Auf der Suche nach dem guten Leben - Philosophische Konzepte in einer brüchigen Moderne - Karl Gietler - E-Book

Auf der Suche nach dem guten Leben - Philosophische Konzepte in einer brüchigen Moderne E-Book

Karl Gietler

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Beschreibung

Diplomarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Philosophie - Praktische (Ethik, Ästhetik, Kultur, Natur, Recht, ...), Note: Sehr gut, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (Institut für Philosophie und Gruppendynamik), Sprache: Deutsch, Abstract: Wir opfern - so heißt es - unsere Muße, um Muße zu haben, so wie wir Krieg um des Friedens willen führen. So dachte Aristoteles. Nach dem Krieg sollte Frieden sein, zumindest für einige Zeit. Kommt aber nach der Arbeit die Muße und hat der arbeitende Mensch noch die Muße im Blick? Begriffe wie Informations-, Arbeits-, Konsum- und Multioptionsgesellschaft lassen erahnen, dass dem Hinweis auf Mußeund Auszeiten im Arbeits- und Produktionsprozess eher mit Unverständnis begegnet wird. Rekordgewinne der global agierenden Konzerne, dem gegenüberstehend steigende Arbeitslosigkeit, nicht mehr leistbarer Sozialstaat, zunehmende Verarmung auch in westlichen Industrieländern, Phänomene neuer Zumutbarkeiten wie Ich-AG, Selbstvermarkter und „flexible Menschen“ liefern meinen Überlegungen Stichworte für eine gegenwärtige Situation, in welcher sich bei mir ein Unbehagen eingestellt hat angesichts eines ökonomischen Diktats, dem sich offensichtlich alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens zu unterwerfen haben. Umbrüche, Krisen und Revolutionen sind historisch betrachtet nichts Ungewöhnliches. Ausgangspunkt meiner Betrachtung soll daher eine Epoche sein, die sich erstmals selbst als Moderne erkennt. Ich möchte anhand der Arbeiten von G.W.F. Hegel, Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger und dessen „Verwinder“ Gianni Vattimo Denkmodelle aufzeigen, wie sie philosophisch auf ihre jeweiligen Lebenswelten Bezug nahmen und Hinweise dafür geben, inwiefern ihre Diagnosen für heutige Phänomene heranzuziehen sind. Die Aufgabe der Philosophie ist es, wie Hegel sagt, ihre Zeit in Gedanken zu erfassen. Mir ist es ein Anliegen, die genannten gesellschaftlichen Phänomene und Zumutungen nicht als normal und gegeben hinzunehmen, sondern philosophisch zu hinterfragen.

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Veröffentlichungsjahr: 2005

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Inhaltsverzeichnis
Teil I: Glück und Arbeit
Wozu das Ganze?
Immer flexibel bleiben
Allzeit bereit im Zeichen neuer Zumutbarkeit
Wir vermarkten uns(er) selbst
Get a life
Das philosophische Glück
Die glückliche Gesellschaft
Das Glück der Neuzeit
Der Traum nach vorwärts
Und unser Glück?
Konsum und Aneignung
Arbeit als Berufung
Das System der Bedürfnisse
Der Herr und der Knecht

Page 1

Page 2

Gewidmetmeiner Familie, insbesondere meinen Kindern, die mich für einenFreakhalten.

Zu Dank verpflichtetbin ich ao. Univ.-Prof. Dr. Josef Mitterer für wertvolle stilistische und strukturelle Anregungen und ebenso ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Wilhelm Berger für die kompetente Betreuung sowie essentielle Hinweise bezüglich Literatur und Aufbau der Arbeit.

Page 4

Teil II:Denker der Moderne

Die Entzauberung 38

Hegel: Die Philosophie der Vernunft 39 Die Philosophie des Staates 42 Hegels Grenzen 44 Geist und Kapital 45

Was die Welt im Innersten zusammenhält 49 D a s A b s o l u t e 5 0

Nietzsche: das andere der Vernunft 53

Was ich erzähle, ist die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte 55

Heidegger: bereit sein ist alles 61

Gianni Vattimo: das schwache Denken 65

Teil III:Die neue Gesellschaft

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch 71 I n n e h a l t e n 7 3 D e r C o n s u m e r 7 6 Moderner Hedonismus 79

Die freie Gemeinschaft errichten 82 Der Staat denkt nicht 85

Die Politik als Wahrheitsprozedur 87

Literaturliste8 9Internetliste9 2

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Vorwort

Wir opfern - so heißt es - unsere Muße, um Muße zu haben, so wie wir Krieg um des Friedens willen führen. So dachte Aristoteles. Nach dem Krieg sollte Frieden sein, zumindest für einige Zeit. Kommt aber nach der Arbeit die Muße und hat der arbeitende Mensch noch die Muße im Blick? Begriffe wie Informations-, Arbeits-, Konsum-und

Multioptionsgesellschaft lassen erahnen, dass dem Hinweis auf Muße-und Auszeiten im Arbeits- und Produktionsprozess eher mit Unverständnis begegnet wird.

Rekordgewinne der global agierenden Konzerne, dem gegenüberstehend steigende Arbeitslosigkeit, nicht mehr leistbarer Sozialstaat, zunehmende Verarmung auch in westlichen Industrieländern, Phänomene neuer Zumutbarkeiten wie Ich-AG, Selbstvermarkter und „flexible Menschen“ liefern meinen Überlegungen Stichworte für eine gegenwärtige Situation, in welcher sich bei mir ein Unbehagen eingestellt hat angesichts eines ökonomischen Diktats, dem sich offensichtlich alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens zu unterwerfen haben. Umbrüche, Krisen und Revolutionen sind historisch betrachtet nichts Ungewöhnliches. Ausgangspunkt meiner Betrachtung soll daher eine Epoche sein, die sich erstmals selbst als Moderne erkennt. Ich möchte anhand der Arbeiten von G.W.F. Hegel, Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger und dessen „Verwinder“ Gianni Vattimo Denkmodelle aufzeigen, wie sie philosophisch auf ihre jeweiligen Lebenswelten Bezug nahmen und Hinweise dafür geben, inwiefern ihre Diagnosen für heutige Phänomene heranzuziehen sind.

Die Aufgabe der Philosophie ist es, wie Hegel sagt, ihre Zeit in Gedanken zu erfassen. Mir ist es ein Anliegen, die genannten gesellschaftlichen Phänomene und Zumutungen nicht als normal und gegeben hinzunehmen, sondern philosophisch zu hinterfragen.

Page 6

In der vorliegenden Arbeit versuche ich den Mechanismen von Kapitalismus und Konsum nachzuspüren, was es mit dem Glück auf sich hat, ob alternative gesellschaftliche Formen jenseits eines globalökonomischen Systems denkbar sind und wie diese gegebenenfalls politisch zu fassen seien.

Page 7

Einleitung

Würde es nicht genügen, einfach ein stilles Glück zu genießen, ohne große Ansprüche zu stellen? Doch gewisse materielle Voraussetzungen und Sicherheiten scheinen unabdingbar. Seit dem Beginn der Industrialisierung stellt eben die Lohnarbeit zum größten Teil die Quelle von Einkommen und materieller Absicherung dar. Nun sind im Bereich der Arbeitswelt die Dinge stark in Fluss geraten. Soziale Absicherung und lebenslange Berufsausübung passen nicht mehr in eine ökonomische Sphäre, in welcher Dynamik, Flexibilität und Multitasking die erforderten Qualitäten darstellen. Zweifellos boomt die Wirtschaft in weiten Bereichen, Konzerne machen Rekordgewinne; doch gleichzeitig sehen Soziologen und Philosophen das Ende der Lohnarbeit heraufdämmern. Autoren wie Richard Sennet orten einen durch ständige Flexibilitätszumutung hervorgerufenen Charakterverlust der Individuen und stellen einen funktionierenden sozialen Zusammenhalt in Frage. Slavoj Žižek plädiert für eine neue Intoleranz gegenüber der ökonomischen Sphäre und eine Repolitisierung derselben. Die Möglichkeit in der gegenwärtigen Arbeits- und Produktionsgesellschaft so etwas wie persönliches Glück zu erlangen, scheint zunehmend schwieriger zu werden.

Die Frage nach dem individuellen wie auch dem gesellschaftlichen Glück ist jedoch eine der Kernfragen der Philosophie, eine Frage der Ethik und des guten Lebens. Prominente antike Glücks - Sucher wie Epikur und Seneca fragen nach dem individuellen Glück; mit dem neuzeitlichen Aufkommen der Industrialisierung wird das Problem des kollektiven Glücks virulent. Der Industrielle Robert Owen als Vordenker des Sozialismus scheitert jedoch mit seiner Kolonie der Glücklichen. Ernst Bloch sieht den Sozialismus als Praxis einer konkreten Utopie; er soll den Menschen befähigen, das Seine in realer Demokratie zu verwirklichen.

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Im Gegensatz dazu scheint für pessimistische Denker wie Sigmund Freud das Glück im Plan der Schöpfung nicht vorgesehen zu sein. Das gegenwärtige globalkapitalistische System ist fundiert auf dem Zyklus von Produktion und Konsumation in zunehmend verkürzten Intervallen. Konsum wird zum Erlebnis, die Konsumgesellschaft zur Erlebnisgesellschaft. Breidenbach/Zukrigl gehen der Frage nach, ob Konsum Glück versprechen oder Identitätsstiftend wirken kann. Mit Max Weber soll untersucht werden, warum allein in der westlichen Gesellschaft sich ein kapitalistisches System entwickelt hat und welche gesellschaftlichen Mechanismen dem „Abendländischen Kapitalismus“ innewohnen und zu einer ökonomischen Sphäre geführt haben, von der schon Hegel als „System der Bedürfnisse“ spricht. Hier wird der Mensch nicht mehr von bloßer Naturnotwendigkeit geleitet, sondern sein Handeln ist letztlich bestimmt durch die Meinung der anderen. In der Herr-Knecht Dialektik kommt der bildende und befreiende Aspekt der Arbeit zum Ausdruck. Der Arbeiter erlangt Selbstbewusstsein, welches für Hegel als Subjektivität und subjektzentrierte Vernunftdasphilosophische Prinzip und konstituierende Element der Moderne bedeutet.

Die Neuzeit und beginnende Moderne muss nach einem Prozess, den Weber Entzauberung nennt, auf vorgegebene tradierte und religiöse Werte verzichten. Hegel versteht dieses Bedürfnis nach

Selbstvergewisserung als philosophisches und setzt die subjektive Vernunft unter Voraussetzung eines Absoluten als Identität stiftenden Faktor in einer „vorbildlosen Moderne“ ein. Doch die Hegelsche Vernunft erklärt plötzlich alles und schwingt sich selbst zur unangreifbaren Macht empor. Politische Kräfte beispielsweise, welche von Hegels

Staatsphilosophie abweichen, verstoßen somit gegen die Vernunft selbst. Die letztlich absolute Vergeistigung des Menschen lassen seine irdischen Bedürfnisse bedeutungslos werden. In einer materialistischen Wende stellt Karl Marx nun das idealistische System Hegels „vom Kopf auf die Füße“.

Page 9

Im Dialektischen Materialismus findet eine Verschiebung vom Denken zum Handeln statt, nicht mehr die Vernunft ist das Prinzip der Moderne, sondern die Arbeit. Der Geist wird zum Kapital, das Absolute zum Geldder Stoff, der die Welt im Innersten zusammenhält. Die Frage ob und wie man damit glücklich wird, bleibt vorerst dahingestellt und soll uns später noch beschäftigen. Für Marx bestand ja nach dem Zusammenbruch des Kapitalismus das Glück der Menschheit in der klassenlosen Gesellschaft von in „freier Assoziation“ handelnder und sich bestimmender Individuen.

Einen anderen Ansatz wählt Friedrich Nietzsche. Nicht die Vernunft, sondern das Andere der Vernunft, der Mythos soll konstituierend wirken; und die Kunst ist für ihn das Medium der Verbindung der Moderne mit dem Archaischen, Dionysos der kommende Gott. Auch Nietzsche sieht in der Moderne eine fundamentale Erfahrung der Veränderung und des Wandels. Doch das Prinzip des Werdens - dieses Auflösungsprozesses traditioneller Werte - selbst als konstituierendes Prinzip der Moderne anzusetzen, scheitert ebenso wie der Hegelsche Vernunftansatz. Nietzsche beschreibt diese Erfahrung als Nihilismus. Die Geschichte des Nihilismus beginnt früh - mit dem Heraustreten der Menschheit aus der vorsokratischen schönen Einheit von Denken und Leben - und endet mit dessen Überwindung im Ja des Zarathustra, der Bejahung im Willen zur Macht. Doch noch herrscht dessen pervertierte Form des Macht-wollens, des verfügen-wollens über Geld, Ehre und Vermögen - ein Glück für einige Privilegierte. Nietzsches Übermensch-Phantasien erfuhren - wenn auch in pervertierter Form - ihre Realisierung; Martin Heidegger, Philosoph dieser Epoche, begegnet dem Problem der Verunsicherung und Exponiertheit der Individuen mit einer Vereinigung derselben zu einem Volk.

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Das Glück bei Heidegger bedeutet ein Leben in der Eigentlichkeit, dem Ergreifen seiner Existenz. Das kollektive Glück des deutschen Volkes dauerte jedoch nicht lange und verursachte das größte Unglück des Zwanzigsten Jahrhunderts. Gegen derart starke Ideologien wendet sich Gianni Vattimo mit seinem „schwachen Denken“ und einem Konzept der Kontaminierung; seine Überlegungen zu einem konstruktiven Chaos der Informationstechnologie und Medien müssen sich aber den Vorwurf der Beliebigkeit gefallen lassen, da ein schwaches Denken gegenüber Gewalt, Machtausübung, Repression, ökonomische Zwänge und politische Willkür kaum ein geeignetes Konzept darstellen kann. Die Themen Glück und Arbeit sind nach wie vor zu überdenken. André Gorz sieht das Ende der Lohnarbeit und mit dem Heraufkommen des Wissenskapitalismus das Ende des Kapitalismus überhaupt gekommen. Andere, soziale Formen des Zusammenlebens und ein ausreichendes Existenzgeld sollen insgesamt eine Alternative zum gegenwärtigen Produktivismus darstellen. Peter Heintel erkennt mit Hegel zwar Subjektmöglichkeit in den Prozessen der Produktion als Selbstentäußerung und der Identitätsfindung durch Konsum als Wiederaneignung; aber eine Gesamtvermittlung, ein Allgemeingültiges, das nicht Produktion oder Ware heißt, ist dennoch nicht möglich. Das Projekt Glück durch Konsum ist ein nie abgeschlossenes und funktioniert nur im ökonomischen Kontext, der global gesehen andererseits auch Ausgeschlossene produziert und somit Phänomenen wie Terrorismus, Radikalismus und Fundamentalismus Vorschub leistet. So stellt sich die Frage nach einer Politik, die den Menschen Räume und Zeiten für eine mögliche nicht-ökonomische Gesellschaft bereitstellt und wie diese Gemeinschaft zu fassen sei, die selbst nicht wiederum Machtstrukturen hervorbringt. Philosophische Konzepte von Jean-Luc Nancy und metapolitische Überlegungen Alain Badious weisen hier den Weg.

Page 11

Teil I:Glück und Arbeit

Wozu das Ganze?Build me a cabin in Utah

Marry me a wife, catch rainbow trout Have a bunch of kids who call me “Pa” That must be what it’s all about That must be what it’s all about(1)

Das muss es sein, worum es geht. Aber die Hütte baut sich nicht selbst. Ein Rudel Kinder kostet auch einen Menge. Das Geld will erst einmal verdient sein. Doch das ist heute nicht mehr so einfach. Flexibel muss man sein, ständig weiter- und umlernen. Möglichst Berufserfahrung mitbringen, aber nicht zuviel Lebenserfahrung; auch nicht zuviel Lebensalter. Ist man schon jenseits der Vierzig, besteht nämlich die Gefahr, nicht mehr flexibel genug zu sein. Außerdem empfiehlt es sich, die Fähigkeit des Multitasking zu besitzen. Galt in hergebrachter Erziehung noch der Grundsatz: Eins nach dem anderen, so heißt es nun: Mehrere Dinge gleichzeitig! Der Simultant beherrscht die neue Disziplin perfekt. Er surft während des Staus auf der Autobahn im Internet, erledigt während der Hausarbeit seine Bankgeschäfte bzw. betreut während der Arbeit, die er zu Hause am PC vollbringt, die Kinder. Nachdem man nicht außerhalb der Gesellschaft leben kann, muss man die neuen Disziplinen eben lernen.