Außen handeln - Innen schauen - Roland Abstreiter - E-Book

Außen handeln - Innen schauen E-Book

Roland Abstreiter

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Beschreibung

Was sind die entscheidenden Faktoren für die Wirksamkeit von Erlebnispädagogik? Aufbauend auf grundlegenden Modellen entwickeln die Autor:innen des Buches eine neue Perspektive – sowohl aus Sicht der Teilnehmenden, als auch aus Sicht der durchführenden Erlebnispädagog:innen. Die Leser:innen werden für die Bedeutung einer möglichst neutralen und wertschätzenden Haltung sensibilisiert. Ziel ist, eine "echte" Entwicklung auf persönlicher Ebene bei den Teilnehmenden zu erreichen und diese zu begleiten. Viele Praxisbeispiele machen die theoretischen Überlegungen leicht verständlich. Die Autor:innen, Roland Abstreiter, Rafaela und Reinhard Zwerger, sind Lehrtrainer für erlebnispädagogische Weiterbildungen bei der Zwerger&Raab GmbH. Sie tragen in diesem Buch Erkenntnisse aus drei Jahrzehnten erlebnispädagogischer Arbeit zusammen und stellen das Entwickeln der eigenen Haltung und Persönlichkeit in den Mittelpunkt einer systemischen Prozessbegleitung in der Erlebnispädagogik.

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Seitenzahl: 345

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Dieser Titel ist auch als Printausgabe erhältlichISBN 978-3-96557-130-3

Sie finden uns im Internet unterwww.ziel-verlag.de

Wichtiger Hinweis des Verlags: Der Verlag hat sich bemüht, die Copyright-Inhaber aller verwendeten Zitate, Texte, Bilder, Abbildungen und Illustrationen zu ermitteln. Leider gelang dies nicht in allen Fällen. Sollten wir jemanden übergangen haben, so bitten wir die Copyright-Inhaber, sich mit uns in Verbindung zu setzen.

Inhalt und Form des vorliegenden Bandes liegen in der Verantwortung der Autor:innen.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printed in Germany

ISBN 978-3-96557-131-0 (eBook)

Verlag:

ZIEL – Zentrum für interdisziplinäres erfahrungsorientiertes Lernen GmbH

 

Zeuggasse 7 – 9, 86150 Augsburg, www.ziel-verlag.de

 

3. überarbeitete Auflage 2024

Fotos:

Sebastian Kautz, www.phototion.de

 

Rafaela Zwerger, www.zwerger-r-leben.de

Zeichnung:

Paul Dorgerloh

Sämtliche Grafiken:

Roland Abstreiter

Gesamtherstellung:

FRIENDS Menschen Marken Medien

 

www.friends.ag

© Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Klimaneutral gedruckt mit mineralölfreien Druckfarben auf möglichst umweltschonend produziertem Papier.

„Wer glaubt, etwas zu sein,

hört auf, etwas zu werden.“

(Sokrates)

Inhaltsverzeichnis

1.Vorbemerkungen

Warum Sie Vorwort und Einführung nicht überblättern sollten

Vorwort

2.Einführung

Einleitung

Begriffe

Teil 1: Den Boden bereiten

3.Der Beruf Erlebnispädagog:in

3.1Das Berufsbild

3.2Erlebnispädagogin be® und Erlebnispädagoge be®

3.3Das Skillsmodell nach Priest und Gass

3.3.1Hardskills

3.3.2Softskills

3.3.3Metaskills

3.4Zusammenfassung

4.Grundlagen

4.1Theorien der Erlebnispädagogik

4.1.1Der Experiential Learning Cycle

4.1.2Aktion – Reflexion – Transfer – Unterstützung

4.1.3Die E-Kette

4.1.4Die erlebnispädagogische Waage

4.1.5Das Komfortzonenmodell

4.2Kategorisierungen der erlebnispädagogischen Modelle

4.2.1Einteilung nach Simon Priest und Michael Gass

4.2.2Einteilung nach Rüdiger Gilsdorf

4.3Die Bedeutung von Reflexion

4.3.1Das Johari-Fenster aus erlebnispädagogischer Sicht

4.3.2Reflexion in der Erlebnispädagogik

4.4Grundannahmen systemisch-konstruktivistischen Denkens

4.4.1Theoretische Grundlagen

4.4.2Grundannahmen und Haltungen in der Praxis der Beratung

4.4.3Methoden, Handlungskonzepten und Interventionsstrategien

4.4.4Der systemische Blick auf die Möglichkeiten in der Reflexion

4.4.5Der konstruktivistische Blick auf Reflexion

4.5Zusammenfassung

Teil 2: Den Blick ändern

5.Eine neue Perspektive

5.1Eine neue Ordnung der Modelle der Prozessbegleitung

5.2Der Einfluss der Prozessbegleitung

5.3Das Kontinuum der subjektiven Einflussnahme

5.4Beschreibung der Modelle der Prozessbegleitung

5.4.1„The Mountains Speak for Themselves“

5.4.2Das archetypische Modell

5.4.3Metaphern der Teilnehmenden

5.4.4Offene Dialogreflexion

5.4.5Fokussierte Dialogreflexion

5.4.6Metaphern der Erlebnispädagog:innen – Geschichten, Anekdoten und Suggestionen

5.4.7Isomorphien

5.4.8Direktives Handlungslernen

5.4.9Kommentiertes Handlungslernen

5.5Das Kontinuum am konkreten Beispiel

5.6Zusammenfassung

6.Die erweiterte E-Kette

6.1Was bedeutet Entwicklung?

6.1.1Kompetenzstufenmodell

6.1.2Hindernisse und Widerstände – die Theorie U

6.2Das Modell der erweiterten E-Kette

6.3Die erweiterte E-Kette aus der Sicht der Teilnehmenden

6.4Die erweiterte E-Kette aus Sicht der Erlebnispädagog:innen

6.5Zusammenfassung

Teil 3: Eine Haltung entwickeln

7.Die subjektive Färbung der Intervention

7.1Grundgedanken

7.1.1Auftragsklärung und Rollenbewusstsein

7.1.2Beziehung

7.1.3Beobachtung und Sichtweisen

Exkurs …

Bedürfnispyramide

Das Werte- und Entwicklungsquadrat

Gruppenphasen

Circle of Courage

Themenzentrierte Interaktion (TZI)

7.1.4Hypothesen

7.1.5Intuition und Erfahrung

7.2Haltung

7.2.1Wertschätzung

7.2.2Allparteilichkeit, Neutralität und Neugier

7.2.3Freude, Spaß und Humor

7.2.4Sprache

7.2.5Selbstreflexion und Selbsterfahrung

7.3Zusammenfassung

8.Systemische Prinzipien in der Erlebnispädagogik

8.1Die Ausgangslage: eine Paradoxie

8.2Potentiale der Erlebnispädagogik

8.3Thesen für die erlebnispädagogische Praxis

8.3.1Zutrauen entwickeln

8.3.2Sich selbst über die Schulter schauen

8.3.3„Falsch und Richtig“

8.3.4Die Teilnehmenden abholen

8.3.5Von der Zielerreichung zur Entwicklungsbegleitung

8.3.6Was wirkt, entscheiden die Empfänger:innen

8.3.7Aus „Entweder-Oder“ mehr „Sowohl-als-auch“ werden lassen

8.3.8Die Kunst des Fragens

8.3.9Die Kunst der Entschleunigung

8.4Systemische Erlebnispädagogik – was ist das?

8.4.1Konzepte systemischer Erlebnispädagogik

8.4.2Die Grundstruktur systemischer Erlebnispädagogik

8.5Zusammenfassung

9.Entwicklung der eigenen Haltung

9.1Selbstreflexion als möglicher Zugang?

9.2Haltung auf dem Prüfstand

9.2.1Fragebogen

9.2.2Feuer und Coaching – Texte und Fragen zum Nachdenken

9.2.3Übung für Mitarbeitende aus der Jugendhilfe

9.2.4Hochseilgarten – Mutsprüche

9.2.5SWOT-Analyse

9.2.6Praktische Übungen zur Hypothesenbildung

9.2.7Ehrlichkeit dem Kunden gegenüber

9.2.8Anleitung zum Durchschnittlich-Sein

9.2.9Dekonstruktionsbrille

9.3Zusammenfassung

10. Fazit

Literaturverzeichnis

Internetquellen

Sonstige Quellen

Die Autor:innen

1.Vorbemerkungen

1.Vorbemerkungen

Die Erde schenkt uns mehr Selbsterkenntnis als alle Bücher, weil sie uns Widerstand bietet.

Antoine de Saint-Exupéry: Wind, Sand und Sterne

Warum Sie Vorwort und Einführung nicht überblättern sollten

Es wird vielen von Ihnen ähnlich gehen. Weil man gespannt ist darauf, ob man Gefallen an einem Buch findet, überblättert man häufig Vorwort und Einleitung, damit man rasch dort angelangt, wo es „richtig losgeht“. Wir möchten Ihnen jedoch ans Herz legen, dies bei dem vorliegenden Buch nicht zu tun. Es folgt sozusagen eine „Anleitung“ zum Lesen des Buches. Viele der Gedankengänge und sprachlichen Besonderheiten könnten leicht missverstanden werden, wenn Sie lediglich in das Inhaltsverzeichnis sehen und zu dem Kapitel springen, das unmittelbar Ihre größte Aufmerksamkeit anzieht. Lesen Sie die Einleitung und entscheiden Sie danach, welche Kapitel Sie als Expert:in zunächst doch überspringen.

Wenn Sie zu der Erkenntnis gelangen, dass Sie nicht zum wiederholten Male Abschnitte über grundlegende Modelle der Erlebnispädagogik lesen müssen, geben wir Ihnen hier den Tipp, spätestens bei Kapitel 4.2. einzusteigen.

Vorwort

„Warum wollt ihr dieses Buch schreiben, es gibt doch schon so viele? Was wird das Neue sein darin? Wollt ihr vorhandene Erkenntnisse nur einfach neu beschreiben und in eure Sprache übersetzen? Erfindet ihr etwas neu und ist das, was es bereits gibt, nicht gut genug?“

Mit solchen Fragen wurden wir beim Verfassen dieses Buches immer wieder konfrontiert, und oft stellten wir uns diese Fragen im Autorenteam selbst. Was genau ist unsere Absicht, wenn wir uns daran machen, unsere Erkenntnisse aus 30 Jahren erlebnispädagogischer Praxis zu Papier zu bringen?

Wir wollen einen Kuchen backen. Die Zutatenliste findet sich in einem der zahlreichen Koch- und Backbücher im Regal bzw. heutzutage leicht im Internet. Die Liste klingt vertraut: Mehl, Eier, Butter … oder übersetzt in die Sprache der Erlebnispädagogik: neue und möglichst herausfordernde Erfahrungen, vorzugsweise, jedoch schon lange nicht mehr ausschließlich in der Natur, zumeist erlebt in der Gruppe, physisch und psychisch sicher vorbereitet und durchgeführt, dazu eine gute Portion Reflexion zu unterschiedlichen Zeitpunkten in die rohe Kuchenmasse eingebracht, um am Ende einen möglichst guten Transfer für die einzelnen Teilnehmenden oder die gesamte Gruppe zu ermöglichen. Den fertigen Kuchen kann man zudem dekorieren und zu einem passenden Stück geschnitten zusammen mit Kuchengabel und Serviette anrichten.

Vielen ist bekannt, was es bedeutet, als Küchenlaie einen vorzeigbaren Kuchen zu backen und sie wissen um die Tücken dieses Geschäftes. Selbst wenn man sich Zeile für Zeile an das Rezept hält, ist dies noch lange keine Garantie für etwas Schmackhaftes. Begnadeten Bäckern und Konditoren dagegen gelingt etwas Wunderbares: Auch wenn jeder Kuchen anders schmeckt und kleine Nuancen bei der Zusammenstellung der Zutaten, bei der Backtemperatur und bei der Backdauer den Kuchen verändern, er gelingt immer. Und fragt man wie das gelingt, lautet die Antwort „Das habe ich im Gefühl.“ Oft frustriert diese Antwort dann eher und führt dazu, dass auf eine Fertigbackmischung zurückgegriffen wird. Und selbst dann gelingt es meist nicht, das Ergebnis auch nur im entferntesten Sinne ähnlich aussehen zu lassen wie das, was das Bild auf der Verpackung verspricht.

Menschen mit Übung können zudem aus den gleichen oder zumindest sehr ähnlichen Zutaten ein gutes Dutzend verschiedenster Kuchen zaubern. Konsistenz, Geschmack, Größe und „Schwere“ des Kuchens sind oftmals so unterschiedlich, dass man kaum glauben mag, es handele sich hier um die gleichen Ausgangsmaterialien.

Und so möchten wir das Buch verstehen. Wir werden nicht das Kuchenbacken neu erfinden oder auch nur behaupten, unsere Kuchen würden besonders gut schmecken. Doch wir denken, aus lange bekannten Zutaten am Ende einen neuen Kuchen kreiert zu haben, der dann probiert werden kann. Er mag ein interessantes Erscheinungsbild haben, manche klassische Zutaten nur in Spuren und weitere spannende Gewürzmischungen enthalten – am Ende muss er schmecken, und zwar vor allem den Kunden und nicht dem Bäcker alleine. Ob er sich auf dem Markt durchsetzen kann, wird hoffentlich lebhaft diskutiert werden.

Das Bild mit dem Kuchen hinkt an einer sehr wichtigen Stelle. Man könnte meinen, Erlebnispädagogik könne nach Rezept zusammengesetzt werden und am Ende komme schon irgendwie ein Kuchen dabei heraus. Man nehme etwas hiervon und davon und schon hätten wir etwas für den Sonntagskaffee. Da wir viele Menschen im Bereich Erlebnispädagogik ausbilden, werden wir mit solchen Fragen auch immer wieder konfrontiert: „Welche Aufgabe und welche Reflexionsmethode muss ich kombinieren, um ein bestimmtes Thema zu bearbeiten?“

Wir haben die Hoffnung, dass Sie selbst diese Fragen nicht mehr stellen werden oder dass Ihr Blick auf die Antworten ein vollkommen neuer ist, wenn Sie dieses Buch komplett gelesen haben. Denn wir sind der Meinung, dass (Erlebnis-)Pädagogik viel zu komplex ist, um Antworten auf diese Frage überhaupt in befriedigender Weise geben zu können. Und wir behaupten obendrein, dass dies sogar gut ist.

Wir möchten ausdrücklich bereits an dieser Stelle die vorangegangene Arbeit vieler würdigen, die in hervorragenden Publikationen vieles bereits zu Papier gebracht haben. Zahlreiche Kapitel des vorliegenden Buches wären sehr kurz, wenn wir einfach auf deren Werke verweisen würden. Und der Beginn dieses Buches war nichts anderes als ein 25 Seiten langer Artikel in einer Kongressveröffentlichung, wo wir genau dies getan haben: Grundlagen, auf denen unser neu entwickeltes Modell der erweiterten E-Kette beruht, haben wir dort als bekannt vorausgesetzt und nur mit ein paar Zeilen in Erinnerung gerufen.

Da es unsere Absicht ist, dass praktizierende Erlebnispädagog:innen dieses Buch auch lesen kann, ohne dabei mehrere weitere Werke gleichzeitig bei sich führen zu müssen, beschreiben wir in den ersten Kapiteln die für uns wichtigsten Modelle und Denkansätze und erläutern zugleich, woher diese stammen. Dabei haben wir nach bestem Wissen und mit bestem Gewissen nach der jeweiligen Urheberschaft geforscht und bitten um Hinweise darauf, falls uns dies einmal nicht richtig gelungen ist, und zugleich um Entschuldigung. Die Bücher, auf die wir uns beziehen, füllen ganze Regale. Manche Gedanken haben wir dort wiedergefunden, die wir in ähnlichem Umfang selbst hatten, bevor wir später dann auf die entsprechenden Textpassagen stießen. Viele Inspirationen haben unsere eigenen Schlüsse erweitert, andere wiederum teilen wir nicht. Bei manchen Gedankengängen und Bildern hoffen wir, die Urheberschaft für uns beanspruchen zu dürfen, denn diese sind bei uns neu entstanden.

Immer wieder hervorgeholt haben wir bei unseren Recherchen diverse Titel der folgenden Autorinnen und Autoren, wobei deren Stellenwert sich durch die alphabetische Ordnung der Nennung nicht immer widerspiegelt. Es sind dies unter anderen: Steven Bacon (2003), Manuel Barthelmess (2016), Jörg Friebe (2010), Michael A. Gass (2005), Rüdiger Gilsdorf (2004), Bernd Heckmair (2000, 2008), Martin Hillebrand und Roswita Königswieser (2011), Johan Hovelynck (1999 – 2004), Hans Peter Hufenus (2012), Christine und Hansjörg Lindenthaler (2012), John L. Luckner und Reldan S. Nadler (1997), Werner Michl (1989, 2015), Hartmut Paffrath (2013), Simon Priest (1999), Mart Rutkowski (2010), Tom Senninger (2000), Rainer Schwing (2013), Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer (2003), Cornelia Schödlbauer (2000) und viele andere mehr.

Wenn im Text Personennamen vorkommen, wurden diese dort, wo es die Persönlichkeitsrechte von Teilnehmenden betrifft, geändert.

Hinterzarten, im Juli 2017

Roland Abstreiter, Rafaela & Reinhard Zwerger

Vorwort zur 3. überarbeiteten Auflage

In der vorliegenden 3. Auflage haben wir inhaltlich nur wenige Erweiterungen wie die Aktualisierung des Berufsbildes aus dem Jahr 2023 vorgenommen. Wir konnten die Tatsache, dass auch die 2. Auflage schnell vergriffen war, jedoch dazu nutzen, den Text zu gendern. Wir hoffen, dass uns dies lückenlos gelungen ist und freuen uns diesbezüglich über Informationen per Mail an [email protected], falls wir Wesentliches übersehen haben. Wenn teilweise nur ein Geschlecht genannt wird, liegt das daran, dass in diesen Fällen explizit eine Frau oder ein Mann gemeint sind oder es um Original-Zitate aus der Literatur handelt.

Wir sind der Meinung, dass systemische Haltungen und Methoden eine hilfreiche und wirkungsvolle Art sind, um die klassische erlebnispädagogische Arbeit zu unterstützen, wenn auch nicht die einzige. An dieser Stelle zitieren wir gerne Bernd Heckmair und Werner Michl (2018, S. 141), die schreiben, dass es darum geht „(…) den Wald und die Bäume zu sehen. Und manchmal sind die Bäume wichtiger, manchmal der Wald und oft beides zugleich!“

Roland Abstreiter, Rafaela & Reinhard Zwerger

2.Einführung

2.Einführung

Einleitung

In unseren Ausbildungsgruppen werden wir häufig gefragt, welche Aktivität „A“ man am besten einsetzen und welche Reflexionsmethode „R“ man sodann ergänzen solle, um am Ende das Ziel „Z“ zu erreichen. Dahinter steckt die Suche nach einem klaren Schema, an dem man sich festhalten kann – wie die Suche nach einem Rezept. Wenn man will, dass die Gruppe an ihrem Kommunikationsverhalten arbeitet, verwendet man am besten Teamaufgabe XY, … mit anderen Worten: Welche Aktivität führt mit welcher Reflexionsmethode zu welchem Ziel? Der Gedanke dahinter ist, dass durch bestimmte Aufgaben gleichsam automatisch die entsprechenden Erkenntnisse gewonnen werden könnten. Es wäre so schön, da so einfach! Leider – oder besser gesagt: zum Glück – ist dem aber nicht so, da wir es mit Menschen und nicht mit Maschinen zu tun haben und auch wir selbst Menschen mit subjektiven Einstellungen und Empfindungen sind und daher mit dem, wie wir sind, den Prozess beeinflussen.

Meistens müssen wir die Teilnehmenden unserer Weiterbildungen vertrösten, dass sie unsere Antwort erst in einigen Wochen des Erlebens und Erfahrens verstehen würden und dies selbst dann noch nicht gewährleistet sei. Unser „Kommt ganz darauf an“ beinhaltet dabei stets auch das Hinterfragen der Intention, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, das uns Kunden oder wir selbst gesteckt haben, und ein Reflektieren der eigenen Motive und Antreiber.

Während eines Abschlussgesprächs nach neun Monaten Zusatzqualifikation „Erlebnis- und Umweltpädagogik“ erzählte ein Teilnehmer, dass er den Beginn der Weiterbildung „ganz schön nervig“ gefunden habe. Immer wenn er seinen Wissensdurst gestillt bekommen wollte, hielten wir ein „Kommt ganz darauf an“ entgegen und stellten Fragen, anstatt „einfach“ zu sagen, wie „man es richtig macht“.

Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, während seines in der Ausbildung erforderten Eigenprojektes Sozialarbeiter und Lehrkräfte an einer Schule in Erlebnispädagogik zu schulen, und sah sich nun mit den gleichen Fragen konfrontiert. Und er erzählte mir, wie sich seine eigene Haltung mittlerweile gewandelt habe. Wir zitieren aus seinem Projektbericht:

„Während der Ausbildung zum Erlebnispädagogen hörten wir öfter den Satz ‚Kommt ganz drauf an‘. Gerade wenn es um die Frage ging, welche Methode wende ich bei Problem X an. Auf diesen Satz durfte ich während des Projektes des Öfteren zurückgreifen. Gerade diese Situation verdeutlichte mir, dass die Erlebnispädagogik keine einfache Problem-Antwort-Geschichte ist, sondern dass die Haltung der Anleitenden, die Persönlichkeiten der Teilnehmenden, die Phase der Gruppe, usw. … ausschlaggebend sind. Und dass wir als Erlebnispädagogen selbst bei einer guten Vorbereitung zwar für den Rahmen verantwortlich sind und für die Begleitung des Prozesses. Doch was gewonnen werden kann, liegt ebenso in der Verantwortung der Teilnehmenden. Offenheit, Motivation und Engagement bestimmen maßgeblich den Erfolg eines Prozesses mit.“

Dieses Buch mit dem Titel „Außen handeln – Innen schauen“ wird vor allem näher untersuchen, wie Erlebnispädagog:innen ihre Aufgaben und Tätigkeiten ausfüllen, welche Faktoren bei der Gestaltung von Lernräumen und Aktivitäten eine Rolle spielen, wo Stellschrauben oder Ansatzpunkte gesehen werden, um bewusst Einfluss auf den Lernprozess der Teilnehmenden zu nehmen – mit dem Ziel, persönliche Entwicklungsprozesse bei ihnen anzuregen und zu begleiten. Darin stecken aus unserer Sicht die wesentlichen Inhalte und die Beantwortung der Gretchenfrage der Erlebnispädagogik: „Wie gestalten wir den Unterschied zwischen erlebnisorientierten Angeboten und wirksamer Erlebnispädagogik? Wo sind Ansatzpunkte und Einflussmöglichkeiten, um Prozesse am Laufen zu halten und sie zu unterstützen, um Entwicklung auf persönlicher Ebene zu ermöglichen und die Teilnehmenden in ihren Themen voranzubringen?“

Im Hinblick auf die Ziele der Erlebnispädagogik unterscheidet beispielsweise Baig-Schneider (2012, S. 171) drei zentrale Dimensionen erlebnispädagogischer Veranstaltungen. Diese sind Bildung im Sinne von Selbstbildung, Erziehung und Training. Aus unserer Sicht zielt Erlebnispädagogik immer auf einen persönlichen Entwicklungsprozess ab, der die genannten Aspekte beinhaltet.

Wenn „wir der Erlebnispädagog:innen“ gefragt werden, warum und auf welche Weise das funktioniert, was wir mit fester Überzeugung vertreten, mit Leidenschaft vortragen und den uns anvertrauten Menschen nahebringen wollen, bemühen wir zumeist unterschiedliche Modelle, die alle jeweils Teilaspekte beinhalten. Je länger wir uns mit diesen Themen beschäftigen, desto näher rücken die Ansätze zusammen und desto klarer werden für uns die Zusammenhänge zwischen all den Betrachtungsweisen.

Daher wird es aus unserer Sicht Zeit für eine Neubetrachtung der Lernmodelle, Wirkmodelle, Ansätze oder Theorien, wie auch immer der theoretische Hintergrund zur Erlebnispädagogik von unterschiedlichen Autor:innen genannt werden mag. Zusammenfassend lassen sich aus unserer Wahrnehmung heraus erlebnispädagogische Ansätze sehr gut mit den Denkansätzen der systemischen Praxis verbinden.

In diesem Buch werden wir nur einen groben Blick auf das Offensichtliche legen. Die auf dem weiten Feld der Erlebnispädagogik genutzten Medien, wie Natursport, Hochseilgarten, Lernszenarien, Interaktionsübungen und vieles mehr, werden wir hier nur streifen und dabei mit Freude auf ein großes Spektrum von Veröffentlichungen verweisen. Auch die Themen der physischen und psychischen Sicherheit und Unversehrtheit der Teilnehmenden seien nur am Rande erwähnt. Und da es zudem zahlreiche Fortbildungen zu diesen Fertigkeiten gibt, widmen wir uns in unserem Buch diesem Bereich nur peripher.

Im ersten Teil beschreiben wir in Kapitel 3 zunächst den Beruf der Erlebnispädagog:innen, wobei wir auf das 2015 erstmalig veröffentlichte Berufsbild des Bundesverbandes Individual- und Erlebnispädagogik eingehen. Wir konkretisieren dieses Berufsbild anhand der Fertigkeiten und Fähigkeiten, die Erlebnispädagog:innen mitbringen sollten. Sodann geben wir in Kapitel 4.1 einen Überblick über die am häufigsten veröffentlichten Theorien und Modelle, auf die wir in unterschiedlicher Form und Ausprägung immer wieder zurückgreifen, wenn es darum geht, Menschen in der Entwicklung diverser Kompetenzen zu fördern bzw. den Teilnehmenden unserer Fort- und Weiterbildungskurse zu beschreiben, wie das, was wir tun, wirkt. Wir stellen dabei die Modelle so dar, wie sie in unserem Verständnis von den jeweiligen Autor:innen gedacht waren, ungeachtet der Widersprüchlichkeiten und möglicher Kritiken an den jeweiligen Ansätzen.

Im weiteren Verlauf nehmen wir auch eine Neusortierung und teilweise Neubenennung von immer wieder ähnlich, aber leider selten einheitlich verwendeten Begriffen vor. In Kapitel 4.2 differenzieren wir zwischen den Ansätzen von Priest/Gass und Gilsdorf. Die Ansätze unterscheiden sich unter anderem in der Frage, ob sich zwischen Phasen der Aktivität und Reflexion eine Trennlinie ziehen lässt oder nicht.

In Kapitel 4 betrachten wir Reflexion als unerlässlichen Bestandteil erlebnispädagogischer Programme, unabhängig davon, ob sie vom Erlebnispädagog:innen bewusst angeleitet wird oder ob sie als untrennbarer Bestandteil der Aktivitäten angesehen wird.

Unsere Haltungen und Herangehensweisen sind zu einem großen Teil durch Gedanken aus der Systemtheorie und dem Konstruktivismus geprägt, so dass wir in Kapitel 4.4 einen Abriss über für uns wichtige und im Zusammenhang mit Erlebnispädagogik stehende Grundannahmen und Haltungen systemischen Denkens und Handelns geben.

Im zweiten Teil betrachten wir in Kapitel 5, welche Rolle wir als Erlebnispädagog:innen innehaben, ganz gleich, ob wir uns der daraus resultierenden Effekte auf das ganze System bewusst sind oder nicht. Aus bekannten Modellen kreieren wir sodann ein neues erweitertes E-Ketten-Modell. Zudem beschreiben wir bestehende Modelle der Prozessbegleitung (bislang beispielsweise bekannt unter dem Begriff „Lernmodelle“) neu, indem wir sie nach dem Grad der subjektiven Einflussnahme der Erlebnispädagog:innen auf die Teilnehmenden ordnen.

Durch diese neue, an der Person der Erlebnispädagog:innen ausgerichtete Ordnung ergeben sich unterschiedliche Sichtweisen auf erlebnispädagogische Prozesse. Ein Prozess kann jeweils aus der Sicht von Erlebnispädagog:innen betrachtet werden („Wie trage ich zur Entwicklung bei? Wie interveniere ich?“) oder aus der Sicht der Teilnehmenden („Welche Prozesse durchlaufe ich?“). In der Praxis ist der Entwicklungsprozess der Teilnehmenden permanent durch die Intervention der Erlebnispädagog:innen beeinflusst. Um diese Dynamik greifbarer zu machen, betrachten wir die Prozesse in Kapitel 6 getrennt voneinander.

Wir versuchen dadurch aufzuzeigen, an welchen Stellen ein Erlebnispädagog:innen – immer abhängig von seiner subjektiven Sichtweise – vermeintlich stärker oder weniger stark den Prozess beeinflussen kann. Er kann sich bewusst für Zeitpunkte und Arten von Interventionen entscheiden – wissend, dass es sich immer um dynamische Prozesse und Wechselwirkungen unterschiedlicher Faktoren handelt und wir davon ausgehen, dass Reflexions- und Transferprozesse bei Teilnehmenden permanent im Verborgenen ablaufen, ohne dass sie konkret zugeordnet werden können.

Im dritten Teil erörtern wir für uns wichtige systemische Ansätze und beschreiben mit Beispielen aus unserer Arbeit, welche Rolle die aus ihnen resultierenden Denk- und Handlungsansätze in der erlebnispädagogischen Arbeit spielen sollten. Als Erlebnispädagog:innen können wir die Entwicklungsprozesse der Teilnehmenden aus unterschiedlichen Rollen heraus mit unterschiedlichen Sichtweisen betrachten. Wir sprechen dabei von verschiedenen Hüten, die wir aufsetzen, und verschiedenen Brillen, die wir tragen können. Je nach Hut und Brille werden wir unterschiedlich intervenieren. Dadurch wird die Subjektivität der Intervention greifbar. Dies beschreiben wir in Kapitel 7.1.

Dem Begriff der „Haltung“ kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. In Kapitel 8 setzen wir uns mit den Fragen auseinander, inwieweit die Haltung desjenigen, der den Prozess begleitet, und die Beziehung zu den Teilnehmenden eine Rolle für die Wirkung von Erlebnispädagogik und für die Lernerfahrung der Teilnehmenden spielen.

Kann man eine „Haltung“ erlernen? Wie entwickelt sich eine persönliche Haltung? Das letzte Kapitel des Buches (Kapitel 9) beschäftigt sich mit diesen Fragen und damit, wie wir an der eigenen Haltung arbeiten können.

Wir nehmen an dieser Stelle die beiden ersten Absätze des „Berufsbildes Erlebnispädagog_in“ (www.be-ep.de, 2023) vorweg: Zentrale Worte darin für die weiteren Betrachtungen sind für uns: „Die spezifischen Aufgaben und Tätigkeiten von Erlebnispädagog_innen liegen in der zielgerichteten, fachlich fundierten Planung und Durchführung handlungsorientierter Lernszenarien, vorzugsweise in und mit der Natur als Erfahrungsraum. Sie arrangieren ganzheitlich orientierte, individuell herausfordernde und nicht alltägliche Situationen, die entwicklungs- und bildungswirksame Erlebnisse ermöglichen. Diese fördern vorrangig personale und soziale Kompetenzen. Um einen Lerntransfer und Entwicklungsprozesse in die Lebens- und Arbeitswelt zu unterstützen, setzen Erlebnispädagog_innen verschiedene Reflexionsmethoden ein. Sie arbeiten theoriegeleitet und greifen dabei auf spezifische Lern- und Wirkungsmodelle zurück.“

Oder mit unseren Worten: Wir setzen Methoden des handlungsorientierten Lernens mit ihrem kompletten vielfältigen Umfeld so ein, dass wir unseren Teilnehmenden – einzelnen Personen wie Gruppen – Entwicklung ermöglichen.

Aufzuzeigen, warum wir denken, dass bestimmte Herangehensweisen diese Zielsetzung unterstützen, ist erklärtes Ziel dieses Buches.

Begriffe

Wir möchten an dieser Stelle einige Begriffe im Vorfeld erläutern und sprachliche Vereinbarungen treffen.

Es betrifft die Benennung der „Adressat:innen“, jene Menschen also, die die Zielgruppe erlebnispädagogischer Programme sind. Ein recht allgemeingültiger Begriff wäre das Wort „Teilnehmende“, und auf die meisten Menschen trifft dies in seiner Neutralität auch zu. Zu den „Kunden“ erlebnispädagogischer Veranstaltungen gehören jedoch auch Menschen, die beispielsweise im Zuge einer therapeutischen Behandlung zu uns geschickt werden und mit denen wir in Zusammenarbeit mit Therapeutinnen und Therapeuten erlebnispädagogisch arbeiten. Dann ist der Begriff „Klient“ der passendere, und wenn wir aus Originalliteratur zu systemischer Therapie zitieren (ein Kontext, in dem systemisch geprägtes Vorgehen ursprünglich entstanden ist), werden die Begriffe „Klient“ oder „Klientensystem“ häufig verwendet, weshalb sie auch in diesem Buch immer wieder zu finden sind.

Wir möchten der Einfachheit halber folgende Vereinbarung mit Ihnen treffen: Welchen Begriff wir oder die Literatur auch immer verwenden, Sie ersetzen ihn durch den, der für Sie und Ihren Kontext gerade am besten passt!

Etwas sehr Ähnliches möchten wir mit dem Begriff „Erlebnispädagog:in“ und auch der Ursprung des Wortes „Pädagoge“ (altgriechisch „Der Knabenführer“) beinhaltet diese Zielgruppe. Seit langer Zeit haben erlebnispädagogische Elemente in der Erwachsenenbildung Einzug gehalten und hier, in Bereichen, in denen Menschen nicht mehr „erzogen“ oder „pädagogisiert“ werden möchten, ersetzen Begriffe wie „Trainer:in“, „Outdoortrainer:in“, „Erlebniscoach“ oder „Prozessbegleiter:in“ den Begriff der „Erlebnispädagog:innen“. Auch wir werden im wechselnden Zusammenhang diese Begriffe parallel verwenden und bitten Sie wiederum, Ihre Lieblingsbegriffe kontextbezogen einzusetzen.

Im erlebnispädagogischen Kontext begegnen wir immer wieder Begriffen wie „Handlungslernen“ und „Erfahrungslernen“, die teilweise miteinander verwoben sind. Ein großer Teil der Literatur ist zudem im englischen Sprachraum entstanden, was bei der Übersetzung bestimmter Begriffe immer wieder zu Schwierigkeiten führt. Wir möchten daher Folgendes für dieses Buch festlegen:

Der Ansatz der Handlungsorientierung ist beschrieben als „ganzheitliche Lern- und Lehrmethodik“ (Zuffelato/Kreszmeier 2007, S. 60). „Handlung führt dabei zu Konkretisierung und fördert die Eingebundenheit der Teilnehmenden in den Lernprozess. In der Handlung bekommen Menschen die Möglichkeit, ganz verschiedene Ressourcen und (Lern-) Fähigkeiten zu entdecken, zu zeigen und zu nutzen, alternative Wege zu gehen und Möglichkeiten auszuprobieren, um so den Handlungsspielraum Schritt für Schritt zu vergrößern“ (ebd.).

Erlebnispädagogik nutzt „handlungsorientierte Methoden“ (ebd., S. 44), wobei „im erlebnispädagogischen Kontext mehr als nur die äußere Tätigkeit, die Ebene der praktischen Umsetzung“ (Paffrath 2013, S. 85) angesprochen wird. „Der Leitsatz ‚Learning by doing‘ betont gerade den wechselseitigen Zusammenhang zwischen Handeln, Wahrnehmen, Empfinden, Reflektieren, Auswerten, Planen (Experiential Learning Cycle)“ (ebd.).

Erlebnispädagogik ist also unter dem Dach des handlungsorientierten Lernens anzusiedeln – jedoch ist nicht jede Form handlungsorientierten Lernens gleichzusetzen mit Erlebnispädagogik.

Im Lexikon Erlebnispädagogik heißt es: „Erfahrungslernen beschreibt das Lernen über konkrete Handlungsbezüge und schließt meist körperliche, sozio-emotionale sowie kognitive Ebenen mit ein. Es ist die Basis für experimentelles Lernen, Projektlernen und andere Formen handlungsorientierten Wissenserwerbs, nicht zuletzt auch für Erlebnispädagogik“ (Zuffelato/Kreszmeier 2007, S. 43).

Johan Hovelynck stellt Erfahrungslernen didaktischen Lehrmethoden gegenüber und betont, dass es nicht um vorgefertigte Muster von Lehren und Lernen gehe, also nicht darum, „die Methoden lebendiger und vielfältiger zu machen, mit denen die Lehrenden ihre vorgefertigten Vorstellungen an ihre Schüler übergeben“ (Hovelynck 2001, S. 144). Erfahrungslernen meint „etwas wesentlich anderes als alle Formen der aktiven Lehre im didaktischen Sinn“ (ebd.).

Es geht darum, dass Teilnehmende aus eigenen Erfahrungen lernen – und es ist nicht plan- und vorhersagbar, was genau und wie sie lernen. Handlungslernen meint also Lernen durch den oder im Prozess des Handelns und Tuns und kann durchaus auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet sein. Erfahrungslernen benötigt ein Setting, welches Erfahrungen ermöglicht, ist aber sehr individuell und nicht planbar.

Hovelynck plädiert dafür, dass sich Erlebnispädagog:innen (wieder) mehr die Frage stellen sollten, wie viel Raum sie tatsächlich den Erfahrungen und Erlebnissen der Lernenden bieten oder wie sehr sie sich von didaktischen Lehrmethoden und vorherdefinierten Lernprozessen (ver-)leiten lassen (vgl. ebd., S. 148ff.).

Darüber hinaus weist er darauf hin, dass es im englischen Sprachgebrauch keine Synonyme zu „experience“, „experiencing“ oder „experiential“ gebe, wohingegen im Deutschen mehrere Worte mit ähnlicher Bedeutung existieren würden, wie „erfahren“, „erleben“, „mitmachen“. Dadurch entstehe womöglich eine differenziertere Sicht auf den Prozess des Erfahrungslernens und es könne schon rein sprachlich schwer zwischen Handlungslernen, Erfahrungslernen, Erlebnispädagogik etc. unterschieden werden (vgl. ebd., S. 146).

Teil 1:

Den Boden bereiten

3.Der Beruf Erlebnispädagog:in

3.Der Beruf Erlebnispädagog:in

3.1Das Berufsbild

Im Frühjahr 2015 ist etwas Großartiges gelungen. In der Nähe von Fulda trafen sich zahlreiche Vertreter von erlebnispädagogischen Anbietern und von Hochschulen, an denen Erlebnispädagogik in unterschiedlichster Form gelehrt wird. Sie kamen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und den Niederlanden und haben sich nach längerer Vorarbeit auf ein gemeinsames Berufsbild „Erlebnispädagog_in“ geeinigt. Dieses Berufsbild wurde kurze Zeit später veröffentlicht und steht nun zur Weiterentwicklung dem breiten Publikum zur Verfügung.

Fragt man Passanten auf der Straße, was beispielsweise den Beruf einer Bäckerin oder eines Bäckers kennzeichne, erhält man weitgehend richtige und zum guten Teil auch ausführliche Angaben. Wenn man nach neueren Berufen wie dem des Geomatikers (der den nicht mehr existierenden Beruf des Kartografen durch zahlreiche Tätigkeiten im Bereich der Vermessungstechnik und Fernerkundung erweitert) fragt, sind die Angaben schon sehr lückenhaft bis vollkommen offen. Man kann das dazugehörige Berufsbild jedoch nach kurzer Internetrecherche leicht finden.

Anders war es bei den Erlebnispädagog:innen. Nach diesem Berufsbild gefragt, antwortet ein sehr großer Teil der angesprochenen Passanten mit Klischees wie „Wildwasserfahrten“, „Klettern“ und „Abenteuer“ und übersieht dabei in der Regel fast vollständig die große Bandbreite der Tätigkeiten in unterschiedlichsten Handlungsfeldern und auch den pädagogischen Auftrag hinter diesem Beruf. Auch eine Internetrecherche ergab nur Oberflächliches.

Das Berufsbild wurde vom „Hochschulforum Erlebnispädagogik“ und vom Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e.V. (Fachgruppe „Aus- und Weiterbildung“) in einem dreijährigen Prozess entwickelt und soll regelmäßig aktualisiert werden. Derzeit ist es unter www.be-ep.de (September 2023) abrufbar und sieht so aus:

Berufsbild Erlebnispädagog:in

Aufgaben und Tätigkeiten

Die spezifischen Aufgaben und Tätigkeiten von Erlebnispädagog:innen liegen in der zielgerichteten, fachlich fundierten Planung und Durchführung handlungsorientierter Lernszenarien für Einzelpersonen und Gruppen, vorzugsweise in und mit der Natur als Erfahrungsraum. Sie arrangieren ganzheitlich orientierte, individuell herausfordernde und nicht alltägliche Situationen, die entwicklungs- und bildungswirksame Erlebnisse ermöglichen. Diese fördern vorrangig personale soziale und emotionale Kompetenzen. Ergänzend können je nach Lernraum und Aktivität technisch-instrumentelle Fertigkeiten und Kenntnisse erlernt und gestärkt werden. Dafür nutzen Erlebnispädagog:innen überwiegend das Gruppensetting als Katalysator.

Bei der Planung, Durchführung und Evaluierung der Lernszenarien berücksichtigen Erlebnispädagog:innen grundlegende Strukturmerkmale wie beispielsweise Selbststeuerung, Eigenverantwortung, Freiwilligkeit, Ressourcen- und Prozessorientierung sowie die Dimension der sozialen Interaktion. Erlebnispädagog:innen gestalten Lernprozesse im realen Raum mit physischer Präsenz. Die Möglichkeiten von digitalen Begegnungs- und Lernformaten können ergänzend genutzt werden.

Neben der Beachtung aktueller Qualitäts- und Sicherheitsstandards stehen die physische, psychische und soziale Unversehrtheit der Teilnehmenden im Vordergrund. Im Sinne einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung wird Wert auf einen achtsamen, klimaschonenden Umgang mit der Natur und der Umwelt gelegt.

Um einen Lerntransfer und Entwicklungsprozesse in die Lebens- und Arbeitswelt zu unterstützen, setzen Erlebnispädagog:innen verschiedene Reflexionsmethoden ein. Sie arbeiten theoriegeleitet und greifen dabei auf spezifische Lern- und Wirkungsmodelle zurück.

Lernräume und Aktivitäten

Charakteristische Angebote reichen von natursportlichen Aktivitäten wie zum Beispiel Wandertouren, Segeln, Klettern, Kanufahren über Wildnis- und Naturaufenthalte bis zu Interaktionsübungen und handlungsorientierten Projekten. Solozeiten, kreativ-rituelle Angebote oder City Bound gehören zum weiteren Spektrum.

Arbeits- und Handlungsfelder

Erlebnispädagog:innen sind im Bereich „Pädagogik“ zum Beispiel in der Kinder- und Jugendarbeit, Kinder- und Jugendhilfe, im schulischen, außerschulischen und tertiären Bildungsbereich oder in der Erwachsenenbildung und Heilpädagogik tätig.

Im Bereich „Wirtschaft“ arbeiten Erlebnispädagog:innen vorzugsweise als Prozessbegleiter:innen und Trainer:innen im Rahmen von Personal- und Organisationsentwicklung.

Auf dem Gebiet der „Gesundheitsförderung“ sind Erlebnispädagog:innen vor allem in der Prävention und Rehabilitation tätig.

Im Handlungsfeld der „Therapie“ unterstützen Erlebnispädagog:innen als Teil eines multiprofessionellen Teams therapeutische Prozesse 1.

Ein erweitertes Arbeitsfeld finden Erlebnispädagog:innen im Bereich der Natur- und Umweltbildung sowie in der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Sie sind ferner in freizeitpädagogischen und touristischen Bereichen tätig, arbeiten dort aber vorwiegend erlebnisorientiert.

Kompetenzen und Ausbildung

Erlebnispädagog:innen erwerben im Rahmen ihrer Ausbildung neben pädagogischen und psychologischen Kompetenzen zur angemessenen Prozessbegleitung und verantwortungsvollen Gruppenführung auch die erforderlichen technisch-instrumentellen Kompetenzen zur sicheren Anleitung der Teilnehmenden in den entsprechenden erlebnispädagogischen Lernräumen und Aktivitäten.

Grundlegend sind hierbei die Orientierung an einem humanistischen Menschenbild, eine wertschätzende Haltung gegenüber menschlicher Vielfalt und einem Wertesystem, das sich in den Menschenrechten verankert sieht.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden und sie professionell und bewusst einsetzen zu können, sind fachliche, personale und soziale Kompetenzen notwendig. Diese erlangen sie durch eine qualifizierte pädagogische Ausbildung sowie eine fundierte erlebnispädagogische Qualifizierung, wie sie der Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e.V. formuliert hat. Darüber hinaus ist eine für die spezifischen Aktivitäten und Lernräume entsprechende (fachsportliche) Qualifikation erforderlich.

Das Berufsbild wurde vom „Hochschulforum Erlebnispädagogik“ und dem Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e.V. (Fachgruppe „Aus- und Weiterbildung“) in einem dreijährigen Prozess entwickelt und am 13.03.2015 erstmals verabschiedet.

Bearbeitungsstand: 29. März 2023

3.2Erlebnispädagogin be® und Erlebnispädagoge be®

Aufbauend auf das fertig gestellte Berufsbild wurde Anfang 2016 beim deutschen Patentund Markenamt die Titel Erlebnispädagogin be® und Erlebnispädagoge be® eingetragen (Seidel 2018, S. 370). Mit diesen Titeln gibt es nun erstmals im deutschsprachigen Raum eine geschützte Bezeichnung für Menschen, die diesen Beruf ausüben. Der Titel legt erstmals vergleichbare Anforderungen für die Kompetenzen von Erlebnispädagogen fest (Rothmeier 2018, S. 30).

An der Entwicklung des Titels und des Anerkennungsverfahrens haben in mehreren Arbeitstreffen über 50 Fachleute verschiedenster Anbieter und Hochschulen mitgearbeitet (ebd., S. 31). Man darf dies als sehr bedeutsamen Schritt in Richtung einer Professionalisierung des Berufes ansehen (Heckmair, Michl 2018, S.262 ). Die Voraussetzungen zur Erlangung des Titels und Details über das Anerkennungsverfahren sind umfangreich und unter www.be-ep.de abrufbar. Sie umfassen neben einer pädagogischen und einer erlebnispädagogischen Ausbildung unter anderem auch weitreichende praktische Erfahrungen, Fortbildungen und aus unserer Sicht in Hinblick auf Kapitel 9.2. „Haltung auf dem Prüfstand“ wichtige Selbst- und Fremdreflexionen der eigenen Arbeit beispielsweise in Form von Supervision.

3.3Das Skillsmodell nach Priest und Gass

Ausgehend von diesem Berufsbild und um dieses in die Praxis umzusetzen, werden nun aus unserer Sicht „gut ausgestattete“ Erlebnispädagog:innen vorgestellt. Sie sind zunächst einmal äußerlich gut als Erlebnispädagog:innen bzw. zumindest als Naturfachleute zu erkennen. Merkmale sind beispielsweise Kleidung, Schuhe, Ausrüstung und das, was sie offensichtlich damit anfangen. Selbst unbedarfte Beobachtende können kann schnell erfassen, dass es hier möglicherweise um „Abenteuer“ und „Natursport“ geht.

Abb. 3-1: Gut ausgestattete Erlebnispädagog:innen

Wir sind in Albanien und dürfen ein Team von 20 Mitarbeitenden einer sozialpädagogischen Einrichtung aus Tirana/Albanien in Erlebnispädagogik fortbilden. Leider regnet es andauernd und wir haben unsere passendste Kleidung inklusive recht schwerer Bergstiefel angezogen. Als wir in einer abendlichen Runde die Übungen zum Thema „Vertrauen“ reflektieren, stellen wir die Frage, was alles dazu beigetragen hat, dass sie sich gegenseitig vertrauen konnten. Eine Frau zeigt auf unsere Füße und sagt: „Eure Schuhe!“

Diese Antwort haben wir nicht erwartet, und wir haken nochmals nach. Sie bekräftigt ihre Aussage und sagt, dass sie sich nicht hätte fallen lassen, wenn wir auch nur wie alle anderen Sportschuhe getragen hätten.

Wesentliche Aspekte sind jedoch erst zu bemerken, wenn man den Erlebnispädagog:innen zuhört, mit ihnen spricht, sie agieren sieht und einen Blick hinter die äußeren Kulissen geworfen hat. Erst dann sehen Außenstehende, dass hier mehr geschieht als nur „Action“ und dass neben einem Plan vermutlich auch höhere Ziele und Beweggründe hinter ihrem Tun (und Lassen) stecken.

Simon Priest und Michael A. Gass (Priest/Gass, 1999 und 2005) beschreiben die Komponenten, die dazu beitragen, dass Menschen andere Menschen wirksam durch erlebnispädagogische Settings in der Natur begleiten können, als „Mauer“ („Effective outdoor leadership wall“). Diese Mauer besteht aus einem soliden Fundament, stabilen Backsteinen und Mörtel.

Die Ziegelsteine und das, was diese symbolisieren, werden als Hard- und Softskills bezeichnet. Diese Bausteine sind gleichzeitig Inhalt von Ausbildungen im Bereich der Erlebnispädagogik.

Priest und Gass (2005, S. XIII) bezeichnen individuelle Fähigkeiten der Erlebnispädagog:innen wie Kommunikationsfähigkeit, flexibler Führungsstil, eine professionelle Ethik, Problemlösekompetenzen, Entschlussfähigkeit und erfahrungsgestützte Beurteilung von Situationen als zusätzliche Metaskills und nehmen diese als Mörtel in die Mauer auf, um alle Bausteine miteinander zu verbinden.

Im gleichen Bild stellen sie die Mauer auf eine solide Basis von Grundkenntnissen über Psychologie, Geschichte, Philosophie – und wir erweitern hier schon um grundlegende Kenntnisse aus Physik, Geografie, Astronomie, Botanik, Ökologie und vieles andere mehr.

Abb. 3-2: Die erlebnispädagogischen Skills (nach Priest/Gass 2005)

In unserem eigenen Bild der „gut ausgestatteten“ Erlebnispädagog:innen handelt es sich bei der Basis um den Boden, auf dem die Erlebnispädagog:innen stehen. Er besteht aus Wissen über die Umwelt und Verständnis ökologischer Zusammenhänge. Erlebnispädagog:innen können die Fragen von Kindern und Erwachsenen zu den Pflanzen am Wegesrand, zur Natur des Gesteins der Kletterfelsen und zu den Lebewesen im Fließgewässer beantworten oder zumindest deren Interesse daran wecken.

Erlebnispädagog:innen sind aufgrund der sehr unterschiedlichen Settings, in denen sie arbeiten, in besonders hohem Maße sozusagen „natürlicherweise“ mit verschiedenen Themengebieten konfrontiert:

Fragen zu Kultur und Geschichte können sich etwa beim Abseilen von einem besonderen Gebäude oder beim Wandern und Geocachen zu Ruinen oder Denkmälern ergeben; es entsteht Neugier, wenn es bei einer Kanutour zu Begegnungen mit einem der vielen am oder im Wasser lebenden Tiere kommt: wie sie heißen und wie sie leben oder welcher Vogel da frühmorgens im Frühsommer nach einer Übernachtung im Freien zu singen beginnt.

Psychologisches Wissen ist notwendig, wenn es beispielsweise um unterschiedliche Strategien des Lernens geht oder um Begleitung von Menschen an Grenzen, bei entstehenden Ängsten und persönlichen biografischen Themen. Auch philosophische Fragen nehmen sich Raum: in Solozeiten oder angesichts einer sternklaren Nacht: Wer bin ich? Wo komme ich her? Wo will ich hin?

Welche Sterne stehen abends über der Campingwiese und wie weit sind sie eigentlich entfernt? Wie alt ist so ein Granit- oder Buntsandsteinfelsen, an dem geklettert wird? Wie kann ich mit Körpermaßen Messungen im Gelände vornehmen? Auf welche Winkel und Kräfte muss ich bei Seilkonstruktionen achten? Welche Zündtemperatur brauche ich für welches Zundermaterial?

Solche und unendlich viele weitere Fragen entstehen im Kontakt mit dem jeweiligen Medium, in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem, was uns „da draußen“ begegnet.

Bei einer Wanderung an einem klaren und sonnigen Herbsttag von Freiburgs Hausberg, dem Schauinsland, hinunter zur Talstation erreiche ich mit zwei Jugendlichen aus einer stationären intensivpädagogischen Wohngruppe ein kleines Felsplateau. Wir beschließen, dort eine kurze Rast zu machen, und genießen die Aussicht auf Kaiserstuhl, Vogesen und Rheinebene. Ein Junge fragt plötzlich: „Wie und wann sind diese Berge eigentlich entstanden?“

Zudem generiert Wissen auch Neugier: Wenn ich registriere, dass sich jemand in einem bestimmten Bereich gut auskennt, denke ich selbst darüber nach und beginne Fragen zu stellen.

Das bedeutet nicht, dass Erlebnispädagog:innen alle Fragen beantworten können müssen – doch sollten sie unserer Meinung nach solide Grundkenntnisse und auch ein wenig „Spezialwissen“ über ihre Einsatz- und Themengebiete haben. Und es sollte Raum sein für solche Fragen, für gemeinsames neugieriges Erforschen unterschiedlicher Gebiete.

Wir betonen an dieser Stelle, dass viele der Begriffe und beschriebenen Gegenstände und Accessoires in unserem eigenen Bild der „gut ausgestatteten“ Erlebnispädagog:innen hier nur metaphorisch verwendet werden bzw. in der Beschreibung teilweise gängigen Klischees genügen, um zu verdeutlichen, worum es uns geht. Die von Priest und Gass (2005, S. XII) verwendeten Begriffe Hard-, Soft- und Metaskills werden nun beispielhaft übertragen.

3.3.1 Hardskills

Erlebnispädagog:innen verfügen selbstverständlich über klassische Werkzeuge, die wir diesem Metier zuschreiben, und sie tragen diese „im Rucksack“ mit: Seile, Karabiner, Karte und Kompass, Augenbinden und allerlei weitere Hilfsmittel. Manchmal benötigt man mehr als einen Rucksack, heutzutage handelt es sich zumeist um einen Kleinbus, denn zu den Werkzeugen gehören je nach Ziel und Bedarf auch Kanus, Pfeil und Bogen, spezielle Ausrüstung für Höhlen und Felswände, Schneeschuhe und vieles mehr.

Für alle von ihnen angewendeten Methoden gilt: Sie können die Gerätschaften sicher bedienen, sind auf dem neuesten Stand der Technik, wie es die diversen Fachsportverbände empfehlen, und sie verfügen über ausreichend eigene Erfahrung und Können. Sie können daher die physische Sicherheit der Teilnehmenden in hohem Maße gewährleisten, Risiken gut einschätzen, und ihnen stehen Notfall- und Krisenbewältigungspläne zur Verfügung. Diese Erfahrung, das Vertrautsein mit den angewendeten Methoden, geht idealerweise so weit, dass sie stets konzentriert bei der Sache sein können, auch wenn ein großer Teil ihrer Aufmerksamkeit durch die Menschen, die sie durch Prozesse begleiten sollen, eingenommen wird.

Der dritte Backstein auf der Ebene der Hardskills ist im Wesentlichen durch die Fähigkeiten im Umgang mit Natur und Landschaft gekennzeichnet. „Hinterlasse beim Kanufahren nichts als die Ringe im Wasser, die dein Paddel verursacht“ lautet die Devise, die sich auf alle Lebensräume übertragen lässt. Das Wissen darum, wie man ein Lager in der Natur baut, ist ein Aspekt – den Ort danach wieder so zu verlassen, dass man den Aufenthalt einer Gruppe kaum bemerkt, ein weiterer.

Die umgebende Landschaft und die aktuellen Begebenheiten richtig einschätzen zu können gehört ebenso zu diesen Fertigkeiten. Ist der Weg sicher? Passt die Wetterlage noch? Zeigt sich der Hang heute anders als sonst und lässt er sich weiter sicher queren? Viele derartige Fragen stellt man sich dauernd, ebenso oft bewusst wie unbewusst, und man gelangt so zu einer erfahrungsbasierten Entscheidung.

Manchmal kommen zu den Besonderheiten der Natur noch kulturelle Aspekte hinzu. Erlebnispädagogik findet in der Regel nicht auf einsamen abgelegenen Inseln statt, sondern oft mitten unter anderen unbeteiligten Menschen, deren Kultur es zu respektieren gilt. Hier sind sie empathische und informierte Kosmopoliten.

Es ist Juli 2016, und in Deutschland und Frankreich sind die Ereignisse von Nizza, Rouen, Würzburg, München und Ansbach, als psychisch extrem gestörte und teilweise auch islamistisch radikalisierte Menschen Attentate mit einem Lastwagen, mit einer Axt, Sprengstoff und einer Pistole verübt haben, noch sehr präsent. Nach vier Tagen Wildnistraining und etwa zur Kurshalbzeit bieten wir den Teilnehmenden, die bislang die Zeit auf einem abgelegenen Campingplatz am Fluss verbracht haben, die Möglichkeit, in einem 10 km entfernten Supermarkt einzukaufen. Schon sind alle abfahrbereit, doch unser Kollege ist aufmerksam: „In Anbetracht der jüngsten Vorfälle wäre es noch passend, wenn ihr alle eure Messer, die ihr am Gürtel tragt, ablegt, bevor wir in die Zivilisation zurückkehren…!“

Deutsche Reiseleiter in einem nordspanischen Küstenort an der Costa Brava haben dies übersehen. Sie inszenieren spontan einen Flashmob, bei dem zahlreiche eingeweihte Teilnehmende so tun sollen, als würden sie auf der Uferpromenade einen bekannten Star mit Kameras verfolgen. Unbeteiligte Passanten werden durch die rennende und schreiende Masse sofort an das Lastwagenattentat von Nizza erinnert und bringen sich mit Sprüngen über Mauern und in Schaufenster in Sicherheit. Es gibt nicht nur zahlreiche Verletzte, die Verantwortlichen werden zudem verhaftet.

All die oben beschriebenen Fertigkeiten und Fähigkeiten werden oft unter dem Begriff „Hard Skills“ subsumiert, und man kann sie durchaus mit der Hardware eines Computers vergleichen.

3.3.2 Softskills

Was nutzen nun alle technischen Gerätschaften und Fertigkeiten ohne die Möglichkeit, diese für die Teilnehmenden vorteilhaft einzusetzen? So wie ein Rechner umfangreiche Software benötigt, sind nun die sogenannten Softskills (Priest und Gass 2005, S. 119ff.) gefragt. Darunter werden unter anderem Fähigkeiten verstanden, die auf didaktischen und organisatorischen Grundlagen basieren. Erlebnispädagog:innen wissen daher, wie man ein erlebnispädagogisches Setting plant, wie man Aufgaben anmoderieren kann, wie ein Tag mit Arbeitsphasen und Pausen sinnvoll gestaltet wird, und verfügen über didaktische Kompetenzen.

Auf organisatorischer Ebene stellen sich viele Fragen: Wie kommt die Gruppe zum Ort der Veranstaltung? Was erlauben die Finanzen? Welche Infrastruktur ist zu organisieren (Räume, Verpflegung, Toiletten, Wetterschutz)? Was muss ich darüber hinaus über rechtliche und versicherungstechnische Aspekte wissen? Und wie kann ich die Anreise aus ökologischer Sicht möglichst passend gestalten?

Außerdem sind Erlebnispädagog:innen vertraut mit den notwendigen wald- und naturschutzrechtlichen Gegebenheiten und haben sich für die Orte, an denen sie arbeiten, Genehmigungen von Landbesitzenden, Forstämtern und Behörden eingeholt.

Ein wichtiges Element dieser Softskills liegt auf der Ebene der Prozessbegleitung. Wie setzen sie die bisherigen Bausteine so zusammen, dass sie es den Teilnehmenden ermöglichen, aus schlichten Ereignissen (wie das Befahren eines Flusses oder das Abseilen von einer Felswand) ein Stück Entwicklung werden zu lassen?

3.3.3 Metaskills