nur mit großer Mühe brachte sie hervor: »Nein, mein Kleiner. Ich werde von nun an für dich sorgen.«

So lange hatte sie diesen Satz nicht aussprechen dürfen. Nun konnte sie es, und es fühlte sich schrecklich an. Weil sie ahnte, was gerade in ihrem Sohn vorging, wie groß seine Angst war und wie sehr er sein altes Leben herbeisehnte. Sein kleines Herz musste sich noch viel wunder anfühlen als ihres.

Ich müsste doch eifersüchtig sein, dachte sie, mein Herz müsste brennen vor Eifersucht.

Aber alles, was sie fühlte, waren Traurigkeit, weil es ihrem Sohn schlecht ging, und ein schlechtes Gewissen, weil sie dafür verantwortlich war.

Eine Träne quoll aus seinem Auge und rann über seine Wange.

Bevor Astrid sich besinnen konnte, hatte sie die Hand ausgestreckt und sacht mit dem Daumen darüber gewischt. »Nicht weinen, Lasse.« Ihre Stimme brach, und sie schluckte.

Kein Laut, nicht ein einziger Ton kam aus seiner Kehle, nur ein paar Tränen liefen ihm übers Gesicht. Tränen, die für Astrid wie eine stumme Anklage waren.

Das Gesicht ihres Sohnes, der vor ihr stand und lautlos weinte, würde sich auf ewig in ihr Gedächtnis brennen.

Lasse ließ sich klaglos und stumm anziehen und wehrte sich auch nicht, als Astrid ihn anschließend an der Hand nahm und in die Küche brachte, wo Frau Berglund, ihre Zimmerwirtin, gerade Frühstück machte. Sie hatte versprochen, auf ihn aufzupassen.

»Da sind Sie ja, Astrid.« Sie drehte sich zu ihnen um, ein breites, herzliches Lächeln im Gesicht. »Du bist also Lasse, deine Mama hat mir viel von dir erzählt.«

Was nicht stimmte, im Gegenteil, Astrid hatte kaum etwas gesagt, sondern nur gefragt, ob sie ihn vorerst bei ihr lassen könnte, bis sie eine andere Lösung gefunden hätte.

Frau Berglund strich Lasse übers Haar. »Du darfst mich Vera nennen.«

Keine Reaktion, nur ein scheuer Blick aus seinen großen Augen.

Astrid rang sich ein Lächeln ab. »Vielen Dank, Frau Berglund, ich weiß das wirklich sehr zu schätzen, dass Sie so freundlich sind und sich um ihn kümmern.« Sie beugte sich zu Lasse herunter und legte die Hände auf seine Schultern. Wie zart und zerbrechlich er wirkte. »Bis heute Abend. Ich verspreche dir, dass ich ganz pünktlich sein werde. Und du suchst dir aus, was wir spielen, ja?«

Noch immer reagierte er nicht, nur seine Unterlippe bebte leicht.

Astrid gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Ein »Sei brav, ja?« konnte sie gerade noch rechtzeitig verschlucken. Wie sehr hätte sie es gehasst, wenn es jemand zu ihr gesagt hätte –, und wie überrascht sie war, dass sie es überhaupt gedacht hatte. Abrupt wandte sie sich ab und lief aus der Tür.

Astrid war froh, die Stelle als Sekretärin im Königlichen Automobilclub ergattert zu haben. Meistens ging es dort lustig zu, die Arbeit machte ihr Spaß, und sie mochte ihre Kollegen, die freundlich und umgänglich waren. Den Weg zur Redaktion genoss sie stets, weil sie gern früh am Morgen unterwegs war, wenn Stockholm erwachte und die Luft frisch und klar war.

Heute jedoch nahm sie den Weg kaum wahr. Sie hatte die Arme um ihren Oberkörper geschlungen, und das Geräusch ihrer Absätze auf dem feuchten Asphalt hallte unwirklich in ihren Ohren.

Es war, als beobachte sie sich von außen: Eine junge Frau mit Bubikopf, die eilig und weit ausschritt, gehüllt in einen hellen Mantel, der schon bessere Zeiten gesehen hatte.

Weinte Lasse? Stand er am Fenster und hatte ihr hinterhergeblickt?

Astrid musste an ihren Besuch im Småländer Kinderheim vor gut einem Jahr denken. Britta, die dreijährige Tochter einer Freundin, lebte dort. Ebba schien es nicht das Herz zu zerreißen, ihr Kind dort untergebracht zu wissen. Das wirklich Schlimme aber war, dass sie immer wieder neue Ausreden hatte, um ihr kleines Mädchen nicht besuchen zu müssen.

Also hatte Astrid beschlossen hinzufahren, um zu sehen, wie es ihr ging. Das Kinderheim war ein Haus aus rotem Backstein und einer breiten Holztür. Es sieht doch ganz einladend aus, hatte sie gedacht. Es war merkwürdig still im Gebäude gewesen, keine Stimmen, keine Schritte, kein Lachen.

Astrid hatte an eine Tür geklopft und nach Britta gefragt, und man hatte sie in einen Raum gebracht, der karg und trostlos aussah. Um einen großen Tisch saßen Kinder und blickten auf, als sie hereinkam. Die Frau, die sie hergeführt hatte, zeigte auf ein kleines Mädchen mit blonden Ponyfransen. »Das ist Britta. Komm her, Kind!«

Das Mädchen stand auf, sein Stuhl knarzte, als er über den Boden geschoben wurde.

»Gib Fräulein Ericsson die Hand. Sie ist extra hergekommen, um zu sehen, dass du es gut hast.«

Astrid hob das Mädchen hoch und setzte es auf ihre Hüfte. »Ich bin eine Freundin deiner Mama. Sie kann heute nicht kommen, deshalb bin ich da.« Sie wurde nicht einmal rot.

Auch die anderen Kinder waren aufgestanden und zu ihr gekommen. Ein Dutzend Augenpaare blickten sie an, und sie meinte außer Neugier noch etwas in den Blicken zu erkennen: Hoffnung.

Im Raum gab es außer dem Tisch und mehreren Stühlen nur ein schmales Regal mit einer Handvoll Büchern darin und auf dem Fußboden eine Holzkiste mit bunten Bauklötzen und zwei Stoffpuppen, die genauso jämmerlich und traurig aussahen wie die Mädchen, die mit ihnen spielten.

Astrid hatte nie viel Spielzeug besessen, warum auch, sie und ihre Spielkameraden – ihre Geschwister, die Kinder der Mägde und Knechte auf Näs und die Nachbarskinder – hatten mit allem gespielt, was die Natur ihnen schenkte. Sie hatten Baumhäuser gebaut und Kuhlen für Höhlen gegraben, waren vom Heuboden ins Stroh gesprungen und auf dem Dachboden auf Entdeckungstour gegangen. Irgendetwas hatten sie immer gefunden, so wie in jedem Frühjahr kleine Kätzchen, die übereinander purzelten. Astrids Bruder Gunnar war ihr Sachensucher gewesen. Er war wie ein Spürhund, und Astrid hatte ihn aufgezogen, dass er doch eigentlich auch auf allen vieren laufen könnte. Das hatte er prompt getan, und die anderen hatten sich vor Lachen gar nicht mehr eingekriegt.

Das alles ging ihr durch den Kopf, als sie mit Britta auf der Hüfte dastand und in die sehnsüchtigen Augen der Kinder schaute. Beklemmung überkam sie, und das Mitgefühl für diese armen kleinen Geschöpfe, die ohne liebevolle Bezugsperson aufwachsen mussten, machte ihr das Herz schwer. Sie empfand aber auch Empörung über die Zustände, die in diesem Kinderheim herrschten.

»Spielst du mit uns? Hast du uns was mitgebracht?«, kam es plötzlich von allen Seiten.

Astrid stellte Britta auf die Füße und fasste in ihre Manteltasche, in der sich ein paar Bonbons befanden, die sie vorsorglich eingesteckt hatte.

Wie dumm von mir, so dumm! Ich habe viel zu wenig eingepackt.

Erst da bemerkte sie eine weitere Frau, jünger als die andere, die in der Ecke an einem kleinen Tisch saß und etwas auf ein Blatt Papier schrieb. Ob sie die Kinder beobachten sollte und alles peinlich genau dokumentierte?

Astrid fühlte sich unbehaglich und murmelte einen leisen Gruß, der nicht erwidert wurde.

Aber oh, als sie die Bonbons aus der Manteltasche nahm, kam die Frau plötzlich herbeigeeilt, schnappte sich die Bonbons und verteilte sie ruckzuck an die Kinder. Das geschah so schnell, dass Astrid nicht sehen konnte, wer leer ausgegangen war. »Das ist aber nett von Fräulein Ericsson, nicht wahr, Kinder?«

Ein weizenblonder Junge hatte kein Bonbon abbekommen, und er war sicher nicht der einzige. Er sah den anderen dabei zu, wie sie ihres auspackten und in den Mund schoben, und begann zu schluchzen. Seine Unterlippe zitterte.

»Sei nicht albern, Rune«, sagte die Frau zu ihm. »Es war halt keins mehr übrig.«

»Aber ich will auch eins!«, heulte er und stellte sich vor Astrid, die Hand ausgestreckt.

»Das macht man nicht!«, schimpfte die Frau und wollte ihn wegziehen.

»Tut mir leid«, hatte Astrid zur gleichen Zeit gesagt und sich hingehockt. »Ich komme wieder und bringe mehr mit, versprochen.«

Der Kleine wischte sich den Rotz mit dem Ärmel seines Pullovers weg. »Kriege ich dann zwei? Weil ich doch heute gar keins gekriegt habe?«

»Wirst du wohl brav sein!«, schimpfte die Frau und zog ihn kurzerhand weg. Sie setzte ihn auf einen Stuhl und sprach mit ihm. Ihre Worte klangen tadelnd, schroff und hartherzig, und Astrid krampfte sich der Magen zusammen. Am liebsten würde sie die Kinder nehmen und mit ihnen davonrennen. Wie konnte Ebba ihre Tochter nur hierlassen und sie nicht einmal besuchen?

Astrid war einmal mehr froh, Marie gefunden zu haben. Ihr kleiner Sohn hatte nicht in einem Kinderheim aufwachsen müssen.

Auch jetzt, als sie die Straße überquerte und auf das Haus zusteuerte, in dem sich der Königliche Automobilclub befand, waren die Emotionen von damals wieder so präsent, dass ihr übel wurde.

Bevor sie die Tür öffnete, straffte sie die Schultern und betete den Leitsatz ihrer Mutter herunter, der mittlerweile auch zu ihrem geworden war: Zusammenreißen und weitermachen.

»Du bist heute so schweigsam«, meinte ihre Kollegin Ingrid, als sie sich später im Büro gegenübersaßen, beide den Kopf über die Schreibmaschine gesenkt. »Du wirst doch nicht krank?«

»Ich und krank.« Astrid setzte ein heiteres Gesicht auf. Darin war sie gut, sogar so gut, dass ihre Mutter dann und wann darauf hereinfiel. »Ich habe nur schlecht geschlafen.«

Ingrid stand auf, blickte sich rasch um und setzte sich auf die Ecke von Astrids Schreibtisch. Mit einem Bein baumelnd fragte sie: »Warum sagst du Herrn Lindgren nicht, dass du dich nicht gut fühlst? Ich kann deine Arbeit übernehmen.«

»Das ist lieb, aber nicht nötig. Ich schaffe das schon.«

»Wie du meinst.« Ihre Kollegin zuckte mit den Schultern, ging zurück zu ihrem Tisch und arbeitete weiter.

Astrid unterdrückte ein Seufzen und versuchte sich wieder auf den Brief zu konzentrieren, den sie abtippen sollte.

Sie mochte Ingrid sehr, aber sie konnte und durfte ihr Geheimnis nicht preisgeben. Es war nicht leicht, und so manches Mal hatte sie sich schon gewünscht, sich jemandem anvertrauen zu können.

Vielleicht sollte ich mich Ingrid gegenüber doch öffnen, überlegte sie, während sie ihrer Kollegin einen Blick zuwarf.

Sture Lindgren, ihr Chef, ein gutaussehender Mann mit einem erfrischenden Lächeln, das dann und wann ihr Herz zum Flattern brachte, kam aus seinem Büro. »Fräulein Ericsson? Ist der Brief an Olsson schon fertig?«

»Nein, aber ich bin gleich so weit.«

»Hatten Sie heute schon einen starken Kaffee?«

Astrid stutzte. Sah sie so übernächtigt aus? »Nein, ich …«

»Kommt gleich.« Sture zwinkerte ihr zu und verließ das Zimmer.

»Du hast einen Stein bei ihm im Brett.« Ingrid hatte einen Klappspiegel aus ihrer Handtasche genommen und richtete ihre Frisur. Sie drehte einen Lippenstift auf und zog ihre Lippen nach. »Ich wünschte, er würde mich mal so ansehen.«

Astrid lachte. »Also wirklich, Ingrid! Er ist verheiratet.«

»Na und? Würde er dich so ansehen, wenn er nur seine Frau im Kopf hätte?«

Astrid tippte weiter, spürte jedoch, wie ihr das Blut in die Wangen kroch. Sie fand Sture attraktiv, ja, und sie mochte ihn. Er war ein freundlicher, geduldiger Chef, der Humor hatte und viel lachte. Das gefiel ihr. Wieso auch nicht?

Ingrid grinste. »Wusste ich’s doch! Er gefällt dir.«

»Was du immer hast.« Astrid senkte hastig den Blick, ihre Finger flogen über die Tasten.

»Soll ich dir meinen Spiegel geben?«, raunte Ingrid und hob bedeutungsvoll die Augenbrauen. »Du glühst, Astrid.«

Sture kam wieder herein, in der Hand einen Becher mit dampfendem Kaffee. »Mit einem Schuss Milch, ohne Zucker.« Er stellte Astrid den Becher auf den Tisch. »Genau so wie Sie ihn mögen.«

Dass er sich das gemerkt hatte! Oh bitte, werde jetzt bloß nicht wieder rot, Astrid! »Danke, Herr Lindgren«, stammelte sie.

Er lächelte sie an und ging zurück in sein Büro. »Bringen Sie mir den Brief, wenn er fertig ist!«, rief er noch, bevor er die Tür schloss.

Ingrid legte die Hand auf ihr Herz und sagte mit theatralischer Stimme: »Ach, wie wünschte ich mir, er hätte mich auserkoren!« Sie warf dramatisch den Kopf zurück, und Astrid musste so lachen, dass sie etwas Kaffee auf ihren Rock verschüttete.

Ihr Magen grummelte. Seit dem eher kärglichen Frühstück hatte sie nichts mehr gegessen. Für einen Zuckerkringel ihrer Großmutter würde sie alles geben!

Ingrid zog eine Schublade ihres Schreibtischs auf und nahm ein in Papier eingewickeltes belegtes Brot heraus. »Hier. Für dich.«

»Kommt ja gar nicht infrage.« Astrid schüttelte den Kopf. »Ich esse dir doch nicht dein Brot weg.« Wieder knurrte ihr Magen.

Ingrid deutete auf ihren Bauch. »Nun nimm schon und lass es dir schmecken. Smaklig måltid.«

Astrid wickelte es aus und seufzte genüsslich. Sie biss zweimal ab, wickelte es sorgsam wieder ein und legte es in ihre Schreibtischschublade. Für später. Erst würde sie den Brief zu Ende tippen.

Als er fertig war, zog sie ihn aus der Maschine und ging zu Sture.

Er saß, ihr den Rücken zugewandt und gemütlich zurückgelehnt, auf seinem Stuhl, die Füße auf der Fensterbank.

»Der Brief, Herr Lindgren.« Schüchtern war Astrid nie gewesen, doch in Stures Gegenwart fühlte sie sich immer ein wenig verunsichert. Er hatte etwas Verschmitztes und zugleich Herausforderndes an sich, das ihr ungeheuer gefiel, sie zugleich aber auch verwirrte.

»Haben Sie Lust auf etwas Süßes?« Er hatte sich noch nicht zu ihr umgedreht. Er schien sich auch nicht ertappt zu fühlen, weil er so leger dasaß.

»Ich verstehe nicht …«

Er stieß sich vom Fensterbrett ab, drehte sich um und öffnete die untere Schublade in seinem Schreibtisch. Das alles in einer einzigen geschmeidigen Bewegung, wie Astrid fasziniert bemerkte.

Sture nahm eine Packung Mürbekekse heraus und hielt sie ihr hin. »Greifen Sie zu, Astrid.« Es war das erste Mal, dass er sie so nannte.

»Vielen Dank.«

»Sture.« Ein Lächeln und wieder dieser herausfordernde Blick.

»Ich kann Sie doch nicht Sture nennen.«

»Nur, wenn wir allein sind. Einverstanden?«

Astrid schluckte. »Na schön.« Sie nahm einen Keks aus der Packung und schob ihn sich in den Mund.

Sture überflog den Brief, nickte und legte ihn zu den anderen vor sich. »Sind Sie zufrieden mit Ihrer Arbeit, Astrid?«

Wieso fragte er sie so etwas? »Ja, sehr.«

»Ich habe gehört, dass Sie ein Volontariat bei einer Zeitung gemacht haben.«

Wieder stieg Astrid die Hitze ins Gesicht. »Das stimmt.«

»Sie sollen sehr talentiert sein.«

Nach langer Zeit hatte sie wieder Reinholds Stimme im Ohr. ›Du bist eine äußerst talentierte Schreiberin.‹ Sie spürte sogar seine Hand auf der Schulter. ›Aus dir kann mal was werden.‹

Sie hatte gelacht. ›Und was zum Beispiel?‹

Er hatte den Kopf schief gelegt und sie betrachtet. ›Eine Schriftstellerin‹.

Sie hatte sich unter seinem Blick unbehaglich gefühlt. Gleichzeitig jedoch hatte sie noch etwas gespürt: Sie war kein Kind, kein hässliches Entlein mehr, für das sie sich immer gehalten hatte. Vielleicht bin ich ja doch ein Schwan geworden, hatte sie verblüfft und ein wenig stolz gedacht.

›Ich und Schriftstellerin.‹ Ihre Stimme hatte gekiekst.

»Astrid?«

Sie fuhr schuldbewusst zusammen. »Verzeihung.« Sie schüttelte den Kopf, um Reinholds Gesicht zu verscheuchen.

»Schreiben Sie gern?«, wollte Sture wissen.

»Kurze Geschichten, ja. Zum Bücher schreiben tauge ich ganz bestimmt nicht.«

Er sah sie verwundert an. »Vom Bücher schreiben habe ich nichts gesagt.«

»Oh, ich …« Sie musste sich räuspern. »Verzeihung, ich musste nur gerade an etwas denken.«

»An etwas oder an jemanden?«

Astrid blieb die Antwort schuldig, nahm einen weiteren Keks, bedankte sich und floh aus seinem Büro.

»Laufen Sie etwa vor mir davon?«, hörte sie ihn noch fragen, bevor die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.

Sie hätte keine Antwort darauf gehabt.

Kapitel 3

Seit drei Tagen hustete Lasse, besonders nachts war es schlimm. Astrid machte ihm Brustwickel, so wie sie es von ihrer Mutter kannte, doch die hatten nicht viel geholfen.

Auch in dieser Nacht lag sie wach und wartete darauf, dass er endlich einschlafen konnte.

Als er wieder hustete, stand sie auf und ging zu ihm. Sein Atem ging keuchend und rasselnd, und sie nahm seine warme Hand. »Ganz ruhig, mein Kleiner.«

»Mama?«, flüsterte er.

»Ja, ich bin hier, min son. Ich bin da.« Ob er sie oder vielleicht doch Marie meinte, war ihr in diesem Augenblick egal. Sie wollte einfach nur für ihn da sein.

Ein weiterer Hustenanfall schüttelte ihn, und Astrid half ihm, sich aufzusetzen, und stopfte ihm ein zusätzliches Kissen in den Rücken. Wenn er aufrecht saß, wurde es etwas besser.

»Muss ich jetzt sterben?«, wisperte er.

»Aber nein, Lasse.«

»Und wenn doch?«

Sie führte seine Hand an ihre Lippen und hauchte Küsse darauf. »Du wirst nicht sterben. Dafür werde ich schon sorgen.«

»Und wie?«

»Ich bin stark wie eine Löwenmutter und werde alle Gefahren verscheuchen, wart’s nur ab.«

Es blieb einen Moment still, dann kam ein zögerliches, ängstliches »Wirklich?«

»Natürlich. Was dachtest du denn? Du bist doch mein kleiner Lasse, und weißt du was? Du bist fast genauso stark wie ich, denn du bist ja mein Löwenkind.«

Er lachte, musste zugleich wieder husten.

Astrid strich ihm über den Rücken. »Möchtest du einen Schluck Wasser?« Sie gab ihm das Glas, das auf dem Nachtschrank stand, und hielt es an seine Lippen. »Schön vorsichtig. So ist es gut.«

»Ich bin so müde, Mama.«

Er hatte es wieder gesagt! Astrid legte die Hand auf ihr stolperndes Herz, wollte ihn an sich drücken, an ihrer Brust wiegen und ihm versichern, dass sie alles Böse von ihm fernhalten würde. Jetzt und für alle Zeiten.

»Du wirst gleich einschlafen«, sagte sie mit rauer Stimme.

»Versprochen?«

»Versprochen.« Wieder küsste sie seine Hand.

»Erzählst du mir eine Geschichte?«

Herz und Magen machten einen Satz, überboten sich geradezu.

Astrid musste schlucken, bis sie sprechen konnte. »Soll sie spannend oder lustig sein?« Sie hatte sich an ihn geschmiegt, und er war ganz selbstverständlich etwas zur Seite gerutscht.

»Geht auch beides?«

»Natürlich.« Astrid schloss kurz die Augen. Sie war so glücklich. Sie und Lasse kamen sich mit jedem Tag ein winziges Stückchen näher. Er schob sie nicht mehr weg oder drehte sich zur Seite, wenn sie ihn ansah. Er fragte auch nicht mehr ständig nach Marie.

Aber wie kann ich glücklich sein, wenn er so krank ist?

Sie räusperte sich. »Ich erzähle dir die Geschichte vom Riesen Bam-Bam und der Fee Viribunda.«

Astrid hatte erzählt und erzählt, bis sie irgendwann bemerkte, dass Lasse eingeschlafen war. Sein Kopf lehnte an ihrer Schulter, seine Hand noch immer in ihrer. Sein Atem ging pfeifend, aber einigermaßen ruhig.

Behutsam löste sie seine Hand aus ihrer, nahm das zweite Kissen weg und deckte ihn bis zum Kinn zu. Dann gab sie ihm einen Kuss und kroch unter ihre Bettdecke.

Die Geschichte von Bam-Bam und Viribunda hatte Edit, die Tochter des Kuhknechts, ihr erzählt, als sie klein gewesen war. Sie hatten in der Küche gesessen – oh, diese Küche! Es war herrlich dort gewesen, heimelig und warm, und sie träumte davon, selbst einmal eine solche Küche ihr eigen nennen zu können – : Edit auf der Küchenbank, die abends zur Schlafstelle ausgeklappt wurde, und Astrid auf einem Stuhl, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen.

Sie seufzte wehmütig. Wie lange das her war! Manchmal wünschte sie, sie könnte die Zeit zurückdrehen und wieder ein kleines Mädchen sein. Ohne Sorgen und Furcht vor dem nächsten Tag, weil man nicht wusste, was er brachte. Sie wünschte sich oft in diese heimelige Küche zurück, hatte wieder den Duft von überreifen Äpfeln und Käse in der Nase, den Edits Mutter gemacht hatte. Sah wieder Edit vor sich, wenn sie ihr vorlas, das Buch auf dem Tisch, die Ellbogen aufgestützt.

Astrid drehte sich auf die Seite und lächelte. Innerhalb kurzer Zeit schlief auch sie.

Lasse war in der Nacht wieder aufgewacht, von Hustenkrämpfen geschüttelt, und sie hatte neben ihm gesessen und sein Haar gestreichelt. Viel Schlaf hatte sie nicht bekommen, aber was war eine Mütze voll Schlaf schon gegen das himmlische, absolut berauschende Gefühl, Mutter sein zu dürfen?

Beseelt vor Glück und seiner Krankheit zum Trotz war Astrid in die Redaktion geschwebt, hatte allen mit fröhlicher, wenn auch durchwachter Stimme einen Guten Morgen gewünscht und sich an ihren Schreibtisch gesetzt.

Die Müdigkeit kam wie ein Paukenschlag, als sie den zweiten Bogen Papier in die Maschine einspannte. Sie gähnte und gähnte.

»Herrje, das kann man ja nicht mitansehen.« Ingrid schnalzte mit der Zunge. »Ich übernehme deine Arbeit, und du gehst nach Hause und legst dich aufs Ohr.«

»Bist du übergeschnappt?« Astrid hatte nach ihrem Wasserglas gegriffen und spritzte sich ein paar Tropfen ins Gesicht. »Ich kann doch nicht einfach nach Hause gehen.«

»Und ob du kannst. Ich werde dich sogar höchstpersönlich zur Tür bringen.« Ingrid war bereits aufgestanden.

»Lass das«, wisperte Astrid und musste lachen. Ingrid war zuzutrauen, dass sie sie sogar aus dem Büro tragen würde. »Ich werde einfach ein bisschen früher gehen.«

Ihre Kollegin seufzte ergeben. »Versprichst du’s?«

»Hoch und heilig.«

»Wieder schlecht geschlafen?«

»Miserabel. Ich glaube, ich habe mir eine Erkältung eingefangen«, improvisierte sie. »Ich bin neulich vom Regen überrascht worden.«

»Vielleicht solltest du mal zu einem Arzt gehen, Astrid. Du schläfst seit Wochen schlecht, und wenn du jetzt auch noch krank wirst …«

»Nein, nein, das wird nicht nötig sein.«

Ingrid kramte in ihrer Schublade. Astrid hatte sich längst daran gewöhnt, dass sie dort so einiges aufbewahrte und in den erstaunlichsten Momenten zutage förderte. »Wenn du Geld brauchst … Ich hab ein bisschen was gespart.«

Astrid hob die Hand. »Lass gut sein, Ingrid.«

»Wenn du mein Geld nicht annimmst, werde ich dich bei Herrn Lindgren verpetzen und sagen, dass du dich nach ihm verzehrst.«

Astrid blieb die Spucke weg. »Das bringst du fertig!«

»Na, und ob. Ich mein’s ernst, Astrid. Nimm die paar Kröten und geh zu einem Doktor.«

»Danke.« Astrid schluckte. Sie war gerührt. Hoffentlich würde sie nicht anfangen zu heulen.

»Auf einen Tag mehr oder weniger ohne Essen kommt’s nicht an«, sagte sie, als sie sich setzte. Als sie Astrids Gesicht sah, hob sie die Hand. »Schon gut, war nur Spaß.«

Astrid hatte im Geiste bereits ihre eigenen paar Kronen und Ingrids Erspartes zusammengerechnet. Es reichte noch nicht für einen Doktor.

Aber das war nicht das Einzige, was ihr durch den Kopf ging. Sie würde Ingrid alles sagen, das hatte sie in diesem Moment feierlich beschlossen.

Die Gelegenheit dazu ergab sich in der Mittagspause. Für gewöhnlich saßen sie zusammen in der kleinen Teeküche oder auf der Bank vor dem Haus, wenn das Wetter schön war.

An diesem Tag pfiff ein ungemütlicher Wind, und Ingrid war aufgestanden, um das Fenster zu schließen.

»Ich muss dir etwas sagen«, begann Astrid.

»Raus mit der Sprache.«

»Du hast irgendwann mal zu mir gesagt, ich wäre eine Geheimniskrämerin …« Ingrid nickte, und sie sprach weiter. »Stimmt, ich habe ein Geheimnis, von dem nur eine Handvoll Menschen wissen.«

»Du machst mich neugierig. Warte, ich setze nur rasch Wasser auf.« Ingrid ließ Wasser in den Kessel laufen.

Als sie sich wieder an den Tisch setzte, hätte Astrid um ein Haar doch wieder der Mut verlassen. Sie knetete ihre Finger und überlegte, wie sie beginnen sollte. »Ich habe einen kleinen Sohn«, sagte sie dann ohne Umschweife.

Ingrid sah sie verblüfft an. »Donnerwetter, du verstehst es, mit der Tür ins Haus zu fallen. Du bist also Mutter. Willst du mir mehr erzählen?«

»Über den Vater werde ich nicht sprechen.«

Ingrid hob die Hand. »Schon gut, schon gut. Das meinte ich auch gar nicht. Wo lebt dein Sohn? Wie heißt er überhaupt?«

»Lars, aber ich nenne ihn nur Lasse. Er wohnt jetzt bei mir.«

»Jetzt? Und vorher?«

»Bei Marie, seiner Pflegemutter. Sie ist krank geworden, und ich habe Lasse zu mir genommen.« Dann erzählte sie weiter. Nur von Reinhold sagte sie kein Wort. »Ich war erst achtzehn, als ich schwanger wurde, und wie du weißt, komme ich aus einem kleinen Ort, wo die Leute sehr gottesfürchtig sind. Meine Eltern hätten das reinste Spießrutenlaufen vor sich gehabt, und ich wollte ihnen keine Schande machen. Also bin ich fortgegangen.«

»Ganz allein?« Ingrid hatte sich vorgebeugt, ihr angebissenes Brot in der Hand, und schaute Astrid ungläubig an.

Als der Wasserkessel pfiff, fuhren sie beide zusammen.

Ingrid erhob sich und goss Wasser in die Teekanne auf dem Tisch. Dass sie vergessen hatte, Tee einzufüllen, schien ihr erst jetzt aufzufallen. »Ach, verflixt!« Sie gab ein paar Löffel in die Kanne und füllte Wasser nach.

Mit jedem Wort, das Astrid gesagt hatte, war ihr leichter und leichter geworden. Nachdem Ingrid wieder Platz genommen hatte, erzählte sie weiter. »Hier in Stockholm habe ich eine Frau kennengelernt, Eva Andén, sie ist Anwältin und setzt sich für junge, alleinstehende Mütter ein. Sie war mein Glück, mein rettender Engel. Wäre sie nicht gewesen, hätte ich nicht gewusst, wie es weitergehen soll.« Astrid schluckte und drehte die Tasse in ihren Händen. Selbst jetzt tat es noch weh, und sie fühlte sich für einen Moment wieder wie die junge, unbedarfte Frau, die kopflos ihr Heimatdorf verlassen hatte. Ohne zu wissen, wie es weitergehen sollte. Die nur wusste, dass es irgendwie weitergehen musste. Weil sie bald ein Kind haben würde. Und sie empfand Schuld, weil sie ihr Kind hatte weggeben müssen. »Aber es …« Sie schluckte erneut. »Es geht ja immer irgendwie weiter, nicht wahr? Eva, mein rettender Engel, hat mir von einer Klinik in Kopenhagen erzählt, in der man sein Kind anonym zur Welt bringen kann. Und sie hat gesagt, dass sie mir dabei hilft, eine Pflegefamilie für mein Kind zu finden. Ich konnte es ja nicht selbst großziehen, wie hätte ich das tun sollen?«

»Tut mir leid, Astrid«, sagte Ingrid leise. »Es muss schrecklich für dich gewesen sein.«

»Ja, es war … nicht leicht. Ich verdiente ja gerade genug, um mich durchzubringen. Ach, ich glaube, ich habe vergessen zu erzählen, dass ich auf eine Sekretärinnen-Schule gegangen bin.« Sie behielt für sich, wie einsam und verloren sie sich damals gefühlt hatte, wie oft sie an daheim hatte denken müssen, wenn sie allein am Tisch saß, einen dicken Kloß im Hals, der nicht rutschen wollte. Künftig würde sie nie mehr allein sein müssen. Eine Welle der Erleichterung und des puren Glücks durchflutete sie.

Ingrid schien nachzudenken. »Dann müsste dein Sohn – warte – ungefähr drei Jahre alt sein, richtig?«

»Ja, er ist im Dezember drei geworden. Bis er auf die Welt kam, konnte ich bei Marie wohnen, und nach seiner Geburt …« Sie musste sich räuspern. »Ich durfte noch eine Weile bei ihm bleiben und anschließend …« In ihrem Hals war es rau und eng.

»Ich versteh’ schon.« Ingrid nickte und schenkte ihr Tee ein.

Eine Zeitlang schwiegen sie, dann sagte Ingrid in die Stille hinein: »Was musstest du durchmachen, Astrid! Wie schlimm musste es für dich sein, so allein zu sein, mit niemandem reden zu können, sich verstoßen zu fühlen.«

»O nein, ich habe mich nicht verstoßen gefühlt, ich bin freiwillig gegangen.«

»Aber ist das nicht irgendwie dasselbe?«

»Nein.« Astrid schüttelte den Kopf. »Ist es nicht. Meine Eltern haben nicht von mir erwartet, dass ich gehe.« Ob dem wirklich so war, wusste sie nicht. Sie hatte mit ihren Eltern bis heute nie darüber gesprochen.

»Aber sie werden erleichtert gewesen sein.«

Vermutlich hatte Ingrid recht.

»Ich bin nach Stockholm zurückgefahren und habe meine Ausbildung beendet.« Es fühlte sich an, als wäre es erst gestern passiert. »Ich habe versucht, so oft wie möglich nach Kopenhagen zu fahren, um Lasse sehen zu können. Aber viele Wochenenden musste ich in Stockholm bleiben, weil ich das Geld für die Fahrkarte nicht aufgetrieben hatte.«

»Das muss schwer für dich gewesen sein.«

»O ja, sehr schwer. Ich musste ständig an Lasse denken, ob er mich wohl noch erkennen wird, wenn ich das nächste Mal bei ihm bin.« Astrid trank einen Schluck. »Und nun ist er bei mir, endlich.«

»Jetzt verstehe ich auch, wieso du dauernd so müde bist.«

»Lasse hustet seit einiger Zeit, vor allem nachts ist es schlimm.«

Die beiden schwiegen wieder eine Weile, bis Ingrid irgendwann leise sagte: »Wenn ich irgendwas für dich tun kann …«

»Du hast gerade etwas für mich getan. Du hast mir zugehört, und ich konnte mal alles aussprechen.«

»Umso froher bin ich, dass du meine paar Kröten angenommen hast. Dein Kleiner braucht einen Arzt.«

»Es reicht aber noch nicht. Ich muss noch ein bisschen weitersparen.«

»Ich auch, wenn du erlaubst.«

Astrid drehte den Kopf und sah sie sprachlos an.

»Möglicherweise tauge ich ganz gut als Aufpasserin.« Ingrid zuckte mit den Schultern. »Ich hab’s nie ausprobiert, aber ich würde es versuchen. Wenn du mal etwas Zeit für dich brauchst.«

Astrids Stimme war rau, als sie »Danke« sagte.

Kapitel 4

Am Tag darauf lief Astrid beinahe in ihren Chef, als sie gerade ihre Pause beendet hatte und aus der Teeküche kam. Sie war in Gedanken versunken wie so oft.

»Hoppla, Fräulein Ericsson!«

»Entschuldigung, Herr Lindgren, ich war ganz in Gedanken.«

»Ist ja nichts passiert.« Er war fesch gekleidet wie immer, gut frisiert und noch besser duftend.

Astrid wollte ihn nicht anstarren, tat es aber doch. Er gefiel ihr einfach viel zu gut, als dass sie hätte wegschauen können. Sture strahlte so viel Fröhlichkeit aus, dass er alle in der Redaktion damit ansteckte. In seiner Gegenwart konnte man gar keine Trübsal blasen, das wäre, als würde man bei strahlendem Sonnenschein geduckt unter einem Regenschirm spazieren.

»Sie sehen müde aus, Fräulein Ericsson.« Er schenkte ihr ein Lächeln. »Schlecht geschlafen?«

»Ja«, gab sie kleinlaut zu.

»Dann gehen Sie heute früher heim. Das ist keine Bitte, sondern eine Anordnung.«

»Jawohl, Herr Lindgren.«

Er hob die Augenbrauen und sah sie überrascht an, dann nickte er. »So ist’s recht.« Damit ging er weiter.

Ingrid war in der Buchhaltung, um etwas abzuholen, als Sture Astrid zu sich rief. Wie immer war sie ein wenig nervös.

Unwillkürlich strich sie ihr Haar glatt und zupfte an ihrem Rock.

Als es ihr bewusst wurde, wuschelte sie sich mit einer Hand durchs Haar und klopfte kopfschüttelnd an seine Tür. »Sie wollten mich sprechen, Herr Lindgren?«

Er saß an seinem Schreibtisch und winkte sie herein. »Setzen Sie sich.«

Darum hatte er sie noch nie gebeten, aber wahrscheinlich war auch das eine Anordnung, und Astrid setzte sich brav.

»Sie sind ja immer noch da.«