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Der Schnee war geschmolzen, er war wirklich weg! Sogar hier oben im bergischen Land, wo das flinke Wupperwasser die vielen Schmiedehämmer treibt, war kein Fleckchen Schnee mehr zu sehen, und hier lag er doch länger als anderswo ...
Ein liebreiches christliches Kinderbuch über den fünfjährigen Waisenjungen Hermann.
Coverbild: © Ihnatovich Maryia / Shutterstock.com
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Veröffentlichungsjahr: 2019
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Bertha Mercator
Auferstehen
Coverbild: © Ihnatovich Maryia / Shutterstock.com
Auferstehen
Der Schnee war geschmolzen, er war wirklich weg! Sogar hier oben im bergischen Land, wo das flinke Wupperwasser die vielen Schmiedehämmer treibt, war kein Fleckchen Schnee mehr zu sehen, und hier lag er doch länger als anderswo.
Ja, es musste Frühling werden! Die beiden großen Linden am Kirchhofstor wussten es ganz genau und nickten einander mit den schwanken Zweigen, an denen ja schon viele, viele Knospen und Knötchen saßen, freudig zu.
Aber zwischen ihren Stämmen ging eben ein gar trauriger Zug durch das Kirchhoftor: Vier Männer trugen einen schlichten Sarg, ein kleiner Junge von fünf Jahren ging hinterdrein; ganz dicht zum Sarge hielt er sich, sodass er von Zeit zu Zeit über die rauen Bretter streichen konnte.
Doch das tat er nur verstohlen; denn zweimal schon auf dem langen Weg zum Friedhof hatte sein Großohm, der alte Schleifer Daniel, ihm ärgerlich zugebrummt:
„Finger weg, Junge, das gehört sich nicht!“
Ach, und im Sarge lag doch des kleinen Knaben Mütterlein! Seine Mutter, die ihn so lieb gehabt hatte – so, wie eben nur eine Mutter liebhaben kann!
Nun war sie gestorben, war ganz, ganz still geworden und hatte kein Wort mehr geantwortet auf all die vielen Fragen, die ihr kleiner Hermann tat, hatte ihn nicht ein einziges Mal mehr angesehen, so sehr er immer bat:
„Ach, Mutter, Mutter, so schlaf’ doch nicht mehr!“
„Das ist der Todesschlaf“, hatte der Großohm feierlich gesagt und das weinende Kind vom Bett hinweggeführt in seine Kammer.
Der Ohm sprach immer wenig; aber in den traurigen drei Tagen, die nach der Mutter Sterben folgten, saß er mit gefalteten Händen so gar still vor seinem Schleifstein oder neben der Toten, dass der kleine Hermann auch zuletzt nicht mehr wagte, den Mund aufzutun.
Und nun trugen sie seine Mutter fort – wieder und wieder fuhr die kleine Hand nach dem Sarge, doch die Träger gingen schneller – einmal noch tippten die Kinderfinger leise an, dann kam das Grab.
Und als Hermann das sah, da fing er laut an zu weinen – er konnte nichts mehr sehen vor Tränen, und von dem Gebet, das der Pastor jetzt sprach, vernahm er nichts – nichts als das eine Wort: „Auferstehen!“
Nun war der Sarg unten – o, wie tief unten!
Die Männer alle und die Frauen warfen Erde darüber hin – Hermann sollte es auch tun.
„Drei Hände voll“, sagte ihm Ohm Daniel ins Ohr.
Nein! Nein! Das konnte er nicht – das wollte er nicht! Er schüttelte den Kopf und sah den Großohm flehend an. Der aber wollte ihn zwingen – da riss er sich los, drängte durch die Leute und lief quer hin zwischen den Hügeln, fort von seiner Mutter Grab, fort vom Kirchhof, zum Dorf hinaus.
„Mit dem kriegt Ihr noch wat zu schaffen, Daniel!“, sagten die Frauen kopfschüttelnd. „De Jung ist ja hartherzig.“
Die Linden aber flüsterten einander zu:
„Nein, nein, hartherzig ist er nicht – wir wissen es besser!“
Sie kannten den kleinen Hermann ja; denn vergangenen Sommer hatte er so manchen Nachmittag und Abend hier auf dem Friedhof gespielt oder still neben der Mutter gesessen, wenn die kranke Frau unter den schattigen Bäumen ausruhte.