Auf gläsernen Pfoten - Abby Overdevest - E-Book
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Auf gläsernen Pfoten E-Book

Abby Overdevest

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Beschreibung

Für alle, die Liebesromane und eine aufregende Werwolf-Geschichte lieben – von hunderttausenden Wattpad-Leser*innen verschlugen! »Ich dachte viel zu oft an ihn. An seine grausame Seite, die er mir offenbart hatte, und an die Momente, in denen er ganz anders zu sein schien.« Als Kathleen einen riesigen verletzten Hund vor ihrer Haustür findet, ahnt sie noch nicht, wohin diese Begegnung führen wird. Erst verwandelt sich der gerettete Straßenhund in einen Jungen, dann stehen plötzlich zwei fremde Männer in ihrer Wohnung und sie findet sich in einem Kampf zweier Fronten wieder. Auf der einen Seite sagenhafte Werwölfe, auf der anderen Seite Menschen, die diese vernichten wollen. Jeden Moment kann Kathleens Welt wie Glas zersplittern. Wem kann sie trauen? ♥♥♥♥ Wattpad verbindet eine Gemeinschaft von rund 90 Millionen Leser:innen und Autor:innen durch die Macht der Geschichte und ist damit weltweit die größte Social Reading-Plattform. Bei Wattpad@Piper erscheinen nun die größten Erfolge in überarbeiteter Version als Buch und als E-Book: Stoffe, die bereits hunderttausende von Leser:innen begeistert haben, durch ihren besonderen Stil beeindrucken und sich mit den Themen beschäftigen, die junge Leser:innen wirklich bewegen! »Dieses Buch hat es geschafft, mir Herzklopfen zu verursachen. Mystisch, Action reich und mit einer süßen Liebesgeschichte.«  ((Leserstimme auf Netgalley)) »›Auf gläsernen Pfoten‹ war lustig, aufregend und es gab viele Wendungen und das Cover ist wunderschön.« ((Leserstimme auf Netgalley)) »Eine wundervolle Geschichte mit starken Charakteren und einer atemberaubenden Handlung.« ((Leserstimme auf Netgalley))

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Seitenzahl: 575

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Bei »Auf gläsernen Pfoten« handelt es sich um eine umfangreich bearbeitete und gekürzte Version des auf Wattpad.com von kaddyabby ab 2017 unter dem Titel »Paws on Glass« veröffentlichten Textes.

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Auf gläsernen Pfoten« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.

© Piper Verlag GmbH, München 2021

Redaktion: Antje Steinhäuser

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Emily Bähr, www.emilybaehr.de

Covermotiv: Shutterstock.com und Freepik

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Cover & Impressum

1 Eine aufreibende Nacht

2 Nicht das, was es zu sein scheint

3 Doppelter Besuch mit Folgen

4 Verzerrte Realität

5 Mit offenen Karten hinter verschlossenen Augen

6 Unter Wölfen

7 Abschied auf unbefristete Zeit

8 Kaffeekränzchen und Nachtgespenster

9 Ahnungslosigkeit birgt Gefahren

10 Geheimniskrämereien und die Entführung

11 Als alles gut werden sollte

12 Zweisam einsam

13 Auf den Schmerz folgt die Heilung

14 Fünf Stunden Freiheit

15 Ungeahnte Seiten und aufregende Begegnungen

16 Das Schweigen hat ein Ende, und etwas Neues beginnt

17 Unstimmigkeiten auf einem neuen Niveau

18 Vergangenes und Zukünftiges

19 Der Durchschnitt ist die Normalität

20 Unglück kommt unverhofft

21 Einen Wimpernschlag lang

22 Aus Sturheit schöpft man Kraft

23 Vertrauen wächst langsam und verdorrt schnell

24 Das Desaster und das kleine Wunder

25 Zurück auf Anfang

26 Der König betritt das Feld

27 Eine klare Ansage

28 Zwischen fremden Fronten

29 Aus Traum wird Albtraum

30 Verdrängung hält die Tatsachen nicht ewig auf

31 Die Tücken der Einsamkeit – eine Versuchung

32 Wenn der Schleier fällt

33 Vom Himmel in den Sturm

34 Kein Plan ist auch ein Plan

35 Das Silber des Nordens

36 Durchsetzungskraft überwiegt Respekt

37 Irrfahrt der Gefühle

38 Der schleichend verwirrende Wandel

39 Narben heilen nie

40 Ein Fluch als Preis für Vertrauen

41 Rot auf Weiß

42 Hochgefühl schreibt das Ende

43 Ein Deal

44 Böses Erwachen

45 Die Jagd beginnt

46 Mitten im Chaos

47 Einsicht trifft dich wie ein Schlag

48 Trübes Schwarz, goldenes Herz

49 Ein verlorenes Leben, gespickt mit Mysterien

50 Verlorenes findet wieder zusammen

51 Zwei Seiten derselben Medaille

52 Ein Feuerwerk der Hoffnung wegen

53 Wie ein Sonnenaufgang nach tiefster Dunkelheit

54 Im Norden ein Licht

55 Der Blick ins Ungewisse

56 Geschichten, die nicht mal das Leben schreiben könnte

57 Die Last des Neuen

58 Rückkehr

59 Der Alpha des Südens I

60 Der Alpha des Südens II

61 Der gebrochene Frieden

62 Ein Entschluss fordert seinen Preis

63 Das Unheil und das Ende

64 Mein Platz an deiner Seite

65 Machthungrige Diskussionen

66 Keine Drohung, ein stummer Vorschlag

67 Ein Kuss für zwei

68 Heute, morgen und übermorgen

69 Sehnsucht nach Leben I

70 Sehnsucht nach Leben II

1 Eine aufreibende Nacht

Ich griff nach meinem Glas, das auf dem kleinen Rundtisch neben meiner Balkontür stand, entknotete meine Beine aus dem Schneidersitz und lauschte dem leisen Knarzen meines Ohrensessels.

Der Latte macchiato war bereits kalt, doch das Koffein half mir, nicht einzuschlafen. Ein paar Stunden musste ich wohl oder übel für meine Klausur am Dienstag aufwenden, wenn die Anfangsgeschichte der Renaissance, die meine Dozentin so liebte, in meinem Gedächtnis hängen bleiben sollte.

Ich blätterte die Seiten durch und überflog meine Notizen, als ein klägliches Jaulen durch das offene Küchenfenster zu mir drang. Ich atmete nicht und blieb ganz ruhig sitzen. Stille. Eine Ablenkung kam mir gerade recht. Ich nippte an dem Glas, schmeckte den Zucker, den ich reichlich in das Getränk geschüttet hatte, und verzog das Gesicht. Eines Tages würde ich entweder an Schlaflosigkeit oder an Überzuckerung sterben.

Draußen prasselten Regentropfen nieder, und eine dicke Wolkendecke hatte sich über die Stadt gelegt. Kleine, glitzernde Perlen rannen um die Wette an der Scheibe herunter. Ich neigte meinen Kopf zur Seite, um aus der gläsernen Tür auf meinen Balkon mit dem Gittergeländer hinauszuschauen. Die Straße wirkte ruhig. Die Laternen warfen kleine Lichtflecken auf den Asphalt. Keine Menschenseele begab sich bei Nacht und Regen aus dem Haus.

»Wahrscheinlich nur der Wind«, sagte ich zu mir selbst. Selbstgespräche waren eine Angewohnheit, die ich schwer ablegen konnte. Aber hin und wieder hörte sich das Heulen des Windes tatsächlich wie der Schrei eines Menschen an. Ein leichter Schauer überkam mich, und ich zog meinen Schal enger um mich.

Je später es wurde, desto weniger Sinn ergaben meine Aufzeichnungen aus der Vorlesung. Meine Augen brannten, denn meine Zimmerlampe spendete nicht annähernd genügend Licht. Ich gähnte und schlurfte ein paar Runden in meinem Wohnzimmer umher. Da ertönte es plötzlich schon wieder. Ein Jaulen, das mir eine Gänsehaut bescherte.

Ich öffnete die Balkontür, erschauderte sofort und klammerte mich an das Geländer. Alles wirkte normal. Die Mülltonnen am Straßenrand standen in Reih und Glied, daneben lagen einige gelbe Säcke. Nichts deutete auf jemanden oder etwas hin, was diese Geräusche verursachen konnte. Nur um sicherzugehen, lehnte ich mich über das Geländer und guckte um die Hausecke. Das Metall drückte kalt gegen meinen Bauch.

In der Einfahrt konnte sich etwas verstecken, aber es war mir unmöglich, diesen Bereich einzusehen. Frierend ging ich zurück und schloss die Tür. Ich würde sicherlich nicht in der tiefsten Nacht bei Regen und Wind nach draußen gehen, um einem mysteriösen Jaulen hinterherzujagen.

In dem Moment ertönte erneut ein Jammern von draußen, und ich biss mir fest auf die Lippen. Wenn doch jemand verletzt in der Einfahrt lag? Ein Hausbewohner womöglich? Die alte Dame nebenan war vielleicht gestürzt. Mit diesem Gedanken könnte ich niemals ruhigen Gewissens einschlafen.

Im Treppenhaus war es dunkel und so ruhig wie nie zuvor. Ich nahm immer zwei Stufen auf einmal, spürte mein donnerndes Herz in der Brust schlagen. Bevor ich den ersten Schritt nach draußen setzte, zückte ich mein Handy. Wer wusste schon, was mich da erwartete. Auf die Begegnung mit einem Verbrecher oder betrunkenen Schläger konnte ich verzichten.

Die Hausschuhe stellten sich als ungeeignet für einen Spaziergang im Regen heraus, aber in meiner Eile hatte ich Schuhe und Jacke vergessen. Bibbernd schlich ich über den Parkplatz, dessen Auffahrt zur Straße führte. Die Backsteinmauer schottete mich ab, sodass das Licht der Straßenlaternen mich kaum erreichte. Der Geruch von regennassem Gras lag in der Luft.

Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Ich erkannte die parkenden Fahrzeuge, die kleine Hecke und eine dunkelrote Spur. Ein Winseln ließ mich aufschrecken. Ich schaute mich um, und plötzlich ertönte ein Knurren. Ich erstarrte. Mein Blick jagte von der einen auf die andere Seite, und ich erspähte eine dunkle Gestalt, die unter den Weißdornbusch meines Vermieters huschte. Tief durchatmend kniete ich mich auf die nasse Erde.

Mein Gesicht schwebte nur wenige Zentimeter über dem Boden, und mithilfe meines Handylichtes konnte ich endlich den Ursprung des Jaulens und Knurrens ausmachen. Eine glänzende, schwarze Nase ragte unter den Blättern hervor und schnupperte. Ein riesiger Hund starrte mich an. Er nahm meinen Geruch auf und entspannte sich für eine Sekunde, dann knurrte er mich an.

»Schon okay«, flüsterte ich und seine Ohren richteten sich auf. »Ich will dir nichts tun.« Mein Blick fiel wieder auf die rote Spur und wanderte an dem Tier entlang. Als ich die Verletzung entdeckte, sog ich scharf die Luft ein. An seinem Hinterlauf – genauer, im Schenkel – klaffte eine tiefe Schnittwunde. »Das muss schrecklich wehtun«, murmelte ich und kroch etwas näher heran. Das Tier fletschte die Zähne. »Keine Angst, jemand muss sich das ansehen.«

Keine Ahnung, was ich erwartet hatte bei einem wahrscheinlich wilden Hund, der höllische Schmerzen durchstand. Jedenfalls fand ich mich blitzschnell mit dem Rücken auf dem Boden wieder, der riesige Hund über mir. Die Fangzähne blitzten wenige Millimeter von meinem Gesicht entfernt auf, und dennoch spürte ich keine Panik in mir aufkommen. Stattdessen fasste ich beherzt in sein dichtes Fell am Hals und riss ihn von mir. Er jaulte auf, doch ich musste jetzt die Oberhand behalten, wenn er mich nicht ernsthaft verletzen sollte.

Möglichst vorsichtig drückte ich ihn auf den Boden und stellte mich über ihn. Jetzt wirkte er noch viel größer. Gab es so große Hunde? Fiepend gab er sich geschlagen und seine Muskeln erschlafften, während ich den Griff löste.

»Braver Hund«, seufzte ich und erntete einen unsicheren Blick.

Mit den Fingern fuhr ich durch sein nasses Fell. Er wich mir aus, wollte zurück in den Busch, aber ich war schneller und schnitt ihm den Weg ab. Eine Weile tänzelten wir umeinander herum. Er schien zu einem Sprint anzusetzen, brach jedoch vor meinen Füßen zusammen.

Ratlos setzte ich mich neben ihn. Ein Knurren ertönte aus seiner Brust, trotzdem legte ich meine Hand auf sein Fell. Erst regte ihn das sichtlich auf, doch sobald ich damit begann, ihn in kreisenden Bewegungen zu streicheln, beruhigte er sich bei jeder weiteren Berührung.

Das Einzige, was sich für eine Wundversorgung eignete, war mein Schal, den ich als provisorischen Verband benutzte. Mit zitternden Händen versuchte ich, diesen fest um seinen Oberschenkel zu binden, um die Blutung für eine Zeit zu stoppen. Doch kaum war ich fertig, sickerten dunkelrote Flecken durch den Stoff. Das würde also nicht lange helfen. Der Hund verzog seine helle Schnauze.

Ich bemerkte, dass ich meinen Autoschlüssel noch in der Hosentasche hatte. Klitschnass und mit laufender Nase stapfte ich zu meinem Wagen, immer ein Auge auf ihm. Er folgte mir schwankend. Als ich den Knopf drückte und die Scheinwerfer meines Wagens aufblinkten, sprang der Hund zur Seite und jaulte auf.

»Okay Großer, du musst jetzt ein bisschen mitarbeiten«, erklärte ich ihm, und er blickte zu mir auf, als verstünde er jedes Wort. Ich öffnete den Kofferraum und klappte die Rücksitze um. Dieses Riesentier würde gerade so in meinen Kleinwagen reinpassen. »Hopp«, versuchte ich ihm begreiflich zu machen, was ich von ihm wollte. Er legte den Kopf schief. »Fein, ich helfe dir hoch.«

Ich packte ihn und half ihm in den Wagen, der quietschend tiefer ging. Ich keuchte und stützte mich an der Klappe ab, während der Hund mich musterte. Er saß im Auto, als wäre es das Normalste der Welt. Sein Fell wirkte befremdlich auf mich. Es war grau und fühlte sich dick an. Eine helle Maske zeichnete sein Gesicht, die Farbe wurde am Rücken und an der Schwanzspitze dunkler. Ich hielt mich eher für eine Katzentype – falls es da wirklich eine Unterscheidung gab – und kannte mich dementsprechend wenig mit Hunden aus. Es könnte ein Husky sein oder ein Mischling, was letztendlich auch egal war, wenn ich ihn nicht schnell zu einem Arzt brachte.

»Guter Junge«, lobte ich ihn und erntete ein Winseln.

Dann fischte ich mein Handy aus der Hosentasche und suchte im Internet nach Tierarztpraxen. Keine hatte um diese Uhrzeit noch geöffnet, aber ich fand eine Notfallnummer.

»Entschuldigen Sie die Störung«, meldete ich mich rasch. »Mein Name ist Kathleen Doyle. Ich habe eben einen schwer verletzten Hund vor meiner Wohnung gefunden. Er braucht dringend Hilfe.«

2 Nicht das, was es zu sein scheint

»Beruhigen Sie sich, Miss Doyle«, erwiderte eine entspannte, männliche Stimme am anderen Ende. »Haben Sie irgendeinen Hinweis auf den Besitzer des verletzen Hundes?«

»Nein.«

»In Ordnung. Können Sie das Tier transportieren?«

»Ja, er befindet sich bereits in meinem Auto.« Ich spähte zum offen stehenden Kofferraum, aus dem mich zwei braune Knopfaugen anschauten.

»Sehr gut. Ich gebe Ihnen die Adresse der Praxis, und Sie können gleich vorbeikommen.«

»Vielen Dank.« Ich atmete auf. »Sie wissen gar nicht, wie sehr Sie mir – nein, diesem armen Hund helfen. Und das mitten in der Nacht.«

»Das ist mein Job. Fahren Sie vorsichtig. Wir sehen uns gleich.«

Sachte fuhr ich los und orientierte mich an der Wegbeschreibung, die mir der Arzt gegeben hatte. Die Straßen waren leer, manche Ampeln sogar ausgeschaltet. Das Hinweisschild auf die Tierarztpraxis an einer kleinen Seitenstraße ließ meinen Puls steigen. In dem Gebäude brannte Licht, und ein weiteres Auto parkte am Straßenrand. Ich war überrascht, dass der humpelnde Hund mich anstandslos begleitete – aus dem Auto, über den Parkplatz und in die Praxis hinein, ohne dass ich ihn an der Leine hatte.

»Kathleen Doyle?«, erkundigte sich ein ergrauter Mann, der in der Tür wartete. »Ich bin Dr. Mayhew. Wir haben telefoniert, richtig? Wegen des verletzten Hundes …« Sein Blick fiel auf eben diesen. »Kommen Sie herein, wir sehen uns das einmal bei Licht an.«

Die Praxis war recht klein. Vom Erdgeschoss führte eine Treppe ins erste Stockwerk. Dr. Mayhew schleuste uns durch ein paar enge Gänge in einen Behandlungsraum. Der Geruch von Desinfektionsmittel und Gummihandschuhen stieg mir in die Nase. Der Hund blieb plötzlich stehen, wollte auf schnellstem Wege wieder aus dem Gebäude, aber ich stellte mich vor ihn.

»Schon okay«, sagte ich und hockte mich auf den Linoleumboden. Er winselte und drückte seinen schweren Körper gegen meinen. »Es wird nichts Schlimmes passieren, wir sind hier, damit es dir besser geht.« Mit einem Hund zu sprechen erschien mir weniger verrückt als meine Selbstgespräche.

Der Doktor bat uns mit einer Handbewegung in das Zimmer, doch der Hund wehrte sich, also zog ich ihn am Nackenfell hinter mir her.

»Zu zweit bekommen wir ihn nicht auf den Behandlungstisch. Ich hole meinen Assistenten«, kündigte Dr. Mayhew an und beäugte das Tier skeptisch. »Dieser Hund hat viel Blut verloren. Wir werden sehen, was wir überhaupt noch tun können. Würden Sie lieber im Wartezimmer Platz nehmen?«

»Nein, schon in Ordnung«, entgegnete ich. Der metallische Geruch des Blutes zwang mich dazu, erst zu schlucken, bevor ich weiterreden konnte. »Ich bleibe bei ihm.«

Der Mann nickte und schloss die Tür hinter sich. Ich legte meine Hand an die Seite des Hundes, und er zuckte zusammen. Leise sprach ich mit ihm und streichelte über sein Fell. Mehr konnte ich nicht für ihn tun.

Mit einem Klicken sprang die Tür auf, und Dr. Mayhew trat gemeinsam mit einem jüngeren Mann ein. Sie diskutierten lautstark, und der zweite Arzt verstummte erst, als er den Hund betrachtete.

»Ein prächtiges Tier«, sagte er und rieb sich die Hände. »Sehr gut gebaut und kräftig. Er wird die Narkose überstehen.«

»Dem widerspreche ich, Dr. Teger. Wir sollten ihn von seinem Leid erlösen. Der Blutverlust und die mögliche Infektion sind Grund genug, dass ein verwildertes Tier sich nicht weiter quälen soll.«

»Nein!«, schrie ich beinahe und umarmte den Hund. »Es muss doch etwas geben, was Sie tun können.«

»Die Notoperation ist nicht gerade günstig«, führte Dr. Mayhew an. »Wollen Sie die Kosten für ein Tier tragen, das nicht einmal Ihnen gehört und kurz vor dem Tod steht? Die Narkose könnte bereits zu viel für ihn sein.«

Ich stockte, konnte nicht sofort antworten. Der Hund stupste meine Hand mit der Nase an und ich kraulte sein Ohr. Er wollte leben. Ich wollte, dass er lebte. Allerdings besaß ich nicht genügend Geld für die Operation.

»Wie wäre es mit einem Vorschlag meinerseits?« Dr. Teger umrundete den Behandlungstisch. »Wenn die Kosten zu hoch sind, dann könnten Sie als Aushilfe hier arbeiten. Nichts Großes, hauptsächlich Papierarbeit und das Putzen. Wie klingt das für Sie?«

»Sie können doch nicht…«, wandte sich Dr. Mayhew an ihn.

»Bitte, ich regle das mit der jungen Dame allein. Sie haben Ihre Meinung deutlich gemacht, und wenn Sie uns nicht helfen wollen, schlage ich vor, dass Sie das Zimmer verlassen.«

Ich schaute Dr. Teger ungläubig an, aber lächelte freundlich. Obwohl er wesentlich jünger als der andere Tierarzt war, verhielt er sich sehr dominant. Dr. Mayhew widersprach nicht und verließ wütend das Zimmer. Dr. Teger streckte mir seine Hand entgegen. Ich zögerte und blickte auf den armen Hund. Das Blut seiner Wunde sickerte durch den Verband und tropfte auf den Boden.

»Einverstanden«, entschied ich und schlug ein.

Dann ging alles ganz schnell. Dem Hund wurde ein Zugang gelegt. Winselnd drängte er sich an mich. Ich versuchte ihn zu beruhigen, während der Geruch von Blut sich mit dem des Desinfektionsmittels mischte. Dr. Teger zog eine Spritze mit der Narkose auf, gab sie dem Tier, und wenige Minuten später schlief es seelenruhig.

Ich durfte bei der Operation anwesend sein und erwischte mich dabei, wie ich die freie Pfote des Hundes streichelte und leise summte. Sobald Dr. Teger mir einen Blick zuwarf, schaute ich zur Seite und verstummte. Er säuberte die tiefe Wunde, richtete Knochen, nähte zunächst Muskelpartien und schließlich die obere Hautschicht. Mir wurde schlecht, aber ich biss die Zähne zusammen und beobachtete ihn weiter.

»Viel mehr kann ich nicht tun«, erklärte er und sprühte ein silbernes Spray auf die frische Naht. »Er darf sich nicht bewegen. Wir müssen ihn fixieren und in den geheizten Aufwachraum bringen.«

Dr. Teger schleuste ein flaches Band durch Löcher an den Seiten des Behandlungstisches und band damit die Pfoten des Hundes fest. Eines der Bänder wickelte er noch um den Brustkorb, der sich regelmäßig hob und senkte. Danach überprüfte er den Herzschlag und schaute mich an.

»Wollen Sie bei ihm bleiben? Oh, ich habe mich noch gar nicht nach Ihrem Namen erkundigt.« Seine stahlblauen Augen musterten mich neugierig, während ihm seine schwarzen Haare am Gesicht klebten. Ich hatte nicht gemerkt, wie anstrengend diese Operation für ihn gewesen war.

»Kathleen Doyle«, stellte ich mich vor. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Dr. Teger. Ich hätte ihn nicht sterben lassen können. Ihr Kollege mag recht behalten, aber der Versuch zählt.«

»Nennen Sie mich Gideon, Dr. Teger wirkt so förmlich.«

Ich nickte.

»Wir werden sehen, ob das die richtige Entscheidung war. Aber ich stimme Ihnen zu. Dieses schöne Tier einzuschläfern, erscheint mir nach wie vor falsch.«

Gideon schenkte mir ein Lächeln und ging zur Tür, während er sich durch die klammen Haare fuhr. Als die Tür ins Schloss fiel, krabbelte ich näher an den Hund heran. Seine Augen waren fest geschlossen, die Atmung normal. Ich legte mich zu ihm, vergrub meine Finger in seinem dicken Nackenfell und legte einen Arm um seinen Oberkörper.

Ich musste eingeschlafen sein und schreckte von dem lauten Gejaule auf. Neben mir saß Gideon, eine Hand hinter seinem Rücken und die andere auf dem Hund. Ich sprang auf und wollte die Bänder öffnen, die das Tier auf dem Tisch hielten, aber Gideon stoppte mich.

»Er soll sich nicht bewegen.«

»Aber er hat Angst«, konterte ich und platzierte meine Hand auf dem Gesicht des Hundes. »Alles okay, ich bin ja hier.«

Augenblicklich entspannten sich seine Muskeln, und das Jaulen erstarb. Zwei braune Augen starrten mich an. Ich hielt ihrem Blick stand. Entgegen Gideons Anweisung löste ich ein Band nach dem anderen und konnte zusehen, wie der Hund es mir dankte. Er richtete sich auf und drückte seine Nase gegen meine Wange.

»Ein erstaunliches Tier«, gestand Gideon und ging rückwärts zur Tür. »Ich bin gleich wieder da, aber Sie haben ja alles im Griff.«

Ich spürte die Überraschung in mir aufsteigen. Dieses Tier blieb trotz der Verletzung, der Schmerzen und der fremden Umgebung freundlich. Lachend und mit Tränen in den Augen umarmte ich ihn. Er konnte sogar stehen, wenn auch wackelig und wich mir nicht von der Seite.

»Ich hab dir ja versprochen, dass es dir besser gehen wird. Wo gehörst du nur hin?«

Er schmiegte sich dichter an mich. Die Tür sprang auf, und Gideon reichte mir einige Formulare. An der leeren Anmeldung der Praxis erkannte ich, dass es immer noch tiefste Nacht war. Ich fühlte mich, als hätte ich eben stundenlang geschlafen.

Ich unterzeichnete den Arbeitsvertrag, eine Hand immerzu an dem Hund neben mir. Er hechelte, wirkte gestresst, und ich wollte heim.

»Wir sehen uns dann also morgen Nachmittag.« Der Tierarzt kratzte sich am Kinn, das eine unscheinbare Narbe aufwies. »Oder spricht etwas dagegen?«

»Nun ja«, antwortete ich überrumpelt. »Ich studiere zurzeit, aber morgen habe ich Zeit. Was die anderen Tage betrifft…«

»Das regeln wir dann, keine Sorge. Ich bin sehr flexibel, solange Sie die Kosten abarbeiten, können wir die Termine individuell klären.« Er lächelte. »Sind Sie in der Lage, einen Hund durchzufüttern? Er vertraut Ihnen. Aber allein die Futterkosten dürften bei einem so großen Tier hoch sein.«

»Ich werde mich nach seinem Besitzer erkundigen. So lange kann ich für ihn sorgen. Falls ich Hilfe brauche, wende ich mich an Sie.«

»Gute Antwort«, lobte er mich, und ich fühlte mich ihm unterlegen, war aber zu erschöpft, um ihm zu beweisen, dass ich auf eigenen Beinen stehen konnte. Außerdem wäre es eine schlechte Idee gewesen, seine Hilfe auszuschlagen. »Wir werden uns ohnehin eine Zeit lang sehen. Ich helfe, wo ich kann.« Abermals schenkte er mir ein Lächeln.

Ich verschwand durch die Tür und schleppte mich erschöpft zu meinem Auto. Wenigstens waren die Fensterscheiben nicht zugefroren. Stöhnend versuchte ich den großen Hund in meinen Kofferraum zu heben, jedoch ohne Erfolg. Ich fürchtete, ihm zu schaden, also kehrte ich zurück in die Praxis und bat um Hilfe. Der Moment meiner Hilflosigkeit war früher gekommen als erwartet.

Zusammen mit Dr. Teger, der den Hund am hinteren Teil packte, gelang es mir, das verwirrte Tier ins Auto zu hieven. Ich verabschiedete mich ein weiteres Mal von meinem neuen Chef-auf-Zeit und stieg in den Wagen.

Zu Hause angekommen, streifte ich meine nasse und vor Dreck triefende Kleidung ab und stieg in die Dusche. Heißes Wasser prasselte auf mich nieder, weckte meine Lebensgeister.

Der Hund ohne Namen und Herkunft lag mit ausgestreckten Gliedern auf meinem alten Sofa. Als ich das Zimmer betrat, wirkte er mitgenommen von der Nacht und schaute müde auf. Ich kniete mich zu ihm, um ihm über das graue Fell zu streicheln.

Auf einmal begann das Tier unter meiner Handfläche zu zittern. Er wand sich auf dem Sofa, riss die Kissen herunter und krümmte sich vor Schmerz. Irgendetwas unter seinem Fell bewegte sich. Waren es seine Muskeln? Seine Haut brannte plötzlich wie Feuer unter meiner Hand. Sein Körper veränderte sich, und ich blinzelte gegen ein helles Licht an, das ihn vollkommen einhüllte. Der Hund stöhnte auf, und ich wandte mich erschrocken ab, um den Tierarzt anzurufen, da packte mich mit einem Mal eine kleine Hand.

Perplex sah ich auf. Statt eines großen Hundes lag ein Junge auf meinem Sofa. Ein Junge! Er war vielleicht zwölf Jahre alt und splitternackt. Sein Fell war rosiger Haut gewichen, aber seine Augen schienen unverändert unschuldig und aufmerksam.

»Aber wie?«, stammelte ich und wollte mich von ihm losmachen. Er festigte seinen Griff.

»Nicht.« Er fiel in sich zusammen und mein Blick richtete sich auf die Naht an seiner Seite. Er war der Hund. Er und der Hund waren tatsächlich ein und dieselbe Person. »Nicht weggehen. Bitte.«

3 Doppelter Besuch mit Folgen

Ich krabbelte rückwärts und stieß gegen irgendeinen Karton. Vor mir saß dieser Junge. Nackt. Das trieb mir die Röte ins Gesicht, obwohl er mein kleiner Bruder hätte sein können. War er jedoch nicht. Vor wenigen Sekunden war er noch ein riesiger Hund gewesen.

Wieder bewegte er sich auf mich zu, und ich wich instinktiv zurück. Er verharrte in seiner Bewegung und ich in meiner. Wir starrten uns an. Ich wagte nicht zu blinzeln. Was geschah hier? Das war doch im besten Fall ein komischer Traum. Ich schüttelte den Kopf, der von der langen Nacht schmerzte.

»Bitte«, flehte er. »Nicht weggehen und keinen rufen.«

Ich begriff nicht, was er von mir wollte. Mal davon abgesehen, dass mir niemand glauben würde, dass dieser Junge eben noch ein Hund war. Oder war der Hund ein Junge?

»Ich …« Meine Stimme versagte auf halbem Wege. »Okay, ich werde hierbleiben und niemandem von dir erzählen. Aber du schuldest mir eine Erklärung.« Er wirkte nicht, als wollte er mir jetzt und auf der Stelle seine Lebensgeschichte erzählen. »Na schön.« Darauf bedacht, ihn nicht zu erschrecken, richtete ich mich auf und ging vor dem Sofa in die Hocke. »Ich würde vorschlagen, du schläfst heute hier, und morgen sehen wir weiter. Irgendjemand wird dich schließlich vermissen. Wie heißt du denn?«

Er zog das Kinn an die Brust und igelte sich ein. Das verletzte Bein zitterte, die Naht hielt aber, was mich erst einmal beruhigte. Für eine neue Naht reichten weder meine Kenntnisse im Sockenstopfen noch in Erster Hilfe aus. Als ich über ihn griff, duckte er sich ruckartig und schrie auf.

»Alles in Ordnung«, wisperte ich und zog an der Decke, die ich hinter die Lehne gestopft hatte. Damit deckte ich ihn zu, sodass nur noch seine Nasenspitze und die Augen zu sehen waren. »Wenn du was brauchst, klopf einfach an die Tür da.« Ich deutete auf meine Schlafzimmertür, die gegenüber vom Wohnzimmer lag. »Und jetzt ruh dich aus. Du bist hier sicher.«

In meinem Zimmer lehnte ich mich gegen die geschlossene Tür und rutschte an ihr zu Boden. Der Abend hatte so gut angefangen. Ich wäre richtig produktiv gewesen, wäre früh ins Bett gegangen und morgen ausgeruht aufgestanden. Aber das hier war verrückt! Wie konnte so etwas im Bereich des Möglichen liegen? Oder ich träumte. Diese Erklärung erschien selbst mir zu einfach. Das hier musste einen komplizierteren Ursprung haben.

Trotz der ganzen Aufregung und skurrilen Geschehnisse schlief ich schnell ein. Schneller sogar als an einem gewöhnlichen Tag. Ein leises Knarzen der Bodendielen, gefolgt von einem noch viel sanfteren Klopfen, weckte mich wieder auf.

»Ja?«, bat ich ihn herein, doch er stand weiterhin vor der Tür, also öffnete ich ihm. »Was ist denn?«

Ich rieb mir die Augen. Der Junge verlagerte sein Gewicht vom rechten auf den linken Fuß. Sein kleiner Körper war in die Decke, die ich ihm gegeben hatte, eingewickelt.

»Ich …«, sagte er und brach gleich wieder ab, schaute auf seine nackten Füße.

»Hast du Schmerzen?«

Er schüttelte den Kopf.

»Möchtest du etwas essen oder trinken?«

Wieder erntete ich nur ein wortloses Nein.

Ich setzte mich auf den Boden und er nahm neben mir auf dem Parkett Platz. Ganz langsam und vorsichtig rückte er näher an mich heran, berührte meine Hand. Er zitterte leicht, und als ich zu ihm hinüberspähte, zuckte er zusammen. Konnte er meinen Blick wirklich gespürt haben? Ich ließ ihn noch näher kommen, sodass seine Schulter meine anstieß.

Plötzlich ein Knall, gefolgt vom Klirren von berstendem Glas. Ich schreckte auf und sprintete ins Wohnzimmer. Schwerer Fehler, rief ich mir innerlich nach. Soeben traten zwei Männer durch meine zerschmetterte Balkontür in mein Wohnzimmer. Ich drehte auf dem Absatz um und rannte zurück in den Flur, in Richtung der rettenden Haustür. Dabei stieß ich mit dem Jungen zusammen, der mir entgegenkam. Zusammen fielen wir zu Boden. Ich schloss ihn automatisch in meine Arme, um ihn vor dem Sturz und der drohenden Gefahr abzuschirmen.

Und da war sie auch schon: zwei pechschwarze Personen, die Gesichter hinter tief hängenden Kapuzen versteckt. Einer zückte blitzschnell ein Messer. Statt der Klinge an der Kehle spürte ich an meinem Arm die große Hand, die mich hochriss und mir die Gelenke verdrehte. Ich schrie auf, zappelte aber nicht lange, da die Schmerzen zu groß waren. Bevor er mir etwas antun konnte, hörte ich den Jungen in einer Mischung aus einem Schrei und einem Knurren brüllen. Der Griff um meinen Arm festigte sich, dann erstrahlte der Flur für ein oder zwei Sekunden in einem grellen Licht. Mein Angreifer stöhnte auf und stieß mich von sich.

Ich landete unsanft auf dem Parkett und sprang sofort wieder auf die Beine. Der Junge hatte sich in den großen Hund verwandelt, den ich draußen aufgesammelt hatte. Hektisch verbiss er sich in die Hand des Mannes. Sie rangen miteinander. Mal gewann das Tier die Oberhand, ein anderes Mal der Mann. Ich krallte meine Finger in die Tapete. Blut befleckte den Boden. Der Mann keuchte, stieß Flüche aus. Die Bisswunde musste tief sein und das andauernde Knurren verhieß nichts Gutes, doch ihn schien das wenig zu stören.

»Josh, du scheinst die Frau ja ganz schön zu mögen, wenn du dich sogar gegen uns wendest«, stellte der andere Mann, der dazukam, fest. Im Gegensatz zu den Kämpfenden strahlte er eine unglaubliche Ruhe aus. Ein Blick reichte, um die Situation zu klären. Der Hund ließ von dem Mann ab und kroch mit eingezogener Rute zu mir zurück. »Josh, du weißt, was du getan hast, oder?«

Der Hund neben mir, der offensichtlich Josh hieß und der sowohl Hund als auch Junge war, fiepte. Er senkte seinen Kopf, das Fell an seinem Rücken blieb jedoch gesträubt. Ich kauerte mich zu ihm, hatte keine Ahnung, was vor sich ging. Die Männer schienen nicht meinetwegen in die Wohnung eingebrochen zu sein, sondern seinetwegen. Ohne darüber nachzudenken, umarmte ich das Tier in der Hoffnung, ihm so entweder Mut zu geben oder ihn zu beschützen.

»Was hast du dir nur dabei gedacht abzuhauen?«, fragte der Verletzte und wickelte sich etwas um die Hand. Seine Stimme klang dunkel und streng. »Dafür musst nicht nur du bezahlen.« Sein gewaltiger Körper wandte sich mir zu. »Gleich wirst du auch noch den Tod dieses Menschen auf dem Gewissen haben, weil du nicht gehorchen kannst.«

War das sein Ernst? Sie würden mich umbringen? Weswegen denn? Ich suchte Halt im Fell des Hundes. Er könnte mich nicht beschützen. Nicht vor den beiden.

Der verletzte Mann scherzte nicht und trat an mich heran. Sogleich schoss der Hund auf ihn los, aber der Mann wich geschickt aus und packte mich an den Schultern. Ich hing in der Luft. Atemlos. Sollte es das jetzt gewesen sein? Mein gesamtes Dasein in einer Nacht von diesen Unbekannten grundlos ausgelöscht? Mir wurde kalt.

»Nicht!« Der Junge umklammerte den Arm des Mannes. »Sie hat mich gerettet!« Er zeigte auf das nackte Bein mit der Naht, die drohte aufzuplatzen. »Wäre sie nicht gewesen, könnte ich längst tot sein.«

»Ja und?«, schnaubte der Mann. Sein Griff schnürte mir die Luft ab. »Das hilft ihr auch nicht.«

»Warte«, mischte sich der Ruhigere der beiden ein. »Wer würde ihr schon glauben? Sie kann es sich ja nicht einmal selbst erklären.« Er legte seine Hand auf den Arm des Kerls, der mich gegen die Wand drückte. »Wir werden sie aus den Schatten beobachten, so wie immer. Veranstalten wir hier noch mehr Lärm, kommen sie uns auf die Schliche, und du, mein Freund, bist nie sehr sorgfältig beim Beseitigen von Zeugen. Außerdem …« Er deutete auf Josh, dessen Versuch, mich zu befreien, darin geendet hatte, dass er am Arm meines Angreifers baumelte. »Außerdem wird Josh sich nicht so einfach überreden lassen, mit uns zu kommen, zumal er uns gestern erst entwischt ist. Keine Aufmerksamkeit erregen, du erinnerst dich?«

Murrend ließ mich der andere los und stapfte ins Wohnzimmer. Ich schaute ihm ungläubig nach und rieb mir die pochenden Oberarme. Mein ganzer Körper war eiskalt und wie erstarrt. Der ruhige Mann widmete sich Josh.

»Deine Strafe bekommst du noch. Von mir aus kannst du für eine Weile hier bleiben, wenn es dir so gut bei ihr gefällt.« Ich konnte seine Augen nicht sehen, aber etwas in seiner Stimme machte mir Angst. »Spätestens in drei Tagen holen wir dich. Macht sie Anstalten, uns zu verraten, ist sie schneller tot, als du reagieren kannst. Verstanden?«

Josh nickte still.

»Gut.« Wortlos schritt der Mann an mir vorbei.

Ich erschauderte bei seiner Erscheinung, konnte kurz sein linkes Auge unter der Kapuze erkennen. Die Iris besaß ein strahlendes Goldbraun, das frostig auf mich niederblickte. Ich schluckte trocken und biss mir auf die Lippe.

Endlich war auch er über den Balkon verschwunden. Keine Ahnung, wie sie hier hinaufgekommen waren. Ich sackte in mich zusammen und atmete erleichtert auf.

»Was bedeutete das eben?«, warf ich in den Raum.

»Das waren meine Leute«, erwiderte Josh und wickelte die Decke um sich. »Sie wollten mich mitnehmen.«

»Wer … oder was seid ihr?«

Er schaute mich durchdringend an und kam auf mich zu. Ich rührte mich nicht, hielt seinem Blick stand und wartete auf seine Erklärung. Schnaubend ließ er sich neben mich fallen.

»Wir sind Werwölfe.«

»Werwölfe?«, wiederholte ich skeptisch, was ihn zu kränken schien. »Ich meine … Wirklich?«

»Wie erklärst du dir sonst, dass ich eben noch ein Wolf war? Kein Hund übrigens.«

»Ich …« Ich steckte hilflos in einem Wirrwarr aus Unmöglichkeiten fest. »Ich kann es mir nicht erklären. Okay, du bist also ein Werwolf. Schön … was auch sonst, richtig?«

Er nickte und ich schaute auf sein Bein, das unter der Decke herauslugte. »Du hast dich nicht verletzt, oder? Als du den anderen gebissen hast?«

»Du meinst Ryan? Na ja, wahrscheinlich habe ich mehr Schläge abbekommen als er. Es hat ihn gar nicht gestört, dass ich an seiner Hand hing.«

Ich konnte ein beinahe hysterisches Lachen nicht unterdrücken. Josh musterte mich neugierig.

»Ich bin Kathleen«, sagte ich schließlich und hielt ihm meine Hand hin. »Freut mich, dich kennenzulernen, Josh der Werwolf.«

»Joshua«, entgegnete er und umfasste meine Hand. »Nur die zwei nennen mich Josh.«

»Oh, entschuldige.« Ich wusste nicht, dass sie sich so nahestanden, nicht nachdem sie sich fast zerfleischt hatten. »Eigentlich wollte ich dir die Hand zur Begrüßung geben.« Er legte den Kopf schief. »Egal. Das zeige ich dir ein anderes Mal.« Mein Blick wanderte zur Uhr. »In ein paar Stunden muss ich zur Vorlesung. Bist du mit dem Sofa einverstanden?«

Er nickte lächelnd.

»Alles klar. Dann geh ich wieder ins Bett. Morgen löchere ich dich mit Fragen zu euch Werwölfen.«

Er grinste noch einmal breit und humpelte ins Wohnzimmer zurück. Momente später schrak ich zusammen. Die Balkontür lag in tausend Einzelteilen auf dem Boden, und der Wind peitschte ins Zimmer. Ich war ihm gefolgt und sah, dass er wie hypnotisiert vor der kaputten Tür stand und den Mond anstarrte. Vielleicht entsprach es der Wahrheit, was man sich über Werwölfe erzählte, ganz davon abgesehen, dass ich mir die Verwandlung nicht anders erklären könnte.

»Wir lassen die Jalousie runter, damit du heute Nacht nicht erfrierst.«

Nachdem ich es Joshua so gemütlich wie möglich gemacht hatte, huschte ich zurück ins Schlafzimmer und unter meine Decke. Was für ein Tag. Niemand würde mir diese Geschichte glauben. Ich konnte es selbst nicht fassen, was mir in den vergangenen Stunden passiert war. Ein verletzter Hund, der sich als Junge und letztlich als Werwolf entpuppte.

Ich erschauderte und kuschelte mich in meine Kissen. Die Erschöpfung erfasste meine Glieder. Den Rest der Nacht würde ich tief und fest schlafen.

4 Verzerrte Realität

Ich konnte den Worten meines Dozenten nicht folgen, geschweige denn, einen vernünftigen Satz zu Papier bringen. All meine Gedanken drehten sich um Joshua und die Werwölfe. Er hatte noch geschlafen, als ich das Haus verlassen hatte, und ich hatte ihn nicht mit Fragen bombardieren können.

Drei Tage gaben die anderen dem Jungen, bis sie ihn holen würden. Schon die Erinnerung an die zwei Männer, die in meine Wohnung eingebrochen waren, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Da fiel mir ein, dass ich meine Balkontür reparieren lassen musste.

Während ich meine To-do-Liste zusammenstellte, beendete mein Dozent die Vorlesung, und ich sprintete aus dem Saal hinaus auf das Campusgelände.

»Hey, Kathy!«, hörte ich eine bekannte Stimme und drehte mich um. Beth, meine Freundin aus Grundschultagen, kam auf mich zugelaufen. Sie balancierte einen Stapel Keilrahmen auf beiden Armen. »Wollen wir uns ins Café setzen?«

»Immer gern, aber ich habe leider schon etwas vor.«

»Was? Doch nicht etwa ein Date?« Sie grinste breit.

»Nein, das nicht.« Es war schon einige Jahre her, dass ich ein echtes Date hatte. »Ich muss noch ein paar Sachen erledigen.«

»Okidoki, dann holen wir das aber nach!«

»Unbedingt.«

Wir verabschiedeten uns, und ich stieg in mein Auto ein, in dem es noch immer nach nassem Hund roch. Ich startete den Motor und drückte aufs Gas. Die Nervosität steigerte sich von Minute zu Minute. Ich wollte mehr wissen, am liebsten alles, was es über diese Werwölfe zu wissen gab. Warum sie existieren und wie solche Wesen unentdeckt in meiner Heimatstadt leben konnten. Ich dachte an die Nacht und daran, dass sie wahrscheinlich alle potenziellen Mitwisser töteten.

Ehe ich den Schlüssel ins Türschloss stecken konnte, hörte ich ein Poltern im Flur, und im selben Moment haschten zwei kleine Hände nach meiner Jacke. Ein Schopf aus aschblondem Haar zwängte sich durch den Türschlitz und der Junge zerrte mich in die Wohnung. Joshua begutachtete mich von allen Seiten und schenkte mir ein leichtes Lächeln. Gestern hatte ich ihm eines meiner alten T-Shirts gegeben, das er noch immer trug.

»Willkommen zurück«, begrüßte er mich. »Ich habe mich schon gefragt, wo du bist. Nicht bei dem Mann, oder?«

»Bei welchem Mann?«, hakte ich verwirrt nach.

»Bei dem von gestern. Der mich verarztet hat.«

»Ach so, Dr. Teger. Nein, aber ich muss später zu ihm.« Meine Antwort schien ihm gar nicht zu gefallen. Mit vorgezogener Unterlippe nahm er auf einem meiner drei Stühle am Tisch Platz.

»Wieso so grimmig? Er hat dir schließlich geholfen.«

»Nein. Er nicht, sondern du!«

Ich ließ mich nicht auf die Diskussion ein und versuchte, das Thema zu wechseln.

»Wie wäre es mit etwas zu essen?« Er nickte heftig und wie auf ein geheimes Zeichen knurrte mein Magen. »Dann deck du den Tisch. Teller sind unten im Schrank und darüber in der Schublade liegt Besteck.«

Während Joshua den Tisch deckte, setzte ich Wasser auf und schnippelte das Hähnchenfleisch, das ich noch im Kühlschrank hatte. Meine Gewürze beschränkten sich auf Salz und Pfeffer, aber letztendlich war ich zufrieden mit der Soße, und Joshua wirkte so, als würde ihm mein bescheidenes Gericht schmecken.

»Also«, begann ich und schaute von meinem Teller auf. »Die Sache mit dem Werwolfsein lässt mich nicht los … Wie … Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.« Aufmerksam beobachtete der Junge mich und meinen hilflosen Versuch zu sprechen. »Wo kommt ihr her?«

»Aus der Stadt.«

»Nein, ich meine, woher kommt der Werwolf in euch?«

»Ich verstehe deine Frage nicht. Wir werden so geboren.«

»Hier?« Meine Stimme klang heiser.

»Überall.« Er kratzte sich am Hinterkopf. »Aber eigentlich soll ich dir nichts sagen. Ryan und Damian werden sonst wütend, und … sie werden dich umbringen. Das gestern war keine Warnung, sondern ein Versprechen.«

Übelkeit überrollte mich, dass mir die Galle den Hals hinaufstieg und sich auf meine Zunge legte. Eisern schluckte ich den Geschmack herunter und räumte beiläufig das Geschirr ab. Ich war wahrlich nicht scharf auf meinen Tod, doch ich wollte mehr über diese Wesen wissen.

»Vermutlich bekomme ich sowieso eine deftige Strafe dafür, dass ich hier bin und dir ihre Namen verraten habe.« Er zog die Beine auf den Sitz des Stuhles und legte seine Arme um die Knie. »Sie waren gestern schon wütend. Sie sind immer wütend auf mich.«

»Bist du deshalb weggelaufen?«

Mit großen, runden Augen guckte er mich an. Ich konnte weder seine Nase noch seinen Mund sehen, aber anhand seines Tonfalls merkte ich, wie ängstlich und kindlich er noch war. Irgendwie vergaß ich das über die Tatsache, dass ein gefährliches Tier in ihm wohnte, das es gar nicht geben sollte.

Nach einer Weile nickte er. »Ich mag sie sehr. Sie sind mein Rudel, aber ich darf nichts.«

»Sie machen sich nur Sorgen. So ist eine Familie nun mal. Meine Mutter sagt mir auch ständig, ich soll die Jacke nicht vergessen und fragt, ob ich genug esse, obwohl ich seit Monaten allein lebe. Das ist vielleicht nervig, aber so ist die Liebe.«

»Ich weiß nicht.«

Vorsichtig schob ich meinen Stuhl an seinen und setzte mich, legte meinen Arm um seine dünnen Schultern. Nach kurzem Zögern lehnte er sich an mich und umklammerte meine Taille. Ich hielt den Atem an, als er zu schluchzen anfing, und strich sachte über seinen Rücken. Was konnte ich tun, um ihn aufzumuntern?

»Du bist so warm«, nuschelte er und kuschelte sich dichter an mich. »Damian und vor allem Ryan wollen immer nur, dass ich das mache, was sie mir befehlen. Ich mag dich jetzt schon lieber als sie.«

Damian und Ryan hießen die zwei ominösen Männer also, überlegte ich beim Abwasch. Joshua würde ich für heute in Ruhe lassen. Mit meinen Fragen stellte ich ihn vor weitere Entscheidungen, die ein Kind in seinem Alter nicht fällen sollte; immer im Hinterkopf die Androhung meines Todes, die für ihn bestimmt ebenso Furcht einflößend war wie für mich selbst.

Unsicher, ob ich ihm eine Beschäftigung geben sollte, kramte ich in meinen Umzugskartons herum, die noch unausgepackt im Abstellraum standen. Leider fand ich dort weder ein Brettspiel noch ein Buch, das ihn interessieren könnte. Nur Staub und alte Bilder. Seufzend kletterte ich heraus und fiel beinahe über Joshua, der vor der Tür gewartet hatte.

»Ich hab hier drin leider nichts gefunden, womit du dir die Zeit vertreiben könntest, wenn ich weg bin.«

»Gehst du zu ihm?« Die Art und Weise, wie er das letzte Wort aussprach, verunsicherte mich, dennoch nickte ich. »Nein, bitte nicht!«

»Was hast du denn?« Ich stieg über ihn hinweg und lief zum Fernseher. »Ich bin nicht lange weg. Nur für ein paar Stunden, so lange kannst du hier tun und lassen, was du möchtest.«

Sein Blick sprach Bände. Er war offensichtlich unzufrieden mit meiner Entscheidung, aber ich konnte mir nicht erklären, warum. Rasch schaltete ich den Fernseher ein und gab ihm die Fernbedienung. Keine pädagogische Meisterleistung, aber ich wusste mir nicht zu helfen.

»Ich kann mich auf dich verlassen, dass meine Wohnung noch steht, wenn ich wiederkomme?«

»Ja.«

»Gut!« Ich wuschelte ihm durchs Haar und er gab ein freches Grummeln von sich.

Trotz seines Nörgelns fuhr ich zu der Tierarztpraxis. Etwas aufgeregt war ich doch, denn bisher hatte ich nie wirklich gearbeitet. Nur ein paarmal als Aushilfe auf kleineren Festen oder einer Hochzeit.

»Guten Tag«, sagte ich leise am leeren Empfang und schaute mich um. Weder Patienten im Wartezimmer noch Angestellte zu sehen. »Dr. Teger?«

»Gideon«, antwortete mir eine Stimme hinter der Anmeldung. Durch den Stapel aus Akten lugten die schwarzen Haare meines Chefs-auf-Zeit hervor. »Es freut mich, Sie zu sehen«, nuschelte er. »Und das Siezen finde ich persönlich sehr unangenehm. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, können wir uns gerne duzen.«

»Ja, natürlich.« Seine freundliche und zuvorkommende Art überraschte mich, obwohl er mir mit meinem verletzten Werwolf geholfen hatte. »Wobei kann ich dir denn helfen?«

»Du müsstest die Akten durchsehen und in digitaler Form abspeichern. Mein Kollege Dr. Mayhew lebt etwas in der Vergangenheit. Jedenfalls möchte ich die Patientendaten allesamt gesammelt auf den Computern haben und die Zettelwirtschaft hinter mir lassen, so weit es geht.«

Er reichte mir den ersten Stapel und führte mich in eine kleine Kammer, in der ein Schreibtisch und Computer standen. Mein neuer, erster Arbeitsplatz. Ohne Fenster. Die einzige Lichtquelle baumelte über meinem Kopf. Gideon bemerkte meine Zurückhaltung offenbar.

»Nicht die beste Atmosphäre, das gestehe ich, aber eine Zeit lang kommst du damit schon zurecht.« Ich nickte und die Tatsache, dass er mich duzte, bescherte mir ein komisches Gefühl in der Bauchregion. »Dann fang mal an, und falls du Fragen hast, mein Büro ist die Treppe hoch rechts.«

Dr. Teger ließ mich allein. Ihn bei seinem Vornamen zu nennen, schien mir falsch. Meine Professoren siezte ich auch, vielleicht lag es daran. Ich musste mich erst daran gewöhnen. Seine zuvorkommende Art fand ich eigentlich recht … schmeichelnd. Ich kniff mir in die Wange und widmete mich dem Zettelhaufen vor mir.

Einige Stunden brauchte ich, um eine gewisse Routine zu entwickeln, doch ab da machte mir die Arbeit tatsächlich Spaß. Je mehr Daten ich eintippte, desto schneller wurde ich, und erst, als Gideon in der Tür stand und mich beobachtete, bemerkte ich, wie spät es geworden war.

»Es war keine schlechte Idee, dass du die Operationskosten abarbeitest«, entgegnete er meinem verwirrten Blick lachend. »Wie weit bist du gekommen?«

»So gut wie fertig.«

»Wirklich? Sehr gut! Ich könnte deine Hilfe nämlich im Behandlungsraum brauchen.«

Ich tippte das letzte Wort ein und folgte ihm in den Raum, wo bereits eine ältere Frau mit einem zotteligen Hund wartete. Die Behandlung verlief problemlos und meine Aufgabe bestand nur darin, den Hund davon abzuhalten, vom Tisch zu springen.

»Wie geht es dem Fundhund?«, erkundigte er sich beiläufig und heftete die Unterlagen des anderen Hundes zusammen.

»Gut, dank dir. Ich bin aber noch auf der Suche nach seinem Besitzer«, log ich, denn Joshua besaß gar keinen Besitzer, nur zwei Bodyguards oder wie man die beiden Einbrecher sonst bezeichnen konnte.

»Das freut mich zu hören. Mein Angebot, dir mit dem Hund zu helfen, steht übrigens noch.«

»Vielen Dank, aber ich kann nicht noch mehr verlangen. Bis jetzt komme ich klar.«

Ich räumte auf und säuberte den Behandlungstisch. Der Zottelhund hatte einiges an Fell gelassen. Nachdem ich gefegt hatte, schlurfte ich durch den Flur und die Treppe hinauf. Die Bürotür stand offen.

»Du bist mir wirklich eine Hilfe«, sagte Gideon, als er seine Tasche zusammenpackte. Die Sonne ging bereits unter. »Sehen wir uns morgen?«

»Ja, morgen kann ich vor meiner ersten Vorlesung vorbeikommen.«

Er lächelte freundlich, hielt mir die Tür auf und begleitete mich in der Dunkelheit zu meinem Auto, bevor er selbst in seines einstieg. Ein richtiger Gentleman, würde nicht nur meine Mutter sagen, sondern auch Beth wäre hingerissen. Zugegeben, ich fand sein Verhalten ebenfalls ausgesprochen erwachsen und nett. Nett war nicht das passende Wort. Meine Wangen röteten sich, je mehr ich über ihn und sein Verhalten nachdachte. Ich sollte mir keine falschen Hoffnungen machen, aber da war dennoch dieses Flattern in meiner Brust.

Zu Hause angekommen, lief der Fernseher. Davor lag ein Haufen aus Decken und Kissen, auf denen Joshua schlief. Ich stieg auf Zehenspitzen zum Gerät, um es auszustellen, trat aber auf eine Tüte Chips. Das laute Knirschen ließ Joshua schreiend hochschrecken. Wie im Wahn schnappte er sich mein Bein und warf mich zu Boden.

»Alles okay«, keuchte ich und rieb mir den Kopf, den ich mir auf dem Boden angeschlagen hatte. »Ich bin’s nur.«

Seine Angst wandelte sich in Freude und rasch umarmte er mich. Gemeinsam rappelten wir uns auf und redeten eine Weile. Als ich ihn so betrachtete, wie er in meinem alten Shirt vor mir stand, überlegte ich, ob ich ihm ein paar eigene Sachen kaufen sollte. Aber wie lange würde er bei mir bleiben?

Joshua wollte alles von meinem Tag bei Dr. Teger erfahren, und ich ließ nichts aus. Fast nichts, denn über meine Gefühle für diesen Mann wollte ich einem Kind nichts beichten. Ich musste meine eigenen Gedanken ordnen. Nichtsdestotrotz mochte ich den Tierarzt, auch wenn Joshua ihm misstraute, aber das war für einen Werwolf wohl normal. Sie misstrauten den Menschen, hielten sich fern von ihnen, um zu überleben.

»Und jetzt ab ins Bett«, forderte ich den Kleinen auf. »Ich muss morgen früh raus.«

»Wohin?« Er zog eine Augenbraue hoch, und sein Tonfall erinnerte mich an den meines Vaters, wenn ich abends mit Freunden ausgehen wollte.

»Zur Arbeit.«

»Nein! Nicht schon wieder.«

»Es geht nicht anders. Ich muss meine Schulden abarbeiten. Du weißt schon, dass ich älter als du bin und auf mich aufpassen kann, oder?«

»So viel älter auch nicht … vielleicht zwei Jahre.«

»Ich bin einundzwanzig!«, entgegnete ich gespielt empört, und er lachte und rollte sich von dem Deckenhaufen aufs Parkett. »Und nun hopp hopp. Ich will schlafen.«

Am nächsten Morgen stand ich mit der Zahnbürste im Mund vor dem Badezimmerspiegel, als es an der Tür klingelte. Mit halb hochgezogener Hose und einem T‑Shirt sprintete ich zur Haustür.

»D-Dr. Teger«, brabbelte ich und schloss die Tür wieder ein Stück. »Was machen Sie denn hier?«

»Das mit dem Duzen müssen wir wohl noch üben.« Er versuchte in meine Wohnung zu spähen. »Verzeih die Störung so früh am Morgen, zumal du in Kürze bei mir in der Praxis aufgetaucht wärst, aber ich wollte mich persönlich nach meinem Patienten erkundigen. Und …« Er zögerte, rieb sich den Nacken. »Und ich wollte sehen, ob es dir gut geht.«

Ich schluckte die Zahnpasta herunter und bemühte mich, gleichmäßig zu atmen. Sein Patient war nicht mehr da, jedenfalls nicht mehr in der Gestalt, in der er ihn erwartete. Ich klammerte mich an der Tür fest, doch allmählich drängte sich die unangenehme Stille auf und nötigte mich, ihn hereinzubitten. Was würde er sagen, wenn der Hund ohne einen plausiblen Grund verschwunden war? Nun hatte ich einen Zwölfjährigen in meiner Wohnung sitzen und eine zerstörte Balkontür, die dürftig mit Kartonstücken abgedeckt war, damit Wind und Wetter nicht hineinkamen. Nun ja, was sollte er schon denken? Keiner würde auf die völlig verrückte Idee kommen, dass ich einen Werwolf beherbergte.

»Die Sache ist d-die«, begann ich stotternd und führte ihn in die Küche. Joshua tauchte auf, und ich hielt die Luft an.

»Haben Sie ihn gefunden?«, fragte der Junge Gideon mit großen Augen, wobei er sich an meinem T-Shirt festhielt.

»Wen soll ich gefunden haben?«, hakte Gideon überrumpelt nach.

»Na, unseren Hund … Nun ja, eigentlich ist es nicht mein Hund, aber Kathleen hat ihn gefunden, und er ist uns gestern Abend weggelaufen.«

Ich hätte ihn umarmen können. Keine Ahnung, wie ihm so schnell eine so gute Ausrede einfallen konnte. Ich war dankbar, obwohl ihm diese Notlüge sehr wahrscheinlich selbst am meisten zugutekam.

»Nein, leider nicht«, erwiderte der Arzt und sah mich an. »Er ist euch entlaufen?«

»Als ich heimkam, stand die Tür offen«, antwortete ich, überrascht, dass ich so selbstverständlich in die Lüge einsteigen konnte. »Es tut mir so leid. Wir haben die Nacht lang nach ihm gesucht, aber ohne Erfolg. So viel Mühe, und jetzt ist er mit der Verletzung ganz allein unterwegs.«

»Mach dir keine Vorwürfe.« Gideon kam auf mich zu, doch Joshua stellte sich dazwischen und täuschte ein Schluchzen vor. Der Mann ließ die erhobene Hand wieder sinken. »Da kann man nichts machen. Vielleicht haben wir Glück und er kommt zurück.« Er klang tatsächlich enttäuscht. »Wirklich schade. Du hast den Hund gerettet und nun so was. Aber es sind Tiere und sie haben einen eigenen Willen. Dann werde ich mal wieder fahren und euch nicht weiter stören oder soll ich dich mitnehmen?«

Bei der Frage heulte Joshua laut auf und drückte sein Gesicht in mein Oberteil. Er spielte seine Rolle fantastisch, und Gideon verschwand noch im selben Moment durch die Tür. Dieses Kind wusste, wie es bekam, was es wollte, und schien nicht das geringste Problem damit zu haben, jedem eine saftige Lüge aufzutischen.

»Das war knapp.« Seufzend atmete ich aus. »Gut gemacht.«

»Ich habe schließlich Übung. Er ist nicht der erste Mensch, der Verdacht geschöpft hat.«

5 Mit offenen Karten hinter verschlossenen Augen

»Wie meinst du das, er hat Verdacht geschöpft?«

»Wieso sollte er sonst hier auftauchen?«

»Aus reiner Höflichkeit?« Gideon Teger hatte mehr als einmal deutlich gemacht, dass er mich unterstützen wollte. »Du machst dir zu viele Gedanken. Er weiß nichts von euch Werwölfen. Für ihn warst du ein Hund, nicht mehr.«

»Und du machst dir zu wenig Sorgen!«

Mit diesem Satz stand er auf und stürmte humpelnd ins Wohnzimmer.

»Ich fahre jetzt!«, rief ich ihm nach. Keine Antwort. »Bin gegen Mittag zurück.«

Keine Reaktion. Genervt machte ich mich auf den Weg, rammte beim Ausparken beinahe den Pfeiler neben den Fahrradständern und musste mich nach diesem Schreck kurz sammeln. Ich war aber auch zu doof. Wieso nahm mich das alles so sehr mit? Und wie hätte es mich auch nicht beschäftigen können? Werwölfe. Ich verstand die Welt nicht mehr, habe sie vielleicht auch nie richtig verstanden.

Auf der Straße reihte sich Auto an Auto. Die Ampeln schienen allesamt auf Rot zu stehen. Was, wenn Dr. Teger wirklich etwas von den Werwölfen wusste? Aber wie und woher? Vielleicht wusste er, dass der vermeintliche Hund eher ein Wolf war, doch warum hatte er nichts gesagt? Würde er denn jemanden mit einem Wolf nach Hause fahren lassen?

Als ich endlich in der Praxis eintraf, war das Wartezimmer voll und stickig. Ich drängte mich durch die Leute an der Anmeldung, wo Dr. Mayhew sich um seine Patienten kümmerte. Eigentlich wollte ich in mein Kämmerchen, aber Gideon hielt mich vorher auf.

»Gut, dass du da bist«, sagte er erschöpft und rieb sich den Schweiß von der Stirn. »Ich brauche dich im Behandlungszimmer.«

Dieser Tag war der absolute Horror. Ich konnte mich bereits in der Mittagspause nicht mehr daran erinnern, was ich alles gleichzeitig erledigt hatte. Gideon hatte mich vom einen ins andere Zimmer geschickt, wo ich stets sofort in Beschlag genommen wurde. Erst jetzt, wo ich auf dem Stuhl in der Küchenecke saß, bemerkte ich, dass meine Hand blutete.

»Kathleen.« Dr. Teger nahm meine Hand in seine und schaute sie an. »Das müssen wir schnell versorgen, nicht, dass sich die Wunde entzündet.«

Mit routinierten Griffen verband er meine Hand. Keine Ahnung, wann und wobei ich mich verletzt hatte.

»Geht es dir gut?«, hakte er nach und setzte sich auf die Bank gegenüber von mir. »Heute war es stressiger als sonst. Habe ich dich überfordert?«

»Nein, nein. Alles in Ordnung, keine Sorge.«

»Und wegen meines Besuchs heute Morgen möchte ich mich nochmals entschuldigen. Das war unangebracht, aber ich konnte nicht vergessen, dass du allein mit einem verletzten Hund zu Hause sitzt, deine Freizeit für die Praxis opferst und nebenbei noch studierst. Ich wollte sichergehen, dass du nicht unter zu großem Druck stehst.«

Also schöpfte er keinen Verdacht, dass mein verletzter Hund ein Werwolf sein könnte, sondern sorgte sich um meine Gesundheit. Ich presste die Lippen aufeinander, rieb mit einem Finger über den frischen Verband an meiner Hand und schluckte den Kloß in meinem Hals herunter.

»Du hast dich nur um den Hund gesorgt«, erwiderte ich nüchtern. »Ich war überrascht und hatte nicht mit dir gerechnet, aber ich … danke, dass du dir so viele Gedanken machst.«

»Und du lebst mit einem Kind zusammen, um das du dich anscheinend auch noch kümmerst. Ist er dein Bruder?«

Das war eine private Frage, die mich aus der Fassung brachte. Sie versetzte mir einen Stich, weil ich wusste, dass unsere gemeinsame Zeit von Beginn an begrenzt war. Sobald das Geld für die Operation abgearbeitet war, würde er meine Hilfe nicht mehr brauchen und ich mich meinem Studium widmen – und eventuell der Sache mit den Werwölfen.

»Ähm, so in etwa. Er ist der Sohn meines Bruders und wohnt für ein paar Tage bei mir.«

»Verstehe. Du bist bemerkenswert.«

Ich neigte den Kopf. Mit einem Kompliment hatte ich nicht gerechnet, und er zog sich etwas zurück. Unsere Blicke trafen sich kurz, aber seiner jagte elektrisierende Schauer über meine Arme. Ich strich meine Hosenbeine glatt, um die Hirngespinste auszublenden, die meinen Verstand vernebelten.

Gideon schmunzelte, schenkte sich einen Kaffee ein und huschte in sein Büro. Meine Schicht war für heute vorbei, also verabschiedete ich mich von ihm, setzte mich ins Auto und ließ mich von dem Strom auf der Straße mitziehen. Eine kleine Verschnaufpause, bevor ich mich Joshua stellen musste.

Das sinnlose Herumfahren brachte mir leider nichts außer ein schlechtes Gewissen, weil mein Sprit sich dem roten Ende der Tankanzeige näherte. Ich bog gerade auf die Hofeinfahrt ein, da lief es mir plötzlich eiskalt den Rücken herunter. Ich hatte das eindeutige Gefühl, dass mich jemand beobachtete, aber ich war unsicher, von wo. Am liebsten wäre ich gar nicht ausgestiegen, biss aber die Zähne zusammen, drückte die Tür auf und – das Gefühl verpuffte. Einfach so. Trotzdem schaute ich mich um, musterte die Bäume und Sträucher, entdeckte jedoch nichts Verdächtiges.

Im Treppenhaus kam mir der Familienvater von nebenan entgegen und grüßte freundlich. Er schleppte zwei volle Müllbeutel vor sich her, und auf der engen Treppe stießen wir gegeneinander. Essiggeruch drang durch das Plastik, und ich beeilte mich, wollte in meine Wohnung und am liebsten gleich ins Bett, doch da warteten noch Joshua und meine Vorlesungen am Nachmittag auf mich.

Ich schloss die Wohnungstür auf und schlüpfte eilig in den Flur, als würde ich etwas oder jemanden verstecken. Verhielt ich mich die ganze Zeit schon so? Dann war es kein Wunder, dass Dr. Teger mir nicht zu glauben schien. Ich fragte mich ja selbst in allzu regelmäßigen Abständen, ob mein Oberstübchen noch funktionierte. Werwölfe? Meine gesamte Weltansicht hatte sich in den letzten achtundvierzig Stunden komplett gewandelt, falls ich nicht träumte.

Sicher war das hier kein Traum. Joshua saß mit verschränkten Armen auf meinem Sofa, vor ihm eine leer gefutterte Schachtel Kekse. Meine Notfallration, wie ich frustriert feststellen musste.

»Ich bin wieder da«, entgegnete ich seinem Schweigen. »Gegessen hast du ja schon.«

Eigentlich wollte ich nicht so gemein zu ihm sein. So patzig. Ich wünschte mir, ihm näherzukommen und etwas über sein Leben, sein Dasein als Werwolf zu erfahren. Stattdessen setzte ich mich allein in die Küche und dachte darüber nach, dass Gideon Teger heute Morgen vor meiner Tür gestanden hatte. Hatte er sich vielleicht etwas erhofft? Dass sich etwas zwischen uns entwickeln könnte? Nein, ich wollte mir eine Beziehung mit ihm, mit jemandem, den ich gar nicht richtig kannte, nicht einmal vorstellen. Oder doch? Mein rumorendes Inneres schien da anderer Meinung zu sein als mein Verstand.

Ich legte meine Stirn auf den kühlen Holztisch und seufzte laut. Neben diesem Durcheinander stand noch der Besuch der anderen beiden Werwölfe, Damian und Ryan, aus. Meine Erinnerungen an die beiden waren nicht sonderlich erfreulich. Zwei dunkle Gestalten, die nicht nur in meine Wohnung eingebrochen waren, sondern mich darüber hinaus bedroht und verletzt hatten. Ein kalter Schauer zog sich meine Wirbelsäule hinab, als ich den Karton betrachtete, der als provisorische Glasscheibe funktionierte.

Leise, tapsige Schritte weckten mich aus meinen Gedanken. Ich spürte seinen Blick im Nacken, doch Joshua sagte eine ganze Weile nichts, stand nur im Türrahmen. Mein Kopf lag noch immer auf dem Tisch, und ich rang mit mir selbst. Aufstehen oder sitzen bleiben?

»Kathleen«, murmelte er. »Ich …«

Ich reckte mich und drehte mich auf dem Stuhl zu ihm um, die Rückenlehne zwischen den Beinen. Er schaute nach unten, scharrte mit dem linken Fuß auf dem Parkett und nuschelte etwas.

»Komm her«, flüsterte ich sanft und er guckte sofort in meine Richtung. Ich breitete die Arme für eine Umarmung aus, aber er zögerte. »Ich möchte unsere verbleibende Zeit nicht mit Streiten vergeuden.«

Er schluckte sichtbar und lief auf mich zu. Nur die Stuhllehne trennte uns, aber ich konnte seine Wärme spüren und war mir sicher, dass er auch meine spürte. Obwohl wir weder viel gesprochen noch viel Zeit miteinander verbracht hatten, fühlte ich mich ihm nah und wünschte, die anderen würden ihn nicht abholen.

»Entschuldige«, wimmerte er leise. »Aber ich habe Angst vor diesem Mann.«

»Schon gut.« Meine Hand wuschelte durch sein aschblondes Haar. »Du bist hier sicher, dafür sorge ich, und Gideon kann dir nicht gefährlich werden. Er scheint sich damit abgefunden zu haben, dass uns der vermeintliche Hund weggelaufen ist.«

Nickend ging er zu einem der freien Stühle rüber. Seine Augen funkelten. Kleine Tränen hatten sich darin gesammelt.

»Wir müssen vorsichtig sein. Wir wissen nie, wer von unserer Existenz erfahren hat und wer uns Böses will. Deshalb sollte ich auch nicht hier sein«, erklärte er mir mit einem entschuldigenden Unterton in der Stimme.

Es klang so, als würde er die Worte herunterbeten. Als hätte sie ihm jemand immer und immer wieder vordiktiert, damit er sie auf ewig verinnerlichte. Seine Hände lagen locker auf seinen Beinen, aber er wirkte erschöpft und angespannt zugleich.

»Ich will nicht, dass sie kommen.«

»Sie?«

»Mein Rudel.« Er kniff die Augen zusammen. »Ich möchte bei dir bleiben.«

»Wieso?« Bisher hatte ich nicht damit gerechnet, dass es ihm hier bei mir gefiel. Ich ließ ihn schließlich die meiste Zeit des Tages allein und meine Kochkünste ließen zu wünschen übrig.

»Weil du so … so lieb zu mir bist. Auch wenn wir uns gestritten haben, du bist nicht böse auf mich, weil ich dir widersprochen habe, oder?«

Ich schüttelte verwirrt den Kopf.

»Ryan ist immer böse auf mich. Ich mache immer alles falsch.«

»Sie machen sich nur Sorgen um dich. Du bist immerhin der Jüngste von euch.«

»Aber ich muss stark sein!«

Stark wofür, wollte ich fragen, aber ich brachte diese Worte nicht heraus. Ein kühler Luftzug kam vom Flur in die Küche gefegt und brachte meine Haut zum Kribbeln. Sogleich sprang ich auf, meine Sinne geschärft. Ich wartete auf Geräusche, wie beim letzten Mal, allerdings blieb alles ruhig. Zu ruhig.

»Sind sie es?«, erkundigte ich mich mit gedämpfter Stimme bei Joshua.

»Ja«, erwiderte er düster. »Und sie sind zu früh!«