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Seitenzahl: 131
Original-Bucheinband
Wissenschaftliche Volksbücher für Schule und Haus
Herausgegeben von Fritz Gansberg
Hamburg und Berlin 1911 Alfred Janssen
Von Carl Chun. Schilderungen von der deutschen Tiefsee-Expedition Ausgewählt von Fritz Gansberg Mit zwanzig Bildern
Hamburg und Berlin 1911 Alfred Janssen
INHALTSVERZEICHNIS(Vom Bearbeiter eingefügt)
Seite
1.
Die deutsche Tiefseeexpedition
5
2.
Von Kapstadt zur Bouvet-Insel
11
3.
Im antarktischen Meere
20
4.
Die Eisberge
25
5.
Das antarktische Plankton
38
6.
Letzter Vorstoß nach Süden
47
7.
Die Kerguelen
66
8.
Einige Ergebnisse der Valdivia-Expedition
88
Die Tiefen des Weltmeeres haben von jeher die Gedanken der Menschen mächtig erregt. Bald dachte man sie sich unergründlich und völlig ohne Leben, bald hielt man sie für das Abbild des mit steilen Gebirgen durchzogenen Festlandes und belebte sie mit seltsamen Phantasiegestalten. Eine wirkliche Durchforschung der Tiefsee hat erst im 19. Jahrhundert begonnen. Gelegentlich holte man wohl bei den Lotungen aus großen Tiefen lebende Tiere herauf. Besonders wurde man bei der Legung der Kabel auf die Tierwelt der Tiefsee aufmerksam gemacht. Das erste transatlantische Kabel, das 1858 gelegt wurde, riß; dasselbe Schicksal widerfuhr auch dem Mittelmeerkabel. Beide wurden wieder aufgefischt: auf beiden hatten sich Tiere angesiedelt. Mehr und mehr entdeckte man, wie üppig, farbenprächtig und wundervoll diese in den Tiefen verborgen lebende Tierwelt war. Die erste große und planmäßige Erforschung der Tiefsee erfolgte durch die englische Challengerexpedition in den Jahren 1872–1876. Was sie leistete, stellt sich den Ergebnissen der glänzendsten Forschungsreisen würdig zur Seite; in 38 dicken Quartbänden sind ihre Funde in Wort und Bild genau beschrieben worden. Seit dieser Zeit ist die Tiefseeforschung ein großes Studiengebiet geworden, auf dem sich viele Gelehrte aus den verschiedensten Ländern eifrig betätigen. Zwei Drittel der Erdoberfläche, nämlich die vom Wasser bedeckten, sind uns dadurch neu erschlossen, ja geradezu neu entdeckt worden. Wir wissen heute, daß das Leben auch in den tiefsten Tiefen nicht aufhört, daß ein Druck von mehreren Hunderten von Atmosphären, eine Temperatur, die sich um den Nullpunkt bewegt, und ewige Finsternis die Ausbreitung der Tierwelt nicht hindern können; aus einer Tiefe von 7636 Metern hat man einen lebenden Kieselschwamm heraufgeholt. Wahrlich, alle Naturforscher haben ein Interesse daran, zu erfahren, wie sich das Leben diesen eigentümlichen Umständen anpassen kann.
Am 31. Juli 1898 erfolgte die Ausfahrt der zu einer deutschen Tiefseeexpedition ausersehenen „Valdivia“ aus dem Hamburger Hafen. Es war ein festliches Ereignis. Von allen Seiten, besonders aber durch die Regierung, war die Ausrüstung der Expedition mit Rat und Tat und mit den nötigen Geldbewilligungen unterstützt worden. Der große, schöne Dampfer hatte für die Zwecke dieser Fahrt mannigfache besondere Einrichtungen bekommen, einen Mikroskopierraum, ein chemisches, ein bakteriologisches Laboratorium, eine photographische Dunkelkammer, des weiteren einen großen Konservierraum, in dem die Reservekabel, die Netze, zahllose Kisten und Kasten mit Fischereigegenständen und in den Schränken das gesamte kostbare Material an konservierten Tieren aufgestapelt wurde. Die Anlage einer Eismaschine war besonders vorteilhaft. Die Tiefseetiere leben in sehr kaltem Wasser und geraten bei dem Aufkommen der Netze in den Tropen in oft 25 Grad wärmere Schichten. Hier zersetzen sie sich außerordentlich rasch, falls nicht mit Eis abgekühltes Seewasser zu ihrer Aufnahme bereitsteht. So konnten die Tiere, die bisweilen noch lebend heraufgebracht wurden, gelegentlich stundenlang am Leben erhalten und während der Zeit photographiert und in ihrer natürlichen Färbung abgemalt werden. Da die „Valdivia“ außer dem notwendigsten Trinkwasser und einem Wasserballast zum Gebrauch für die Maschine keinen Doppelboden für Süßwasser besaß, so leistete ein großer Destillationsapparat für die wissenschaftlichen Arbeiten vortreffliche Dienste. Ein sehr wichtiger Gegenstand war auch die große Kabeltrommel, die 10000 Meter Stahlkabel für die Dredscharbeiten auf dem Meeresgrunde aufnehmen mußte. Das Kabel war aus zweien zusammengespleißt, die 10 und 12 Millimeter im Durchschnitt hatten und 5000 und 8000 Kilogramm Druckfestigkeit besaßen. Das wichtigste Werkzeug war ohne Frage die große Dredsche oder das Trawl, das große Scharrnetz. Es schleift auf zwei eisernen, schlittenförmig gebogenen Stangen und besitzt eine Länge von 10 Metern. Um es auf den Grund zu bringen, muß es durch zwei eiserne Oliven von je 25 Kilogramm beschwert werden. Die Vertikalnetze besitzen einen weiten Durchmesser und sind bestimmt, in große Tiefen hinabgelassen und dann langsam in senkrechter Richtung wieder gehievt zu werden. Sie fischen neben den größeren Tieren auch eine Fülle jener kleinen und kleinsten Lebewesen, die man Plankton nennt. Es sind freilich recht kostbare Netze aus Seidengaze, die durch einen derben Überzug geschützt wird. Die Schließnetze endlich sind so eingerichtet, daß sie geschlossen in die Tiefe versenkt und durch einen kunstvollen Mechanismus und mit Hilfe eines Propellers während einer bestimmten Aufwärtsbewegung geöffnet und alsdann wieder geschlossen werden können.
Das Tagewerk begann regelmäßig mit einer Tiefseelotung, meist um 5½ Uhr morgens. Die Maschinenwache wurde benachrichtigt, daß gestoppt werden sollte, worauf das Schiff vor Wind und Strom so hingelegt wurde, daß auf jener Seite, wo gearbeitet werden sollte, Luv war. Es kam wohl vor, daß eine obere Strömung mit einer tieferen Strömung in der Richtung auseinanderging. In solchen Fällen stand der Draht zuerst senkrecht, bis er plötzlich in Tiefen von 200–400 Metern unter dem Schiffe verschwand. Da dann Gefahr bestand, daß die am Draht angebundenen kostbaren Instrumente durch die Reibung an den Bordwänden verloren gingen, bedurfte es des ganzen seemännischen Geschicks des Kapitäns, um durch geeignetes Manöverieren des Schiffes den Draht wieder freizubekommen. Der wichtigste Teil der Lotmaschine (Abbildung 1) ist die Trommel, auf welche der Lotdraht in einer Länge von 8000 Metern aufgewickelt worden war. Ein Zählwerk registriert die Umdrehungen des Meßrades. Die Tiefseelote (Abbildung 2) sind so konstruiert, daß um die Lotröhre ein eisernes Sinkgewicht angebracht wird, welches den Draht zum Meeresgrunde hinabziehen soll, um dann unten liegen zu bleiben und die Drahtleitung für das Einwinden zu entlasten. Wenn das Lot den Grund berührt, fallen die zwei kleinen Arme, wie die Pfeile andeuten, infolge ihrer Schwere abwärts, und die Drähte gleiten ab, so daß das Sinkgewicht selbst abfällt. Für größere Tiefen wurden Sinkgewichte von 28 Kilogramm, für geringere solche von 15 Kilogramm benutzt; von den ersteren besaß die Expedition 230, von den letzteren 130. Läßt man das Lot zu rasch auslaufen, so muß man gewärtig sein, daß die Grundberührung nicht erkannt wird, während gleichzeitig der im Überschuß auslaufende Draht sich aufknäult und Knicke bekommt. Das feine Loten großer Tiefen ist eine Kunst, die durch Erfahrung gelernt sein will. Eine Tiefenlotung von etwa 5000 Metern beansprucht ungefähr 11½ Stunden Zeit, ungerechnet 5–7 Minuten, die man vor Beginn des Aufwindens abwartet, damit das Tiefenthermometer am Meeresgrunde sich richtig auf die Bodentemperatur einstellt.
Da in den tropischen und gemäßigten Regionen die Temperatur allmählich gegen den Meeresgrund abnimmt, so kann man hier Maximum- und Minimumthermometer verwenden, die gegen den gewaltigen Druck (auf 10 Meter eine Atmosphäre) durch eine besondere Glashülle geschützt werden. In den Eismeeren dagegen, die an der Oberfläche kälter sind als in tieferen Schichten, müssen Kippthermometer verwendet werden (Abbildung 3 und 4). Dasselbe kippt um, sobald die Spindel (d) des Propellers (e) sich aus der Thermometerhülse herausgedreht hat; dann reißt bei a der Quecksilberfaden ab, der wegen seiner geringen Masse so gut wie unverändert nach oben kommt. Die Drehung des Propellers erfolgt natürlich durch den Aufzug im Wasser.
Wenn ein Dredschzug in 5000 Metern Tiefe vorgenommen wird, so muß der Dampfer still liegen und soviel Drahtseil ausgegeben werden, als die Lotung anzeigt. Ist das Netz über dem Grunde angelangt, so wird langsame Fahrt gemacht und noch ein Drittel Seillänge mehr ausgegeben. Darauf gehen mehrere Stunden hin. Der ganze Zug beansprucht einschließlich der Lotung 13 Stunden. Ein Dredschzug in großen Tiefen stellt an alle Beteiligten, nicht zum mindesten auch an das seemännische Geschick des Kapitäns hohe Anforderungen. Wegen der hohen Spannung, welcher das Kabel ausgesetzt wird, ist große Aufmerksamkeit der Bedienungsmannschaften erforderlich, da sonst Unfälle nicht ausgeschlossen sind.
Da die Expedition in der Handhabung mancher Geräte noch unerfahren war, so wurden nicht sofort die großen Tiefen des Ozeans aufgesucht, sondern eine Probefahrt nach den Faröer unternommen. Erst dann wurde der Kurs nach dem Süden, dem in Aussicht genommenen Forschungsgebiete gerichtet. Nach Landungen auf Teneriffa, in Kamerun und dem Kaplande, die herrliche Unterbrechungen der gleichmäßigen Tage der Seefahrt boten, wendete sich die Expedition einem ihrer wichtigsten Gebiete zu, dem südatlantischen Ozean in seinen Übergängen in das antarktische Meer. Diesen Abschnitt der Reise geben die hier folgenden Kapitel wörtlich wieder. Sie sind mit gütiger Erlaubnis des Verlegers und Verfassers dem großen Werke „Aus den Tiefen des Weltmeers“ (Verlag von Gustav Fischer in Jena) des Leiters der Expedition Carl Chun entnommen.
Es war ein prächtiger Sonntagsmorgen, an dem die „Valdivia“ aus den großartigen Hafenanlagen von Kapstadt ausfuhr. Es fiel uns schwer, der gastlichen Kapstadt Valet zu sagen, nachdem wir die sieben Tage, welche wir dort verbrachten, in angestrengter Tätigkeit ausgenutzt hatten, um unsere Ausrüstung zu vervollständigen und nebenbei auch das überreich mit Naturschönheiten gesegnete Kapland kennen zu lernen.
Als wir das Kap zur linken Seite liegen ließen und mit SSW.-Kurs dem endlosen südlichen Meere zustrebten, mag man wohl auf einem von Osten kommenden Australienfahrer sich seine eigenen Gedanken über den sonderbaren Kurs eines Dampfers gemacht haben, der mit weißem Tropenanstrich eine seit mehr als fünfzig Jahren von keinem Schiff gewählte Route einschlug.
Es galt der Untersuchung des antarktischen Meeres. Südlich vom Kaplande dehnt sich ein weites Meer aus, das in ozeanographischer Hinsicht unerforscht war. Gleich hinter der Agulhas-Bank (südlich vom Kaplande in 70–200 Meter Tiefe) brechen alle Lotungen ab.
Verfolgt man auf den britischen Seekarten die weite unbeschriebene Fläche südlich vom Kaplande, so stößt man nur auf eine Angabe, die freilich auch wieder als unsicher bezeichnet wird. Unter dem 54. Breitengrad finden sich nämlich drei Inseln verzeichnet, welche als die „Bouvet-Gruppe“ zusammengefaßt werden.
Diese wurden 1739 von Bouvet entdeckt, der sie für das Vorgebirge eines Südkontinents hielt; aber weder Cook (1775), noch James Roß (1843), noch Moore (1845) vermochten trotz aller hierauf verwendeten Mühe die „Bouvet-Insel“ wieder aufzufinden. Immerhin hatten im Anfang dieses Jahrhunderts zwei Kapitäne von Walfischfängern, welche im Dienst der Londoner Firma Enderby standen — nämlich Lindsay (1808) und Norris (1825) — bestätigt, daß in der von Bouvet bezeichneten Region eine bzw. zwei Inseln liegen, deren Position sie freilich abweichend bestimmten.
Da die „Valdivia“ sich als ein vorzügliches Expeditionsschiff bewährt hatte, reifte im Vertrauen auf die umsichtige Schiffsführung von Kapitän Krech der Entschluß, die Bouvet-Region aufzusuchen und einen erneuten Versuch zur Wiederauffindung der von drei Expeditionen vergeblich gesuchten Inselgruppe zu wagen.
Die günstige Witterung hielt nach der Abfahrt von Kapstadt auch während der nächsten Tage an, und so vermochten wir alle Arbeiten in wünschenswerter Weise zu fördern. Mit Rücksicht darauf, daß wir von jetzt an in Regionen vordrangen, deren Bodenrelief unbekannt war, wurde täglich vor Beginn der übrigen Arbeiten eine Lotung ausgeführt. Schon die erste, am 14. November vorgenommene, überzeugte uns von der Tatsache, daß die Agulhas-Bank in ein außerordentlich tiefes Meer von über 4000 Metern abfällt.
Nachdem bereits unter dem 37. Breitengrade eine hohe, westliche Dünung uns belehrt hatte, daß wir in die Region der ständig wehenden „braven Westwinde“ eingetreten waren, auf deren Bedeutung für die Segelschiffahrt nach Australien zuerst James Roß hingewiesen hatte, begann am 16. November der Westwind stürmisch einzusetzen. Wir begegneten an diesem Tage einem englischen Schiffe, dem Dampfer „Titania“, der auf der Fahrt nach Süd-Australien begriffen war. Es war für lange Zeit das letzte Schiff, welches wir sichteten; wir verfehlten denn auch nicht, unsere Route mit der Bitte um Meldung zu signalisieren.
Am 16. November mittags 12 Uhr betrug die Oberflächentemperatur noch 17,4 Grad, während sie am 18. November um dieselbe Zeit bereits auf 7,8 Grad gesunken war. Seitdem nahm die Temperatur so rasch und stetig ab, daß nach Überschreiten des 53. Breitengrades am 24. November bereits Oberflächentemperaturen von minus 1 Grad gemessen wurden.
Mit dem Eintritt in die kühlere Region hob sich sichtlich der Gesundheitszustand und das Wohlbefinden der Mitglieder der Expedition, die seit unserm Besuch in Kamerun durch vielfach wiederholte Malariaanfälle heimgesucht wurden. Allerdings machte sich an den nächsten Tagen die rasche Abkühlung der Luft, welche ungefähr gleichen Schritt mit der Temperaturabnahme des Oberflächenwassers hielt, so empfindlich geltend, daß fast niemand von Katarrhen verschont blieb, die indessen schnell vorübergingen. Auch sorgte die am 19. November zum erstenmal angelassene Dampfheizung dafür, daß wir im Salon und in den Kabinen uns behaglich fühlten.
Das gute Wetter sollte freilich nicht lange anhalten. Am 20. November begann das hochstehende Barometer von 760 Millimetern auf 738 zu fallen, und gleichzeitig fachte der von Nordost nach West zu Süd umgehende Wind zum schweren Sturm an. Da die Windstärke nach der Beaufortskala 10 betrug, so donnerten die Wogen gegen die Wandung des Schiffes, überspülten das Verdeck und nötigten uns schließlich, beizudrehen, um gegen den gewaltigen Seegang anzudampfen.
Das rasche Fallen des Barometers setzte uns an späteren Tagen nicht mehr in Überraschung, aber als wir es zum erstenmal erlebten, machte die tief nach abwärts steigende Kurve des Registrierbarometers einen fast unheimlichen Eindruck. Dabei verdunkelte sich zeitweilig der Himmel stark und kontrastierte fast schwarz mit dem weißen Gischt der gewaltigen Wogenkämme, die meist zu drei hintereinander ankamen und über das Verdeck fegten. In diesem Aufruhr bemerkten wir einen antarktischen Pinguin, der mit heiserem Schrei durch kräftige Schläge mit den zu Flossen umgebildeten Flügeln sich wie ein Delphin in kurzen Sprüngen über Wasser erhob und längere Zeit dem Schiffe folgte. So recht in ihrem Elemente fühlten sich die Sturmvögel, unter denen zum erstenmal die aschgrauen Albatrosse mit schwärzlichem Kopfe und weißen Augenlidrändern gespenstig wie Vampyre ihre erstaunlichen Flugkünste in ruhigen eleganten Kurven um das schwer arbeitende Schiff ausführten.
Am Morgen des 21. November bot das Meer bei gelegentlich durchbrechender Sonne einen großartigen Anblick dar: die mächtige nördliche Dünung wurde von einem von Westen kommenden Wogengange durchkreuzt und bedingte eine wild aufgeregte, prachtvoll blau und weißschäumende See.
Da wir in westlicher Richtung gegen den Wind andampften, wurde in regelmäßigen Intervallen das Schiff durch die von Norden kommende Dünung gepackt und zur Seite geworfen. Dies hatte ein fast unerhörtes Schlingern zur Folge, bei dem in den Laboratorien die Gläser aus ihren Gestellen herausfuhren,