Ausgeschifft - Katrin Schön - E-Book

Ausgeschifft E-Book

Katrin Schön

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Lissie Sommer ist urlaubsreif. Da passt es ganz gut, dass ihre Mutter der ganzen Familie eine Kreuzfahrt gebucht hat: Marokko und Kanaren, zwei Wochen all inclusive! Doch kurz nach dem Auslaufen wird einer der Travestiekünstler an Bord tot im Pool gefunden. Natürlich nimmt Lissie sofort die Ermittlungen auf. Ein Spa-Mitarbeiter und der Fitnesstrainer verhalten sich höchst eigentümlich und auch der indonesische Eisschnitzer wirkt verdächtig. Was hat es mit den kleinen Tütchen mit weißem Pulver auf sich, die er immer bei sich trägt? Nur gut, dass Kommissar Loch zufällig auch auf dem Schiff Urlaub macht. Denn schon bald gerät Lissie selbst in Gefahr … Von Katrin Schön sind bei Midnight erschienen: Ausgeplappert Ausgeschifft Abgeschlagen

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Die AutorinKatrin Schön wuchs im hessischen Dörfchen Hochstadt auf. Ihr komödiantisches Talent entdeckte die gelernte Bankkauffrau schon früh im hiesigen Karnevalsverein, wo sie bereits als Teenager vor allem die Lokalpolitik mit spitzer Feder aufs Korn nahm. Nach ihrem Studium der Publizistik in Bochum arbeitete sie als Fachjournalistin in Hamburg, bevor sie ein Angebot als Pressesprecherin annahm und ihren Lebensmittelpunkt nach Köln verlegte. Dort ist sie seit fast 9 Jahren zu Hause und arbeitet aktuell als Projektmanagerin. Mit Ausgeplappert. Lissie Sommers erste Leiche erschien 2015 ihr erster Krimi.

Das BuchLissie Sommer ist urlaubsreif. Da passt es ganz gut, dass ihre Mutter der ganzen Familie eine Kreuzfahrt gebucht hat: Marokko und Kanaren, zwei Wochen all inclusive! Doch kurz nach dem Auslaufen wird einer der Travestiekünstler an Bord tot im Pool gefunden. Natürlich nimmt Lissie sofort die Ermittlungen auf. Ein Spa-Mitarbeiter und der Fitnesstrainer verhalten sich höchst eigentümlich und auch der indonesische Eisschnitzer wirkt verdächtig. Was hat es mit den kleinen Tütchen mit weißem Pulver auf sich, die er immer bei sich trägt? Nur gut, dass Kommissar Loch zufällig auch auf dem Schiff Urlaub macht. Denn schon bald gerät Lissie selbst in Gefahr …   Von Katrin Schön sind bereits bei Midnight erschienen:  Ausgeplappert Ausgeschifft

Katrin Schön

Ausgeschifft

Lissie Sommer ermittelt wieder

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.   Originalausgabe bei Midnight. Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Juli 2016 (2) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016 Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat ISBN 978-3-95819-080-1  Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

O du Fröhliche

»Lissie, du siehst echt geschafft aus! Gegen deine Augenränder hilft keine Creme mehr. Du brauchst dringend Urlaub!«

Es ist kurz nach fünf an einem trüben Novembertag, ich habe gerade die Türen des »Grünen Kränzchen« aufgeschlossen und die Außenbeleuchtung eingeschaltet. Doris ist gerade hereingeschneit – wortwörtlich, denn zusammen mit ihrem neu gewonnenen Selbstbewusstsein hat sie auch eine kleine Schneewehe mit in den Gastraum gebracht. Der Winter kündigt sich mit aller Macht an.

Dass ihre Therapie bei Dr. Tiefenbruch für ein »neues Selbstbewusstsein« langfristig angeschlagen hat, merkt man auch an ihrer neuerdings allzu direkten Ehrlichkeit. Mein Unterbewusstsein weiß, dass ich wahrscheinlich so aussehe, wie ich mich fühle: Geschafft und urlaubsreif. Aber es so offen ins Gesicht geschmettert zu bekommen, hilft nicht gerade, die letzten Kräfte für das anstehende Weihnachtsgeschäft zu mobilisieren.

Das vergangene halbe Jahr war aber auch kein Zuckerschlecken, obwohl ich es mir so – und zwar genau so – ausgesucht hatte. Aber wie das mit dem Übereinanderlegen von Theorie und Praxis so ist: Abweichungen sind Programm. Im letzten Sommer hatte ich mich mit Betty auf einen Pachtvertrag geeinigt, das Grüne Kränzchen übernommen, und meinen Job im Kölner Reisebüro geschmissen. Meine Freunde im Rheinland staunten nicht schlecht, als ich verkündete, nun Wirtin einer Apfelwein-Kneipe in Hessen werden zu wollen, und meinen Plan direkt umsetzte, indem ich meine Kölner Wohnung vermietete und mir im Gegenzug eine Bleibe in Traunbach suchte. Meine Mutter startete noch einen kurzen Versuch, mich überreden zu wollen, wieder zu Hause einzuziehen. Aber mein Vater intervenierte mit dem schönen Ausspruch: »Also ich freu mich ja immer, wenn sie kommt. Aber ich freu mich auch immer, wenn sie wieder fährt …« Auch ich hatte nicht eine Minute daran gedacht, wieder im elterlichen Kinderzimmer Zuflucht zu finden. Schon wegen der Vorstellung, dass meine Mutter kommende potentielle Löcher in meinen Hosen mit weiteren Helden meiner Kindheit flicken könnte. Denn auf meiner Sommerhose prangt seit Mai ein Pumuckl und seitdem liegt sie ungenutzt im Schrank. »Für daheim oder wenn du mal streichen musst, ist die noch gut«, meinte meine Mama. Naja.

Glück für mich, dass sich der Traunbacher Wohnungsmarkt entspannter darstellte, als der einer Großstadt – innerhalb von zwei Wochen hatte ich eine neue Bleibe gefunden. Zwei Zimmer, Wohnküche, Balkon – mehr brauchte es nicht, denn ich war mir bewusst, dass mit der Übernahme der Apfelwein-Kneipe jede Menge Arbeit auf mich zukommen würde. Die Miete würde ich so oder so nicht abwohnen.

Dass der Ansturm aber dermaßen groß sein würde, hatte selbst ich unterschätzt. Zwar blieben einige Einheimische dem Lokal erst einmal fern (als würde man jetzt hier täglich Gefahr laufen, in ein Verbrechen verwickelt zu werden), andere trieb die Neugier aber erst recht in die Gaststätte, um Details der Geschichte rund um den Mord an Carla zu erfahren.

Carla war eine gute Bekannte meiner Mutter – leider aber auch die größte Klatschbase von Traunbach, was ihr letztendlich zum Verhängnis wurde. Und hier, im Grünen Kränzchen, stellte sich heraus, wer für ihren Tod verantwortlich war. Auch deshalb wollten wohl viele einfach mal sehen, welche Leute jetzt im Grünen Kränzchen »verkehren«. Und natürlich waren sie neugierig auf mich, dem »Traunbacher Mädchen«, das aus der Großstadt in die hessische Idylle zurückgekehrt war, nachdem sie zuvor einen Mord aufgeklärt hatte. Die Publicity machte den Rummel durch die Berichterstattung perfekt. Lokalblatt, Regionalradio und sogar die Hessenschau berichtete live und vor Ort von den mörderischen Ereignissen in Traunbach.

Nein, ich konnte mich über mangelnde Gäste wahrlich nicht beschweren. In den ersten Wochen waren wir auf Tage ausgebucht. Die Angestellten hielten mir und dem Grünen Kränzchen die Treue und so konnte sich auch meine Verpächterin Betty über einen nahtlosen Geldeingang auf ihrem Konto durch ihre neue Pächterin freuen.

Umzug, neuer Job, Selbstständigkeit – jetzt, da ich vor Doris sitze, merke ich, wie kaputt ich mich in der Tat fühle, und lasse merklich die Schultern hängen.

»Jetzt lass nicht direkt die Schultern hängen«, versucht mich Doris trotz Selbstwusstseins-Ehrlichkeitsschub dann doch zu trösten.

»Ich meine es ernst: Wie wäre es denn mit Urlaub?«

Urlaub … Das Wort dringt langsam in meinen Kopf und bahnt sich seinen Weg direkt ins Belohnungszentrum in meinem Gehirn. Ich schließe die Augen.

»Urlaub«, murmle ich, und vor meinem inneren Auge ziehen Bilder von Palmen auf, die auf einem weißen Sandstrand stehen. An der Bar steht ein Cocktail für mich bereit – natürlich mit einem bunten Schirmchen und einer Portion Obst am Rand. Aus der Ferne erklingt »Aloha heee« und ein knackiger hawaiianischer Eingeborener mit starken Armen und einem gewinnenden Lächeln, das zu allem einlädt, was Frau sich wünscht, will mir gerade einen Blumenkranz über den Kopf werfen, als mich eine schrille Stimme mit hessischer Klangfarbe laut und jäh aus meinem Tagtraum reißt:

»Ei, Lissie, biste am Schlafen? Wo dürfe mir denn hin?«

Ich öffne die Augen und sehe in das rosige Gesicht von Frau Kraft, Chefin unserer hiesigen Metzgerei, und Mutter von Doris’ Exfreund Micha. Denn lange hielt die frische Liebe leider nicht. So heftig die beiden sich Knall auf Fall verliebt hatten, so schnell hatte sich die Liebe auch wieder abgekühlt. Metzger Egon Kraft, der ebenfalls in den Mordfall verwickelt war, ist mit einer Bewährungsstrafe davongekommen und überlässt jetzt meist seiner Frau das gesellschaftliche Leben, die es sichtlich genießt, nun endgültig die Hosen im Hause Kraft anzuhaben.

»Guten Abend, Frau Kraft«, sage ich freundlich, aber so erschöpft, als würde das Abendgeschäft nicht erst beginnen, sondern sich schon dem Ende neigen.

»Tisch fünf dort in der Ecke. Ist Ihnen der recht?«

Frau Kraft strahlt mich erst an – ich weiß ja inzwischen, dass die Metzgersfrau und ihr kartenspielendes Damenkränzchen Tisch fünf am liebsten mögen –, dann kräuselt sie ihre Stirn und sieht mich besorgt an:

»Kindchen, du siehst aber nicht gut aus. Du solltest auch mal ausspannen!«

Bevor ich das tue, muss ich ein ernstes Gespräch mit meiner Douglas-Fachverkäuferin führen, ob der von ihr empfohlene Concealer noch das Kosmetikum der Wahl ist, um meine Augenringe adäquat abzudecken. Wahrscheinlich kommt nach Concealer direkt: Schönheits-OP. Dann vielleicht doch erst mal Urlaub, bevor ich zu solch drastischen Mitteln greifen muss.

Frau Kraft nickt Doris, ihrer Exschwiegertochter in spe, noch kurz und etwas frostig zu, und lässt sich dann auf die Bank an Tisch fünf fallen. Für Mutter Kraft gibt es keinen, gar keinen, also überhaupt keinen Grund, warum man einem ihrer vier Söhne den Laufpass geben sollte. Das wird sie Doris ewig übel nehmen.

Ich wende mich wieder meiner Freundin zu, die gerade den letzten Schluck ihres Apfelweins austrinkt und sich anschickt, ihren Dämmerschoppen bei mir zu beenden.

»Hast du eigentlich mal wieder was von Micha gehört?«, frage ich sie noch, als wir beide uns von unseren Stühlen erheben – ich, um die letzten Vorbereitungen für den Abendservice zu treffen, Doris, um sich auf die heimische Couch zu werfen.

Ich seufze. Wie gern würde ich heute mit ihr tauschen.

Doris zuckt kurz mit den Schultern.

»Naja, wir schreiben uns ab und zu eine Nachricht bei WhatsApp. Ich glaube, er will nächste Woche zum Weihnachtsmarkt kommen. Aber ich fürchte, er hat es immer noch nicht überwunden, dass ich jetzt mit Logan zusammen bin.«

»Andreas«, korrigiere ich sie. »Du nennst ihn doch wohl nicht auch Logan?«

Doris sieht mich streng an.

»Natürlich nenne ich ihn Logan, Lissie! Ich unterstütze ihn in allem! So, wie Logan und ich das beide in der Therapie von Dr. Tiefenbruch gelernt haben. Und da sein Manager meint, in der Schlagerbranche käme Logan bei den Jüngeren einfach ein bisschen cooler rüber als Andreas, dann ist er für mich jetzt eben auch Logan.«

Ich schüttle den Kopf, in dem gerade Johnny Logan – Popstar meiner Kindheit – seinen Hit »Hold me now« anstimmt. Damals, als es noch »Grand Prix Eurovision de la Chanson« und nicht »Eurovision Song Contest« hieß. Ich fürchte, dass das nun immer so sein wird, wenn ich den Namen Logan höre. Immerhin löst das vielleicht meinen Loriot-Buttike-Tick ab. Denn immer, wenn ich das Wort »Boutique« höre, muss ich an Loriots Sketch denken, in dem von der »Herren-Buttike in Wuppertal« die Rede ist. Und mein Hirn macht dann aus »Boutique« automatisch »Buttike« – so habe ich es geistesabwesend sogar schon ausgesprochen. Peinlich.

Laura, meine neue studentische Aushilfe, tritt an den Tisch von Frau Kraft und ihren Freundinnen, die bereits die Karten für ihre »Riffifi«-Runde ausgeteilt haben, um die Bestellung aufzunehmen.

Reihum bestellen die Damen wahlweise Apfelwein oder Wasser, als schlussendlich Frau Lehmann, ihres Zeichens Frau eines hiesigen Bauunternehmers, dran ist. Jetzt wird sich zeigen, ob Laura zu gebrauchen ist, denn Frau Lehmann ist die ungekrönte Bestellkönigin: »Hach, Kind, mir ist den ganzen Tag schon kalt. Ich brauche was Warmes.

»Wie wäre es mit einem Kaffee?«, schlägt Laura vor.

»Kind! Wo denkst du hin! Dann kann ich die ganze Nacht nicht schlafen!«

»Wir haben auch einen entkoffeinierten …«, versucht es Laura noch einmal.

»Der schmeckt nicht!«

Wenn die wüsste, denke ich. Denn bei jedem Beerdigungskaffee, der bei mir stattfindet, gibt es ausschließlich entkoffeinierten Kaffee. In allen Kannen. Auch, wenn ich meinen Servicekräften etwas anderes sage. Das ist reiner Selbstschutz. Ein Herzinfarkt bei einem Leichenschmaus aufgrund einer verwechselten Kaffeekanne – das würde mir gerade noch fehlen. Ich muss dann immer leicht grinsen, wenn ich höre, dass der »normale« Kaffee heute aber wieder stark sei.

»Vielleicht möchten Sie einen Kakao?«, fragt Laura dienstbeflissen.

»Macht der dick?«, fragt Frau Lehmann.

»Natürlich macht der dick«, sagt Laura unverblümt.

Ich nehme ein feuchtes Glas aus dem Spülmaschinenkorb, beginne es trocken zu polieren, und frage mich, wie dieser Dialog ausgehen wird.

»Kindchen, ich möchte etwas, das dünn macht«, sagt Frau Lehmann bestimmt.

»Ähm … einen Tee?« Laura gibt nicht auf. Bisher schlägt sie sich ganz tapfer.

»Ja, Tee ist gut. Welchen würdest du mir denn empfehlen?«

»Ich mag keinen Tee«, sagt Laura trocken.

Pause. Frau Lehmann ist kurz sprachlos – was nicht oft vorkommt.

»Vielleicht einen schwarzen Tee?«, versucht Laura doch noch eine Bestellung aus Frau Lehmann herauszubekommen.

»Ne, schwarzen Tee kenne ich«, sagt Frau Lehmann und schüttelt den Kopf.

»Wir haben auch einen frischen Pfefferminztee!«

»Ne, ne, kein Pfefferminz. Davon hab ich so viel im Garten! Das wächst ja wie Unkraut! Und Unkraut kommt mir nicht in die Tasse!«

»Ins Glas«, verbessert Laura und ergänzt: »Wir haben Teegläser. Doppelwandig, damit man sie auch heiß anfassen kann.«

Frau Lehmann starrt Laura an wie ein Auto.

Laura startet einen letzten Versuch.

»Rooibos?«

»Ja, Rooibos ist gut. Den trinke ich nicht so oft. Bekommt man ja hier im Lädchen nicht. Glaube ich jedenfalls. Aber nach dieser Sorte hab ich auch noch gar nicht geschaut. Ja, den nehme ich!«

Frau Lehmann gibt tatsächlich auf.

»Mit Vanille oder pur?«, fragt Laura nach.

»Was?«

»Mit Vanille oder pur?«, wiederholt Laura.

»Äh … pur«, sagt Frau Lehmann nun reichlich verdattert.

Laura nickt, notiert und entfernt sich von der Damenrunde.

1:0 für Laura. Meine neue studentische Aushilfskraft hat den Bestellungskampf gegen Frau Lehmann tatsächlich gewonnen. Ich kann sie guten Gewissens einsetzen. Teebestellungen aufnehmen, Stammgäste betüdeln, Gläser polieren: Aber eines ist mir gerade wirklich klar geworden:

Ich brauche dringend Urlaub!

Neues Jahr, neues Glück

»Eine Kreuzfahrt??«, frage ich entgeistert.

Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich mich verhört habe.

Aber meine Mutter strahlt übers ganze Gesicht. Nein, ich habe mich nicht verhört. Sie meint das ernst. Wir haben in den letzten Tagen darüber gesprochen zu verreisen, aber dass sie jetzt mit einer Kreuzfahrt um die Ecke kommt – das hätte ich selbst ihr nicht zugetraut. Alles begann vor einer Woche:

Je länger ich über das Thema Urlaub nachgedacht hatte, desto mehr war mir klar geworden, dass ich wirklich mal raus musste. Und da sich Anfang Januar nach dem Weihnachtsgeschäft sowieso die Saure-Gurken-Zeit anzubahnen schien, hatte ich beschlossen, Nägel mit Köpfen zu machen, und ein paar Tage in die Sonne zu fahren. Als ich diesen Plan meinen Eltern an meinem freien Montag mitteilte, hatte ich mit viel gerechnet, aber nicht damit: »Weißt du was? Da fahren wir mit!«, erklärte meine Mutter begeistert.

Mir blieb fast das Stück Torte im Hals stecken, das ich gerade genüsslich in meinem Mund abgeladen hatte.

»Mama, ich wollte mich eigentlich erholen …«, startete ich einen zaghaften Abwehrversuch.

»Ach, du wirst gar nicht merken, dass wir dabei sind!«, wischte meine Mutter meinen Einwand weg, und setzte bestimmt fort: »Dein Vater und ich wollten auch noch mal in die Sonne, damit der Winter nicht so lang wird. Ich kümmere mich um alles! Wann willst du denn auch noch nach Urlaubsangeboten gucken? Du hast doch so schon keine Zeit für nix. Ich geh mal zur Judith ins Reisebüro. Die sucht uns was Schönes raus! Und weißt du was? Dein Vater und ich wissen eh nicht, was wir dir zu Weihnachten schenken sollen. Dann bekommst du was zur Reise von uns dazu.«

»Aber … Also, ich weiß nicht …«, versuchte ich mich an einem letzten Widerstand, war zu diesem Zeitpunkt aber einfach schon zu urlaubsreif, um meiner Mutter etwas entgegenzusetzen.

Ich seufzte und trank einen Schluck Filterkaffee. Cappuccino und Latte macchiato haben im Haushalt meiner Eltern noch keinen Einzug gehalten.

»Tu mir bitte nur einen Gefallen«, hatte ich meiner Mutter aufgetragen. »Ich brauche irgendwas Entspannendes. Sonne und Sommer! Und ich will mich um nichts kümmern. Also bitte buch’ uns keine Nordpolexpedition und keinen Campingausflug.«

»Ach Kind, schwätz nett so ein dummes Zeug!«, sagte meine Mama noch, und mein Vater ergänzte: »Die Mama sucht uns schon was Schönes raus. Und außerdem, Lissie, denk dran: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.«

Damit war der Familienurlaub beschlossene Sache.

Jetzt, eine Woche später, sitze ich wieder an der Kaffeetafel meiner Eltern, die sich in den letzten Wochen zu einem schönen Ritual an meinem freien Montag entwickelt hat. Eine Kreuzfahrt? Ich hoffe immer noch, dass ich mich doch verhört habe.

»Das ist ein ganz neues Schiff. Tipptopp!«

Meine Mutter strahlt mich an.

Und wieder muss ich an dem Stück Kuchen, das ich im Mund habe, schwer schlucken. Obwohl es objektiv an dem gar köstlichen Bienenstich rein backtechnisch nichts auszusetzen gibt. Im Gegenteil: Der lockere Kuchenteig ist überzogen von perfekt gerösteten, karamellisierten Mandeln, und umschließt eine zarte Buttercreme, die einfach nur meine Mutter so hinbekommt.

»Du hast uns wirklich eine Kreuzfahrt gebucht?«

Ich fürchte, ich muss es noch ein paarmal hören, damit es mein Verstand endlich begreift.

Meine Mutter zieht das Prospekt hervor, schlägt eine Seite auf und legt es mir neben den Teller mit dem Bienenstich.

»Kind, das musste ich direkt buchen, das war ein Spitzenangebot! Du weißt doch selbst, dass es gerade bei Kreuzfahrten auf den Buchungszeitpunkt ankommt.«

Naja, wie bei den meisten Reisen, denke ich mir, aber ich will mit meiner Mutter jetzt nicht die Reisebranche diskutieren, denn ich bin froh, dass dieses Kapitel meiner Arbeitswelt hinter mir liegt.

Trotzdem muss ich noch eine Sache klären.

»Du hast uns aber keine Drei-Bett-Kabine gebucht?«

Ich habe ein bisschen Angst vor der Antwort, aber meine Mutter schüttelt entrüstet den Kopf.

»Lissie, wir haben zwei Kabinen gebucht. Eine Doppelbalkon-Kabine für uns und eine Einzelkabine – ebenfalls mit Balkon – für dich«, erklärt meine Mutter stolz und mein Vater ergänzt grinsend: »Wir wollen dich auch nicht bei allem dabei haben, Kind. Du weißt ja: Wenn auch auf den Bergen schon Schnee liegt, so kann doch im Tal noch Frühling sein.«

Ich schließe kurz die Augen und denke: Too much information, Papa, too much information. Die dazugehörigen Bilder habe ich jetzt für immer in meinem Kopf. Es gibt einfach Dinge, die man von seinen Eltern nicht wissen will, auch wenn einem der Verstand sagt, dass man selbst nicht durch Blümchen und Bienchen auf die Welt gekommen ist.

Ich atme einmal tief durch und starte einen letzten Versuch, der Schiffs-Kaffeefahrt doch noch zu entkommen.

»Du hast mir eine Einzelkabine gebucht? Weißt du, was die kostet? Die ist für eine Kreuzfahrt doch quasi unbezahlbar!«

Meine Mutter sieht mich mit einem überlegenen Blick an, den nur Mütter drauf haben und sagt: »Natürlich weiß ich, was sie gekostet hat. Wir haben sie ja schließlich bezahlt.«

Sie lässt den Satz kurz bedeutungsschwanger im Raum stehen, und ich bereue schon, dass ich meinen letzten Rest Stolz an die Bezahlung dieses Urlaubs abgegeben habe.

»Aber mach dir mal keine Gedanken. Ich hab doch gesagt, dass die Judith ein echtes Schnäppchen für uns gefunden hat, quasi einen Restposten.«

Das wird ja immer besser: Per Resterampe zur See.

Meine Mutter liest mal wieder meine Gedanken und sagt:

»Offenbar ist da jemand abgesprungen und deshalb war das so günstig. Das Schiff ist wirklich ganz neu und kein alter Kahn! Das siehst du doch!«

Sie tippt mit dem Zeigefinger auf das Prospekt.

»Außerdem klingt die Tour sehr gut: Zehn Tage Kanaren und Marokko!«

Ich muss anerkennen, dass sich das wirklich nicht schlecht anhört – nach der richtigen Mischung aus Relaxen, schönen Städten, gutem Essen und etwas Luxus. Jetzt schaue ich mir das Prospekt genauer an und muss zugeben, dass ich beginne, an dem Gedanken Gefallen zu finden. In meiner Zeit im Reisebüro habe ich die Testfahrten immer meiner Kollegin überlassen, da mich das Thema Kreuzfahrt nicht so recht begeistern konnte. Zudem wollte ich meine Vorurteile weiter pflegen können: Kreuzfahrten sind was für alte, reiche Leute. Da aber das Angebot und die Zahl der neugebauten Schiffe rasant zunehmen, buchen offenbar auch immer mehr »normale« Leute so eine Reise. Und wenn hier jemand normal ist, dann ist das die Familie Sommer. Obwohl …

»Also gut«, sage ich zustimmend. »Wann geht’s los?«

»Am 5 Januar bringt uns der Flieger von Frankfurt nach Gran Canaria!« Meine Mutter klatscht vor Begeisterung in die Hände und wirft dabei ihre Kaffeetasse um.

Während sie und ich hektisch versuchen, den Fleck auf der guten weißen Damasttischdecke so klein wie möglich zu halten, schiebt sich mein Vater entspannt den letzten Rest seines Stücks Bienenstich in den Mund und kommentiert kauend:

»Keine Begeisterung sollte größer sein, als die nüchterne Leidenschaft zur praktischen Vernunft.«

Meine Mutter hält in ihrem Wischen inne und sieht meinen Vater fragend an.

»Helmut Schmidt«, sagt mein Vater trocken.

Ich bin beeindruckt – er erweitert sein Zitate-Repertoire offenbar stetig.

Als wolle das Schicksal sicher sein, dass ich nicht als Pleitegeier von meiner Luxus-Schiffstour zurückkehre, reiht sich bis zu den Feiertagen eine Weihnachtsfeier an die andere. Die Hütte ist voll und das Geschäft brummt. So freue ich mich nicht nur auf Meer und Sonne, sondern vor allem auf leichte Mittelmeerkost und »normale« Musik – ich kann keine Weihnachtsgans mehr sehen und Last Christmas nicht mehr hören.

Zu allem Überfluss ist heute und morgen auch noch Weihnachtsmarkt in Traunbach. Sobald alle kalte Füße haben, verlassen sie die festlich geschmückten Höfe, um entweder nach Hause zu gehen – das sind die, die noch halbwegs nüchtern sind –, oder sich im Grünen Kränzchen aufzuwärmen – das sind die, die »keinen Heimgang finden«, wie meine Oma gesagt hätte. Obwohl man doch nach Hause gehen soll, »wenn’s am Schönsten ist« – wie es mein Papa kommentieren würde.

Die Tür fliegt auf und eine Gruppe offensichtlich gut beschwipster Kerle betritt lautstark die Gaststube. Ich seufze, denn ich sehe meinen Feierabend auch heute wieder in weite Ferne rücken, aber dann sehe ich etwas anderes, beziehungsweise jemand anderen: Micha. Was macht der denn hier? Ach ja, ich erinnere mich, dass Doris vor kurzem sagte, dass Micha vorhat, zum Weihnachtsmarkt zu kommen.

»Lissssiiiieeeee«, schreit er mir jetzt entgegen. Sein Arm liegt über Carstens Schulter – ich wusste gar nicht, dass die sich kennen – und ich kann noch nicht deuten, wer hier wen stützt. Carsten gehört zu einer größeren Clique aus unserem Dorf, deren Mitglieder alle ungefähr im gleichen Alter und zusammen aufgewachsen sind – das, was man früher die Dorfjugend nannte. Die, die aus Traunbach nicht herausgekommen sind, treffen sich an Festivitäten wie Straßenfest und Weihnachtsmarkt regelmäßig mit denen, die irgendwo in der Welt verstreut sind. Und meist wird es feucht-fröhlich. Auch heute waren eindeutig schon jede Menge alkoholischer, pseudo-wärmender Getränke im Spiel.

Ich setze mein herzlichstes Wirtinnen-Lächeln auf.

»Micha! Schau an! Bist du extra wegen unseres schönen Weihnachtsmarkts nach Traunbach gekommen?«

Er grinst mich schelmisch an, hebt belehrend den Zeigefinger und lallt:

»Und wegen den hübschen hessischen Mädchen!« Er zwinkert mir vielsagend zu.

»Ja, ja, is’ klar. Na, was wollt ihr trinken, Männer? Wasser?«, frage ich in die Runde.

Das Lachen ist ohrenbetäubend.

Ich lache mit und beginne schon mal, ein paar Bier anzuzapfen. Auch, wenn wir in einer Apfelweingegend zu Hause sind: Nach heißem Apfelwein, Glühwein oder Punsch, sehnt sich die männliche Leber erfahrungsgemäß nach einem kalten Bier.

Micha sieht mich anerkennend an und nickt:

»Lissie, du weißt, was Männer wollen!«

Er zwinkert schon wieder so schelmisch. Was ist denn mit dem los? Eigentlich pflegt Micha seinen »Ich lebe in Berlin und mache was mit Medien«-Habitus. So angeschickert macht er sich heute aber ganz schön locker.

Ich grinse zufrieden. Ja, ich weiß, was Männer wollen – jedenfalls in meiner Kneipe. Und stelle der Runde ihr Bier auf die Theke. Micha nimmt sein Glas und trinkt, ohne den Blick von mir abzuwenden. Ich merke, dass ich rot werde, und wende mich schnell wieder den Getränkebestellungen der anderen Gäste zu.

Obwohl wir aus dem gleichen Dorf stammen, hatte ich Micha erst im Mai mehr oder weniger durch Zufall bei einem Blind Date kennengelernt. Aber so richtig gefunkt hatte es bei unserem ersten Zusammentreffen nicht. Und ein zweites Date wurde obsolet, da noch am gleichen Tag zwischen Micha und Doris der Blitz eingeschlagen hatte. Schade eigentlich, dass meine Freundin mit der Bondgirl-Figur ihn ziemlich bald wieder in den Wind geschossen hat. Neidlos musste ich anerkennen, dass die beiden ein schönes Paar abgegeben hatten. Wahrscheinlich hätte ich den attraktiven Micha auch nicht von der Bettkannte gestoßen. Aber da Freunde von Freundinnen selbstverständlich tabu sind, hatte ich keinen weiteren Gedanken an Micha Kraft verschwendet.

Und jetzt steht er hier angesäuselt vor mir und macht mir plötzlich schöne Augen.

Ich nehme gedankenverloren ein Glas und will schon mal eine weitere Runde anzapfen.

Pfffff … grrrrr … roahhh …

Das Fass ist leer.

»Noch ’ne Runde, Lissie«, ruft Carsten von der Theke in meine Richtung.

»Dauert einen Moment. Ich muss in den Keller, um ein neues Fass anzuzapfen«, sage ich schulterzuckend und verschwinde in den Bierkeller. Ich steige die Treppe hinunter, öffne die Tür zum Getränkekühlraum, hänge das leere Fass ab und steche ein neues an. Zufrieden drehe ich mich um, um wieder nach oben zu laufen, aber Micha verstellt mir den Weg. Er lehnt lässig im Türrahmen und grinst – wie schon den ganzen Abend.

»Na, Frau Wirtin, das hast du aber schon gut drauf.«

»Danke. Muss ja«, sage ich und wische mir eine Strähne aus dem heißen Gesicht. Bierfässer umherziehen ist anstrengend – trotz Kühlhaus. Vielleicht macht mich auch Michas Anwesenheit hier unten etwas nervös.

Micha lehnt noch immer in der Tür und macht keine Anstalten, mich vorbeizulassen.

»Wenn du mich nicht gehen lässt, wird das nichts mit der nächsten Runde Bier«, versuche ich ihn dazu zu bewegen, mich wieder an meinen Zapfhahn zu lassen.

Er sieht mir in die Augen und ich bekomme eine Gänsehaut.

»Ich hab dich schon mal gehen lassen und glaube inzwischen, dass das ein großer Fehler war.«

Ach du meine Güte! Was läuft denn hier für ein Film?

Er versucht, mich an sich zu ziehen, aber ich drücke ihn sanft weg.

»Micha! Wenn das mit uns was hätte werden sollen, hätte es dann nicht schon beim ersten Date gefunkt?«

Micha zuckt mit den Schultern und rollt ein bisschen mit den Augen. Ne, der Mann ist eindeutig zu betrunken für ernstgemeinte Liebeserklärungen.

Ich lächle und nutze die Gelegenheit, mich jetzt doch an ihm vorbeizudrücken.

»He, Lissie, warte doch mal!«

Er hebt die Hand, macht einen unbeholfenen Schritt, verliert das Gleichgewicht und landet rücklings in einem Stapel leerer Pappkarton-Weinkisten.

Ich lasse Micha kurz in seinem Papphaufen liegen, schließe in Ruhe die Tür zum Bierkühlhaus und helfe ihm dann doch auf, obwohl er bereits einen hilflosen Versuch startet, sich selbst aus dem Kisten-Chaos hochzurappeln.

»Danke«, ächzt er und ich schiebe ihn vor mir die Treppe hoch.

Carsten schaut uns erstaunt an, als wir wieder in den Gastraum kommen.

»He! Wo kommt ihr denn her?«, ruft er laut durch die Kneipe und ein paar Köpfe drehen sich zu uns um.

»Micha hat wohl gedacht, ich könnte kein Bierfass anschließen!«, erkläre ich wie selbstverständlich und jetzt ist es Micha, der eine rote Birne bekommt.

Aber das Wort »Bier« hat bei Carsten alle aufkeimenden Mutmaßungen über unseren Kelleraufenthalt verdrängt und er ruft in gleicher Lautstärke:

»Dann zeig mal, was das neue Fass hergibt! Wir haben Duuuurst!!«

Pfffff … grrrrr … roahhh …

Und ein frisches, kühles Blondes fließt ins Glas. Es ist nicht das Letzte an diesem Abend.

»Mensch, was war das für ein Jahr! Danke, dass ihr mir alle von Anfang an so toll beigestanden, und dem Grünen Kränzchen die Treue gehalten habt!«

Ich hebe mein Sektglas und proste meiner Mannschaft zu – jedenfalls dem Teil, der mir auch an diesem Silvesterabend zur Seite steht, um noch die letzte gastronomische Schlacht dieses aufregenden Jahres mit mir gemeinsam zu schlagen. Ich nippe am Sekt, er rinnt meine Kehle hinab und wärmt Bauch und Seele, wie es sonst nur ein hochprozentiger Schnaps zu tun vermag. Mit der angenehmen Wärme im Bauch breitet sich ein Gefühl von Stolz in meiner Brust aus. Auf mein Team, aber auch auf mich. Ja, Lissie, heute darfst du dir ruhig auch mal auf die Schulter klopfen. Du hast das Grüne Kränzchen in den letzten Monaten gerockt.

Während ich noch meinen Gedanken nachhänge, öffnet sich die Tür und die ersten Silvestergäste treten ein. Die Weihnachtsdeko haben wir zugunsten von Luftschlangen und Konfetti abgeräumt, ein paar Tische mussten für die Tanzfläche weichen, der DJ steht in den Startlöchern – die Party kann losgehen.

Es dauert nicht lange und das Grüne Kränzchen ist rappelvoll. Die Älteren haben es sich an den wenigen Tischen bequem gemacht, die Jüngeren drängen sich grüppchenweise um die Stehtische oder bevölkern rhythmisch wippend die Tanzfläche. Die Gäste essen, trinken und feiern das Jahr zu Ende.

Mitten im Feiervolk entdecke ich auch Micha, der offenbar nach den Weihnachtsfeiertagen noch ein bisschen Urlaub in seiner alten Heimat drangehängt hat. Ich wundere mich, denn wenn ich in Berlin wohnen würde, wüsste ich, wo an Silvester mehr los ist, als in unserem verschlafenen Städtchen Traunbach.

Er steht bei der gleichen Clique, mit der er schon nach dem Weihnachtsmarkt unterwegs war, und schaut zu mir herüber. Er lächelt, hebt sein Apfelweinglas und prostet mir zu.

Ich lächle zurück und erwidere seinen Gruß mit meinem Sektglas. Eigentlich ist Alkohol während des Dienstes tabu. Darin bin ich konsequent, denn sonst läuft man schnell Gefahr, in seiner eigenen Kneipe zum Alkoholiker zu werden. Wenn ich jeden Schnaps mittrinken würde, der mir ausgegeben wird, könnte ich meine Leber als Rumtopf verkaufen. Nein zu sagen ist nicht immer leicht, aber inzwischen wissen meine Gäste, dass sie mir mit einem Schnaps keine Freude machen können, und versuchen erst gar nicht, mir einen auszugeben.

Aber heute feiern wir Silvester – und keine Regel ohne Ausnahme.

An meinen roten Wangen merke ich aber, warum ich das mit dem Alkoholgenuss sonst lasse.

»Ach, Lissie, mach dich mal locker!«, schelte ich mich selbst. Die Mädels im Service haben ihre Stationen im Griff, Peter unterstützt mich wie immer professionell hinter der Theke. Wenn ich heute statt 120 Prozent mal 80 gebe, wird die Welt schon nicht zusammenbrechen.

»Lissie, haste mal ’ne Schüssel mit Wasser für uns?«, fragt mich Frau Kraft, die heute ebenfalls mit ihren Karten-Ladies und deren Männern mitfeiert und sich ihren geliebten Tisch fünf in der Ecke gesichert hat.

»Bleigießen?«, frage ich mit einem süffisanten Grinsen.

»Ei, Kind, man muss doch wissen, was des neue Jahr so bringt.«

Ja, das würde ich wohl auch gern wissen, aber ob ein Klumpen Blei mir das an Silvester verraten kann, daran hab ich doch so meine Zweifel.

Ich hole eine wassergefüllte Schüssel aus der Küche und nehme noch ein paar Teelichter mit – dann schmilzt das Zeug wenigstens richtig.