Auf Magellans Spuren - Peter Wittich - E-Book

Auf Magellans Spuren E-Book

Peter Wittich

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Beschreibung

Schon als Junge packte Peter Wittich die Sehnsucht nach dem Meer. Sein Beruf als Projektleiter für Seemessungen und Positionierung von schwimmenden Bohranlagen und Forschungsschiffen führt ihn schließlich auf alle Meere dieser Welt. Auf seinen Reisen zu Land und zu Wasser hat er Menschen getroffen, die er nicht mehr vergessen wird, Landschaften und Orte gesehen, die sich in seine Erinnerung eingebrannt haben. Auf die Spuren von Magellan führen Wittichs Wege von den Falkland-Inseln über Feuerland und Patagonien in die vergessene Welt am Sungai Dinding in Malaysien, zu den weißen Stränden von Nordborneo und um das Kap der Guten Hoffnung nach Singapur, der Perle des Orients, durch die Bayous im Mississippi-Delta zum Golf von Mexiko, auf der Themse in die Nordsee bis Dänemark und den Ärmelkanal bis Penzance und zurück in den stürmischen Südatlantik. Akribisch und mit liebevollem Blick hat Peter Wittich seine Erlebnisse und Eindrücke aufgezeichnet. Seine außergewöhnlichen Geschichten sind das Ergebnis einer Lebenseinstellung, die die Offenheit für Neues und das Fernweh als Prinzip verstehen.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Mit Magellan zu den Wellen der großen Meere

Teil 1 - Die Falkland-Story

Der Flug des Albatros

Von Montevideo in den kalten Süden

Mit Umsteigen in Santiago de Chile

Stanley

Rolling home ... bye-bye, Stanley

Teil 2 - An fernen Ufern - auf dem blauen Meer

Die vergessene Welt am Sungai Dinding

Gestrandet – der wilde Wilf mit seiner noblen Maggie

Das weiße Boot und der Traum des weißen Mannes

Unter dem Kreuz des Südens

Der zuverlässige Retter im Inselparadies

Auf großer Fahrt

Die Reise war ihr Ziel – und nächstes Jahr fahren wir in die Schweiz

Nicht die Seniorenresidenz

Der große Strom

Das Geschäft auf dem Wasser

Das harte Schicksal der vier Freunde

Das Gesicht im Wasser – Telepathie oder Fantasie

Der Ginpalast

Peter Wittich

Auf Magellans Spuren

Ein Schweizer auf den Meeren der Welt

danzig & unfried

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© danzig & unfried, Wien, 2020www.danzigunfried.comGesamtherstellung: danzig & unfried | content designISBN 978-3-902752-63-5 (Print)ISBN 978-3-902752-64-2 (E-Book, PDF)ISBN 978-3-902752-65-9 (E-Book, EPUB)

Mit Magellan zu den Wellen der großen Meere

Ein fremdes, märchenhaft klingendes Wort, wie etwa Magenbrot vom Jahrmarkt nach den Herbstferien, und doch ganz anders, nicht greifbar. Ein Wort, das in der frühen Gedankenwelt Fantasien weckte, die im Heranwachsen konkrete Formen anzunehmen begann, eine Sehnsucht nach Unbekanntem, eben Märchenhaftem, was damals mitgeholfen hatte, den Begriff Heimat zu prägen. Die Zugehörigkeit zu etwas, das weit über dem täglichen Rahmen einer wohlbehüteten Jugend mit dem jährlichen Geschmack des Magenbrotes lag. Bausteine für diese grenzenlose Welt lagen haufenweise in den dicken ledergebundenen Büchern von Meyers Lexikon aus dem Jahr 1900, in denen der Naseweis mit Großmutters Einverständnis, allerdings erst nach Waschen der Hände, auf dem Stubenboden kauernd stundenlang stöbern durfte, noch ehe er die verschnörkelte Druckschrift lesen konnte. Die Bilder fremder, komisch aussehender Menschen, ganz anders oder auch gar nicht bekleidet, unbekannte Landschaften, wilde Bergmassive, Urwälder mit gefährlichen Tieren, Wüsten mit Kamelen, große Maschinen und Schiffe, so groß wie Häuser, die auf den Meeren fuhren, nahmen den unersättlichen Wunderfitz in ihren Bann. Fernrohre, mit denen man die Sterne besser sehen konnte, vielleicht ja auch den Mann im Mond, zu dem er jeweils in Vollmondnächten zaghaft Ausschau hielt, flößten Respekt ein. Abends blätterte er fast ängstlich in Peterchens Mondfahrt. War diese Geschichte vielleicht wahr?

Der Magellan soll auch eine Straße haben, über die man von einem Meer ins andere gelangen konnte, ohne das gefährliche Kap Hoorn zu umfahren, dort, wo die bösen Winde Schiffe versenkten und wo dann die tapferen Seeleute als Helden ertranken. Ein großer Vogel, der Albatros, soll ihre Seelen in die Ewigkeit tragen. Mit dieser Abkürzung, die man Straße nannte, soll Magellan nach langem Suchen einen sicheren Weg um die ganze Welt gefunden haben. Eine Straße, die nicht aus Kies und Asphalt, sondern nur aus Wasser bestand, auf dem die Schiffe fahren konnten.

In kurzer Hose stand der kleine Junge barfuß auf dem Rheindamm, schaute zum gegenüberliegenden, mit Schilf bewachsenen, Ufer. »Ist das nun auch eine Straße?«, wunderte er sich. Das Zwei-Uhr-Dampfschiff legte an, ein paar Leute stiegen aus, zwei Wartende stiegen ein. Möwen stritten kreischend um Küchenabfälle, die der Schiffskoch über Bord geworfen hatte. Der alte Schiffsanbinder mit grauem Kittel und blauer Dienstmütze, zog den Rollsteg zurück aufs Land, hob das Tau über die Dalbe, worauf der Dampfer die Weiterreise mit einer zischenden Dampfwolke angekündigte. Der alte Mann mit der Mütze winkte dem entschwindenden Matrosen am nun geschlossenen Eingang zu. Dieser erwiderte den Gruß und beantwortete auch das bescheidene Winken des Jungen mit der rechten Hand. Sie kannten sich, wenn auch nur vom Sehen. Immer schneller drehten sich die riesigen mit oranger Farbe bemalten Schaufelräder. Das klopfende Geräusch beim Eintauchen der Blätter ins blaue Wasser war noch zu hören, obwohl das Schiff bereits hinter den Schilfspitzen der ersten Flussbiegung verschwunden war.

Beim Magellan soll es kälter sein als hier im Winter? Das überstieg die junge Vorstellung. Von Ferien im Tessin wusste er ja ganz genau, dass es im Süden, also südlich der Alpen, heiß war. Also musste es noch weiter im Süden noch heißer sein. Auch soll es dort Sterne geben, die man das Kreuz des Südens nennt, so wie im Norden den Polarstern. »Kannst du mir das Kreuz des Südens zeigen?«, fragte er seinen Vater, als sie zusammen den Polarstern orteten.

»Nein, das können wir von hier aus nicht sehen, denn es ist weit unter dem Horizont«, war die Antwort. »Aber zeigst du es mir, wenn wir das nächste Mal über den Gotthardpass in den Tessin fahren?«

»Auch von dort können wir es nicht sehen, denn nur etwas nördlich des Äquators könntest du es sehen!«

»Können wir dorthin gehen?«

»Das kannst du, wenn du erwachsen bist und etwas gelernt hast. Dann kannst du dir diesen Traum erfüllen!«

»Wenn ich Kapitän eines großen Schiffes werde, könnte ich es dann sehen?«

»Wenn das Schiff in den Süden fährt und falls du dann Kapitän bist, dann schon«, antwortete der Vater nach langer Bedenkzeit.

»Papa, ich will Kapitän werden!«, jubelte er mit jugendlicher Begeisterung.

»Dann wirst du sehr lange fort sein, du wirst uns lange nicht sehen und wir, wir werden dich vermissen, deine Mama, deine Geschwister, deine Freunde«, beschloss der Vater das Gespräch.

Der Wunsch hat ihn nie mehr in Ruhe gelassen. So war es nicht verwunderlich, dass er jede Gelegenheit, irgendwie in die Nähe oder gar auf das große Wasser zu kommen, ergriffen hatte. Die große Gelegenheit, für längere Zeiten salzhaltige Luft zu atmen, ergab sich erst gegen Ende seiner beruflichen Tätigkeit, durch Einsätze als Projektleiter für Seemessungen und Positionierung von schwimmenden Bohranlagen und Forschungsschiffen auf den Meeren rund um die Welt. Auf den großen Wellen und an den fremden Küsten bestätigte sich die globale Zugehörigkeit im Gegensatz zu Sehnsucht nach dem Ort seiner Jugend, genannt Heimat. »War ich nicht schon mal hier? Gibt es das wiederkehrende Erdenleben? Was ist mit den Mitbewohnern jener Zeit? Würde man sie erkennen, so wie man die visuelle Umgebung erkennt, ein Teil davon wird?«

Vom heimatlichen Ufer brechen wir mit großer Gewissheit auf, sagte er sich, um früher oder später wieder dorthin zurückzukehren. Beim Abschied von einem Ort, an dem er sich auf irgendeine Art wohlgefühlt hatte, ergriff ihn jeweils ein trauriges, oft beklemmendes Abschiedsgefühl, da er diesen Ort in absehbarer Zeit wohl nie mehr sehen werde. Blicke aus dem kleinen Fenster des steigenden Fluges auf schnell dahinschwindende Landschaften, das enteilende Lichtermeer einer Stadt oder der Blick von der Reling des auslaufenden Schiffes auf langsam verschwindende Hafenlichter, bekannte Umrisse, bis über dem offenen Horizont, wo das Meer der Sterne, die Wolken und die Wellen die Funktion der Heimat auf Zeit übernehmen.

* * *

Mengalum, eine unbewohnte Insel im Südchinesischen Meer, etwa eine Stunde Bootsreise von der Küste Nordborneos entfernt, diente den Fischern als Basis, beherbergte noch zur Zeit der Radionavigation eine Basisstation. Heute ist es auch beliebtes Ziel der FKK-Liebhaber.

Der Autor auf dem Anker auf der Mengalum-Insel.

In einer Bucht liegt ein Anker, von dem Historiker sagten, dass ihn ein Schiff der Flotte von Magellan 1521 verloren hätte. Neuere Untersuchungen haben dann allerdings ergeben, dass es sich um einen britischen Richard-Pering-Langschaftanker aus Schmiedeeisen handelt, wie sie zwischen 1819 und 1845 hergestellt wurden. Man nimmt an, dass der Anker von einem Schiff zurückgelassen wurde, da seine Fluken abgebrochen waren. Erstmals wurde er 1854 vom Kapitän der H.M.S. Saracen im Logbuch erwähnt.

Für die Fischer von den Suluk-Inseln und für die Bajau von den Philippinen, ist der Anker eine Gedenkstätte, an der für guten Fang und sichere Heimkehr geopfert wird. Auch glauben sie daran, dass sie durch den Geist des Ankers mit Leuten in der Ferne, und mit verstorbenen Bekannten kommunizieren können.

Magellan wurde am 27. April 1521 in Mactan auf den Philippinen von aufgebrachten Einwohnern ermordet, worauf die Flotte von nur noch drei Schiffen bis nach Brunei an der Küste Nordborneos im Südchinesischen Meer fuhr. Dort wendeten sie nach kurzem Aufenthalt, um Borneo um die Nordspitze zu umfahren und durch den indonesischen Archipel die Heimreise ums Kap der Guten Hoffnung anzutreten.

Vergessen hat man Magellan in Borneo trotz der Enttäuschung wegen des Ankers nicht, denn ein Hotel in Kota Kinabalu mit allem modernen Zubehör, wie einer Marina, trägt den Namen des berühmten Besuchers. Ausflüge mit der romantischen Nordborneo-Schmalspur Eisenbahn und Touren zum Gipfel des höchsten Berges Borneos, dem 4095 Meter hohen Mount Kinabalu, gehören zum Angebot.

Das Magellan-Riff nördlich von Palawan, unsichtbar, bewacht von den drei Felsnadeln, den Tres Reyes, lauernd auf Seefahrer, die Mindoro zu nahe umrunden wollen.

Ein Projekt im Süden Argentiniens brachte die lang ersehnte Gelegenheit, die Magellanstraße und die Leute kennen zu lernen. Es war kurz nach dem verlorenen Falklandkrieg, als man, wie zum Trost, eben Fußballweltmeister geworden war. Das lachende Gesicht Diego Maradonas strahlte landauf, landab neben den Plakaten »Las Malvinas son Argentinas«, dem lokalen Namen für die umstrittenen Inseln, wo es Erdöl in Massen geben soll. Das nördliche Ufer der Magellanstraße, das Ende Patagoniens, galt als Militärzone, was hieß, dass der Aufenthalt nur während Tageslicht und auch dann nur mit Spezialbewilligung erlaubt war.

Teil 1

Die Falkland-Story

Eher verhaltene Freude auf einen Öl-Boom

Der Flug des Albatros

Ich bin der Albatros, der am Ende der Welt auf dich wartet.Ich bin die vergessene Seele der toten Seeleute,die Kap Hoorn ansteuerten von allen Meeren der Erde.Aber sie sind nicht gestorben im Toben der Wellen.Denn heute fliegen sie auf meinen Flügeln in die Ewigkeitmit dem letzten Aufbrausen der antarktischen Winde.von Sara Vial

»Das sind die schönsten Sturmvögel, die ich je gesehen habe«, sagte ich mit heller Begeisterung, von der Brücke den eleganten Flug der weißen Vögel mit dunkeln Flügeln und dem etwas gehakten Schnabel beobachtend. Über den scharfen Augen bemerkte ich einen schwarzen, länglichen Fleck, eine Braue. »Deshalb sind das Schwarzbrauenalbatrosse oder Mollymauks«, erklärte mir Kapitän Willem, als erfahrener Seemann meine Begeisterung teilend. Sie sind etwas kleiner als die Sturmpetrel, mit denen sie um die Wette das Motorschiff Polaris umkreisten.

Mit einer Geschwindigkeit von fünfzehn Knoten, direkt in den stetig zunehmenden Gegenwind, waren wir auf südlichem Kurs unterwegs zu den Falkland-Inseln. Ab und zu zerschlug der Bug eine der hohen Südatlantikwellen, was das aufgeschäumte Wasser über das Vordeck bis gegen die Fenster der Brücke krachen ließ.

»Der Schaum wäre mir lieber im Bierglas als auf der See«, meinte Willem, den eine unerwartete Welle beinahe vom Stuhl geworfen hätte, als er sich für einen Augenblick durch eine nicht brennen wollenden Zigarre ablenken ließ. Tief tauchte der Bug ein, um von der nächsten Welle wieder in die Höhe getragen zu werden.

Die Vögel eiferten um die Wette, wer am nächsten und am tiefsten den Bug des Schiffes umrunden konnte. Sie kamen hoch am Wind auf Brückenhöhe der Backbordseite entlang, ließen sich dann kurz vor dem Bug bis nahe zum Wasser abfallen, um dann auf der Steuerbordseite wieder aufzutauchen, dem Rumpf entlang zum Heck zu schießen und über den Wellen hoch in die Lüfte zu steigen, um dann gleich die nächste Runde einzuleiten. Bis zu zwei Runden ohne einen einzigen Flügelschlag beobachteten wir mit großer Bewunderung.

Weiter auf dem Weg gegen das Kap Hoorn mischte sich ab und zu ein Wandernder Albatros unter die reguläre Schar der Sturmvögel. Fasziniert staunten die Beobachter, wie die großen Vögel mit Flügelspannweite bis zu drei Metern mit der Flügelspitze das Wasser in den Wellentälern berührten, dann mit Auftrieb steil an der anrollenden Welle ohne Flügelschlag in große Höhen zu steigen. Sie sollen bis zu vierzig Jahre alt werden, brüten in Süd-Georgien, verbringen aber die meiste Zeit auf dem offenen Meer, wo Tintenfische oder die Überreste der Fischerboote als tägliche Nahrung dienten.

Die kleineren Petrel sind dunkel, haben aber dieselbe kräftige Schnabelform. Keiner dieser Vögel kennt irgendein hörbares Geräusch zur Kommunikation, schweigend segeln sie stolz durch die Lüfte. Ihre großen Augen beobachten den Zuschauer an der Reling bei jedem Vorbeiflug ganz genau. Wagten sie sich etwas näher heran, war ich geneigt, die Hand auszustrecken, um eine Flügelspitze zu berühren, unterließ es aber, aus Furcht, die neuen Freunde zu verunsichern und vielleicht sogar zu vertreiben.

»Ach was, die sind sich der Überlegenheit bewusst und wissen ganz genau, dass du ihnen nichts anhaben kannst oder willst. Sie wollen dich nur necken«, sie denken wohl: »Versuchs doch, komm, tauch zwischen die Wellen, um dann hoch in die Lüfte zu schießen. Das kannst du ja nicht, bist angebunden an deine Welt, an deinen rostigen Kahn. Und falls du es dir anders überlegst, weißt du ja, dass bei uns beim Kap Hoorn deine Seele für die Ewigkeit eine Heimat finden wird!«

Unterbrachen wir die Fahrt, um Messungen auszuführen, setzten sich viele der Vögel auf der Leeseite auf das geschützte Wasser und beobachteten, was nun weiter geschehen soll. Von den Fischerbooten wussten sie, dass nun die Netze oder Leinen eingezogen werden und dass Beute zur Genüge an der Wasseroberfläche leicht zu erhaschen sei. Nahmen wir die Fahrt wieder auf, gingen auch die Rundflüge weiter. Nach ein paar Runden des Einfliegens wurden sie wieder mutiger, sich wieder bis auf weniger als einen Meter anzunähern. Wollten sie uns wirklich mit ihrer Freiheit necken? Zeigen, wer die Herren der Lüfte über dem Südatlantik sind?

»Was für Feinde haben diese Riesenvögel?«

»Die Fischer, denn an Angeln gefangene Fische können mit Angel und Teil der Leine Fang der hungrigen Vögel werden, denn nur selten nimmt sich ein Fischer die Mühe, den ungewollten Fang von der Angel zu befreien, Zeitverschwendung. Aber eine eigentliche Gefahr für den Vogelbestand ist es nicht, schon gar nicht für die Schwarzbrauenalbatrosse, von denen große Mengen bekannt sind«.

Kein Seemann wird jemals einem Sturmvogel absichtlich etwas zuleide tun, denn der traditionelle Glaube, dass die Seele der gestorbenen Seeleute im Flug des Albatros weiterlebt, hat sich bis heute als traditioneller Aberglaube erhalten.

Von Montevideo in den kalten Süden

Begleitet von den letzten roten Strahlen der untergehenden Sonne liefen wir bei Hochwasser aus. Von der Reling hingen die letzte Blicke an der verschwindenden Stadt.

»Gott sei Dank, mir ist das Geld schon lange ausgegangen!«, jammerte der junge Andy nach ersten Erfahrungen mit dem Charme südamerikanischer Umgebung. »So ein teures Pflaster, und was habe ich nun davon?« Oder der lebenslustige, welterfahrene Medic: »War mir aber ein paar Dollar wert, ein paar schöne Stunden, die ich nie vergessen werde. Ich hoffe sehr, dass wir nach der Arbeit wieder für mindestens eine Nacht hier vorbeikommen werden.«

Die Wellen brachen über die äußere Mole und ließen Gischt vom Abendwind in die Stadt treiben. Die schweren Wellen übernahmen unser Schiff, sobald wir nach der Ausfahrt mit einer Kursänderung direkt in die große See stachen. Der Bug hob sich an und krachte zurück ins Wellental. Nach einer Seemeile verabschiedete sich der Lotse von der Brücke und schwang sich elegant durch die offene Lotsentür in die kräftigen Arme der Crew des wartenden Hafenbootes. Ein letzter Gruß und das klein erscheinende Boot nahm Kurs auf die Hafeneinfahrt. Montevideo ade, Rio de la Plata hasta luego, der Südatlantik erwartete uns. Im Abendrot verschwanden die Türme von Montevideo.

Yin und Yang sind zwei Begriffe der chinesischen Philosophie, insbesondere des Taoismus. Sie stehen für polar einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene Kräfte oder Prinzipien.

Am nächsten Morgen war alles Land außer Sichtweite, nur der blaue Horizont war geblieben. Weit im Westen lag die argentinische Küste. Ein seltsamer Traum hatte mich während der Nacht aufgeweckt. An meinen zwei chinesischen Boading-Metallkugeln, mit denen ich durch Gegeneinanderrollen in einer Hand vitale Energie von den Fingern durch den Körper senden konnte, waren die Yin-Yang-Zeichen aus der Cloisonné-Beschichtung herausgefallen. Jeglicher Versuch, sie wieder einzulegen, scheiterte. Beunruhigt stand ich auf, stellte aber fest, dass die Kugeln noch ganz waren. Beim Versuch, den Traum zu deuten, beunruhigte mich die mögliche Deutung, dass ich meine Ausgeglichenheit verloren hatte, dass den sich entgegengesetzten Kräften die aufeinander bezogenen Prinzipien als Gegenpol abhandengekommen waren »Aber wieso?«, tröstete ich mich mit der Tatsache, dass ich von Traumdeutung nicht viel verstand. Trotzdem sah ich im Traum einen Fingerzeig, in nächster Zukunft in einer Welt, die mir neu war mit spezieller Umsicht vorzugehen. Oder war der tiefere Grund ein bevorstehendes Wiedersehen mit der Vergangenheit? – Die Magellan-Straße, die mir beim ersten Besuch bekannt wie die Heimatufer erschien.

Da nun vollkommen wach und ziemlich beunruhigt, begab ich mich an Deck in der Hoffnung, an der frischen Luft meine Gedanken zu klären. Ein wunderbarer Sternenhimmel begrüßte mich. Über dem Bug fand ich das Kreuz des Südens noch knapp über dem Horizont. Ein Viertel des zunehmenden Mondes stand im Osten, und die Planeten erkannte ich an ihrer Helligkeit und Größe. »Das hat sich nicht geändert seit Magellans Zeiten! Dieselben Winde, dieselben Sterne und wohl dieselben Vögel. Nur die Geschwindigkeit war anders und das Bewusstsein der Position.« Er wusste noch nicht, wo die Magellan-Straße war, denn das war ja, was er suchte, einen Weg in ein anderes Meer, von dem er nur ahnen konnte und den er finden wollte, was immer es koste, Entbehrungen, Krankheiten oder gar Unzufriedenheit bis zur Meuterei auf einem seiner Schiffe.

»Onassis, wie kommst du zu deinem Namen?«, fragte ich den jungen indonesischen Steward, als der in einer freien Minute an die Reling gelehnt eine Kretek-Zigarette drehte. Sichtlich erfreut über meine Frage erzählte er mir: »Mein Vater war Koch auf dem Tanker Onassis. Er war einer der wenigen, die den Untergang des Schiffes überlebt hatten. Da ich kurz darauf geboren wurde, gab mir mein Vater aus Dankbarkeit diesen Namen.« Der scheue Onassis litt unter Heimweh, denn sein einziger Landmann an Bord war nicht Mohammedaner, kam aus Jakarta und war auch an Dienstjahren bei der Firma viel älter. So war er, als Einwohner von Sulawesi, ein oft belächelter Außenseiter, ohne Unterstützung oder Verständnis von den Offizieren. Dazu wurde das Verhältnis zum friesländischen Koch auch wegen Sprachschwierigkeiten weiter erschwert, da seine schwachen Englischkenntnisse zu folgenschweren Missverständnissen führten. Indonesische Seeleute arbeiteten mit einem Neun-Monate-Vertrag, während europäische Kollegen höchstens für drei Monate fuhren, ehe sie einen Monat Heimaturlaub erhielten. Neun Monate sind eine lange Zeit, speziell auf einem Forschungsschiff, das bis zu sechs Wochen auf See und dann 24 Stunden im Hafen für Unterhalt, Nachschub, Auftanken und Personalwechsel verbrachte. Viel lieber fahren Seeleute auf Handelsschiffen von einem Hafen zum anderen, sie sind selten länger als drei Wochen auf See. Hafenaufenthalte waren länger, ebenso die Landgänge. Seeleute aus dem Orient benutzen diese Gelegenheiten, um zuhause anzurufen. »Eine ganze Schwangerschaft«, sinnierte Onassis, »du kannst dein Baby in die Arme nehmen, das du im letzten Urlaub gezeugt hast!«

Die Besatzung unseres 70 Meter langen Forschungsschiffes, MV Polaris, registriert in Valletta, bestand aus Kapitän, Erstem Offizier oder Mat, die sich das Führen des Schiffes teilten. Die Maschinen betreute der Chefingenieur mit zweitem und drittem Ingenieur. Dann gab es noch zwei Matrosen, den Koch und den Steward, eben Onassis. Da die Matrosen keine Wache mehr schoben, arbeiteten sie von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends an fünf Tagen. Sie waren verantwortlich für die Sauberkeit des Schiffes und führten auch kleine Reparaturen aus. Verschwunden sind die Deckjungen, der Steuermann und die Schmierer, ›Grease Monkey‹ in englischer Sprache. Die Motoren wurden von der Brücke bedient, ohne die romantischen Kommandos »Volle Kraft voraus« übers Sprachrohr. Neben den Seeleuten gibt es das technische Personal, das das Schiff als Arbeitsplatz, Unterkunft, Transportmittel chartert.

Diese Schiffe wurden zweckmäßig gebaut oder waren wie unsere Polaris umgebaute Fischkutter. Das Zentrum war ein großer Arbeitsraum, der die Instrumente beherbergte und Raum für das Personal bot. Größe und Einrichtung entsprachen der jeweils auszuführenden Arbeit.

Das technische Personal zählte 15 Mann. Der Chef war der sogenannte Party Chief. Ihm zur Seite standen Navigatoren, Elektronik-Ingenieure, Geophysiker, Kompressor-Mechaniker und Data-Verarbeiter. Die Verbindung zwischen dieser schwimmenden Organisation und dem Kunden wird durch den Kundenvertreter garantiert, der dessen Interessen wahrte und für die Einhaltung gesetzter Normen und Vertragsbedingungen verantwortlich zeichnete.

Der Zweck unserer Mission war, Orte für Erdölbohrungen zu finden, wofür eine Vielfalt von Informationen benötigt wurden. Neben Wassertiefen interessierte die Beschaffenheit des Meeresbodens, der frei von Objekten wie Wracks, Felsbrocken, Gasblasen oder steilen Abhängen sein musste.

Je weiter die Reise gegen den Süden führte, umso tiefer sank die Temperatur. Gefütterte Arbeitsanzüge und Gesichts- und Nackenschützer für die Helme wurden verteilt, während sogar die zähesten der Nordseeleute für die Deckarbeit plötzlich Handschuhe trugen. Die Experten waren damit beschäftigt, Instrumente vor dem ersten Einsatz nochmals genau zu prüfen.

Immer mehr Sturmvögel umkreisten unser Boot, als hätte es sich herumgesprochen, dass ein neues Schiff in ihrem Gebiet erschienen sei. Nicht nur die Kälte, sondern auch die Wellenhöhe nahm ständig zu, wovor uns der Wetterbericht für die Gegend gewarnt hatte. Ein großes Tief südlich vom Kap Hoorn soll für Wellenhöhen von fünf bis sechs Metern sorgen. Eines Abends sahen wir Wasserfontänen von vier Walfischen, die sich in unserer Nähe aufhielten. Der Kapitän drehte bei, worauf die Tiere ihre gewaltige Schwanzflosse in die Höhe streckten und abtauchten. Nach Sonnenaufgang zeigten sich beim Bug die ersten Magellan-Pinguine, die aber nach einem kurzen Augenschein wieder im tiefen Blau verschwanden. Delphine spielten in den Bugwellen, indem sie parallel mitschwammen, dann unter dem Bug durch auf die andere Seite wechselten. Beobachteten wir sie vom Bug, wollten sie uns necken, genau wie die stolzen Vögel in der Luft: »Komm doch, zeig, was du kannst.«

Am zwölften Tag vor Weihnachten wurden im Speisesaal und im Aufenthaltsraum Christbäume aufgestellt. Plastikgebilde, mit deutlichen Zeichen, dass sie schon oft gedient hatten. Der Schmuck war zerdrückt und die nervös blinkenden Kerzen wurden flüchtig und lieblos über das Geäst gezogen. Von der Decke sollten Plastikgirlanden für vorweihnachtliche Feststimmung sorgen. Das Ganze schaukelte im Seegang und verbreitete ein leise raschelndes Geräusch, begleitet von Weihnachtsliedern über den Lautsprecher. »I’m dreaming of a white Christmas …«

»Sei zufrieden, denn wie schon letztes Jahr wird das das Einzige sein, was du haben wirst. Entweder du ergreifst die Ini­tiative und machst dich daran, das Ganze zu verbessern, oder du bist zufrieden!« Ich beschloss, zufrieden zu sein. An einem Fenster der Brücke wurde mit Sprühfarbe »Merry Christmas« aufgespritzt und mit einem kinderhaften Tannenbaum verziert.

»Wieso immer diese schrägen Tannenbäume und die unförmigen Sterne?«

»Ach was!«

Im Bord-Kino liefen die brutalen amerikanischen Filme weiter neben dem Christbaum.

»Wer möchte denn auch wirklich an Weihnachten erinnert werden?«

»Ist ja alles sowieso so weit weg! Und hatte nicht vielleicht die kleine Isabel in Montevideo recht, als sie sagte, an Weihnachten gehört man nachhause und nicht an die Arbeit!«

Vielleicht hatte sie ja recht. Es blieben nur Gedanken an zuhause und der feste Vorsatz, nächstes Jahr ganz sicher dort zu sein, endlich die Kerzen im Baum vor dem Haus anbringen, die die schöne Winterlandschaft erleuchten werden. Ruhe, Zufriedenheit, Besonnenheit dort, wo man eigentlich hingehört.

Nordwestwind mit Stärke neun wurde für die nächsten 24 Stunden vorausgesagt. Wir beobachteten die Wetterentwicklung ganz genau, da es wichtig war, die Instrumente an Bord zu haben, ehe der Wind die volle angesagte Kraft erreicht. Solange die Qualität der aufgezeichneten Daten dank starker Bewegungen in den wachsenden Wellen akzeptabel war, arbeiteten wir weiter, bis zum Zeitpunkt des Abbruches. Die erfassten Daten wurden gesichert und gespeichert, entsprechende Logeinträge wurden vom Navigator angeführt. Alle verfügbaren Männer stürzten sich in die warmen Überkleider, Stiefeln, Handschuhe und Helm für ihre zugewiesenen Aufgaben aufs Deck. Der Kapitän wurde angewiesen, mit langsamer Fahrt geraden Kurs in den Wind zu halten. Zwei Stunden vergingen, bis alle Instrumente an Bord gesichert waren.

Die Reihe von ratternden Nadeldruckern und das Surren der Instrumente war verstummt. Alle Dokumente waren verstaut und lose Gegenstände befestigt. Die Crewmitglieder hatten sich in ihre Kabinen, den Essraum oder den TV-Raum verzogen. Beliebter Aufenthalt bei solchem Wetter war auch die Brücke, von wo man die wachsende See am besten beobachten konnte. Die Windstärke nahm zu und die weißen Kronen wurden vom Wind als Gischt weggeblasen. Die Schar von Sturmvögeln zog weiter ihre Bahnen um das Schiff. An der Vorderseite der Wellen und in den Wellentälern formten sich weiße Finger, deren Spur die genaue Windrichtung zeigt. Unser Kurs zeigte genau gegen diese Linien. Der Wind blies die ganze Nacht und beim Morgengrauen erreichte die Wellenhöhe in Extremfällen bis zu zehn Meter.

»Das Einzige, was das ändern könnte, wäre das Eintreffen des vorausgesagten Windwechsels von Südwest nach Südost, was die Grundwellen zusammendrücken würde, bis sie sich von der anderen Seite wiederaufbauen werden«, sinnierte der erste Offizier. Unbequem wird dann die verwirrte See während der Übergangsperiode. Wieder krachte der Rumpf in eine anrollende Welle. Beidseitig brachen gewaltige Wassermassen aus und Gischt spritzte mit ohrenbetäubendem Krachen an die Fenster der Brücke.

Gleichzeitig erschütterte eine Schockwelle den Rumpf der alten Polaris, sodass alle losen Gegenstände erzitterten. Kein Augenzwinkern vom erfahrenen Kapitän. Nur als dann an Steuerbord eine Riesenwassermasse vorbeizog, drehte er den Kopf und verfolgte sie durch das Seitenfenster, wie sie langsam verschwand, während wir erneut in die Höhe getragen wurden, um in das darauffolgende Wellental zu surfen.

»Südatlantik, das wäre was zum Segeln.«

»Aber höchstens in einer Maxi mit gerefften Tüchern!«

Der Erste Ingenieur aus dem Motorenraum gesellte sich zu uns, um zu melden, dass sich einige Ölbehälter im Motorenraum von der Befestigung gelöst hatten und nun lose herumrollten. Auch sei ein portabler Dieselmotor von der Halterung gerissen worden, der nun wohl unbrauchbar auf dem Deck deponiert wurde. Der Koch tauchte auf und erklärte, dass er nicht kochen werde, da er sich an überschwappendem heißem Fett bereits die Hand verbrannt habe. Der Kapitän registrierte das, bedächtig weiter auf dem Zigarrenrest kauend. »Die Küche bleibt bis auf weiteres kalt«, bestimmte er mit sarkastischem Grinsen.

»Können wir nicht im Windschatten der Inseln etwas ruhigeres Wasser finden?«

»Unter diesen Bedingungen können wir nur gerade gegen den Wind und in die See fahren. Wenden ist ausgeschlossen, wäre viel zu gefährlich!«

»Kentern?«

»Das nicht, aber größere Schäden durch extremes Rollen. Und das will ich vermeiden, es sei denn, es sei ein Notfall, aber den haben wir nicht!«, beendete der Kapitän die Diskussion.

Also hielten wir weiter Kurs gegen die See, was uns immer weiter vom Schutz der Insel wegbrachte. Die Nacht war dank der unregelmäßigen Bewegungen der Koje extrem unbequem. Ein ständiges Rollen hin und her, mit der ständigen Gefahr herauszufallen. Oder man glitt auf dem Laken zwischen den Enden auf und ab, stieß entweder mit den Füßen oder dem Kopf hart an. Ich fiel in unruhigen Schlaf, wachte aber auf, sobald die größte Müdigkeit überwunden war. Ein Blick auf die Uhr: erst eins. Licht an, ein paar Seiten lesen, bis die Augen wieder fast zufielen, Licht aus, Schafe zählen, verlorene Gedanken suchen, Phantasien nachhängen, auf und ab, hin und her, bis zum nächsten Erwachen. Vier Uhr. Ich ließ mich aus der Koje rollen, schaltete die Heizung ein, setzte mich an den Computer. Was tun? Alle Daten waren analysiert und für gut befunden, der Rapport nachgeführt. Geschichten schreiben? Warum nicht. Erst der Geruch von bratendem Frühstücksspeck von der Kombüse durch die zentrale Belüftungsanlage lenkte mich ab.

»So was Widerliches, ist eine richtige Sauerei, eine Zumutung«, schimpfte Chris, der einzige Vegetarier an Bord.

»Viel zu wenig geschlafen, schon wieder.« Mit diesem Gedanken schlief ich nochmals für eine Stunde, aber nicht ohne zuerst den Speckgestank mit Aerosol vertrieben zu haben.

»Komische, ja unmögliche Esssitten haben sie. Kein Tag, an dem sie nicht drei warme Mahlzeiten essen. Speck, Würste, Spiegeleier, weiße Bohnen, Toasts und so weiter. Und immer ist der Speck zu fett, hat eine zu harte Rinde, ist nicht genug gebraten, verkohlt oder was sonst!«, beklagte sich der holländische Koch.

Nach 24 Stunden besserte sich der Wetterbericht. Der Wind begann sich zu drehen und sollte sich zuerst auf Stärke fünf und dann drei bis vier verringern. So geschah es auch, und genau nach zwei Tagen waren die Instrumente wieder im Wasser. Die Produktion ging weiter und die Kaffeetassen erschienen wieder im Instrumentenraum. Der harmlose Streit, welche Art von Musik man nun wie laut spielen dürfe, lebte wieder auf. Im Wesentlichen ging es entweder um schottische Dudelsäcke oder modernes »Head banging« der jüngeren Generationen. Nun, der Party Chief war Schotte und Dudelsackmajor, also war das klar, wenigstens solange er anwesend war.

Die Zahl der Tage vor Weihnachten schrumpfte und der Gedanke, dass man vielleicht kein traditionelles Weihnachtsessen bekommen könnte, erhitzte die Gemüter in stetig wachsendem Maß. Einige Briten fanden es eine Zumutung, dass ein holländischer Koch die wichtigste Mahlzeit des Jahres zubereiten soll und sich dabei stur geäußert hatte, dass er sich nicht um Tradition kümmernd so kochen werde, wie es ihm dann gerade passen werde. Dazu kam es nicht, denn kurz vor Weihnachten erkrankte er an einer akuten Lungenentzündung, was für ihn allerdings kein Grund war, auf nur eine der 60 Zigaretten im Tag zu verzichten. Einlieferung ins Spital in Stanley war für Medic und Kapitän die einzige Rettung für den gesundheitlich ohnehin schon angeschlagenen und dazu äußerst unbeliebten Koch. Ohne eine Vertretung in Griffnähe zu finden, wurde Onassis, der indonesische Steward, zum Koch befördert, wobei der Kapitän kräftige Unterstützung in jeder Hinsicht versprach.

Der lebensbedrohende Zustand des Meisters der Kombüse schenkte uns einen unerwarteten, aber nicht weniger erfreulichen ersten Besuch in Stanley. Es war der 23. Dezember, eine gute Gelegenheit, sich unter die lokale Bevölkerung zu mischen, mit ihnen vorweihnachtlichen Geist fließen zu lassen, ehe wir dann am nächsten Tag wieder auslaufen würden.

Die ausgelassene Party der einsamen Herzen

Im Globe feierte die wild zusammengewürfelte Gesellschaft in feuchtfröhlich-vorweihnachtlicher Stimmung. An den Wänden und der Decke hingen glänzende und glitzernde Girlanden und ausgefranste Spruchbänder auf denen rote Buchstaben die frohe Botschaft »Merry Christmas« verbreiteten. Nicht fehlen durfte ein künstlicher Christbaum, schwer beladen mit Lametta, Engelshaaren, Girlanden, silbernem, goldenem, rotem Schmuck, elektrischen Kerzen, flackernd in verschiedenen Rhythmen und Farben. Ein fürchterliches Durcheinander, das in der verbrauchten, nikotinübersättigten Luft und den Windstößen, die mit Gästen durch die Türen ins Innere drangen, wirr flatterte und zitterte. Weihnachtsmänner in weiten Mänteln und weißen Wattebärten zwängten sich durch die Masse jener mit Glas oder Dose in der Hand, in Gruppen im Lokal stehend, verteilten kleine Säckchen, begleitet von derben Sprüchen und für solche Gestalten üblichem Ho-ho-ho. Weihnachtslieder aus einer alten Spieldose verschwanden in den ohrenbetäubenden Klängen einer lokalen Band oder Schlagern der siebziger Jahre aus der Jukebox.

»He, du«, wurde ich mit harscher Stimme angesprochen, als ich gerade eine Runde Bierdosen von der Bar zu unserer Gruppe tragen wollte.

»Oder bist du, so wie dein Kollege, zu vornehm, um mit uns zu reden?«, donnerte die bärtige Gestalt mit rotem Gesicht und grobmaschigem Rollkragenpullover in meine Richtung. Seine wässrigen Augen starrten mich gefährlich an.

»Was meinst du damit?«, fragte ich etwas erschrocken.

»Der dort, den ich angesprochen habe, ist wohl zu vornehm, um mit uns Seeleuten zu reden«, erklärte er, mit dem Zeigefinger auf Jeff deutend, der uns leicht wankend mit gläsernem Blick vom Rande meiner Gruppe anstarrte.

»Nein, sicher nicht, der wird in seinem bierseligen Zustand nicht bemerkt haben, dass du ihn angepöbelt hast!«, verteidigte ich meinen für seine Liebe zum Glas bekannten Kollegen aus Northumberland.

»Angepöbelt, komm mir ja nicht so, du ...«, fauchte er mit böser Stimme im harten Slang der Nordseefischer von York.