Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Band 6: Die Entflohene - Marcel Proust - E-Book

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Band 6: Die Entflohene E-Book

Marcel Proust

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Beschreibung

Im September 2013, 100 Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes der "Recherche"? begann bei Reclam eine neue Übersetzung von Marcel Prousts Meisterwerk zu erscheinen, die erste komplett aus einer Hand, die erste auch, die von dem erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts edierten endgültigen französischen Text ausgeht. Die Ausgabe bietet in jedem Band einen ausführlichen Anmerkungsapparat, der jene historischen und kulturhistorischen Informationen enthält, die der Leser erwartet. "Die Entflohene" ist der sechste Band des insgesamt siebenbändigen Romanwerks. Albertine ist gegangen – damit endete Band 5. Marcel versucht nun, sie mit Hilfe von Emissären und Briefen voller Versprechungen zurückzugewinnen. Das scheint zu gelingen, in ihrem letzten Brief kündigt sie ihre Bereitschaft zur Rückkehr an. Doch wird dieser Brief von einem Telegramm überholt, in dem Albertines Tante dem Erzähler mitteilt, dass ihre Nichte bei einem Reitunfall tödlich verletzt worden ist. Die folgenden Kapitel stehen im Zeichen der Trauer und der Trauerbewältigung. Marcel versucht zunächst, Klarheit über Albertines Homosexualität zu gewinnen, und beginnt erst nach einem allmählichen Prozess des Vergessens, sich für andere Frauen zu interessieren. Bei einem Spaziergang im Bois trifft er seine Jugendgeliebte Gilberte wieder. Sie hat inzwischen reich geerbt und ist als Mademoiselle de Forcheville zum Liebling des Faubourg Saint-Germain geworden. Mit seiner Mutter reist er nach Venedig, wo ihm Albertine schließlich ganz und gar gleichgültig wird. Bei der Heimfahrt erfährt er von der Heirat Gilbertes mit Robert de Saint-Loup. Zurück in Frankreich, macht Marcel einen Besuch bei der nun in Tansonville lebenden schwangeren "Strohwitwe" Gilberte de Saint-Loup, deren Mann noch immer beim Militär ist und der inzwischen ein überraschendes außereheliches Liebesleben führt.

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Seitenzahl: 726

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Marcel Proust

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Band 6 Die Entflohene(Zweiter Teil von Sodom und Gomorrha III)

Übersetzung und Anmerkungen von Bernd-Jürgen Fischer

Reclam

2016 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen

Made in Germany 2017

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961070-2

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-010905-2

www.reclam.de

[5] Inhalt

Die Entflohene

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Anhang

Zum sechsten Band der Ausgabe

Anmerkungen

Literaturhinweise

Inhaltsübersicht

Namenverzeichnis

[7]Erstes Kapitel

Kummer und Vergessen*

»Mademoiselle Albertine ist gegangen!« Wie das Leiden doch so viel tiefer eindringt in die Logik der Psyche als die Psychologie! Einen Moment zuvor noch, als ich mich selbst analysierte, hatte ich geglaubt, eine solche Trennung, ohne sich noch einmal zu sehen, sei genau das, was ich wünschte, und als ich die schalen Vergnügungen, die Albertine mir bot, mit der Fülle von Wünschen verglich, um deren Verwirklichung sie mich brachte (und denen es die Gewissheit ihrer Anwesenheit bei mir zu Hause, der Druck meiner seelischen Atmosphäre, zwar gestattet hatte, in meiner Seele an die vorderste Stelle zu rücken, die jedoch bei der ersten Nachricht, dass Albertine gegangen sei, gar nicht erst in Konkurrenz mit ihr treten konnten, denn sie hatten sich sogleich verflüchtigt), hatte ich mich sehr scharfsinnig gefunden und gefolgert, dass ich sie nicht mehr sehen wolle, dass ich sie nicht mehr liebe. Doch die Worte »Mademoiselle Albertine ist gegangen« hatten meinem Herzen ein solches Leid zugefügt, dass ich spürte, ich würde dem nicht länger standhalten können. Demnach war also das, was ich für eine Belanglosigkeit gehalten hatte, schlicht und einfach mein ganzes Leben. Wie wenig man sich kennt. Ich musste meinem Schmerz unverzüglich ein Ende bereiten; so zartfühlend mir selbst gegenüber, wie es meine Mutter mit meiner sterbenden Großmutter gewesen war, sagte ich mir mit der gleichen guten Absicht, jemanden, den man liebt, nicht leiden zu lassen: »Hab einen Augenblick Geduld, man wird dir ein Heilmittel besorgen, sei ganz beruhigt, man wird dich nicht derart leiden lassen.« Und da ich dunkel ahnte, dass, wenn mir eben, bevor ich geläutet hatte, Albertines Fortgehen noch hatte gleichgültig oder sogar wünschenswert erscheinen [8] können, dies nur deshalb so war, weil ich es für unmöglich gehalten hatte, suchte mein Selbsterhaltungstrieb mit Gedanken der folgenden Art die ersten Linderungsmittel auf meine offene Wunde zu legen: »Das alles hat überhaupt nichts zu bedeuten, weil ich sie umgehend zurückkommen lassen werde. Mittel und Wege werde ich mir noch überlegen, aber so oder so wird sie heute abend hier sein. Folglich ist es sinnlos, dass ich mich aufrege.« »Das alles hat gar nichts zu bedeuten« – ich hatte mich nicht damit begnügt, das zu mir selbst zu sagen, auch bei Françoise hatte ich versucht, diesen Eindruck zu erwecken, indem ich ihr gegenüber mein Leiden nicht zu erkennen gab, denn selbst in dem Moment, in dem ich meine Liebe mit einer solchen Heftigkeit spürte, vergaß sie nicht, wie wichtig es ihr war, als eine glückliche Liebe zu erscheinen, als eine erwiderte Liebe, und ganz besonders in den Augen von Françoise, die Albertine nicht mochte und immer an ihrer Aufrichtigkeit gezweifelt hatte. Ja, gerade eben noch, bevor Françoise hereingekommen war, hatte ich geglaubt, Albertine nicht mehr zu lieben, hatte ich geglaubt, als exakter Analytiker nichts unberücksichtigt gelassen zu haben; ich hatte geglaubt, mein Herz von Grund auf zu kennen. Doch unser Verstand, so mächtig er auch sei, kann die Elemente nicht erkennen, aus denen es sich zusammensetzt und die man nicht ahnt, solange sie nicht von einem Ereignis, das sie herauszulösen vermag aus dem flüchtigen Zustand, in dem sie sich die meiste Zeit befinden, dem Beginn einer Verfestigung unterworfen werden. Ich hatte mich getäuscht, als ich glaubte, in meinem Herzen klarzusehen. Doch diese Erkenntnis, die mir die feinsten Wahrnehmungen meines Geistes nicht vermittelt hatten, war so hart, gleißend und fremd wie ein kristallisiertes Salz durch die jähe Reaktion des Schmerzes an mich herangetragen worden. Es war mir so selbstverständlich, Albertine um mich zu haben, und nun sah ich plötzlich ein ganz neues Gesicht der Gewohnheit. Bisher [9] hatte ich sie vor allem als eine zerstörerische Kraft angesehen, die alle Originalität und sogar die bewusste Wahrnehmung unterdrückt; jetzt sah ich in ihr eine furchteinflößende, so fest an uns geschmiedete Gottheit, deren nichtssagendes Gesicht so tief in unser Herz eingeprägt ist, dass diese Gottheit, die wir kaum zu erkennen vermochten, uns dann, wenn sie sich von uns löst, wenn sie sich von uns abwendet, schrecklichere Leiden zufügt als jede andere, und dann ist sie ebenso grausam wie der Tod.

Das Dringlichste war jetzt, Albertines Brief zu lesen, denn ich wollte auf Mittel sinnen, sie zur Rückkehr zu bewegen. Ich spürte, dass ich diese besaß, denn da die Zukunft das ist, was nur erst in unserem Denken existiert, erscheint sie uns durch einen Eingriff unseres Willens noch in letzter Minute beeinflussbar. Doch gleichzeitig erinnerte ich mich daran, dass ich schon andere Kräfte als nur die meinen auf sie hatte einwirken sehen, gegen die ich, stünde mir auch mehr Zeit zur Verfügung, nichts hätte ausrichten können. Was nützt es, dass die Stunde noch nicht geschlagen hat, wenn wir nichts daran machen können, was geschehen wird. Als Albertine noch im Haus war, war ich entschlossen, hinsichtlich unserer Trennung die Initiative zu behalten. Und dann war sie gegangen. Ich öffnete Albertines Brief. Er war folgendermaßen abgefasst:*

MeinFreund,entschuldigenSie,dassichesnichtgewagthabe,IhnendiefolgendenpaarWorteselbstzusagen,aberichbinsofeige,ichhabeimmersogroßeAngstvorIhnengehabt,dassich,selbstwennicheserzwingenwollte,nichtdenMutaufbringenkonnte,eszutun.Hieralso,wasichIhnenhättesagensollen:UnserZusammenlebenistunmöglichgeworden,SiehabenjaanIhrerSzeneneulichabendgesehen,dasssichinunsererBeziehungetwasveränderthat.WassichinjenerNachtnochbereinigenließ,würdeinwenigenTagennichtmehrgutzumachensein.Esistdaherbesser,daunsdas[10] Glück beschieden war, uns zu versöhnen, als gute Freunde auseinanderzugehen; deshalb, mein Liebling, schreibe ich Ihnen diese Worte, und ich bitte Sie, so gut zu sein, mir zu verzeihen, falls ich Ihnen ein wenig Kummer bereite, indem Sie an den unermesslichen denken, den ich haben werde. Mein lieber Großer, ich will nicht Ihre Feindin werden, es wird schon hart genug für mich sein, Ihnen nach und nach, und doch recht schnell, gleichgültig zu werden; da meine Entscheidung zudem unwiderruflich ist, werde ich Françoise, noch bevor ich sie diesen Brief zu Ihnen bringen lasse, um meine Koffer bitten. Leben Sie wohl, ich lasse das Beste von mir bei Ihnen zurück. Albertine.

Alldasbedeutetnichts,sagteichmir,esistsogarbesser,alsichdachte,denndasiedasallesgarnichtdenkt,hatsieesoffenbarnurgeschrieben,umeinenentscheidendenSchlagzuführen,damitichAngstbekomme.Esgaltjetzt,dasDringlichsteinsAugezufassen,undzwar,dassAlbertinenochheuteabendzurückseinwürde.Esist eine traurige Vorstellung, dass die Bontemps so unredliche Leute sein sollten, dass sie sich ihrer Nichte bedienen, um Geld aus mir herauszupressen. Aber was soll’s. Selbst wenn ich die Hälfte meines Vermögens den Bontemps geben müsste, damit Albertine heute abend wieder hier wäre, so bliebe ihr und mir immer noch genug, um ein angenehmes Leben zu führen. Und gleichzeitig überlegte ich, ob mir an diesem Vormittag noch genug Zeit blieb, um die Yacht und den Rolls Royce zu bestellen, die sie sich wünschte, und so vollkommen waren alle meine Bedenken verschwunden, dass ich gar nicht mehr daran dachte, für wie unklug ich es gehalten hatte, ihr diese Dinge zu schenken. Außer* den Automobilen würde ich die schönste Yacht für sie kaufen, die es derzeit gab. Sie stand zum Verkauf, war aber so teuer, dass sich kein Käufer fand. Zudem würde sie nach dem Kauf, selbst wenn wir nur[11] vier Monate auf Kreuzfahrt gingen, noch über zweihunderttausend Franc pro Jahr an Unterhalt verschlingen. Wir würden mehr als eine halbe Million jährlich verbrauchen. Würde ich das länger als sieben oder acht Jahre durchhalten können? Aber was soll’s, wenn ich schließlich nur noch fünfzigtausend Franc Einkünfte im Jahr haben würde, könnte ich sie Albertine hinterlassen und mich umbringen. Dies war der Entschluss, den ich fasste. Er brachte mich dazu, an mich zu denken. Da aber das Ich davon lebt, unablässig an eine große Zahl von Dingen zu denken, ja, eigentlich nichts anderes ist als das Denken an diese Dinge, findet es, wenn es zufällig einmal nicht diese Dinge vorsichhatundstattdessenplötzlichansichselbstdenkt,nureinenleerenApparatvor,etwas,dasesnichtkenntunddemes,umihmeinwenigWirklichkeitzuverleihen,dieErinnerunganeinimSpiegelwahrgenommenesGesichthinzufügt.DieseskomischeLächelnunddieserschiefeSchnurrbartwärenalsodas,wasvonderErdoberflächeverschwindenwürde.WennichmichinfünfJahrenumbringenwürde,wäreesfürmichausdamit,alldieDingedenkenzukönnen,diemirunaufhörlichdurchdenKopfgingen.IchwürdenichtmehraufderErdoberflächeweilenundauchniedorthinzurückkehren,meinDenkenwürdefürimmerzumStillstandkommen.UndmeinIcherschienmirnur noch nichtiger, als ich es so bereits als etwas ansah, das nicht mehr existierte. Wie sollte es denn schwierig sein, jener, der sich unser Denken fortwährend zuwendet (jener, die wir lieben), jenes andere Wesen zu opfern, an das wir niemals denken: uns selbst? Von daher erschien mir der Gedanke an meinen Tod, wie auch der Begriff eines Ich, als etwas Merkwürdiges; er war mir keineswegs unangenehm. Doch plötzlich fand ich ihn schrecklich bedrückend; denn da ich nur deshalb gedacht hatte, dass ich nicht über mehr Geld würde verfügen können, weil meine Eltern noch lebten, musste ich plötzlich an meine Mutter denken. Und ich [12] konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass sie durch meinen Tod leiden würde.

Selbst wenn die Einwilligung von Madame Bontemps nicht genügt, wenn Albertine ihrer Tante nicht gehorchen will und als Bedingung für ihre Rückkehr fordert, dass sie zukünftig ihre volle Freiheit hat, so werde ich sie ihr eben lassen, auch wenn mir das Kummer bereiten wird, sie wird dann allein ausgehen können, wie es ihr gefällt, man muss auch bereit sein, Opfer zu bringen, selbst wenn sie schmerzlich sind, für das, woran einem am meisten liegt, und das ist, entgegen allem, was ich am Morgen nach meinen scharfsinnigen und absurden Überlegungen glaubte, dass Albertine bei mir lebt. Kann ich im übrigen wirklich behaupten, dass es für mich so schmerzlich gewesen wäre, ihr diese Freiheit zu lassen? Da würde ich lügen müssen. Schon oft hatte ich das Gefühl gehabt, dass das Leiden daran, ihr die Freiheit zu lassen, fern von mir Schlimmes zu treiben, vielleicht weniger schwerwiegend war als diese Art von Trauer, die ich gelegentlich empfand, wenn ich merkte, dass sie sich mit mir, bei mir langweilte. Zweifellos wäre es mir in dem Augenblick, in dem sie mich gebeten hätte, irgendwohin gehen zu dürfen, bei dem Gedanken, dass dort Orgien organisiert wurden, zuwider gewesen, sie gehen zu lassen. Ihr aber zu sagen: »Nehmen Sie unser Boot, oder den Zug, fahren Sie für einen Monat in dieses oder jenes Land, das ich nicht kenne, aus dem ich nichts von dem erfahren werde, was Sie tun«, dieser Gedanke hatte mir oft wegen der Vorstellung gefallen, dass sie, fern von mir, im Vergleich mich vorziehen und bei der Rückkehr glücklich sein würde. Im übrigen wünscht sie das ganz gewiss selbst, sie will keineswegs jene Freiheit, der ich Tag für Tag, und mit Leichtigkeit zudem, irgendwelche Grenzen setzen könnte, indem ich Albertine immer neue Vergnügungen bot. Nein, was Albertine gewollt hat, das ist, dass ich ihr gegenüber nicht mehr unausstehlich sein würde, und [13] vor allem – wie damals Odette von Swann –, dass ich mich dazu entschließe, sie zu heiraten. Ist sie erst verheiratet, wird sie auf ihre Unabhängigkeit keinen Wert mehr legen, wir werden beide hierbleiben und glücklich sein! Zweifellos bedeutete dies, auf Venedig zu verzichten. Doch auch die am heißesten ersehnten Städte, wie Venedig – und erst recht auch die angenehmsten Gastgeberinnen und Zerstreuungen, und sehr viel mehr noch als Venedig, die Herzogin von Guermantes, das Theater: Wie blass, gleichgültig, tot werden Städte wie Venedig, wenn wir an ein anderes Herz durch ein so schmerzhaftes Band gebunden sind, dass es uns nicht entrinnen lässt! In dieser Heiratsfrage hat Albertine übrigens vollkommen recht. Selbst Maman fand all dieses Aufschieben lächerlich. Sie zu heiraten war eben das, was ich schon längst hätte tun müssen, was ich tun musste, es war das, weshalb sie ihren Brief geschrieben hat, von dem sie kein Wort meint; und nur um das zu erreichen, hat sie ein paar Stunden lang auf das verzichtet, was sie ebenso sehr wünschen muss, wie ich es wünsche: dass sie hierher zurückkehrt. Ja, genau das hat sie gewollt, das ist der Zweck ihres Verhaltens, sagte mir meine einfühlsame Vernunft, doch ich spürte, dass meine Vernunft, wenn sie mir das sagte, immer von jener Hypothese ausging, die sie sich von Anfang an zu eigen gemacht hatte. Ich spürte jedoch deutlich, dass gerade die andere Hypothese immer wieder bestätigt worden war. Zweifellos wäre diese zweite Hypothese niemals so kühn gewesen, ausdrücklich zu behaupten, Albertine könne ein Verhältnis mit Mademoiselle Vinteuil und ihrer Freundin gehabt haben. Und doch hatte sich, als ich bei der Einfahrt in den Bahnhof von Incarville* von dieser schrecklichen Nachricht überwältigt worden war, eben diese zweite Hypothese bestätigt gesehen. Diese hatte späterhin niemals nahegelegt, dass Albertine mich jemals von sich aus verlassen könnte, zudem in dieser Weise, ohne mir Bescheid zu sagen und mir die Zeit zu [14] lassen, sie daran zu hindern. Doch auch wenn die Wirklichkeit, die sich mir nach dem ungeheuren, neuerlichen Sprung, den das Leben mich hatte tun lassen, unabweislich aufdrängte, ebenso neu für mich war wie jene, vor die uns die Entdeckungen eines Physikers, die Ermittlungen eines Untersuchungsrichters oder die Befunde eines Historikers über die Hintergründe eines Verbrechens oder einer Revolution stellen, und diese Wirklichkeit die zaghaften Vorhersagen meiner zweiten Hypothese übertraf, so erfüllte sie sie aber auch zugleich. Diese zweite Hypothese war keine der Vernunft, und die panische Angst, die ich an dem Abend empfand, an dem Albertine mich nicht geküsst hatte, in der Nacht, als ich das Geräusch des Fensters hörte, diese Angst war nichts Überlegtes. Doch dass die Vernunft – und das Folgende wird dies noch weiter verdeutlichen, wie viele Episoden es schon hatten zeigen können – nicht das subtilste, leistungsfähigste, angemessenste Mittel ist, um die Wahrheit in den Griff zu bekommen, stellt nur einen Grund mehr dar, mit der Vernunft zu beginnen, und nicht etwa mit den Intuitionen des Unterbewusstseins oder mit dem vorgefassten Glauben an Vorahnungen. Es ist das Leben, das uns nach und nach, FallumFall,ermöglichtfestzustellen,dasswirnichtdurchÜberlegung erfahren, was unserem Herzen oder unserem Geist am wichtigsten ist, sondern durch andere Kräfte. Und dann ist es die Vernunft selbst, die aus Einsicht deren Überlegenheit anerkennt, hinter ihnen zurücktritt und akzeptiert, ihre Mitarbeiterin und Dienerin zu werden. Ein versuchsweises Vertrauen. Auch von dem unvorhergesehenen Unglück, mit dem ich zu kämpfen hatte, schien ich (wie auch von der Freundschaft Albertines mit zwei Lesbierinnen) bereits gewusst zu haben, indem ich es in so vielen Zeichen gelesen hatte, in denen ich (trotz der gegenteiligen Behauptungen meines Verstandes, der sich auf Albertines eigene Aussagen stützte) ihren Überdruss an, ihren Abscheu vor einem solchen [15] Sklavendasein zu erkennen vermochte, die sie dem Hintergrund der traurigen, ergebenen Augen Albertines, ihren plötzlich von einer unerklärlichen Röte überzogenen Wangen, dem Geräusch eines sich plötzlich öffnenden Fensters wie mit unsichtbarer Tinte einzeichneten. Offenkundig hatte ich nicht gewagt, diese Zeichen bis zu Ende zu interpretieren und ausdrücklich der Vorstellung von Albertines unvermitteltem Fortgehen Gestalt zu verleihen. Ich hatte in meiner dank Albertines Anwesenheit ausgeglichenen Seele nur an einen von mir selbst arrangierten Abschied zu einem unbestimmten, und das heißt, in einer nichtexistenten Zeit befindlichen Datum gedacht; folglich hatte ich lediglich die Illusion gehabt, an ihren Abschied zu denken, so wie Leute bei guter Gesundheit, die sich einbilden, den Tod nicht zu fürchten, wenn sie an ihn denken, und dabei in Wirklichkeit nur eine rein negative Vorstellung in eine gute Gesundheit einfließen lassen, die gerade das Nahen des Todes untergraben würde. Im übrigen hätte mir die Vorstellung eines von Albertine selbst gewollten Abschieds tausendmal in der denkbar klarsten, unmissverständlichsten Weise in den Sinn kommen können, ich hätte deswegen nicht eher zu ahnen vermocht, was dieser Abschied für mich, und das heißt, in Wirklichkeit, bedeuten würde, was für ein einzigartiges, entsetzliches, unbekanntes Ereignis, welch völlig neues Leiden er darstellen würde. Auch wenn ich ihn vorausgesehen hätte, hätte ich an diesen Abschied jahrelang pausenlos denken können, ohne dass diese Gedanken, selbst wenn man sie alle aneinanderreihte, an Intensität, geschweige denn hinsichtlich einer Ähnlichkeit, den geringsten Bezug zu der unvorstellbaren Hölle gehabt hätten, vor der Fran­çoise für mich den Schleier hob, als sie zu mir sagte: »Mademoiselle Albertine ist gegangen.« Um sich eine unbekannte Situation vorzustellen, entlehnt die Phantasie bekanntes Material und stellt sie sich eben deshalb nicht eigentlich vor. Die Empfindung jedoch, [16] selbst die rein physische, empfängt wie die Brandspur eines Blitzes die unverwechselbare und für lange Zeit unauslöschliche Signatur des neuen Ereignisses. Und ich wagte kaum, mir zu sagen, dass ich, hätte ich diesen Abschied vorausgesehen, vielleicht überhaupt nicht in der Lage gewesen wäre, ihn mir in seinem ganzen Grauen vorzustellen, ihn selbst dann, wenn Albertine ihn mir angekündigt hätte, zu verhindern, ob nun mit Drohen oder mit Flehen. Wie fern mir das Verlangen nach Venedig jetzt lag! Wie damals in Combray das Verlangen, Madame de Guermantes kennenzulernen, wenn die Stunde kam, zu der mir nur noch an einem lag, nämlich Maman in meinem Zimmer zu behalten. Und tatsächlich waren alle Ängste, die ich seit meiner Kindheit erfahren hatte, auf den Ruf dieser neuen Herzensangst hin zusammengeeilt, um sie zu verstärken und sich mit ihr zu einer homogenen Masse zu verbinden, die mich erstickte.

Sicher, der physische Stich ins Herz, den eine solche Trennung einem versetzt und der durch diese schreckliche Registrierfähigkeit des Körpers aus dem Schmerz etwas macht, das allen Abschnitten unseres Lebens zeitlich zugehört, in denen wir gelitten haben, – sicher, dieser Stich ins Herz, auf den vielleicht – so wenig kümmert man sich um den Schmerz der anderen – jene ein wenig spekuliert, die der Reue den höchsten Grad an Intensität geben möchte, sei es, weil die Frau mit der Andeutung einer scheinbaren Trennung bessere Bedingungen durchsetzen will, sei es, weil sie mit ihrem Abschied für immer – für immer! – verletzen will, entweder um sich zu rächen, oder um weiterhin geliebt zu werden, oder um im Interesse der Art von Erinnerung, die sie hinterlassen wird, gewaltsam das Netz aus Überdruss und Gleichgültigkeit zu zerreißen, von dem sie spürte, wie es sich um sie zusammenzog, – sicher, von diesem Stich ins Herz hatte man sich vorgenommen, ihn zu vermeiden, man hatte einander versprochen, sich im Guten zu trennen. [17] Doch es kommt unendlich selten vor, dass man sich im Guten trennt, denn wenn man einander gut wäre, würde man sich nicht trennen! Und dann spürt die Frau, der gegenüber man sich am gleichgültigsten verhält, dennoch undeutlich, dass man sich, während man sich mit ihr langweilt, aus der gleichen Gewöhnung heraus fester und fester an sie bindet, und sie denkt, dass eine der wesentlichsten Voraussetzungen, um sich im Guten zu trennen, darin bestehe, dem anderen anzukündigen, dass man gehen wird. Sie hat nun aber Angst, die Sache gerade durch ihre Ankündigung zu vereiteln. Jede Frau spürt umso deutlicher, je größer ihre Macht über einen Mann ist, dass die einzige Möglichkeit zu gehen darin besteht, zu fliehen. Entflohen, weil eine Königin, so und nicht anders ist es. Sicher, es besteht ein unerhörtes Intervall zwischen dem Überdruss, den sie eben noch hervorrief, und dem rasenden Bedürfnis, sie wiederzusehen, weil sie gegangen ist. Doch dafür gibt es Gründe, noch über jene hinaus, die im Verlauf dieses Werkes bereits gegeben wurden, und andere, die weiter unten noch gegeben werdenwerden.ZuersteinmalfindetderAbschiedoftindemAugenblick statt, in dem die – tatsächliche oder vermeintliche – Gleichgültigkeit am größten ist, sich an einem Extremalpunkt der Pendelschwingung befindet. Die Frau sagt sich: »Das kann so nicht weitergehen«, gerade weil der Mann nur davon redet oder doch daran denkt, sie zu verlassen; und dann ist sie es, die verlässt. Wenn dann das Pendel zu seinem anderen Extremalpunkt zurückschwingt, ist das Intervall am größten. In einer einzigen Sekunde kehrt es zu diesem Punkt zurück; noch einmal, über alle gegebenen Gründe hinaus ist das doch nur allzu natürlich! Das Herz klopft, und* außerdem ist die Frau, die gegangen ist, nicht mehr die gleiche wie jene, die da war. Ihr nur zu gut bekanntes Leben bei uns wird auf einmal um all die Leben vermehrt, unter die sie sich unweigerlich mischen wird, und vielleicht hat sie uns ja deshalb verlassen, [18] um sich unter sie zu mischen. So dass dieser neue Lebensreichtum der fortgegangenen Frau auf die Frau zurückwirkt, die bei uns war und womöglich ihren Abschied schon plante. Der Reihe psychologischer Fakten, auf die wir schließen können und die zu ihrem Leben mit uns gehören, zu unserem allzu offenkundigen Überdruss an ihr und auch zu unserer Eifersucht (die bewirkt, dass Männer, die schon mehrfach von Frauen verlassen wurden, fast immer auf die gleiche Weise verlassen wurden, aufgrund ihres Charakters und ihrer immer gleichen Reaktionen, die berechenbar sind: Jeder hat seine eigene Art, betrogen zu werden, wie er auch seine eigene Art hat, sich zu erkälten), dieser Reihe, die keine allzu großen Geheimnisse für uns birgt, entsprach zweifellos eine Reihe von Fakten, von denen wir nichts wussten. Sie musste seit einiger Zeit eine schriftliche oder auch, durch Boten, mündliche Verbindung mit irgendeinemMannoderirgendeinerFrauunterhaltenhabenundaufirgendeinSignalgewartethaben,daswirwomöglich,unwissentlich,selbstgegebenhaben,alswirzuihrsagten:»MonsieurXwargesternhier,ummichzubesuchen«,fallssiemitMonsieurXverabredethatte,dassamAbendvordemTag,andemsiezuMonsieur X eilen sollte, dieser mir einen Besuch machen würde. Wie viele mögliche Hypothesen! Freilich nur mögliche. Ich konstruierte die Wahrheit so trefflich, allerdings nur im Bereich des Möglichen, dass ich, als ich eines Tages versehentlich einen Brief an eine meiner Geliebten öffnete, der in einer zuvor vereinbarten Sprache abgefasst war und lautete: »Erwarte immer Zeichen, um Marquis von Saint-Loup zu gehen, benachrichtigen Sie morgen durch Telefonanruf«, mir so etwas wie eine geplante Flucht zurechtlegte, da der Name des Marquis von Saint-Loup dort nur für etwas anderes stehen konnte, denn meine Geliebte kannte Saint-Loup gar nicht, sondern hatte mich nur von ihm reden hören, und die Unterschrift war zudem eine Art von Pseudonym, das keinerlei sprachliche [19] Gestalt aufwies. Nun, dieser Brief war gar nicht an meine Geliebte gerichtet, sondern an eine andere Person im Haus, die einen anderen Namen trug, den man jedoch falsch gelesen hatte. Der Brief war nicht in einem vereinbarten Code abgefasst, sondern in schlechtem Französisch, da er von einer Amerikanerin stammte, einer Freundin von Saint-Loup, wie dieser mir später erklärte. Und die seltsame Art und Weise, in der diese Amerikanerin bestimmte Buchstaben schrieb, hatte einem vollkommen üblichen, ausländischen Namen das Aussehen eines Pseudonyms gegeben.* Ich hatte mich also an jenem Tag mit meinem Verdacht auf ganzer Linie getäuscht. Doch das intellektuelle Gerüst, mit dem ich diese völlig falschen Annahmen verbunden hatte, war in sich eine so richtige, unbeugsame Form der Wahrheit gewesen, dass sich, als meine Geliebte mich drei Monate später verließ (die damals noch vorhatte, ihr ganzes Leben mit mir zu verbringen), dies in ganz genau der gleichen Weise abspielte, die ich mir beim ersten Mal nur eingebildet hatte. Es traf ein Brief ein, der die gleichen Eigentümlichkeiten aufwies, die ich dem ersten Brief fälschlich zugeschrieben hatte, die dieses Mal jedoch durchaus ein Zeichen darstellten, usw.

Dieses Unglück* war das größte in meinem ganzen Leben. Und dennoch wurde womöglich der Schmerz, den es mir bereitete, noch von der Neugier übertroffen, den Grund für dieses Unglück zu erfahren, wen Albertine begehrt hatte, zu wem sie gegangen war. Doch die Quellen dieser großen Ereignisse sind wie die der großen Ströme, wir können die gesamte Erdoberfläche abschreiten und finden sie trotzdem nicht. Hatte Albertine diese ihre Flucht schon seit langer Zeit geplant? Ich habe nicht erwähnt (weil es mir damals nur wie eine Allüre und wie ein Ausdruck schlechter Laune vorgekommen war, wie das, was man bei Françoise »muckeln« nannte), dass sie von dem Tag an, an dem sie aufgehört hatte, mich zu küssen, eine Haltung zeigte wie bei der Beerdigung des [20] Leibhaftigen, stocksteif, mit starrem Ausdruck und einer traurigen Stimme noch bei den simpelsten Dingen, mit langsamen Bewegungen und ohne jemals mehr zu lächeln. Ich kann nicht behaupten, dass irgendeine Tatsache ein heimliches Einverständnis mit Außenstehenden bewiese. Françoise erzählte mir später, dass sie am Abend vor ihrem Abschied in ihr Zimmer getreten sei und niemanden vorgefunden habe, der Vorhang sei zugezogen gewesen, doch am Geruch der Luft und an den Geräuschen habe sie gemerkt, dass das Fenster offen stand. Und in der Tat habe sie Albertine auf dem Balkon angetroffen. Aber es ist kaum zu erkennen, mit wem sie von dort hätte Kontakt aufnehmen können, und zudem waren die geschlossenen Vorhänge vor dem offenen Fenster zweifellos damit zu erklären, dass sie wusste, wie sehr ich Zug fürchtete, und dass die Vorhänge, selbst wenn sie mich nur wenig schützten, Françoise daran hindern würden, vom Flur aus zu erkennen, dass die Läden schon so früh geöffnet waren. Nein, ich sehe da nichts, außer einer kleinen Tatsache, die lediglich beweist, dass sie schon am Vorabend wusste, dass sie gehen würde. Am Abend zuvor hatte sie nämlich, ohne dass ich es bemerkte, aus meinem Zimmer eine größere Menge Einwickelpapier und Verpackungsleinwand mitgenommen, die sich dort befanden und mit denen sie die ganze Nacht hindurch ihre zahllosen Hausmäntel und Morgenröcke einpackte, um am Morgen zu gehen. Dies ist die einzige Tatsache, und dabei blieb es. Dass sie mir an besagtem Abend beinahe mit Gewalt die tausend Franc aufdrängte, die sie mir schuldete, dem kann ich keine Bedeutung beimessen, daran war nichts Besonderes, denn sie war äußerst gewissenhaft in Geldangelegenheiten.

Ja, sie nahm am Abend zuvor das Verpackungspapier, doch nicht erst an diesem Abend wusste sie, dass sie gehen würde. Denn nicht der Kummer ließ sie gehen, vielmehr hatte ihr der Entschluss zu gehen, auf das Leben, das sie erträumt hatte, zu verzichten, [21] diesen kummervollen Ausdruck verliehen. Kummer; von geradezu feierlicher Kälte mir gegenüber, mit Ausnahme des letzten Abends, an dem sie länger bei mir geblieben war, als sie erst wollte – was mich an ihr, die sonst ihren Aufenthalt immer noch verlängern wollte, gleich erstaunte –, und von der Tür aus zu mir sagte: »Adieu, mein Kleiner, mein Kleiner, leb wohl.« Aber ich achtete in dem Augenblick nicht darauf. Françoise hat mir erzählt, dass sie am nächsten Morgen, als sie ihr sagte, dass sie gehen werde (doch das ist auch durch Müdigkeit erklärbar, denn sie hatte sich nicht entkleidet und die ganze Nacht mit dem Verpacken ihrer Sachen verbracht, mit Ausnahme derjenigen, um die sie Françoise bitten musste, weil sie sich nicht in ihrem Schlaf- oder Ankleidezimmer befanden), derart traurig, noch so viel steifer, so viel starrer als an den vorangehenden Tagen gewesen sei, dass, als sie zu Françoise sagte: »Adieu, Françoise«, diese schon glaubte, Albertine werde gleich umfallen. Wenn man solche Dinge erfährt, dann begreift man, dass die Frau, die einem inzwischen so sehr viel weniger gefiel als all jene, denen man so mühelos auf dem einfachsten Spaziergang begegnete, der man es übelnahm, dass man sie alle für sie opfern musste, im Gegenteil diejenige ist, die man tausendmal vorziehen würde. Denn die Frage stellt sich nicht mehr zwischen einem bestimmten Vergnügen – das durch Gewöhnung und vielleicht auch die Mittelmäßigkeit des Objekts praktisch null geworden ist – und anderen, verlockenden und hinreißenden Vergnügen, sondern zwischen eben diesen Vergnügen und etwas anderem, sehr viel stärkerem, dem Mitleid mit dem Schmerz.

Als ich mir selbst versicherte, dass Albertine am Abend wieder hier sein werde, hatte ich eilig das Dringlichste getan und mit einer neuen Überzeugung die Wunde verbunden, die durch die Trennung von jener entstanden war, mit der ich bisher zusammengelebt hatte. Doch so schnell mein Selbsterhaltungstrieb auch [22] gehandelt hatte, war ich doch, als Françoise mit mir gesprochen hatte, eine Sekunde lang hilflos gewesen, und wenn ich jetzt auch wusste, dass Albertine am Abend hier sein würde, war der Schmerz, den ich während des Augenblicks verspürt hatte, in dem ich mir selbst diese Rückkehr noch nicht klargemacht hatte (während des Augenblicks, der den Worten »Mademoiselle Albertine hat um ihre Koffer gebeten, Mademoiselle Albertine ist gegangen«, gefolgt war), war dieser Schmerz in mir von selbst aufs neue entstanden und ganz so, wie er gewesen war, das heißt, als ob ich immer noch nichts von der bevorstehenden Rückkehr Albertines wüsste. Im übrigen musste sie zwar zurückkehren, jedoch von sich aus. Bei allen Hypothesen lief der Anschein, ich hätte Schritte unternommen, hätte sie um ihre Rückkehr gebeten, dem Zweck zuwider. Gewiss, ich hatte nicht mehr, wie damals noch bei Gilberte, die Kraft, auf sie zu verzichten. Mehr noch als Albertine wiedersehen wollte ich der physischen Beklemmung ein Ende setzen, die mein Herz, dem es schlechter ging als damals, nicht mehr hinnehmen konnte. Und dann hatte ich mich so daran gewöhnt, nichts zu wollen, ob es nun Arbeit war oder etwas anderes, dass ich feiger geworden war. Vor allem aber war diese Beklemmung aus einer ganzen Anzahl von Gründen unvergleichlich viel stärker, deren wichtigster vielleicht nicht der war, dass ich das sinnliche Vergnügen niemals mit Madame de Guermantes oder mit Gilberte genossen hatte, sondern der, dass, weil ich nicht die Gelegenheit und folglich auch nicht das Bedürfnis hatte, sie jeden Tag, zu jeder Stunde zu sehen, in meiner Liebe zu ihnen die immense Kraft der Gewohnheit am schwächsten vertreten war. Vielleicht wäre mir jetzt, wo mein Herz außerstande war, zu wollen und aus seinem eigenen Willen heraus das Leiden zu ertragen, wo es nur eine mögliche Lösung fand, nämlich die Rückkehr Albertines um jeden Preis, vielleicht wäre mir die entgegengesetzte Lösung (der freiwillige Verzicht, die [23] fortschreitende Resignation) als eine romanhafte, eine im Leben ganz unwahrscheinliche Lösung erschienen, wenn ich nicht damals eben diese gewählt hätte, als es sich um Gilberte gehandelt hatte. Und ich wusste also, dass diese Lösung akzeptiert werden konnte, und zwar von ein und demselben Mann, denn ich war nahezu der gleiche geblieben. Nur, dass die Zeit ihre Rolle gespielt hatte, die Zeit, die mich hatte älter werden lassen, die Zeit auch, die Albertine unablässig in meine Nähe gerückt hatte, als wir unser gemeinsames Leben führten. Doch auch wenn ich nicht auf sie verzichtete, war mir zumindest von dem, was ich für Gilberte empfunden hatte, der Stolz geblieben, für Albertine nicht ein abstoßendes Spielzeug darzustellen, indem ich sie bitten ließ, zurückzukehren, ich wollte, dass sie zurückkehrte, ohne dass es so aussah, als legte ich Wert darauf. Ich erhob mich, um keine Zeit zu verlieren, doch der Schmerz ließ mich innehalten: Es war das erste Mal, dass ich aufstand, seit sie gegangen war. Ich musste mich jedoch rasch ankleiden, um bei Albertines Concierge Erkundigungen einzuziehen.

Das Leiden strebt, als Auswirkung eines erlittenen moralischen Schocks, nach Veränderung seiner Form, man hofft, es in Rauch auflösen zu können, indem man Pläne schmiedet, Auskünfte einholt, man will, dass es seine unzähligen Metamorphosen durchläuft, denn das erfordert weniger Mut, als seinem Leiden freien Lauf zu lassen; das Lager, auf das man sich mit seinen Schmerzen bettet, erscheint so eng, so hart, so kalt. Ich stand also wieder auf; ich bewegte mich nur mit unendlicher Vorsicht durch das Zimmer, ich stellte mich so hin, dass ich Albertines Sessel nicht wahrnahm, nicht das Pianola, auf dessen Pedale sie ihre Goldpantöffelchen gesetzt hatte, keinen einzigen der Gegenstände, die sie benutzt hatte und die mir alle in der besonderen Sprache, die ihnen meine Erinnerung verliehen hatte, eine Übersetzung, eine andere Version, eine Wiederholung der Nachricht von Albertines Abschied geben zu [24] wollen schienen. Doch auch ohne sie anzusehen, sah ich sie: Meine Kräfte verließen mich, ich sank in einen der blauseidenen Sessel, deren Glanz im Halbdunkel des von einem Lichtstrahl betäubten Zimmers mich noch vor einer Stunde leidenschaftlich verfolgt, mich jetzt aber so fernen Träumen hatte nachhängen lassen. Ach!, bis zu diesem Moment hatte ich mich immer nur dort niedergesetzt, als Albertine noch da war. Ich konnte deshalb nicht sitzen bleiben und erhob mich; und so gab es jeden Augenblick irgendein anderes der unzähligen, demütigen Ichs, aus denen wir zusammengesetzt sind, das von Albertines Abschied noch nichts wusste und das davon zu benachrichtigen war; es war unumgänglich – was grausamer war, als wenn sie Fremde und nicht von meiner Leidensfähigkeit gewesen wären –, das Unglück, das sich ereignet hatte, allen diesen Wesen mitzuteilen, allen diesen »Ichs«, denen es noch unbekannt war, es war unumgänglich, dass jedes einzelne von ihnen ein erstes Mal die Worte vernahm: »Albertine hat nach ihren Koffern verlangt« – diesen sargartigen Koffern, die ich gesehen hatte, als sie in Balbec mit denen meiner Mutter verladen wurden –, »Albertine ist gegangen.« Jedes einzelne hatte ich von meinem Kummer zu unterrichten, dem Kummer, der keineswegs ein aus einer Anhäufung verhängnisvoller Umstände selbständig gezogener, pessimistischer Schluss ist, sondern das intermittierende, unfreiwillige Wiederaufleben eines spezifischen Eindrucks, der von außen kam und den wir uns nicht ausgesucht haben. Einige dieser Ichs hatte ich schon seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen. Beispielsweise (ich hatte nicht daran gedacht, dass dies der Tag für den Friseur war) jenes Ich, das ich war, wenn ich mir die Haare schneiden ließ. Dieses Ich hatte ich vergessen, und seine Ankunft ließ mich aufschluchzen wie bei einer Beerdigung den alten Diener im Ruhestand, der die Verstorbene noch gekannt hat. Dann erinnerte ich mich plötzlich daran, dass ich seit acht Tagen gelegentlich von [25] panischen Ängsten erfasst worden war, die ich mir nicht eingestanden hatte. In solchen Augenblicken hatte ich trotzdem hin und her überlegt und mir gesagt: »Überflüssig, nicht wahr,* die Hypothese ins Auge zu fassen, dass sie plötzlich gehen würde. Das ist absurd. Wenn ich sie jemandem mit Sinn und Verstand anvertrauen würde (und um mich zu beruhigen, hätte ich das getan, wenn mich nicht die Eifersucht an Vertraulichkeiten gehindert hätte), würde er gewiss zu mir sagen: ›Sie sind ja närrisch. Das ist unmöglich.‹ Und tatsächlich haben wir keinen einzigen Streit gehabt. ›Man geht aus einem bestimmten Grund. Man sagt das auch. Man gesteht Ihnen das Recht zu, eine Antwort zu geben. Man geht nicht einfach so. Nein, das ist eine Kinderei. Das ist die einzige völlig absurde Hypo­these.‹«Und doch hatte ich jeden Morgen, wenn ich läutete und sie noch vorfand, einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen. Und als Françoise mir Albertines Brief gegeben hatte, war ich sofort sicher gewesen, dass es sich um das handelte, was nicht sein konnte, um diesen Aufbruch, den ich irgendwie schon einige Tage im voraus erahnt hatte, trotz aller logischen Begründungen, warum ich beruhigt sein könne. In meiner Verzweiflung hatte ich mir fast mit Befriedigung über meinen Scharfsinn wie ein Mörder gesagt, der weiß, dass er nicht entdeckt worden sein kann, jedoch Angst hat und plötzlich bei dem Untersuchungsrichter, der ihn vorgeladen hat, auf dem Aktendeckel den Namen seines Opfers liest …*

Meine ganze Hoffnung bestand darin, dass Albertine in die Touraine* zu ihrer Tante gefahren war, wo sie alles in allem hinreichend überwacht sein würde und keine großen Dinge anstellen konnte, bis ich sie von dort zurückgeholt haben würde. Meine schlimmste Befürchtung hatte darin bestanden, dass sie in Paris geblieben oder nach Amsterdam* oder Montjouvain gereist war, das heißt, dass sie sich davongemacht hatte, um sich irgendeinem Abenteuer hinzugeben, dessen Vorbereitungen mir entgangen [26] waren. Doch wenn ich mir Paris, Amsterdam, Montjouvain sagte, das heißt, mehrere verschiedene Orte, dachte ich in Wirklichkeit an Orte, die lediglich möglich waren; als Albertines Concierge mir sagte, sie sei in die Touraine gefahren, erschien mir dieser Aufenthaltsort, den ich für den wünschenswertesten gehalten hatte, daher als der schreckenerregendste von allen, weil dieser wirklich war und weil ich mir zum ersten Mal, gemartert von der Gewissheit der Gegenwart und der Ungewissheit der Zukunft, Albertine vorstellte, wie sie ein Leben begann, in dem sie mir fern sein wollte, vielleicht für lange Zeit, vielleicht für immer, und in dem sie jenes Unbekannte verwirklichen würde, das mich früher so oft beunruhigt hatte, als ich immerhin das Glück hatte, das, was an ihr äußerlich war, zu besitzen und zu liebkosen, dieses sanfte, undurchdringliche, gefesselte Gesicht. Gerade dieses Unbekannte bildete das Substrat meiner Liebe.

Vor Albertines Tür traf ich auf ein armes kleines Mädchen, das mich mit großen Augen ansah und einen so lieben Ausdruck hatte, dass ich es fragte, ob es nicht zu mir mitkommen wolle, wie ich es auch mit einem treublickenden Hund getan hätte. Sie schien damit einverstanden.ZuHausewiegteichsieeineWeileaufmeinen Knien, bald jedoch wurde mir ihre Anwesenheit unerträglich, weil sie mich Albertines Abwesenheit allzu sehr spüren ließ. Ich bat sie zu gehen, nachdem ich ihr eine Fünfhundertfrancnote* gegeben hatte. Und doch war bald darauf der Gedanke, ein anderes kleines Mädchen bei mir zu haben, niemals allein und ohne die Hilfe einer unschuldigen Anwesenheit zu sein, der einzige Traum, der es mir ermöglichte, die Vorstellung zu ertragen, dass Albertine womöglich für einige Zeit fortbleiben würde, ohne zurückzukehren.

Was Albertine selbst betraf, so existierte sie kaum anders in mir als in Form ihres Namens, der sich, mit Ausnahme einiger seltener Ruhepausen beim Erwachen, in mein Gehirn einschrieb und nicht [27] mehr damit aufhörte. Wenn ich laut gedacht hätte, hätte ich ihn pausenlos vor mich hin gesagt, und mein Geplapper wäre ebenso monoton, ebenso begrenzt gewesen, wie wenn ich in einen Vogel ähnlich dem in der Fabel verwandelt worden wäre, dessen Ruf unablässig den Namen derjenigen wiederholte, die er als Mensch geliebt hatte.* Man sagt ihn bei sich, und da man ihn verschweigt, ist es, als schreibe man ihn in sich ein, als hinterlasse er seine Spur im Gehirn, das schließlich wie eine Wand, die jemand zum Spaß vollgekritzelt hat, mit der tausendfach wiederholten Inschrift des Namens derjenigen bedeckt ist, die man liebt. Man schreibt ihn die ganze Zeit immer wieder in sein Denken ein, wenn man glücklich ist, und erst recht, wenn man unglücklich ist. Und diesen Namen, der uns nichts über das hinaus sagt, was wir schon wissen, zu wiederholen ist ein immer wieder neu entstehendes Bedürfnis, auf Dauer jedoch recht ermüdend. An die fleischliche Lust dachte ich in diesem Augenblick nicht einmal; ich sah nicht einmal vor meinem geistigen Auge das Bild jener Albertine, die die Ursache dieses Umsturzes in meinem Wesen war, ich nahm ihren Körper gar nicht wahr, und wenn ich die Idee, die mit meinem Schmerz verbunden war – denn eine solche gibt es wohl immer –, klar hätte umreißen wollen, so hätte sie abwechselnd einmal aus dem Zweifel an der Verfassungbestanden,indersiegegangenwar,obmitoderobohne die Absicht zurückzukehren, und dann aus den Mitteln, um sie zurückzuholen. Vielleicht liegt etwas Symbolisches und eine Wahrheit in dem winzigen Raum, den in unserer Bangigkeit diejenige einnimmt, der sie gilt. Tatsächlich hat ihre Person selbst damit nur wenig zu tun neben dem ganzen Ablauf von Gemütsbewegungen und Ängsten, die wir ihretwegen aufgrund irgendwelcher Zufälle früher empfunden haben und die die Gewohnheit mit ihr verknüpft hat. Ein guter Beweis dafür (besser noch als die Langeweile, die man im Glück verspürt) liegt darin, wie gleichgültig es uns [28] erscheinen wird, ob wir eben diese Person sehen oder nicht, ob wir von ihr geschätzt werden oder nicht, ob sie uns zur Verfügung steht oder nicht, sobald wir uns diesem Problem (das so müßig ist, dass wir es nicht einmal aufwerfen werden) nur noch bezüglich der Person selbst zu stellen haben und der ganze Ablauf von Gemütsbewegungen und Ängsten vergessen ist, jedenfalls, soweit er sich auf sie bezog, denn er kann sich aufs neue herausgebildet haben, jedoch übertragen auf eine andere. Zuvor, als er noch mit ihr verbunden war, glaubten wir, unser Glück hänge von ihrer Person ab, doch es hing einzig von der Beendigung unserer Bangigkeit ab. Unser Unterbewusstsein war demnach in jenem Augenblick hellsichtiger als wir selbst, in dem es die Gestalt der geliebten Frau so klein machte, eine Gestalt, die wir vielleicht sogar vergessen hatten, die wir in dem schrecklichen Drama, in dem geradezu unser Leben davon abhängen konnte, sie wiederzufinden, um nicht mehr auf sie warten zu müssen, nur schlecht erkennen und für belanglos halten konnten. Die winzigen Proportionen der Gestalt der Frau sind ein logisches und notwendiges Resultat der Art und Weise, in der die Liebe sich entwickelt, eine deutliche Allegorie der subjektiven Natur dieser Liebe.

Der Geist, in dem Albertine gegangen war, glich zweifellos jenem, in dem Völker eine diplomatische Aktion mit einer Demon­stration ihrer militärischen Stärke vorbereiten. Sie dürfte nur gegangen sein, um von mir bessere Bedingungen zu erlangen, mehr Freiheit, mehr Luxus. In diesem Fall wäre ich derjenige, der den Sieg davontragen müsste, wenn ich nur die Kraft besäße abzuwarten, den Augenblick abzuwarten, in dem sie sähe, dass sie nichts erreichen konnte, und von sich aus zurückkäme. Doch während man beim Kartenspiel oder im Krieg, wo es nur darauf ankommt, zu gewinnen, einem Bluff standhalten kann, sind in der Liebe und bei der Eifersucht die Bedingungen keineswegs die gleichen, vom [29] Schmerzganzzuschweigen.Wennich,umabzuwarten,umdieSache»auszusitzen«,AlbertinemehrereTagelang,womöglichgarmehrereWochen,fernvonmirweilenließ,machteichdaszunichte,wasübereinJahrlangmeinZielgewesenwar,ihrnämlichnichteineStundelangihreFreiheitzulassen.AllemeineVorsichtsmaßnahmenwärenvergeblichgewesen,wennichihrZeitundGelegenheitließe,michzubetrügen,sovielsiewollte,undwennsiesichdannschließlichergebenwürde,würdeichnichtdieZeitvergessenkönnen,indersiealleingewesenwar,undselbstwennichamEndesiegte,wäreichdochinderVergangenheit,unddasheißtinnichtwiedergutzumachenderWeise,derBesiegtegewesen.

Was die Mittel anging, um Albertine zurückzuholen, so hatten sie umso größere Aussichten auf Erfolg, je glaubwürdiger die Hypothese erschiene, sie sei nur in der Hoffnung gegangen, unter besseren Bedingungen zurückgerufen zu werden. Und zweifellos war für Leute, die nicht an die Aufrichtigkeit Albertines glaubten, ganz sicherlich für Françoise zum Beispiel, diese Hypothese glaubwürdig. Doch meiner Vernunft, die für gewisse Anfälle von schlechter Laune, für bestimmte Verhaltensweisen als einzige Erklärung den schon, als ich noch von nichts wusste, gefassten Plan eines definitiven Abschieds sah, fiel es jetzt, wo dieser Abschied stattgefunden hatte, schwer zu glauben, dass er nur ein Täuschungsmanöver sei. Ich sagte, meiner Vernunft, nicht mir. Die Täuschungs-Hypothese wurde mir umso unentbehrlicher, je unwahrscheinlicher sie wurde, und gewann an Kraft, wo sie an Wahrscheinlichkeit verlor. Wenn man am Rande des Abgrunds steht und glaubt, Gott habe einen verlassen, zögert man nicht mehr, ein Wunder von ihm zu erwarten.

Ich* gebe zu, dass ich in dieser ganzen Sache der apathischste, wiewohl schmerzerfüllteste, aller Detektive war. Doch die Flucht [30] Albertines hatte mir die Fähigkeiten nicht zurückgegeben, die die Gewohnheit, sie durch andere überwachen zu lassen, mir genommen hatte. Ich dachte nur an eines: jemand anderen mit dieser Suche zu beauftragen. Dieser andere war Saint-Loup, der auch einwilligte. Dass ich die Bangigkeit so vieler Tage auf einen anderen abgewälzt hatte, bereitete mir Freude, ich war des Erfolges sicher und wurde wieder heiter, meine Hände wurden wieder trocken wie früher, sie waren nicht mehr feucht von dem Schweiß, mit dem Françoise sie bedeckt hatte, als sie zu mir sagte: »Mademoiselle Albertine ist gegangen.«

Man wird sich erinnern, dass ich den Entschluss, mit Albertine zusammenzuleben und sie sogar zu heiraten, gefasst hatte, um sie zu beaufsichtigen, zu wissen, was sie tat, sie zu hindern, ihre Angewohnheiten mit Mademoiselle Vinteuil wiederaufzunehmen. In dem unerträglichen, herzzerreißenden Schmerz über ihre Enthüllung in Balbec, bei der sie mir wie eine ganz natürliche Sache, von der ich schließlich, obwohl sie mir den größten Kummer bereitete, den ich bis dahin in meinem Leben erfahren musste, vorzugeben vermochte, dass ich sie ebenfalls ganz natürlich finde, von der Sache berichtete, die ich mir auch bei meinen schlimmsten Mutmaßungen niemals vorzustellen gewagt hätte. (Es ist erstaunlich, wie wenig Phantasie die Eifersucht, die ihre Zeit gern mit kleinen Unterstellungen in der falschen Richtung zubringt, an den Tag legt, wenn es um die Entdeckung der Wahrheit geht.) Da nun diese Liebe vor allem aus dem Bedürfnis entstanden war, Albertine daran zu hindern, das Böse zu tun, hatte diese Liebe auch späterhin die Spuren ihres Ursprungs bewahrt. Mit ihr zusammen zu sein bedeutete mir wenig, wenn es mir nur gelang, das »flüchtige Wesen« daran zu hindern, hier- oder dorthin zu gehen. Um sie daran zu hindern, hatte ich mich auf die Augen und die Gesellschaft derjenigen verlassen, die sie begleiteten, und sofern diese mir am Abend einen [31] netten kleinen, ganz und gar beruhigenden Rapport erstatteten, lösten sich meine Besorgnisse in gute Laune auf.

Indem ich mir selbst beteuert hatte, Albertine würde, was immer ich täte, noch am selben Abend wieder zu Hause sein, hatte ich jenem Schmerz eine Ruhepause verschafft, den Françoise mir mit der Mitteilung bereitet hatte, Albertine sei gegangen (denn da ich davon völlig überrumpelt wurde, hatte ich einen Augenblick lang geglaubt, dass dieser Abschied endgültig sei). Doch wenn nach einer Unterbrechung der ursprüngliche Schmerz mit dem Schwung seines unabhängigen Daseins spontan in mir wiederaufwallte, war er noch genauso unerträglich, denn er ging dem tröstlichen Versprechen voraus, das ich mir gegeben hatte, nämlich Albertine noch am selben Abend zurückzuholen. Von dieser Beschwörungsformel, die ihn beruhigt hätte, wusste mein Schmerz nichts. Um die Mittel, diese Rückkehr herbeizuführen, ins Werk zu setzen, war ich abermals, nicht etwa, weil eine solche Haltung mir jemals viel geholfen hätte, sondern weil ich sie immer eingenommen hatte, seit ich Albertine liebte, dazu verdammt, so zu tun, als ob ich sie nicht liebte, nicht unter ihrem Abschied litte, ich war dazu verdammt, sie weiterhin zu belügen. Je unmissverständlicher ich den Anscheinerweckte,aufsieverzichtetzuhaben,destoenergischere Maßnahmenwürdeichergreifenkönnen,siezurRückkehrzubewegen.Ichnahmmirvor,AlbertineeinenAbschiedsbriefzuschreiben, in dem ich ihren Weggang als endgültig hinstellte, während ich zugleich Saint-Loup beauftragen würde, auf Madame Bontemps wie ohne mein Wissen den schonungslosesten Druck auszuüben, damit Albertine schnellstens zurückkehrte. Sicher, ich hatte schon im Fall Gilberte riskante Versuche mit Briefen angestellt, deren anfänglich vorgetäuschte Gleichgültigkeit schließlich zu einer wirklichen wurde. Und diese Erfahrung hätte mich hindern sollen, Albertine Briefe vom gleichen Charakter zu schreiben [32] wie die, die ich an Gilberte geschrieben hatte. Doch das, was man Erfahrung nennt, ist nur die Sichtbarmachung eines uns eigenen Charakterzugs für unsere eigenen Augen, der natürlich wiedererscheint, und umso deutlicher wiedererscheint, als wir ihn schon einmal für uns selbst ins Licht gerückt haben, so dass die spontane Bewegung, die uns beim ersten Mal geleitet hat, noch durch all die Einflüsterungen der Erinnerung verstärkt wird. Das menschliche Plagiat, das am schwierigsten zu vermeiden ist, ist für Individuen (und sogar für Völker, die in ihren Fehlern verharren und sie immer nur schlimmer machen) das Eigenplagiat.

Ich hatte auf der Stelle Saint-Loup, von dem ich wusste, dass er sich in Paris aufhielt, zu mir bestellt, er eilte auch rasch und tatendurstig wie einst in Doncières herbei und erklärte sich bereit, sogleich in die Touraine zu fahren. Ich unterbreitete ihm die folgende Strategie. Er sollte in Châtellerault* aussteigen, sich das Haus von Madame Bontemps zeigen lassen und dann abwarten, bis Albertine ausgegangen wäre, da sie ihn womöglich wiedererkennen könnte. »Demnach kennt mich das junge Mädchen, von dem du sprichst?« fragte er mich. Ich sagte, dass ich das eigentlich nicht glaubte. Der Plan für dieses Vorgehen erfüllte mich mit unendlicher Freude. Es stand allerdings in völligem Widerspruch zu allem, was ich mir anfangs vorgenommen hatte: nämlich dafür zu sorgen, dass nicht der Eindruck entstünde, ich ließe nach Albertine suchen; und dies würde unvermeidlich so aussehen. Es hatte aber gegenüber dem, »was man hätte tun sollen«, den unschätzbaren Vorteil, dass es mir ermöglichte, mir sagen zu können, jemand, den ich entsandt hatte, werde sich mit Albertine treffen und sie zweifellos zurückbringen. Und hätte ich von Anfang an in meinem Herzen klarzusehen vermocht, so hätte ich voraussehen können, dass diese im Dunkel verborgene Lösung, die mir erbärmlich vorkam, alle auf Geduld setzenden Lösungen hinter sich lassen würde und dass [33] ich, aus Mangel an Willen, entschlossen war, sie zu wollen. Da Saint-Loup bereits ein wenig überrascht zu sein schien, dass ein junges Mädchen den ganzen Winter über bei mir gewohnt haben sollte, ohne dass ich ihm etwas davon gesagt hatte, hätte er sich, da er obendrein wiederholt mir gegenüber das junge Mädchen aus Balbec erwähnt hatte, ohne dass ich ihm gesagt hätte: »Aber sie wohnt doch hier«, durch meinen Mangel an Vertrauen verletzt fühlen können. Freilich, Madame Bontemps mochte ihm etwas über Balbec erzählen. Aber ich erwartete seine Abfahrt und seine Ankunft viel zu ungeduldig, um an mögliche Folgen dieser Reise denken zu wollen und zu können. Was die Möglichkeit betraf, dass er Albertine wiedererkennen würde (die anzusehen er übrigens systematisch vermieden hatte, als er ihr in Doncières begegnet war), so hatte sie sich nach allgemeiner Meinung so sehr verändert, hatte sie so sehr zugenommen, dass das kaum wahrscheinlich war. Er fragte mich, ob ich nicht ein Porträt von Albertine habe. Ich verneinte das zuerst, damit er nicht anhand meiner Fotografie, die etwa in der Balbec-Zeit gemacht worden war, Albertine wiedererkennen konnte, wenn er die Ruhe dazu haben würde, auch wenn er sie nur flüchtig im Eisenbahnabteil zu sehen bekommen hatte. Doch dann überlegte ich mir, dass sie auf dem letzten Bild von der Albertine in Balbec schon so verschieden war wie von der jetzt existierenden Albertine, und dass er sie darauf ebenso wenig erkennen würde wie in der Wirklichkeit. Während ich sie für ihn her­aussuchte, strich er mir sanft mit der Hand über die Stirn, um mich zu trösten. Ich war bewegt, welchen Kummer ihm der Schmerz bereitete, den er in mir ahnte. Er hatte sich zwar mittlerweile von Rachel getrennt, doch was er dabei empfunden hatte, lag noch nicht so fern, als dass er nicht eine spezielle Sympathie, ein besonderes Mitleid bei dieser Art von Leiden gehabt hätte, so wie man sich auch jemandem näher fühlt, der dieselbe Krankheit hat [34] wie man selbst. Und dann war seine Zuneigung zu mir so groß, dass der Gedanke an mein Leid unerträglich für ihn war. Daher empfand er für diejenige, die es mir zufügte, eine Mischung aus Rachsucht und Bewunderung. Er hielt mich so sehr für ein höheres Wesen, dass er dachte, ein anderes Geschöpf, dem ich so unterworfen war, müsse ganz und gar außergewöhnlich sein. Ich dachte zwar, dass er Albertines Fotografie hübsch finden würde, bildete mir aber trotzdem nicht ein, dass sie auf ihn den gleichen Eindruck machen würde wie Helena auf die trojanischen Greise*, und sagte deshalb bescheiden, während ich weitersuchte: »Oh!, weißt du, mach dir keine allzu großen Vorstellungen, erstens ist das Foto schlecht, und dann ist sie auch nicht umwerfend, sie ist keine Schönheit, sie ist vor allem sehr nett.« – »O doch!, sie muss hinreißend sein«, sagte er mit naiver und aufrichtiger Begeisterung, während er versuchte, sich das Wesen vorzustellen, das mich in eine derartige Verzweiflung und Aufregung stürzen konnte. »Ich nehme ihr übel, dass sie dir Kummer bereitet, aber schließlich war ja davon auszugehen, dass jemand, der wie du ein Künstler ist bis in die Fingerspitzen, der wie du in allem die Schönheit liebt, und das mit einer so leidenschaftlichen Liebe, dazu ausersehen ist, mehr als ein anderer zu leiden, wenn er ihr in Gestalt einer Frau begegnet.« Endlich fand ich die Fotografie. »Sie ist ganz sicher hinreißend«, fuhr Robert fort, der gar nicht sah, dass ich ihm die Fotografie hinhielt. Plötzlich bemerkte er sie und hielt sie einen Augenblick in den Händen. Sein Gesicht drückte eine Verblüffung aus, die an Blödigkeit grenzte. »Das ist das junge Mädchen, das du liebst«, sagte er schließlich in einem Ton zu mir, in dem sein Befremden von der Befürchtung in Schach gehalten wurde, mich zu verletzen. Er machte keine weitere Bemerkung, hatte aber jene vernünftige, vorsichtige, zwangsläufig etwas verächtliche Miene aufgesetzt, mit der man einem Kranken begegnet, der bis dahin ein bedeutender Mann [35] und enger Freund war und nun nichts von alledem mehr ist. Denn von Tobsucht befallen, erzählt er Ihnen von einem himmlischen Wesen, das ihm erschienen ist und das er weiterhin dort sieht, wo Sie, ein gesunder Mann, nur ein Federbett bemerken. Ich verstand sofort Roberts Erstaunen, und dass es das gleiche war, in das mich der Anblick seiner Geliebten gestürzt hatte, nur mit dem einen Unterschied, dass ich in ihr einer Frau begegnet war, die ich schon kannte, während er glaubte, Albertine noch niemals gesehen zu haben. Doch zweifellos war der Unterschied zwischen dem, was wir, er und ich, in ein und derselben Person sahen, gleich groß. Die Zeit lag schon weit zurück, als ich in Balbec auf ganz bescheidene Weise begonnen hatte, den visuellen Eindrücken beim Anblick Albertines auch Geschmacks-, Geruchs- und Tastempfindungen hinzuzufügen. Danach waren tiefere, süßere, weniger leicht definierbare Empfindungen hinzugekommen, und dann schmerzliche. Kurz, Albertine war wie ein Stein, um den der Schnee sich sammelt, nur das Entstehungszentrum einer immensen Konstruktion, die sich nach dem Plan meines Herzens vollzog. Robert, für den diese ganze Schichtung von Empfindungen unsichtbar war, erfasste lediglich einen Bodensatz, an dessen Wahrnehmung umgekehrt sie mich hinderte. Was Robert beim Betrachten von Albertines Fotografie aus der Fassung gebracht hatte, war nicht etwa die Ergriffenheit der trojanischen Greise, die Helena vorübergehen sahen und riefen:

Ein jeder ihrer Blicke wiegt mehr als unser Leid,*

sondern die genau entgegengesetzte, die einen ausrufen lässt: »Wie hat er sich für so etwas so viel Kummer und Sorgen machen, sich auf solche Dummheiten einlassen können!« Man muss zugeben, dass diese Art von Reaktion beim Anblick der Person, die [36] jemandem, den wir gern haben, viel Kummer verursacht hat, die sein Leben über den Haufen geworfen und vielleicht sogar seinen Tod herbeigeführt hat, unendlich viel häufiger ist als die der trojanischen Greise, und ganz einfach die übliche. Das ist nicht nur deshalb so, weil die Liebe etwas Individuelles ist, noch deshalb, weil es für uns, wenn wir sie nicht empfinden, ganz natürlich ist, sie vermeidbar zu finden und über die Torheit der anderen zu philosophieren. Nein, es liegt daran, dass die Konstruktion der Gefühle zwischen dem Gesicht der Frau und den Augen des Liebenden, dass der riesige Kokon von Schmerz, der es umhüllt und verhüllt wie eine Schneedecke einen Brunnen, dann, wenn die Liebe in dem Stadium angekommen ist, in dem sie solche Leiden verursacht, schon weit genug gediehen ist, damit das Angesicht, auf dem die Blicke des Liebenden ruhen, der Punkt, an dem er seiner Lust und seinem Leid begegnet, ebenso weit von dem Punkt entfernt ist, an dem die anderen es sehen, wie die wirkliche Sonne von der Stelle entfernt ist, an der wir sie durch ihr geballtes Licht am Himmel wahrnehmen. Und zudem hat während dieser Zeit das Gesicht unter dem Kokon aus Schmerzen und Zärtlichkeit, der für den Liebenden die schlimmsten Metamorphosen des geliebten Wesens unsichtbar macht, genug Zeit gehabt, zu altern und sich zu verändern. Wenn also einerseits das Gesicht, das der Liebende beim ersten Mal gesehen hat, sehr weit von dem entfernt ist, das er sieht, seit er liebt und leidet, ist dieses andererseits auch, im umgekehrten Sinn, sehr weit von dem entfernt, das jetzt der unbeteiligte Betrachter sehen kann. (Wie es gewesen wäre, wenn Robert statt der Fotografie derjenigen, die darauf ein junges Mädchen war, die Fotografie einer gealterten Mätresse gesehen hätte.*) Und es ist nicht einmal nötig, dass wir diejenige, die so viel Unheil angerichtet hat, zum ersten Mal sehen, um solchermaßen erstaunt zu sein. Oft kannten wir sie schon, so wie mein Großonkel Odette kannte. [37] Dann erstreckt sich der Unterschied in der Sichtweise nicht nur auf den physischen Aspekt, sondern auch auf den Charakter, auf die individuelle Bedeutung. Es ist sehr gut möglich, dass die Frau, die denjenigen leiden lässt, der sie liebt, immer das liebe Mädchen für jemanden gewesen ist, der sich nicht viel aus ihr machte, so wie Odette, die sich als so grausam gegenüber Swann erwies, die zuvorkommende »Dame in Rosa« für meinen Großonkel gewesen war, oder auch, dass das Wesen, dessen jede Entscheidung von dem, der es liebt, im vorhinein und so ängstlich wie die einer verborgenen Gottheit abgeschätzt wird, jemandem, der es nicht liebt, als eine belanglose Person erscheint, die freudig alles tut, was man verlangt, wie mir die Geliebte Saint-Loups, da ich in ihr nur jene »Rachel als vom Herrn« sah, die man mir so viele Male angeboten hatte. Ich erinnerte mich, wie verblüfft ich, als ich sie das erste Mal mit Saint-Loup gesehen hatte, bei dem Gedanken gewesen war, dass es einem Qualen bereiten könnte, nicht zu wissen, was eine solche Frau an irgendeinem Abend getan hat, was sie jemandem zugeflüstert haben mochte, weshalb sie es auf einen Bruch angelegt hatte. Nun, ich spürte, dass im Fall Albertines diese ganze Vergangenheit, der sich jede Faser meines Herzens, meines Lebens in bebendem, hilflosem Leid zuwandte, ganz ebenso Saint-Loup völlig bedeutungslos erscheinen musste und vielleicht auch eines Tages für mich selbst werden würde, dass ich vielleicht nach und nach, was die Bedeutungslosigkeit oder Wichtigkeit der Vergangenheit Albertines anging, von dem geistigen Zustand, in dem ich mich in diesem Augenblick befand, in den von Saint-Loup übergehen würde, denn ich machte mir keine Illusionen darüber, was Saint-Loup wohl dachte, was irgendein anderer als der Liebende denken dürfte. Und ich litt nicht allzu sehr darunter. Lassen wir die hübschen Frauen den Männern ohne Phantasie. Ich rief mir diese tragische Erklärung so vieler Lebensläufe ins Gedächtnis, die in einem [38] genialen und völlig unähnlichen Porträt, wie dem Elstirs von Odette, zu finden ist und weniger das Porträt einer Liebenden darstellt als das der entstellenden Liebe. Es fehlte dabei nur, dass es – wie es bei vielen Porträts der Fall ist – zugleich von einem großen Maler und einem Liebenden stammte (doch andererseits hieß es auch, Elstir sei der Liebhaber Odettes gewesen). Das ganze Leben eines Liebenden, eines Liebenden, dessen Torheiten kein Mensch begreift, das ganze Leben eines Swann beweisen diese Unähnlichkeit der Sichtweisen. Doch ist der Liebende auch noch ein Maler wie Elstir, dann liegt des Rätsels Lösung auf der Hand, man hat endlich die Lippen vor Augen, die der gewöhnliche Sterbliche an dieser Frau nie bemerkt hat, die Nase, die noch keinem an ihr aufgefallen war, diese unvermutet vornehme Haltung; das Porträt besagt: »Das, was ich geliebt habe, worunter ich gelitten habe, was ich ständig vor Augen hatte, dies ist es.« Durch eine Art Rückwärtsrolle versuchte ich, der sich bemüht hatte, Rachel in Gedanken all das hinzuzufügen, was Saint-Loup ihr von sich aus hinzugefügt hatte, den Beitrag meines Herzens und meines Geistes zu dem, woraus Albertine sich zusammensetzte, wieder abzuziehen und sie mir so vorzustellen, wie sie Saint-Loup erscheinen musste, wie Rachel mir erschienen war. Doch was bedeutet das schon? Selbst wenn wir diese Unterschiede mit eigenen Augen sehen würden, würden wir ihnen dann Glauben schenken? Als Albertine mich damals in Balbec unter den Arkaden von Incarville erwartete und in meinen Wagen sprang, war sie nicht nur noch nicht »aufgegangen«, sondern sogar durch zu viel Sport zu dünn geworden; mager, durch einen hässlichen Hut verunstaltet, der nur eine hässliche kleine Nasenspitze hervorlugen und von der Seite Wangen so weiß wie Engerlinge sehen ließ, erkannte ich wenig von ihr wieder, aber dennoch genug, dass ich bei ihrem Sprung in den Wagen sofort wusste, dass sie es war, dass sie unser Rendezvous pünktlich eingehalten hatte und nicht woanders [39]