Auf schiefer Bahn - Gerd Joe Fes - E-Book

Auf schiefer Bahn E-Book

Gerd Joe Fes

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Beschreibung

Bernd Keller, Kriminalhauptkommissar in Potsdam, und seine attraktive Assistentin Barbara Weißmüller bekommen den Auftrag, einen grausamen Mordfall aufzuklären. Beim Opfer handelt es sich um einen smarten Geschäftsmann mittleren Alters, der in seiner Wohnung eines Morgens von seiner Reinigungsfrau erstochen aufgefunden wird. Da sich weder Einbruchspuren feststellen lassen, noch Hinweise darauf, dass etwas aus der Wohnung entwendet wurde, geht die Kriminalpolizei zunächst von einer Beziehungstat aus. Das lässt sich dann jedoch nicht bestätigen, und die weiteren Ermittlungen führen in das Milieu von skrupellosen Geschäftemachern einerseits und zum anderen von nicht minder scham- beziehungsweise gesetzlosen Prostituierten, Kriminellen und Gewaltverbrechern. Der Roman basiert auf wahren Begebenheiten und liefert auf diese Weise neben Spannung und Unterhaltung, mit den Kriminalfällen als Aufhänger, auch realistisch und authentisch beschriebene Milieustudien.

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Seitenzahl: 382

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel

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Kapitel

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Kapitel

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Kapitel

1.

Bernd Keller vom Polizeipräsidium Potsdam sitzt auf seinem Balkon und frühstückt. Es ist ein Freitagmorgen so Ende August. Noch ist es Sommer, und draußen scheint die Sonne. Sonderlich braucht sich Keller, wie er glaubt, heute mit dem Frühstück nicht zu beeilen. Er muss nämlich erst später als üblich zum Dienst, da es gestern Abend mal wieder reichlich Überstunden gab. Und dann beginnt im Anschluss an den heutigen Feierabend auch wieder das Wochenende, eine für Keller von der Tretmühle der Arbeit willkommene Auszeit, nach der er sich inzwischen sehr viel dringlicher sehnt als es früher der Fall war, während er noch jünger war.

Jahrzehnte gewissenhaften Dienstes bei der Kripo haben Keller müde gemacht. Die Mitte fünfzig hat er inzwischen überschritten, und zum Glück sind es da nicht mehr allzu viele Jahre bis zu seiner Pensionierung. Und die werden bestimmt auch noch rumgehen, so dass sich Keller schon jetzt darauf freuen kann, bald seinen verdienten Ruhestand genießen zu dürfen. Dann, so denkt er sich, wird er eigenmächtig über seine Zeit verfügen und das unternehmen können, wonach ihm selbst der Sinn steht, sei es zum Beispiel die Bücher zu lesen, die er schon immer mal lesen wollte, nur bisher noch nicht dazu gekommen ist, oder zu den Orten und in die Länder zu reisen, wo er schon immer oder wieder mal hin wollte. Dann wird Keller auch sicherlich die Zeit finden, seine Tochter wieder zu besuchen, die in den Vereinigten Staaten lebt und inzwischen selbst zwei Töchter hat.

Noch aber ist es für Keller, selbst wie jetzt, wo er eigentlich dienstfrei hat, kaum möglich, seine Gedanken ganz von der Arbeit mit der sich darin wiederholenden Routine fernzuhalten. Und diese Arbeit läuft häufig nach folgendem Schema: Eine Straftat passiert, wird, wenn auch nicht immer, zur Anzeige gebracht, woraufhin sich Keller und seine Kollegen, in letzter Zeit darunter auch immer häufiger Kolleginnen, um die entsprechende Aufklärung bemühen. Viele der Straftäter werden auch dingfest gemacht. Aber wird die Welt dadurch besser? Wohl eher nicht. Ein Großteil von denen, die von Keller und überhaupt der Polizei verhaftet werden, sind, wie es ausschaut, unverbesserliche Wiederholungstäter. So wie auch gestern Abend wieder, als es spät wurde und um die Aufklärung einer Einbruchserie ging. Auch hier konnten die Täter zwar schließlich verhaftet werden. Doch wieder die alte Leier: zwei Wiederholungstäter, im Heim groß geworden, kaum aus dem Knast entlassen und nun dort schon wieder eingeliefert. Von so was hat Keller die Schnauze voll, ist es leid. Da freut er sich lieber auf seine Pensionierung, die ihm, als ein Vorteil Beamter zu sein, zusteht und zum Glück für ihn auch nicht mehr in allzu weiter Ferne liegt.

Trotzdem, noch ist für Keller seine Arbeit nicht zur bloßen Last verkommen, sondern noch immer auch eine Aufgabe, der er sich zuwendet. Zumal er seit einigen Jahren allein lebt, nämlich seitdem seine Ehefrau an Krebs verstorben ist, was, obwohl er es inzwischen einigermaßen überwunden hat, schlimm für ihn war und für seine verstorbene Frau natürlich erst recht. So ist er nun allein und fühlt sich deshalb mitunter nicht nur ausgebrannt, sondern dazu auch noch einsam. Aber sich deshalb hängen zu lassen, kommt für ihn nicht in Frage. Regelmäßig macht er, um einigermaßen fit und in Form zu bleiben, seinen Sport: Jogging, Fahrrad fahren, Work-Out. Dem Rang nach ist er inzwischen Kriminalhauptkommissar. Nach der Wende, das heißt dem Zusammenbruch der realsozialistischen DDR und deren anschließendem Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland, ist er vom Westen hierher nach Potsdam beordert worden. Er wurde dabei zum Kriminalhauptkommissar befördert und hat bei der Reorganisation des Potsdamer Polizeipräsidiums mitgeholfen, dort speziell im Bereich der Gewalt- und Schwerkriminalität, also Mord, Totschlag, schwerer Diebstahl, organisiertes Verbrechertum und dergleichen. Leicht war das damals für ihn als hierher gekommenen Wessi nicht gewesen, in dieser Nachwendezeit, als die alten DDR-Kader sehen mussten, wo sie blieben und unterkommen konnten. Da war es für Keller kaum möglich gewesen, jemanden der alteingesessen Kollegen und Kolleginnen vorbehaltslos zu trauen.

Immer wieder kam es damals in dieser Nachwendezeit auch im Polizeidienst vor, dass ehemalige IMs, das heißt informelle Mitarbeiter des Stasi- und Spitzelapparats der ehemaligen DDR, enttarnt wurden. Leute, die nach der Wende versucht hatten, ihre frühere Spitzeltätigkeit zu verheimlichen, und deshalb dann, als das aufflog, aus dem öffentlichen Dienst entlassen wurden. Und überhaupt diese haltlose und rechtsfreie Wendezeit mit insbesondere hier im Großraum von Berlin, wozu auch Potsdam zählt, einem zunehmenden Einfluss der organisierten Kriminalität, vor allem durch die sogenannte Russenmafia und Kriminelle, die aus dem Balkan eingereist waren. Bis es allmählich dazu kam, dass es in dieser Gegend wieder spürbar geordneter zuging.

Auch in diese Vergangenheit zurück schweifen Kellers Gedanken wieder, als er an diesem sonnigen Freitagvormittag auf seinem Balkon beim Frühstück sitzt und glaubt, genug Muße zu haben, in Ruhe seinen Kaffee austrinken zu können und danach vielleicht sogar die Zeit zu haben, einen Blick in die Tageszeitung oder ins Internet werfen zu können, bevor er sich dann allmählich auf dem Weg zu seiner Arbeit machen würde. Dass daraus jedoch nichts werden sollte, ahnt er schon, als ihn das plötzliche Klingeln seines Diensthandys jäh aus seinen Gedanken reißt, er auf den Handyknopf zur Annahme des Telefonats drückt und sich mit „Keller“ meldet.

„Ich bin 's, Babsi“, meldet sich am anderen Ende der Leitung die etwas piepsig klingende Stimme seiner Assistentin, Kriminalkommissarin Barbara Weißmüller, genannt Babsi. „Es tut mir leid, Chef, dich stören zu müssen, aber es ist leider wichtig. Du wirst wohl früher als abgesprochen heute herkommen müssen. Es scheint, dass es hier ein Tötungsdelikt gegeben hat, für das unsere Abteilung zuständig ist. Ich selbst bin schon vor Ort.“

Babsi gibt Keller noch die genaue Adresse durch, die zu einer dieser aufwändig restaurierten alten Villen in der Nähe des Potsdamer Parks am Schloss Cecilienhof gehört, und Keller macht sich sogleich auf den Weg nach dorthin. Das Frühstücksgeschirr und den nicht einmal ausgetrunkenen Kaffee lässt er auf dem Balkon stehen.

Auch wenn die Pflicht ruft, ärgert sich Keller trotzdem. Wahrscheinlich wird es wieder Überstunden geben, vielleicht sogar bis ins anstehende Wochenende hinein.

Als Keller am Tatort ankommt, einer schick restaurierten zweigeschossigen Potsdamer Stadtvilla im klassizistischen Stil, sind viele der Kollegenschaft von ihm schon vor Ort. Einer der Polizeibeamten ist am Hauseingang postiert und gewährt nur Leuten mit berechtigtem Anliegen den Zutritt ins Haus. Das Grundstück, auf dem das Haus steht, ist von einem schmiedeeisernen Gitter umgeben. Auf der Straße vor dem Grundstück stehen, teilweise in zweiter Reihe geparkt, mehrere Autos der Potsdamer Schutz- und Kriminalpolizei. Für den Verkehr sind diese vielen Autos aber kein Problem, denn die Durchfahrt auf dieser Nebenstraße ist vorerst sowieso gesperrt worden, und auf beiden Seite der Absperrung achtet ein jeweils weiterer der eingetroffenen Polizeibeamten darauf, dass die Durchfahrtsperre auch eingehalten wird.

Keller hat, als er in diese Nebenstraße einbog, aufgrund der Absperrmaßnahme gleich erkannt, wo er hinmusste. Er stellt sein Auto ebenfalls vor dem Haus ab und begibt sich raschen Schrittes in die betreffende Wohnung. Dort sind eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen bereits bei der Arbeit. Keller sieht auf dem ersten Blick, dass die Wohnung mit ihren geräumigen Zimmern und der großzügigen Einrichtung, darunter auch Kunstgegenständen, exquisit zum Baustil des Hauses passt.

Mit einem „Hallo Chef“ wird Keller von seiner attraktiven Assistentin Babsi begrüßt. „Es tut mir leid, dass ich dich beim Morgenkaffee stören musste, aber dass das hier passieren würde, konnte ja gestern keiner wissen, als wir uns darauf verständigt hatten, dass du heute später zum Dienst kommen könntest“, sagt sie.

Mit „das hier“ meint Babsi offenbar die Tötung des Mannes, der noch immer im großen Wohnzimmer inmitten einer riesigen, an den Rändern bereits in Verkrustung übergehenden Blutlache liegt. Babsi, an Kellers Seite gekommen, erklärt dazu: „Sein Name ist Björn Schneider. Kurz nachdem ich heute Vormittag im Präsidium angekommen bin, wurde ich von den Kollegen der Schutzpolizei wegen dieses Vorfalls angerufen und bin gleich hierher gekommen. Ich hab' dann alles Weitere in die Wege geleitet, also dich und die Kollegen von der Spurensicherung herbestellt. Auch jemand von den Rechtsmedizin müsste jeden Moment eintreffen. Frau Lehman, die Frau, die ganz aufgelöst dort drüben am Fenster sitzt, hat Herrn Schneider heute Morgen, als sie fürs Reinemachen herkam, so vorgefunden. Sie ist bei der Gebäudereinigungsfirma Paschke in Potsdam angestellt, hat einen eigenen Schlüssel zu dieser Wohnung und kommt zweimal in der Woche, jeweils dienstags und freitags, hierher zum Reinemachen. Also, die hat Björn Schneider hier so vorgefunden und gleich übers Telefon die Polizei alarmiert. Die angerufenen Kollegen von der Schutzpolizei haben noch von ihrer Wache aus als Erstes den Notarzt hierher beordert, und, als sie dann selbst am Tatort eingetroffen waren, haben sie bei uns im Präsidium angerufen und sind zu mir durchgestellt worden. Als ich hier dann ankam, war der Notarzt noch da, hatte aber natürlich nur noch den Tod von Björn Schneider feststellen können. Ich habe noch kurz mit dem Arzt sprechen können, jetzt ist der aber zusammen mit den Rettungssanitätern schon wieder weg. So ist der Stand der Dinge.“

Während Babsis kurzer Unterredung mit ihrem Vorgesetzten Keller sind auch die angeforderten Kollegen von der rechtsmedizinischen Abteilung am Tatort eingetroffen und werden kurz, bevor sie sich dann genauso emsig wie die Leute von der Spurensicherung an die Arbeit machen, von Babsi ähnlich wie zuvor schon Keller über das informiert, was hier, soweit bekannt, vorgefallen ist.

Keller begibt sich unterdessen hinüber zu Frau Lehmann, der Reinemachefrau, die so schätzungsweise Anfang 50 sein dürfte. Er stellt sich kurz mit „Bernd Keller, Kriminalhauptkommissar“ vor und bittet Frau Lehmann, ihm noch einmal alles zu erzählen, was hier von ihrer Warte aus passiert sei, dabei auch nicht das wegzulassen, was sie bereits Kellers Kollegin Frau Weißmüller erzählt habe. „Aber nur ruhig, wir haben Zeit“, denn Keller merkt natürlich, dass Frau Lehmann noch immer mächtig unter Schock steht, und es ihr sichtlich schwer fällt, über das zu sprechen, was sie heute Morgen hier vorfinden musste. Erst nach anfänglichem Stocken gelingt es der Frau schließlich, über das Vorgefallene einigermaßen flüssig reden zu können.

Sie erzählt, wie sie heute Morgen, wie freitags üblich, so gegen halb neun mit ihrem Dienstfahrzeug herkam, das Auto unten auf der Straße abgestellt hat, sich daraus die notwendigen Putzutensilien nahm und zu Schneiders Wohnung hochgegangen ist. Mit dem Schlüssel für die Wohnung, der in ihrem Besitz ist, habe sie aufgeschlossen, nein, die Wohnungstür sei nicht schon auf gewesen, sondern wie üblich zugezogen, wenn auch nicht zusätzlich noch abgeschlossen, da sei sie sich ganz sicher. Es sei eben so wie üblich gewesen, entgegnet sie auf Kellers Nachfrage hin. Sie habe also mit dem Schlüssel die Wohnung aufgemacht und sei eingetreten. Auf dem ersten Blick sei ihr auch groß nichts verändert vorgekommen. Aber dann sei sie in den großen Wohnraum gekommen und habe dort Herrn Schneider liegen gesehen, regungslos, in einer großen Blutlache. Sie sei dann fast in Panik geraten und habe es nur unter äußerster Anstrengung geschafft, auf ihrem Handy über die Nummer 110 die Polizei zu alarmieren. Nein, nicht sie, sondern die von der Polizei müssten dann den Notarzt alarmiert haben. Gott sei dank seien dann sowohl der Notarzt wie die Polizei hier bald eingetroffen. Sie sei nämlich nicht mehr in der Lage gewesen, überhaupt noch irgendetwas zielgerichtet zu tun. Nur hier am Fenster habe sie wie gelähmt dagestanden und es gerade mal geschafft, die Wohnungstür zu öffnen, als hier zuerst der Notarzt und kurz darauf die alarmierten Polizisten eingetroffen seien und geklingelt hätten. Irgendjemand habe ihr bald danach einen Stuhl gebracht und seitdem säße sie nun hier. Lediglich mit Kellers Kollegin, dieser hübschen Frau Weißmüller, habe sie seitdem gesprochen und ihr schon das erzählt, was sie jetzt auch ihm, Herrn Keller, gesagt habe.

„Aber junger Mann“, und das sagt sie, obwohl Keller keineswegs mehr jung ist, sich so auch nicht vorkommt und durch diese Anrede auch nicht geschmeichelt fühlt, „könnten Sie jetzt vielleicht auch mir einen Gefallen tun, und bei meinem Chef anrufen und ihm klarmachen, was hier passiert ist, und ihm sagen, dass ich heute so fertig bin, dass ich nicht mehr in der Lage bin, noch irgendetwas heute zu tun. Er soll jemanden vorbeischicken, der das unten abgestellte Auto abholt. Ich geb' ihnen dafür hier mein Handy. Da brauchen Sie nur die ,1´ drauf zu drücken und dann auf den grünen Knopf. Dann meldet sich mein Chef oder seine Sekretärin, und dem oder der sagen Sie das dann bitte! Sind Sie wohl so nett?“ Frau Lehmann gibt Keller das Handy, und der macht auch, worum sie ihn gebeten hat. Die Sekretärin der Reinigungsfirma meldet sich und hat, nachdem Keller sich vorgestellt und entsprechend Bericht erstattet hat, auch Verständnis dafür, dass Frau Lehmann heute nicht mehr in der Lage ist, ihre Arbeit fortzusetzen. Die Sekretärin würde sich um alles kümmern und auch jemanden vorbeischicken, um das geparkte Firmenauto abzuholen.

Im weiteren Gespräch mit Frau Lehmann versucht Keller noch herauszufinden, was sie sonst Näheres über den Ermordeten wisse. Demzufolge ist beziehungsweise war, so müsste man jetzt eigentlich sagen, Björn Schneider so circa Anfang bis Mitte 40, wahrscheinlich Eigentümer dieser Wohnung und außerdem Mitinhaber einer Potsdamer Immobilienfirma, der Schneider & Kamp GmbH & Co. KG, die, wie Keller schnell übers Internet mittels Smartphone herausfindet, ihren Firmensitz in der Hegelallee von Potsdam hat. Frau Lehmanns Wissen zufolge lebte Herr Schneider allein in dieser Wohnung. Ob er noch oder schon mal verheiratet war oder eine feste Partnerin hatte, wisse sie nicht, genauso wenig, ob es Kinder von ihm gebe, oder ob Herr Schneider, wie Keller nachfragt, eventuell gar homosexuell gewesen sei. So oft sei Frau Lehmann ihrer Aussage nach mit Björn Schneider auch überhaupt nicht zusammengekommen, da er in der Regel, wenn sie hier sauber gemacht habe, nicht zu Hause gewesen sei.

Keller teilt Frau Lehmann noch mit, dass sie für eine offizielle Aussage sicher noch einmal ins Polizeipräsidium vorgeladen würde, aber darüber brauche sie sich jetzt keine Sorgen zu machen, das sei jetzt nicht weiter wichtig. Er notiert sich aber noch ihre Personalien und Wohnadresse sowie den Namen und die Adresse ihres Arbeitgebers, um sich von dem später einige von Frau Lehmanns Aussagen noch einmal bestätigen oder auch korrigieren zu lassen bzw. dort eventuell noch zusätzliche Informationen zu erhalten. Mit Frau Lehmann ist Keller damit erst einmal fertig. Den anwesenden Rechtsmediziner weist er noch darauf hin, dass Frau Lehmann vermutlich noch ein Beruhigungsmittel brauche, und einen der Schutzpolizisten beauftragt er, Frau Lehmann dann bald, wenn sie nichts dagegen habe, zu ihr nach Hause zu chauffieren.

Anschließend begibt sich Keller hinüber zu seiner Assistentin, Frau Kriminalkommissarin Barbara Weißmüller, allgemein Babsi genannt. Zwar ist die mit jenseits Mitte 40 auch nicht mehr ganz jung, schaut mit ihrer schlanken, sportlichen Figur, den blondierten Haaren und ihrem ebenmäßigen, dezent geschminkten Gesicht aber noch immer ziemlich apart und jugendlich aus. Sie ist in zweiter Ehe verheiratet und hat zwei Kinder. Im Umgang mit Keller erweckt sie nicht selten den Eindruck, als sei sie insgeheim ein wenig in ihn, ihren Vorgesetzten, verknallt.

Während sich Keller ausgiebig mit Frau Lehmann unterhalten hat, hat Babsi die Arbeit der Spurensicherung verfolgt. Nach deren ersten Erkenntnissen hat es zwischen dem Tötungsopfer und dem Täter zwar offensichtlich ein Gerangel gegeben, jedoch gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass es sich hier um einen Raubmord gehandelt hat, da offenbar einige wertvolle Sachen und nicht wirklich verstecktes Bargeld unangetastet blieben, und dem Anschein nach auch keine Schubladen durchwühlt wurden. Es sei natürlich trotzdem möglich, dass der Täter ein Einbrecher war, und der bei dem Einbruch von dem Wohnungsinhaber überrascht wurde, es dann zu dem Tötungsdelikt kam, und der Täter anschließend in Panik den Tatort verlassen hat, ohne etwas groß mitzunehmen. Gegen diese Version spricht allerdings, dass die Wohnungstür und die Fenster unversehrt geblieben sind. Einen gewaltsamen Einbruch könne es also kaum gegeben haben. Da aber die Tür zu Björn Schneiders Wohnung vermutlich nicht zusätzlich verriegelt oder abgeschlossen war, dürfte es für einen versierten Einbrecher bei einem Vorgehen ähnlich dem, wie es ein Schlüsseldienst macht, wahrscheinlich auch kein allzu großes Problem gewesen sein, diese Tür aufzubekommen, ohne dabei Spuren eines gewaltsamen Einbruchs zu hinterlassen. Natürlich wäre es auch möglich, dass der Täter in die Wohnung hereingelassen wurde oder selbst im Besitz eines Wohnungsschlüssels war, sei der dann original oder nachgemacht worden. Wurde der Täter aber hereingelassen oder war er im Besitz eines originalen Wohnungsschlüssels, würde das für eine Beziehungstat sprechen, bei der sich Opfer und Täter gut kennen. Und so ein Täter lässt sich nach Erfahrung der Kripo meistens schnell ermitteln. Im Übrigen konnte die Tatwaffe bisher noch nicht gefunden werden, was jedoch nicht sonderlich überrascht.

Der Rechtsmediziner kann ebenfalls erste Erkenntnisse liefern. Demnach handelt es sich bei dem Ermordeten tatsächlich um einen Mann so Anfang bis Mitte 40 von größerer, schlanker und durchaus sportlicher Gestalt, der eigentlich in der Lage gewesen sein sollte, sich einigermaßen verteidigen zu können. Vermutlich ist er aber bereits durch einen der ersten von insgesamt sieben Messerstichen in den Brustbereich so schwer oder gar tödlich verletzt worden, dass er schnell verteidigungsunfähig wurde. Wahrscheinlich war er auf so eine gefährliche Attacke in dem Moment auch nicht gefasst gewesen. So zwischen 22 Uhr und 23 Uhr 30 gestern Abend ist nach ersten Einschätzungen des Rechtsmediziners der Tod Björn Schneiders eingetreten.

Während die Spurensicherung vor Ort weiter ihrer Arbeit nachgeht, dabei unter anderem auf der Suche nach hinterlassenen DNA-Fragmenten ist, und der Rechtsmediziner die Überführung der Leiche ins gerichtsmedizinische Institut in die Wege leitet, will Keller bereits aufbrechen, um erste Ermittlungen außerhalb des Tatorts aufzunehmen.

Sanft schuppst er deshalb seine Kollegin Frau Weißmüller in die Seite: „Komm Babsi, die kommen hier auch ohne uns zurecht. Lass uns unsere eigene Arbeit machen. Schließlich muss man das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Wir fahren rüber zur Hegelallee, zu der Firma von Björn Schneider. Mal sehen, was es da so zu erfahren gibt.“

Trotzdem es bis da hin mit dem Auto dann nur eine kurze Wegstrecke ist, nutzen Bernd Keller und Babsi Weißmüller bereits diese Fahrzeit, um sich darüber zu verständigen, was es außer dem Besuch bei der Firma von Herrn Schneider als Nächstes noch zu tun gäbe.

So wäre beispielsweise festzustellen, ob und welche näheren Angehörigen der Ermordete hat, die es darüber zu informieren gilt, was mit Björn Schneider jetzt leider passiert ist. „Wir sollten außerdem möglichst rasch ermitteln, wer allgemein zum näheren Bekanntenkreis des Ermordeten gehört hat, aus dem ja durchaus sein Mörder stammen könnte“, meint Keller, was Babsi mit einem kurzen „Sicherlich“ beantwortet. „Und natürlich sollte jemand von uns bald auch noch einmal bei dieser Reinigungsfirma vorbeischauen, um sich von denen einige Aussagen von Frau Lehmann bestätigen oder eventuell auch berichtigen zu lassen. Vielleicht lassen sich dort auch noch weitere Informationen gewinnen, wie zum Beispiel, ob es bei der Reinigungsfirma noch weitere Schlüssel zur Wohnung des Ermordeten gibt außer denen, die im Besitz von Frau Lehmann sind.“

2.

Der Weg vom Tatort des Mordfalls bis zum Sitz der Firma Schneider & Kamp ist dann rasch zurückgelegt. Bei der Adresse handelt es sich um eine dieser prunkvoll restaurierten, repräsentativen Potsdamer Villen, die im 19. Jahrhundert bzw. um 1900 herum erbaut wurden und heute häufig, wie auch dieses Haus hier in der Hegelallee, als exquisites Bürogebäude für zum Beispiel kleinere, aber renditestarke Firmen oder Anwaltskanzleien dienen. Glücklicherweise gehört zu dem Grundstück auch ein großzügig angelegter Parkplatz, auf dem Keller nun sein Auto parken kann.

Die Firma Schneider & Kamp befindet sich, ausgewiesen durch eine goldfarbene Plakette am Hauseingang, im ersten der beiden Obergeschosse des Hauses. Keller und Babsi gehen hinauf. Bei der attraktiven Sekretärin im Eingangsbereich des Geschäftssitzes – andere Personen außer ihr sind dort zunächst nicht zu sehen – stellen sich die zwei als Kriminalhauptkommissar Keller und Kriminalkommissarin Weißmüller vor und weisen sich entsprechend aus. „Wir hätten gern Herrn Kamp gesprochen, ist der denn da?“ „Ja, ich geh' Sie schnell anmelden.“ „Nicht nötig, wir finden den Weg schon allein. In welchem dieser Zimmer hier sitzt er denn!“ Die Sekretärin weist mit der Hand auf eine vom Eingangsbereich abgehende Tür. Keller und Babsi sind zwar höflich genug an der entsprechenden Tür anzuklopfen, treten dann aber, noch bevor sie hereingebeten werden, gleich ein.

Kamp sitzt in dem geräumigen Bürozimmer hinter einem großen Schreibtisch und blickt erstaunt auf. Er ist ein gepflegter Herr im Alter von circa Anfang 50. „Entschuldigen Sie die abrupte Störung, aber wir müssen Sie dringend sprechen!“, erhebt Keller das Wort. „Ein Aufschub ist da leider nicht möglich. Mein Name ist Bernd Keller. Ich bin Hauptkommissar bei der Kriminalpolizei Potsdam, und dies hier ist meine Assistentin, Frau Kommissarin Weißmüller, und hier sind unsere Ausweise.“ Kamp reagiert auf diesen doch ziemlich überfallartigen Besuch erstaunlich gelassen und nimmt sich sogar die Zeit, einen ausführlichen Blick auf die ihm gezeigten Ausweise zu werfen.

„Ach, nehmen Sie doch bitte dort drüben Platz!“, sagt er dann jovial und zeigt dabei auf eine in seinem Büro stehende Sitzgruppe. „Darf ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee, Tee oder vielleicht ein Wasser?“ „Nein, danke“, entgegnen Keller und Babsi fast unisono, nehmen aber, wie angeboten, Platz.

„Was führt Sie denn zu mir?“, fragt Kamp, während er Keller und Babsi gegenüber ebenfalls Platz nimmt. Kamps gepflegte, von gehobenem Geschmack zeugende Erscheinung passt gut zu dem exquisiten Stil des Büros, in dem er und seine Firma residieren. Er trägt einen perfekt sitzenden, aus teurem Seidenstoff gefertigten Anzug, glänzend schwarze Schuhe, ein frischweißes Hemd mit von Stoff verdeckter Knopfleiste und zwei oben am Kragen geöffneten Knöpfen. Eine Krawatte dazu trägt er nicht. An dem einen Handgelenk prangt eine erkennbar teure Uhr, am anderen ein schweres Weißgoldkettchen und an einem seiner Finger ein übergroßer Siegelring. Ein Ehering ist dagegen nicht zu sehen. Er hat ein glatt rasiertes Gesicht, trägt keinen Bart und hat auch keine Brille auf. Das noch ziemlich volle Haar ist dunkel und leicht gegelt, hier und da schon ein wenig grau meliert. Die Statur ist kräftig, durchaus sportlich zu nennen und erweckt den Eindruck, dass Kamp ein bisschen Bodybuilding betreibt. Seine Größe dürfte bei etwas über einem Meter achtzig liegen. Geld scheint für Kamp offenbar wichtig zu sein, jedenfalls tritt er so auf, auch wenn er als seriöser Geschäftsmann erscheinen will.

„Der Grund unseres Hierseins“, beginnt Keller das weitere Gespräch, „ist Herr Björn Schneider. Sie beide betreiben doch zusammen diese Firma hier, oder nicht?“ „Mein Geschäftspartner heißt in der Tat Björn Schneider, das ist richtig. Stimmt denn irgendetwas nicht mit ihm?“ „Björn Schneider wurde heute Nacht ermordet!“ Keller und Babsi beäugen genau, wie Kamp auf diese Nachricht reagiert. Der bleibt jedoch wieder ziemlich abgeklärt. Nur einen kurzen Moment zunächst rot und anschließend fahl wird sein Gesicht. „Wie ermordet? Das ist ja furchtbar. Und Sie sind sich sicher, dass es sich dabei um meinen Geschäftspartner handelt?“ „Da haben wir keinen Zweifel. Ihr Björn Schneider wohnt doch in der Nähe vom Schloss Cecilienhof?“ „Ja.“ „Außerdem haben wir auch entsprechende geschäftliche Unterlagen in seiner Wohnung gefunden und es gibt auch schon Zeugenaussagen dafür, dass es sich bei dem Ermordeten um Ihren Geschäftspartner handelt. Sagen Sie mal Herr Kamp, wann haben Sie denn überhaupt Björn Schneider das letzte Mal gesehen?“ „Das war gestern hier im Büro bei der Arbeit. Björn hat etwas früher als ich Feierabend gemacht. Er wollte noch in seinem Club eine Runde Golf spielen gehen. Ich habe noch etwas länger hier im Büro zu tun gehabt und bin dann als Letzter gegangen. Sie können das auch meine Sekretärin fragen, die kann Ihnen das sicherlich bestätigen.“

Keller fragt daraufhin, ob er, Kamp, ihnen denn noch allgemein mehr über den Ermordeten mitteilen könne, zum Beispiel über seine Herkunft, seine Familie, sein bisheriges und zuletzt geführtes Leben. „Sicherlich!“, meint Kamp wieder jovial. „Wie Sie wahrscheinlich schon wissen, war Björn unverheiratet, und meines Wissens nach hatte er auch keine Kinder.“ „Ja, das wissen wir schon“, wirft zur Abwechselung mal Babsi ein, die bisher in diesem Gespräch ihrem Vorgesetzten Keller das Wort überlassen hatte, „aber wie sah es jetzt zuletzt bei ihm aus? Hatte er eine feste Partnerin, von der Sie etwas wissen, oder war er gar homosexuell?“ „Also schwul war Björn bestimmt nicht, das hätte ich mitbekommen. Aber er hat sich auch nicht gern binden wollen. Irgendwie lief bei ihm aber immer was mit Frauen. Aber wie das jetzt zuletzt bei ihm war, kann ich Ihnen nicht sagen. Von einer momentan festen Beziehung weiß ich jedenfalls nichts.“ Wiederum ist es dann Babsi, die nachfragt: „Und hat Björn Schneider sonst denn Familie gehabt, von der Sie etwas wissen, ich meine Eltern oder Geschwister?“ „Ja, eine Mutter und zwei Schwestern. Sein Vater ist schon vor mehreren Jahren verstorben. Seine Mutter lebt in einer südhessischen Kleinstadt in der Nähe von Darmstadt, wo auch Björn herstammt. Seine Mutter dürfte jetzt so etwas über 70 Jahre alt sein.“ „Haben Sie von ihr vielleicht die Telefonnummer oder Adresse?“, fragt Keller dazwischen. „Ich glaub schon, dass Ihnen meine Sekretärin das raussuchen kann. Soll ich ihr schnell Bescheid sagen?“ „Das können wir später machen“, entgegnet Keller, „aber sagen Sie mal, wie alt war Björn Schneider eigentlich jetzt genau?“ „Er war genau 47. Erst vor ein paar Wochen haben wir zusammen ein wenig seinen letzten Geburtstag gefeiert.“

Nun mischt sich Babsi wieder ein: „Noch mal zurück zu seiner Familie. Was wissen Sie denn über die beiden Schwestern von ihm, haben Sie da vielleicht auch eine Adresse oder Telefonnummer von?“ „Also die ältere der beiden Schwestern wohnt hier in Berlin, in West-Berlin, um genauer zu sein. Ich glaube, von der hab' ich in meinem Handy auch eine Telefonnummer gespeichert, weil ich sie nämlich vor einiger Zeit mal angerufen hab' und von ihr was wissen wollte. Irgendwas mit Immobilien, was ja unser Geschäft hier ist. Was es aber genau war, weiß ich nicht mehr.“ Kamp fingert eine kurze Weile an seinem Handy herum. „Ja, hier hab' ich ihre Telefonnummer.“ Er liest die Telefonnummer vor, die Babsi mitnotiert. „Björns Schwester heißt übrigens auch Schneider, zumindest wieder Schneider, Angelika Schneider“, fährt Kamp anschließend fort. „Ob sie vorher einen anderen Namen hatte, als sie noch nicht geschieden war, weiß ich nicht. Jetzt heißt sie auf jeden Fall wieder Schneider. Ich glaube, sie ist von Beruf Lehrerin. Soviel ich außerdem weiß, hat Björn mal 'ne Zeit lang bei ihr gewohnt, als er von Westdeutschland hierher zog. Ich glaube, die beiden hatten, zumindest damals, ein recht enges Verhältnis zueinander, geschwisterlich gemeint natürlich. Von Björns jüngerer Schwester weiß ich nicht so viel. Ich glaube, die wohnt noch da irgendwo im hessischen Raum, in der Gegend eben, wo Björn herkommt, aber genau kann ich Ihnen das nicht sagen.“

„Und was wissen Sie denn sonst noch so über den Bekanntenkreis von Björn?“, fragt Keller weiter. „Also, da kann ich Ihnen fast gar nichts zu sagen. Ich weiß nur, dass er in seiner Freizeit gern Golf spielen gegangen ist. Soviel ich weiß, hatte er dort im Club auch mit ein paar Leuten näheren Kontakt.“ „Und Sie?“, fragt Keller dazwischen. „Hatten Sie denn mit ihm privat keinen Kontakt?“ „In letzter Zeit“, antwortet Kamp, „über das Berufliche hinausgehend eigentlich weniger. Dafür waren wohl unsere Interessen dann doch zu unterschiedlich. Gut, früher, als wir vor ungefähr fünfzehn Jahren gemeinsam diese Firma hier gegründet haben, da hatten wir noch mehr auch privat miteinander zu tun. Da haben wir uns irgendwie ganz gut ergänzt. Kennen gelernt haben wir uns übrigens hier in Potsdam in den neunziger Jahren, als wir beide freiberuflich beim selben Bildungsträger als Dozent tätig waren. Das war in der Erwachsenenbildung, hauptsächlich mit Teilnehmern, die in und nach der Wende arbeitslos geworden waren.

Björn war da vorher aus den U.S.A. zurück nach Deutschland gekommen und dann fast gleich hier in die Berliner Gegend gezogen. Erst hat er dann auch direkt in Berlin gewohnt, zunächst, wie ich meine und auch schon gesagt habe, bei seiner Schwester. Auch nachdem wir dann gemeinsam diese Firma hier gegründet hatten, ist er zunächst immer aus Berlin hierher nach Potsdam gekommen. Na ja, ist ja auch nicht sehr weit. Erst vor ungefähr fünf Jahren hat er sich dann diese Wohnung hier gekauft und ist auch nach Potsdam gezogen.“

„Wie lange war Herr Schneider denn in den U.S.A., und was hat er dort eigentlich gemacht?“, fragt Babsi nach. „Björn ist, soviel ich weiß, gleich nach Beendigung seines BWL- Studiums in die U.S.A. gegangen und dort dann ein paar Jahre geblieben. Er hat da in einem Start-Up der IT-Branche gearbeitet und ist dabei auch zu ein bisschen Vermögen gekommen. Einen Teil davon hat er dann übrigens in unsere gemeinsame Firma investiert.“

„Herr Kamp“, mischt sich Keller jetzt wieder ein, „Sie haben eben erwähnt, dass Sie sich früher, wahrscheinlich auch noch als Sie gemeinsam diese Firma hier gegründet haben, mit Björn noch besser als jetzt zuletzt verstanden haben. Wie sah denn Ihre Beziehung zueinander damals aus?“ „Ich schätze“, meint Kamp, „dass dabei auch Neugierde aufeinander eine große Rolle gespielt hat, die Neugierde auf die andere Welt, aus der der jeweils andere kam. Es war ja quasi noch die Nachwendezeit. Da haben wir auch oft über Politisches miteinander diskutiert. Björn hatte ja diese westliche Sichtweise und Sozialisation und war sogar für einige Jahre in den U.S.A., also sozusagen dem Mutterland des Kapitalismus gewesen. Ich dagegen war ein Sprössling der DDR und hatte im Sozialismus studiert, übrigens ebenfalls Ökonomie, hab' sogar meinen Doktor in Ökonomie gemacht und war für einige Jahre während und kurz nach dem Studium in der Sowjetunion gewesen. Nach meiner Zeit dort im sozialistischen Bruderland“, letzteres sagt Kamp mit leicht spöttischem Unterton, „bin ich dann hier in der damaligen DDR in die Praxis gegangen und war wissenschaftlicher Mitarbeiter in der DDR-Planungskommission. Also bei dem Background, den wir beide hatten, waren Björn und ich, was das Politische anbelangt, natürlich längst nicht immer einer Meinung gewesen. Aber interessant waren diese Diskussionen allemal und haben mir und wahrscheinlich auch Björn neue Perspektiven eröffnet. Wir hatten ja auch gemeinsam, wenn auch in ganz unterschiedlichen Ländern, einige Jahre Auslandserfahrung und waren dadurch Toleranz gegenüber anderen Lebensweisen gewohnt.“ „Und dann“, bohrt Keller weiter, „als Sie gemeinsam diese Firma gegründet hatten, haben Sie sich beide irgendwann, privat zumindest, nicht mehr ganz so gut miteinander verstanden, oder wie muss ich das sehen?“ „Ja, so war das wohl. Während wir früher auch freizeitmäßig so einiges miteinander unternommen hatten, wurde das dann irgendwann immer weniger. Vielleicht waren wir schließlich doch nicht genug auf einer Wellenlänge, oder wir waren beruflich durch die Firma so eng miteinander verbunden, dass wir nicht auch noch unsere Freizeit gemeinsam verbringen wollten? Ich weiß es nicht so genau.“

„Könnten Sie sich denn“, jetzt ist es wiederum Babsi, die diese Frage stellt, „vorstellen, wer hinter dem Mord an Ihrem Geschäftspartner Björn Schneider stecken könnte? Hatte er irgendwelche Feinde, denen so etwas zuzutrauen wäre? Hätten Sie diesbezüglich vielleicht sogar irgendeinen Verdacht?“ „Nein, wirklich nicht“, antwortet Kamp. „Björn war bestimmt kein Heiliger, aber ein liebenswerter, allseits geachteter und sensibler Mensch. Nein, solche Feinde hatte er nicht. Zumindest nicht, dass ich das wüsste. Einen diesbezüglichen Verdacht kann ich nicht äußern.“ „Und gestern Abend und gestern Nacht, was haben Sie selbst da gemacht, Herr Kamp?“, fragt Babsi anschließend weiter. „Da war ich zu Hause, meine Frau wird Ihnen das bestätigen können!“, lautet Kamps knappe Antwort auf diese Frage.

„Ich denke“, meint dann Keller, „für heute reicht uns das erst mal, oder was meinst du Babsi? Hast du sonst noch irgendwelche weitere Fragen an Herrn Kamp?“ „Fürs Erste, nein!“ „Gut“, sagt dann Keller, „das wär 's erst einmal, Herr Kamp. Es kann aber gut sein, dass wir uns für weitere Fragen noch einmal an Sie wenden werden. Halten Sie sich dafür also bitte bereit. Und, sollten Sie in nächster Zeit vorhaben, für längere Zeit ins Ausland zu verreisen, dann lassen Sie uns das doch bitte vorher wissen!“

Keller und Babsi stehen daraufhin auf, Kamp ebenfalls. „Ich werde Sie noch hinausbegleiten!“, sagt dieser dabei und dann, ein wenig später und schon im Empfangsbereich, an seine hübsche Sekretärin gewandt: „Stellen Sie sich vor, Björn ist heute Nacht ermordet worden.“ „Nein, das ist ja schrecklich!“, entgegnet die Sekretärin und sieht echt erschüttert aus. „Sagen Sie mal Frau Braun“, fährt Kamp trotzdem fort, „wir haben doch sicherlich irgendwo die Adresse und Telefonnummer von Björns Mutter hinterlegt?“ Die Sekretärin scheint nach der gerade gehörten Schreckensmeldung aber nicht mehr richtig in der Lage zu sein, noch irgendetwas zielgerichtet erledigen zu können. Starr und kurz vor einem Heulkrampf stehend deutet sie nur auf einen Ordner im Regal hinter ihr: „In dem Ordner gleich hier rechts, da müsste es stehen.“ Kamp nimmt sich also selbst diesen Ordner heraus und blättert darin ein wenig herum. „Ja, hier haben wir ja schon das Gewünschte.“ Er liest Adresse und Telefonnummer von Schneiders Mutter vor, und Babsi schreibt beides mit.

„Leider“, sagt dann Keller, „müssen wir an Sie, Frau Braun, jetzt trotzdem noch zwei weitere kurze Fragen stellen. Stimmt es erstens, dass Herr Schneider, als Sie gestern Ihren Arbeitsplatz zum Feierabend verlassen haben, schon gegangen war, und nach Ihnen zu dem Zeitpunkt nur noch Herr Kamp allein hier länger im Büro war? Können Sie uns das bestätigen? Sie wissen vielleicht auch, dass Sie verpflichtet sind, der Polizei gegenüber die Wahrheit zu sagen!“ „Ja“, entgegnet Frau Braun unter leichtem Schluchzen, „das kann ich so bestätigen. Zuerst ist gestern Björn gegangen. Nach ihm dann ich, und Herr Kamp ist noch länger geblieben.“ „Gut. Dann bräuchten wir aber trotzdem für eventuelle Nachfragen von uns noch zweitens Ihre private Anschrift und Telefonnummer, Frau Braun. Festnetz- und Handynummer, wenn es geht.“

Die Sekretärin erteilt auch diese zuletzt gewünschten Auskünfte, die Babsi ebenfalls mitnotiert. „Ach so“, fällt Keller schließlich noch ein, „wir bräuchten außerdem noch den Namen und den Ort des Golfclubs, den Herr Schneider immer besucht hat.“ Auch diese Informationen erhalten die Kriminalbeamten, nun wieder von Herrn Kamp, ehe sie sich dann, diesmal aber tatsächlich, von Kamp und seiner Sekretärin verabschieden und sich auf den Weg zurück ins Polizeipräsidium machen.

3.

Kaum dass die beiden Kriminalbeamten wieder im Auto sitzen, meint Keller: „Und Babsi, was ist denn deine Meinung zu diesem Herrn Kamp?“ „Aalglatt der Typ, und scheint mächtig hinterm Geld her zu sein.“ „Ja, den Eindruck hatte ich auch. Aber, würdest du ihm auch den Mord zutrauen? Hältst du ihn für verdächtig?“ „Was für 'ne Frage, Bernd. Wem wäre ein Mord nicht zuzutrauen? Kamp würde ich nicht dazu zählen. Also kann man ihn auch meiner Meinung nach aus dem Kreis der möglichen Verdächtigen, zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls, nicht herausnehmen!“

Zurück im Polizeipräsidium machen sich Keller und Frau Weißmüller erst einmal einen Kaffee und beratschlagen, wie im Mordfall Schneider weiter vorzugehen sei. Natürlich müssten mit als Erstes die nächsten Angehörigen des Toten unterrichtet werden.

Eine leichte Aufgabe ist so etwas nicht, zumal wenn, wie hier, der Verstorbene durch ein so grausames Verbrechen und in zudem noch recht jungen Jahren ums Leben gekommen ist. Angehörige von so was unterrichten zu müssen, ist mit die unangenehmste Aufgabe, die auf einen Polizeibeamten zukommen kann. Keller erklärt sich trotzdem bereit, das zu übernehmen. Er will versuchen, die ältere Schwester Schneiders übers Telefon zu erreichen und sich mit ihr, sofern das möglich ist, zu einem Treffen, und zwar am besten noch gleich an diesem Tag verabreden. Dann erst im persönlichen Gespräch unter vier Augen möchte er ihr die schreckliche Nachricht übermitteln.

Unterdessen könnte Babsi schon mal die Reinigungsfirma aufsuchen, bei der Frau Lehmann beschäftigt ist, um sich dort die Aussagen dieser Frau entweder bestätigen oder auch korrigieren zu lassen, so beispielsweise was die Schlüssel zur Wohnung des Ermordeten anbelangt, ob mit anderen Worten also Frau Lehmann bei der Firma tatsächlich die Einzige mit Zugriff auf einen solchen Schlüssel war. Natürlich um so besser, wenn Babsi dann dort noch weitere für die Ermittlungsarbeit nützliche Informationen in Erfahrung brächte. Anschließend oder eventuell auch davor wäre es zudem ganz gut, wenn Babsi noch beim Golfclub von Herrn Schneider vorbeifahren würde, um von dort ebenfalls Erkundigungen einzuholen, ob zum Beispiel und, falls tatsächlich, von wann bis wann und eventuell mit wem Björn Schneider in dem Club gestern Golf gespielt habe. Natürlich müsste ein solcher Spielpartner dann noch weitergehend befragt werden, sei es gleich dort im Golfclub oder später durch Vorladung ins Polizeipräsidium, wobei dafür dann natürlich die Adresse oder überhaupt die Kontaktdaten zu dieser Person oder auch Personen festzuhalten wären.

Ebenfalls sollte Babsi in dem Golfclub versuchen herauszubekommen, was Herr Schneider gestern nach dem dortigen Besuch, sofern der wirklich stattfand, dann noch vorhatte, und ob das eventuell auch zusammen mit jemandem aus dem Golfclub passierte. Natürlich müsste so jemand dann ebenfalls noch weitergehend befragt werden.

Soviel zu den als Nächstes anstehenden Aufgaben. Bevor es damit aber losgeht, wollen sich Babsi und Keller, nachdem nun schon einiges in die Wege geleitet wurde, erst einmal Zeit für eine Mittagspause gönnen und zum Essen in die hauseigene Kantine begeben, während sie ja noch weiter, auch was den Mordfall betrifft, miteinander quatschen können.

Und nach dieser Pause wird die Arbeit gleich wieder aufgenommen. Als Erstes ruft Keller einen der Kollegen an, die für die weitere Spurensuche am Tatort zurückgebliebenen sind. Keller erkundigt sich nach dem aktuellen Stand der dortigen Ermittlungen und erfährt, dass diese einschließlich der Suche nach eventuellen DNA-Spuren jedenfalls für den heutigen Tag so gut wie abgeschlossen seien.

Von der Tatwaffe gab es natürlich keine Spur und auch sonst wurden in der Wohnung des Mordopfers keine für die Tatausführung verdächtigen Utensilien vorgefunden genauso wenig wie irgendwelche Anzeichen dafür, dass aus dieser Wohnung etwas geraubt oder gestohlen wurde. Frau Lehmann wurde inzwischen von einem der Polizeibeamten nach Hause gefahren. Auch die Leiche des Ermordeten befände sich jetzt nicht mehr am Tatort, sondern sei zur weiteren Untersuchung und Obduktion ins gerichtsmedizinische Institut gebracht worden. Mitte bis Ende der nächsten Woche könnte die Leiche dann wahrscheinlich, so hätte sich der Gerichtsmediziner geäußert, zur Bestattung freigegeben werden. Nein, Angehörige des Ermordeten wurden bis jetzt von den am Tatort zurückgebliebenen Kollegen noch nicht informiert.

Also versucht Keller gleich als Nächstes, die ältere Schwester des Ermordeten telefonisch zu erreichen. Da sie ja wohl Lehrerin und es jetzt früher Nachmittag ist, müsste man sie eigentlich erreichen können. Keller wählt die ihm von Kamp mitgeteilte Telefonnummer und hat auch Glück. „Angelika Schneider hier“, meldet sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung. „Keller mein Name, Bernd Keller. Ich bin Kriminalhauptkommissar der Kripo Potsdam. Es tut mir Leid, Frau Schneider, aber ich müsste Sie unbedingt mal sprechen, und zwar sehr dringend. Übers Telefon möchte ich das aber nicht machen, sondern in einem persönlichen Gespräch mit Ihnen. Und da es wirklich dringend ist, das am besten gleich heute Nachmittag. Ist das bei Ihnen möglich?“ „Ja sicher, aber was gibt es denn so Dringendes, ist es was Schlimmes?“ „Es tut mir wirklich Leid, Frau Schneider, aber ich möchte Ihnen das nicht direkt übers Telefon sagen. Wenn Sie mir bitte Ihre genaue Adresse mitteilen, komme ich noch gleich heut' Nachmittag bei Ihnen vorbei.“

Angelika Schneider nennt ihre Berliner Adresse, die sich Keller notiert. „Frau Schneider, vielen Dank. Ich fahr dann gleich los und denke, dass ich so in einer bis anderthalb Stunden bei Ihnen bin. Bis dann also!“ „Ja, bis dann!“

Keller schaut noch, bevor er dann losfahren will, im Internet nach, welchen Fahrweg er am besten nehmen muss, um zu der mitgeteilten Adresse zu kommen.

Und während er das tut, meint Babsi: „Wenn du jetzt nach Berlin zu der Schwester von Björn Schneider fährst, werde ich mich auf den Weg zur Reinigungsfirma von Frau Lehmann machen und anschließend noch Schneiders Golfclub aufsuchen.“ „Ja, Babsi, so machen wir 's“, entgegnet Keller. „Danach dann, denke ich, dürfte es für den heutigen Tag auch Zeit für den Feierabend sein. Morgen ist zwar Samstag und eigentlich Wochenende, ich denke aber, wir sollten uns für 'ne kurze Lagebesprechung hier morgen früh für 'ne Stunde oder so treffen. Schließlich soll man ja das Eisen so lange schmieden, wie es heiß ist. Also Kollegin, ich würd' sagen, wir treffen uns hier morgen Vormittag gegen elf, ist das in Ordnung?“ „Ja Chef. Geht in Ordnung, bis morgen also hier um elf!“

4.

Während sich Babsi an dem Nachmittag also auf den Weg zunächst zur Reinigungsfirma von Frau Lehmann macht und anschließend noch den Golfclub des Ermordeten aufsuchen möchte, begibt sich Keller auf die Fahrt zu Björn Schneiders Schwester. Die entsprechende Adresse befindet sich im Berliner Bezirk Tiergarten in der Nähe des Hansaplatzes.

Die Fahrtroute, die er dabei nehmen muss, hatte er sich zuvor gut eingeprägt und deshalb auch keine Schwierigkeiten, ans gewünschte Ziel zu kommen. Er klingelt bei der Schwester des Ermordeten an, und ihm wird gleich geöffnet. „Guten Tag, ich bin Bernd Keller, der Kriminalkommissar aus Potsdam, wir hatten miteinander telefoniert.“ „Ja, Angelika Schneider mein Name. Treten Sie doch bitte ein!“, wird Keller von der offensichtlichen Schwester Björn Schneiders aufgefordert, und der Kommissar folgt, nachdem er pflichtgemäß seinen Ausweis vorgezeigt hat, auch der anschließend geäußerten Bitte der aufgesuchten Person, in ihrem Wohnzimmer Platz zu nehmen. Sie selbst setzt sich ihm vis-a-vis gegenüber.

„Was führt Sie denn zu mir?“, richtet die Dame an Keller das Wort. „Leider, wie Sie sich vielleicht schon denken können, nichts Gutes. Sie sind doch die Schwester von Björn Schneider aus Potsdam, dem Mitinhaber der Immobilienfirma Schneider & Kamp?“ „Ja, was ist denn mit ihm?“ „Es tut mir außerordentlich Leid, Frau Schneider, aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Bruder in der vergangenen Nacht ermordet wurde.“ „Mein Bruder, ermordet, das gibt 's doch nicht? Und Sie sind sich wirklich sicher, dass es sich dabei um meinen Bruder handelt?“ „Ja, leider, Frau Schneider. Sicherheitshalber möchte ich Sie aber trotzdem bitten, mich nachher nach Potsdam zu begleiten, um dort Ihren Bruder zu identifizieren.“

Keller merkt, wie die Frau ihm gegenüber kurz mit ihrer Fassung ringt und die aufkommenden Tränen unterdrücken muss. „Gut, das will ich gern machen, wenn es der Sache dienlich ist.“ „Vielen Dank dafür“, entgegnet Keller. „Aber bevor wir losfahren, möchte ich vorher mit Ihnen noch ein bisschen über Ihren Bruder reden, wenn Sie gestatten. Danach, wenn es Ihnen recht ist, fahren wir dann zusammen nach Potsdam ins gerichtsmedizinische Institut, wohin der Leichnam des Ermordeten überführt wurde, und anschließend bringe ich Sie natürlich wieder nach hierher zurück. Sind Sie damit einverstanden?“ „Gut, meinetwegen. Und, was wollen Sie denn dann noch von mir wissen?“

„Na, zum Beispiel, wie Sie zu ihrem Bruder zuletzt standen, und was Sie darüber wissen, wie er zuletzt gelebt hat, mit wem er so verkehrt hat, welche Bekannten und Freunde oder auch Feinde er in letzter Zeit hatte.“

„Das ist ja 'ne Menge, was Sie von mir wissen wollen, Herr Keller. Aber ich will versuchen, einiges davon zu beantworten. Um ehrlich zu sein, war mein Verhältnis zu Björn in letzter Zeit nicht mehr das Allerbeste. So sehr eng waren wir nicht mehr miteinander wie früher einmal. Ich denke, dass wir nur noch so ein- bis zweimal im Monat miteinander telefoniert haben, und gesehen haben wir uns vielleicht sogar nur noch alle zwei bis drei Monate. Deshalb kann ich auch gar nicht viel dazu sagen, mit wem Björn in letzter Zeit so verkehrt hat. Vor einigen Jahren war das noch anders, da haben wir uns noch besser miteinander verstanden. Zum Beispiel als er hierher nach Berlin kam und sogar eine Zeit lang bei mir gewohnt hat. Aber dann hat Björn immer mehr den Lebemann rausgekehrt, hat schicke Autos gefahren, bevorzugt teure Sportwagen, hat exklusive Reisen unternommen, mondäne Kleidung getragen, ist Golf spielen gegangen und hat in den entsprechenden Kreisen verkehrt. Meine Welt war das nicht.“ „Die nämlich welche wäre?“, fragt Keller dazwischen. „Na bodenständiger eben“, bekommt er zur Antwort, „und auch kritischer den bestehenden Verhältnissen gegenüber, und nicht so geldorientiert. Schließlich bin ich Lehrerin, Deutsch und Sozialkunde sind meine Fächer. Da will ich meinen Schülerinnen und Schülern auch Werte vermitteln. Geld ist schließlich nicht alles. Nun gut, ich bin zwar auch geschieden, aber diese wechselnden Beziehungen, wie sie Björn hatte, das wäre nichts für mich und das finde ich auch nicht gut so. Ich selbst lebe nach meiner geschiedenen Ehe nun schon längst wieder und zwar seit vielen Jahren in einer festen Beziehung, wenn ich mit meinem jetzigen Partner auch nicht verheiratet bin. Der ist übrigens noch auf der Arbeit. Er ist Jurist und beim Finanzamt beschäftigt. Da kommt er meist später als ich nach Hause. Aber mit ihm wollen Sie ja wahrscheinlich nicht unbedingt auch noch sprechen, oder?“ „Nein, im Moment ist das nicht nötig“, gibt Keller zur Antwort.

„Mein Bruder Björn, so mein Eindruck“, fährt Angelika Schneider dann fort, „wollte sich wohl nicht binden. Und Kinder wollte er wahrscheinlich auch nicht haben. Kann sein, dass er die Verantwortung dafür gescheut hat. Vielleicht hatte er auch noch nicht die richtige Frau dafür gefunden, ich weiß es nicht genau.“ „Haben Sie denn überhaupt mal eine Freundin von ihm näher kennen gelernt?“, fragt Keller nach. „Vor einigen Jahren hatte Björn mal für etwas längere Zeit eine feste Freundin, die hab' ich dann auch kennen gelernt. Ich fand sie auch ganz sympathisch. Aber nachdem die beiden sich dann, ich weiß nicht warum, voneinander getrennt haben, hab' ich keine andere von ihm mehr kennen gelernt. Ich weiß auch nicht, ob Björn in letzter Zeit überhaupt was Festes hatte, keine Ahnung!“ „Aber dass Björn keine Kinder hatte, da sind Sie sich sicher?“, will Keller weiter wissen.