Aurelie und Adrien - Susanna Erlemann - E-Book

Aurelie und Adrien E-Book

Susanna Erlemann

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Beschreibung

Die beiden sechzehnjährigen Teenager Aurelie und Adrien sind seit einem Jahr ein Paar und schweben im siebten Himmel. Doch dann passiert etwas, das Aurelie komplett aus der Bahn wirft, und ihr ganzes Leben bricht zusammen. Sie sieht keine andere Möglichkeit, als mit Adrien Schluss zu machen, doch ihr treuer Freund lässt sich nicht so leicht unterkriegen, und der große Kampf um die Liebe beginnt. Aurelie befindet sich in einer Achterbahn der Gefühle und muss sich auch noch mit ihrer Zwillingsschwester Amelie auseinandersetzen, die keine Gelegenheit auslässt, sie zu drangsalieren. Wird Aurelie zu ihren Gefühlen stehen oder siegt am Ende doch der Verstand?

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Seitenzahl: 358

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2025 novum publishing gmbh

Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt

[email protected]

ISBN Printausgabe: 978-3-99130-639-9

ISBN e-book: 978-3-99130-640-5

Lektorat: Dr. Mag. Angelika Moser

Umschlagabbildungen: Pixattitude, M.a.u, PixelParticle | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Kapitel 1

Es war genau achtzehn Uhr, als die beiden sechzehnjährigen in Paris lebenden Teenager Aurelie Reaugardier und ihr Freund Adrien Martin bei Aurelies Haus ankamen. Die beiden liebten sich sehr und waren seit einem Jahr ein Herz und eine Seele. Niemand sollte und konnte ihre Bindung zerstören und jetzt waren sie zusammen beim Eiffelturm spazieren gewesen. „Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast, Adrien“, sagte Aurelie mit einem breiten Lächeln im Gesicht und Adrien lächelte zurück. Jedes Mal, wenn Aurelie lächelte, steckte sie ihre Mitmenschen damit an. „Sehr gerne“, antwortete Adrien und sie gingen Arm in Arm zu Aurelies Haustür. Gerade standen sie in dem kleinen Garten, der sich vor ihrem Haus befand, und sie wollten sich die gute Stimmung nicht kaputtmachen lassen. Immer, wenn Adrien Aurelie nach Hause brachte, öffnete ihnen Aurelies Zwillingsschwester Amelie, die zehn Minuten älter und das komplette Gegenteil von Aurelie war. Sie war intrigant, fies, rücksichtslos, egoistisch und hatte auch ein Auge auf den süßen, freundlichen und charmanten Adrien geworfen. Aurelie wusste aber nichts davon, da ihre Schwester ihre Bewunderung für ihn gut verbarg. Amelie war eben ein Profi in Sachen Lügen oder Vertuschung, und das hatte sie in der Vergangenheit immer wieder unter Beweis gestellt. Sie hatte ihren Mitschülern schon häufig die Schuld gegeben, wenn sie selbst etwas verbrochen hatte und es immer so gedreht, dass sie bestraft worden waren. Seitdem hatte sie es immer wieder getan und Gefallen daran gefunden, wenn sie log und andere leiden ließ. Das gab ihr die Bestätigung und die Macht, die sie brauchte und genauso war es auch bei Aurelie. Sie war neidisch auf sie, da sie ihren Adrien und eine perfekte Beziehung mit ihm besaß. Allerdings war es kein Wunder, dass Amelie ihnen nacheiferte und ihn auch gut fand, da er Aurelies absoluter Traumprinz war und nie etwas falsch machte. Da konnte Amelie nur neidisch sein. Nun klingelte Adrien für seine Freundin und Aurelie fiel ein, dass ihre Schwester sehr wahrscheinlich die Tür öffnen würde. Warum hatte sie ihren Schlüssel nur wieder vergessen! Sie hätte ihn nur schnell einstecken müssen und dann würde ihnen das Treffen mit Amelie erspart bleiben! Wie ärgerlich! Ihre Freude sank leicht in den Keller und dementsprechend sah sie Adrien auch an. „Was hast du?“, wollte er ein bisschen besorgt wissen und berührte sie sanft am Arm. Aurelie liebte seine Fürsorge und direkte Aufmerksamkeit für ihr Wohlbefinden und sie konnte wieder leicht lächeln. „Na du weißt doch, wer uns die letzten Male geöffnet hat, und das war wieder ein absoluter Stimmungskiller“, verriet Aurelie und presste ihre Augenbrauen unglücklich zusammen. Amelies giftige Miene hatte sie bereits vor Augen und dabei lief ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken. Hoffentlich öffnet heute jemand anderes, dachte sie und ihr Freund verstand sie. „Ja, das weiß ich, aber ignorier deine Schwester doch einfach. Sieh mal, wir hatten wirklich einen wundervollen Tag am Eiffelturm und wir wollen uns doch nicht die Laune verderben lassen. Vor allem nicht von Amelie“, betonte Adrien nochmal und seine Freundin küsste ihn auf die Lippen. „Wofür war der denn?“ Aurelie lächelte breit und beantwortete seine Frage schnell: „Für dich. Du bist toll.“ Adrien schaffte es immer wieder sie aufzumuntern und die Freude in ihr kehrte allmählich zurück. Sie hatte großes Glück mit ihm und sie schätzte seine Aufmerksamkeit. „Danke“, grinste er nun und wurde rot, da Aurelies Komplimente und Bestätigungen guttaten und er dadurch wusste, dass er alles richtig machte. Schließlich war es ihm wichtiger als alles andere, dass Aurelie glücklich war und er ihr half. Doch bevor die beiden Turteltauben weiterlachen konnten, öffnete ihnen jemand hastig die Tür. Sie erschraken, aber zu ihrer Überraschung war es nicht Amelie, die als Türöffnerin beauftragt wurde. Es war Aurelies Vater François Reaugardier, der während des Öffnens telefonierte und eine Handgestik machte, die so viel wie „Kommt rein“ aussagte. Aurelie und Adrien nickten ihm zu, um sich zu bedanken, und Adrien winkte seinem Schwiegervater zu. Er und François verstanden sich sehr gut und François hatte ihn auch sofort in der Familie aufgenommen, als Aurelie ihn vor einem Jahr vorgestellt hatte. „Ja, ja, das ist natürlich ein Problem, JA!“, hörten sie Aurelies Vater noch verärgert rufen, bis er in dem Esszimmer, das sich direkt links neben der rechteckigen Haustür befand, verschwand. Das verliebte Paar sah sich verwundert an und sie fragten sich zur gleichen Zeit, was den Fünfzigjährigen so verärgerte. Sie wollten ihn auf jeden Fall nicht darauf ansprechen, da François häufig ausrastete, wenn er Probleme hatte und dann auch noch darüber sprechen musste. Also flüsterte Aurelie: „Möchtest du noch mit in mein Zimmer kommen und mich dann zu Leona begleiten oder möchtest du schon nach Hause gehen?“ Leona Flamant war gemeinsam mit Marie Claude ihre beste Freundin und die drei waren unzertrennlich. An diesem Abend war Aurelie aber allein zu ihr eingeladen, weil sie einen Filmabend machen wollten und Marie nicht konnte, da sie mit ihrem Freund Vincent, der nebenbei auch noch Adriens bester Freund war, verabredet war. Nachdem Adrien kurz überlegt hatte, wollte er seiner Freundin eine Antwort geben und fühlte sich schlecht, als er bemerkte, dass er selbst noch eine wichtige Besprechung mit seinen Eltern Claudette und Olivier hatte. Er wusste nur nicht, worüber sie mit ihm reden wollten, aber er konnte ihnen auch nicht absagen, da er es immer allen recht machen und niemanden enttäuschen wollte. „Es tut mir wirklich total leid, Schatz, aber ich muss jetzt wieder nach Hause, weil Mama und Papa etwas Wichtiges mit mir besprechen wollen. Ich hätte dich wirklich gerne zu Leona gebracht, aber du weißt ja, dass ich nicht Nein sagen kann, weil ich …“, Adrien tat sich immer sehr schwer, wenn er sich erklären wollte, da er immer nach perfekten Worten suchte, um niemanden vor den Kopf zu stoßen, aber Aurelie verstand ihn und berührte ihn leicht an seiner Wange, was ihn stoppte. „Hey, es ist doch alles in Ordnung. Wenn deine Eltern dich brauchen, ist das eben so. Ich werde die paar Meter auch allein zurechtkommen“, versicherte Aurelie und schenkte ihm ein unterstützendes Lächeln, wodurch es ihm schnell besser ging. Adrien beruhigte es, dass sie es ihm nicht übelnahm, und drückte das sofort aus. „Okay. Dann würde ich jetzt wieder nach Hause gehen und dich allein lassen. Schade, dass unsere Wege genau in die andere Richtung gehen, sonst könnten wir wenigstens bis dahin zusammen gehen. Aber jetzt muss ich wirklich los. Bis morgen Aurelie, viel Spaß bei Leona und geht nicht allzu spät schlafen“, äußerte er und Aurelie lachte herzhaft. „Danke und mach dir keine Sorgen. Wir werden sowieso nach einer Stunde beim Film einschlafen“, vermutete Aurelie und Adrien küsste sie auf die Stirn. „Dann ist ja gut. Au revoir, mein Herz“, sagte er und ging. „Au revoir!“, rief sie ihm nach und schloss die Haustür. Sie blieb noch eine Weile vor der Tür stehen, lächelte und atmete laut aus, während Adrien nach Hause zu seinen wartenden Eltern ging. Typisch Adrien, dachte Aurelie. Er war fürsorglich und in allem, was er tat, perfekt. Manchmal verhielt er sich fast schon wie ihr Vater, wenn er ihr Ratschläge gab, aber das störte sie nicht, da sie sie lieber von ihm als von ihrem Vater bekam. Wenn François sagte, was sie besser tun und lassen sollte, war sie relativ schnell genervt, aber wenn Adrien es tat, hörte sie auf ihn und lächelte. Adrien war etwas ganz Besonderes für sie und sie wollte ihn niemals verlieren. Zuvor hatte sie sich noch nie so stark mit einem Jungen verbunden gefühlt. Meistens waren es nur Schwärmereien oder Bewunderungen, aber als sie Adrien im vorherigen Jahr kennenlernte, war alles anders. Es war während einer Protestaktion gegen Gewalt in der Nähe des Louvres und als Adrien sie ansprach, verliebte sie sich augenblicklich in ihn. Damals war er schon genau so perfekt wie heute und er hatte auch damals gewelltes braunes Haar und strahlend blaue Augen, die Aurelie immer an den Ozean erinnerten. Aurelie hatte zu dem Zeitpunkt noch brustlange braune Haare, aber aktuell besaß sie eine lange schokobraune Mähne, welche bis zur Hüfte reichte und die sie mit einem dunkelgrünen Haarband zurückband. Es passte perfekt zu ihren Augen und da ihre Haare nicht im Weg waren, wurde ihr kleines rundes Gesicht gut betont und jeder sah ihre kleine Stupsnase, die tannengrünen Augen und die vollen Lippen. Amelie hingegen sah gar nicht so aus, obwohl sie ihre Zwillingsschwester war. Im Gesicht waren sie sich sehr ähnlich, obwohl Amelies Augen braun waren. Der größte Unterschied war, dass Amelies Haar nicht so voluminös und nur schulterlang war und ihre Stirn von einem Pony bedeckt wurde. Dadurch konnten alle sie auseinanderhalten und es gab keine Verwechslung. Jetzt wollte Aurelie aber wieder losgehen. Sie musste ihrem Vater nur irgendwie mitteilen, dass sie verabredet war. Ihr war bewusst, dass sie ihm jetzt nichts zurufen durfte, weil sie dadurch sein Telefonat störte. Also entschied sie sich dazu, dass sie schnell in ihr Zimmer lief, um ihm einen Zettel zu schreiben und ihn dann an die Esszimmertür zu kleben. So würde er ihre Mitteilung sofort sehen. Die lange Holztreppe, die sich direkt vor der Haustür befand und zum Badezimmer und zu den Schlafzimmern der Familie führte, schlängelte sich und man musste immer abbiegen, wenn man die Stufen hochlief. Also stieg sie die Stufen hinauf und kam im oberen Flur an, dessen Wände mit ganz vielen Familienbildern geschmückt war. Auf manchen Bildern war auch Younes, der ältere Bruder der Zwillingsschwestern, zu sehen. Younes war fünfundzwanzig Jahre alt und vor vier Jahren ausgezogen, als er seine Ausbildung zum Polizisten abgeschlossen hatte. Seitdem wohnte er in der Pariser Innenstadt und seine Schwestern hörten nur noch einmal in der Woche von ihm, da er immer ziemlich beschäftigt war. Außerdem war er ein Mädchenschwarm. Jede Woche gab es ein anderes Mädchen, das ihn auf der Straße ansprach, wenn er seine dienstlichen Kontrollen durchführte, aber der schwarze Lockenkopf mit den dunkelbraunen Augen ignorierte sie und vermittelte jedes Mal aufs Neue, dass er nicht an Flirts interessiert war. Younes war eher Einzelgänger, weil er der Meinung war, dass er allein besser zurechtkäme, und Frauen ihm nur Probleme bereiten würden. Aurelie betrachtete die Bilder kurz und lächelte. Sie und Amelie hatten nicht viel Zeit mit ihm gehabt, als sie noch klein waren, aber Aurelie gab sich Mühe, damit sie Kontakt mit ihrem neun Jahre älteren Bruder hatte. Sie schlich durch den langen Flur, bis sie schließlich ihr Zimmer erreichte. Es war das letzte Zimmer und sie musste immer zehn Meter laufen, um es zu erreichen. Sie ging in das kleine Zimmer, das ziemlich einfarbig gestaltet war. Ihre Möbel waren weiß und die Tapete besaß ein angenehmes Rosa, das Licht ins Zimmer brachte. Aurelie marschierte zu ihrem Schreibtisch und zog sich einen gelben Minizettel aus einer der unteren Schubladen. Danach schnappte sie sich einen Kugelschreiber und schrieb ihre Nachricht auf. Zu guter Letzt riss sie sich ein Stück Tesafilm ab und klebte ihn an dem Zettel fest, sodass eine Klebefläche frei war. Fertig! Sie spazierte den Weg zurück und kam zum Untergeschoss, wo sie ihren Vater, immer noch recht aufgebracht, telefonieren hörte. Jetzt bloß leise, dachte Aurelie und fühlte sich wie eine Geheimagentin, als sie zur Esszimmertür schlich und den Zettel befestigte. Geschafft! Dann schnappte sie sich einen Haustürschlüssel von dem kleinen Schlüsselbrett, das an der Wand neben der Haustür befestigt war, und verließ sie das Haus. Auf dem Weg zu ihrer Freundin bemerkte Aurelie, dass es draußen kühl und dunkel geworden war und bereits Sterne am Himmel zu sehen waren. War das eben etwa auch schon so, als sie mit Adrien unterwegs war? Da hatte sie es wahrscheinlich nicht mitbekommen, weil sie sich ausschließlich auf ihn fokussiert hatte. Sobald ihr Freund bei ihr war, vergaß sie sowieso einiges, weil ihr dann immer heiß wurde und sich ihr Herzschlag beschleunigte. Während sie über den Bürgersteig lief, um die Metrostation zu erreichen, die sie zu Leona bringen sollte, waren die Straßenlaternen an und sie sah, wo sie hinlief. Dennoch fühlte sie sich ein wenig unwohl, da sie es hasste, allein im Dunkeln unterwegs zu sein. Der Wind pustete sie von hinten an und ihre Haare flogen nach vorne. Als sie nach oben sah, konnte sie sogar eine Sternschnuppe sehen. Wie schön die Abenddämmerung doch sein konnte, aber sie war kalt und und sie rieb sich die Arme, obwohl sie eine Winterjacke trug, die sie vor den eisigen Temperaturen schützte. Es raschelte in den Büschen und Aurelie bekam Angst. Immer wieder sah sie sich um, aber sie sah nichts und niemanden, der oder das ihr gefährlich werden konnte. Ihr Herz pochte wie verrückt und ihr wurde warm, da sich ihre Furcht zu erkennen gab. „Oh Mann“, wisperte sie ängstlich und es raschelte schon wieder, während sie an den Büschen vorbeiging. Es war erst halb sieben, doch es kam ihr so vor, als wäre es bereits Mitternacht. Warum musste es immer so dunkel sein, wenn der Winter kam? Und warum hatte sie immer vor allem Angst? Aurelie fragte sich alles Mögliche und augenblicklich beschloss sie, etwas in die Stille zu fragen. „Ist da jemand?!“, keuchte sie und es knackte in den Büschen. Sie fuhr herum, aber sah immer noch keine Menschenseele. So langsam wurde es ihr immer unheimlicher und sie wünschte sich, dass Adrien an ihrer Seite war. Ihr Herz machte, was es wollte, und am liebsten würde sie einfach zurück nach Hause laufen, wo sie sich weder beobachtet noch unsicher fühlte. Sie atmete laut und plötzlich packte sie ein fester Griff, der ihre Jacke beinahe durchbohrte und sie augenblicklich in die Büsche zog. Aurelie schrie wie am Spieß und schlug panisch um sich, aber vergeblich. Ihr schlug das Herz bis zum Hals und alles ging viel zu schnell. Sie wusste gar nicht, was gerade geschah und was sie tun sollte. „HILFE! NEIN! LASS MICH LOS!“, schrie sie voller Panik und sah mit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit. Im selben Augenblick sah sie einen großen, breiten Mann, der sie durch die Dunkelheit angrinste. Dieses Grinsen wirkte gefährlich, bedrohlich und unberechenbar und Aurelies Panik ergriff ihren ganzen Körper. „Entspann dich, Schätzchen“, sagte der fremde Mann mit bedrohlicher Stimme und lachte höhnisch. Sein Lachen war so hallend und gefährlich wie das eines Mörders aus einem Horrorfilm und Aurelie sah ihn furchterfüllt an. Auf einmal zwängte der Mann sie in eine Ecke, aus der sie sich nicht mehr befreien konnte. Seine Griffe waren so fest und Aurelie saß in der Falle. Gleich würde sie noch umkippen, wenn ihr Herz noch weiter so verrückt gegen ihre Brust hämmerte. Die Angst und das Gefühl hatte, dass sie vollkommen hilflos war, überwältigte sie. „Was wollen Sie von mir?! Lassen Sie mich sofort gehen!“, schrie Aurelie und atmete aufgebracht. Doch der Fremde redete nicht mehr mit ihr. Sie bekam einen roten Kopf und der Mann fühlte sich fantastisch. Er hielt sie mit seinen eiskalten Händen an beiden Handgelenken fest, sodass sie sich nicht wehren konnte. „Was macht dieser Typ mit mir, was will er?!“, dachte Aurelie angsterfüllt und schrie weiter. Irgendwann ging ihr die Kraft aus und ihr Puls stieg weiter an. Auf einen Schlag spürte sie ein feuchtes Tuch in ihrem Gesicht und sie wurde schwächer. „Was … was wollen Sie nur von … mir?“, wollte sie ein zweites Mal wissen, doch ihr schwanden die Kräfte. Ihre Beine wurden wie Wackelpudding und sie konnte sich kaum aufrechthalten. Alles drehte sich und sie hörte nur noch, wie die schwarze Gestalt ankündigte: „Du und ich Schätzchen, wir beide haben jetzt Spaß.“ Aurelie verstand doch noch ganz genau, was der Mann jetzt wollte, und erschrak. Er küsste sie am Hals und riss ihre Jacke auf. Aurelie wusste nicht, wie ihr geschah, aber ihr war bewusst, dass sie das nicht wollte. Plötzlich fummelte er unter ihrem Pullover herum, zerriss die Wolle und küsste sie zwischen ihren Brüsten. „Ich will das nicht!“, rief sie und hatte das Gefühl, sie wäre in einem wahr gewordenen Albtraum gelandet. „Ach sei leise!“, fluchte der Mann und hielt sie nur noch an einem Handgelenk fest. Aurelie sah nicht, was er tat, und weinte. Der Fiesling hatte ein großartiges Gefühl. Er hatte ein hilfloses Mädchen in seiner Gewalt und es auch noch betäubt, damit es sich nicht mehr verteidigen konnte. Aber Aurelie wollte das alles gar nicht und das wurde ihr immer klarer. Ihr blieb der Atem weg, doch sie nahm ihre letzte Kraft zusammen, um ihm zu verdeutlichen, dass das gegen ihren Willen war. Sie konnte es nicht zulassen, dass ein Verbrecher sie und ihren Körper für seine perversen Zwecke ausnutzen wollte! Er küsste sie immer wieder an Hals, Bauch oder Brust und Aurelie krächzte schwach: „Ich sagte doch, lass mich in RUHE!“ Danach trat sie ihm mit letzter Kraft zwischen die Beine, um ihn außer Gefecht zu setzen. Vorhin, als er sie nur noch an einem Handgelenk festgehalten hatte, hatte er seine Hose hinuntergezogen, und jetzt traf sie ihn genau dort, wo es ihn mit einem lauten Schrei zu Boden sinken ließ. „AH!“, stieß er schmerzerfüllt heraus und löste seinen fesselnden Griff. „Das wirst du bereuen! Na warte!“, drohte er ihr wütend und humpelte wieder auf sie zu. Bevor der Verletzte aber die Möglichkeit bekam, sie wieder in seine Gewalt zu nehmen, ergriff Aurelie die Flucht. Sie war völlig aufgelöst und orientierungslos, aber sie wusste, dass sie sofort nach Hause laufen musste und wollte. Sie musste sich in Sicherheit bringen! Aurelie sprang aus den Büschen und drückte sich die Jacke über ihren halbnackten Oberkörper, damit sie nicht frieren musste. Hektisch rannte sie zurück zu ihrem Haus, aber sie fühlte, dass ihre Beine keine Kraft mehr hatten und dass ihr Schädel brummte. Außerdem pumpte ihre Tränendrüse wie wild und sie weinte, während sie sich in Sicherheit begeben wollte. Ihr Peiniger verfolgte sie nicht mehr, da sie ihn perfekt verletzt hatte, aber er war sehr wütend. Er kniete in den Büschen und schrie noch so laut, dass sie ihn hörte. Alles in ihm kochte und er wollte Aurelie am liebsten sofort verprügeln, doch sie war in sicherer und weiter Entfernung zu ihm. „DU MISTSTÜCK!“, war das Letzte, das sie noch von ihm hörte, aber sie weinte weiter und kam endlich an ihrem Haus an. Ihr gesamter Körper stand unter Adrenalin und das hatte ihr noch den letzten Schub für ihre Flucht gegeben. Das panische Mädchen rührte in ihrer Jackentasche herum und suchte völlig aufgelöst den Schlüssel. Sie weinte noch immer und fühlte sich so mies. Endlich fand sie den Schlüssel, aber er fiel auf den Boden und es klirrte. Aurelie hämmerte gegen die Tür und rief nach Hilfe. „Au… aufmachen … BITTE!“ Vergeblich sah sie nach, wo der Schlüssel hingefallen war, doch glücklicherweise öffnete ihr jemand die Tür. Die Luft zum Atmen wurde ihr knapp und genau, als ihr ihre Mutter Dominique Reaugardier aufmachte, brach sie vor ihr zusammen. Ihre Augen verwandelten sich in einen schwindelnden Kreisel und Aurelies Kräfte verließen sie. „Hey, was ist denn Aurelie, hast du was vergessen, du …“, begann ihre Mutter, doch ihr jüngstes Kind verlor schneller das Bewusstsein, als sie sprechen konnte. Dominique erschrak und hockte sich zu ihrer Tochter, die ihr in die Arme gefallen war. „OH GOTT! SCHATZ! Hey, wach auf! FRANÇOIS! KOMM SCHNELL!“, befahl sie und wurde panisch. Sie rüttelte ohne Erfolg an Aurelie herum und ihr Herzschlag beschleunigte sich aus lauter Angst um ihre arme Tochter. Endlich kam ihr Ehemann und rief ohne lange Überlegung einen Rettungswagen. „Dominique, was hast du Schatz?“, wollte er ruhig wissen und wurde genauso panisch wie sie, als er seine regungslose Tochter sah. „ACH DU … Was ist mit ihr passiert?!“ „Ich habe keine Ahnung, aber ruf jetzt sofort einen Krankenwagen!“, forderte die dreifache Mutter ihn laut auf und François nickte gehorsam. „Jaja … klar!“ Er preschte schnell in die Küche, holte sein Handy und kam danach zurück zu seiner Familie. In Windeseile tippte er die Nummer in das Handy ein und es klingelte am anderen Ende der Leitung. „Hallo, Notrufzentrale, was kann ich für Sie tun?“, fragte der Mann am Telefon und der Familienvater erzählte ihm aufgewühlt, was mit seiner Tochter geschehen war. „Hallo, hier ist François Reaugardier, wir brauchen hier sofort einen Rettungswagen. Meine Tochter … sie ist hier angekommen und in der Tür zusammengebrochen. Sie atmet, aber sie bewegt sich nicht. Wir brauchen hier dringend Hilfe!“ „Beruhigen Sie sich bitte. Wo sind Sie denn?“, fragte der Mann ruhig und diese Ruhe verängstigte Aurelies Vater nur noch mehr. „Wir sind in der Rue du Jour 34. Kommen Sie bitte schnell!“, flehte er ihn an und der Mann gab weitere Anweisungen. „Alles klar. Bringen Sie ihre Tochter in die stabile Seitenlage. Wir schicken einen Wagen los und sind bald bei Ihnen“, kündigte er an und François nickte hektisch, während er Dominique mit Handzeichen sagte, was sie tun sollte. „Bis gleich und danke“, antwortete er und legte auf. Dominique brachte Aurelie in die stabile Seitenlage und ihr Mann streichelte seiner Tochter vorsichtig über das Haar. „Kommen Sie?“, fragte Dominique mit trauriger Stimme und sah François hoffnungsvoll an. Sie war extrem besorgt und er bestätigte ihre Frage mit einem ernsten Nicken. „Was ist nur mit ihr passiert?“, jammerte sie und François strich ihr sanft über den Rücken, um seine Geliebte etwas zu beruhigen. Jedoch brachte ihm seine Fürsorge nichts. „Ich habe keine Ahnung, aber irgendwas stinkt hier ganz gewaltig. Sieh sie dir doch an. Ihre Klamotten sind kaputt, unter der Jacke trägt sie nur einen BH, ihre Haare sind zerzaust und … sie hat überall blaue Flecken“, zählte er auf und bekam eine böse Ahnung. „Ich glaube nicht, dass sie bei Leona angekommen ist“, weinte Dominique und strich sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. Sie wollte nicht daran denken, aber Aurelies Anblick rief die tiefsten Ängste. „Du meinst, dass jemand sie …“, weiter kam François nicht, weil es ihm die Sprache verschlug. Er schluckte und Dominique nickte, um seine Vermutung zu bestätigen. Geschockt sah er zu seiner bewusstlosen Tochter und schluchzte: „Meine arme Aurelie.“

Kapitel 2

Mittlerweile war eine halbe Stunde vergangen und Aurelie war mit dem Krankenwagen abgeholt worden. Ihre Mutter war bei ihr im Wagen und ihr Vater war hinterhergefahren. Doch nun saßen die besorgten Eltern im Wartebereich des Krankenhauses und es war nach zwanzig Uhr. Die beiden wurden vor Angst halb wahnsinnig, da sie nur gesehen hatten, wie ihre Tochter ins Behandlungszimmer gefahren wurde, und ihnen nicht klar war, was mit ihr passiert war und warum sie ihr Bewusstsein verloren hatte. François lief aufgeregt auf und ab und Dominique versuchte, ihn zu beruhigen, leider mit wenig Erfolg. Schuldgefühle quälten ihn und er machte sich große Vorwürfe, wobei er sich ausmalte, was seiner armen Tochter wohl widerfahren war. „Wenn ich sie doch nicht hätte gehen lassen, wäre das alles gar nicht passiert, aber nein, ich musste mich am Telefon mit meinem Bruder streiten! Ich bin so …“, Dominique stand auf und unterbrach ihn bei seinen Vorwürfen. „Du bist nicht dafür verantwortlich, dass das passiert ist. Niemand kann etwas dafür und wir wissen ja auch noch gar nicht, was genau sich da abgespielt hat. Beruhige dich bitte ein bisschen, François. Ich weiß, dass es dir schwerfällt, aber versuch es bitte“, ermahnte ihn Dominique mit ruhiger Stimme und streichelte ihm behutsam die Wange. Dabei spürte sie die Stoppeln seines grauen Bartes und sie versuchte zu lächeln, um ihn zu beruhigen, jedoch war sie selbst viel zu aufgeregt und musste sich Mühe geben, um es zu verbergen. „Na gut“, stimmte er zu und setzte sich mit ihr auf einen der Stühle im Wartebereich der Notaufnahme. Die Ruhe wurde allerdings schnell beendet, als Dominiques Handy brummte und Aurelies Freundin Leona anrief. „Das ist Leona“, bemerkte Aurelies Mutter und sah auf den Bildschirm ihres Handys, „sie macht sich bestimmt Sorgen, weil Aurelie nicht bei ihr angekommen ist.“ „Verständlich“, brummte François und Dominique überlegte nicht mehr lange, ob sie den Anruf annehmen sollte oder nicht. Zuerst schrieb sie ihrer anderen Tochter Amelie, dass sie im Krankenhaus waren,und danach ging sie ans Telefon. Immerhin hatte Aurelie sich ursprünglich mit ihr verabredet und Leona machte sich bereits tierische Sorgen um ihre Freundin. Dominique musste ihr also von allem berichten! „Ja hallo, hier ist die Dominique“, begrüßte sie Aurelies Freundin und diese kam gar nicht erst dazu, die Begrüßung zu erwidern. Stattdessen machte sie ihre Sorge um Aurelie direkt erkenntlich. „Wissen Sie, wo Aurelie ist?! Sie wollte schon vor über einer Stunde bei mir sein und normalerweise kommt sie immer höchstens eine halbe Stunde zu spät, wenn das mit der Metro nicht klappt. Aber doch keine ganze Stunde! Ich habe auch schon Marie angerufen und gefragt, ob sie etwas weiß, aber sie konnte mir auch keine Antwort geben. Sie ist jetzt bei mir und bei Aurelie selbst habe ich es auch probiert, aber da ging nur die Mailbox ran und bei Ihnen zu Hause war auch niemand. Ich mache mir wirklich große Sorgen um sie!“, erzählte Leona besorgt und alles in ihr schrie nach Antworten, weil sie es hasste, wenn sie nichts von ihrer Freundin wusste oder etwas Seltsames geschah.„Beruhige dich bitte erstmal. Marie ist jetzt also bei dir?“, überprüfte Dominique zuerst, um nicht doppelt zu erzählen, was sich gerade ereignet hatte und um sich nochmal zu vergewissern, ob sie sich während Leonas aufgeregten Berichts nicht verhört hatte. „Ja“, antwortete Leona trocken und Maries Stimme erklang durch den Hörer. „Hallo Madame Reaugardier. Wissen Sie irgendetwas?“, wollte Marie nun wissen und nachdem sich bestätigt hatte, dass beide Freundinnen ihrer Tochter am anderen Ende der Leitung waren, brummte Dominique eine Art Ja. „Aurelie, mein Mann und ich sind im Krankenhaus. Sie ist vor unseren Augen zusammengebrochen und alles sieht danach aus, als hätte sich jemand an ihr zu schaffen gemacht. Aber bleibt bitte ruhig und zu Hause, bevor euch auch noch etwas passiert. Kommt morgen vorbei, aber bitte nicht mehr heute. Das alles hier ist schon stressig genug“, brachte sie es auf den Punkt und ihr Mann nickte nur neben ihr. „Tut ihr mir bitte den Gefallen?“ Dominique fiel es nicht leicht, den Mädchen von Aurelies furchtbarem Erlebnis zu erzählen, aber sie verdienten die Wahrheit und sollten sich unbedingt an ihren Rat und ihre Forderung halten. Sie sollten nicht auch noch allein durch die Dunkelheit laufen und sich in Gefahr bringen. „Oh mein Gott“, stammelte Leona und Marie war genauso geschockt. In diesem Moment der Wahrheit blieb ihnen der Atem weg. Sie konnten kaum glauben, was Dominique ihnen gerade mitteilte. „Wie konnte das denn passieren? Und wie geht es ihr?“, wollte sie wissen und Leona machte sich auch schon genau wie Aurelies Vater Schuldgefühle. Sie dachte, dass das alles nicht passiert wäre, wenn sie Aurelie direkt auf dem Weg entgegengekommen wäre. Sie fühlte sich wie eine schlechte Freundin, die nicht für ihre Freundin da gewesen war, als sie sie brauchte. „Wir wissen leider noch nichts. Aurelie wird noch untersucht, aber bleibt bitte, wo ihr seid und … Adrien! Dem dürft ihr auch noch nichts verraten. Er würde auch sofort hierherkommen“, fiel Dominique ein und sie hoffte, dass die beiden jungen Frauen auf sie hören würden, um noch mehr Trubel zu vermeiden und ihnen noch einmal deutlich zu sagen, was sie tun und lassen sollten, um diese Misere nicht noch weiter auszubreiten. „Wir tun, was Sie sagen“, erwiderte Marie ernst und wollte lieber auf die Mutter ihrer Freundin hören, da sie recht hatte und es vorzeitig erstmal der beste Weg war, solange sie nichts Genaueres wussten. Leona ergänzte den Rest ihres Satzes direkt. „Aber morgen früh kommen wir so früh wie möglich ins Krankenhaus, um nach ihr zu sehen und den armen Adrien werden wir auch informieren. Er wird sich bestimmt furchtbar fühlen, wenn er erfährt, was Aurelie zugestoßen sein könnte …“, stellte Leona fest und dachte an Adrien. Gerade er, der immer wollte, dass es seiner Freundin an nichts fehlte oder dass es ihr auf irgendeine Weise schlecht ging, würde in ein tiefes Loch voller Schuldgefühle und Ängste fallen wenn man ihm berichtete, was möglicherweise passiert sein konnte. „Ja, ich weiß, aber kommt erst morgen gegen acht Uhr ins Krankenhaus in der Rue d’Esme“, bekräftigte die dreifache Mutter nochmal und gerade, als sie am Ende ihrer Rede angelangt war, erschien eine Ärztin im Flur. „Mädels, ich muss Schluss machen. Die Ärztin ist jetzt da.“ „Ist in Ordnung“, sagten die beiden Sechzehnjährigen und Dominique Reaugardier legte schnell auf, damit sie sich auf die große, schlanke Ärztin mit den kurzen feuerroten Haaren konzentrieren konnte. Sie trug eine viereckige Brille und stand nun genau vor den beiden Eltern, die endlich nicht mehr warten mussten. „Guten Abend Madame und Monsieur Reaugardier. Ich bin Cecile Beaumont, die behandelnde Ärztin Ihrer Tochter Aurelie. Wir haben sie nun untersucht und sie ist so weit stabil. Es besteht kein Grund mehr zur Sorge, was ihren körperlichen Zustand betrifft“, erklärte die Ärztin und Dominique und François atmeten laut auf, bis sie ihre Diagnose fortführte. „Allerdings haben wir sie, aufgrund ihres Aussehens bei der Einlieferung, einer gynäkologischen Untersuchung unterzogen und dabei haben wir ein paar spezielle Details entdeckt.“ „Was denn?“, fragte François und stand wieder auf. „Was ist mit ihr passiert?“, wollte auch Dominique wissen und wurde ernst. „Nun ja, also wir haben Speichelreste an ihrem Hals und zwischen ihren Brüsten gefunden und ihre Verletzungen an den Handgelenken deuten auch darauf hin, dass sie von jemanden festgehalten wurde. Alles sieht danach aus, als hätte sie jemand sexuell missbrauchen wollen“, berichtete die Ärztin schweren Herzens und Aurelies Eltern fielen in ein tiefes Loch. Sie wollten nicht glauben, dass ihre Vermutung bestätigt wurde, aber sie waren auch froh, dass sie nun wussten, was Aurelie geschehen war. Dennoch schmerzte die Wahrheit wie eine frische Brandwunde in ihren Elternherzen. „Jemand wollte sie also vergewaltigen?!“, wiederholte François nochmal zu seinem eigenen Verständnis und der Schock übernahm seinen Körper. Die Ärztin nickte betrübt. Ihr fiel es auch nicht leicht, den besorgten Eltern zu erzählen, was sie herausgefunden hatten, aber sie musste es tun. Es war ihr Beruf und sie durfte auch nichts leugnen oder verändern, damit es besser klang. „Leider hat der Täter das sehr raffiniert gemacht. Er hat sie mit einer Substanz betäubt, die sie einatmete, und wenn man diese eine Weile einatmet, verliert man erst die Kontrolle über seinen Körper und dann irgendwann auch das Bewusstsein. Das war auch der Fall bei Aurelie und sie hat wirklich großes Glück gehabt, dass sie fliehen konnte. Wenn nicht, wäre sie beim Täter ohnmächtig geworden und dann wäre sie ihm schutzlos ausgeliefert gewesen“, erzählte die behandelnde Ärztin und gab nochmal Entwarnung, „aber wir haben wirklich keine Spuren im Intimbereich gefunden und deshalb können wir ausschließen, dass der Täter es geschafft hat. Außerdem ist Aurelie jetzt sicher und sie schläft.“ „Ich kann einfach nicht glauben, was mein armes Kind durchmachen musste. Diesen miesen Saubock, diesen Schurken, dieses Monster werden wir anzeigen und dann kommt der nicht so einfach davon!“, beschloss François wütend und gestikulierte wild mit seinem Zeigefinger herum. Er wollte nur, dass der Mann, der Aurelie Gewalt antun wollte, bestraft wurde, und das auch so hart wie möglich. Schließlich hasste er es, wenn es nicht so lief, wie er es wollte und wenn es seinem jüngsten Sprössling furchtbar ging. „Das können Sie selbstverständlich tun und ich hätte es Ihnen auch geraten, wenn Sie es jetzt nicht selbst beschlossen hätten. Die Polizei wird morgen früh auch eintreffen und Ihre Tochter befragen. Wir wollten, dass sie sich jetzt erstmal von dem ganzen Schock erholen kann und niemand sie mit dem konfrontiert, was sich heute abgespielt hat. Wenn Sie jetzt nach Ihrer Tochter sehen, würde ich Ihnen auch davon abraten, sie sofort darauf anzusprechen. Wenn sie von selbst reden will, ist das okay, aber regen Sie sie bitte nicht noch mehr auf“, riet die Ärztin den beiden Fünfzigjährigen ruhig und sie nickten. „Okay. Wir versuchen es. In welchem Zimmer ist Aurelie denn?“, erkundigte sich Dominique und ergriff die Hand ihres Ehemannes. „Zimmer 104. Es ist das vorletzte Zimmer, bevor es zur fünften Etage geht. Auf Wiedersehen“, sagte die Ärztin, verabschiedete sich und zeigte in die Richtung, die zu Aurelie führte. Danach drehte sie sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung. „Dann mal zu unserem armen Kind“, forderte François seine Frau auf und sah sie finster an. Jetzt da er wusste, was vor gar nicht langer Zeit mit Aurelie geschehen war, ging es ihm noch schlechter und die Schuldgefühle nagten an ihm. Doch damit war er nicht allein, da es seiner Liebsten nicht anders ging. Auch sie sah erschüttert zu Boden und fragte sich, weshalb ihrem armen Kind so etwas Furchtbares zustoßen musste. Warum war sie auch nicht da gewesen, als sie sie gebraucht hätte, und warum hatte sie sie nicht zur Metrostation gefahren? Dann wäre dieses ganze Desaster gar nicht erst passiert und Aurelie würde jetzt glücklich mit Marie und Leona Filme gucken. Nach François Ankündigung befolgten sie die Wegbeschreibung von Doktor Beaumont und kamen in Aurelies Zimmer. Aurelie lag schlafend in dem weiß bezogenen Krankenbett und ihre Eltern schlichen langsam in ihre Richtung. Sie kamen sich wie Diebe vor, die sich an ihre Beute heranschlichen. Aktuell wollten sie ihre Tochter nur nicht aufwecken, aber das gelang ihnen nicht. Als sie sich auf die Stühle neben dem Bett setzten, öffnete Aurelie die Augen und schreckte auf. „AH!“, rief sie erschrocken und stützte sich auf ihren Händen ab, „Maman, Papa, was macht ihr hier und wo bin ich überhaupt? Ist dieser ekelhafte Kerl weg?“ „Ja, er ist weg“, beruhigte Dominique und Aurelie ließ sich langsam wieder zurück ins Bett sinken. Trotzdem war sie aufgewühlt und wollte keinesfalls über das, was ihr passiert war, reden. „Du bist im Krankenhaus. Als du nach Hause gekommen bist, warst du völlig fertig mit den Nerven und bist zusammengeklappt“, erklärte ihr François und Aurelie riss die Augen auf. Durch die Worte ihres Vaters wurde sie augenblicklich an die Handlungen vor ein paar Stunden erinnert und vor ihren Augen lief ein Film ab. Sie atmete schnell und bekam Angst, obwohl sie in Sicherheit war. „Aurelie, was hast du?“, fragte ihre Mutter besorgt und berührte sie sanft an der Hand. Das beunruhigte sie aber noch viel mehr und sie zog ihre Hand weg. „Ich … ich … ich habe schon wieder so einen Film vor Augen und immer noch Angst. Aber ich will auf keinen Fall darüber sprechen, es … es war so schlimm und ich will nicht daran erinnert werden“, flehte Aurelie ihre Eltern an und Tränen kullerten aus ihren Augen. Panik, Trauer und Aufregung nahmen Platz in ihrem Körper ein und sie wusste nicht wohin mit diesen drei Emotionen. „Das akzeptieren wir, aber morgen früh musst du darüber reden, weil wir diesen Mistkerl anzeigen werden. Dann kann er sich nicht mehr an unschuldigen Mädchen vergreifen!“, sagte François voraus und war in seinem Element. Gerechtigkeit war mehr als angebracht für ihn. „Wie? Kommt dann etwa die Polizei? Ich will nicht darüber reden!“, offenbarte sie ihrer Familie aufgeregt und ihr verzweifelter Blick unterstützte sie dabei. Warum entschieden sie so etwas über ihren Kopf hinweg? Hatten sie etwa kein Verständnis für ihre Situation?! „Das kann ich nur zu gut verstehen, aber das musst du, wenn du möchtest, dass der Typ zur Rechenschaft gezogen wird“, betonte Dominique und Aurelie weinte nur noch mehr. Konnte sie denn niemand verstehen? Sobald sie darüber nachdachte, spielte sich alles nochmal vor ihren Augen ab und sie verspürte die Panik erneut. Das wollte sie doch gar nicht, aber sie wollte auch nicht, dass er einfach so davonkam. „Natürlich möchte ich, dass er bestraft wird, aber …“, Aurelie stoppte. Erst in diesem Moment kam ihr Leona wieder in den Sinn und Marie und … Adrien. „Weiß Leona überhaupt, dass ich nicht mehr komme? Sie macht sich bestimmt schon tierische Sorgen“, vermutete sie und warf die Decke zur Seite. Sie wollte aufstehen und losgehen, aber ihr Vater hielt sie am Arm fest, damit sie nicht weglaufen konnte. „Es ist alles gut. Leona weiß Bescheid und kommt morgen mit Marie vorbei“, klärte sie Dominique auf und lächelte ihre Tochter liebevoll an. Langsam beruhigte sie sich wieder und setzte sich zurück aufs Bett. „Und ich denke, es ist besser, wenn du dich ausruhst. Du bist immerhin geschwächt und darfst erst morgen Mittag aus der Klinik entlassen werden“, erklärte François und hob die Augenbrauen an. Er kannte sich schon ein bisschen mit den Entlassungszeiten im Krankenhaus aus, weil er vor ein paar Jahren selbst Dauerpatient gewesen war. Damals war er an Krebs erkrankt und war regelmäßig bei der Chemotherapie gewesen und hatte immer wieder Schwächeanfälle gehabt. Es hatte zwei Jahre gedauert, bis er die Krankheit überwunden hatte, aber er hatte es geschafft. „Ist gut“, stimmte Aurelie ihrem Vater zu und deckte sich zu, bis ihr auffiel, dass ihre Mutter nichts über Amelie, Younes und Adrien gesagt hatte. Wussten sie etwa nicht Bescheid? Dabei bedeuteten ihr die drei Personen doch genauso viel wie ihre Eltern. „Und was ist mit Amelie, Adrien und Younes? Wissen sie es auch schon? Wissen sie, dass ich hier bin?“, fragte sie nach und sah ihre Eltern mit finsterer Miene an. „Amelie schon, ich habe ihr eine Nachricht geschrieben. Adrien soll es erst morgen erfahren und Younes bekommt es durch die Verständigung der Polizei mit. Ich will ihn jetzt auch nicht direkt damit konfrontieren. Wir wissen doch alle, was Younes macht, wenn seine Familie in Schwierigkeiten steckt. Er macht dann direkt kurzen Prozess…“, erklärte Dominique und Aurelie nickte. „Ich weiß, Younes und Adrien wären sicher sofort gekommen und Adrien … er hätte sich wieder … ach ist auch nicht wichtig. Ich versuche jetzt zu schlafen“, entschied Aurelie und kuschelte sich ins Bett, „geht bitte wieder nach Hause zu Amelie. Sie hasst es doch, wenn sie allein zu Hause und auf sich allein gestellt ist“ „Können wir dich denn wirklich alleinlassen?“, wollte François besorgt sicherstellen, da er sie ungern wieder zurücklassen wollte. Natürlich war sie sicher im Krankenhaus und ihr konnte nichts mehr passieren, aber sie befand sich in einer absoluten Achterbahn der Gefühle und er wusste nicht, ob sie ihr das nun allein zumuten sollten. Aurelie nickte aber schnell. „Geht bitte. Ich möchte jetzt schlafen und allein sein“, gab sie zu und ihre Eltern sahen sich an und kamen gleichzeitig zu dem Schluss, dass irgendetwas mit Aurelie nicht stimmte. Sonst schickte sie ihre Eltern nie weg und wollte immer, dass sie oder irgendeine andere Person bei ihr waren, wenn es ihr nicht gut ging. Nun wollte Aurelie aber nur allein sein und nicht weiter von ihnen bedrängt werden. Sie wusste, dass sie es gut meinten, aber sie konnte ihre Sorge nicht ertragen. „Dann bis morgen“, verabschiedeten sich Dominique und François und Aurelie sah sie noch einmal an. Sie winkte ihnen und schloss die Augen. Ihre Eltern verließen den Raum und vor der Tür sagte François zu seiner Ehefrau: „Ich habe ein ganz schön mieses Gefühl. Da stimmt etwas nicht mit Aurelie.“ „Ich weiß. Mir kam es so vor, als wäre sie traumatisiert“, vermutete Dominique und sah François besorgt an. Sie war sich in einer Sache sicher, und zwar, dass es Aurelie schnellstmöglich wieder gut gehen und dieses traumatische Ereignis sie nicht kontrollieren durfte. „Morgen kontaktieren wir eine Psychologin. Die wird Aurelies Lächeln hoffentlich wieder zurückbringen“, bestimmte sie und François nickte überzeugt. „Das machen wir, aber jetzt fahren wir erstmal nach Hause“, kündigte er an und die beiden verließen das Krankenhaus. Ihnen war natürlich bewusst, dass es klar war, dass Aurelie jetzt nicht glücklich war, aber sie wollten lieber den sicheren Weg gehen und dass sich Aurelie von ihren Sorgen befreien konnte. Wenn sie schon nicht mit ihren Eltern sprechen wollte, sollte sie das mit professioneller Hilfe tun. Aurelie würde bestimmt nicht glücklich darüber sein, aber das war jetzt das Beste für die besorgten Eltern.

Kapitel 3

Am nächsten Morgen ging es auch schon direkt mit dem Programm los und zwei Polizisten trafen früh bei Aurelie im Krankenhaus ein. Gegen sieben Uhr waren sie da und sie kamen nicht allein. Aurelies Eltern und auch ihr Bruder Younes kamen mit. Aurelie saß gerade in ihrem Bett und aß den letzten Happen ihres Frühstücks, als es plötzlich an ihrer Tür klopfte. „Herein!“, rief Aurelie und die fünf Personen kamen direkt ins Zimmer. „Aurelie!“, rief Younes und kam zu seiner jüngsten Schwester gelaufen. Er hielt ihre Hände und wollte sofort wissen, wie sie sich fühlte. „Hallo Schwesterlein, wie geht es dir? Ich habe gehört, was passiert ist, und da habe ich sofort meine Schicht getauscht, damit ich nach dir sehen kann. Ist alles okay?“ Aurelie lächelte ihren Bruder zaghaft an und löste sich aus seinem Griff, weil sie sich unwohl dabei fühlte. Younes Augen sahen sie erwartungsvoll und besorgt an und sie gab ihm schnell eine Antwort. „Hallo, ich … schön, dass du da bist Younes und ich fühle mich ganz okay, aber ich … na ja, also eigentlich fühle ich mich gar nicht gut, weil das gestern wirklich schlimm war und deshalb …“, Aurelie wusste eigentlich gar nicht, was sie ihm sagen sollte, weil sie immer noch sehr benebelt war und die Polizei sie beunruhigte. „Guten Morgen Mademoiselle Reaugardier, wir sind von der Pariser Polizei und hier, um Sie wegen des gestrigen Vorfalls zu befragen. Fühlen Sie sich dazu imstande?“, wollte der größere Polizist wissen und musterte sie mit einem ernsten Blick. Er war ungefähr zwei Meter groß und sehr stämmig ge