Aufgeben oder Bleibenlassen - Tibor Rácskai - E-Book

Aufgeben oder Bleibenlassen E-Book

Tibor Rácskai

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Beschreibung

Am Vorabend der Katastrophe scheint es, als hätten sich alle Prophezeiungen erfüllt. Die Welt ist kalt und leer, das Brot trocken, das Bier dünn. Die Menschen haben Angst und die Angst wohnt in Sendling.

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1 Stück Heimattheater aus dem Katastrophenstadl in fünf Szenen

Annemarie Gruber Ignaz Gruber Lorenz Gruber Irene Huber

Wirtin Wirt deren Sohn seine Verlobte

Ludwig Franz Karl Josef

Vier Motorradfahrer

und ein Giesinger Junggesellenverein

Das Sendlinger Gasthaus „Zum besseren Verständnis“, irgendwann im Winter

Am Vorabend der Katastrophe scheint es, als hätten sich alle Prophezeiungen erfüllt. Die Welt ist kalt und leer, das Brot trocken, das Bier dünn. Die Menschen haben Angst und die Angst wohnt in Sendling.

Inhaltsverzeichnis

Szene

Szene

Szene

Szene

Szene

1. SZENE

Der Vorhang hebt sich und wir blicken in das Innere einer Höhle, die eine Gastwirtschaft in sich birgt. Es mag aber durchaus auch umgekehrt sein. Die Höhle ist eine typische Tropfsteinhöhle, die Gastwirtschaft ist ebenso typisch. Zur Linken sieht man einen Tresen mit Ausschank, dahinter die Tür zur Küche und den Wohnräumen.

Im Hintergrund die Eingangstür mit einem schweren Vorhang als Windfang. Daneben die Garderobe. Zur Rechten ein Kastl und darauf ein Fernsehgerät, dessen Bildschirm für das Publikum nicht zu sehen ist. Rechts in der Kulisse befindet sich, für die Zuschauer ebenfalls unsichtbar, der Eingang zu den Kellergewölben. Schweres Holzmobiliar verteilt sich im Raum, zum Teil von allerlei Tropfstein schon durchdrungen. Der Boden ist uneben, abgetreten und glitschig.

Die Szene ist in tiefe Dunkelheit getaucht, nur da und dort schimmert und glimmert es geheimnisvoll. Unter einigen Stalaktiten stehen Blecheimer. Fast während des gesamten Spiels tropft es und aus der Ferne grollt und donnert es dumpf, wie von mächtigen Steinschlägen. Alles bietet einen trostlosen Anblick und es riecht nach Moder und Verfall.

Knarrend öffnet und schließt jemand die Eingangstür. In den Windfang kommt Bewegung, eine Hand tastet nach dem Lichtschalter, doch es bleibt dunkel. Ein Streichholz wird entzündet. Wir sehen Lorenz Gruber, einen nicht mehr ganz jungen, korpulenten Mann in dicker Winterkleidung. Er tritt hinter den Tresen, steckt einige Kerzen an, legt Mantel und Hut ab und verteilt die Lichter im Raum. Unschlüssig bleibt er stehen, schaut sich suchend um und macht lockende Geräusche.

Lorenz

Ksskss ... ksskss

Er lauscht, seufzt erleichtert auf, setzt sich an einen Tisch und raucht erschöpft. Die Tür öffnet sich abermals knarrend und eine ältere Frau betritt schwer atmend den Raum, bis unter die Arme bepackt mit Taschen und Tüten.

Lorenz

ohne Regung – Mamma.

Annemarie

Loorenz, hast du ... hast du ...

Lorenz

Ja.

Annemarie

Loorenz. Wieviel?

Lorenz

Was?

Annemarie

Wieviel soll ich jetzt machen?

Lorenz

Ja mei. Machst halt, was da ist.

Annemarie

Und einen Kartoffelsalat auch?

Lorenz

Ja logisch! – aus der Küche Kochgeräusche

Annemarie

Ich versteh dich nicht, Lorenz, dass du ausgerechnet heute ...

Lorenz

Mamma, heut is mein Geburtstag!

Annemarie

Ja, das weiß ich doch, aber ... wo, dass wir doch schon immer in der Familie gefeiert haben. Ausgerechnet heute ... Genügt dir das denn nicht mehr?

Lorenz

Mamma! Heut is mein Geburtstag ... des is ...

Annemarie

Ja wennst meinst. Wie spät is denn? Wann kommens denn?

Lorenz

Kurz vor sechse. Müssten gleich kommen.

Annemarie

Ausgerechnet heute. Aber die Irene kommt schon auch, hm?

Lorenz

Mamma! Die Irene hat damit gar nix zum tun. Außerdem ist sie eine Frau.

Annemarie

Ja, ich weiß scho! Gottseidank.

Lorenz

Was ist jetzt mit die Pflanzerl? Machst die heut noch?

Annemarie

Jaa, gleich. Magst nicht doch einen Kuchen, Lorenz? Soll ich nicht doch einen Kuchen backen?

Lorenz

Mamma! Kein Kuchen, kein Kakau, kein Garnix!

Annemarie

Ja, wennst meinst. Mach ich halt die Pflanzerl und einen Kartoffelsalat.

Lorenz

Genau Mamma. Des machst jetzt. Und wenn dann alle da sind, dann ess ma und dann kannst von mir aus einen Kakau machen.

Annemarie

Gell, schon. – Kochgeräusche – Ausgerechnet heute.

Lorenz

Einmal, ein einziges Mal bloß ...

Türknarren. Auftritt Ignaz Gruber. Um die 70, aber lebhaft und für die Jahreszeit zu leicht bekleidet. Er hält eine brennende Stablampe in der Hand.

Ignaz

Ist die Mamma scho zurück?

Lorenz

Ja ... geh, tu die Lampen weg. Wo warst denn so lang?

Ignaz

betätigt den Lichtschalter – Immer noch kein Licht, ha?

Lorenz

Naa. Wie schaust du denn überhaupt aus?

Ignaz

laut – Mamma! Komm her! – Er kramt in seinen Hosentaschen und wirft eine Handvoll Batterien auf einen Tisch – Für den Fernseh. Brauchen wir jetzt aber nicht mehr.

Annemarie

Was ist denn? Bist endlich da. Mei, wie schaust denn du aus? Holst dir ja den Tod!

Ignaz

Aufpassen jetzt! – Er verschwindet wieder nach draußen, um gleich darauf mit einer altmodischen Stehlampe zurückzukehren. – Na, was sagst?

Lorenz

Gar nix ... was is des, Bappa?

Ignaz

Ein gutes Geschäft is des.

Lorenz

Geschäft? Was für ein Geschäft?

Ignaz

Ein Fassl Bier im Monat und eine Flaschen Schnaps und dem Toni sein Generator läuft für uns mit. Verstehst?

Lorenz

Generator? Geht’s dir noch gut, Bappa?

Ignaz

Blendend.

Lorenz

Bappa, wo wohnt der Toni?

Ignaz

Was fragst denn so blöd, ha? Aufpassen jetzt. Jetzt wird’s gleich richtig gemütlich daherin. – Er löscht alle Kerzen. – Mama, schalt ein! – Sie tut’s, es bleibt dunkel. – Scheiße.

Lorenz

Bappa, wie hast jetzt du den Strom daher kriegt?

Ignaz

Ja mei, Verlängerung halt.

Lorenz

Verlängerung? Bappa, des sind ja mindestens ... Wenn nicht noch mehr ... durch den Schnee?! Bappa!

2. SZENE

Die Grubers sitzen vor dem Fernsehgerät. Alle drei essen mechanisch. Man sieht, dass sie jahrelange Übung darin haben, sich nicht vom TV-Programm ablenken zu lassen. Das Gerät bleibt stumm, wirkt für den Zuschauer aber wie ein von innen beleuchtetes Kaleidoskop. Die Grubers erglühen in vielen bunten Farben und müssen blinzeln, um in dem grellen Licht überhaupt etwas zu erkennen, bleiben aber tapfer.

Annemarie

Heut is schon arg bunt, ha?

Ignaz

Hmmm ...

Annemarie

Man weiß gar nicht recht, um was es eigentlich geht.

Lorenz

Die Mamma weiß schon wieder nicht, um was es eigentlich geht.

Ignaz

Was?

Annemarie

Schmeckt’s euch?

Beide – Hmmm ...

Soll ich noch einen Kaukau machen, Lorenz?

Lorenz

Naa, Mamma. Kein Kuchen, kein Kaukau, kein Garnix. Passt scho.

Ignaz

Wo bleiben jetzt deine Spezln?

Lorenz

Was weiß ich. Wird halt irgendwas sein.

Ignaz

Hast duu ... hast du heut schon ...

Lorenz

Jaa.

Ignaz

Dann is recht. Holst du mir ein Bier, Mamma? – Sie zapft ihm ein Bier. – Wie alt wird jetz der Bua eigentlich, Mamma?

Lorenz

schaut ihn verständnislos an – Fünfunddreißig, Bappa.

Annemarie

Geh, Bappa, des weißt du doch. Sei doch net so.

Ignaz

Wie bin ich denn? Man kann sich doch nicht alles merken.

Annemarie

Habt’s ihr noch? Wollt’s noch was?

Lorenz

Danke, Mamma.

Annemarie

Is noch genug da.

Lorenz

Scho recht, Mamma.

Ignaz

Und was is mit der Sirene?

Lorenz

Irene, Bappa, Irene. Und mit der Irene is nix.

Ignaz

So?

Lorenz

Heut is Junggesellenabend, Bappa.

Ignaz

Ah geh. Ich seh keinen.

Lorenz

schaut nervös auf seine Uhr – Kommen schon noch.

Ignaz

Nicht, dass d’ dich mit uns langweilst, Lorenz.

Lorenz

Aber wo. Hab mich selten so amüsiert. Was ist jetzt mit deine Kabel, Bappa? Willst die draußen liegen lassen.

Ignaz

Naa. Werd ich’s halt in Gottes Namen nochmal kontrollieren.

Lorenz

Genau, geh a bissl kontrollieren.

Annemarie

Was? Gehst du jetz no raus? Du, jetz gehst mir fei nicht mehr ohne Mantel, gell. – Sie nestelt an ihm rum – Und da dein Schal ... und dein Hut.

Ignaz

Geh Mamma, hör auf.

Annemarie

Nix! Ich darf dich dann wieder kurieren.

Ignaz

Wo is jetz mei Taschenlamp’n – Er kontrolliert, ob die Stehlampe noch eingeschaltet ist – An ... aus ... an. Fertig. Werd’s schon noch sehn. So blöd ist der Alte auch nicht.

Lorenz

Naa, ganz g’wiss. So blöd auch wieder nicht.

Ignaz

Du!

Annemarie

Jetz schleich dich, Mo. – Ignaz ab – Und pass fei Obacht, gell. Mei, Lorenz, was ich mit deinem Bappa schon alles durchgemacht hab.

Lorenz

Mich wundert’s, dass er überhaupt noch lebt. Stromkabel durch den Schnee. Nicht zum glauben.

Annemarie

Er meint’s ja bloß gut.

Lorenz

Jaja.

Annemarie

Magst du jetz noch was essen, Lorenz?

Lorenz

Naa, Mamma, passt scho.

Annemarie

Weil, dann geh ich jetz wieder.

Lorenz

Is recht Mamma.

Annemarie

Du kannst ja noch ein bissl fernsehen, gell. Ich komm schon zurecht.

Lorenz