Aurora und das Ende der Zeiten - Diana Dörr - E-Book

Aurora und das Ende der Zeiten E-Book

Diana Dörr

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Beschreibung

Das Reich der Naturgeister ist in seiner Existenz bedroht, die guten Geister ziehen sich zurück. Dunkle magische Wesen trachten nach der Weltherrschaft und planen der Menschheit ein Ende zu setzen. Der Sonnenengel Aurora reist mit ihrem Drachen Kikino nach Nordamerika, um den Weltfrieden zu finden. Unzählige Naturgeister stehen Aurora auf ihrer Reise bei, doch gibt es auch Wesen, die die Rettung der Welt verhindern wollen. Auroras Weg führt über Kalifornien in die Rocky Mountains und schließlich nach Island, ins Herz der Naturgeisterwelt. Wütende Trolle, ein Waldwichtel aus Sibirien mit einem geheimen Buch und ein magisches Drachenei kreuzen Auroras Weg und führen sie an geheime Orte, die noch kein Naturwesen vor ihr zu sehen bekam. Wird Aurora den Kampf gewinnen und die Naturgeister- und Menschenwelt vor der endgültigen Zerstörung retten?

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Seitenzahl: 856

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Über die Autorin:

Diana Dörr ist Heilpraktikerin mit langjähriger eigener Praxis in Bad Homburg. 2011 veröffentlichte sie ihren ersten Roman »Der Steg nach Tatarka« im Paracelsus Verlag/ Salzburg. Im Januar 2013 folgte der Fantasy Roman "Aurora in geheimer Mission". Dieser Roman bildet den Auftakt zu einer Bücherserie über die Abenteuer des hawaiianischen Sonnenengels Aurora, der mit einer besonderen Mission für Mutter Erde von Hawaii nach Deutschland gekommen ist. Die Autorin vereint durch ihre Bücher ihre Verbundenheit mit der Natur mit ihren beruflichen Interessen, der Heilung von Menschen und Mutter Erde. Durch ihre Bücher rund um den Sonnenengel Aurora möchte sie die Herzen der Menschen für die Natur öffnen und auch aktuelle Umweltthemen auf besondere Weise ansprechen. Mehr über die Autorin erfahren Sie hier:https://www.dianadoerr.de/https://www.MagischeWichtelwelten.de

Weitere Bücher der Autorin:

Der Steg nach Tatarka

Aurora in geheimer Mission

Erdheilung kinderleicht gemacht

Aurora und der Wächter des Wassers

Auroras Heilquellenführer

Fast Arrow Spricht

Inhaltsverzeichnis

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

Epilog

EINS

In tiefe, schwere Gedanken versunken saß der kleine gelbe Sonnenengel Aurora auf einer steilen Klippe und starrte auf das türkisfarbene Meer hinaus. Direkt vor ihr tummelten sich in der schmalen Bucht eine Gruppe Delfine und Wale. Die Delfine spielten ausgelassen mit riesigen Wassermännern, die selbst auf Hawaii selten zu finden waren. Doch Aurora nahm von all dem nichts wahr. Wo waren ihre Freunde nur? Was machten sie? Warum hörte sie nichts von ihnen? Zu lange war das Abenteuer im Taunus bereits vorbei. Sie war mit etwas Heimweh nach Hawaii zurückgekehrt, aber auch in der Gewissheit, mit ihren Freunden bald in das nächste Abenteuer zu starten. Mit Kikino, ihrem pinkfarbenen Drachenfreund, den Wassergeistern Sine und Delfinius und ihren Naturwesenfreunden Waldemar und Erasmus aus Deutschland. Nun waren bereits Monate vergangen und nichts war von ihren Freunden zu hören oder sehen. Ob es ihnen gut ging?

»Wem geht es gut?«, fragte eine leise Stimme neben ihr.

Kikino? Aurora drehte sich aufgeregt nach der Stimme um. Aber sie sah niemanden. War das Kikino? War er wieder da und wollte sie überraschen? So wie er es gemacht hatte, als sie gemeinsam den Wasserdrachen im Taunus suchten? Oder bildete sie es sich aus Sehnsucht nach ihm schon ein?

Nein, dachte sie enttäuscht, da war niemand.

»Hier bin ich!«, rief es nun lauter.

Aurora entdeckte eine kleine Maus zu ihren Füßen.

»Wer bist denn du?«, fragte sie verwundert und konnte ihre Enttäuschung dabei nicht verbergen.

»Eine Maus«, sagte das putzige Wesen und schaute Aurora traurig an. »Wen hast du denn erwartet?«

»Ach, tut mir leid«, erwiderte Aurora und spürte, wie die Röte in ihr Gesicht zog. »Ich wollte dich nicht beleidigen. Ich warte seit Monaten auf meinen Freund Kikino. Er ist ein Drache und ich vermisse ihn.«

»Sagtest du Kikino?«, rief die kleine Maus aufgeregt und Aurora wunderte sich, wie das kleine Wesen dabei so laut klingen konnte.

»Du meinst den Drachen Kikino? Ist das dein Freund?«

»Ja«, erwiderte Aurora. »Hast du von ihm gehört?«

Sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder ärgern sollte. Wieso kannte die Maus ihn? Warum zeigte er sich ihr? Wo war er? Was hatte er die vergangenen Wochen getan? Ob er sie vergessen hatte? Die Fragen wirbelten nur so in Auroras Kopf umher.

»Ja, ich kenne Kikino«, sprach die kleine graue Maus langsam weiter. »Dieser Drache war auf einem Kreuzfahrtschiff vor Maui. Dort habe ich ihn getroffen.«

»Ein Kreuzfahrtschiff?«, fragte Aurora verwirrt. »Vor Maui? Und was machte er da?« Die Fragen überschlugen sich nun nicht nur in Auroras Kopf. Sie sprudelten aus ihr heraus. »Weißt du, wo er jetzt ist?«

Aurora war so aufgeregt, dass sie nicht bemerkte, dass ein tiefschwarzer Rabe neben ihr landete und sie sehr eindringlich ansah.

»Was weißt du noch von meinem Freund?«, rief sie aufgeregt und konnte es nicht abwarten, dass die Maus weitersprach. Diese hatte jedoch den Raben bemerkt und war in Angst erstarrt. Ob er hungrig war? Hoffentlich bemerkte er sie nicht.

»Nun sag doch, was ist mit Kikino?«, fragte Aurora gereizt.

»Warum redest du nicht weiter?«

»Sie hat wohl Angst vor mir«, ertönte die Stimme des Raben neben Auroras Ohr. Sie zuckte zusammen und wäre fast vor Schreck von der Klippe gerutscht. Im letzten Moment klammerte sie sich an einen Felsbrocken, der zum Glück ihrem Gewicht standhielt. Sie war auch ein Fliegengewicht, so würden es die Menschen bezeichnen. Eines dieser Worte, über die sich Aurora amüsierte. Die Menschenwelt war ihr nach wie vor ein Rätsel. Sie konnte es nicht erwarten, wieder in ein Abenteuer zu starten, um diese Welt besser zu verstehen, oder zu heilen. Das haben sie schon so oft geschafft, die Welt der Erde vor einer Katastrophe zu bewahren. Die Menschen wussten nur nichts davon. Sie sehnte sich nach einem Abenteuer mit Kikino, ihrem pinkfarbenen kleinen Drachenfreund.

»So klein ist er aber nicht«, kommentierte der Rabe Auroras Gedanken.

Nun geht das schon wieder los, dachte Aurora amüsiert. Auch er liest meine Gedanken. Wie habe ich das alles vermisst.

In den letzten Wochen war sie gern wieder auf Hawaii. Sie spielte in den Lavaröhren, schwamm durch den Kratersee, fühlte sich zuhause. Und doch fehlte ihr etwas. Ihre Freunde in Deutschland. So oft dachte sie an sie. Ob es ihnen gut ging?

»Dein Freund wartet auf dich«, ertönte die Stimme des Raben noch eindringlicher. »Ich soll dich zu ihm bringen!«

»Zu ihm bringen?«, wiederholte Aurora erstaunt. »Du?«

»So ist es«, erklärte der Rabe. »Sonst legt das Schiff ohne uns ab.« Das Schiff?

Aurora starrte den schwarzen Vogel überrascht an. »Das Kreuzfahrtschiff?«

»Ja«, mischte sich die Maus ein. »Ich habs dir doch gesagt. Ich habe deinen Freund da gesehen. Und er fragte nach dir.«

»Nach mir?« Aurora verstand nichts. Warum kam er nicht selbst zu ihr. Er kannte sich doch hier aus. Die Insel Maui war nicht weit entfernt von hier. Nicht weit, wenn man ein Drache war, für eine kleine Maus sah das schon anders aus.

»Kann mir jemand erklären, was hier los ist?«, fragte sie gereizt.

»Was macht Kikino auf dem Schiff und was wollt ihr von mir?«

»Ich soll dich zu ihm bringen« wiederholte der Rabe ebenso gereizt. »Das erklärte ich dir schon. Was die Maus von dir will, weiß ich nicht. Aber sie kann gerne mitkommen.«

Aurora blickte die Maus und den Raben verwirrt an und verstand kein Wort.

»Ich ..., ich ...«, stotterte die Feldmaus. »Ich war auch auf dem Schiff und als wir in einer Bucht vor Big Island anlegten, wollte ich nur kurz an Land, um etwas zu essen zu suchen. Du musst wissen ...«

»Wir haben für deine Essensgeschichten jetzt wirklich keine Zeit«, unterbrach sie der Rabe. »Wir müssen zurück. Willst du nun mit uns kommen oder nicht?«

»Ich weiß nicht, die Menschen erschrecken sich vor mir. Sie verstecken ihr Essen und schlagen nach mir. Hier gefällt es mir. Aber ...«, sie zögerte einen Moment und fügte dann hinzu: »Aber vielleicht braucht ihr mich?«

»Du glaubst, wir brauchen dich?«, fragte der Rabe stolz, was Aurora nicht gefiel. »Wie kannst du uns helfen?«

»Lass sie das selbst herausfinden« unterbrach ihn Aurora. »Komm mit uns. Und nun los. Ich kann es gar nicht erwarten, Kikino zu sehen.«

»Dann lasst uns keine Zeit mehr verlieren. Ich bringe euch zu dem Schiff«, erklärte der Rabe. »Es müsste noch in der Nähe von Maui sein.«

Aurora schaute ihn etwas verunsichert an.

Wie wollte er sie dorthin bringen? Wollte er, dass sie auf seinem Rücken fliegt? War sie dafür nicht zu groß? Sie war eine Drachenreiterin, hatte sich an die waghalsigen Flug- und Landemanöver von Kikino gewöhnt. Hatte ihre Angst überwunden. Aber Kikino war ein Drache. Ein Flug auf dem Rücken des Raben erschien ihr schon gewagt.

»Stell dich nicht so an«, zischte der Rabe. »Es ist nicht weit. Und wir haben keine Zeit. In wenigen Stunden legt das Schiff ab und fährt nach Amerika.«

»Amerika?«, rief Aurora. »Was will denn Kikino in Amerika?«

»Ich weiß es nicht. Er hat nur gesagt, bitte flieg zu Aurora und sag ihr, unser nächstes Abenteuer wartet in Amerika.«

Bei dem Wort Abenteuer war es um Aurora geschehen. Keine Sekunde länger zögerte sie, sondern kletterte auf den Rücken des Raben, so gut es ihr möglich war. Sie verschwendete keinen Gedanken mehr daran, warum Kikino nicht selbst gekommen war. Wer dieser Rabe war. Sie wollte so schnell wie möglich ihren Freund wiedersehen und erfahren, was es für ein Abenteuer war, das er meinte. Das lange Warten war vorbei.

Die Maus sprang ebenso aufgeregt auf den Rücken des Raben und krallte sich ängstlich in seinem Gefieder fest.

Das Trio erhob sich in die Luft. Welch ein Anblick sich den Menschen bieten würde, wenn sie sie doch nur sehen könnten ... Doch die Augen der Menschen waren für den Sonnenengel blind. Sie sahen ihn nicht. Selbst den Raben beachteten die drei Touristen, die die Klippen in diesem Moment betraten, nicht. So entging ihnen ein wahrlich ungewöhnlicher Anblick. Der Rabe schwang sich mit kräftigem Flügelschlag in die Höhe, kreiste mehrmals über Auroras Heimatvulkan Kilauea. Als wolle er ihr die Gelegenheit geben, sich von ihrer Heimat zu verabschieden, bevor er dem Pazifik entgegenflog.

Auroras Herz pochte und sie fragte sich, ob sie dem Raben vertrauen konnte. Merkwürdig war es schon, was da gerade geschah, aber das war für sie nicht ungewöhnlich. Und doch überkam sie nun ein flaues Gefühl, was nicht nur am steilen Höhenflug lag. Warum war Kikino auf dem Schiff? Warum schickte er den Raben? Was ging hier vor sich?

Sie versuchte, mit dem Raben zu sprechen, ihn all das zu fragen, doch ihre Stimme kam nicht gegen den Flugwind an. Oder wollte er sie nicht hören? Die Maus konnte es ihr auch nicht erklären und seufzte nur. Man sah ihr an, dass sie ebenso unsicher war, ob es eine gute Idee war, sich auf diese Reise zu begeben. Sie krallte sich immer tiefer in das Gefieder des Raben und schloss die Augen. Aurora tat es ihr nach. Auch sie klammerte sich immer fester an den Raben und hoffte, dass sie bald das Schiff und ihren Freund erreichen würden. Warum hatte Kikino sie nicht selbst abgeholt? Für diese Reise, mit einem Kreuzfahrtschiff nach Amerika? Was hatte Kikino sich dabei nur wieder gedacht.

Sie flogen stundenlang über das türkisfarbene Meer. Aurora konnte es gar nicht erwarten, ihren Drachenfreund wiederzusehen. Was hatte er nur so lange gemacht? Warum hatte er sie nicht schon längst besucht? Jeden Tag schaute sie in den Himmel und wartete auf ihren Freund. Aber er kam nicht. Hatte er sie nicht vermisst?

Aber nun war er endlich hier, in der Nähe und wartete auf sie. Ach, was freute sich Aurora. Und sie spürte, ein Abenteuer lag in der Luft. Warum sonst segelte sie mit einem Raben und einer Maus über den Pazifik. Das glaubte ihr, in ihrer Vulkanschule, bestimmt wieder keiner. Sie hatte dort nach ihrer Reise in den Taunus vorbeigeschaut. Ihrer Lehrerin Kristalllicht wollte sie von ihrem Erlebten erzählen. Von dem Wasserdrachen.

Von Bad Homburg und der Nymphe mit der geheimen Quelle und was sie alles erlebt hatte. Aber ihre Klassenkameraden lachten sie aus. Sie glaubten ihr nicht. Aurora verstand das nicht. Warum zweifelten sie daran, dass sie eine Drachenreiterin war? Warum glaubten sie nicht, dass es noch Drachen gab? Das seien doch nur Sagen aus alter Zeit, sagten sie. Sie machten sich über Auroras Erzählungen lustig. Schlimm genug war es, dass die Menschen blind geworden waren für diese Drachenwelt. Aber sogar Sonnenengel glaubten nicht mehr daran. Ihre Familie im Vulkan glaubte nicht mehr daran. Aurora verstand es nicht. Was war das nur für eine Welt.

So wartete sie auf Kikino und wollte ihn ihren Mitschülern, in der Vulkanschule, vorstellen. Ihnen zeigen, dass es sehr wohl noch Drachen gab. Wenn die Menschen auch alles dafür getan hatten, dass diese die Erde verließen. Aber nicht nur die Menschen. Es gab noch andere, viel mächtigere Wesen, die die Drachen vertreiben wollten. Die alles daran setzten, dass sie ihre Macht verloren und keinen Einfluss mehr auf das Geschehen in der Natur hatten. Aber auch das glaubte ihr wieder einmal keiner. Aurora hatte es selbst erst vor kurzem erfahren, dass es diese Kräfte tief in der Erde gab. Sie wollte Kikino davon berichten. Ihn warnen. Aber er kam nicht. So wartete sie ungeduldig jeden Tag auf sein Erscheinen und machte sich immer größere Sorgen, ob ihm etwas zugestoßen war. Doch welch ein Glück, er lebte und war nicht mehr weit entfernt.

Am Horizont erkannte Aurora die Umrisse einer Insel. Das musste Maui sein. Die Insel war ganz anders als Big Island, wo sie zuhause war. Dort gab es auch Vulkane, aber die waren sanfter als ihr Heimatvulkan und schliefen.

Langsam näherten sie sich der Insel. Sie erkannte die grünen Hügel und tropischen Wälder.

Hier lebten nicht nur viele Tiere, auch zahlreiche Naturwesen waren hier zuhause. Viel mehr als auf Big Island. Aurora kannte viele dieser magischen Bewohner nur aus Erzählungen und würde am liebsten mit Kikino die Insel erkunden. Aber nein, er hatte andere Pläne. Was machte er nur auf einem Kreuzfahrtschiff?

Maui? Wie konnte Aurora das in der Aufregung vergessen. Hier lebten auch Sine und Delfinius, in ihrer Bucht, im Westen der Insel. Ob sie zuhause oder wieder auf Reisen waren? Ihre lieben Freunde, die Wasserwesen und Botschafter der Meere.

Doch vermutlich war keine Zeit sie zu suchen, so wie sie Kikino kannte. Er war mindestens so ungeduldig wie sie und konnte es vermutlich auch nicht erwarten, in ihr neues Abenteuer zu starten. Endlich war es so weit. Aurora wusste es. Sie würden Sine und Delfinius auf dem Heimweg besuchen, nahm sie sich fest vor. Sie musste ihre Freunde endlich wiedersehen. Was hatte sie sie vermisst.

»Haltet euch gut fest«, schrie der Rabe gegen das Getöse des Windes an. »Das Oberdeck, wo ich landen wollte, ist überfüllt. Sie müssen uns nicht gleich sehen diese Menschen. Ich habe einen anderen Plan.«

Oh weh, dachte Aurora. Sie hoffte, dass Pläne von Raben besser durchdacht waren als solche von Drachen. Wie oft hatte sie das Kikino sagen hören. Inzwischen wusste sie, dass dann eine größere Katastrophe bevorstand. Vielleicht war es diesmal anders. Aurora zitterte, nicht nur vor Aufregung.

Die kleine Maus hatte Schweißperlen auf der Stirn. Sie war diese Reise in der Luft nicht gewohnt und bereute inzwischen, die beiden seltsamen Freunde zu begleiten. Ein Rabe, der im Auftrag eines Drachen einen Sonnenengel abholte, war schon etwas ungewöhnlich. Was hatte sie sich nur dabei gedacht mitzukommen. Sie war froh gewesen, dem Schiff entkommen zu sein.

Die Menschen jagten sie. Dort war sie nicht willkommen, wie so oft in der Menschenwelt. Als würde sie ihnen all ihre Vorräte wegessen. Obwohl sie doch selbst für sich sorgte. Auf jeder Landpartie, wie die Menschen es nannten, verließ sie, von den Touristen unbemerkt, ebenfalls das Schiff und suchte nach etwas Essbaren. Nüsse, Samen, es gab immer etwas. Aber nein, die Menschen jagten nach ihr. Nur weil sie anders war? So klein? Vielleicht hätte sie auf Big Island bleiben sollen? Dort war es wundervoll. Der Vulkan. Die Energie. Sie wollte sich die Insel weiter anschauen. Erkunden, was es dort für Tiere gab, was für Pflanzen. Sie liebte es, zu reisen und Neues zu entdecken. Aber nun flogen sie im Sturzflug auf das Kreuzfahrtschiff zu. »Okay«, seufzte die Maus. »Dann geht die Reise eben auf dem Meer weiter. Hauptsache der Rabe schafft die Landung.« Alles war besser als dieser Flug.

Der Rabe steuerte auf einen kleinen Mast zu, der am hinteren Teil des Schiffes stand.

Nicht auch das noch, dachte Aurora. Wie Kikino. Sie erinnerte sich an Kikinos waghalsige Landung auf dem Feldberg im Taunus. Oder besser gesagt, an die beinahe geglückte Landung auf dem Fernmeldemast. Jetzt durfte sie nicht daran denken. Dieser Mast sah ungefährlicher aus und es war kein Geier in der Luft. Dennoch ... Wer wusste schon, wie die Landekünste des Raben waren. Sie sehnte nur noch die erfolgreiche Landung und festen Boden unter den Füßen herbei.

»Vorsicht«, schrie der Rabe. Doch da war es schon zu spät. Er fegte über den Mast hinweg und landete mit einem Knall auf einer Holzbank, auf der Kisten und Körbe mit Proviant standen. Die Menschen hatten sie wohl bei Ihrem Stopp auf Maui an Bord geschafft und noch nicht verstaut.

»Wenn mich jemand so sieht«, jammerte die Maus. Sie hatte sofort bemerkt, dass es Essen war. »Sie denken doch gleich wieder, ich will das Essen stehlen.« Sie schüttelte sich und ein Fisch flog von ihrem Kopf. »Wenn mich jemand so sieht!«

Verstohlen blickte sie sich um, doch kein Mensch hatte ihre missglückte Landung bemerkt.

»Tut mir leid«, krächzte der Rabe. »Der Mast war zu klein, ich habe ihn verfehlt.«

»Ja, das merkten wir«, motzte Aurora. Auch sie lag mitten in einer Fischkiste. Der Holzdeckel war verrutscht und an mehreren Stellen gebrochen.

»Das bleibt nicht unbemerkt«, jammerte die Maus.

»Beruhige dich«, krächzte der Rabe. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass die Menschen denken, du warst das? Die Kisten sind schwer und wie soll eine kleine Maus sie zerstören? Zernagt sehen sie jedenfalls nicht aus.«

Die Maus war wenig beruhigt und verkroch sich ängstlich tief unter die Bank.

»Ich glaube auch nicht, dass ich das war«, knurrte der Rabe. »Ich bin nicht so schwer wie ein Drache! Das war bestimmt ...«

»Das ist doch jetzt nicht wichtig«, unterbrach ihn Aurora ungeduldig. »Wo ist Kikino? Kannst du mich zu ihm bringen, bevor du hier auch noch vertrieben wirst?« Mich sehen die Menschen ja zum Glück nicht, fügte sie in Gedanken hinzu.

»Ich weiß, ich weiß«, maulte der Rabe. »Sei froh, dass es so ist.« Aurora konnte ihre Gedanken wieder nicht vor ihm verbergen. Während sie dem Raben über das Boot folgte, machte Aurora ein nachdenkliches Gesicht. Ja, sie wünschte sich, immer von den Menschen gesehen zu werden. Oftmals war es auf ihren Reisen ihr größter Wunsch gewesen, von ihnen bemerkt zu werden. Mit ihnen zu sprechen, ihnen ihre Sorgen und Nöte mitzuteilen.

In diesem Moment unterbrach sie selbst ihre trübsinnigen Gedanken. Waren es wirklich ihre Sorgen, überlegte sie. Meist ging es um das Wohl der Welt. Das Wohl von Mutter Erde. Sie hatte so viel gesehen ... Wusste vieles, was die Menschen nicht sahen und erkennen sollten. Was sie verstehen sollten, solange es noch nicht zu spät war. Sie sahen und hörten Aurora jedoch nicht.

Aber vielleicht hatte es tatsächlich auch sein Gutes, wenn man nicht gesehen wurde. Man konnte unbemerkt ins nächste Abenteuer starten. Kikino nannte sie einmal eine unsichtbare Botschafterin der Welt. Sie war traurig gewesen. Aber dann erinnerte sie sich daran, dass es auch Menschen gab, die sie sehen konnten. Tina, das kleine Mädchen aus dem Vogelsberg. Wie es ihr wohl ging?

»Vielleicht können dich noch mehr Kinder sehen«, krächzte der Rabe in Auroras Gedanken hinein. Ach, das hatte sie auch vermisst. Das Gedankenlesen. Der Rabe ließ sie nicht ihren traurigen Gedanken nachhängen und plapperte munter weiter: »Es soll viele Kinder geben, die Naturgeister sehen können. Wichtel und Feen. Dann bestimmt auch dich.«

»Echt?«, rief Aurora überrascht. »Das wäre dollo«.

»Dollo?«, wiederholte der Rabe. »Was ist dollo? Habe ich noch nie gehört.«

»Ach, das ist nur so ein Wort.« Aurora verstummte und hoffte, er machte sich nun nicht auch noch über sie lustig. Sie konnte es nicht lassen. Ihr Mund war wie immer schneller als ihre Gedanken. Dadurch überraschte sie sich oftmals selbst.

Der Rabe schaute sie irritiert an. »Mehr Kinder sehen Naturgeister, als du denkst. Sie werden nur von den Erwachsenen nicht verstanden. Man glaubt ihnen nicht. Es ist wichtig, dass du mit ihnen sprichst, solange sie dich wahrnehmen können.

Du findest diese Kinder. Rede mit ihnen, mache ihnen Mut, nicht nur an dich und deine Freunde zu glauben, sondern auch an sich. Viel in der Welt hängt davon ab. Wir brauchen diese Kinder.«

»Warum? Wofür?« Aurora schaute ihn erstaunt an. Was wusste der Rabe. Was meinte er? Sie spürte, dass sich etwas Großes, Geheimnisvolles hinter seinen Worten verbarg. Und Gefahr. Warum redete er so auf sie ein. Und was war mit Kikino. Wo versteckte er sich hier nur?

Der Rabe verstummte ebenso plötzlich, wie er zu sprechen begonnen hatte. So folgte Aurora ihm stumm über das Deck des Kreuzfahrtschiffes. Normalerweise fiel ihr das sehr schwer still zu sein, doch hier gab es so viel zu sehen und sie wusste nicht, wo sie zuerst hinschauen sollte. Das Schiff war viel größer, als Aurora es sich vorgestellt hatte. Es waren drei Decks, wie sie bereits beim Anflug erkennen konnte. Aber erst jetzt wurde ihr richtig bewusst, wie groß das Schiff war.

»Eine ganze Stadt passt hier drauf«, piepste die Maus.

Aurora strahlte, ihre kleine Mäusefreundin war wieder da. Aurora wunderte sich, wie die kleine Maus ihr in so kurzer Zeit, so sehr ans Herz wachsen konnte. Irgendetwas Besonderes strahlte aus ihren Augen, doch Aurora konnte nicht in Worte fassen, was es war.

»Hier sind so viele Menschen an Bord, wie in einer Stadt«, sprach die Maus weiter. »Das habe ich gehört. Es gibt mehrere Restaurants, Schwimmbäder, Geschäfte, Bars und Fitnesscenter. Pass auf, dass du dich nicht verläufst!«

»Vielleicht machen wir das längst«, kicherte Aurora, während sie ungeduldig dem Raben folgte. Er lief an einem Pool vorbei, hüpfte über drei Dutzend Liegestühle, um dann an der anderen Seite des Pools wieder zurückzugehen. Aurora schüttelte voller Unverständnis den Kopf und folgte ihm.

»Stör mich nicht mit deinen Gedanken«, krächzte der Rabe. »Ich muss mich konzentrieren, um den Weg zu finden.«

»Na dollo«, motzte Aurora. »Das nennst du den Weg finden? Du läufst im Kreis!«

»Nein, nicht wirklich«, erwiderte der Rabe, während er nun unerwartet eine Treppe hochhüpfte, die zum Oberdeck führte, wie Aurora vermutete. »Ich folge genau dem Weg, den ich gegangen war, als ich zu dir flog.«

Aurora verdrehte die Augen, was dem Raben nicht entging, da er sich gerade zu ihr umdrehte. »Das ist der sicherste Weg zu deinem Freund. Du könntest dankbarer sein.«

Aurora spürte, wie die Wut in ihr hochstieg. Was bildete sich der Rabe nur ein. Hatte sie ihn darum gebeten, mit ihr hierherzukommen? Wer weiß, ob Kikino wirklich hier war oder ob er nicht nur einen Spaß mit ihr trieb. Sie irrte durch dieses Schiff mit einem Raben, den sie nicht kannte, und einer höchst verstörten Maus. Das war absurd. Vermutlich träumte sie nur und wachte jeden Moment auf. Das konnte unmöglich wahr sein.

»Du träumst nicht«, piepste die Maus. »So verrückt kann man nicht träumen. So was passiert nur im realen Leben.«

Dieser Logik konnte Aurora nicht folgen, aber sie schwieg und trottete sichtlich müde hinter dem Raben her.

»Wir sind da«, rief er und schaute Aurora triumphierend an. »Du bist undankbar.«

Aurora starrte auf eine weiße Tür und wagte es nicht, sie zu öffnen. Ihr Herz pochte und ihre Hände waren schweißnass. Sonst war sie doch immer so mutig. Aber, das alles hier, war für sie so irreal. Sie hatte Angst, dass ihr Freund nicht hinter der Tür auf sie wartete. Oder sich noch Schlimmeres zeigte, als ein überraschtes Erwachen aus einem Traum. Sie war oftmals zu vertrauenswürdig, sagte ihr ihre Lehrerin Kristalllicht.

Lehrer mussten vermutlich so sein. Streng, belehrend, überlegte Aurora und wusste, dass es Kristalllicht schwerfiel. Aber ... vielleicht hatte sie recht. Vielleicht war sie wirklich zu vertrauenswürdig und sah zu sehr, das Gute in jedem? Nun machte sich Angst in Aurora breit. Was machte sie hier auf diesem Schiff, fernab ihres Heimatvulkanes? Warum sollte Kikino ausgerechnet hier auf sie warten?

»Was ist jetzt«, krächzte der Rabe ungeduldig. »Öffne endlich die Tür. Ich habe nicht ewig Zeit.«

Aurora drückte zaghaft die Türklinke nach unten, doch der Raum war verschlossen.

»Sie geht nicht auf«, sagte sie enttäuscht. »Die Tür ist verschlossen.«

»Auch das noch«, fiepste die Maus. »Was machen wir jetzt?« Der Rabe verlor vollständig seine Fassung und rief: »Das kann doch nicht wahr sein. Ich habe mich so beeilt. Habe diese Reise auf mich genommen. Dich hierhergebracht. Und nun das? Wir müssen ihn suchen. Irgendwo muss er sein.«

»Natürlich«, seufzte Aurora. »Auf diesem winzigen Schiff.«

Müde ließ sie sich auf den Boden sinken und dachte, das fängt mal wieder gut an. Kikino konnte doch überall sein.

In diesem Moment ging ein Ruck durch das Schiff und es setzte sich in Bewegung. Aurora sprang auf und sah entsetzt aufs Wasser hinaus. Oh nein. Wir fahren. Und wenn Kikino nicht hier ist? Wir ihn nicht finden?

»Wo soll er denn sonst sein?«, drang der Rabe, nun etwas freundlicher, in ihre Gedanken ein. »Er versprach, hier auf uns zu warten. Er ist auf dem Schiff und wir werden ihn finden.«

»Wenn du meinst«, flüsterte Aurora, deren Mut und Unbeschwertheit immer mehr aus ihr wichen. »Wenn du das sagst«, versuchte sie sich selbst Mut zuzusprechen.

»Kannst du nicht wenigstens Aurora sagen, was ihr Freund hier sucht? Was das alles zu bedeuten hat?«, piepste die Maus. »Ich kann sie gut verstehen.«

»Du hast ja recht«, erwiderte der Rabe und plusterte sich auf.

»Hinter dieser Tür habe ich ihn zuletzt gesehen. Dort hat er mir von dir erzählt. Von euren Abenteuern, aber auch deinem großen Herz.«

Aurora sah ihn erstaunt an. »Das hat er dir gesagt?«

»Aber ja doch. Denkst du, ich hätte mich sonst auf die Suche nach dir gemacht?« Ein weiterer, noch stärkerer Ruck ging durch das Schiff und brachte den Raben aus der Balance. Mühevoll fand er sein Gleichgewicht und seine Gedanken wieder. »Kikino, so heißt er doch. Dein Freund war sehr verzweifelt. Er sagte, er muss nach Amerika. Der Frieden der Welt steht auf dem Spiel. Und er braucht deine Unterstützung. Eine wichtige Aufgabe wartet auf euch.«

»Der Frieden der Welt?«, unterbrach ihn Aurora. »Nun übertreibt er aber. Der Weltfrieden? Was können wir da tun?«

Die Maus riss die Augen noch weiter auf und starrte den Raben an. »Darum geht es? Wie sollen wir den Frieden zurückholen? Wir, Tiere, Naturgeister oder Drachen? Die Menschen zerstören die Erde und ... sich! Ich habe jegliche Hoffnung aufgegeben, dass sie vor der völligen Zerstörung allen Lebens zur Vernunft kommen.«

Aurora schaute die Maus traurig an. »Man soll die Hoffnung nie aufgeben«, sagte sie ohne viel Überzeugungskraft. »Niemals. Auch wenn man die Menschen und das, was vor sich geht, nicht versteht.«

Dann wandte sie sich wieder an den Raben und fragte: »Und du bist dir sicher? Kikino hat von Frieden gesprochen und das er mich braucht?!«

»Aber ja«, beteuert der Rabe. »Du kannst es mir glauben. Er sagte, es bliebe nicht mehr viel Zeit, aber er wüsste, was zu tun sei. Und dass er dieses Schiff nicht zufällig gewählt hätte, um nach Amerika zu reisen. Es birgt einige Geheimnisse, die er mir nicht verraten hat. Mehr hat er mir nicht gesagt.«

Aurora war verwirrt. Nachdenklich betrachtete sie die Insel Maui, die immer kleiner wurde und am Horizont verschwand.

Nach Amerika? Frieden finden? Was hatte sich Kikino nur dabei gedacht.

Doch in diesem Moment spürte sie ein Kribbeln im Bauch, das immer größer wurde. Was für ein Abenteuer würde das sein?

Wichtig für die ganze Welt? Und sie durfte dabei sein! Sie musste Kikino finden und mehr erfahren. Sie konnte es gar nicht mehr abwarten. Wo versteckte er sich nur?!

»Im Restaurant«, rief Aurora und wirbelte aufgeregt umher.

»Oder am Pool wird er sein.« Warum sollte er in seiner Kabine auf sie warten?

Sie kannte ihren Freund. Warum hatte sie nicht gleich daran gedacht. Kikino konnte nur dort sein. Sie würden ihn finden!

Aurora hüpfte vergnügt die Treppe hinunter und hörte hinter sich die Maus rufen: »Wo willst du hin?«

»Kikino suchen«, antwortete Aurora und sprang fröhlich weiter.

»Nicht so schnell«, quietschte die Maus. »Warte doch.«

Aurora hielt am Ende der Treppe an und wartete auf die kleine Reisegefährtin. Der Rabe flog über ihren Kopf und krächzte tadelnd: »Du kennst dich doch hier gar nicht aus.«

»Aber du?«, entgegnete Aurora. »Das hatte man vorhin deutlich gesehen. Die Restaurants und Bars sind sicher da unten. Ich höre Lachen und Musik.«

»Menschenlachen«, fiepte die Maus. »Du glaubst, dass da dein Drachenfreund ist?«

Aurora schaute sie verdutzt an. Das war wahr. Er würde sich kaum zwischen den Menschen vergnügen. Wo konnte er nur sein?

Ob es auf dem Schiff auch eine Zwergenbar gab, wie in Bad Homburg, überlegte sie. Eine für die Menschen unsichtbare Welt? Diese musste sie finden. Aurora konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Freund sich zwischen den Menschen amüsierte. Sie musste ihn finden. Zu neugierig war sie, was er ihr zu erzählen hatte. Was das für ein neues Abenteuer wohl sein würde. Den Weltfrieden finden? Ob er sich da nicht etwas zu viel vorgenommen hatte?

Die Menschen führten so viele Kriege auf der Welt. Sie dachte, an die Bilder, die in den Nachrichten gezeigt wurden und die sie auch in ihrer Welt sahen. Es sprach sich herum, aber sie konnte es auch sehen. Sie spürte es, wie die Menschen litten. Auch die Naturwesen litten unter den emotionalen Giften der Menschen. Sie machten sich um die Zukunft der Erde Sorgen.

In diese schweren Gedanken gehüllt lief Aurora weiter, ohne auf die Umgebung zu achten. So bemerkte sie nicht, dass sie bereits das Unterdeck erreicht hatten und mitten in einer Bar standen. So sehr war Aurora in ihre Gedanken vertieft. Sie hatte keine Notiz davon genommen, dass sie sie betreten hatte. Sie hörte nicht die Musik und das Lachen, sondern sah immer wieder die Bilder von Krieg, flüchtende Menschen und Waffen. Sie sah diese in ihrem Kopf, sie spürte sie. Nachts träumte sie oft davon. Kristalllicht sagte ihr, dass sie eine Botschafterin der Erde sei. Sie würde immer feinfühliger werden und dorthin gerufen werden, wo Hilfe nötig war. Dies würde immer bewusster geschehen.

Aurora verstand jedoch nicht, was sie tun konnte, wenn sie diese Bilder sah. Sie wollte das nicht.

Kristalllicht erklärte ihr: »Du hast eine Aufgabe, sonst würde Mutter Erde dich nicht rufen. Du musst herausfinden, was es damit auf sich hat.«

Aurora blieb es ein Rätsel und verdrängte es.

Und nun war sie plötzlich auf diesem Schiff, Kikino brauchte sie hier und es ging um den Frieden der Welt.

Wenn sie Kikino doch nur endlich finden und erfahren könnte, was das alles zu bedeuten hat.

»Was ist denn nun?«, hörte Aurora wie aus weiter Ferne den Raben. »Willst du hier Wurzeln schlagen?«

»So schwer wie deine Gedanken sind, wachsen die vermutlich bis zum Meeresboden«, kicherte die Maus. Ihr waren die düsteren, traurigen Gedanken von Aurora nicht entgangen und war unsicher, wie sie darauf reagieren sollte. Auch sie wusste einiges von der Not der Welt, fühlte sich jedoch hilflos und klein.

»Lasst uns da drüben eine Pause machen«, sagte Aurora. »Ich bin müde und muss nachdenken.«

»Du kannst dich vermutlich hier niederlassen«, reagierte der Rabe verärgert. »Dich sieht ja keiner. Aber ich fürchte, wir fliegen hier raus.«

Ja, es war wirklich manchmal nützlich, unsichtbar zu sein, dachte Aurora erneut. Das war sie meist während ihrer Abenteuer und so konnte sie des Öfteren leichter ihre Mission erfüllen. Aber nun sah alles anders aus. Sie hatte zwei sichtbare Freunde dabei. Das erschwerte alles.

»Die Maus kann sich unter dem Tisch verstecken«, entgegnete Aurora. »Jetzt suchen wir noch einen Platz für dich.«

Der Rabe schaute sie mit schief gelegtem Kopf unsicher an und plusterte sich auf. »Wenn es sein muss. Ich bin auch müde und brauche eine Pause. Versuchen wir es.« Er hüpfte in eine dunkle Ecke des Raumes, in der einige Musikinstrumente standen, die die Künstler hier offensichtlich abgestellt hatten. Er erkannte eine große Trommel und ein Klavier. Außerdem bemerkte er etwas, das er nicht deuten konnte. Es sah interessant und teuer aus. Der Rabe ging hinter der Trommel in Deckung und hoffte, dass die Instrumente nicht so schnell gebraucht würden. Er beobachtete, wie Aurora sich an einen Tisch setzte und der Musik lauschte. Auf einer improvisierten Bühne stand eine blonde Frau im Scheinwerferlicht und sang. Ihre sanfte Stimme wurde von Gitarrenklängen begleitet. Aurora gefiel die Musik und sie entspannte zusehends. Sie fragte sich, warum kaum ein Mensch hier saß und der Musik lauschte. Ob sie zu langweilig und sanft war? Das würde zu den Menschen passen. Ihr half es jedoch, sich zu beruhigen, um nachzudenken.

»Wie heißt du eigentlich?«, fragte sie die Maus.

»Alsira«, antwortete diese. »Alsira, die Graue.«

»Das ist aber ein schöner Name«, erwiderte Aurora. »Aber warum denn die Graue?«

»In unserer Familie sind die Mäuse eigentlich weiß. Ich weiß auch nicht, warum ich ein graues Fell habe. Keiner konnte es mir erklären.«

Interessiert betrachtete Aurora die Maus und fragte sich, was es mit ihrer Farbe auf sich haben könnte. Das alles wurde immer spannender. Dann war sie vielleicht keine Feldmaus? Wie man sich doch täuschen konnte.

»Und wie heißt du?«, wandte sie sich nun an den Raben. »Du hast dich gar nicht vorgestellt!«

»Ich heiße Kuno. Rabe Kuno.«

»Kuno der Pechschwarze«, kicherte die Maus. »Und du bist Aurora die Zitronengelbe. Entschuldigt. Aber so kann ich mir eure Namen besser merken.« Die langen Barthaare der Maus wackelten vor Lachen. »Das ist lustig. Aber noch origineller finde ich deinen pinkfarbenen Drachenfreund, Aurora. Ich habe noch nie einen Drachen gesehen, der Pink ist.« Die Maus kletterte neugierig auf den Stuhl neben Aurora, um mehr zu erfahren. Aurora hoffte, dass die blonde Frau auf der Bühne Alsira nicht bemerken würde. Sie befürchtete, dass diese Angst vor Mäusen hatte.

»Das ist ja auch etwas Besonderes, dass mein Freund Pink ist«, antwortete Aurora. »Dies war er nicht immer. Es ist bei unserem ersten Abenteuer passiert. Im Vogelsberg. Aber das ist eine lange Geschichte. Ich erzähle euch das ein andermal, jetzt sollten wir hier verschwinden.«

Die drei ungleichen Freunde verließen ungesehen die Bar und blieben in dem Gang, der durchs Unterdeck führte, unentschlossen stehen.

»Wohin jetzt?«, fragte Alsira die Graue.

Aurora suchte verzweifelt nach einer Antwort, als ihr jemand von hinten auf die Schulter tippte. »Kann ich helfen?«

Aurora fuhr erschrocken zusammen und drehte sich mit pochendem Herzen um. Wer war das, wer konnte sie hier sehen?

»Darf ich mich vorstellen?«, sagte der Unbekannte, der in einen grauen Kapuzenmantel gehüllt war. Nur seine dunklen Augen waren zu sehen. »Ich bin Willibald der Erste. So nennen mich meine Freunde.«

»Der Erste?«, piepste die Maus und versteckte sich unter dem Gefieder des Raben.

»Wer bist du?«, fragte Aurora. Oder was bist du, fügte sie in Gedanken hinzu. »Warum versteckst du dich unter diesem Mantel?«

»Da geht es mir vermutlich wie euch. Ich will hier nicht von den Menschen gesehen werden. Die meisten können es auch nicht, aber man weiß ja nie.«

»Das verstehe ich«, fiepte die Maus.

»Kommt mit, ich zeig euch was.«

Die merkwürdige Gestalt forderte sie auf, ihr zu folgen. Schweigend erreichten sie über eine schmale Holztreppe eine kleine Empore, auf der sich in Vitrinen zahlreiche Schwimmwesten und Rettungsringe befanden.

»Das meinte ich nicht«, murmelte der Unbekannte, dem die neugierigen Blicke der Freunde nicht entgangen waren.

Gut zu wissen, dachte Aurora, so leise es ihr möglich war. Sie wollte nicht, dass jeder ihre Gedanken aufschnappte. Wo sind eigentlich die Rettungsboote, grübelte sie, während sie eine weitere Holzleiter hinaufstiegen. Daran habe ich gar nicht gedacht. Rettungsboote. Kikino kann doch nicht schwimmen.

Und wer weiß, was er wieder anstellt. Man muss bei ihm mit allem rechnen.

Die Gestalt im Mantel lief unbeirrt weiter, während Aurora wieder, wie so oft, ihren Gedanken nachhing. Es wirbelte nur so in ihrem Kopf herum. Er ist ja kein Wasserdrache wie Platschi.

Ach, wäre doch der kleine Platschi mit seiner Familie hier. Die Wasserdrachen, denen sie im Taunus begegnet waren. Bei ihnen fühlte ich mich sicher. Aurora fragte sich, wo diese nun waren.

»Wir sind da«, rief die graue Gestalt. »Hier sind wir sicher.«

Er öffnete eine dunkle Holztür und Aurora wollte ihren Augen nicht trauen. Das konnte doch unmöglich wahr sein. Ungläubig rieb sie sich die Augen.

Das gab es doch nicht. Vielleicht träumte sie.

»Was ist denn das?«, piepste die Maus ebenso überrascht.

Der Rabe flog durch die Tür und aus seinem Schnabel ertönte ein lautes »Wow. Na das hatte ich auch nicht erwartet.«

Aurora folgte der Gestalt im Kapuzenmantel, in einen großen Speisesaal. An den lange rechteckigen, mit karierten Tischdecken, versehenen Tischen, standen bunte Holzbänke, auf denen junge Zwerge saßen.

Wohin Aurora auch blickte, tummelten sich kleine Zwergenkinder und ließen es sich schmecken.

Feen und Elfen servierten köstliche Speisen und duftenden Tee. Aurora betrachtete die bunten Früchte sowie das frische Brot und bemerkte, wie hungrig sie war.

»Kommt, da hinten ist ein freier Tisch«, sagte der Unbekannte.

»Ihr habt bestimmt Hunger.«

Vermutlich konnte auch er Gedankenlesen, überlegte Aurora.

Sie steuerten den Tisch an und wären fast über einen kleinen Igel gefallen. »Was macht der denn da?«

»Ich weiß nicht«, antwortete der Kapuzenträger. »Vermutlich hat ihn ein Zwerglein reingeschmuggelt. So wie ihr die Maus.« Dabei musterte er Alsira.

Kaum saßen sie, eilte eine Elfe in blauweiß gestreiftem Kleid mit einer Teekanne herbei und hieß sie Willkommen. Kleine Wichtel trugen immer mehr Essen herbei und verteilten es auch auf ihrem Tisch. Keiner wunderte sich über die unbekannten Gäste. Sie waren willkommen, als gehörten sie zu diesen Zwergenkindern.

Aurora nippte an ihrem heißen Früchtetee und ließ ihren Blick durch den Saal schweifen. Da erkannte sie gegenüber eine Tür, die in einen anderen Raum führte. Zu gern hätte sie gewusst, was sich dahinter verbarg. In diesem Moment führte eine weißhaarige Fee einen winzigen Hauszwerg durch diese Tür.

»Da sind die Schlafsäle«, antwortete der Unbekannte, der noch immer in seinen Mantel gehüllt war.

»Das sieht ja aus wie in einer Jugendherberge«, entfuhr es Aurora.

»Jugendherberge?«, krächzte der Rabe verwirrt. »Was ist eine Jugendherberge?«

»Nicht so wichtig«, winkte Aurora ab. »Ich möchte lieber wissen, was das hier zu bedeuten hat.«

In diesem Moment zog der Fremde seinen Mantel aus und Aurora starrte ihn fasziniert an. In ihrem Kopf hörte sie Kristalllichts mahnende Worte, dass es in der Menschenwelt unhöflich sei, jemanden anzustarren. Aber sie konnte es nicht lassen. Und dies hier war weit entfernt von der Menschenwelt. Wenn auch nicht räumlich.

Ihr gegenüber saß ein Pan. Ein Wesen, das nicht aus dieser Menschenwelt kam. Er war halb Mensch halb Ziegenbock.

Aurora wunderte sich, dass ihr das vorher nicht aufgefallen war. Der Mantel musste magische Fähigkeiten haben.

»So ist es«, sagte der Pan. »Nun weißt du, warum mich die Menschen nicht sehen dürfen. Denn viele könnten es, bin ich mir sicher, da ich halb in ihrer Welt lebe.«

Aurora starrte ihn weiter an und wusste nicht, was sie sagen sollte, und das kam selten vor.

Der Pan erinnerte sie an etwas. Sie hatte ihn schon einmal gesehen. War er nicht auch in Michelnau. Im Steinbruch während ihrer Naturwesenkonferenz?

»Ja, das war ich«, beantwortete der Pan Auroras Gedanken.

»Balduros habe ich mich da genannt. Aber der Name muss ebenso geheim bleiben.« Er sah Aurora verschwörerisch an. »Ich war dort gewesen und hatte Hoffnung für die Welt. Es war eine solch energiereiche und zuversichtliche Zeit. Aber ...«, er verstummte und schaute Aurora traurig an. »Es ist nicht das passiert, was ich erwartet habe.«

»Und das wäre?«, mischte sich Kuno ein.

»Frieden!«

»Frieden?«, krächzte Kuno.

»Natürlich Frieden, was denn sonst. Deswegen sind wir doch hier auf diesem Schiff.«

Auroras Gedanken sprangen heftig in ihrem Kopf umher. Verweilten kurz in Michelnau, hüpften dann auf dieses Schiff zurück, zu Kikino, ... verirrten sich kurz in ihrem Heimatvulkan, der ihr schon jetzt fehlte, um dann wieder in diesen Raum zurückzukommen, in dem Versuch die Worte des Pans zu sortieren.

»Kannst du mal kurz aufhören zu denken«, krächzte Kuno. »Du machst mich ganz verrückt.«

»Ich versuche es«, flüsterte Aurora. Dann sah sie den Pan ernst an und sagte: »Du sprichst von wir? Wusstest du etwa, dass wir kommen?«

»Ja, ich hatte es gehofft,«, antwortete er. »Ich sah es im Traum und rief nach euch.«

»Hast du hier Kikino gesehen, meinen Drachenfreund? Er soll auf dem Schiff sein. Deswegen bin ich hier.«

»Das ist seltsam«, antwortete der Pan. »Davon weiß ich nichts. Aber vielleicht hat er meinen Ruf vernommen?«

Enttäuscht ließ Aurora den Kopf sinken und die Arme hängen. Wieder nichts.

»Aber ich kann dir erklären, was es mit den Zwergenkindern hier auf sich hat.«

Aurora versuchte, ihm zu folgen und nicht an ihren Freund zu denken. Die Zwerge hatte sie völlig vergessen. Das war alles so seltsam.

»Wir evakuieren die Zwerge. Sie kommen aus einem Land in Europa, in dem es für sie nicht mehr sicher ist. Nicht nur wegen dem Krieg, der kommen wird, sondern auch wegen der Giftstoffe, die die Menschen dort verstreuen werden.«

»In Europa?«, fragte Aurora. »Ich wusste es. Mir wollte keiner glauben, dass es dort Krieg geben wird. Es wird noch viel mehr geschehen. Wir müssen etwas tun!«

»Ich sehe auch einen großen Krieg. Die Gefahr ist da. Wie auf der ganzen Welt. Und daher bringen wir diese Kinder in Sicherheit. Ich könnte dir noch viel dazu erklären. Aber ich merke, du bist mit deinen Gedanken bei deinem Drachenfreund. Komm, lass uns ihn suchen. Ich habe da eine Idee.«

In diesem Moment stürmte ein riesiger Troll in den Speisesaal und ließ sich wütend schimpfend auf eine Holzbank fallen, die von seinem Gewicht in sich zusammenfiel. »Das gibt’s doch nicht«, schrie er. »Das darf doch alles nicht wahr sein. Seit wann sind hier Drachen erlaubt?«

Aurora zuckte zusammen und traute ihren Ohren nicht. Drachen? Meinte er Kikino?

»Dieser Drache ließ sich in den Pool fallen und ... das Wasser ... alles weg. Was denkt er sich nur dabei? Als sei er allein auf der Welt.«

»Das muss Kikino sein«, kicherte Aurora und bemerkte, dass die Maus sie bestürzt ansah.

»Nein, nicht weil er egoistisch ist und nur an sich denkt«, beeilte sich, Aurora zu erklären. »Sondern weil er so tollpatschig ist.« Das konnte nur Kikino sein und ein glückliches Lächeln zog über ihr Gesicht.

ZWEI

Der Weg schien kein Ende zu nehmen, doch endlich hatten sie den Swimmingpool erreicht. Das, was sie sahen, würde Aurora in ihrem Leben nicht mehr vergessen. Sie stand da und starrte auf das Schauspiel, das sich ihr bot. Ihr Freund Kikino saß auf einer Luftmatratze im Pool und genoss sichtlich das lustige Treiben um sich. Es war keine gewöhnliche Luftmatratze, wie in der Taunus Therme in Bad Homburg. Vielmehr war es eine riesige aufblasbare Insel, mit Palmen aus Plastik. Aurora hatte so etwas noch nie gesehen und fragte sich, wo er diese gefunden hatte. Und wer hatte das Wasser wieder so schnell aufgefüllt? Sie vermutete die Wichtel, die ihr mit Eimern entgegengekommen waren. Sie waren bekannt dafür, dass sie halfen, wo es nur ging.

Kikino trieb über den Pool und ließ die Drachenbeine im Wasser baumeln. Er trank einen Cocktail, der farblich genau auf die Insel abgestimmt war. Aber das war nicht alles. Neben ihm gab es ein Dutzend solcher schwimmender Miniaturinseln, auf denen kleine Wasserdrachen saßen. Sie trieben ebenso übers Wasser und schauten immer wieder zu Kikino. Dazwischen entdeckte Aurora einfache bunte Luftmatratzen, auf denen junge Zwerge lagen und träumten. Ob sie zu den Zwergenkindern gehörten, die umgesiedelt wurden oder machten sie hier mit ihrer Familie Urlaub? Aurora würde es hoffentlich bald erfahren. Sie wollte wissen, was hier vor sich ging.

Aurora beobachtete fasziniert das Schauspiel, das sich ihr bot. Im Wasser erkannte sie kleine Wasserdrachen, die versuchten, auf die schwimmenden Inseln zu klettern, aber immer wieder abrutschten. Sie jauchzten vor Vergnügen. Kleine Wassermänner spritzten wild um sich und amüsierten sich über Kikino und die anderen Drachen, die entrüstet taten. Aurora sah die Freude bei allen und genoss diesen Anblick.

Wenn sie nicht von Kuno wüsste, weshalb Kikino sie hierher gerufen hatte, könnte man glauben, er sei auf einer Urlaubsreise. Aber seit wann machten Drachen Urlaub? Und dann auch noch eine Kreuzfahrt?

In diesem Moment schrie Kikino laut auf. »Aurora! Da bist du ja, Aurora«. Die Fee neben ihr ließ vor Schreck eine Zitronenlimonade fallen. Das süße Getränk ergoss sich über Auroras Füße. »Igitt«, rief sie. »Das geht ja schon wieder gut los.« »Tut mir leid«, beeilte sich die Fee zu sagen. »Ich hab mich so erschrocken«. Dabei warf sie Kikino einen tadelnden Blick zu. »Er ist unmöglich. Er verursacht eine Überschwemmung nach der anderen, wenn er zur Poolbar schwimmt, so dass ich ihm schon seine Getränke bringe. Aber so schnell bin ich nicht, wie er Durst hat.«

Wie zur Bestätigung sprang Kikino von seiner Insel ins Wasser und löste dabei eine riesige Welle aus, die die kleinen Drachen und Zwerge von ihren Luftmatratzen und Inseln spülte. Doch nicht nur das. Die Welle schwappte über den Rand des Beckens und erreichte in sekundenschnelle auch Aurora und die noch immer verärgerte Fee.

Aurora schaute an sich herunter ... und brach in Lachen aus. »Kikino«, rief sie. »Du bist wie immer unmöglich. Aber jetzt ist wenigstens die Limonade weg.«

Die Fee fand ihre Fassung wieder und stimmte in Auroras Lachen ein.

»Aurora, es tut mir leid«, jauchzte Kikino aus dem Pool. »Aber ich habe dich so vermisst!«

»Ich dich auch«, schrie Aurora. Sie war nicht mehr zu halten, sprang in den Pool und schwamm zu Kikino.

Ausgelassen umarmten sich die beiden und konnten sich vor Lachen nicht halten. Die Naturgeister um sie herum quietschten und jauchzten mit ihnen und alle Anspannung der letzten Stunden fiel von Aurora ab. »Ich hab dich auch so vermisst Kikino«, sagte sie. Dann kletterte sie geschickt auf die große Plastikinsel, setzte sich unter eine bunte Palme und rief Kikino zu: »Nun erzähl doch, was du hier machst und warum du mich gerufen hast.«

»Okay«, antwortete Kikino, während er ihr auf die Insel folgte. »Aber sag du mir erst, wie es dir ergangen ist. Dann muss ich dir einiges erzählen.«

Während Aurora und Kikino in ihr Gespräch vertieft waren, bemerkten sie nicht den Schatten, der sich über das Kreuzfahrtschiff legte. Die anderen Zwerge, Drachen und Wassermänner im Schwimmbecken spürten auch nicht das Unheil, das in der Luft lag. Sie bemerkten nur, wie die Sonne plötzlich verschwand und es kälter wurde.

Fröstelnd ruderten die Drachen und Zwerge mit ihren Luftmatratzen an den Rand des Beckens und sprangen auf den gefliesten Boden, der von Kikinos Wasserfontäne glitschig war. So rutschten sie mehr, als dass sie liefen, zu ihren Badetüchern und hüllten sich schlotternd darin ein. Die Wassermänner sprangen eilig aus dem Wasser und hasteten die Gänge entlang zu ihren Kabinen.

»Warum ist es nur plötzlich so kalt?«, fragten sich die Feen und verschwanden in der, an den Pool, grenzenden Bar.

Nur Aurora und Kikino saßen unbeirrt auf ihrer schwimmenden Insel und nahmen von all dem nichts wahr, so sehr waren sie in ihr Gespräch vertieft.

»Was hat es mit dem Frieden auf sich, den du suchen willst?«

»Frieden suchen?«, wiederholte Kikino verwirrt Auroras Frage.

»Ich versteh nicht ganz, was du meinst. Wo willst du den Frieden suchen?«

»Kuno hat gesagt, dass du irgendwie den Weltfrieden retten willst und er mich deshalb suchen soll. So genau weiß ich es auch nicht mehr, was er gesagt hat«, fügte Aurora gereizt hinzu. Warum stellte sich Kikino wieder so dumm. Oder hatte der Rabe etwas Falsches gesagt? Der Rabe? Die Maus? Wo waren sie eigentlich? Wie konnte sie sie vergessen?

Aurora schaute sich erschrocken um und stutzte. Ihre neu gewonnenen Freunde waren nicht mehr da. Und ... nicht nur das. Auch sonst war da niemand mehr. Nicht im Pool, nicht in den Gängen ... Kein Naturwesen lag auf den Liegestühlen. Nicht der kleinste Zwerg war zu sehen. Aurora schaute Kikino verdutzt an und sagte: »Wo sind sie alle plötzlich hin? Verstehst du das?«

Kikino zog seine Drachenstirn in so tiefe Falten, wie es nur ihm möglich war. Aurora unterdrückte ein Kichern und blickte sich suchend um. »Wo sind sie alle nur hin?«

Kikino schaute in den Himmel und sah nun die Schwärze, die über dem Kreuzfahrtschiff lag. »Die Sonne ist weg«, seufzte er. »Haben wir vor lauter Reden nicht gemerkt.«

»Ja«, jammerte Aurora. »Mir ist kalt. Können wir woanders hingehen? Du kennst dich doch hier sicher schon aus?«

»Okay«, antwortete Kikino und blickte sich um. »Eine gute Idee. Die Bar ist auch zu«.

Aurora folgte Kikino durch das Labyrinth aus Gängen und war gespannt, wohin ihr Freund sie bringen würde. Tatsächlich kannte er sich schon gut aus und sie war gespannt, was es hier noch zu entdecken gab. Er musste ihr alles zeigen. Sie hatten ja genug Zeit hier auf dem Schiff. Zeit ...?! Aurora unterbrach selbst ihre Gedanken und wandte sich an Kikino:

»Du Kikino«, begann sie. »Wie lange fährt man eigentlich nach Amerika?« Erst jetzt wurde Aurora klar, auf welche Reise sie sich hier begeben hatte. Konnten Sonnenengel seekrank werden? Und welche Gefahren könnten hier lauern? Ihr kam das Wort Titanic in den Kopf. Wenn sie sich nur erinnern könnte, was damals passiert war. Sie hatte in der Vulkanschule gerade da nicht aufgepasst, was sie jetzt bereute.

»Titanic?«, wiederholte Kikino. »Wie kommst du jetzt auf Titanic? Das Schiff war damals gegen einen Eisberg gefahren. Es ist Sommer! Siehst du hier irgendwelche Eisberge?« Kikino schüttelte verständnislos seinen Kopf. Auf was für Gedanken Aurora nur wieder kam. Manchmal bereute er es, ihre Gedanken lesen zu können, doch heute amüsierte es ihn wieder - wie so oft. Auch das hatte er vermisst.

»Aber es ist plötzlich sehr kalt geworden«, verteidigte sich Aurora. »Man weiß nie!« Sie schaute ihren Freund, dessen Gedanken ihr auch nicht entgangen waren, trotzig an.

Aurora und Kikino erreichten eine lauschige Bar, in der bereits zahlreiche Trolle, Wichtel und Zwerge an Tischen saßen und bei Kaffee und Kuchen munter plauderten. Ob sie sich vom Pool hierher geflüchtet hatten?

Als die Naturgeister Kikino und Aurora sahen, winkten sie ihnen fröhlich zu und rutschten zusammen, damit sie sich zu ihnen setzen konnten.

Für Aurora war das kein Problem, aber Kikino quetschte sich wenig begeistert zwischen einen riesigen Troll, der isländisch redete, und einen Wassermann aus Norddeutschland. Kikino sah etwas gequält aus, aber sagte nichts. Zu glücklich war er, dass seine Freundin Aurora hier war, auf diesem Schiff. Sie hatten sich so lange nicht gesehen, so viel zu erzählen. So dass er alles andere um sich herum schnell vergaß und weiter auf Aurora einredete. Diese folgte glücklich Kikinos Erzählungen, ihr Drachenfreund hatte ihr so gefehlt. Ab und zu wanderte Auroras Blick neugierig durch die Bar und sie betrachtete das bunt gemischte Naturgeister Volk.

In einer Ecke standen gemütliche Plüschsofas, in denen einige Nymphen, Feen und Elfen saßen. Sie genossen kleine Snacks und bunte Säfte.

Ob das da vorne ein Engel war? Aurora konnte das durchscheinende Wesen nicht richtig erkennen. Vielleicht war es auch eine Schutzelfe. Sie sah so ernst und nachdenklich aus. Warum nur wirkte sie so beunruhigt?

Auroras Blick schweifte weiter von einem Gast zum anderen und sie fragte sich, woher sie kamen und was sie hier taten. Wohin ihre Reise ging. Es schienen Wesen aus ganz Europa zu sein, die sich in den unterschiedlichsten Sprachen unterhielten. Aurora wunderte sich wieder einmal, wie sie sich verständigen konnten. Wie machten sie das? Brauchten sie keinen Übersetzer wie die Menschen? Die Naturgeister verstanden einander ohne Worte. Mit dem Herzen. Die Sprache unterstrich es nur. Menschen waren weit davon entfernt, einander zu verstehen. Egal ob sie die gleiche Sprache sprachen, waren sie nicht mit dem Herzen dabei, redeten sie aneinander vorbei. Dies wurde Aurora in diesem Moment bewusst. Das war es – das Herz. Wieder einmal. Wie sollte da Frieden entstehen. In den Nationen, in der Welt.

Die Menschen hörten und sprachen nicht mit dem Herzen. Sie nahmen nur das Oberflächliche wahr. Nicht das, was in und hinter den Worten lag. Doch wie sollte man dies den Menschen erklären? Die Energie der Worte? Schon den Gedanken selbst verstanden sie nicht. Daher nahmen sie auch Auroras Gedanken nicht wahr. Auch Tina konnte es nicht. Leider.

»Aurora«, rief Kikino ungeduldig. »Du hörst mir gar nicht mehr zu.« Er schaute sie beleidigt an, aber Aurora erkannte, dass er ihr nicht wirklich böse war. Das war er nie. So wie sie ihm nicht böse sein konnte. Sie liebte ihren Freund und widmete ihm sofort wieder all ihre Aufmerksamkeit.

»Aurora, hast du den Wasserdrachen im Nebel vorhin gesehen?«, fragte Kikino.

»Nebel? Welcher Nebel?«

»Der Nebel auf dem Meer. Da zog ein eigenartiger dichter undurchdringlicher Nebel von Westen auf. Dass du das nicht gesehen hast Aurora?« Kikino schaute sie verdutzt an. »Es war so unheimlich. Dieser plötzliche dunkle Himmel dabei. Ein Nebel, der wie aus dem Nichts über das Meer zog und diese Stille und Leere. Vielleicht waren alle Naturgeister deshalb plötzlich weg. Seltsam.«

»Ich weiß auch nicht, was das war«, antwortete Aurora. »Aber sag mal, warum nennt man sie und auch uns eigentlich Geister? Wir sind doch keine Gespenster.«

»Stimmt«, erwiderte Kikino und schaute seine Freundin verwirrt an. »Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Du hast recht. Warum nur.«

»Sowas machen doch nur die Menschen«, fuhr Aurora fort. »Sie haben vielleicht Angst vor uns? Wie vor den Gespenstern in ihren Filmen«. Dabei schweifte ihr Blick nochmal durch die Bar und zu den so unterschiedlichen Gästen.

Wie ein Geist sah keiner von ihnen aus. Es waren so wundervolle Wesen darunter. Waldzwerge, aus deren Taschen kleine Baumsetzlinge schauten und lachten. Ob sie diese nach Amerika mitnahmen, um sie dort zu pflanzen? Aurora war völlig verblüfft und konnte ihren Blick von diesem Bild kaum abwenden. Doch dann siegte ihre Neugierde und sie sah sich weiter um. Betrachtete die Gäste mit anderen Augen, wie es die Menschen nennen würden. Da waren winzige Wichtel in buntkartierten Hemden mit Pudelmützen auf dem Kopf. Sie hatten kleine Tiere dabei. Aurora schaute etwas genauer hin. Es waren Igel. Sie fragte sich, warum ausgerechnet wieder Igel?

Und schon hatte die nächste Gruppe Naturwesen ihre Aufmerksamkeit erweckt. Kleine Wurzelwesen saßen auf einer Bank, am Ofen und schnitzten Spielzeug. Puppenwagen, Häuser und mehr. Ob das für die vielen Zwergenkinder war, fragte sich Aurora. Wie wunderbar. Hier hielten die Naturwesen zusammen und verstanden sich. Aurora entdeckte in diesem Moment ein kleines Nixenmädchen, das in einem Wassertrog plantschte und vor Vergnügen kicherte. Ein dünner Wasserdrache warf ihr einen Wasserball zu und genoss das unbekümmerte Spiel. Welch ein Anblick.

In diesem Moment kam ein großer Waldzwerg zur Tür hinein und schrie aufgeregt: »Wir wurden bestohlen!«

Augenblicklich verstummte es in der Bar. Alle anwesenden Naturgeister schauten den Hereinkommenden entsetzt an. Keiner wagte, etwas zu sagen, außer Kikino, der aufgeregt rief:

»Was wurde gestohlen? Von wem?«

Der Waldzwerg verharrte in der Tür und schwieg. Er trug einen olivgrünen Anzug und eine lindgrüne längliche Mütze. Auf seine Jacke waren Lindenblüten gestickt. Aurora vermutete, dass es keine echten Blüten waren, da sie nicht verwelkten.

Der Unbekannte trug Holzpantoffeln, die sie an ihren Freund Waldemar, aus Michelnau, erinnerten. Wie es ihm wohl ging? Aurora vermisste auch ihn. Er hätte den Waldzwerg zu beruhigen gewusst.

»Nun sag doch. Wer hat wen warum bestohlen?«, durchbrach Kikino Auroras Gedanken.

Der Angesprochene zitterte und Tränen füllten seine dunkelgrünen Augen. Seine langen roten Haare hingen genauso traurig herunter, wie er dastand. Er ließ den Kopf hängen und sagte: »Das glaubt ihr mir nicht.«

»Was glauben wir nicht?«, fragte Kikino und versuchte, seine Ungeduld zu verbergen. Er wollte endlich wissen, was los war.

»Mein Buch ist weg. Mein geheimes Buch, mit den Aufzeichnungen, wo der besondere Wald zu finden ist.«

Aurora horchte auf. Ein geheimes Buch? Ein ungewöhnlicher Wald? DAS klang nach einem Abenteuer. Ein Geheimnis. Und sie liebte Geheimnisse. Wo war dieser Wald?

Der Waldzwerg hatte ihre Gedanken aufgeschnappt, denn er sah Aurora in diesem Moment ernst an und sagte: »Das darf ich dir nicht sagen. Das ist geheim.«

Aurora verzog ihre Lippen zu einem Schmollmund. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sollte sie sich wundern oder eher ärgern, warum er ihre Gedanken gelesen hatte. Warum ihre? Der ganze Raum war überfüllt. Gab es denn keine anderen Gedanken zu lesen? Warum gerade ihre. Und warum musste er das vor all diesen Reisenden sagen. Aurora schluckte ihren Ärger runter und grübelte darüber nach, wie sie mehr erfahren konnte. Mit der Antwort gab sie sich nicht zufrieden. Das Geheimnis interessierte sie und noch mehr, wer das Buch gestohlen hatte. Was ging auf diesem Schiff vor sich? Naturwesen bestehlen sich nicht gegenseitig. Da stimmte etwas nicht.

Der Waldzwerg stand noch immer verloren in der Tür und ließ den Kopf hängen. Er war an Auroras Gedanken nicht mehr weiter interessiert.

Eine hochgewachsene Fee, im roten Kleid, schwebte zu dem Zwerg und nahm ihn liebevoll in den Arm. »Jetzt beruhige dich doch erst einmal. Hier am Kamin ist ein Sessel frei. Setzte dich hier hin und trinke einen Kräutertee. Und dann erzähle uns, was passiert ist. Wo war dein Buch und wer könnte es gestohlen haben?«

Der Waldzwerg folgte ihr zu dem Sessel, sackte müde hinein und seufzte. »Das ist eine lange Geschichte.«

Das macht nichts, dachte Aurora und spürte den tadelnden Blick ihres Freundes Kikino. Sie ignorierte ihn und betrachtete weiter den Zwerg. Er sah nicht einfach nur traurig aus. Sie spürte, wie verzweifelt er war. Wovor hatte er Angst? Was war das für ein Wald? Aurora konnte ihre Neugierde nicht unterdrücken. Sie musste es herausfinden. Vielleicht hatte es etwas mit ihnen zu tun. Mit ihrer Mission, Kikinos Reise. Dem Frieden auf der Welt? Sie spürte, dass dies alles kein Zufall war. Und dass die äußere Dunkelheit und Kälte mit all dem zusammenhingen. Was war das nur für ein Nebel, erinnerte sie sich.

»Psst Aurora«, zischte Kikino. »Denk nicht so laut. Es schauen schon einige Wichtel zu uns und fragen sich vermutlich, wer du bist«.

Aurora bemerkte, wie Röte in ihren Strahlenkranz zog. Nicht auch das noch. Sie spürte, wie ihr heiß wurde, ihr Strahlenkranz leuchtete und blinkte und sie war sich sicher, dass es alle sehen würden. Aber sie musste es herausfinden. Sie konnte nicht anders und sie war sich sicher, Kikino verstand es auch. Dieser verstummte, zuckte hilflos die Schultern und sagte: »Aber pass wenigstens auf dich auf.«

Der mysteriöse Waldzwerg war inzwischen von einem Dutzend Waldzwergen und Wurzelwesen umringt. Diese redeten aufgeregt auf den Zwerg ein. Fragten, was geschehen war. Ob sie etwas für ihn tun könnten. Ob er die Nacht in dem Camp der kleinen Waldzwerge zubringen wollte, wie sie den Schlafsaal nannten. Dann wäre er nicht allein. Die Feen der Bar brachten ihm einen heißen Früchtetee und duftendes frisches Gebäck, doch er rührte es nicht an. Der Schreck und eine unerklärliche Angst waren ihm ins Gesicht geschrieben. Er starrte vor sich hin und man hatte das Gefühl, dass kein Wort mehr an ihn herandrang. Was das denn für ein Buch ist, wagte keiner zu fragen. Nur Aurora ließ dies keine Ruhe. Sie musste erfahren, was es damit auf sich hatte. Kikino wusste, er würde sie nicht davon abhalten können.

»Wo sind denn nun der Rabe und die Maus?«, fragte Kikino, um Aurora auf andere Gedanken zu bringen. »Wann hast du sie zuletzt gesehen?«

»Das war, als ich an den Pool kam und dich sah. Da vergaß ich alles«, antwortete Aurora. »Es tut mir so leid, dass ich mich nicht bedankt habe, dass sie mich zu dir gebracht haben. Hoffentlich sind sie mir nicht böse.«

»Bestimmt nicht«, erwiderte Kikino. »Es sind doch keine Menschen!« Und lächelte sie aufmunternd an.

»Wie wahr, wie wahr«, flüsterte Aurora.

Sie war nicht länger abzulenken. Angestrengt schaute sie auf den Waldzwerg, der noch immer geschockt in dem Sessel saß. Er war so klein, dass er in dem geblümten Plüschkissen fast gänzlich versank. Ein hübscher Anblick, dachte Aurora, wäre er nicht so traurig und voller Panik gewesen. Aurora fixierte ihn und versuchte, in seine Gedanken vorzudringen, was sie nicht oft tat. Sie sagte sich, dass es in diesem Fall erlaubt war.

Sie musste ihm helfen. Aber es gelang ihr nicht, in seine Gedankenwelt und Ängste einzudringen. Er hatte auch diese abgeschottet. Bewusst oder unbewusst. Als wäre er gar nicht da.

Aurora musste sich etwas anderes einfallen lassen. Nur was?

In diesem Moment fiel in der Bar das Licht aus. Die Anwesenden schrien laut auf.

War das ein Zufall, oder hatte es etwas mit dem Zwerg zu tun?

Aurora spürte, wie die Angst auch in ihren Körper eindringen wollte, tief in ihre Seele, wo sie nicht hingehörte. Aber irgendeine Angst war da. Sie wusste nur nicht woher. Doch sie verdrängte sie und versuchte, ruhig zu bleiben.