Auch donnerstags geschehen Wunder - Manuela Inusa - E-Book
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Auch donnerstags geschehen Wunder E-Book

Manuela Inusa

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Beschreibung

Wir kennen uns noch nicht, aber darf ich dich lieben?

Marianne wohnt mit ihrem Kater Johnny Depp in Hamburg. Nachdem ihr Freund Martin sie betrogen hat, tröstet sie sich mit romantischen Komödien – und mit Keksen, die sie in Hülle und Fülle bäckt. Einen Teil davon verkauft sie im Café Wallenstein, wo sie als Kellnerin arbeitet. Als sie eines Tages mit ihrer Freundin Tasha auf den Hamburger Dom geht, überredet Tasha sie, eine Wahrsagerin zu besuchen. Diese sieht sofort, dass Marianne mit einem gewissen Martin nicht glücklich werden konnte – schließlich dürfen nicht mehr als zwei Buchstaben der Vornamen zweier Liebender übereinstimmen. Und sie sieht Schottland: Dort wartet die Liebe auf sie.

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Seitenzahl: 464

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Buch

Marianne ist seit knapp sechs Monaten wieder Single. Sie liebt Liebesromane und romantische Filme – und wünscht sich auch in ihrem Leben einen Traummann, der sie auf Händen trägt. Ihre beste Freundin Tasha hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihr in Liebesdingen zu helfen. So versucht sie ständig, sie zu verkuppeln, und verschafft ihr skurrile Dates mit irgendwelchen Freunden ihres indischen Mannes Hari, die jedes Mal in einem Reinfall enden. Als Marianne und Tasha eines Donnerstags im April auf den Hamburger Dom, einen Jahrmarkt, gehen, überredet Tasha sie, sich dort von der Wahrsagerin die Zukunft voraussagen zu lassen. Die Wahrsagerin ist felsenfest davon überzeugt, dass Marianne eine »grüne Aura« umgibt und dass ihr Traummann in Schottland auf sie wartet.

Zu Schottland fällt Marianne allerdings nicht viel mehr ein als Rob Roy, Diana Gabaldon und Männer in Schottenröcken und mit Dudelsack – und so einen kann sie sich beim besten Willen nicht an ihrer Seite vorstellen …

Autorin

Manuela Inusa wurde 1981 in Hamburg geboren und wollte schon als Kind Autorin werden. Kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag sagte die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin sich: »Jetzt oder nie!« Nach einigen Erfolgen im Selfpublishing erscheinen ihre aktuellen Romane bei Blanvalet. Ihre Valerie-Lane-Reihe verzauberte die Herzen der Leserinnen und eroberte auf Anhieb die SPIEGEL-Bestsellerliste, genau wie ihre aktuelle Kalifornische-Träume-Reihe. Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern in einem idyllischen Haus auf dem Land. In ihrer Freizeit liest und reist sie gern, außerdem liebt sie Musik, Serien, Tee und Schokolade.

Von Manuela Inusa bereits erschienen

Jane Austen bleibt zum Frühstück Auch donnerstags geschehen WunderDie Valerie Lane 1 Der kleine Teeladen zum Glück 2 Die Chocolaterie der Träume 3 Der zauberhafte Trödelladen 4 Das wunderbare Wollparadies 5 Der fabelhafte Geschenkeladen 6 Die kleine Straße der großen HerzenDie kalifornischen Träume 1 Wintervanille 2 Orangenträume 3 Mandelglück

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www.twitter.com/BlanvaletVerlag

MANUELA INUSA

Auch donnerstags geschehen Wunder

ROMAN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

© 2017 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Angela Kuepper

Umschlaggestaltung und -motiv: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com

ED · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-18911-2 V003

www.blanvalet.de

Für Sibah

Kapitel 1

Mittwoch

»Könnte ich noch einen Milchkaffee bekommen?«, bat die junge Frau mit der großen, schwarz umrahmten Brille, die so oft am stillen Tisch in der Ecke saß.

»Gerne.« Marianne lächelte die Frau an. Sie war Bloggerin und hatte anscheinend einen ziemlich angesagten Lifestyle-Blog, den sie sich schon lange mal hatte ansehen wollen. Irgendwie hatte sie es dann aber doch nie geschafft. Nachdem sie den Milchkaffee serviert hatte, ging Marianne zu ihrem Lieblingstisch hinüber.

»Darf es noch ein Stück Kuchen sein?«, fragte sie die rüstige Seniorin Elfriede, die seit Jahren Stammgast im Café Wallensteinwar.

»Oh nein, mein Kind. Wenn ich nicht aufpasse, platze ich noch aus allen Nähten.« Sie lachte auf.

»So ein Unsinn.« Marianne schüttelte den Kopf. »Sie sind rank und schlank wie immer. Und dazu sehen Sie keinen Tag älter aus als fünfzig.« Sie legte eine Hand auf die Schulter der Vierundsiebzigjährigen.

»Was bist du doch für ein Schatz, Marianne.«

Ja, ja. So etwas sagten die Leute immer zu ihr, natürlich weil sie zu allen lieb und nett war. Die Männer ließen sich davon aber leider weniger beeindrucken.

»Ich würde mich gerne noch ein Weilchen mit Ihnen unterhalten, aber die Kundschaft ruft.«

»Dann lass dich nicht aufhalten. Und wenn du zwischendurch mal eine Minute hast, darfst du mir die Rechnung bringen.«

Marianne nickte und ging zum nächsten Tisch, wohl wissend, dass sie gleich wie jedes Mal genau zwanzig Cent Trinkgeld von Elfriede erhalten würde, was ihr nichts ausmachte, da sie doch wusste, dass diese nur eine kleine Rente hatte. Reich werden würde sie durchs Kellnern sowieso nicht, das war sonnenklar. Egal. Sie mochte ihren Job, sie mochte die nette Kundschaft, und vor allem mochte sie ihre Chefin Eva Wallenstein, der das heimelige Café gehörte.

Eva war genau so, wie man sich eine Mutter wünschen würde – also das genaue Gegenteil von ihrer eigenen Mutter: warmherzig, fürsorglich, liebevoll, fröhlich. Mit ihren achtundsechzig Jahren war Evas Haar bereits weiß wie Schnee, außerdem sah man ihr an, wo sie den lieben langen Tag verbrachte, nämlich hinter einer Kuchentheke. Die mollige Figur stand ihr aber gut, und das schien auch ihr Mann Hugo zu finden, der sich tagtäglich im Café einfand, um seine Frau zu besuchen. Selbst seit einigen Jahren in Rente, langweilte er sich ganz offensichtlich allein zu Hause, doch das war nicht der einzige Grund: Er liebte seine Frau nach fünfundvierzig Jahren Ehe noch immer wie am ersten Tag und wollte einfach in ihrer Nähe sein.

Wenn sie die beiden beobachtete, wie süß sie doch waren, fragte sie sich oft, ob sie so etwas auch einmal haben würde. Wahrscheinlich eher nicht, denn leider Gottes hatte sie mit Männern bisher immer nur Totalreinfälle erlebt. Dabei musste sie nur an ihren letzten Freund Martin denken, den sie vor knapp sechs Monaten in die Wüste geschickt hatte, nachdem sie ihn unter der Dusche erwischt hatte – beim Sex mit einer anderen.

Tja, solch ein ewigliches Glück mit einem Mann, wie Eva und Hugo es lebten, sollte ihr wohl verwehrt bleiben.

Herrje, achtundzwanzig Jahre alt und schon so schwermütig. Das hatte Eva ihr schon oft gesagt, und auch, dass sie die Hoffnung noch lange nicht aufgeben solle. Auf sie warte schon irgendwo der Richtige, und eines Tages würde sie ihm begegnen. »Jeder Topf findet irgendwann seinen Deckel«, behauptete Eva.

Ja, das war so leicht gesagt. Wenn man aber abends nach Hause kam und da lediglich ein Kater auf einen wartete, war das nicht allzu motivierend.

»Marianne, deine Marmeladentaler kommen fantastisch bei den Kunden an«, lobte Eva sie jetzt.

»Ehrlich?«, freute Marianne sich. Sie hatte das Rezept vor einigen Tagen zum ersten Mal ausprobiert. »Ich könnte statt Aprikosenmarmelade beim nächsten Mal auch Himbeere nehmen.«

»Ich vertraue da voll und ganz deinem Können. Mein Hugo ist übrigens auch ganz begeistert.«

Marianne strahlte, sie freute sich richtig über dieses Kompliment, denn Backen war neben Filmegucken ihr liebstes Hobby. Sie hatte schon immer so gerne und so viel gebacken, dass sie viel zu viele Kekse übrig gehabt hatte. Diese hatte sie irgendwann einmal mit in den Laden gebracht, um sie ihren Kolleginnen und auch den Stammgästen anzubieten. Alle waren so begeistert von ihren Plätzchen gewesen, dass Eva ihr angeboten hatte, regelmäßig welche fürs Café mit zu backen. Torten und Kuchen bekamen sie weiterhin von der großen Bäckerei geliefert, doch wenn man schon mal so ein großes Talent zur Hand hatte, warum dann nicht seinen Nutzen daraus ziehen? Marianne brachte es einen kleinen Extraverdienst ein, den sie sich zur Seite legte, falls sie sich irgendwann einmal einen Traum erfüllen wollte. Was genau das für ein Traum sein sollte, wusste sie zwar noch nicht, aber es würde ihr sicher eines Tages gelegen kommen, eine Sparsocke – oder in ihrem Fall einen Spartopf in Form eines lachenden Kaktus – zu haben.

»Du siehst sehr müde aus heute. Geht es dir auch gut?«, erkundigte sich Eva.

»Ach, ich habe nur mal wieder schlecht geschlafen, keine Sorge.« Sie sagte ihr besser nicht, dass der Grund dafür wieder einmal Martin war. Ständig träumte sie von dieser einen Szene, die sie beide entzweit hatte. Die wollte einfach nicht aus ihren Gedanken verschwinden. Und die traurige Wahrheit war, dass sie Martin trotz allem, was er ihr angetan hatte, dennoch vermisste.

Nachdem sie bei Elfriede abkassiert, ihre zwanzig Cent eingesackt und ihr noch einen schönen Abend gewünscht hatte, ging Marianne hinter die Theke, um zwei Cappuccino für das Ehepaar am Fenstertisch zu machen.

Die Türglocke bimmelte, und Hugo betrat das Café. Auf Evas Gesicht bildete sich ein liebevolles Lächeln, sie ging auf ihn zu und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf die Wange. Marianne hatte plötzlich einen dicken Kloß im Hals.

Hugo holte wie so oft eine einzelne rote Gerbera hinter seinem Rücken hervor und überreichte seiner Eva ihre Lieblingsblume. Dann setzte er sich an seinen Stammplatz und gab Marianne ein Zeichen. Sie wusste Bescheid: ein Kännchen Kaffee, viel Kaffeesahne und einen Teller Kekse.

Mit Liebe stellte sie einen kleinen Teller mit Leckereien für ihn zusammen, auf dem natürlich auch die Marmeladentaler nicht fehlen durften. Sie richtete das Tablett her und ging quer durch das Café, das in warmen Brauntönen mit blauen Akzenten gehalten war. Eva hielt nichts von »neumodischem Schnickschnack«, wie sie es ausdrückte. Glastische oder Plastiktischdecken kamen ihr nicht in den Laden. Die Tische und Stühle waren aus dunklem Kiefernholz, der Thekenbereich aus heller Eiche. Die weißen Tischdecken hatte sie mit viel Liebe mit dunkelblauen Lilien selbst bestickt. Auf jedem Tisch standen ein Teelicht in einem abendhimmelblauen Glas und eine kleine, schmale Vase mit je einer weißen Rose. An den Wänden hingen Bilder mit Blumenmotiven in blauen Rahmen. Die breiten Fensterbänke schmückten grüne Pflanzen, zarte blau-weiß karierte Vorhänge rundeten das Bild ab. Und zu guter Letzt gab es in der Ecke eine Kiste mit Spielzeug und einen Babyhochstuhl für die kleinen Gäste. Außerdem hatte Eva immer eine Dose mit Lollis hinter der Theke, die sie den Kindern allzu gern selbst überreichte und sich über deren strahlende Gesichter freute.

»Deine Marmeladenkekse sind fabelhaft«, begrüßte Hugo Marianne, als sie an den Tisch kam.

»Das hat Eva mir schon ausgerichtet.« Sie lächelte ihn warm an. »Ich danke dir, das freut mich wirklich sehr. Wenn ich wieder welche backe, mache ich ein Blech ganz allein für dich.«

»Ach herrje, ein ganzes Blech! Ich glaube nicht, dass meine Eva damit einverstanden wäre.« Ehrfürchtig sah er zu seiner Liebsten hinüber, die drohend den Zeigefinger hob.

»Siehst du! Ein halbes Blech sollte langen.« Er zwinkerte Marianne zu, und sie lachte. »Und was hast du da heute Schönes für mich?«, erkundigte sich Hugo.

»Neben den Marmeladenplätzchen noch Marmorherzen, frisch gebacken.«

»Du bist ein Engel auf Erden. Meine Eva hat wirklich gut daran getan, dich einzustellen. Seit du da bist, brauche ich mir keine Sorgen mehr zu machen, dass sie zu viel arbeitet, weil ich weiß, dass du ein Auge auf sie hast.«

Gerührt sah Marianne Hugo dabei zu, wie er eines der Herzen in die Hand nahm, und freute sich schon auf sein »Mmmmm, einfach köstlich«. Heute jedoch blieb es aus, und stattdessen verzog er den Mund.

Marianne sah ihn verwirrt an.

»Schmecken dir die Kekse nicht, Hugo?« Sie hatte doch extra die gute Butter verwendet, und davon nicht wenig, der Teig war so richtig schön cremig gewesen.

»Doch, doch. Sie sind … nicht übel.« Sein Gesichtsausdruck sagte jedoch etwas anderes.

»Sonst reagierst du aber ganz anders auf meine Kekse. Na komm, sag mir die Wahrheit, was stimmt mit ihnen nicht?«

»Nun ja …« Es war offensichtlich, dass er sie nicht verletzen wollte. Also nahm sie selbst einen Herzkeks und biss davon ab.

Hastig griff sie nach Hugos Serviette und spuckte das Gekaute hinein.

»Oh mein Gott, das ist ja grauenvoll! Wie konntest du das denn überhaupt runterschlucken?« Sie starrte Hugo an. »Ich muss Zucker mit Salz verwechselt haben«, sagte sie zu sich selbst. »So was musste ja wohl passieren. Bei mir geht aber auch alles schief zurzeit.«

»Nun sei mal nicht so streng mit dir selbst. Das ist doch kein Weltuntergang«, versuchte Hugo sie zu beruhigen. »Du weißt doch, was man sagt: Verliebte Köche versalzen die Suppe. Bist du frisch verliebt?«

»Ha! Schön wär’s. Warte, Hugo, ich werfe die eben weg und bringe dir noch ein paar von deinen Lieblingskeksen. Und es tut mir wirklich schrecklich leid.«

Sie war nur froh, dass sonst niemand davon gekostet hatte. Nicht einmal Kekse bekam sie mehr hin. So weit war es schon gekommen.

Eine halbe Stunde später machte Marianne sich auf den Weg nach Hause. In Hamburg herrschte typisches Aprilwetter, es war nasskalt und ungemütlich. Hoffentlich ist es morgen besser, dachte sie, denn da war sie mit Tasha verabredet. Sie wollten zusammen auf den Hamburger Dom gehen. Der Dom hatte mit einer Kirche nichts zu tun, vielmehr war er das größte Volksfest des Nordens. Dreimal im Jahr fand dieses jahrmärktliche Vergnügen auf dem Heiligengeistfeld statt – einen ganzen Monat lang. Marianne konnte sich noch gut daran erinnern, wie ihr Vater sie als Kind immer dorthin mitgenommen hatte. Sie hatte ihn jedes Mal überredet, mit ihm Wilde Maus zu fahren, und immer war ihm danach hundeelend gewesen. Einmal, als sie neun Jahre alt gewesen war, hatte er ihr zehn Lose gekauft, und nach neun Nieten stand auf dem letzten »Hauptgewinn«. Sie hatte den riesigen Pandabären, den sie sich ausgesucht hatte, kaum nach Hause tragen können. Beinahe größer als sie selbst war er gewesen.

Lange war es her, dass sie etwas nur mit ihrem Vater unternommen hatte. Seit er auf Ibiza wohnte, hatten sie nur telefonischen Kontakt. Vielleicht würde sie eines Tages seine Einladung annehmen und ihn dort besuchen. Das brächte allerdings wieder unangenehme Situationen mit sich, und darauf wollte sie zurzeit lieber verzichten.

Sie schloss die Haustür auf und rief: »Johnny Depp! Ich bin zu Hause!«

Ihr schwarzer Kater kam um die Ecke und schmiegte sich an ihr Bein. Sie ging in die Küche, öffnete eine Dose Katzenfutter und füllte den Inhalt in den Napf.

»Na, du. Was hast du den ganzen Tag getrieben? Ich habe Kaffee serviert und Kuchen ausgegeben, wie jeden Tag. Jetzt bin ich endlich zu Hause und freue mich schon auf einen entspannten Filmabend mit dir. Was wollen wir uns heute ansehen? Sturmhöhe?Jane Eyre? Oder lieber etwas Lustiges? Eine Liebeskomödie? Ein Chef zum Verlieben?Die Hochzeit meines besten Freundes?«

Johnny Depp war keine allzu große Entscheidungshilfe, und so wurde es am Ende Pretty Woman, zum wohl achthundertsten Mal. Dazu gab es was Geliefertes vom Chinesen und das Stück Schokotorte, das sie sich aus dem Café mitgebracht hatte.

Eigentlich führte Marianne kein schlechtes Leben. Sie genoss die kleinen Dinge, lebte jeden Tag so, wie es ihr gefiel, widmete sich ihren Hobbys, ihren Filmen und Büchern, ihren Freunden, ihrer Arbeit, den Keksen. Nur manchmal wäre es doch schön gewesen, neben Johnny Depp einen richtigen Mann an ihrer Seite zu haben. Jemand, an den sie sich bei diesen Liebesschnulzen anlehnen konnte, jemand, der ihr ein Taschentuch reichte, wenn ihr die Tränen kamen. So musste sie sich selbst eins besorgen, was leichter gewesen wäre, wenn Johnny Depp nicht auf ihrem Schoß eingeschlafen wäre.

Kapitel 2

Donnerstag

»Wartest du schon lange?«, fragte Tasha sie unschuldig, als sie endlich am Treffpunkt erschien – zweiundzwanzig Minuten zu spät. So war Tasha.

»Eine Weile.«

»Sorry, irgendwie bin ich zu spät losgekommen.« Tasha nahm es mit weltlichen Dingen wie der Zeit nicht allzu genau.

»Schon okay. Jetzt bist du ja da.«

»Und? Wollen wir uns gleich ins Getümmel stürzen?«

»Na klar. Und in die Wilde Maus müssen wir auch unbedingt«, forderte sie.

»Logo. Wie jedes Mal.«

Tasha hakte sich bei Marianne ein, und zusammen gingen sie durch den Bogen mit der Beschriftung Hamburger Dom. Laute Musik ertönte von den vielen Fahrgeschäften, den Losbuden, den zusammenklappbaren Spielautomatenhallen, die in ein paar Wochen woanders ihre Zelte aufbauen würden. Kinder mit Zuckerwatte in der Hand und um den klebrigen Mund strahlten, Mütter wirkten gestresst, weil für ihre Wonneproppen an einem einzigen Nachmittag das Haushaltsgeld für eine ganze Woche draufging. Jugendliche sahen anderen Jugendlichen in Autoscootern dabei zu, wie sie andere rammten. Touristen stellten sich in die Schlange am Riesenrad, um einen einzigartigen Blick auf die Stadt für unter zehn Euro zu erhaschen. Ein paar betrunkene Männer beim Junggesellenabschied hatten sich im Spiegellabyrinth verirrt. Und ein alter Mann saß auf einem Stuhl an seinem Stand und verkaufte Ballons für sieben Euro fünfzig, die viel zu bald ihre Luft verlieren und als schlaffe Hülle am Boden irgendeines Kinderzimmers enden sollten.

Marianne betrachtete Tasha. Sie sah heute besonders bunt aus, sie würde ihr ganz bestimmt nicht abhandenkommen. In einem wallenden rot-orangefarbenen Rock im Hippiestil und einem Tuch in Neon-orange um den Kopf fiel sie in jeder Menge auf.

Sie war nicht immer so farbenfroh gewesen, ganz im Gegenteil. Als Tasha noch Natascha hieß und sie zusammen zur Schule gegangen waren, war sie eher eine von den Düsteren gewesen. Nicht gerade ein Grufti, aber doch gern in dunklen Farben, wobei Schwarz eindeutig überwog. Auch ihre Laune war nicht gerade strahlend gewesen. Bis zu dem Tag vor sechs Jahren, an dem sie Hari kennenlernte. Sie ging in ein indisches Restaurant, bestellte sich etwas zu essen und bekam einen Mann mit dazu. Vor zwei Jahren heiratete sie ihn, flog mit ihm auf Hochzeitsreise in seine Heimat Indien und kam wieder als ein neuer Mensch.

Schon seit dem Moment, in dem sie Hari kennenlernte, fing Natascha an, sich zu verändern. Plötzlich wollte sie nur noch Tasha genannt werden, weil es ihrer Meinung nach exotischer klang. Sie fing an, sich vegetarisch zu ernähren, begeisterte sich für Esoterik und Buddhismus und gab ihre Arbeit im Büro eines Pharmaunternehmens auf, um einen Job in einem Bioladen anzunehmen – sehr zum Leidwesen von Marianne. Denn fortan brachte sie ihr ständig Sachen wie Dinkelkuchen, Leinsamenbrot und Tofuwürstchen mit und versuchte, sie von einer gesünderen Lebensweise zu überzeugen. Marianne fragte sich, was an Tofu so gesund sein sollte, wenn ihr dabei jedes Mal übel wurde. Gut war das für ihren Körper ganz bestimmt nicht, der ab und an nichts gegen ein Schnitzel oder einen saftigen Hamburger einzuwenden hatte. Leider war das von nun an nicht mehr drin – zumindest nicht wenn Tasha in der Nähe war. Wenn sie gemeinsam essen gingen, wählte Tasha den Grünen Garten oder das Paradies für die Seele oder sonst etwas, wo man angeblich seinen Seelenfrieden finden konnte mit veganer Bolognese oder Grünkernbratlingen. Marianne verließ diese Läden stets mit einem Hungergefühl und machte sich danach immer heimlich auf ins große gelbe M. Natürlich ohne dass Tasha es je mitbekommen hätte.

Na ja, seit der Hochzeit war sie völlig vom anderen Stern. Trug lange, bunte Gewänder und Tücher, und außerdem steckte sie in der ganzen Wohnung Räucherstäbchen an, sodass man bei ihr kaum noch atmen konnte, was auch der Hauptgrund dafür war, dass Marianne sie nicht mehr allzu häufig besuchte. Lieber traf sie ihre Freundin auf einen Stadtbummel oder zu solchen Attraktionen wie dem Dom.

Und hier waren sie nun.

»Hast du Hunger?«, fragte Marianne und bereute ihre Frage schon in dem Moment, als sie sie aussprach.

Tasha rümpfte ihre Nase.

Oje. Durfte sie sich jetzt wieder einen Vortrag über ungesundes Essen, Massentierhaltung und Diabetes anhören?

»Hier gibt es keinen Stand, der auch nur im Entferntesten etwas anbietet, das ich gutheißen würde.«

»Iss doch einen Crêpe, die hast du früher so gerne gemocht.«

»Da muss ich mich aber erst mal erkundigen, ob die auch Bioeier verwenden, oder wenigstens welche aus Freilandhaltung. Alles andere ist inakzeptabel.«

Marianne fragte sich im Stillen, wann genau ihre beste Freundin so eine Spaßbremse geworden war.

»Dann iss Pommes. Da ist nun wirklich nichts als Kartoffeln drin.«

»Und ganz viel Fett. Und von dem vielen Zucker im Ketchup und den Eiern aus grausamer Käfighaltung in der Mayonnaise sollte ich dir wohl lieber nichts erzählen, sonst rührst du beides nie wieder ohne schlechtes Gewissen an.«

»Oh Mann, Tasha. Dann essen wir halt nichts. Können wir bitte einfach mal versuchen, den Abend zu genießen? Ich könnte wirklich ein bisschen Spaß gebrauchen.«

Jetzt sah Tasha sie aber doch sehr fürsorglich an. »Alles okay bei dir?«

»Na ja. Ich muss halt ständig an Martin denken.«

»Den Idioten solltest du so schnell wie möglich aus deinem Leben verbannen. Der war nie gut für dich.«

»Sag das mal meinem Herzen. Irgendwie hänge ich immer noch an ihm.«

»Ich glaube, da liegst du falsch. Höchstwahrscheinlich hängst du einfach nur an der Vorstellung, jemanden zu haben. Nicht allein zu sein. Und Martin war eben der letzte Mann in deinem Leben, also verbindest du ihn ganz automatisch damit. Was aber nicht heißt, dass nicht jeder andere Mann seinen Platz ausfüllen könnte. Und ich werde einen für dich finden, versprochen.«

»Oh, Tasha. Lieber nicht. Der letzte Typ, mit dem du mir ein Date verschafft hast, war unmöglich.«

Sie dachte an das Doppeldate zurück. Tasha und Hari, sie und Kumal. Kumal war ebenfalls Inder und natürlich gut gemeint von ihren Freunden, doch Kumal wollte nicht auf Stühlen sitzen. Egal, wo sie hingingen, erst ins Restaurant, danach zu Tasha und Hari nach Hause – Kumal bestand darauf, auf dem Boden zu sitzen, was Marianne besonders im Restaurant äußerst unangenehm gewesen war. Die ganze Zeit über hatte sie nur den einen Gedanken im Kopf gehabt, wie sie ihn ihrer Mutter vorstellte und er bei Kaffee und Kuchen auf dem Boden unter dem schick gedeckten Wohnzimmertisch hockte.

»Ich weiß gar nicht, was du gegen Kumal hattest. Er ist so ein netter Kerl.«

»Er mag keine Stühle«, erinnerte Marianne ihre Freundin.

»Und was ist mit Matze? Was hattest du an dem auszusetzen?«

Sie erinnerte sich noch gut: Matze war einen Kopf kleiner als sie gewesen – also etwa eins fünfzig – und hätte nicht einmal dank fülligem Haar ein paar Zentimeter dazuschummeln können, denn er hatte eine Glatze. Auch ein paar Zentimeter mehr durch Absätze an seinen Schuhen waren nicht drin gewesen, denn er trug ausschließlich flache Sandalen, selbst im Winter. Ein Ökotyp, der perfekt zu Tasha gepasst hätte, wäre sie nicht schon mit ihrem Hari glücklich gewesen. Marianne kamen beim Gedanken an ihn unwillkürlich Hochzeitsfotos in den Sinn, auf denen er Anzug und Sandalen trug, im Hintergrund die schockierten Blicke ihrer Mutter.

Bisher hatte ihre Mutter noch an jedem ihrer Freunde etwas auszusetzen gehabt, vor allem aber an Martin. Er hatte zwar als Bankangestellter einen akzeptablen Job, eine Wohnung im exquisiten Stadtteil Eppendorf und genügend Zielstrebigkeit – außerdem trug er ausschließlich teure Armani- oder Hugo-Boss-Anzüge, in denen er einfach umwerfend aussah –, dennoch war er ihrer Mutter vom ersten Moment an ein Dorn im Auge gewesen. »Dass der ein Weiberheld ist, sehe ich schon aus hundert Metern Entfernung«, hatte sie nach ihrem ersten gemeinsamen Treffen gesagt. Wahrscheinlich hatte gerade dieses ablehnende Verhalten bewirkt, dass er in Mariannes Augen nur noch attraktiver geworden war. Ihre Mutter hatte ihre Schadenfreude nicht verborgen, als es aus war mit Martin. Den Grund für die Trennung hatte Marianne ihr natürlich nie genannt, die Genugtuung würde sie ihr nicht geben. Es war demütigend genug, selbst damit leben, die Bank wechseln und sich Tashas mitleidige Blicke antun zu müssen, da wollte sie sich nicht auch noch bei jedem Treffen mit ihrer Mutter deren Senf dazugeben lassen.

»Matze trug Sandalen!«, erwiderte Marianne jetzt auf Tashas Frage hin.

»Du bist einfach zu anspruchsvoll«, sagte Tasha mit einem vorwurfsvollen Blick. »Martin mag keine Monogamie. Ist das etwa besser?«

Nein, das war es nicht, das musste sie zugeben. Trotzdem, Martin war ein toller Mann gewesen – bis er sich den Rücken von einer anderen mit seinem teuren Luffaschwamm hatte abrubbeln lassen. Und den verdammten Schwamm hatte Marianne ihm auch noch zum Geburtstag geschenkt!

»Vielleicht hast du recht. Ich sollte wohl einfach aufhören, so verzweifelt nach dem Richtigen zu suchen. Wenn es sein soll, werden wir eines Tages aufeinandertreffen. Eva sagt mir immer, dass auch ich irgendwann den passenden Deckel zu meinem Topf finden werde.«

»Und Eva muss es wissen. Wie lange ist sie schon verheiratet?«

»Fünfundvierzig Jahre. Stell dir das mal vor! Fünfundvierzig Jahre mit ein und demselben Mann.«

»Wow! Die beiden müssen wirklich alles voneinander wissen. Und ich versuche immer noch, meine Jugendfotos vor Hari zu verstecken.«

»Die, wo du ein Jahr lang rumgelaufen bist wie Britney Spears, oder die aus der Grufti-Zeit?«

»Ich war nie ein Grufti!«

»Ich hatte schon ein bisschen Angst vor dir«, sagte Marianne mit einem scherzhaften Lachen.

»Na klar! Und ich hatte Angst vor dir, als du mit vierzehn plötzlich deine Liebe fürs Keksebacken entwickelt hast. Ich dachte, ich hätte meine Oma vor mir.«

»Sehr lustig. Aber siehst du, das Keksebacken verschafft mir heute sogar ein wenig Anerkennung, und ich kann was beiseitelegen von den Extraeinnahmen.«

»Ein wenig Anerkennung? Machst du Witze? Alle sind ganz verrückt nach deinen Keksen! Wenn sie nicht so ungesund wären, würde ich mich komplett davon ernähren.«

»Sie sind nicht ungesund«, verteidigte Marianne sich. »Alles, was gut für die Seele ist, kann nur gesund sein.«

»Vielleicht probierst du mal ein paar Rezepte mit Dinkel und Weizenkleie? Oder mit Leinsamen. Und statt gewöhnlichem Zucker solltest du braunen Rohrzucker verwenden.«

»Ja, ja, ich werde mal drüber nachdenken.« Das würde sie nicht wirklich tun, denn dann wären ihre guten Kekse schlagartig nicht mehr so beliebt. Wahrscheinlich würde man sie aus der Stadt verjagen, ganz sicher aber aus dem Café.

Tasha schien zu überlegen, sah sich um, gab sich dann geschlagen. »Okay, lass uns was essen. Ich hol mir da vorne einen Maiskolben.«

Zufrieden lächelte Marianne und sah dabei zu, wie Tasha sich einen Maiskolben ohne Butter und mit wenig Salz kaufte, und ging dann selbst zum gegenüberliegenden Stand, um sich ein Steak im Brötchen zu holen. Mit schlechtem Gewissen biss sie hinein, nahm kurz Tashas Kopfschütteln wahr, schmiss dann aber alle Bedenken über Bord und machte sich genüsslich über den Rest der Köstlichkeit her, während ihre Begleiterin an ihrem Maiskolben knabberte.

Kapitel 3

»Oh Gott, ist mir schlecht«, sagte Tasha, als sie eine halbe Stunde später aus der Wilden Maus kamen.

»Ehrlich? Du hattest doch sonst nie Probleme, da mitzufahren. Hast du von deiner Unterernährung etwa Kreislaufbeschwerden?«, fragte Marianne grinsend.

»Nein, ganz bestimmt nicht. Mir geht’s nur nicht allzu gut. Und ich bin seit drei Tagen überfällig.«

»WAS? Und das sagst du mir erst jetzt? Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich dich doch niemals in die Wilde Maus geschleppt!«

Tasha knabberte an ihren Nägeln. Das tat sie immer, wenn sie nervös war.

»Und was heißt das jetzt? Bist du etwa schwanger? Hast du einen Test gemacht?«

»Nein. Weiß ich nicht. Keine Ahnung, kann sein. Einen Test hab ich noch nicht gemacht.«

»Dann solltest du aber schnellstens einen machen.«

»Ich bin mir ehrlich gesagt noch nicht so ganz darüber im Klaren, ob ich eine Schwangerschaft so gut finden würde.«

»Aber ihr wollt doch Kinder, du und Hari?«

»Ja schon, irgendwann.«

»Du bist achtundzwanzig, das ist ein gutes Alter«, sagte Marianne und wurde sich wieder einmal bewusst, dass sie selbst ebenfalls achtundzwanzig war und noch nicht mal einen Mann in Aussicht hatte, geschweige denn Hochzeit, Baby und Familienglück.

»Nun lass uns das erst mal vergessen, ja? Falls ich zum Wochenende hin noch immer nicht meine Periode habe, mache ich einen Test. Gibst du dich damit zufrieden?«

»Es ist allein deine Entscheidung. Und Haris vielleicht. Hast du ihm gegenüber schon was erwähnt?«

»Nein. Wozu auch? Es steht doch noch überhaupt nichts fest. Können wir jetzt einfach weitergehen? Irgendwo soll es doch hier ein Hexendorf geben.«

In einer Ecke des Doms wechselten sich Mittelalterdorf, Beach-Ambiente und Winterlandschaft ab, um den Leuten mit ungewöhnlichen Verkaufsständen noch mehr Geld aus den Taschen zu ziehen. Auf dem diesjährigen Frühjahrsdom war anscheinend wieder das Hexendorf dran.

»Ja, gleich da vorne ist es. Siehst du den Qualm aufsteigen? Da wird wohl gegrillt.«

Tasha rümpfte bei der Vorstellung vom Geruch toter Tiere die Nase. Doch sie lief voran.

»Guck mal, was für schöne Traumfänger«, sagte sie an einem Stand und betrachtete ganz verliebt die überteuerten Teile.

»Welcher gefällt dir denn?«, fragte Marianne. Schließlich hatte Tasha bald Geburtstag, und sie wusste nie, was sie ihr schenken könnte.

»Der hellbraune hier ist toll.«

»Da vorne ist eine Toilette, hast du nicht nach einer gesucht?« Na, das war ja gar nicht auffällig, vor allem weil Tasha mit keinem Wort eine Toilette erwähnt hatte. Doch sie machte sich grinsend davon.

Marianne kaufte den hübschen Traumfänger und verstaute ihn in der großen Handtasche. Sie nahm auf den Dom immer eine extragroße mit, damit am Ende auch schön viel leckeres Zeug wie gebrannte Mandeln, Kirschtaschen und Lebkuchenherzen hineinpassten.

Dann stellte sie sich vor den Toilettenwagen und wartete, wobei ihr Blick auf einen dunklen Wohnwagen fiel, an dem ein mystisch aussehendes Schild eine Wahrsagerin verhieß. Oh nein, den durfte Tasha auf keinen Fall sehen. Sie würde sie unauffällig daran vorbeischleusen müssen.

Doch natürlich hatte Tasha ihn längst entdeckt. Sobald sie wieder auftauchte, verkündete sie, sich die nassen Hände an ihrem Rock abwischend: »Hast du das da schon gesehen?« Sie zeigte zum Wohnwagen hin. »Eine Wahrsagerin! Komm, da gehen wir rein!«

»Lieber nicht.«

»Na, komm schon!«

»Nee, ich will echt nicht«, quengelte Marianne wie ein kleines Kind.

»Na logisch kommst du mit. Sie wird dir vielleicht sagen, wann du endlich deinen Traummann findest.«

Das Kuriose war, dass in Tashas Stimme kein Deut Ironie mitschwang, denn sie glaubte wirklich an Übernatürliches: an Traumfänger und Sterndeuter, an Wahrsager und Heiler, wahrscheinlich sogar an Elfen und Hobbits.

»Ich soll wirklich Geld dafür bezahlen, mich an der Nase herumführen zu lassen?«, wagte Marianne einen letzten Versuch, aus der Sache herauszukommen.

Das kleine Schild neben der Tür sagte ihnen, dass eine Sitzung zwanzig Euro kostete.

»Ein Schnäppchen! Du glaubst ja nicht, wie viel sonst verlangt wird.« Tasha schien sich auszukennen. »Ich lade dich ein, okay?«, sagte sie und zerrte sie am Arm in den Wagen.

Drinnen saß eine skurrile Frau mit Turban, die so eindeutig keine echte Wahrsagerin war – falls es denn überhaupt welche gab –, dass es beinahe schon lachhaft war. Der würde sie bestimmt kein Wort glauben.

»Hallo, ihr beiden Hübschen«, begrüßte sie sie. »Wem von euch darf ich die Zukunft in der Kugel lesen? Oder wollt ihr die Karten gelegt haben?«

»Meine Freundin hier muss unbedingt ein bisschen was über ihre Zukunft erfahren, vor allem was die Männerwelt angeht. Sie braucht ein wenig Hilfe dabei, den Richtigen zu finden«, plapperte Tasha aus.

Marianne wäre am liebsten im Erdboden versunken.

»Ich glaube, wir gehen lieber wieder«, sagte sie leise.

Tasha zog ein enttäuschtes Gesicht.

»Na, na, nur nicht so schüchtern. Setzt euch doch erst einmal hin«, sagte die Hokuspokus-Tante.

Tasha nahm demonstrativ Platz und sah erwartungsvoll zu Marianne. Weil diese keine Spielverderberin sein wollte, gab sie seufzend nach und willigte ein, bei diesem Schwachsinn mitzumachen.

Nachdem sie sich gesetzt hatte, erwartete sie fast schon, dass Cordula, wie sich die Wahrsagerin ihnen vorstellte, nun ihre Glaskugel hervorholen würde. Doch sie griff lediglich nach ihrer Hand und legte sie locker in ihre eigenen warmen Hände.

Kurz spürte sie einen kleinen Funken, den sie sich sicher nur einbildete.

Sie musste schon sagen, das Ambiente war gelungen. Wer wirklich an diesen Quatsch glaubte, kam hier voll und ganz auf seine Kosten. Überall hingen hauchdünne Vorhänge, brannten Dufthölzer, leise mystische Musik klang aus irgendeinem versteckten Lautsprecher, alles war abgedunkelt und nur mit ein paar kleinen, sich drehenden lila Lampen im Dämmerlicht erhellt.

»Ich sehe …«, begann Cordula, ohne dass sie auch nur übers Geld gesprochen hätten, »… Schlagermusik.« Sie riss ihre dunklen Augen auf und starrte Marianne an, dass es ihr Angst einflößte.

Sie sah Schlagermusik? Sollte das ein Scherz sein? Na klar sah sie Schlager, offensichtlicher ging es ja bei ihrem Namen nicht. Jedermann brachte sie, Marianne Wendler, mit einer Musikrichtung in Verbindung, der sie absolut nichts abgewinnen konnte. Da war zum einen Marianne Rosenberg, dann noch Marianne und Michael, und Der Wendler sollte nicht vergessen werden. Ihr Leben lang hatte sie ihren Namen verabscheut und gedacht, dass selbst ein Name wie Mayonnaise nicht schlimmer hätte sein können. Mayonnaise Wendler, da hätte man wenigstens an Pommes gedacht und nicht an Er gehört zu mir. Doch leider war ihre Mutter bei ihrer Namensauswahl wie in allen anderen Dingen auch nicht sonderlich einfühlsam gewesen.

»Ach komm, du hast ihr meinen Namen gesagt«, wandte sich Marianne jetzt an Tasha.

Cordula schien es gar nicht zu gefallen, dass sie die Sitzung so einfach unterbrach, und ließ ihre Hand mit einem grimmigen Gesichtsausdruck los.

»Nein, wirklich nicht. Wann hätte ich das machen sollen?« Tasha wirkte ganz ernst.

Konnte es sein, dass Cordula wirklich Dinge »sah«? Nein, wohl eher nicht. Das musste Zufall sein. Wahrscheinlich hatte sie einfach irgendeine Behauptung auf den Tisch gelegt. »Ich sehe Schlager.« Jemand, der daran glauben wollte, könnte jetzt eine Verbindung zu einem Lied aus der Kindheit herstellen oder zu einer verstorbenen Oma, die gerne Schlager gehört hatte. Da war so gut wie alles möglich. Marianne hatte Cordula durchschaut!

Plötzlich wurde ihr bewusst, wie beide Frauen sie anstarrten. Tasha gab ihr mit Blicken zu verstehen, dass sie sich doch bitte benehmen sollte – ihr zuliebe. Und Cordula wollte wohl einfach wissen, ob ihre zwanzig Euro wirklich so schnell verdient gewesen waren oder ob es noch weitergehen sollte.

»Es tut mir leid. Okay, machen Sie bitte weiter.«

Sie hielt der Dame ihre Hand wieder hin. Diese ergriff sie sofort, schloss kurz die Augen, um sie dann ruckartig wieder zu öffnen, Marianne anzustarren und zu sagen: »Ich sehe Schottland!«

Was sollte das jetzt wieder? Schottland? Ehrlich?

Bei Schottland fiel ihr nun wirklich gar nichts ein. Wahrscheinlich hatte Cordula ihr in ihre stechend grünen Augen gesehen, und da war sie eben auf Schottland gekommen, wegen der immergrünen Highlands und so.

Gespannt sah sie Cordula an und fragte sich, was als Nächstes für ein Unsinn folgen würde.

»Dort wirst du deine große Liebe finden.«

Tasha sah dem Ganzen wie gebannt zu. Sie wollte wohl etwas sagen, öffnete schon den Mund, überlegte es sich dann aber anders, um die Sitzung nicht zu stören.

»Wie bitte?«, wagte Marianne jetzt aber zu fragen.

»Du musst dich auf den Weg machen. In Schottland wirst du finden, wonach du suchst.«

»Und wonach genau suche ich?«

»Nach dem Einen. Er ist dort und wartet auf dich.«

»Wo? In Schottland?« Sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

Cordula ließ ihre Hand erneut fallen und stand nun auf.

»Ich kann mit so jemandem nicht arbeiten«, sagte sie empört zu Tasha.

Tasha entschuldigte sich vielmals, gab ihr die zwanzig Euro und ging mit böser Miene aus dem Wohnwagen – schneller, als Marianne gucken konnte. Rasch stand sie auf, sagte Cordula Tschüss und folgte ihrer Freundin.

»Du hast dich echt unmöglich da drinnen benommen!«, sagte Tasha empört.

»Ich hatte dir doch gesagt, dass ich nicht wollte. Ich glaube einfach nicht an so einen Quatsch.«

»Du solltest wirklich ein wenig offener für Dinge werden, die über deinen Verstand hinausgehen.«

»Was soll das denn jetzt heißen?«

»Dass Cordula dich zu deinem Traumprinzen hätte führen können und du jetzt dank deiner Engstirnigkeit auf ewig allein sein wirst.«

»Na, das ganz bestimmt nicht. Mein Deckel …«

»Dein Deckel ist in Schottland!«

»Du glaubst wirklich an den Scheiß? Die war doch eindeutig nur aufs Geld aus. Es ist ihr Job, leichtgläubigen Menschen etwas vorzugaukeln. Da ist doch kein Funken Wahrheit dran.«

»Wenn du meinst. Beschwer dich aber später nicht bei mir.« Tasha war wirklich aufgebracht.

»Warum bist du denn so sauer? Was erwartest du eigentlich von mir? Dass ich nach Schottland fliege und mich auf die Suche nach dem Richtigen mache? Schottland ist ja auch mal gleich um die Ecke, und groß ist es überhaupt nicht.«

»Deinen Sarkasmus kannst du dir sparen. Ich wollte dir nur eine Freude machen. Ich wollte dir helfen, weil ich sehe, wie einsam du bist.«

»Ach Tasha. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Und von mir aus kannst du gerne bei Gelegenheit mal wieder versuchen, mich zu verkuppeln, aber bitte erwarte nicht von mir, dass ich das da ernst nehme.« Sie zeigte mit dem Finger auf den Wohnwagen hinter ihnen.

Tasha atmete tief ein. »Okay, aber geh dich wenigstens entschuldigen.«

»Was? Bei der?« Das konnte doch nicht Tashas Ernst sein!

»Ganz genau. Du hast sie nämlich zutiefst beleidigt.«

»Verdammte Kacke, ich glaub das einfach nicht …«, fluchte Marianne leise vor sich hin und ging noch einmal zu Cordula rein, um Tasha zu beruhigen.

Cordula schien nicht überrascht zu sein, zumindest zeigte ihr Gesicht keine Verwunderung, sie so bald wiederzusehen.

»Also«, begann Marianne, »es tut mir leid, falls ich Sie irgendwie beleidigt haben sollte.«

»Mein Kind, wir sind alle unseres eigenen Glückes Schmied.«

»Okay, ich hab’s verstanden. Falls ich irgendwann in meinem Leben mal nach Schottland komme, halte ich die Augen auf. Ich danke Ihnen. Haben Sie noch einen schönen Tag. Und tschüss.«

Sie war schon wieder an der Tür, die nach draußen führte, als Cordula noch etwas sagte, das Marianne stocken ließ. »Du magst mir nicht glauben, doch es ist die Wahrheit, dein Schicksal, gegen das du dich nicht wehren kannst.«

»Was genau verlangen Sie von mir?« Ihr wurde die Sache langsam echt zu bunt.

»Mach dich auf nach Schottland, dort wirst du Antworten finden.«

»Wissen Sie eigentlich, wie groß Schottland ist? Geht es nicht ein bisschen präziser?«

Cordula sah sie an, schloss die Augen, öffnete sie wieder und lächelte. »Edinburgh.«

Edinburgh. Na, das war ja schon mal ein kleiner Anhaltspunkt. Den sie aber gleich wieder verwerfen würde, da sie immer noch nicht dran glaubte, egal, was ihr Cordula erzählen mochte, und auch egal, ob Tasha beleidigt sein würde. Um des lieben Friedens willen aber nickte sie und wandte sich zum Gehen.

Draußen sagte sie: »Erledigt. Bist du jetzt zufrieden?«

Tasha umarmte sie stolz. »Alles wieder gut. Wollen wir uns was zum Knabbern holen?«

Endlich mal ein guter Vorschlag. Zwar verstand Tasha unter »was zum Knabbern« ein Stück pure Kokosnuss, während Marianne sich eine extragroße Tüte Schmalzgebäck holte, aber jeder, wie er wollte. Denn auch wenn Tasha gerne mal über Mariannes Essgewohnheiten meckerte, akzeptierten sie einander am Ende doch genau so, wie sie waren.

Zwei Stunden später verabschiedeten sich die beiden voneinander und fuhren jede nach Hause, wo bei der einen ein Inder namens Hari und bei der anderen ein Kater namens Johnny Depp wartete.

Ein merkwürdiger Tag ging zu Ende. Tasha hatte die Wahrsagerin mit keinem Wort mehr erwähnt, und dafür hatte Marianne Tashas Vielleichtschwangerschaft nicht mehr angedeutet. Sie freute sich einfach nur auf ihr Zuhause und die gebrannten Mandeln in ihrer Tasche.

Merkwürdigerweise hatte sie heute das Bedürfnis, Diana Gabaldon zu lesen.

Kapitel 4

Freitag

Mit dem ersten Band der Highland-Saga in der Hand war Marianne auf dem Sofa eingeschlafen. Das schwere Buch war auf ihren Schoß gesackt, und sie war kurz aufgewacht, war aber zu müde gewesen, um hinüber ins Bett zu gehen. Also hatte sie nur das Buch beiseitegelegt und weitergeschlafen, den flauschigen Johnny Depp an ihren Füßen, im Dämmerlicht der lavendelfarbenen Stehlampe, die einmal im Wohnzimmer ihrer Eltern gestanden hatte und viele Erinnerungen an ihre Kindheit weckte. In einer saß sie zusammen mit Dennis Kaufmann zusammengekuschelt auf dem Sessel neben der Lampe. Als wie aus dem Nichts plötzlich ihre Mutter in der Tür gestanden hatte, hatte Dennis sich so erschrocken, dass er aufgesprungen und gegen die Lampe gedonnert war, deren Schirm gefährlich gewackelt hatte.

Eine andere Erinnerung brachte ihr Tage ihrer Kindheit wieder, in denen sie, Songtexte in den Händen, mit Tasha auf dem Sofa rechts neben der Lampe gesessen und lauthals bei den Britney-Spears-Songs im CD-Player mitgesungen hatte. Gute alte Zeiten. Tasha war abends nach Hause gegangen, und Mariannes Vater war von der Arbeit nach Hause gekommen. Er und ihre Mutter hatten glückliche Familie gespielt oder waren es vielleicht sogar gewesen, wer wusste das schon, und Marianne hatte nicht im Traum daran gedacht, was eines Tages passieren würde.

Nun wachte sie von Johnny Depps Schnurren auf.

Marianne rieb sich den Schlaf aus den Augen und gähnte. Johnny Depp betrachtete sie eingehend, bis sie aufstand, in die Küche schlurfte und ihm eine Dose Katzenfutter öffnete, über das er sich hungrig hermachte.

»Okay, ich muss mich jetzt beeilen. Heute muss ich mich besonders gut wappnen, denn nach der Arbeit hab ich eine Verabredung mit meiner Mutter. Ja, genau, mit der Hexe, die dir gerne mal auf den Schwanz tritt.«

Johnny Depp jaulte qualvoll, als wüsste er genau, wovon sie sprach.

Mariannes Arbeitstag verlief ziemlich normal, wenn man einmal davon absah, dass Frauke sich die ganze Zeit über ihre pubertierende Tochter beklagte, was andererseits aber auch nichts Ungewöhnliches war.

Frauke war neben der neunzehnjährigen Senna afghanischer Abstammung eine der anderen beiden Kellnerinnen im Café Wallenstein. Sie war die Einzige, die Kinder hatte, weshalb sie am Wochenende nicht arbeitete. Frauke war um die vierzig, geschieden und hatte einen Sohn, Lennard, zehn, und ein vierzehnjähriges »Biest« namens Kimberly. Die Tochter schien es sich neuerdings zur Aufgabe gemacht zu haben, ihre Mutter in den Wahnsinn zu treiben. Ständig berichtete Frauke von neuen Eskapaden, in denen ihr Sprössling sich die Augenbrauen fast komplett wegzupfte, sich Löcher in die neue Jeans schnitt, mit rosa gefärbten Haaren nach Hause kam oder darauf bestand, ein neues Handy für vierhundert Euro zu bekommen; wenn nicht, versprach sie, ihrer Mutter das Leben zur Hölle zu machen.

»Und? Hast du klein beigegeben?«, fragte Marianne Frauke.

»Selbst wenn ich wollte, woher sollte ich das Geld nehmen? Ich kellnere hier nicht zum Spaß! Wenn wenigstens mein Ex mal mit den Unterhaltszahlungen rüberkommen würde. Aber nein, er muss sein neuestes Flittchen natürlich mit teurem Schmuck verwöhnen. Das erzählt Kimberly mir brühwarm. Und ich frage mich, ob ich jemals wieder irgendetwas bekommen werde außer Vorwürfen und Frechheiten mitten ins Gesicht!«

»Ach, nimm es nicht so schwer. Du darfst dich nicht von deinen Kindern fertigmachen lassen. Immerhin bist du es, die tagtäglich schuftet, um ihnen etwas zum Essen auf den Tisch zu schaffen. Eines Tages werden sie es sicher zu schätzen wissen.«

»Könnte dieser Tag dann bitte ganz schnell kommen?« Frauke ließ die Schultern hängen.

Sie konnte einem leidtun. Wenn Marianne so etwas hörte, fragte sie sich unwillkürlich, ob es vielleicht doch gar nicht so übel war, nur für sich selbst sorgen zu müssen und für einen Kater. Käme sie mit so viel Verantwortung überhaupt zurecht? Sie dachte an Tasha. Was, wenn die wirklich schwanger war? Würde sie sich für sie freuen können? Würde sich alles verändern? Würden sie dann in Zukunft auf dem Dom nur noch in Kinderkarussells gehen können?

Ihr Handy vibrierte. Tasha! Im Café war so viel Kundschaft, dass sie keine Zeit hatte ranzugehen.

Als sie endlich Feierabend hatte, entdeckte sie siebzehn (!) Anrufe in Abwesenheit, und alle waren von Tasha. Sie rief sie sofort zurück, es konnte sich schließlich um etwas Dringendes handeln. Zum Beispiel darum, dass sie tatsächlich schwanger war!

»Hey, Tasha …«, begann sie, als ihre Freundin abnahm.

Tasha unterbrach sie sofort. »Na endlich! Ich hab mindestens schon eintausend Mal versucht, dich zu erreichen!«

»Ich war arbeiten, sorry. Was gibt es denn?«

»Na, ich will wissen, ob du es dir noch mal überlegt hast.«

Wie? Das war’s? Kein Ich-bin-schwanger und kein Ich-hab-Streit-mit-Hari oder sonst etwas in der Art?

»Ist nicht dein Ernst, oder?«

»Na, und ob.«

»Ich dachte jetzt, du hättest mir etwas wirklich Wichtiges mitzuteilen, zum Beispiel, dass du schwanger bist.«

»Ach so. Nee, nee. Hab heute Morgen meine Tage bekommen.«

»Oh. Und? Bist du erleichtert?«

»Eigentlich eher ein bisschen enttäuscht, um ehrlich zu sein. Ich glaube, ich bin doch langsam dafür bereit, ein Baby zu bekommen. Ich habe auch schon mit Hari darüber gesprochen, wir wollen es nächstes Jahr in Angriff nehmen.«

»Wow, das ist toll.«

»Ja, das ist es. Und nun lenk nicht länger vom Thema ab.«

»Tu ich doch gar nicht. Was war noch gleich das Thema?« Sie wusste es zwar genau, doch sie würde dieses dumme Spiel nicht einfach so mitspielen.

»Na, Schottland.«

Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn Tasha die Sache hätte fallen lassen.

»Müssen wir schon wieder davon anfangen?«, fragte sie genervt.

»Ja, das müssen wir. Hast du wenigstens darüber nachgedacht?«

»Nein, hab ich nicht. Wozu auch?«

Doch, hatte sie. Nur ganz kurz, während sie las, wie Diana Gabaldon von den Highlands erzählte. Für einen Augenblick hatte sie sich einen heißen Schotten an ihrer Seite vorgestellt. Doch ein Typ im Rock und womöglich noch mit einem Dudelsack war so gar nicht das, worauf sie abfuhr. Ein Rob Roy für Marianne? Ihre Mutter würde eine Herzattacke bekommen.

Sie musste lachen. Vielleicht doch gar keine so schlechte Idee, das mit dem Schotten.

»Warum lachst du?«

»Nur so. Es ist nichts.« Sie überquerte die Straße und wartete an der Haltestelle auf den Bus, der sie direkt in die Hölle bringen würde.

»Wo bist du denn gerade?«, wollte Tasha wissen. »Auf dem Weg zu deiner Mutter?«

»Ja. Ich hole sie aus der Boutique ab, dann gehen wir essen.«

»Wieder in den Kartoffelkeller?«

»Ja. Du weißt doch, dass meine Mutter nichts von ausländischer Küche hält.«

»Da hat sie aber noch nie Haris Essen gekostet. Wenn sie das erst einmal probiert, ändert sie ihre Meinung bestimmt.«

Wohl eher nicht. Aber sie wollte Tasha nicht ihrer Illusionen berauben.

»Also, mein Bus kommt gleich. Gibt es sonst noch was?« Marianne wollte auflegen, bevor sie einstieg. Sie mochte es nicht, wenn die Leute mit anhörten, was sie ihrem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung erzählte. Tasha wusste das.

»Na, was ist denn nun mit Schottland? Cordula schien sich ganz sicher zu sein, dass du dort deine große Liebe finden würdest.«

Sollten sie jetzt wirklich wieder diese Diskussion führen?

»Tasha. Selbst wenn da irgendetwas dran wäre, wie sollte ich denn überhaupt nach Schottland fliegen?«

»Du hast doch was zur Seite gelegt, genau für solch einen Fall!«

Nein, eher für einen Wellnessurlaub oder einen besonderen Backkurs, wie der in München, von dem sie mal gelesen hatte. Nicht um in ein fremdes Land zu fliegen, in dem absolut nichts auf sie wartete.

»Das geht einfach nicht, Tasha. Ich muss doch auch arbeiten.«

»Du weißt genau, dass du dir jederzeit ein paar Tage Urlaub nehmen könntest. Eva fleht dich ja beinahe schon an, dir endlich mal ein bisschen Erholung zu gönnen.«

Da hatte Tasha recht. Sie hatte in diesem Jahr noch keinen einzigen Tag freigenommen, und auch im letzten Jahr hatte sie sich lediglich eine Woche Urlaub gegönnt, in der sie sich zu Hause gelangweilt hatte, nachdem sie alle Sandra-Bullock-Filme gesehen und sich dabei zwei Kilo durch Pizza und Eis angefuttert hatte.

»Das vielleicht, aber was wäre mit Johnny Depp? Ich kann ihn doch nicht sich selbst überlassen.«

»Marianne, das sind doch alles nur Ausreden, das weißt du selbst. Ich lege jetzt auf, damit du dir noch ein paar weitere ausdenken kannst. Viel Spaß mit deiner Mutter.«

Und weg war sie. Die Leitung war tot.

Was war nur Tashas Problem? Warum war sie denn jetzt beleidigt? Marianne hatte alles Recht der Welt, angefressen zu sein, weil jeder glaubte, sich in ihr Liebesleben einmischen zu müssen, gerade so, als würde sie allein nichts auf die Reihe bekommen. Zum Kotzen war das! Noch widerlicher als Tashas Tofu!

Der Bus hielt fast direkt vor Silvias Boutique. Die benannte Dame war ihre Mutter, Silvia Wendler, und sie erwartete sie sicher schon ganz ungeduldig. Marianne atmete tief durch und betrat den Laden.

Ach du Schreck! Was war denn mit ihrer Mutter passiert? Ihr Haar war orange! Und wie!

»Mama. Du hast ja eine neue Haarfarbe, das hattest du gar nicht erwähnt.«

»Da bist du ja endlich«, sagte ihre Mutter, ohne auf ihre Worte einzugehen. »Hatten wir nicht halb sechs ausgemacht?«

»Ja, das hatten wir. Ich hatte aber erst später Feierabend und hab den Bus verpasst«, log sie. Dass sie lieber mit Tasha telefoniert hatte und deshalb spät dran war, erwähnte sie besser nicht. Ihre Mutter war nämlich nicht allzu gut auf ihre beste Freundin zu sprechen.

»Na, jetzt bist du ja da.« Silvia besah sich ihre Tochter von oben bis unten. »Sag mal, was trägst du da eigentlich? Warst du etwa so arbeiten?«

Marianne sah an sich herunter. Sie trug eine weite Jeans und schwarze Halbschuhe.

»Was ist denn an meinem Outfit auszusetzen?«

»Na, die Hose sitzt überhaupt nicht.«

»Die gehört so. Ich mag meine Hosen nicht so eng.«

»Aber in der sieht man ja gar nicht, dass du eine Figur hast.«

Marianne stöhnte. Immer hatte ihre Mutter etwas an ihr auszusetzen.

»Können wir dann jetzt losgehen?«, fragte sie, bevor Silvia weitermeckern konnte.

»Natürlich. Ich bin schon halb verhungert.« Wieder eine Anspielung auf ihr Zuspätkommen.

Na, das würde ja ein toller Abend werden. Wie sehr wünschte sich Marianne jetzt auf ihre Couch, mit Johnny Depp auf ihrem Schoß und einem Film mit Orlando Bloom im DVD-Player. Dazu ein Becher heißer Apfeltee und ein Schoko-Mandelhörnchen, um ihrer einsamen Seele Nahrung zu geben. Aber stattdessen musste sie jetzt in den Kartoffelkeller,und das auch noch mit ihrer unausstehlichen Mutter. Sie zählte die Minuten, bis der Abend vorbei war.

Kapitel 5

Als sie spätabends endlich im Bett lag, dachte Marianne an das Treffen mit ihrer Mutter zurück.

Sie waren mit Silvias Toyota ins Restaurant gefahren. Während der Fahrt hatte sie sich in die Haare gefasst und Marianne gefragt: »Und? Wie gefällt es dir?«

»Es ist … sehr … orange.« Was sollte sie auch sonst dazu sagen?

»Es gefällt dir nicht.«

»Doch, doch. Steht dir gut. Mal was anderes.« Oh ja, anders, so konnte man es auch beschreiben.

»Na, es muss dir ja nicht gefallen. Ich hoffe nur, dass ich damit endlich mal die Männer auf mich aufmerksam mache.« Oh, ganz sicher sogar. »Und ich meine damit die Single-Männer. Alle, die bei mir in den Laden reinkommen, sind in Begleitung ihrer Ehefrauen. Wo sind denn nur all die armen Witwer hin?«

Silvia Wendler war auf der Suche, und das seit genau fünf Jahren. Denn da hatte ihr Ehemann nach siebenundzwanzig Jahren Ehe beschlossen, dass er etwas anderes wollte, und sie verlassen.

»Mich brauchst du nicht zu fragen. Ich weiß es auch nicht.«

»Die Frage war auch eher rhetorisch gemeint. Aber jetzt, wo du es sagst … Kommen nicht ständig nette ältere Herren zu euch ins Café?«

»Die kommen auch alle mit ihren Frauen.«

»Das glaube ich nicht. Vielleicht sollte ich mich da öfter mal blicken lassen.«

Bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht …

»Na, aber erst mal werde ich mein Glück auf einer weiteren Kaffeefahrt versuchen. Bist du dabei?«

Sie bogen auf den Parkplatz des Kartoffelkellers ein, und Marianne rang verzweifelt nach einer Ausrede.

»Mal sehen. Ich habe zurzeit echt viel zu tun.«

»Was hast du denn schon zu tun? Deine Filme gucken?« Silvia sagte das so abschätzig, dass ein Wutgefühl in Marianne aufstieg.

Besser, sie sagte jetzt nichts darauf, sondern stieg aus dem Wagen. Ohne auf ihre Mutter zu warten, ging sie auf die Tür des Restaurants zu.

»Das habe ich nicht böse gemeint, Marianne. Eines Tages wirst auch du jemanden finden, und dann wirst du gar keine Zeit mehr für so was haben«, sagte Silvia, die ihr gemütlichen Schrittes hinterherkam.

Oh Gott. Ihr kam gerade ein Gedanke. Was, wenn ihre nervtötende Mutter vor ihr einen Mann fand? Ihren Traummann? Das ewige Glück? Das könnte sie nicht ertragen. Das wäre nicht fair, absolut nicht.

Sie riss die Tür auf und trat ein.

Zwanzig Minuten später saß sie vor ihrer gebackenen Kartoffel mit Hähnchenbruststreifen und Champignons, mit Käse überbacken und extra Sour Cream. Ihre Mutter, die Bratkartoffeln mit Speck und irgendetwas Fischiges genommen hatte, redete unaufhaltsam. Marianne hörte ihr gar nicht richtig zu, nickte nur hin und wieder und sagte so etwas wie »Aha« oder »Schön«, um sie zufriedenzustellen.

Es war halt so. Immer. Sie traf sich mit ihrer Mutter und wusste schon von vornherein, was sie erwartete. Aber Silvia war nun eben ihre Mutter, und sie hatte doch niemanden außer ihr.

»Hast du von deinem Vater gehört?«

Das ließ Marianne aufhorchen, denn sie wusste, was jetzt folgen würde.

»Er hat letzte Woche angerufen.«

»Und? Wie geht es ihm?«

»Frag ihn das doch selbst.«

»Nein, nein, ich habe nicht das Bedürfnis, mit ihm zu sprechen. Wollte nur mal wissen, wie er sich so macht auf Ibiza.«

Wie sie das Wort »Ibiza« aussprach … als wäre es der widerlichste Ort auf Erden.

Marianne konnte sie ja verstehen. Sie wusste nicht, wie sie reagiert hätte, wenn ihr Ehemann ihr nach siebenundzwanzig Jahren Ehe offenbart hätte, dass er sich scheiden lassen wolle. Dass er schwul sei, einen Liebhaber habe und plane, mit ihm nach Ibiza zu ziehen.

Sein Leben lang war Ernst Wendler ein ganz normaler, langweiliger Beamter gewesen, der seine Tage im Büro verbrachte, abends nach Hause zu seiner Familie kam und als einziges Hobby das Angeln hatte. Wer hätte denn ahnen können, dass er in Wahrheit ganz andere Vorlieben hatte? Dass er jahrelang, anstatt an den See zu fahren, zu seinem Lover fuhr und mit ihm »angelte«?

Silvia war von seinem Trennungsgrund schockiert gewesen. Seitdem hatte sie kein Wort mehr mit ihm gesprochen. Marianne dagegen versuchte, es irgendwie nachzuvollziehen. War ihr Vater schon immer homosexuell gewesen und hatte mit der Ehe und der Familie nur den Schein wahren wollen? Oder hatte er erst mit den Jahren diese Neigung entwickelt?

Sie war ihm nicht böse. Sie hatte ihn trotz allem lieb. Nur die ganzen Lügen konnte sie ihm nicht so einfach verzeihen. Wenn er Familienfeiern oder einen Kinoabend abgesagt hatte, um »angeln« zu gehen, wenn er ihr ins Gesicht gesehen und ihr dabei eine Lüge nach der anderen aufgetischt hatte … Selbst das hätte sie ihm vergeben können, aber eines sicher niemals: dass er sich auf und davon gemacht und sie allein mit ihrer Mutter zurückgelassen hatte. Ibiza lag schließlich nicht mal eben um die Ecke. Er hatte sie zwar schon mehrmals eingeladen, ihn und Rudi besuchen zu kommen, in ihrer Finca Urlaub zu machen, doch sie hatte immer abgelehnt. »Irgendwann bestimmt«, hatte sie ihn vertröstet, jedes Mal.

Sie konnte einfach nicht. Auch wenn sie inzwischen akzeptierte, dass ihr Vater jetzt einen Mann liebte, wollte sie das bestimmt nicht mit ansehen. Sie war ihrem Vater und Rudi ein paarmal zufällig begegnet, als sie noch in Hamburg lebten, und das war schon schwer genug gewesen. Jetzt aber eine ganze Woche oder länger mit den beiden Turteltauben zu verbringen wäre ihr einfach zu viel.

»Ich würde ja gern mal wissen, wie die klarkommen«, sagte Silvia jetzt. »Die Frührente von Ernst wird wohl kaum ausreichen, um sich ein schönes Leben auf einer Trauminsel machen zu können.«

»Rudi hat einen Friseursalon eröffnet«, erzählte sie und fragte sich im nächsten Moment, warum.

»Na, wie kann denn einer mit Glatze überhaupt Haare schneiden? So was Lächerliches habe ich ja noch nie gehört. Dein Vater bekommt jetzt natürlich Gratishaarschnitte auf Lebenszeit. Na, und womit der sich dafür wohl erkenntlich zeigt, kann man sich denken. Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Er hat schon immer viel zu viel Wert auf sein Äußeres gelegt. Auf seine Haare, seine Nägel, auf …«

»Du glaubst nicht, wo ich gestern war!«, fiel Marianne ihrer Mutter ins Wort, nur um das Geläster über ihren Vater zu unterbrechen.

Silvia sah kurz verwundert auf. Dann: »Na, dann erzähl schon.«

»Bei einer Wahrsagerin.« Verflucht, warum hatte sie kein anderes Thema zur Ablenkung ausgesucht? In der Eile war ihr einfach keins eingefallen, und da der Besuch bei Cordula und ihre Worte noch immer in ihrem Kopf herumspukten, hatte sie sich, ohne groß zu überlegen, dafür entschieden.

Ein Fehler. Ein riesengroßer Fehler.

»Wie bitte?«

Jetzt gab es wohl kein Entkommen.

»Ich war doch gestern mit Tasha auf dem Dom, und da saß so eine Wahrsagerin in ihrem Wagen. Du kennst ja Tasha, sie hat mich dann überredet, mir die Zukunft voraussagen zu lassen. Oder eigentlich hat Cordula mir eher einen Tipp für die Zukunft gegeben.«

»Cordula?«

»Die Wahrsagerin.«

Silvia rollte die Augen. »Ach du liebe Güte. Auf so einen Schmarrn fällst du rein?«

»Nein. Ich bin überhaupt nicht drauf reingefallen. Ich glaube nicht an Hokuspokus, das weißt du doch.«

»Ganz im Gegensatz zu deiner Freundin.«

»Ja. Na ja, sie hat das alles schon irgendwie für voll genommen. Ist aber auch egal. Ich werde bestimmt nicht darauf hören, was eine Wahrsagerin auf dem Dom von sich gibt.« Das sagte sie eher zu sich selbst als zu ihrer Mutter.

»Na, das will ich aber auch hoffen.«

Sie aßen weiter. Das Essen war bereits kalt.

»Und? Was war das denn nun für ein Tipp?«