Atlantis 2 Paket - Perry Rhodan - E-Book

Atlantis 2 Paket E-Book

Perry Rhodan

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Beschreibung

Gut 3000 Jahre in der Zukunft: In Can Coronto leben zahlreiche Aliens unterschiedlichster Art, aber auch Menschen. Die faszinierende Metropole sprudelt vor Leben, Energie und bunten Farben – es ist die Hauptstadt von Atlantis. Der Kontinent existiert noch und hat längst eine andere Bedeutung erlangt. Perry Rhodan und seine Freunde wissen aber, dass das nicht stimmen kann. Sie befinden sich offenbar auf einer fremden Erde, die sich stark von ihrer Heimat unterscheidet. Hat eine Zeitreise die Vergangenheit verändert und die Welten durcheinandergebracht? Und kann Perry Rhodan beide Wirklichkeiten retten – oder muss er eine für die andere opfern? Welches Atlantis ist das wahre …? Zwölf spannende Science-Fiction-Romane, verfasst von einem Team deutschsprachiger Autorinnen und Autoren. Abenteuer auf einem Kontinent voller Mythen und Legenden.

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EPUB

Seitenzahl: 1702

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Cover

Vorwort

Nr. 1– Das neue Utopia

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Perry Rhodan

1. Tyler

2. Tyler Rhodan

3. Sichu Dorksteiger

I. Fünfzehn Jahre zuvor

4. Sichu Dorksteiger

5. Tyler Rhodan

II. Fünfzehn Jahre zuvor

6. Sichu Dorksteiger

7. Tyler Rhodan

III. Fünfzehn Jahre zuvor

8. Tyler Rhodan

IV. Fünfzehn Jahre zuvor

Epilog: Der Terraner

Nr. 2– Sperrzone Arkonspitze

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Tyler

2. Perry Rhodan

V. Zwölf Jahre zuvor

3. Tyler

4. Perry Rhodan

VI. Zwölf Jahre zuvor

5. Tyler

VII. Zwölf Jahre zuvor

6. Perry Rhodan

7. Tyler

VIII. Zwölf Jahre zuvor

8. Perry Rhodan

IX. Zwölf Jahre zuvor

9. Perry Rhodan

X. Zwölf Jahre zuvor

10. Perry Rhodan

Nr. 3– Der Singende Berg

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Atlan

XI. Vierzehneinhalb Jahre zuvor

XII. Elfeinhalb Jahre zuvor

2. Atlan

XIII. Acht Jahre zuvor

3. Tyler

4. Atlan

Nr. 4– Verkünder der Superintelligenz

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Dante Turnham

1. Caysey

XIV. Perry Rhodan

2. Dante Turnham

XV. Perry Rhodan

3. Caysey

XVI. Perry Rhodan

4. Caysey

Epilog: Dante Turnham

Nr. 5– Das Tyler-Experiment

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1. Perry Rhodan

2. Tyler

XVII. 14 Jahre zuvor

3. Tyler

4. Perry Rhodan

XVIII. 12 Jahre zuvor

5. Perry Rhodan

6. Tyler

7. Perry Rhodan

8. Tyler

9. Perry Rhodan

10. Tyler

11. Perry Rhodan

12. Caysey

13. Tyler

14. Caysey

15. Perry Rhodan

16. Caysey

Nr. 6– Weltenbeben

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

XIX: Prolog – Ein anderes Universum

1. Perry Rhodan

2. Rowena

XX. Ein anderes Universum

3. Perry Rhodan

4. Rowena

XXI. Ein anderes Universum

5. Rowena

6. Perry Rhodan

XXII. Ein anderes Universum

7. Rowena

Nr. 7– Rebellenkind

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

XXIII. Dreizehn Jahre zuvor

1. Perry Rhodan

XXIV. Dreizehn Jahre zuvor

2. Tyler

XXV. Zwölf Jahre zuvor

3. Tyler

XXVI. Elf Jahre zuvor

4. Tyler

XXVII. Ein Jahr zuvor

5. Tyler

6. Dante

7. Perry Rhodan

8. Tyler

Nr. 8– Die Schlacht von Traversan

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Atlan

XXVIII. Atlan

1. Sichu Dorksteiger

XXIX. Atlan

2. Sichu Dorksteiger

XXX. Atlan

3. Sichu Dorksteiger

XXXI. Atlan

4. Sichu Dorksteiger

XXXII. Atlan

5. Sichu Dorksteiger

XXXIII. Atlan

Epilog: Atlan

Nr. 9– Eine Handvoll Ilts

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Atlan

2. Gucky

3. Perry Rhodan

4. Atlan

5. Gucky

6. Perry Rhodan

7. Atlan

8. Gucky

9. Atlan

10. Perry Rhodan

11. Atlan

12. Gucky

13. Atlan

14. Gucky

15. Perry Rhodan

16. Atlan

17. Gucky

18. Atlan

19. Gucky

20. Perry Rhodan

Nr. 10– Sklaven der Insel

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Perry Rhodan

1. Atlan

2. Sichu Dorksteiger

3. Atlan

4. Sichu Dorksteiger

5. Atlan

6. Sichu Dorksteiger

7. Atlan

8. Sichu Dorksteiger

9. Atlan

10. Sichu Dorksteiger

Epilog: Perry Rhodan

Nr. 11– Der lange Weg des Ritters

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Dante

2. Rowena

XXXIV. Khrat, vor etwa 13.000 Jahren

3. Dante

4. Perry Rhodan

5. Rowena

XXXV. Khrat, vor etwa 13.000 Jahren

6. Rowena

XXXVI. Khrat, vor etwa 13.000 Jahren

7. Rowena

XXXVII. Atlantis, vor etwa 11.000 Jahren

8. Perry Rhodan

9. Rowena

XXXVIII. Atlantis, vor etwa 11.000 Jahren

10. Rowena

XXXIX. Wanderer, vor 2532 Jahren

11. Rowena

12. Rhodan

XL. Wanderer, vor 2532 Jahren

13. Rowena

14. Rhodan

Nr. 12– Der gefallene Kosmos

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: XLI.

1. Perry Rhodan

2. Tyler Rhodan

3. Atlan

4. Perry Rhodan

5. Tyler Rhodan

6. Atlan

7. Perry Rhodan

8. Atlan

9. Perry Rhodan

10. Atlan

11. Tyler Rhodan

12. Tyler Rhodan

Epilog

Risszeichnung CARFESCH

Impressum

Vorwort

Gut 3000 Jahre in der Zukunft: In Can Coronto leben zahlreiche Aliens unterschiedlichster Art, aber auch Menschen. Die faszinierende Metropole sprudelt vor Leben, Energie und bunten Farben – es ist die Hauptstadt von Atlantis. Der Kontinent existiert noch und hat längst eine andere Bedeutung erlangt.

Perry Rhodan und seine Freunde wissen aber, dass das nicht stimmen kann. Sie befinden sich offenbar auf einer fremden Erde, die sich stark von ihrer Heimat unterscheidet. Hat eine Zeitreise die Vergangenheit verändert und die Welten durcheinandergebracht? Und kann Perry Rhodan beide Wirklichkeiten retten – oder muss er eine für die andere opfern?

Welches Atlantis ist das wahre …?

Nr. 1

Das neue Utopia

Die richtige Zeit, die falsche Welt – es ist ein Kontinent voller Hoffnung

Ben Calvin Hary

Gut 3000 Jahre in der Zukunft: In Can Coronto leben zahlreiche Außerirdische unterschiedlichster Art, aber auch Menschen. Die faszinierende Metropole sprudelt vor Leben, Energie und bunten Farben – es ist die Hauptstadt von Atlantis. Der Kontinent existiert noch und hat längst eine andere Bedeutung erlangt.

Die Erde dieser Zeit unterscheidet sich stark von der Welt, wie man sie im 21. Jahrhundert kennt. Doch auch Perry Rhodan, der vor langer Zeit »seiner« Menschheit dabei half, zu den Sternen zu reisen, muss feststellen, dass einiges nicht so ist, wie es sein sollte.

Der Terraner und seine Begleiter – darunter seine Frau Sichu Dorksteiger, und der Arkonide Atlan – erkunden eine lebensfreundliche und positive Welt, die sie eigentlich nur begrüßen können. Und obgleich vieles nicht »stimmig« ist, können sie ihr Unbehagen nicht genau benennen.

Denn wie es aussieht, ist Atlantis eigentlich DAS NEUE UTOPIA ...

Die Hauptpersonen des Romans

Perry Rhodan – Der Terraner spürt einer Version von Terrania City nach, die es eigentlich nicht gibt.

Sichu Dorksteiger – Die Physikerin aus dem Volk der Ator geht auf galaktische Schnitzeljagd.

Koomal Dom – Der Kol Mani gehört einer mächtigen Kultur an und ist nicht gerade hilflos.

Tyler – Atlantis ist das einzige Zuhause, das der junge Terraner kennt.

Dante

Prolog

Perry Rhodan

Tag 92, Epoche 10.304

Was ist Heimat?

Für Perry Rhodan waren es die weißen Türme Terranias. Die Stadt, die er einst gegründet hatte, erwachte im Licht der aufgehenden Sonne.

Der Terraner schwebte über den Dächern. Ihn trug ein Massenaufhebungsfeld, der Generator war im Tornister seines leichten Einsatzanzugs verbaut. Ein Meer aus Fassaden streckte sich von einem Ende seines Sichtfelds zum andern – mal massive, mal zerbrechlich wirkende Gebäude, ein Gespinst aus Glassit und Nanomaterialien. Am Boden dominierte gepflegtes Grün.

»An die Arbeit, Erlesener!« Nernan Degs kehlige Stimme drang aus einem Audiofeld, das der Pikosyn neben Rhodans Ohr projizierte. »Wir sind nicht für eine Besichtigung hier!«

Der Terraner bestätigte mit einem Wink. Das waren sie tatsächlich nicht. Als potenziell Unsterblicher durfte er sich keine Wehmut erlauben, und Perry Rhodan wusste, wofür er kämpfte. Es ging darum, Abermilliarden zu retten.

Die Bewohner dieser Stadt – sie gehörten nicht dazu.

»Ich beginne mit der Aufzeichnung, Deg.« Der Pikosyn erzeugte das Recorderfeld handbreit vor Rhodans Lippen. Heiße, trockene Wüstenluft brannte in seinen Lungen, brachte ihn zum Husten. In Terrania herrschte kontrolliertes Klima, nicht aber hier.

Rhodan aktivierte die holografischen Displays seines Anzugs. Eingabetaster und Protokollfelder entstanden um ihn herum, übermalten die morgenroten Fassaden. Sofort erfasste der Pikosyn Daten – Bilder und Eindrücke, die eigentlich nur Rhodans Augen offenstanden. Spezialmaschinen aus den Geheimlaboren in Nethallar machten sie für die Sensoren sichtbar.

Zum allerersten Mal erblickte ein lebendes Wesen außer Rhodan die Hauptstadt Terras. Nernan Deg würde erkennen, dass er sich das nicht alles bloß einbildete.

»CAR auf Empfang, Erlesener.« Deg klang erwartungsvoll.

Der Terraner regulierte den Massenaufheber und begann mit dem Sinkflug. Die Höhenanzeige fiel von 1000 auf 500 Meter, dann auf 100. Fallwind zerzauste sein Haar. Auf einen Helm oder Atemschutzschirm hatte er verzichtet; dies war zwar nicht Terra, aber dennoch die Erde. Der Planet also, von dem er stammte – auf eine gewisse Weise.

Der Zellaktivator pochte schmerzhaft in Rhodans Schulter. Wie immer, wenn er zurückkehrte. Inzwischen war er daran gewöhnt.

Er beschleunigte. Dächer und Turmspitzen blieben über ihm zurück. Gleiterkolonnen wälzten sich träge durch Häuserschluchten. Antigravsegler tupften Schaumkrönchen auf die Wellenberge des Goshun-Salzsees.

»Das ist also die legendäre Metropole, um die du immerzu solches Aufheben machst.« Deg, der die Aufzeichnung aus der Ferne überwachte, gab sich hörbar Mühe, anerkennend zu klingen. Es gelang ihm nicht.

Rhodan schmunzelte, obwohl ihn das Schulterpochen anstrengte und die Müdigkeit bleischwer an ihm zog. Er sah das wächserne Knochengesicht seines Orbitanten bildlich vor sich; breit lächelnde Wulstlippen und zweifelnd erhobene, S-förmig geschwungene Brauenkämme. Degs Artgenossen galten als geborene Diplomaten, doch nicht alle hatten das Talent geerbt.

»Wo ich herkomme«, rief Rhodan ins Recorderfeld, »nennen wir sie auch die ›Weiße Stadt‹.« Er wandte sich nach Südwesten, wo vom Raumhafen riesige Kugelraumer wie schwerelose Gebirge gen Himmel strebten.

»Ein gradliniger Name. Für einen gradlinigen Ort.«

Rhodan lachte. Da war er wieder: Degs arttypischer Humor. Eine höfliche Spitze, garniert mit einem Hauch Wahrheit. Wer die architektonische Vielfalt Can Corontos kannte, dem musste Terrania geradezu langweilig erscheinen. Man konnte die Kol Mani mögen, wenn man mochte.

Perry Rhodan erreichte das Bodenniveau. Beim Hanse-Ring wich er einer Polizeisonde aus. Leiser Schwindel befiel ihn; Sol stand mittlerweile über den Bergspitzen im Osten, doch sein Körper warf keinen Schatten, und alles wirkte auf seltsame Art entrückt. Entfernungen verloren ihren Sinn.

»Vorsicht, Erlesener!«

Degs Warnung ließ ihn zusammenfahren. Rhodans Kopf ruckte herum.

Er erschrak. Von Westen raste ein Gleiter auf ihn zu, mit irrsinniger Geschwindigkeit und auf direktem Kollisionskurs. Eben noch kaum mehr als ein Punkt, füllte er gleich darauf schon Rhodans Sichtfeld. Drei, vielleicht vier Sekunden, und das Fahrzeug würde ihn rammen! Dabei flog es völlig lautlos, von keinem Lufthauch begleitet.

Der Terraner reagierte binnen eines Lidschlags. Im letzten Moment warf er sich beiseite und gab dem Massenaufheber einen Rückwärtsimpuls.

Er bremste. Es dauerte einen Atemzug, bis sein Bewegungsmoment aufgehoben war. Rhodan hielt den Atem an.

Er hatte Glück. Für einen Augenblick hatte er nur noch nanoversiegelten Verbundlack vor Augen, im nächsten war der Gleiter vorüber und Rhodans Sicht auf den Galornenpark wurde frei.

Der Zellaktivator hämmerte, als wollte er ihm aus der Schulter springen. Das Fahrzeug hatte ihn um Haaresbreite verfehlt. Viel zu knapp!

Nur nichts Terranisches berühren! Schweiß troff Rhodan von der Stirn. Der Gleiter war natürlich nicht wirklich da und wäre geradewegs durch ihn hindurchgeflogen. Ihm hätte die Kollision also nichts ausgemacht – wohl aber seinem Anzug. Echte Materie vertrug sich nicht mit dem Phänomen und sein Aktivator verstärkte den Effekt exponentiell. Fiel der Tornister dadurch aus, würde Rhodan abstürzen, und der Aufprall konnte ihn töten, Unsterblichkeit hin wie her. Noch schwebte er gut zwanzig Meter über dem Boden.

»Erlesener?«

»Ich bin in Ordnung!« Er wartete, bis sein Puls sich beruhigte.

Schließlich setzte er seinen Kurs fort. In gebührendem Abstand zu weiteren Fahrzeugen glitt er über die Antares-Road nach Nordosten, vorbei an Wildparks und Grünflächen. Goshun-See und Crest-Lake ließ er hinter sich. Im Südosten würde diese Route ihn nach Sirius River City und damit ins Stadtgebiet zurückbringen. Hunderte Terabyte von Daten strömten sekündlich in die Speicher des Pikosyn. Er ließ sich Zeit.

Heimat. Was hieß das?

Eine Warnmeldung riss ihn ins Jetzt zurück. CAR übertrug sie als schrillrotes Leuchtmuster ins Außendisplay seines Anzugs. Sie stammte von einem Relais des galaxisweiten Ortungsnetzwerks AMMANKOM, Der Wortlaut blieb verschlüsselt.

»Seht ihr das auch, Deg?« Rhodan stoppte, wo er war. Atlan Village schmiegte sich glitzernd an den Horizont.

»Das Schiff informiert uns in diesem Augenblick. Du solltest umkehren, Erlesener.«

Erlesener. Seit Jahren nannten sie ihn so. Würde er sich je an den Titel gewöhnen?

Rhodan zögerte. Er sah über die Weiße Stadt hinweg, fertigte ein mentales Foto an. Dies mochte das letzte Mal sein, dass sich ihm dieser Anblick bot. Für immer.

Schließlich zog er eines der holografischen Bedienfelder zu sich heran und desaktivierte die Übertragung. Die Geräte aus Nethallar stellten die Arbeit ein.

Schlagartig fiel die Vision der Großstadt in sich zusammen. Zurück blieb unbewohnte Wüste – staubtrocken wie seit Jahrtausenden. Sand wellte sich in sanften Dünen von einem Horizont zum andern. Anstelle der Wohnsiedlungen aus Plastbeton wuchsen nur noch verdorrte Halme. Auf einem fernen Hügelkamm graste ein einsamer Wildesel.

Zugleich klang das Hämmern des Zellaktivators zu einem sanften Pochen ab. Rhodan seufzte. Es war eine Wohltat.

Heimat, das ist ein Ort – selbst, wenn er nur in deinem Herzen existiert.

*

Nach einer Viertelstunde erreichte Rhodan zu Fuß den Stützpunkt: eine Ansammlung flacher Modulbauten und goldener Kuppeln inmitten feinen Sands und flirrender Luft. Noch immer rann ihm der Schweiß herab, doch seine Gedanken rasten und der Fußmarsch tat ihm trotz der gottlosen Hitze gut.

Vier Kol Mani machten sich an den Interferenzverstärkern zu schaffen. Von Weitem konnte Rhodan sie kaum unterscheiden. Sie trugen nahezu identische Overalls, so eng, dass sie kein Detail der athletischen Anatomie verbargen. Die Kleidung schillerte in allen Farben des Regenbogens. Ein Stück abseits hing die CARFESCH handbreit über dem Boden. Kol-manische Raumschiffe besaßen keine Landestützen – so etwas hätte bloß die perfekte Form verunstaltet. Dem Gründervolk des Kol-Manischen Korrelats ging Ästhetik über alles.

Als Rhodan näher kam, hob einer der Arbeitenden die Dreifingerhand.

Rhodan erwiderte den Gruß. »Deg.« Er erkannte seinen Orbitanten lediglich am »Haargeweih« – einem Gespinst aus tiefschwarzen Knochenfasern, deren Wuchsrichtung sich bei jedem Kol Mani unterschied. Ihre Gesichter ähnelten einander zu sehr, um als Erkennungsmerkmal zu dienen.

»CAR hat die AMMANKOM-Daten ausgewertet.« Mit der vierfingrigen Linken bediente Deg sein Schläfenimplantat. »Deine Anwesenheit ist erforderlich.«

»Meine Anwesenheit – wo?« Rhodan musste den Kopf in den Nacken legen, um dem Kol Mani ins Gesicht zu sehen. Für einen Menschen war Nernan Deg ein Gigant, obwohl er unter seinesgleichen eher als schmächtig galt. Höchstens ein Ertruser hätte es mit dieser Spezies in Sachen Wuchs aufnehmen können – wenn es so etwas wie Ertruser geben würde.

»Wir erfahren es im Schiff, Erlesener.« Deg strich sich durchs Geweih. Das Knochengestrüpp knirschte spröde.

Der Orbitant verband die Verstärker mit seinem Implantat und versetzte sie in Ruhezustand. Die mannshohen, goldenen Kuppeln versanken in syntronischen Schlummer. Ihr kaum hörbares Brummen verstummte kurze Zeit darauf.

Anschließend aktivierte Rhodan das Deflektorfeld. Die Maschinen wurden unsichtbar. Niemand durfte wissen, was sie hier in der Wüste trieben. Zu viel hing davon ab.

Zu fünft schwebten sie in den Heckhangar des Schiffs zurück. Das Schleusentor schloss sich lautlos.

Drinnen strömte dem Terraner das Aroma von frisch Verwestem entgegen. »Willkommen zurück, Erlesener!«, ertönte die Stimme der Bordsyntronik CAR. »Ich habe mögliche Einsatzparameter in der Zentrale aufbereitet.«

Gleichzeitig erhellte warmes Licht den Gang von der »Garage« zum Bug. Farbenfrohe Leuchtmarken wiesen den Weg – eine Geste überflüssiger Höflichkeit, wie bei allem, was Kol Mani herstellten. Der Terraner kannte den Weg, und das Schiff war mit seinen rund 120 Metern zu klein, um sich an Bord zu verlaufen.

»Danke, CAR«, sagte er trotzdem. Rhodans Sohlen berührten geriffelten Kunststoff. Er desaktivierte den Massenaufheber.

Gemeinsam kehrten sie in die Zentrale zurück. Gemurmel begrüßte sie – die fünf Mitglieder der Zentralebesatzung unterhielten sich leise an ihren Terminals. Rhodan hörte das unvermeidliche Zischen der Duftzerstäuber, die in den Wänden verbaut waren. Geruchsneutralisierende Aerosole verteilten sich in der Atemluft.

Der Terraner schritt an den Arbeitsstationen vorbei, berührte im Vorübergehen den Navigator am Arm und schlug der twonosischen Pilotin auf die Schulter. »Womit haben wir es zu tun, CAR?«

Das Bordgehirn projizierte ein buntes Holo der Milchstraße über das Taktikterminal. Die Sterneninsel drehte sich langsam um ihre eigene Achse. Gleich darauf geriet ein Kugelsternhaufen in ihrem Halo in den Fokus. Tausende Lichtjahre trennten beide Inseln voneinander.

»AMMANKOM ist natürlich nicht auf die Erfassung der von dir kartografierten Phänomene kalibriert, wie du weißt.« Das Bordgehirn verschob den Bildfokus. »Aber die gesammelten Einzelwerte lassen Rückschlüsse zu. Sie implizieren das Vorhandensein eines weiteren Brennpunkts in Thantur-Lok.«

Rhodan studierte das Holo, bis der Kugelsternhaufen die Kuppeldecke der Zentrale nahezu vollkommen ausfüllte. Das simulierte Sternenlicht spiegelte sich in den Regenbogenschuppen von Nernan Degs Overall.

Rhodan spürte, wie er die Schultern anspannte.

Thantur-Lok – oder M 13, wie diese Gegend des Alls für ihn früher geheißen hatte – war die Heimat der menschenähnlichen Arkoniden, eines Volkes, das vor Jahrtausenden einmal eine wichtige Rolle auf der galaktischen Bühne gespielt hatte. Heute war die Arkonidische Sternennation bloß noch ein Schatten ihrer selbst. Korrelat und Allianz taten alles, um das einstige Imperium kleinzuhalten.

»Die NURO-KOROM?« Unbewusst tastete Rhodan nach seinem Zellaktivator. In seiner Schulter pulsierte es dumpf.

Das Bordgehirn blendete um. Im Zentralholo war nun eine Stadt zu sehen – ein flirrender Moloch aus Licht, aus großer Höhe und durch hauchdünne Wolken betrachtet. Die Syntronik bearbeitete das Bild nach, hellte die umliegenden Gebiete auf und entriss sie so der Schwärze. Die Aufnahme stammte von der anderen Seite des Planeten. Über Atlantis herrschte Nacht.

Außerhalb der Metropole lag ein kreisrunder Lichtfleck inmitten üppiger Parkanlagen: der Raumhafen Exnir, das schlagende Herz der Allianz. In seinem Süden hatte die Allianzregierung ein Areal ans Kol-Manische Korrelat verpachtet. Die galaxienübergreifende Handelsföderation beanspruchte Platz auf ihren Mitgliedswelten.

Auf einem abgelegenen Stellplatz stand ein schlanker, nach hinten ausladender Raumer mit vier vorwärts gestreckten »Fingern«: Die NURO-KOROM, nachtschwarz und schön.

Deg trat an die Datenkonsole im Taktikbereich der Zentrale und las die übermittelten Werte vor: »Aggregate sind desaktiviert. Der Ritter ist nicht an Bord. Keine Startvorbereitungen feststellbar.«

»Dann sind wir die Ersten, die von dem Phänomen auf Arkon erfahren?« Rhodan war zufrieden. Die CARFESCH war einer von zwei Prototypen. Außer ihr existierte nur ein weiteres Schiff der YONESON-Klasse – und damit nur ein Gegner, den es möglicherweise abzuhängen galt: den Ritter mit der NURO-KOROM.

»Nicht unbedingt.« Der Kol Mani sah vom Pult auf. »CAR zapft soeben die arkonidischen Aufenthaltsbehörden an. Es gibt dort zwei Besucher, welche die Investigation stören könnten.«

Degs Vierfingerhand beschrieb eine Wurfgeste zur Raummitte. Wo die imaginäre Flugbahn endete, entfalteten sich zwei Datendossiers: Fotos, Biografisches, Geheimdienstliches, alles in hellblauer Schrift auf dunkelgrauem Grund.

Rhodans Blick fiel auf biometrische Porträts. Er spürte, wie ihm das Blut aus den Wangen wich.

»Ich vermute, du kennst beide Personen.« Selbstverständlich wusste Deg die Antwort, doch die typisch kol-manische Höflichkeit zwang ihn, die Frage zu stellen.

Rhodan trat heran, vergrößerte die Porträts, bis beide lebensgroß vor ihm schwebten: ein langhaariger Arkonide, athletisch und von mittlerem Alter, und eine grünhäutige Frau. Goldfarbene Muster mäanderten über ihre Wangen und ihren Hals. Das Haar war silberblond wie das ihres Begleiters. Beide trugen schäbige Einsatzkombinationen.

Ausgerechnet. Rhodan fegte die Dossiers mit einer Handbewegung beiseite, setzte sich auf den Sessel des Kommandanten und zog die Taktikkontrollen zu sich heran. In ihm rumorte es.

»Es spielt keine Rolle.« Sein Finger stach in die Bedienfelder, gab Protokollwerte ein. »Die beiden haben mit unserer Mission nichts zu tun. Ich werde dafür sorgen, dass sie uns nicht in die Quere kommen.«

Er lehnte sich zurück, befahl dem Navigator, Kurs zu setzen, und gab das Kommando zum Start.

Das Schiff hob ab. Jener Landstrich, den er einst die Gobi genannt hatte, versank im blauen Dunst. Die CARFESCH kehrte zu den Sternen zurück.

Rhodans Blick blieb auf das Außenholo geheftet. Er dachte an Atlan, seinen Freund. Und an Sichu, seine Frau. Sind sie das noch, nach all der Zeit?

Heimat, das musste kein Ort sein.

1.

Tyler

Tag 93, Epoche 10.304

Mein Zuhause war die Stadt aus Farben.

Dante und ich standen auf der Schwebertrasse und starrten ins Holoflimmern. Purpur, Blau und Indigo spiegelten sich im regennassen Pflaster und im Mattlack unserer Flitzer. Die Farben bemalten Dantes Wangen.

»Auf!« Mein Kumpel tat, als scheuchte er mich vor sich her. »Die andern warten.«

Hinter ihm priesen Großflächen-Trivids ein Erfrischungsgetränk an; grünes Neonfeuer umrahmte seinen Kopf wie ein Heiligenschein. Er war schön, so im Werbewetterleuchten.

»Fahr vor, Bruder!« Ich imitierte einen laschen Salut. Ein Dante Turnham redet nicht viel. Wenn er etwas sagt, muss es reichen.

Dante aktivierte sein Steuerholo.

Ich folgte seinem Beispiel. Meine Hände versanken im Bedienfeld des Schwebeflitzers – ein teurer Bolide, viel schicker als Dantes, und ich schämte mich dafür. Mein Finger fand den Startsensor. Wir schoben die Geschwindigkeitsregler auf Maximum und brausten los.

Wusch! Die Aggregate heulten. Fahrtwind zerrte an meinen Locken. Die Flitzer waren kaum mehr als edle Bretter mit Massenaufhebungsgeneratoren. Schutzlos und johlend donnerten wir durchs Stadtzentrum und die taghelle Nacht; vorbei an Werbetafeln, Formenergiefassaden und geparkten Gleitern. Menschen und Außerirdische schüttelten die Köpfe, als sie uns sahen: zwei wild gewordene Jungs in schreiend bunten Pullovern, ausgelassen und viel zu dicht beieinander. Die Massenaufhebungsfelder überlappten sich, das Geradeausfliegen fiel mir schwer, aber Scheiß auf Sicherheitsabstand! Unsere Unterarme streiften einander. Elektrisches Gewitter.

Am Garbeschianerplatz wurde Dante übermütig. Urplötzlich scherte er aus und raste auf zwei Jülziish zu, die Arm in Arm vor einem Nachrichtenterminal standen. »Die fahr ich jetzt um!« Er klang ernst.

»Lenk, du Forak!« – das Letzte war ein Begriff, den man seine Eltern lieber nicht hören lässt. Ich zwang mich hinzusehen. Dante sagte selten Dinge, die er nicht meinte. Würde er die beiden wirklich niederpflügen?

Nein – im letzten Moment riss er das Steuer herum. Sein Flitzer verfehlte seine Opfer knapp und kehrte auf die Trasse zurück. Die beiden Außerirdischen protestierten mit hochfrequentem Zirpen.

»Haut bloß ab, Tellerköpfe!« Dante jagte mit ausgestrecktem Mittelfinger um die nächste Biegung.

Atemlos schloss ich zu ihm auf. Mein Grinsen versteinerte.

Hinter der ferronischen Botschaft stiegen wir ab und lehnten uns an die Formenergiescheibe eines Syntronikladens. Ich stützte die Hände auf die Oberschenkel und rang nach Luft. In Gedanken war ich bei den Jülziish. Ob es ihnen gut ging?

»Fragst du dich manchmal, wie's ohne sie wäre?«, fragte Dante.

»Wen?« Keuchend suchte ich in seinen Augen. Eine Leuchtreklame für Yonton-Schmiermittel am Wohnturm gegenüber spiegelte sich in ihnen; nervöse Glitzerpunkte, grün in Nussbraun.

Mit einem Kopfnicken deutete er auf die andere Straßenseite. Unter dem Geflacker eines Schriftbands stand eine Gruppe Kol Mani, in schillernde Hautkostüme und bonbonfarbene Umhänge gehüllt. Wortfetzen in Timit-Nimidi, der Verkehrssprache des Korrelats, drangen an unsere Ohren. Es ging um Börsenkurse in Triangulum.

Was sagte Mutter immer? »Geld ist ihre Grundnahrung.«

Das stimmte natürlich nicht, und genau das dachte Dante offenbar gerade. Er rümpfte die Nase. »Die stinken.«

Bei Aasessern war das kaum verwunderlich, fand ich. Ich hob die Schultern. »Deswegen sprühen die sich ja auch mit Duftwasser ein. Aus Rücksicht.«

»Riecht, als hätte jemand in einen Blumenladen geschissen.« Er rollte die Augen.

Ich sah den Kol Mani hinterher, bis sie im Hotel am Allianzplatz verschwanden. Dantes Frage hallte in mir nach. Stellte ich mir jemals vor, wie es ohne Außerirdische wäre? Die Erde gehörte schließlich nicht den Menschen. Abgesandte des Korrelats waren überall, seit ich denken konnte.

»Nein«, hörte ich mich endlich sagen.

»Warum bist du dann hier?« Verblüfft musterte mich Dante, als wäre ihm in diesem Moment erst aufgefallen, dass ich einen Kopf kleiner war als er.

»Weil du dauernd Pläne machst, bei denen es ohne mich nicht geht.« Automatisch verglich ich im Geist unsere Arme – seine stark, meine dünn wie Spargel. Ich kam mir winzig neben ihm vor.

»Red dir das nur ein!« Er nahm mich bei der Hand und zog mich mit, die Straße hinab und an der Botschaft vorbei. Die Flitzer ließen wir stehen. Niemand würde sie klauen – dies war Can Coronto, die Hauptstadt von Atlantis und der Druuf-Allianz. Druufonsav war überall.

Nur Dante glaubte, dass das etwas Schlechtes war.

*

Der Rest der Clique wartete bereits beim Hintereingang des Hotel Kegon im Diplomatenviertel. Triilümas Ultraschall-Zirpen begrüßte uns. Ihr tellerförmiger Kopf wippte fröhlich.

»Danler! Da seid ihr!« Der Audiotransposer transformierte ihr Geschrill in für Menschen hörbare Tonlagen. Triilümas Kraahmak war tadellos, im Alltag benutzte niemand in Can Coronto eine andere Sprache. Dennoch wäre die Jülziish ohne das Gerät für Menschen nicht zu verstehen.

Dante und ich zuckten zusammen. Danler.Dante und Tyler. Weil wir angeblich unzertrennlich waren. Dante hasste den Namen, also tat ich es auch.

Zum Protestieren kam ich nicht. Eine winzige Gestalt schob sich an Triilüma vorbei. Das Fell zwischen den Mausohren war gesträubt, die Spitznase gerümpft.

»Ihr habt uns warten lassen, um zwei Fußgänger zu überfahren?« Der platte Schwanz klatschte zornig aufs Pflaster. »Ich weiß von dem Fastzusammenstoß!«

Woher, ließ er offen – vielleicht las er meine Gedanken, obwohl er andauernd schwor, kein Telepath zu sein.

»Kommt nicht mehr vor, Großer.« Ich bückte mich, um Kicko zu kraulen. Er war klein, selbst für einen Ilt, und reichte mir nur bis zum Oberschenkel.

Ein Lachen ließ mich das Gefrotzel vergessen. Ein Paar zierlicher Hände streckte sich nach Kickos Schultern und schob ihn beiseite.

»Ignoriert ihn einfach«, sagte die Besitzerin der Hände. »Er hat zu wenig Mohrrüben bekommen. Da wird so ein Mausbiber schon mal launisch.« Das Mädchen fuhr sich durch die pinkfarbene Mähne und lächelte mich an. Es war, als sprühten Funken aus ihren Augenwinkeln. Sie trug grüne Hosen und ein ärmelloses Top in Blau.

Etwas in mir schmolz dahin. Lima war nicht nur unsere Freundin und Teil der Gruppe, sie war außerdem ein Mensch wie Dante und ich. Das verband uns – außerdem war sie süß und ich mochte sie.

Dante auch. Glaubte ich. Er wich ihrem Blick aus.

Ich dagegen lächelte zurück. Bei Lima fiel mir das gar nicht schwer.

Damit waren wir vollständig: das infernalische Quintett von der Kollman-Dell, der Schule für Kinder von Angehörigen aller Spezies im Stadtteil Gonhar, wo die Reichen Can Corontos wohnten. Ich ging in die Neunte, Kicko, Triilüma und Lima in die Zehnte. Dante war zwei Jahre über mir und der Älteste von uns.

All das galt freilich nur für den Schulhof. Hier und jetzt waren wir Freiheitskämpfer. Wir leisteten Widerstand gegen das Regime der Kol Mani und wollten Freiheit für die Menschheit – zumindest, wenn es nach Dante ging. Niemand hatte ihn zum Anführer ernannt, aber er war es.

Handschlag, Handschlag, Umarmung; kaum Gelaber. Alle wussten, was zu tun war. Wir zogen uns hinter eine Heckenreihe zurück. Es musste heimlich passieren.

Ich spürte Kickos Pfote in meiner Hand. »Bereit?«

»Immer.« Ich biss die Zähne zusammen, wappnete mich gegen den Schmerz.

Der Sprung. Ein kurzes Ziehen in der Nackengegend – dann wechselte übergangslos die Umgebung. Es gab etwa siebenhundert Ilts in Can Coronto, viele parabegabt, aber nur eine Handvoll Teleporter. Kicko war einer davon. Seine Aufgabe war es, uns ins Hotel zu bringen. Zuvor hatte er die Baupläne auswendig gelernt, um nicht ins Ungewisse zu springen.

Auf einmal standen wir in einer Suite. Weißer Teppich bauschte sich unter den Sohlen meiner Turnstiefel. Die Decke war vier Meter hoch – druufgerecht, wie alles in Can Coronto.

»Versuch, keinen Alarm auszulösen, bis ich zurück bin!«, quietschte Kicko und verschwand. Mit einem Ploppen fiel die Luft ins entstandene Vakuum.

»Läuft!«, antwortete ich dem leeren Zimmer.

Einige Sekunden war ich allein. Während Kicko draußen Kraft für den nächsten Sprung sammelte, strich ich über Strukturtapeten, deren Muster unter meinen Fingern zurückwichen. Eine riesige Trivid-Anlage füllte die Stirnseite des Raums, davor stand eine blaue Sitzgruppe. Hinter einem Vorhang aus Formenergie ließ sich eine goldverkleidete Schlafkuhle erahnen.

Ich nickte anerkennend. Unser Opfer logierte auf großem Fuß, aber das war angemessen für den Botschafter des Kol-Manischen Korrelats auf der Erde. Kerbon Lix war vielleicht der dickste Fisch der Stadt.

Dantes Frage verfolgte mich. Was tat ich hier? Die Hotelpläne zu besorgen war Teil meiner Aufgabe gewesen. Immerhin hatten sie bei mir mehr oder weniger rumgelegen. Okay, ich hatte Mutters Pikosyn anzapfen müssen, doch Tante Sichu hatte mir das irgendwann beigebracht. Simpel.

Aber warum hatte ich mich breitschlagen lassen? Dante hatte nicht lange auf mich einreden müssen. Dabei störten mich die Kol Mani gar nicht.

Ich hatte keine Zeit, mir die Antwort zu geben. Kicko brachte Triilüma und Lima, dann, noch mal eine Minute später, Dante.

Der Ilt schaltete den Formenergievorhang ab und glitt theatralisch seufzend in die Kuhle. »Teleportertaxi spielen schlaucht, Leute!«

Da hatte Lima schon den Rucksack abgenommen und den Inhalt ausgekippt. Jeder außer dem Ilt und mir schnappte sich eine der runden Dosen, die herausgefallen waren. Ich sah zu.

Lima bemerkte mein Zögern. »Los, Ty! Wir machen uns entweder alle schuldig oder keiner!«

Sie hatte gut reden. Ich hatte nicht nur die Pläne des Hotels besorgt, sondern auch die der Wachablösung –wenn einer schuldig war, dann ich. Trotzdem packte ich den letzten Behälter und begann zu sprühen. Mein Magen rumorte.

Limas Vater produzierte hyperphysikalische Spezialeffekte für Liveveranstaltungen. Von ihm hatte sie die teuren Farben gemopst; die Dosen waren mit Massenaufhebungspotenzialen bestrahlt, die die Pigmente für bis zu zwölf nimidische Stunden schwerelos machten. Das reichte, damit der Botschafter die schwebenden Parolen sah, ehe sie zu Boden sanken und dort grellgrüne und gelbe Lachen bildeten.

»Haut ab, Foraks!«, sprühte Triilüma vor die Schlafkuhle.

Lima setzte daneben: »Gebt das Heiligtum frei!« Die Allianz hatte die Arkonspitze auf Bitten des Korrelats vor Jahren zum Sperrgebiet erklärt. Es war Dantes größtes Ärgernis.

»Freiheit für Druuf und Menschen«, schrieb Dante über die Cocktailbar – Freiheit wovon, verriet die Schmiererei nicht.

Ich sah durchs Panoramafenster, während ich nimidische Lettern in die Luft malte. Am Turm des Finanzministeriums gegenüber leuchtete die Anzeige für den neuesten »Ultra Boy«–Trivid-Streifen; das Gesicht des Hauptdarstellers riesengroß, die Lippen breit wie Lastengleiter. Das Kol-Manische Korrelat war ein reines Handelsbündnis und hatte nicht einmal eigene Streitkräfte. Ohne die Kol Mani hätte es vielleicht keinen intergalaktischen Handel, keine Gleiterlippen und keinen Lichtozean aus Indigo und Blau gegeben. Das war schon alles.

Aber Dante sah es anders. Und wir hörten auf Dante.

Weit kamen wir nicht. Bei der vierten Parole piepte der Türsensor.

Triilüma schrillte, Lima erstarrte. Kickos Schnurrbart zitterte. Jemand stand draußen auf dem Flur.

Panik! Ich warf die Dose von mir und verwirbelte den angefangenen Spruch. Neonrote Schwebefarbe blieb an meinen Händen und Ärmeln kleben. Der Holover, wie die Kapuzenpullis mit den bunten Holoapplikationen hießen, war ruiniert.

Trotz des Schocks kam Dantes Ausbruch überraschend. Er trat gegen die Bar, machte einen Satz, riss mich herum und krallte sich an meinen Schultern fest.

»Ich dachte, du kennst die Wachpläne!«, rief er. »Eine Stunde wollte ich von dir, keine zehn Minuten!« Meine Trommelfelle klingelten. Sein Atem roch nach Abendessen.

Die anderen wichen zurück, die Augen weit aufgerissen. Sie fürchteten Dante, wenn er so war; stundenlang sprach er kaum ein Wort, dann explodierte er. Damit rechnen konnte man nicht.

»Tut mir leid!« Schmerzhaft wand ich mich unter seinem Griff. Ich verstand selbst nicht, was schiefgelaufen war. Hatten sie das Ablöseintervall verändert?

Die Tür glitt auf. Ein Druuf in der Uniform der Sicherheitskräfte trat in den Raum, sah erst uns, dann die Schmierereien. Im nächsten Moment lag ein Paralysator in seinen Händen.

Alles überschlug sich. Kicko sprang aus der Kuhle, packte Lima und Triilüma und entmaterialisierte. Gut! Wenigstens sie waren in Sicherheit!

Dante ließ mich los. Er verzerrte das Gesicht zu einer Grimasse, ballte die Hände zu Fäusten und stürzte sich mit einem Wutschrei auf den Druuf. Seine Wangen waren rot.

»Dani!« Meine Stimme überschlug sich. Hielt mein Kumpel sich wirklich für stark genug, es mit einem Druuf aufzunehmen? Der Insektenabkömmling war fast drei Meter groß und beinahe ebenso breit.

Und bewaffnet. Ich sah weg, als der Schuss sich aus dem Paralysator löste und Dante traf; auch, als seine Knie nachgaben und er mit dem Kinn voran hinprallte.

Tränen verschleierten meine Sicht. Es ist meine Schuld. Das Gefühl hatte ich immer.

Ich wehrte mich nicht, als der Druuf uns Energiefesseln anlegte und uns unter seine braunen, haarlosen Arme klemmte. Auch nicht, als er die Suite verließ und uns auf Säulenbeinen durchs Gebäude schleppte. An seiner Brust prangte ein Namensschild: »Tonom« hieß unser Bezwinger.

Wir schwebten einen Liftschacht hinab.

»Du weißt, zu wem ich euch bringe?« Genau wie Triilüma benutzte der Druuf einen Audiotransposer. Beide Spezies sprachen Kraahmak in für Menschen schmerzhaften Tonlagen.

Ich nickte, so gut sein Griff es zuließ. Meine Wange rieb heiß gegen seine Armbeuge. »Zu deiner obersten Chefin.«

Botschafter Lix war wegen eines interstellaren Kongresses hier, zusammen mit Korrelatsabgeordneten aus der ganzen Milchstraße. Die Leiterin von Druufonsav hatte ein Büro hier im Hotel. Ob Tonom ahnte, dass ich das wusste? Und wenn ja – woher kam seine Ahnung?

Im Erdgeschoss ging es durch ein Gewirr von Korridoren. Hotelgäste aller Spezies drehten die Köpfe. Dante hing paralysiert im anderen Arm des Polizisten, doch ich sah ihn kaum; Tonoms Bauch und Brust waren im Weg.

Schließlich erreichten wir das Büro. Tonom meldete sich beim Servo, die antike Holztür öffnete sich automatisch. Schlaff hing ich in Tonoms Griff.

Drinnen umsehen musste ich mich nicht. Ich kannte diesen Raum aus den Plänen, die ich geklaut hatte. In der Mitte thronte ein mit Syntroniken versehener Arbeitstisch, Überwachungs- und Datenholos glühten links und rechts davon. Davor standen zwei Besuchersessel. Der Druuf setzte mich und Dante darauf ab und löste unsere Fesseln.

»Dani?« Ich betastete ihn. Der Kopf meines Kumpels kippte kraftlos zur Seite. Er schlief, aber es ging ihm gut. Ein Glück!

Jemand räusperte sich.

Es fühlte sich an, als stünden meine Wangen in Flammen. Von allen, die mich hatten erwischen können, war ich auf sie am wenigsten scharf.

Ich stellte mich dem Unvermeidlichen.

Hinter dem Tisch saß die Chefin von Druufonsav, also der Behörde, die zugleich Erd-Sicherheitsdienst und Allianzraumflotte war: eine kurzhaarige Arkonidin Ende vierzig, mit eng stehenden Augen. Sie lehnte sich im Kontursessel zurück, verschränkte die Arme im Nacken und sah mich über die Holos hinweg spöttisch an.

»Wen haben wir denn da?«

»Ich kann's erklären.« Ich gab mich lässig und wäre doch am liebsten im Boden versunken.

Natürlich hatte sie über ihre Holos verfolgt, was in der Suite vorgegangen war, und wusste Bescheid. Vermutlich hatte sie sogar Tonom geschickt.

Wie dumm kann man sein, Tyler? Mit all dem hätte ich rechnen müssen. Ich kannte sie lange genug.

»Da bin ich gespannt, junger Mann. Deine Mom wird es auch brennend interessieren.« Die Arkonidin gab dem Druuf einen Wink. »Danke, Tonom. Ich übernehme.«

Ich schluckte. Zu Hause erwartete mich ein Donnerwetter.

»Kerbon Lix wird einen ausführlichen Bericht wünschen, Rowena.« Tonom aktivierte mit seinem Schläfenimplantat ein Notizholo. »Ich brauche die Namen der Übeltäter.«

»Ah, die Kol Mani und ihre Bürokratie.« Die Arkonidin tat, als würde sie überlegen. »Na schön. Der Rothaarige heißt Dante Turnham, siebzehn Jahre, wohnhaft in Gonhar. Der jüngere Tyler. Alter fünfzehn. Wohnort bekannt.« Sie zwinkerte mir zu.

»Der Nachname?« Tonom tippte mit.

Rowena starrte mich an – und nickte auffordernd.

Meine Wangen brannten noch heißer. War das schon Teil der Strafe? Scheiße, wusste sie nicht, wie ungern ich mich mit ganzem Namen vorstellte? Der Mann, von dem ich ihn hatte, war mir fremd.

»Na?« Die Arkonidin faltete die Hände auf der Tischplatte. Ihre Lippen wurden dünn.

In diesem Moment hasste ich sie. Dies war ein Kräftemessen, und sie würde nicht nachgeben. Da war sie anders als Mom.

Tonom starrte mich aus seinen vier Facettenaugen drängend an. Das Notizholo war zur Hälfte beschrieben.

Von mir aus. Ich seufzte.

2.

Tyler Rhodan

Tag 94, Epoche 10.304

Rowena Gonozal arbeitete oft bis nach Mitternacht. In den frühen Morgenstunden rasten wir auf dem Hyperrad durch die Innenstadt.

Es war ein Höllenritt! Gleiter, Passanten, eine Turbounterführung – mit Höchstgeschwindigkeit schlängelte die Arkonidin sich durch den Verkehr, quetschte sich durch Lücken zwischen Lasttransportern, so knapp, dass ich mich schon mit dem Helm in einem Kotflügel hängen sah.

»Seesh! Mach locker!« Meine Hände verkrampften sich im Stoff ihres Sicherheitsanzugs, die Straßenbeleuchtung formte Streifen auf nasser Piste. Mit dem eigenen Flitzer war das Tempo eine Sache – sich auf dem Rücksitz hilflos an eine irre Raserin zu klammern, eine ganz andere.

»Angst, Großmaul?« Beim Garbeschianerplatz legte Rowena sich in eine Kurve, mein Knie schabte fast über den Straßenbelag.

Hinter dem Botschafterviertel erreichten wir das historische Stadtzentrum. Das Areal war dunkel – keine Werbeholos oder Leuchtreklamen, nur Gebüsch, Erdgruben und der ehemalige Gouverneurspalast, angeleuchtet in fadem Weiß. Tagsüber buddelten Forscher von der atlantischen Uni die Ruinen aus. Wir rasten an dem zerfallenen Trichterbau vorbei.

Ich hielt den Mund. Dass wir nicht den öffentlichen Personentransmitter nehmen konnten, so wie andere, nervte. Dante war längst bei seinen Pflegeeltern und hatte die Standpauke sicher schon hinter sich. Ich beneidete ihn darum.

Die Grenze zum Stadtteil Gonhar wirkte wie mit dem syntronischen Liniengeber gezogen. Gleich nach der Parlamentshalle mit ihren silkrinischen Säulen veränderte sich die Architektur: Bungalows und Villen im neo-lemurischen Stil anstelle von Wohntürmen und Kuppelbauten, mal vereinzelt, mal verschachtelt mit Dutzenden anderen. Holografisch verzierte Fassaden erhellten die Nacht – keine Werbung, sondern Kunstwerke. Hier gab ein Maahk einem Druuf die Hand, dort spielten Ilts mit Menschenkindern – die Bilder repräsentierten die Bewohner.

»Ich hoffe, deine Mom ist noch wach.« Über einem Rasen in der Gruelfin-Straße schwebte mannshoch das Haus, in dem ich mit meinen Eltern lebte. Rowena parkte unter der Trivid-Fassade – die Häuserfront zeigte eine Flussaue, überwuchert von rotem Schilf, wie er im äußersten Südosten von Atlantis wuchs. Mom liebte das Gemälde. Sie sagte, es erinnerte sie an früher.

»Unwahrscheinlich.« Ich rieb mir die Augen. Es war kurz vor ein Uhr. Vielleicht blieb mir das Donnerwetter bis zum Morgen erspart. Zum Glück waren Ferien, ich musste nicht raus.

Wir stiegen ab. Rowena zog mich an der Kapuze zum Eingangstransmitter. Der Hausrechner identifizierte uns, das Entstofflichungsfeld summte. Im nächsten Moment standen wir im Wohnzimmer: geflochtene Schränke aus trebolanischer Seide, ein Howalgoniumkronleuchter und Tapeten in sanftem Beige. Dantes Familie kannte solche Einrichtungen nur aus Trivids über Reiche.

Mom war noch wach. Mit übereinandergeschlagenen Beinen saß sie auf der Okrillleder nachempfundenen Couch und sah erwartungsvoll zu uns auf. Das schwarze Haar war im Nacken zu einem Zopf gerafft. Auf der kaffeebraunen Stirn prangte ein Spiralmuster aus dunkelroter Neonfarbe, das »Vrouhtou-Zeichen«, wie sie es nannte. Sie trug ihren pfirsichfarbenen Morgenrock.

»Ihr seid spät!« Mom war gut gelaunt. Das machte es nur schlimmer!

»Ich hab 'ne Erklärung für alles!«, behauptete ich zum zweiten Mal binnen weniger Stunden und zog dabei die Kapuze über den Kopf. Bunter Stoff, beschütz mich vor der Peinlichkeit! Ich wusste immer noch keine Ausrede.

»Da gibt es nichts zu erklären.« Sanft schob Rowena mich vorwärts. »Dieser Turnham-Junge nutzt unser Kind aus, Caysey.«

Tat er das?

Gleich darauf saßen wir zu dritt auf der Couch, ich auf der einen Seite, meine Mütter gegenüber. Gute Polizistin, böse Polizistin. Wie es enden würde, wusste ich schon. Rowena würde meine Geschichte gar nicht hören wollen. Hätte ich wetten sollen?

Hätte ich.

Rowena – Mutter, wie ich und Mom zur Unterscheidung sagten – aktivierte den Holoprojektor ihres Schläfenimplantats. Über dem Couchtisch schlug sie die Hotel- und Wachablösungspläne auf, die ich aus ihrem Syntroniknetz geklaut hatte. Neben jeder Datei erschienen Hinweise: Wer hatte was wann wohin kopiert? Die Zugriffe waren alle mit derselben Nutzerkennungen versehen: Tyler Rhodan. Rowena versah sie wortlos mit gelben Markierungen.

»Vrouhtou-Tam!« Mom massierte ihre Brauen. Kein Tadel oder Vorwurf, das war nicht ihre Art. Nur ein milder Scherz, aber der saß wie ein Stachel: »Du bist der Stiefsohn einer Geheimdienstchefin! Heimlicher wäre nicht gegangen?«

»Sie hat ihren Nachwuchs offenbar schlecht ausgebildet.« Ich verschränkte die Füße auf dem Wohnzimmertisch und rutschte ins Polster, bis ich mehr lag als saß. Die Hände versenkte ich in den Taschen des Holovers. Die Kapuze war mein Schutzschild. Rumlümmeln heißt: »Ihr könnt mir nichts.« Lass sie niemals sehen, wie du rot wirst!

»Oder der ›Nachwuchs‹ arbeitet schlampig, weil er erwischt werden will?« Rowena tat, als würde sie mir über den Tisch hinweg auf den Hinterkopf schlagen. »Du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, mich derart plump austricksen zu können? Dein Name steht an jedem einzelnen Zugriff! Dir muss klar gewesen sein, dass wir dir und deinen Freunden auf die Schliche kommen!«

Ich grinste gelassen, als gäbe es einen geheimen Plan, auf den sie eben reingefallen war – was natürlich Schreckwurm-Dung war. Rowenas Auswertung trug den Zeitstempel von Tag 90 der Epoche 10.304 – vor vier Tagen. Vor fünf hatte ich die Unterlagen geklaut. Mutter hatte also die ganze Zeit Bescheid gewusst und mich ins Messer laufen lassen.

Tante Sichu fiel mir ein, auf deren Schoß ich als Kind gelernt hatte, wie man Syntroniken knackt. Ihre Einbrecherprogramme hatten mir die Arbeit abgenommen. Sie hatte mir nicht gezeigt, wie man Spuren verwischte, wohl, um »dem Kleinen« keine zu große Macht zu verleihen. Das wurde mir gerade erst klar.

Ich war schuld, dass man uns erwischt hatte! Mit einem Mal war mir zum Heulen zumute.

»Niemand hat mich angestiftet.« Ich zeigte auf die gelben Rechtecke und kam mir heldenhaft vor. »Ich bin der Forak, der Bösewicht! Da ist der Beweis, Rowena!«

»Du bist das Opfer.« Seufzend schloss sie die Protokolle.

Stattdessen erschien ein Datendossier im Holo, komplett mit Fingerabdrücken und Gensequenzen. »Dante Turnham« als Überschrift, darunter ein Drei-D-Modell meines besten Kumpels. Biografische Details rasten durch ein Textfeld am rechten Holorand: Eltern unbekannt, vermutlich Waise, lebt bei Pflegeeltern, davor Heime, Jugendstrafe mit 14. Manches davon hatte ich selbst nicht gewusst. Dantes Geheimnisse zu kennen war ein Luxus.

»Du spionierst meinen Freunden nach? Ist Mom damit einverstanden?« Ablenken, das konnte ich!

Ein kurzer Blick zwischen beiden, der alles bedeuten mochte. Ich hatte mich geirrt. Das hier war keine Standpauke. Es war ein Zeugenverhör.

»Was weißt du über deinen Freund?«, fragte Mom. »Rowena sagt, dass er sich in den Armenvierteln unter Mandrogal herumtreibt.«

»Seesh! Und?« Das war kein Verbrechen. Millionen Leute hingen dort jeden Tag rum.

»Ja, und. Einige seiner Bekanntschaften sind meinen Ermittlern bekannt.« Die Arkonidin rief eine Akte mit Überwachungsbildern auf: Dante, wie er in irgendeiner Unterführung mit irgendwelchen Typen in schwarzen Klamotten herumlungerte. Dealer vermutlich. Einer drückte ihm einen stoffumwickelten Gegenstand in die Hand. Das Licht flackerte.

»Der Mann im Holo heißt Anjo Methortan, man sagt ihm Verbindungen zur Arkonmafia nach.« Sie verfiel in dozierenden Tonfall – ich stellte mir vor, dass sie so mit verhafteten Kriminellen und Terroristen sprach. »Kam dir nie in den Sinn, dass der Turnham-Junge sich mit dir angefreundet hat, um über dich an Informationen für sein lächerliches Attentat zu kommen? Ihr habt nichts gemeinsam, keine Interessen, nicht mal denselben Musikgeschmack. Schau euch an!«

Rowenas Holo zeigte nun einen Ausschnitt aus dem Schulfoto vom letzten Sommer. Dantes Klasse stand links auf der Schwebetribüne, er selbst ganz am Rand der Gruppe: groß, rothaarig, hellhäutig, grünes Hemd mit gelben Streifen, Klamotten aus einem der Billigläden vom Unato-Markt. Seine Haare waren länger als jetzt. Mir gefielen sie so besser.

Rechts daneben meine Klasse. Und da, leicht verdeckt vom Handlungsarm eines halbwüchsigen Haluters: Tyler Rhodan, zu klein für sein Alter, schwarze Locken und blassbraune Haut. Ein schmales Gesicht mit Segelohren, die er sich am liebsten angeklebt hätte. Mom sagte, die kämen von meinem richtigen Vater, aber der war seit dreizehntausend Jahren tot. So was kommt vor, wenn man der Sohn einer Zeitreisenden ist.

»Wir haben uns halt gesucht und gefunden.« Ich fand das ganz offensichtlich; die Schüler standen nach Jahrgängen geordnet auf der Tribüne, trotzdem hatten wir es geschafft, nebeneinander zu gelangen. Der Tyler im Holo guckte geradeaus, dem Betrachter direkt in die Augen, grinste sein überlegenes Grinsen und zeigte mit aller Macht, wie lässig er war, genau wie Dante. Was gab's da nicht zu mögen? Ich sah nicht ein, warum es bei dieser Freundschaft um Rowenas Druufonsav-Kram gehen musste.

Überhaupt, der Vergleich bewies nichts! Das Ganze war psychologische Kriegsführung, um mich zu verunsichern.

Und anscheinend funktionierte es. Mom saß auf einmal neben mir; ich hatte gar nicht mitbekommen, dass sie aufgestanden war.

»Oh, Hübscher.« Sie zog mir die Kapuze ab und strich mir durchs Haar. »Du bist nicht schuld an dem Mist, den deine Freunde bauen. Nur an deinem eigenen. Willst du ein Werkzeug sein?«

Ich zuckte unter der Berührung zusammen. Ihr Kummer vermischte sich mit meinem; ich sah mich durch ihre Augen und fühlte mich nackt. »Natürliche Empathie« hatte Onkel Atlan das einmal bei ihr genannt, für Mom war es die »Gabe«. Ich hatte sie geerbt.

Mir wurde schlecht.

»Lass mich!« Ich schlug ihre Hand weg, sprang von der Sitzgruppe auf und stürmte aus dem Wohnzimmer. Weg, weg, nichts wie weg! Wer Kummer mit mir hatte, war ohne mich besser dran.

»Tyler!«

Ich ignorierte Rowenas Ruf. Im Flur öffnete die Syntronik meine Zimmertür. Ich stürmte hindurch. Am liebsten hätte ich die Tür hinter mir zugeknallt, aber so zuvorkommend war der Hausrechner nicht. Lautlose Häuser machten aggressiv!

Drinnen zerrte ich mir den schmutzigen Holover über den Kopf und schleuderte ihn auf die Dreckwäsche vorm Bett.

Stoff klatschte lasch aufeinander. Das Geräusch ließ mich unbefriedigt zurück.

Sogar die Klamotten verhöhnten mich!

Mit einem Aufschrei trat ich den Haufen, dass Hemden, Unterhosen und Pullis durchs Zimmer flogen.

Was nun? Pünktchen tanzten vor meinen Augen und mir ging es kein bisschen besser.

Ich verzichtete auf ein neues Oberteil, vor lauter Wut war mir sowieso heiß. Wie ich war, stellte ich mich ans Fenster und versuchte, nicht meine Rippen zu zählen, die bei jedem Atemzug hervortraten. Kamen meine Mütter mir hinterher?

Minuten verstrichen. Draußen überstrahlte die Holoaura der Stadt den Nachthimmel; nur eine Handvoll Sterne durchdrang den Dom aus künstlichem Licht. Ich wischte eine Socke beiseite, die mein Tritt auf die Fensterbank befördert hatte, und lauschte. Im Wohnzimmer hörte ich meine Mütter streiten, natürlich meinetwegen, aber wenigstens ließen sie mich in Frieden. Durch die Tür verstand ich kein Wort.

Mein Fenster ging nach Osten. Hinter der Silhouette ferner Wohntürme lag Nestorr, das kommerzielle Zentrum von Can Coronto. Über den Dächern strahlte Reklame für ein Musiktheater, das zurzeit Besucher aus der ganzen Galaxis nach Atlantis lockte – »Sonnenkinder«, es ging um Planeten und Konstellationen in wildem Tanz.

Ich stellte mir vor, ich sähe dort drüben die Milchstraße. Ein nachgemachter Sternenhimmel war besser als keiner.

Er war irgendwo da oben.

Perry Rhodan. Mein Namensgeber.

Hätte er es verstanden? Das mit Dante und mir?

Hätte er mich in Schutz genommen, Dantes Position verteidigt? Es hatte eine Zeit gegeben, bevor er auf mich gepfiffen hatte. Wir waren eine Familie gewesen: Mom, Rowena, Tante Sichu, Onkel Atlan, Perry Rhodan und ich. Mein echter Dad war seit Äonen Kompost, Perry das Nächstbeste.

Vermisste ich sie?

Ich starrte in die falsche Galaxis und malte mir aus, wo sie alle waren.

3.

Sichu Dorksteiger

Tag 94, Epoche 10.304

Wie schwer konnte es sein, einen verdammten Roboter zu finden?

Und wie kompliziert war es bitte schön, als angeblicher Umstürzler von einem Hinterwäldlerplaneten wie Arkon III zu entkommen?

Zornig stand Sichu Dorksteiger vor der riesigen Halbkugel, die das Sternenreich der Arkoniden regierte. Die Halle roch nach Öl und Dreck. Die Einsatzkombination klebte feucht an ihrer Brust – die Bewohner Arkons mochten es warm, sie schwitzte.

Ein Grund mehr, schnell von hier zu verschwinden. Und ausgerechnet eine Maschine verhinderte ihre Abreise. Welche Ironie!

Auf einem altertümlichen Bildschirm flimmerte Text: Antrag auf Herausgabe der FARNATHIA abgelehnt. Ausreise wird aufgrund oppositioneller Umtriebe verweigert. Schichten aus altem Staub trübten die Schrift. Vermutlich klebte er schon seit fünftausend Jahren auf dem Glassit.

»Du wirst unsere Mission nicht scheitern lassen, du obsolete Anhäufung positronischer Schaltkreise!« Dorksteigers Faust hieb gegen die Bildschirmeinfassung. Glockenartiger Hall brachte die Halbkugel zum Beben. »Du nicht, Robotregent!«

»Ich muss dich bitten, den Großen Koordinator nicht zu schlagen!«, flehte eine ältliche Stimme. Sie gehörte Crest Taro, dem sogenannten Verweser des Regenten. »Mit körperlicher Gewalt wirst du ihn nicht umstimmen.«

Atlan, der die Ator bei dieser Audienz begleitete, lachte. Wände und Decken warfen das Gelächter zurück, verstärkten es vielfach, bis es in ihren Ohren schmerzte. Sie standen in einer Kathedrale aus veralteter Hochtechnologie.

»Was ist so lustig?« Dorksteiger starrte ihrem Begleiter ins verwitterte Gesicht.

»Alles.« Der ehemalige Kristallprinz lehnte mit verschränkten Armen an einem schäbigen Positronik-Wandterminal, das Knie war angewinkelt, den Fuß gegen das Metall gestützt. Das lange Haar, einst weißblond und wallend, wirkte dünn. Bartstoppeln wucherten spröde auf seinen Wangen. »Sprengen wäre eine Lösung. Ich wüsste sogar schon einen Ersatz für dieses Ding.« Mit dem Daumen tippte er sich auf die Brust.

Taro zeigte Nerven. Tränen flossen über die Wangen des Verwesers. »Deine Rede grenzt an Aufwiegelei, Atlan Gonozal!« Arkon hatte viel zu verlieren, wenn es aufmuckte, und ein wiedergekehrter Prinz aus der Zeit vor dem Kol-Manischen Korrelat war eine Provokation. »Der Große Koordinator akzeptiert deine Autorität ohnehin nicht. Die Kol Mani haben ihn in ihrem Sinne umprogrammiert.«

»Da Gonozal.« Atlan nahm den Fuß von der Wand. »Oder Gonozal VIII., wenn dir das lieber ist, Verweser. Welche Autorität hat das Korrelat auf Arkon? Ihr seid lediglich assoziiertes Mitglied!«

»Schluss!«, rief Dorksteiger. »Alle beide!« Es war ein dümmlicher Kleinkrieg, den die Männer da aufführten. Atlan inszenierte sich als Adligen alter Schule. Taros Vorgänger, hieß es, seien die Systemadministratoren des Gigantrechners gewesen.

Dieser Kerl jedoch ... Dorksteiger ließ den Blick an ihrem Gegenüber herabwandern. Verhutzelt, ungepflegt und dünn, krumme Schultern und eingesunkene Brust – Crest Taro hielt sich für einen Hohepriester und war doch nur ein besserer Hausmeister. Die Ära der Khasurne, des Großen Imperiums und gigantischer Raumflotten war vorbei. Druuf und Maahks hatten seit Langem dafür gesorgt. Die Bevormundung durch die Positronik war ihre Bedingung für Arkons Fortbestand als souveränem Staat gewesen. Darauf fußte Taros Macht.

Und darum hatte der Regent ihr Raumschiff konfisziert, sie zu politischen Unruhestiftern erklärt und ihre Suche nach dem Roboter jäh unterbrochen. Wegen Atlans Ambitionen saßen sie auf Arkon III fest – und wegen seiner großen Klappe.

Was machen wir hier überhaupt? In einer anderen Welt hatte Dorksteiger einen anderen Atlan gekannt, jünger am Leib und reifer im Geist. Er hätte sich zu beherrschen gewusst. Und der Robotregent, dem sie mit viel Mühe eine Audienz abgerungen hatten, war in jener Wirklichkeit längst vernichtet.

Dorksteiger hämmerte erneut gegen das Metall, wieder dröhnte die Kuppel. Ihre Fäuste zitterten. »Ist es sinnvoll, ausreisewillige Umstürzler an der Rückkehr in die Galaxis zu hindern, Taro? Wir sind Bürger der Druuf-Allianz, denk an die politischen Folgen.« Diplomatie war nicht ihre Stärke, aber in der Tangente, hatte sie gelernt, kam man damit immer am weitesten.

»Ich mache die Befehle des Koordinators nicht.« Taro verbeugte sich entschuldigend. »Ich verkünde sie nur.«

Schweigen trat ein. Die Echos verhallten, zurück blieb Leuchtschrift unter uraltem Staub. Der Bildschirm und der Entschluss des Regenten verspotteten sie.

»Wir werden auch ohne die FARNATHIA aus Thantur-Lok entkommen.« Das harte Kunstlicht zeichnete die Krähenfüße in Atlans Augenwinkeln mit brutaler Ehrlichkeit nach. Mit einem Mal sah er wie ein alter Mann aus. Doch gab er sich kampflustig: »Wir haben schon früher Geld für Charterraumschiffe aufgetrieben. Und wer weiß, vielleicht entdecken wir doch noch eine Spur von Rico.«

»Kein Arkonide wird uns freiwillig ins Allianzgebiet bringen, Atlan. Die Preise wären astronomisch.« Sie konnten froh sein, dass sie einstweilen auf freiem Fuß blieben – die Festnahme zweier Allianzbürger auf seinem Staatsgebiet war Taro zu riskant. Arkon III war ohnehin ein planetengroßes Gefängnis. Und was Atlans alten Robotergefährten anging ...

Der Hinweis, der sie vor über vier Monaten auf die Militärwelt der Arkoniden geführt hatte, erwies sich als Sackgasse – wie so viele Hinweise davor Die Spuren führten von einem Planeten zum nächsten, waren teils jahrhundertealt und unter Legenden begraben. War Rico der Schlüssel, mit dem sie diesen ganzen Schlamassel rückgängig machen und ihr Zuhause wiederherstellen konnten? Niemand wusste, ob er überhaupt noch existierte.

In anderen Worten: Sie jagten Phantome. Woher ihr Gefährte nach all der Zeit seine Zuversicht nahm, war Dorksteiger ein Rätsel.

»Wenn ihr diesen Roboter so dringend benötigt«, sagte Crest Taro, »kann ich sicher einen Anbieter auftreiben, der geeigneten Ersatz besorgt. Soweit ich eurem Gesuch entnehme, ist es ein spezifisches altarkonidisches, prä-kol-manisches Modell, für das ihr euch interessiert?«

»Schon gut!« Dorksteiger warf sich herum, ließ die Riesen-Halbkugel hinter sich und floh mit weiten Schritten aus der Halle. Atlan rief ihr hinterher, Crest Taro stammelte Entschuldigungen, doch sie hatte genug gehört. Mit zur Faust geballter Hand schlug sie auf den Türöffner des Ausgangs, wartete, bis das Portal aufglitt, und zwängte sich durch den Spalt.

Plötzlich stand sie mitten im Dschungel.

*

Es gab vieles in der Tangente, das sich von der ursprünglichen Realität unterschied. Völker, die hier gediehen, galten dort als ausgestorben. Jene Sternenstaaten, die die eine Wirklichkeit dominierten, waren in der anderen nie entstanden. Ganz zu schweigen von der kompletten verdammten Menschheitsgeschichte, die nie stattgefunden hatte.

Aber eine Sache war in beiden Kontinuitäten gleich: Arkon III – das ursprüngliche, das im Jahr 2329 alter Zeit von Blues zerstört worden war, »hier« hingegen weiter existierte – war keine Dschungelwelt.

Der Robotregent lag eingebettet in ein planetenumspannendes Netzwerk aus Werften, Industrieanlagen und Raumhäfen. Zudem schirmte ein 80 Kilometer hoher Wabenschutzschirm den Kernbereich vom Rest des Planeten ab.

Wo also kam die ganze Flora so unerwartet her? Verwirrt drehte Dorksteiger sich um die eigene Achse.

Die Tür zum Audienzsaal war verschwunden. Stattdessen: Farne und baumhohe Pilze ringsum. Dunkles Blau spannte sich über die Wipfel, Gestrüpp verfilzte den Untergrund. Durch das Geäst erahnte die Ator Umrisse von Trichterbauten hinter einem Berg und glaubte, Gerüste und Bauschweber zu erkennen. In der Ferne entstand eine Großstadt.

»Hallo? Ist jemand hier?«

Dorksteiger hielt inne. Sie hatte erwartet, dass ihr Ruf sich zwischen den Ästen und Stämmen verlieren würde, doch die Akustik stimmte nicht. Ihre Stimme gellte von nahen Wänden wieder, die sie nicht sah. Irgendwo stritten Atlan und Crest Taro. Als sie die Hand streckte, prallte sie gegen ein unsichtbares Hindernis.

»Ein Trugbild. Rein visueller Natur.« Dorksteigers wissenschaftliche Neugier war geweckt. Sie aktivierte das Schläfenimplantat und startete eine Aufzeichnung. Alles mochte später nützlich sein.

Die Ator strich über eine Wand aus Arkonstahl, befühlte die Unregelmäßigkeiten im Metall und den Schmutz, der sich darauf abgesetzt hatte. Ihre Augen behaupteten stur, die Finger würden durch die Luft fahren. Auf einem Riesenfarn zwitscherte eine vogelähnliche Kreatur, blieb jedoch unhörbar.

Ihr Bauch rumorte. War dies eine Art Holo? Eine Pararealität? Eine Wahnvorstellung, ausgelöst von einem böswilligen Hypno oder halluzinogenen Substanzen? Der Umweltsensor, dessen Output über ihren Sehnerv flatterte, identifizierte keine kritischen Bestandteile in der Atemluft – nur sterile Atmosphäre und die arkontypische Raumtemperatur von 24 Grad. Angeblich herrschte grelles Licht, doch für Dorksteigers Sinne setzte die Abenddämmerung ein.

Was war dies für ein Ort? Als sie einen Schritt tat, schien die Landschaft sich zu drehen. Ihr Orientierungssinn versagte. Wie lange, bis der Brechreiz sie überkam? Gab es einen Ausweg aus dieser Vision?

Da! Bewegung am Rand ihres Sichtfelds. Sie hob das Kinn. »Hallo?«

Eine Expedition zog durch den Urwald. Hinter Stämmen und Buschwerk erkannte sie Arkoniden, die sich lautlos den Weg bahnten. Zwischen ihnen tollten kleinwüchsige, halb nackte Humanoide, die an irdische Kängurus gemahnten. Die Eingeborenen dieses Planeten?

Sie stutzte.

Die Arkoniden. Ihre Kleidung ... waren das ...? Aber das konnte nicht sein!

Dorksteiger kämpfte den Schwindel nieder, so gut es ging. Sie musste genauer hinsehen! Beide Arme von sich gestreckt, um nicht gegen unsichtbare Stahlwände zu laufen, lief sie dem Tross entgegen. Die Pflanzen waren so immateriell, wie es das Implantat behauptete – sie schritt geradewegs durch sie hindurch.

Hinter der Baumreihe hinderte die Korridorwand sie am Weiterkommen, doch die Aussicht genügte. Die Arkoniden trugen Forschungsausrüstung – Sensorgeräte und tragbare Positroniken. Auf ihren Schultern prangten Abzeichen aus Sonnen-, Stern- und Dreieckssysmbolen.

Es waren Insignien und Uniformen der Kristallflotte. Einer Flotte, die nicht existierte. Zumindest nicht in dieser Zeitlinie. Die Ator stöhnte. Ich kenne diesen Ort. Aber das ist unmöglich!

Jemand berührte sie an der Schulter. »Sichu?«

Es war, als pustete jemand ein Mandala weg. Der Dschungel verwehte, machte rötlich grauen Korridoren und Böden aus geriffeltem Arkonstahl Platz. Leitungen und Plasmakonduktoren verliefen in Bündeln unter der Decke, arkonidische Hochtechnologie des Jahres 6000 vor Christus. Sie starrte in Atlans Altmännergesicht.

»Geht es dir gut?« Der Arkonide machte eine besorgte Miene.

»Ich ...« Dorksteiger stockte. Wie sollte sie ihrem Begleiter klarmachen, was sie gesehen hatte? Sie wischte durch die Sensorwerte des Implantats, fand aber keinen Hinweis. »Wie sah es für Außenstehende aus? Was habe ich getan?«

Crest Taro hielt vorsichtig Abstand. »Du warst ... weggetreten. Bist wie eine Schlafwandlerin umhergetappt und gegen Wände gerannt. Soll ich einen Mediker rufen?«

»Nein!«, rief Atlan, eine Spur zu schnell. Er fasste die Ator bei den Schultern.

Auf ihren fragenden Blick fuhr er leiser fort: »Du warst in einem Urwald mit stummen Fluggeschöpfen? Eine unfertige Stadt in der Ferne, Eingeborene und Arkoniden in fremden Uniformen?«

Crest Taro schwieg stirnrunzelnd.

Sichu nickte. Atlan hatte es also auch gesehen. Sie war nicht verrückt, und dass es sich um eine Halluzination gehandelt hatte, war somit ebenfalls ausgeschlossen. Dass zwei Personen unabhängig voneinander und zur selben Zeit dieselben Bilder phantasierten, war praktisch unmöglich. Atlans Extrasinn würde ihm soeben dasselbe erzählen.

Derweil trat Crest Taro unschlüssig von einem Bein auf das andere. »Seid ihr sicher, dass ihr keine medizinische Hilfe benötigt?« Der Verweser schien nichts von der Dschungelwelt gesehen zu haben. War das Phänomen für jeden außer ihr und Atlan unsichtbar?

»Die Vision hielt mich nicht so gefangen wie dich, aber sie schien mir real.« Atlan hatte wohl beschlossen, Taro zu ignorieren. »Was war das für ein Ort?«

Dorksteiger zögerte weiter. Wie sollte sie es ihm erklären?

Was sie gesehen hatten, war Ogoruud – das neue Arkon III. Ein Planet, den die Arkoniden quer durch den Kosmos transferiert hatten, um das zerstörte Original zu ersetzen. Aber in der Tangente war all das nie geschehen. Die hiesigen Arkoniden wären zu einer solchen Großleistung nie imstande.

I.

Fünfzehn Jahre zuvor

Vier Freunde fassten einander bei den Händen, nahmen Anlauf und sprangen gemeinsam mit einem Säugling in die gerettete Zukunft. Zumindest war es das, was Perry Rhodan hoffte.

Zeit rieselte. Sichus Hand schien sich in der seinen aufzulösen, Caysey driftete davon.

»Zusammenbleiben!«, glaubte er zu rufen. Bewegten sich seine Lippen? Oder drang schierer Gedanke aus seiner Kehle?

Für einen winzigen Augenblick existierten sie niemals und in allen Momenten gleichzeitig. Gelegenheit, nachzudenken: Was würde er nach seiner Rückkehr ins Jahr 2069 NGZ als Erstes tun?

Atlan retten! Sein alter Freund lag in einer Lache des eigenen Bluts, niedergeschossen von seiner Cousine Rowena da Gonozal – versehentlich, weil sie ihn für einen Doppelgänger gehalten hatte. Danach ... ein Bad. Und ein Wochenende mit einem guten Trivid-Roman. Er gönnte sich viel zu selten solche kleinen Freuden. Sie hatten es sich verdient.

Abenteuerliche Wochen lagen hinter ihnen, in denen er und Sichu Dorksteiger in eine dreizehntausend Jahre zurückliegende Vergangenheit geschleudert worden waren. Dort hatten sie das legendäre Atlantis erkundet, an der Seite eines jüngeren Atlan einen abtrünnigen Kosmokratendiener bekämpft, die Milchstraße vor der teilweisen Entvölkerung bewahrt und nebenher Rico zu seinem Dasein verholfen. Unterwegs hatten sie eine Eingeborene kennengelernt und sie samt ihrem ungeborenen Kind vor dem Tod gerettet.

Nun begleitete Caysey die Zeitreisenden auf ihrem Heimweg. Danach würde der Transmitter ein für alle Mal zu existieren aufhören. Eine Rückkehr in die Vergangenheit, hatte ihr ehemaliger Gegner Joshiron behauptet, würde es nicht geben.

Das war gut so. Von Zeitreisen und ihren Wirrungen hatte Rhodan auf absehbare Zukunft genug.

Die Sekunden flossen schneller. Der Terraner holte Luft und bereitete sich auf die Ankunft vor.

Das Tor gab sie frei.

Rhodan stürzte. Aus Reflex ließ er Sichu und Caysey los, riss die Arme nach vorne und rollte sich ab. Seine Handballen klatschten auf Kacheln aus grün gesprenkeltem Marmor. Er hörte das Ächzen seiner drei Begleiterinnen, als sie neben ihm zu Boden fielen, das Schreien des Babys und verhaltenes Stöhnen.

Atlan.

Rhodans Reaktionsgabe galt als legendär. Er biss die Zähne zusammen, ignorierte den Schmerz in den Knien und Handgelenken und richtete den Oberkörper auf. Seine Finger waren nass. Als er sie betrachtete, klebte rote Flüssigkeit daran. Er war in die Lache aus Atlans Blut gestürzt.

Auf Knien robbte er zu dem Verletzten, befühlte seinen Puls. Atlans Herz schlug, wenn auch schwach. Vermutlich unterstützte sein Zellaktivator bereits seine Heilung. Die weiße Einsatzuniform war rot getränkt. Hatte er vor Rhodans Zeitreise wirklich diese Kleidung getragen? Der Terraner erinnerte sich nicht.

»Wo ist Kelen da Masgadan?« Sichu Dorksteiger wies neben die Wendeltreppe, die aus dem Raum führte. Ihre Erklärung galt Rowena und Caysey. »Bei unserer Abreise hat der Besitzer der Tiefseekuppel da drüben gelegen. Wenn die Torintelligenz uns wirklich an den exakten Zeitpunkt unserer Abreise zurückgebracht hat, müsste er immer noch da sein.«

Die Arkonidin und die Atlanterin halfen einander auf. Caysey hielt ihr Baby und suchte es nach Verletzungen vom Sturz ab. Der Junge kreischte, doch er schien wohlauf.

Rowena kauerte sich neben Atlan, »Die wichtigere Frage lautet: Warum ist dieser da Masgadan abgehauen, ohne Hilfe zu holen? Ruf einen Medobot, Sichu!« Ihre Mine war ernst.

Sie hatte recht. Die Rettung ihres Freundes hatte Priorität, alle Ungereimtheiten mussten warten. Rhodan öffnete Atlans Hemd, um besser an die Wunde zu kommen.

Die Ator tippte auf ihrem Mehrzweckarmband. Nach einer Weile legte sie die Stirn in Falten.

»Was?« Atlans Brust war seltsam kalt, als wäre er durch einen Schneesturm gewandert.

»Ich bekomme keine Verbindung zu NATHAN oder dem Liga-Rettungsdienst«, erklärte die Ator. »Stattdessen empfange ich ...«