Autorenabende mit Hermann Hesse -  - E-Book

Autorenabende mit Hermann Hesse E-Book

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Beschreibung

Hermann Hesses Abneigung gegen das öffentliche Auftreten als Vorleser seiner Werke ist bekannt; er hat daraus nie einen Hehl gemacht. Dass er dennoch zwischen 1903 und 1930 mehr als einhundert Mal aus seinen Werken vorgelesen hat, wird selbst Hesse-Kenner erstaunen. Die vorliegende Dokumentation enthält erstmals sämtliche Pressestimmen und Selbstzeugnisse zu jeder Lesung.

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Seitenzahl: 564

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INHALTSVERZEICHNIS

EIN HERMANN HESSE-ABEND

ZÜRICH, Sa. 12.12.1903

ZÜRICH, Sa. 14.1.1905

AARAU, Do. 23.11.1905

WINTERTHUR, Mi. 29.11.1905

ZÜRICH, Mo. 11.12. und Mi. 13.12.1905

BERN, Di. 12.5.1908

WIEN, Do. 15.10.1908

WIEN, Do. 22.10.1908

KOBLENZ, Fr. 26.2.1909

DÜSSELDORF, So. 28.2.1909

STUTTGART, Mi. 14.4.1909

HEILBRONN, Do. 15.4.1909

ZÜRICH, Do. 17.6.1909

BREMEN, Mo. 11.10.1909

OSNABRÜCK, Di. 19.10.1909

BRAUNSCHWEIG, Mo. 25.10.1909

ST. GALLEN, Mi. 5.1.1910

ZÜRICH, Sa. 26.2.1910

STRASSBURG, Mo. 7.3.1910

BERN, Mi. 26.10.1910

ZÜRICH, Sa. 3.12.1910

BASEL, Mo. 5.12.1910

HEIDELBERG, Do. 8.12.1910

STUTTGART, Mi. 11.1.1911

TÜBINGEN, Di. 24.1.1911

ZÜRICH, Mo. 30.1.1911

FREIBURG, Di. 30.5.1911

ZÜRICH, Sa. 20.1.1912

BRÜNN, Fr. 22.3.1912

WIEN, Sa. 23.3.1912

SAARBRÜCKEN, Mo. 22.4.1912

WEIMAR, Mi. 30.10.1912

GLARUS, Do. 12.12.1912

BADEN, Mo. 13.1.1913

BRUGG, Di. 14.1.1913

WIEN, Do. 16.10.1913

BERN, So. 16.11.1913

ZÜRICH, Sa. 29.11.1913

DUISBURG, Mo. 12.1.1914

WEIMAR, Mi. 21.1.1914

BERN, Mi. 4.3.1914

BERN, Do. 10.12.1914

ST. GALLEN, Fr. 22.1.1915

EISENACH, Do. 11.11.1915

LUZERN, Do. 25.11.1915

BERN, Do. 20.1.1916

BERN, Mo. 6.11.1916

[DAVOS, Do. 1.2.1917]

ST. MORITZ, [Sa. 3.3.1917]

SCHAFFHAUSEN, Fr. 12.10.1917

ZÜRICH, Mo. 26.11.1917

BASEL, Mi. 6.10.1920

BERN, Do. 13.1.1921

ZÜRICH, Sa. 19.2.1921

ZÜRICH, Di. 22.2.1921

STUTTGART, Waldorf-Astoria Fabrik, Fr. 21.10.1921

STUTTGART, Fr. 21.10.1921

OLTEN, Do. 17.11.1921

BERN, Sa. 19.11.1921

BERN, [So. 20.]11.1921*

ST. GALLEN, Do. 12.1.1922

BASEL, Di. 17.1.1922

ZÜRICH, Mo. 23.1.1922

WINTERTHUR, Fr. 24.2.1922

THALWIL, Sa. 25.2.1922

DAVOS, So. 26.3.1922

GRENCHEN, Di. 4.4.1922

ZÜRICH, Mi. 12.7.1922

LUGANO, Mo. 21.8.1922

LUGANO, 25.1.1923

DAVOS, Mi. 14.11.1923

CHUR, Fr. 16.11.1923

THUN, Di. 15.1.1924

BERN, Do. 21.2.1924

STUTTGART, Di. 2.12.24

AARBURG, Do. 11.12.1924

LUZERN, Fr. 23.1.1925

FREIBURG, Mi. 28.1.1925

ULM, Di. 3.11.1925

AUGSBURG, Do. 5.11.1925

NÜRNBERG, Di. 10.11.1925

STUTTGART, Sa. 15.5.1926

STUTTGART, Do. 25.11.1926

DARMSTADT, Mo. 29.11.1926

MARBURG, Mi. 1.12.1926

FRANKFURT, Di. 7.12.1926

ZUG, Di. 18.1.1927

ZÜRICH, Sa. 19.2.1927

ZÜRICH, Fr. 6.5.1927

BASEL, Di. 25.10.1927

AROSA, Mo. 16.1.1928

ZÜRICH, Mo. 6.2.1928

HEILBRONN, Mo. 12.3.1928

STUTTGART, Mi. 14.3.1928

AROSA, Fr. 15.2.1929

MÜNCHEN, Sa. 20.4.1929

ULM, Mo. 22.4.1929

TÜBINGEN, Di. 5.11.1929

STUTTGART, Do. 7.11.1929

BERN, Do. 5.12.1929

ROMANSHORN, So. 23.3.1930

ST. GALLEN, Di. 25.3.1930

KILCHBERG, Di. 9.12.1930

BADEN (AARGAU), Mi. 17.12.1930

SIGLEN UND LITERATURHINWEISE

LESUNGEN

EIN HERMANN HESSE-ABEND

Es war die Zeit vor einem großen jährlichen Feste, das den Sinn hat, einesteils die Industrie zu fördern und einige Wochen lang den Handel zu beleben, andererseits aber durch das Ausstellen von abgesägten jungen Bäumen in allen städtischen Wohnungen eine Art von Erinnerung an die Natur und den Wald zu erwecken und die Freuden des Familienlebens zu feiern. Auch dies war ein Spiel und Übereinkommen, das ich bald durchschaute. Weder gab es jemand, dem die Erinnerung an Natur und Wald ein Bedürfnis gewesen oder der doch so töricht gewesen wäre, diese Zimmertannen für ein geeignetes Mittel zur Pflege der Naturfreude zu halten, noch auch wurde Familie, Ehe und Kindersegen von der Mehrzahl des Volkes sehr verehrt, sondern nahezu allgemein als eine Last empfunden. Aber das Fest beschäftigte vier Wochen lang Millionen von Angestellten und machte zwei Tage lang der gesamten Bevölkerung sichtlichen Spaß. Sogar mir, dem Fremden, bot man süßes Backwerk an und wünschte frohe Feiertage, und einige Stunden lang wurden in Häusern, denen dies recht ungewohnt war, Orgien von Familienglück begangen.

In dieser Zeit sah übrigens die Stadt reizend aus. In den breiten Geschäftsstraßen strahlte Tag und Nacht Haus an Haus und Fenster an Fenster von Lichtüberfluß, von ausgestellten Waren, von Blumen, von Spielzeug, und es schien das ganze so schwere und ernste Arbeitsleben all der Millionen in der Tat ein witziges und gut ausgedachtes Unterhaltungsspiel zu sein. Störend freilich für den Fremdling war die Sitte der Gastwirte, auch an jenen Stätten der Betäubung, wo man Natur, Familie, Geschäft und alles für Stunden zu vergessen und in wohlschmeckenden Getränken wegzuspülen sucht – auch an diesen stillen Trink- und Rauchstätten Lichterbäume mit oder ohne Musik aufzustellen, welche hier noch mehr als in den Privathäusern einen Glanz und eine Sentimentalität ausstrahlten, in welcher das Atmen schwer wurde.

Eines Abends, noch ehe die Festtage begonnen hatten, saß ich bei einer Eierspeise und einem halben Liter Rotwein leidlich zufrieden in einem Wirtshause, da fiel mir die Ankündigung einer Zeitung ins Auge, die mich sofort fesselte. Es war da ein Hermann-Hesse-Abend von einem literarischen Verein veranstaltet, dessen Besuch sehr empfohlen wurde. Schleunigst ging ich hin, fand das Haus und den Saal und an der Saaltüre einen Kassier, den fragte ich, ob Herr Hesse selber auftrete. Er verneinte und suchte sich zu entschuldigen, aber ich beruhigte ihn mit der Bemerkung, daß ich nicht den mindesten Wert auf die Mitwirkung dieses Herrn lege.

Ich bezahlte eine Mark und bekam ein Programm, und nachdem ich eine Weile gesessen und gewartet hatte, ging die Veranstaltung los. Da hörte ich eine Reihe von Dichtungen, die ich in meinen jüngeren Jahren geschrieben hatte. Ich hatte damals, als ich sie schrieb, noch die Neigungen und Ideale der Jugend, und es war mir mehr um Schwärmen und Idealismus zu tun als um Aufrichtigkeit; ich sah darum das Leben vorwiegend hell und bejahenswert, während ich es heute weder liebe noch verneine, sondern eben hinnehme. Es war mir daher merkwürdig, in diesen Dichtungen meine eigene Stimme aus der Jugendzeit her reden zu hören. Die Dichtungen waren zum Teil durch Komponisten in Musik gesetzt und wurden von hübsch gekleideten Damen vorgesungen, teils auch wurden sie deklamiert oder vorgelesen, und ich konnte zusehen, wie derjenige Teil der Zuhörerschaft, der jugendlich und sentimental fühlte, die Darbietungen einschluckte und dazu empfindsam lächelte, während ein anderer, kühlerer Teil der Hörer, zu dem auch ich zählte, unbewegt blieb und entweder ein wenig mißachtend lächelte oder einschlief. Und mitten in all dem Beobachten und in der Verwunderung über die hübsche Seichtigkeit dieser Dichtungen, die mir doch einst so wichtig und heilig gewesen waren, konnte ich in mir trotz allem ein gutes Stück Eitelkeit beobachten, denn ich war jedesmal enttäuscht und etwas verletzt, wenn Sängerin oder Vorleser, wie dies ja üblich ist, einzelne Worte in den Gedichten ausließen oder durch andere ersetzten. Indessen bekam diese ganze Abendunterhaltung mir nicht gut, ich konnte den Schluß nicht abwarten, weil ein trockenes und bitteres Gefühl in Kehle und Magen mich von dannen trieb, das ich dann mit Cognac und Wasser stundenlang vergeblich zu vertreiben suchte. Auch bei dieser literarischen Abendunterhaltung, wo ich doch gewissermaßen als Sachverständiger und Fachmann gelten konnte, bemerkte ich wieder diese Isolierung, die mich zum Eremiten bestimmt und welche darin besteht, daß ich in mir ein unergründliches Verlangen trage, das Menschenleben ernst nehmen zu können, während alle anderen es nach einer geheimen, mir unbekannten Spielregel als ein amüsantes Gesellschaftsspiel betrachten und vergnügt mitspielen.

(Teilabdruck aus Hermann Hesse: »Ausflug in die Stadt«, 1925) Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlages, Berlin

ZÜRICH, Sa. 12.12.1903

VERANSTALTER:

Literarischer Klub, Lesezirkel Hottingen

ORT:

Seehof

PROGRAMM:

Gedichte, u. a.:

- Die Zypressen von San Clemente

- Eine Geige in den Gärten [?]

An Fritz Marti, 20.11.1903: Für Ihre gütigen Worte sage ich schönen Dank. Allerdings kann ich mir Ihren Club nicht recht vorstellen. Ich bin ein sehr bescheidener Wald- und Flurpoet, der höchstens einmal zwei Freunden etwas vorgelesen hat, der seit zwei Jahren nie in einer Gesellschaft war und an Gehrock oder Gesellschaftsanzug und Manschetten schon deshalb nicht gewöhnt ist, weil er nichts davon besitzt.

Ich glaube, ich würde bei Ihnen doch befangen sein. Wenn ich in einem gewöhnlichen sauberen Rock kommen kann und wenn Sie mit meinem ganz ungeschulten Lesen vorliebnehmen wollen, kann ich ja wohl einmal kommen. Manuskript habe ich zur Zeit sehr wenig verfügbar, doch schrieb ich dies Frühjahr in Venedig ein Notizbuch voll Verse, die vielleicht gerade hierzu passend sind. Auch wenn der Club mir die Reise zahlen will, ist es doch vielleicht lächerlich, einen halben Tag Eisenbahn zu fahren, lediglich um ein paar Gedichte vorzulesen. Auch bin ich ein Feind von Hotels und habe in Zürich keine Freunde. Somit dürfte es diesen Winter nicht wohl dazu kommen. […] Vielleicht warten wir ein anderes Jahr ab, oder machen Sie mir sonst Vorschläge. Daß ich mich drücken will, beruht hauptsächlich auf Feigheit. [GB1,114f]

NZZ, Nr. 344 v. Sa. 12.12.1903, Abendblatt S. 2:

Literarischer Klub. Nachdem in der letzten Sitzung Hr. Dr. Hans Trog in interessanter Weise über Gaspard Vallettes neues Buch […] berichtet […] hatte, kommt in der heutigen Sitzung ein Dichter zu Worte. Herr Hermann Hesse aus Calw, der sich durch seinen Band hervorragender lyrischer Gedichte und neuestens durch seinen Roman »Peter Camenzind« den Ruf eines talentvollen und feinsinnigen Poeten erworben, liest eine Auswahl eigener Dichtungen vor.

Basler Nachrichten v. 30.12.1903:

Der literarische Klub des Lesezirkels Hottingen in Zürich hat seine letzte Sitzung im Jahre 1903 einem feinen Lyriker, Hermann Hesse, gewidmet, der hier in intimem Kreise seine Gedichte vorlas. Hesse lebte längere Zeit in Basel und ist Ihren Lesern kein Unbekannter.

Er ist kein Rezitator, nicht einmal ein guter Vorleser. Nicht im geringsten darauf bedacht, Effekte zu erzielen, las er allzu schnell, so daß die Gefahr einer Verwischung der Eindrücke vorhanden war. Dennoch war bald der Kontakt zwischen Dichter und Zuhörern hergestellt, und jeder, der diesen Abend mitgemacht hat, wird sich freuen, Hesse persönlich kennengelernt zu haben und wird öfter und mit größerer Teilnahme in seinen Gedichten lesen.

Der ganze Mensch machte eben so sehr den Eindruck der Echtheit und Schlichtheit, in seiner Stimme klang so viel Innigkeit mit, wozu auch der leise Dialektanklang beitrug, daß man sofort ein inneres Verhältnis zu diesen Liedern voll Heimatsehnsucht, Trauerstimmung und sanfter Farbe und Melodie bekam. Gedichte wie Die Zypressen von San Clemente oder das Geigerlied zeugen von einer solchen Feinhörigkeit für das geheimste Weben der Natur, wie andere von ›herzlicher Phantasie‹ und von zartestem Mitempfinden mit den Meistern der bildenden Kunst. So fand mit der Veranstaltung, zu der sich die Mitglieder zahlreich eingefunden hatten, das Jahr einen harmonischen Ausklang. [HH-Augenz., S. 495]

NZZ, Nr. 351 v. 19.12.1903, Morgenblatt, S. 2 u. 3:

Im Literarischen Klub des Hottinger Lesezirkels war am letzten Samstag, 12. Dez., der Dichter Hermann Hesse zu Gast. Es ist ungefähr ein Jahr verflossen, seit wir in diesem Blatte den an süßen und schmackhaften Früchten reichen Band der Gedichte Hesses angezeigt haben. Die Aufmerksamkeit der für Poesie sich Interessierenden war rege geworden, der Gedanke, den Dichter einmal im einfachen Klubkreis der ›Literarischen‹ im Seehof zu sehen, lag nahe, und der zahlreiche Besuch des Abends bewies, daß man richtig kalkuliert hatte. Herr Hesse, zurzeit in Calw lebend, stellte sich nur als Lyriker vor; vom Prosadichter, dessen stimmungsreicher Roman Peter Camenzind im Dezemberheft der Neuen Deutschen Rundschau (oder, wie sie künftig heißt, der Neuen Rundschau) seinen Abschluß gefunden hat – vom Prosadichter erhielt man kein Bild, was wir eigentlich bedauert haben. Seine Lyrika las der Dichter einfach, ohne alle Kunstentfaltung, fast puritanisch vor; um so stärker wog der spontane Beifall, der nach mehr als einem der Gedichte losbrach und der am Schluß dem Gast den herzlichen Dank der Hörer verdolmetschte.

Muntere Handwerksburschenlieder, kecke Gondelgesänge aus der Lagunenstadt – noch klingt uns das Ohì cara la mia Nina im Ohr – wechselten mit edlen Tönen, Liedern voll feiner, stiller Schönheit und süßen Wohllauts. Was für herrliche Heimlichkeiten hat Italien diesem Wanderer mit dem schönheitsdurstigen Auge, dem frohen, dankbaren Sinn, der reichen Bildung, der schöpferischen Phantasie geoffenbart! Zum Gedruckten, was in den Gedichten steht, kam mancherlei Ungedrucktes, was des Drucks – und stellenweise auch der Feile – noch harrt. Eine tiefangelegte, sympathische Persönlichkeit trat aus allem dem uns entgegen, deren Bekanntschaft sich reichlich lohnte. Der Januar wird uns den Roman Peter Camenzind in Buchform bescheren.

W. M. »Frühe Briefe Hermann Hesses«. NZZ v. 22.7.1952. In: HH-Augenz., S. 494f

[Auszüge aus Hesses Brief an Marti und kurzes Zitat aus der Besprechung der NZZ v. 19.12.1903]

An R. Wackernagel, 6.1.1904: Im Dezember war ich in Zürich im literarischen Klub und dann eine herrliche Woche am Bodensee. [EAM]

An Karl Lichtenhahn, Calw 5.2.1904: Daß ich Sie zu der Zürcher Seiltänzerei nicht einlud, war ja selbstverständlich. Es war niemand von meinen Freunden dabei. Desto froher und schamloser genoß ich dort alles Gute, denn die Sache lief im Wesentlichen auf eine stilvolle Trinkerei hinaus, die ich nur selten und ungern durch einige Verse unterbrach. Die Verse – es waren schlechte – verkaufte ich dann gleich an den Redakteur der »Schweiz«, der sie in der Weinlaune für gute hielt und sich jetzt jedenfalls ziemlich geeulenspiegelt vorkommt. [War Gast des Redakteurs Hans Trog, den er noch von Basel kannte, und machte die Bekanntschaft des Malers Ernst Würtenberger, mit dem er sich anfreundete.] [EAM]

ZÜRICH, Sa. 14.1.1905

VERANSTALTER:

Literarischer Klub, Lesezirkel Hottingen

ORT:

Seehof

PROGRAMM:

Donna Margherita und der Zwerg Filippo

An Theo Baeschlin, Gaienhofen, 26.12.1904: Im Januar will ich, um wieder einmal zu einer Sauferei zu kommen, für einen Abend in den Literarischen Klub nach Zürich gehen. Auch nach München ginge ich gern ein paar Tage, doch wird wohl nichts daraus werden. Man ist eben angebunden, wenn auch ›nur‹ moralisch. Und wenn Du einmal Lust zum Heiraten hast, so tue es spät oder nie; es ist eine Rose mit Dornen. [EAM]

NZZ, Nr. 14 v. Sa. 14.1.1905, Abendblatt, S. 2:

Kleine Chronik – Nachdem in der letzten Sitzung des vergangenen Jahres der literarische Klub des Lesezirkels Hottingen die Bekanntschaft mit dem Bauerndichter Alfred Huggenberger erneuert hatte […], bringt die erste Sitzung des neuen Jahres den Besuch eines lieben Gastes von anerkannter Bedeutung und gesichertem Ruf. Hermann Hesse, der kürzlich mit dem Bauernfeldpreise gekrönte Dichter des beinahe zu einem Modebuch gewordenen Romans Peter Camenzind, den Lesern der Neuen Zürcher Zeitung auch bekannt als Verfasser des Romans Unterm Rad, wird eine Anzahl seiner neuesten Dichtungen vorlesen.

NZZ, Nr. 20 v. 20.1.1905, 2. Abendblatt, S. 1f.:

Kleine Chronik – Der Ruf Hermann Hesses, des Verfassers des bereits der zwanzigsten Auflage nahegerückten Romans Peter Camenzind, übte für die letzte Sitzung des Literarischen Klubs eine solche Zugkraft aus, daß das Sitzungslokal im ›Seehof‹ kaum die enggedrängte Zuhörerschar zu fassen vermochte. Herr Hesse, eine jugendlich schlanke und kräftige Erscheinung, deren jeder Pose abgeneigtes, natürliches und einfach-schlichtes Wesen nicht nur warme Sympathien für seine Person weckte, sondern auch eine sichere Gewähr für sein künftiges poetisches Schaffen bietet, las zum Eingang seines Vortrags eine Anzahl lyrischer Gedichte, die sich ebenso sehr durch Einfachheit, Tiefe und Originalität des Empfindens, als durch zwingende Stimmungskraft der Gestaltung auszeichneten. Die daran sich anschließende Vorlesung der Novelle Donna Margherita und der Zwerg Filippo bot eine interessante und hübsche Probe der Hesseschen Erzählungskunst, eine originelle und spannende Fabel in anschaulicher, flüssiger Darstellung mit dem Venedig des siebzehnten Jahrhunderts als Rahmen. So gesund deutsch Hesses natürlicher und zugleich eleganter Stil ist, so versteht es der Dichter doch vorzüglich, den Stil und Ton fremder Zeiten und Kulturen zu treffen. Die zahlreiche Zuhörerschaft drückte dem Dichter ihren Dank für den poetisch gehaltvollen und fesselnden Abend durch lebhaften Beifall aus. - F[ritz] M[arti]

AARAU, Do. 23.11.1905

VERANSTALTER:

Literarische und Lesegesellschaft

ORT:

Großer Saal des Saalbau

PROGRAMM:

- Aus der Werkstatt

- Gedichte:

- Odysseus. Bei Livorno

- Ich bin nur einer

- Die Zypressen von San Clemente

Neue Aargauer Zeitung, Nr. 318 v. Do. 23.11.1905:

Hermann Hesse. Zum 2. Vortrag der Literarischen Gesellschaft. Hermann Hesse ist berühmt geworden durch seinen ersten Roman Peter Camenzind, ein Werk, in dem man den Pulsschlag des Lebens fühlt, den Strom der Welt branden hört, wie das Rauschen des Meeres in einer ans Ohr gehaltenen Muschel. Dieser kosmische Zug mag ihm die Ehre eines Vergleichs mit Gottfried Keller eingetragen haben. Auch ist Peter Camenzind wie der Grüne Heinrich ein Entwicklungsroman. Wie auch Goethes Wilhelm Meister, wie Heinrich von Ofterdingen des Novalis, des tiefsinnigsten Vertreters der ältern Romantik. Und schließlich: wie unzählige Romane unserer Zeit, von denen ich an die herrlichen Werke der Ricarda Huch in erster Linie erinnern möchte. Die Entwicklung eines Geisteslebens wird in diesen Werken dargestellt. Die ganze Welt, die den Charakter des Helden beeinflußt, in der er erwächst, spiegelt sich in der Schilderung, so daß »Roman« – worunter man anfangs »romanische Erzählung« und dann die, zumeist etwas phantastische, abenteuerliche Prosadichtung überhaupt verstand – schließlich die Bedeutung erhielt, die Schlegel dahin charakterisierte: »die Summe alles Poetischen, ein Spiegel der umgebenden Welt, ein eposartiges Bild des Zeitalters«. Ein Bild, das wir mit den Augen dessen betrachten lernen, der es uns hingezaubert hat. Denn immer ist es der Dichter, der uns sich selbst schildert. Wir folgen ihm auf seinen subjektiven Standpunkt der Weltbetrachtung, wir fühlen uns in ihn hinein, unbewußt. Ich erinnere mich, oft dem Gedanken nachgehangen zu haben, wie es nun wäre, wenn wir nicht vom Standpunkt des Dichter-Helden aus eine Geschichte erlebten, sondern von dem irgend einer anderen Gestalt der Erzählung, – vielleicht einer vom Dichter als Nebenperson behandelten, die es aber an und für sich nicht zu sein brauchte – : ein neuer Roman entsteht, – den freilich auch der Dichter des ersten verfaßt haben könnte: denn auch in seinen Nebenfiguren leben Züge des Dichters. Dieses Umfassen kennzeichnet die geniale Veranlagung. Goethe ist sowohl Faust als Mephistopheles.

Noch ein dritter gemeinsamer Zug hat Hermann Hesse in unserer Schlagworte liebenden Zeit der Klassifikation zum »Schüler« Gottfried Kellers gemacht. Heute machen sich stark romantische Strömungen geltend. Eine junge Generation blickt verehrend zu den Romantikern der 1. Hälfte des vorigen Jahrhunderts auf, – nicht aus literarischer Marotte, sondern weil sich diese Generation des romantischen Zuges in ihrem eigenen Fühlen und Denken bewußt wird. Der Entwicklungsgang des geistigen Lebens zeigt (wie die Kantische Kategorienlehre) ein Fortschreiten von der Thesis zur Antithesis, der idealistischen Weltauffassung zur realistischen, und die heutige Neoromantik mag nun als die Synthesis, die Verbrüderung des feindlichen Paares, erscheinen. Ein neuer Romantiker ist auch Hesse. Durch den Titel seines ersten Opus, eines Bändchens Gedichte, die er Romantische Lieder nannte, hat er sich selbst als dieser Geistesrichtung zugehörig bezeichnet. Aber auch seine Romantechnik ist eminent romantisch: ein glänzendes Beherrschen des Stofflichen, ein Spielen damit, – ohne es jedoch als unbedeutend zu vernachlässigen. Dazu kommt die beständige Beziehung zur herrlichen Natur, ein kosmischer Individualismus, wie er auch Gottfried Keller auszeichnet. Auch Gottfried Keller verstand jene meisterhafte – echt romantische – Kunst der Erleuchtung des Stoffes von innen heraus. Werke dieser Art gemahnen an feine Radierungen, deren Kunst unendlich größer ist als die großer, farbenreicher, aber objektiver Gemälde.

Hesse ist ein tief empfindender Lyriker, ein heißer Anbeter der ihn umgebenden Natur und Welt; seiner Abhängigkeit von ihnen rühmt er sich: sie ist eins der besten Stücke seiner Begabung. Er holt seine Begeisterung nicht aus Japanseide und altem Büttenpapier, aus Scharteken, mit wunderbarlichen Kupffern illuminieret, die in alter grotesker Sprache erzählen. Seine ohnfreywillige Reise, die kürzlich in Schweiz erschien, ist hoffentlich das lustige Spiel einer müßigen Stunde und veranlaßt ihn nicht, in unserer an literarischen Experimenten und Spielereien so reichen Zeit uns etwas Neues »dafnis«-artiges zu bescheren. Sein Reich ist der Mensch, die Natur, der er Farbenspiele und Geheimnisse abzuspähen versteht, das lebendige Leben, das »überströmend freudige Leben, das sich ohne Ziel und Norm von Augenblick zu Augenblick in unglaublicher Üppigkeit verblutet und erneuert«.

Hesse wurde 1877 in Calw (Schwarzwald) geboren. Seine Kindheit hat er teils dort, teils in Basel verlebt, kam dann ein Jahr ins theologische Seminar Maulbronn, dann aufs Gymnasium. Es folgte eine 1 ½ jährige Praktikantenzeit in einer Schlosserei; dann wurde H. Sortimentsbuchhändler, dann Antiquar in Tübingen und Basel. Dazwischen Reisen in Süddeutschland, der Schweiz, Florenz, Venedig und private Studien. Zuweilen gab es auch harte Hungerzeiten. Seit Sommer 1903 gab er den Beruf als Antiquar auf, 1904 verheiratete er sich mit einer Baslerin und lebt nun der Schriftstellerei in Gaienhofen am Bodensee.

Geschrieben hat er:

Romantische Lieder. 1898. (Pierson, Dresden)

Eine Stunde hinter Mitternacht. 1899. (Diederichs, Jena)

Lauschers Schriften. (Pseudonym.) 1900. (Basel. R. Reich)

Gedichte. 1902. (Grote, Berlin)

Peter Camenzind. 1904. (Fischer, Berlin)

Unterm Rad. 1905. (Fischer, Berlin)

[noch nicht identifizierte] Aargauer Zeitung:

Hermann Hesse-Abend. Die Dichterabende, welche die Literarische Gesellschaft in Aarau einführte, haben den Zweck, lebendige Beziehungen zu schaffen zwischen Autoren und Publikum. Gestern Abend nun hatte der Verfasser des vielgenannten und vielgelesenen Peter Camenzind die Freundlichkeit, sich dem literaturfreundlichen Aarau vorzustellen. Der ausgezeichnete Poet gab sich mit der ganzen Ungezwungenheit seines Wesens, so daß man das Gefühl bekam, nicht im Konzertsaal unter 600 Menschen zu sitzen, sondern bei dem Dichter privatim zu Gaste zu sein. Nicht im schwarzen Rock, sondern in brauner Joppe und in Kniehosen, in seinem Alltagskleide, setzte sich Hermann Hesse an ein Tischchen, las seine Verse und zwei Novellen vor und trank dazu eine Flasche Wein.

Das Auditorium lauschte ihm mit Wohlgefallen und spendete häufig herzlichen Beifall.

Der eigenartige Dichter, der erst im Anfang seiner Laufbahn steht, wird noch viel von sich reden machen. Und immer, wenn das der Fall sein wird, werden sich alle, die gestern zugegen waren, mit Vergnügen des Abends erinnern, da sie zu seinen Füßen saßen. [EAM. Gekürzte Fassung auch in: Über H. H. Bd. 1, S. 402f.]

Aargauer Tagblatt Nr. 320 v. Fr. 24.11.1905, S. 3:

Vor dichtgefülltem Saale trug gestern abend der Verfasser des Peter Camenzind, Hermann Hesse, einige noch ungedruckte Schöpfungen seines dichterischen Schaffens vor. Der Vortragende hatte das Programm aus einer Novelle und verschiedenen kleineren Poesien, teils in gereimter, teils in ungereimter Sprache zusammengefaßt. Die Novelle: Aus der Werkstatt verriet, daß Hermann Hesse es versteht, in prägnanter Form uns eine Schilderung aus dem Leben zu geben. Man fühlt geradezu die gedrückte Stimmung, die schwüle Luft, die in eine mechanische Werkstatt wegen eines Streites zwischen dem Meisterssohn und dem besten Gesellen eingezogen ist; man sieht die zwei vor sich, wie der langverhaltene Groll zum Ausdruck kommt, der Geselle vom Meister einen Faustschlag ins Gesicht erhält und der Geselle dafür mit gewaltigen Hammerschlägen eine durch gemeinsame Arbeit der beiden fertiggestellte Erfindung vernichtet. Dann zieht die Reue ein; noch eine kurze Weile stehen sie sich gegenüber, hierauf verläßt der Geselle die Werkstatt, um sie nicht wieder zu betreten. – Die Gedichte, die Hermann Hesse vortrug, haben fast ohne Ausnahme einen schwermütiglyrischen Charakter. Gefallen hat vor allem die Schilderung seiner eigenen dichterischen Schaffenskraft und Schaffensfreudigkeit: »Ich möchte wohl wie große Dichter tun …«, dann das Sinngedicht: Odysseus , ein Abend bei Livorno, die tiefernste Betrachtung über die Zypressen bei San Clementi, einem kleinen Tal bei Fiesoli.

Freilich, zum Vortrag eignet sich die Stimme Hesses nicht besonders. Sie ist wenig laut, so daß man schon in der Mitte des Saales oft nicht alles verstand, dazu mangelt ihr eine gewisse Beweglichkeit, die notwendige Modulationsfähigkeit. Dafür gab uns der Dichter ein Stück seines eigenen Wesens, sein eigenstes Sein. Und das ist mehr. Das ist auch der vornehme Zweck der Veranstaltung: unser Publikum soll mit dem Träger eines Namens, der sich in der deutschen Literatur in kurzer Zeit einen Platz an erster Stelle erworben hat, bekannt werden, ihm persönlich näher treten, soll bei seinem Vortrage mitdenken und mitfühlen. Das hat Hermann Hesse gestern erreicht.

WINTERTHUR, Mi. 29.11.1905

VERANSTALTER:

Komitee der Freien Schule

ORT:

Theatersaal des Kasinos, 20 Uhr

PROGRAMM :

- [Reisetagebuchskizze]

- Der Flieger [= Herbst]

- Gedichte

Neues Winterthurer Tagblatt Nr. 279 v. Mo. 27.11.1905, 1. Blatt, S. 3: Kasino-Vortrag. Am Mittwoch abend haben wir die Freude, Hermann Hesse kennenzulernen, den jungen, vielversprechenden Dichter, der durch sein Leben und Schaffen auch mit unserm Lande verbunden ist. Sein prächtiger Roman Peter Camenzind, der in kaum zwei Jahren über 20 Auflagen erlebt hat, spielt auf Schweizer Boden. Kürzlich hat ein neues Werk Unterm Rad seinen Lauf durch die Länder deutscher Zunge angetreten. Eine erste Sammlung von Gedichten ist lange erschienen. Hermann Hesse wird uns in Winterthur Allerneuestes bieten: eine Novelle und Lyrisches. Auch der Lesezirkel Hottingen hat ihn für zwei Abende im Dezember eingeladen. Wir hoffen, daß die Freunde des Dichters und vorzüglichen Erzählers am Mittwoch sich zahlreich einfinden werden (gefälligst punkt 8 Uhr) Vorverkauf der Plätze bei J. Ruckstuhl & Cie.

Neues Winterthurer Tagblatt Nr. 285 v. Mo. 4.12.1905:

Hermann-Hesse-Abend. Letzten Mittwoch hatte das Komitee der Freien Schule dem Winterthurer Publikum Gelegenheit geboten, sich mit Hermann Hesse bekanntzumachen, soweit das eben auf diese Weise möglich ist. Der Kasinosaal war wohl angefüllt; viele werden gekommen sein, um den Mann zu sehen, den man gemeinhin nur noch den ›Verfasser des Peter Camenzind‹ nennt. Sein Vorlesen eigener Dichtungen bestand aus einer Reisetagebuchskizze, aus Gedichten und aus einer Erzählung aus dem Elsaß. In der Skizze bewunderten wir die plastische, stimmungsvolle Darstellungsweise; beim Flieger, der legendenartigen Erzählung aus dem Elsaß, schien uns die Einleitung dem Thema gegenüber den Vorzug zu verdienen. Beim Anhören der Gedichte blieb uns kaum Zeit, ihren Gehalt aufzunehmen. Es waren Natur- und Wanderlieder, venezianische Gondelgespräche und zwei humorvolle Handwerksburschenlieder. – Es ist vom Dichter keineswegs zu verlangen, daß er zugleich Rezitator sei; auch Hermann Hesse ist nichts weniger als der Interpret seiner Muse. Es würde sich daher empfehlen, den Dichter nur einen kleinen Teil des Abends, etwa mit einer Tagebuchskizze, biographischem Gesamtüberblick oder Einzeldarstellung in Anspruch zu nehmen, dafür aber einem geeigneten Meister des Vortrags das Wort zu erteilen, um uns die Schönheit der Werke des Dichters näherzubringen. - K.

Der Landbote Nr. 283 v. Fr. 1.12.1905, 1. Bl., S. 2:

Schlicht in seinem Auftreten stellte sich den zahlreichen Besuchern des gestrigen, vom Komitee der Freien Schule veranstalteten Vortrags der Schriftsteller Hermann Hesse vor. Der Hauptteil seiner mit zwei Prosaskizzen eingerahmten, gerade einstündigen Vorlesung meist schon erschienener Produkte bestand aus Gedichten, von denen viele aus den Wanderjahren des Dichters stammten, da dieser mit allerhand Leuten Umgang gewann. In diesen bilderreichen und von romantischer Grundstimmung zeugenden Versen wird viel verträumte Sehnsucht laut; von Wein, Lied und Frauenschönheit ist hier – wie ja auch in Hesses bekanntem Roman – des öftern die Rede. Während manches Gedicht warm, ja innig berührte, so sucht die Mehrzahl, zuweilen anklingend, durch den Glanz des Stils zu wirken. Auch eine gewisse Melancholie durchwehte sie. Seine künstlerische Eigenart sprach Hesse aus mit Worten, die – dem Erinnern nach – so lauten: »Ich bin ein Sucher nur, der durch die Welt, in Sonne, Staub und Wind, begierig tastet nach der Schönheit Spur«. Viele hat’s interessiert, den Dichter des Peter Camenzind, der – des gesprochenen Worts nicht ebenso mächtig erscheinend – bei seinem einfachen Gehaben uns doch in freundlichem Erinnern stehen wird, auch von Person kennenzulernen.

[Hesse soll zu dieser Lesung aus Gaienhofen mit dem Fahrrad gekommen sein. Nachzulesen in: 50 Jahre Literarische Vereinigung Winterthur. Hrg. von der Literarischen Vereinigung. Verlag W. Vogel, Winterthur 1967, S. 8]

ZÜRICH, Mo. 11.12. und Mi. 13.12.1905

VERANSTALTER:

Lesezirkel Hottingen

ORT:

Kleiner Tonhallesaal

PROGRAMM:

- Aus Kinderzeiten

- Gedichte:

- Bergeist

- Zwei Lieder eines Trinkers

- Die Zypressen von San Clemente

- Im Nebel

- Der Zwerg

NZZ Nr. 342 v. 10.12.1905, 1. Beilage:

Der zweite literarische Abend des Lesezirkels Hottingen bringt als Gast den Dichter Hermann Hesse, der in jüngster und in kürzester Zeit berühmt geworden ist durch den großen Erfolg seines Romans Peter Camenzind mit seinen prächtigen lyrischen Partien über die Wolken, den Föhn und – den Veltliner. Für viele wird Hesse als Dichter des Camenzind und des Weines geaicht bleiben. Hesse ist aber nicht bloß ein famoser Erzähler, der sich an den großen romanischen Fabulisten des Mittelalters geschult hat, sondern auch ein bedeutender Lyriker, in dessen Gedichten von großer Stimmungskraft sich eine schlicht natürliche, aber tiefe und starke Persönlichkeit mit großer Kunst ausspricht. Wenn wir hinzufügen, daß Hesse zu den Schwaben gehört, die in jüngster Zeit gegenüber dem Berliner Literatentum eine gesunde, wieder reiner Schönheit zugewendete Poesie vertreten und das literarische Schwergewicht gegen Süden verschoben haben, so ist diese Mitteilung für patriotische ehrgeizige Gemüter dahin zu ergänzen, daß Hermann Hesse ursprünglich, wie es jetzt noch seine Familie ist, Schweizerbürger war, seine erste Kindheit in Basel verlebte und erst später in Schwaben eingebürgert wurde. Die vielen Freunde der Muse des Dichters werden sich darauf freuen, auch die Bekanntschaft des originellen Menschen Hesse zu machen. - F.[ritz] M.[arti].

NZZ Nr. 346 v. 14.12.1905, Morgenblatt:

Zweiter literarischer Abend des Lesezirkels Hottingen. Hermann Hesse. Viele der Zuhörer, die am Montag und Mittwoch den kleinen Tonhallesaal füllten, mochten überrascht sein von der jugendlich schlanken, fast zarten Erscheinung des in so jungen Jahren berühmt gewordenen Verfassers des Peter Camenzind, wobei ihnen sicher das geistvolle Antlitz bei aller Jugendlichkeit der feingeschnittenen, aber energischen Züge das Wunder erklären mochte. Und wirklich, Hermann Hesses Muse entbehrt wie sein Äußeres trotz der feinen Gliederung und stahlartigen Schmiegsamkeit nicht der Kraft. Und mit dieser sicher in sich ruhenden Kraft hängt die gesunde Natürlichkeit und die jeder Pose abholde Schlichtheit zusammen, die dem Menschen Hesse wie seiner Dichtung eigentümlich sind. Schlicht natürlich waren denn auch Auftreten und Vortrag, letzterer zugleich auch völlig kunstlos in seiner geringen Modulation. Aber man tut unrecht, von dem Dichter, den man zur Interpretation seiner Werke gewinnt und der auch darin seine Persönlichkeit bietet, auch die Kunst des Berufsrezitators zu verlangen. Man darf zufrieden sein, wenn seine Dichtungen wenigstens deutlich zum Vortrag gelangen und nicht wesentlich von ihrer Eigenart und Schönheit verlieren. Und diese Forderung wurde durch Hesse vollständig erfüllt. Seine am Anfang vorgelesene größere Prosaskizze Aus Kinderzeiten fesselte und ergriff durch den Stempel absoluter Wahrheit der zahlreichen kinderpsychologisch so feinen Züge. Auch die Naturschilderungen, in denen sich, wie in Peter Camenzind, das tiefe Naturgefühl mit scharfer Beobachtung verbindet, gelangten zu schöner Wirkung. Wie schön und ergreifend ist in dieser Jugenderinnerung die Parallele zwischen der aufgehenden Blume und dem verwelkenden Knaben. Dagegen gelangten die fünf vorgelesenen Gedichte Berggeist, Zwei Lieder eines Trinkers, Die Zypressen von San Clemente und Ein Gang im Nebel, deren Auswahl zudem kein ausreichendes Bild des Lyrikers Hesse bot, nicht völlig zu ihrem Rechte, wenn auch das letzte durch seine gedankentiefe Pointe einen gewissen Eindruck nicht verfehlte. (Dem kleinen Kreise, welcher sich nach der offiziellen Veranstaltung zum sog. gemütlichen Akte um den Dichter scharte, war es vergönnt, eine Anzahl Lieder Hesses, die ein junger Zürcher Musiker, Herr Hans Lavater, artig in Musik gesetzt, vom sympathischen Sopran der Frl. Vera aus Winterthur unter der Begleitung des Komponisten wirkungsvoll vorgetragen zu hören.) Den alten großen italienischen Novellisten, an denen sich Hesse geschult, in Inhalt und Ton glücklich nachgebildet ist die Novelle Donna Margherita und der Zwerg Filippo, die das Programm des Abends beschloß. Dabei ist der Stoff völlig die originelle Erfindung des Dichters, wie denn auch die Idee, nach welcher der Zwerg für die an seinem Hündchen verübte Grausamkeit so furchtbare Rache an dem Bräutigam seiner Herrin nimmt, das Gepräge des mit der stummen Kreatur fühlenden Dichters besitzt. Die Zuhörer wußten dem Lesezirkel warmen Dank dafür, daß er ihnen die persönliche Bekanntschaft eines so echten Dichters wie Hermann Hesse vermittelt hat. - F[ritz] M[arti].

An Frau Lichtenhahn (Basel): Um auf die Kosten des Kindbetts zu kommen, lese ich […] ausnahmsweise in Zürich aus meinen bekannten schönen Dichtungen vor, was ich als einen Ulk betrachte. [Auktionskatalog Stargardt, März 1988, S. 58]

BERN, Di. 12.5.1908

VERANSTALTER:

Freistudentenschaft

ORT:

Großratssaal

PROGRAMM:

- Das Feldteufelchen

- Gedichte

- Der Monte Giallo [Der geheimnisvolle Berg]

- Karneval

An Freistudentenschaft Bern, 10.3.1908: […] Eigentlich habe ich nach einigen früheren Versuchen alles persönliche öffentliche Auftreten verschworen, doch wäre unter Umständen diesmal eine Ausnahme möglich, weil eine Reise nach Bern für mich manches Verlockende hat […] Dann noch etwas. Ich besitze keinen schwarzen Anzug oder Gesellschaftsanzug, früher haben einige Affen es mir verübelt, daß ich ohne solchen vorlas. Ich müßte also entweder in meinem gewöhnlichen Anzug kommen dürfen oder bei Ihnen, falls das nötig scheint, das erforderliche Kostüm leihweise haben müssen. Als Honorar bekam ich früher bei solchen Abenden 200 Mark. Doch kenne ich Ihre Verhältnisse nicht und will gar nicht auf einer bestimmten Summe bestehen. Nur müßte eben die Fahrt samt Hotel usw. zumindest durchs Honorar gedeckt werden … [EAM]

An Paul Gundert [18.3.1908]: Lieber Paul! … Ich habe den Vortrag gegen mein Prinzip angenommen, weil ich gern wieder einmal nach Bern komme und namentlich Albert Welti wieder treffen will, der dies Frühjahr dorthin übersiedelt. Ich komme Anfang Mai … [EAM]

An Freistudentenschaft Bern, cand. phil. Rother, Gaienhofen 15.3.1908: Werter Herr! […] Unter der Voraussetzung, daß der Vortrag möglichst zwischen dem 10. und 20. Mai stattfindet, sage ich also gerne zu, bin auch mit dem angebotenen Honorar von 200 Franken ganz einverstanden. Sobald Sie wissen, welcher Tag in Betracht kommt, bitte ich um Bericht. Auch sollte ich wissen, wie lang die Vorlesung dauern soll, ob eine Stunde oder mehr, und ob Sie Wünsche wegen des Inhalts haben oder das mir überlassen. Ich würde dann eine Novelle oder zwei kurze Prosasachen und einige Gedichte lesen. Ungedrucktes habe ich fast nichts, werde aber Sachen lesen, die noch nicht in Büchern, sondern erst etwa in einer Zeitschrift standen, und manche ungedruckte Gedichte. [EAM]

An Dr. med S. Pollag (Zürich), Gaienhofen 8.4.1908: Werter Herr! Danke für Ihre freundliche Einladung! Doch kann ich ihr nicht Folge leisten. In Zürich habe ich erst vor zwei Jahren vorgelesen, auch ist mir das Vorlesen eine unliebe Sache. Seit drei Jahren habe ich alle Einladungen dazu abgelehnt, dies Jahr werde ich ausnahmsweise, einigen Freunden zulieb, in Bern lesen, möchte es für diesen Sommer aber damit genug sein lassen … [EAM]

An Paul Gundert, Gaienhofen 22.4.1908: Lieber Paul! Mein Vortrag soll also etwa am 12. Mai sein. Falls Du Lust hast zuzuhören, steht Dir natürlich ein Billett zur Verfügung, […] Falls Du dazu kommst, mir noch ein paar Zeilen zu schreiben, wäre es mir lieb zu hören, wie groß etwa der Saal ist, wo ich lese (wieviel Personen) und ob er flach und viereckig oder amphitheatralisch ist. Da ich nie öffentlich spreche, möchte ich gern wissen, ob ich die Stimme anstrengen muß oder nicht. [EAM]

An Freistudentenschaft Bern, cand. phil. Rother, Vizepräses der Freistudenten, Gaienhofen 24.4.1908: Werter Herr! Danke für Ihre Zeilen. Ich wähle also Dienstag 12. Mai und werde wohl schon tags zuvor in Bern ankommen, wohnen werde ich Melchenbühlweg 26. Mein Programm ist: eine Legende aus der Thebais; eine Skizze ›Karneval‹, eine Erzählung ›Monte Giallo‹ und Gedichte. Von den Prosastücken sind zwei noch unveröffentlicht.

Wegen des Kostüms scheinen Sie doch einige Sorge zu haben. Mir liegt es nicht daran, aufzufallen; aber ich besitze weder Frack noch Gehrock und werde mir natürlich des Abends wegen so etwas nicht kaufen. Wenn Sie wollen, können Sie mich ja in einen geliehenen Rock stecken, mir ist es einerlei. Ich halte all diese Kleiderfragen für lächerlich, will aber keineswegs für diese Auffassung in Bern Propaganda machen, sondern nur den Leuten ein paar Gedichte vorlesen. Wenn dabei Frack oder Rock nötig scheint, müssen Sie mir eben einen leihen. Das sei ganz Ihnen überlassen. […] Bitte mir 3 bis 4 Billette zu guten Plätzen für meine Freunde zu reservieren. [Die Briefe 2, S. 109f.]

Der Bund, Nr. 218 v. Sa. 9.5.1908, S. 2:

Hermann Hesse-Abend. (Mitg). Hermann Hesse, der sich durch sein wundervolles Buch Peter Camenzind auf einen Schlag einen ersten Platz unter den lebenden Dichtern errungen hat, wird, wie bereits bekannt, nächsten Dienstag abend im Großratssaal auf Veranlassung der Freien Studentenschaft Bern einen Vortrag halten; dieser Vortragsabend verdient umsomehr das Interesse all der Literaturfreunde und speziell der vielen Verehrer des großen Dichters, als Hermann Hesse zwei noch unveröffentlichte Arbeiten seinen Hörern zur Kenntnis bringen wird. Daneben Gedichte, die in seiner Gedichtsammlung nicht enthalten, sondern da und dort erschienen sind und nur den wenigsten unter seinen hiesigen Freunden bekannt sein dürften. So verspricht der Abend außerordentlich interessant zu werden, und es ist zu erwarten, daß der Dichter dieselbe freundliche Aufnahme finden wird, wie sie Karl Spitteler und Otto Ernst zuteil geworden sind.

NZZ Nr. 130. v. 19.5.1908, 2. Abendblatt:

(Korr. aus Bern) Der freien Studentenschaft Bern haben wir es zu verdanken, daß wir Hermann Hesse, den Dichter des Peter Camenzind, des Romans Unterm Rad, den Schöpfer so mancher zarten lyrischen Blüte persönlich haben kennen lernen. Sein Schaffen wächst in die Breite und in die Tiefe, und wie fein seine Welt ist, das sehen wir wieder an den drei Erzählungen, die Hermann Hesse uns vorgelesen – Feinheit, Innigkeit und tiefe Empfindung sind unserm Dichter besonders eigen. Seine Legende Das Feldteufelchen fordert unwillkürlich auf zu einem Vergleich mit Widmanns Der Heilige und die Tiere. – Ein Feldteufelchen (eine Art Faun) sehnt sich nach dem ewigen Heil und bittet umsonst zwei fromme Büßer um den Segen – gewinnt aber nach dem Hinscheiden der beiden Eremiten durch Nachahmung ihrer Kasteiungen und Gebete die ersehnte Erlösung und den Tod. – Bei Widmann wie hier: Sieg der christlich asketischen Idee über die materialistische Weltanschauung. Beide Dichter geben der Natur eine Seele. Aber während bei Widmann diese Naturseele ins Riesenhafte, Epische wächst, ist sie bei Hesse nur ein Spiegel der seelischen Vorgänge des Feldteufelchens und führt, indem sie dieses eine zarte Seelchen vertieft und verinnerlicht, zum Idyll.

Auch in der Erzählung vom Monte Giallo schenkt Hesse der Natur eine Seele; aber diese Seele ist nicht Resonanz und Spiegel eines menschlichen Erlebens, sie macht die Natur, den Monte Giallo, zu einem persönlichen Wesen, einem Sonderling, der freilich die größte Ähnlichkeit hat mit jenem Sonderling von einem Menschen, der ihn besteigen will und dabei von dem Berg umgebracht wird. Wie er dann mit gebrochenen Gliedern am Fuß des Monte Giallo die Schauer der Nacht und des Todes durchlebt, erkennt er, daß auch die Berge ihr Leben und Leiden haben wie wir Menschen, nur daß wir ihre Sprache nicht verstehen. – Dieser Dualismus zwischen dem Monte Giallo und seinem Besteiger hat etwas Faszinierendes, Großartiges und ist ein Meisterwerk seiner Art.

In der Erzählung Eine Fastnacht hat der Dichter den Stoff mitten aus dem Leben heraus genommen. Aber darin ertönt keine rauschende, betäubende Fröhlichkeit, keine lärmende Lust – mitten im Taumel ziehen alte wehmütig heitre Bilder an unseren Augen vorüber, erste zarte Herzensneigung, Lieder schwärmender Zecher und lachende junge Gesichter. Und warum ergreift uns dies alles so tief? Hesse kennt den Humor, jene Mischung von Tragik und Komik, von Lachen und Weinen, von Tiefe und Oberfläche, wie sie nur einem wahren Künstler gegeben, aber auch nur einem, der zugleich ein Lebenskünstler – eine durchgearbeitete Persönlichkeit ist.

Der Bund, Nr. 228 v. Fr. 15.5.1908, S. 2:

Hermann Hesse-Abend. Das Berner Publikum bereitete dem Dichter Hermann Hesse, der sich ihm kürzlich an einem Vortragsabend vorstellte, einen freundlichen Empfang. Der Großratssaal war bis auf den letzten Platz besetzt, als der Dichter den hübsch geschmückten Stuhl bestieg, den sonst der Präsident des Großen Rates einnimmt.

Der Gast trug zuerst eine teilweise monotone Legende vor und ließ ihr dann einige mit großem Beifall aufgenommene etwas weltschmerzliche Gedichte folgen, die in ihrem kurzen Klingen erwiesen, daß Hermann Hesse über ein tiefes dichterisches Empfinden verfügt und was er gefühlt, in schönen und stimmungsvollen, wenn auch düstern Bildern zum Ausdruck zu bringen weiß. Ein Meisterstück in ihrer Art war die Erzählung von dem Sonderling, der seinen Ehrgeiz darein setzt, den Monte Giallo, den noch keines Menschen Fuß betreten hat, zu besiegen und der dann unmittelbar vor erreichtem Ziel fällt und mit gebrochenen Gliedern in einer Steinhalde liegen bleibt. Was nun geschieht – wie die Stunden rinnen, aus dem Tag die Nacht wird und die Sterne aufsteigen und das nun auslöschende Leben nochmals mit seinen bunten Bildern an den brechenden Augen vorbeizieht – das war mit einer Schönheit und einer dramatischen Kraft geschaut und erzählt, die nur dem wahren Dichter eignet.

Berner Rundschau 2, 1907/08, S. 662f.:

Hermann-Hesse-Abend in Bern. »Schreiben ist ein Mißbrauch der Sprache, stille für sich lesen ein trauriges Surrogat der Rede. Der Mensch wirkt alles, was er vermag, auf den Menschen durch seine Persönlichkeit, die Jugend am stärksten auf die Jugend; und hier entspringen auch die reinsten Wirkungen.« Am Abend, nachdem Hermann Hesse im Berner Großratssaal seine Dichtungen vorgelesen hatte, fand ich beim Blättern in Goethes Dichtung und Wahrheit zufällig wieder diesen Satz. Die reinsten Wirkungen … An einem schwülen Maiabend hat Hesse vorgelesen. Die Luft lag schwer, drückend im Saal, und in drangvoller Enge scharten sich die Zuhörer um das lorbeergeschmückte Podium, auf dem Hesse stand. Mühsam holte man Atem in der stickigen Luft und wünschte fast im stillen, Anfang und Ende des Vortrages möchten zusammenfallen. Als aber Hesse begann, mit seiner klaren, leisen Stimme, als er mit seinen schlichten Worten einfach und herzlich Die Legende vom Feldteufel erzählte, da vergaß man die beengende Schwüle um sich her, ließ sich vom Dichter in die thebaische Wüste führen, wo ein armer, sehnsüchtiger Feldteufel so heiß nach dem Gott verlangte, der die Liebe ist. Und wie der Feldteufel niemanden fand, der ihm den Weg zu Gott gewiesen hätte. Dann las Hesse Gedichte, wenige nur, aber reifste Gaben seiner Muse. Weiter die Schilderung eines Erlebnisses in einem oberrheinischen Städtchen: Karneval, eine Erzählung, die Hesse von seiner bekanntesten Seite zeigte: dem Hinüberträumen von der Gegenwart in die Vergangenheit, dem Untertauchen in der Erinnerung, die seltsame Ähnlichkeit des Jetzigen mit dem Einstigen heraufbeschwört. Und endlich eine wundervolle, symbolische Erzählung: Monte Giallo, die mit ihren meisterlichen Schilderungen des Hochgebirges tiefen Eindruck machte. Der Mensch wirkt alles, was er vermag, durch seine Persönlichkeit … Bei Hesse hatte man das Gefühl: das ist ein Freund, der zu euch gekommen ist, um Freude zu bereiten. Den nicht der Ruhm rief, der nicht glänzen wollte, sondern der euch mit vollen, warmen Händen geben will, was aus seinem reichen Herzen fließt. - G. Z.

Walter Schädelin, Tagebucheintrag: »Am 12. Mai las Hermann Hesse im Rathaussaal drei Prosastücke […] vor & enttäuschte mit seinem äußern drum und dran Viele. Er kam im Touristenkostüm, grauer gestreifter Sammt, Kniehosen, rostbraunen Strümpfen und las zt. eintönig mit badischem Akzent.« (Zitiert nach: Thomas Feitknecht, Hermann Hesse in Bern. Bern: Hans Huber 1997, S. 11.)

WIEN, Do. 15.10.1908

VERANSTALTER:

Buchhandlung Heller

ORT:

Hellers Kunstsalon

PROGRAMM :

- Karneval

- Der Monte Giallo [Der geheimnisvolle Berg]

- Gedichte

An Stefan Zweig, Gaienhofen, 1.4.1908: […] Im nächsten Winter könnte ich Deo volente vielleicht endlich einmal nach Wien kommen. Das heißt, ein Freund hat mit zugeredet, einen Vortrag in Wien zu halten, bei dem er mich als guter Rezitator unterstützen würde. Ausgemacht ist noch nichts, auch habe ich mich über die Verhältnisse, die Gelegenheit zu solcher (mir natürlich lächerlich unsympathischen) »Dichterabenden« etc. noch nicht erkundigt. Das hat ja noch Zeit, einstweilen freut mich der Gedanke an die Möglichkeit einer Wienreise sehr. [In: HH-Zweig, S. 79]

An Stefan Zweig, Gaienhofen, 12.4.1908: […] Im Oktober zu kommen, würde mir gut passen, da auch ich Wien nicht mitten im Winter kennenlernen möchte. Auch Ihr Vorschlag wegen des kleinen Saales bei Heller sagt mir sehr zu, und einen Aufenthalt von etwa 8 Tagen hatte ich ohnehin in Aussicht genommen. Nur glaube ich, ich werde eben doch noch einen zweiten Leseabend machen müssen, um auf die Kosten zu kommen. Denn das ist leider nötig, da ich seit dem Bau meines Häuschens, bei dem ich mich ein bißchen verrechnet habe, mir reine Lustreisen nicht gönnen kann.

Vielleicht können Sie (oder Heller) mir einen Rat geben, was ich tun muß, um dann in der gleichen Woche noch einen zweiten Abend zu halten, und mir sagen, wieviel ein solcher Abend ungefähr einbringt. Geschäfte will ich nicht machen, nur Reise und Aufenthalt zumindest verdienen, und ich bin in solchen Geschäftssachen so ungeschickt wie möglich. [HH-Zweig, S. 80f.]

An Stefan Zweig, Gaienhofen, 8.5.1908: […] Mit Heller bin ich schon so weit, daß ich für Mitte Oktober zusagte. Einzelnes ist noch zu bereden. Wenn es dann so weit ist, werde ich mich bei Ihnen anmelden und Sie bitten, mir Unterkunft in Ihrer Nähe in einem stillen kleinern Gasthof zu verschaffen. [HH-Zweig, S. 82]

An Stefan Zweig, [ca. September 1908]: Ich soll den ersten (intimen) Vortrag in Wien am 15. Oktober haben, werde also wohl spätestens am 13. kommen und (womöglich mit Einschluß von Graz) etwa 10 bis 12 Tage bleiben. Würden Sie mir etwa ein Privatzimmer mieten können, möglichst ruhig? Sonst bitte ich Ginzkey. Das genaue Datum der Ankunft melde ich dann noch. Ich freue mich sehr. [HH-Zweig, S. 83]

An Otto Stößl, Gaienhofen 9.9.1908: Diesen Herbst komme ich vielleicht kurz nach Wien und halte dann einen Vortrag – ungern genug, aber er muß die Reise bezahlen. [EAM]

An W. Schäfer, 9.10.1908: Lieber Herr Schäfer! Ihr Brief kommt am Vorabend meiner Abreise nach Wien. Wien und Koblenz sind für diesen Winter meine einzigen Vorträge. Ich mache den Schwindel nur mit, wenn er mir eine ohnehin geplante Reise zahlt. [Heinrich Heine-Institut Düsseldorf]

Neue Freie Presse v. Sa. 17.10.1908, Morgenblatt S. 10

[Kleine Chronik, Wien, 16. Oktober] Hermann Hesse-Abend. Hermann Hesse, der Dichter des Peter Camenzind und des innigen Jugendromanes Unterm Rad, eine junge Zelebrität, las gestern in Hellers Kunstsalon vor dem kleinen, erlesenen Kreis, der sich hier zusammenfindet, neue Novellen und Gedichte. Hesse lebt, wie man weiß, seit ein paar Jahren, seitdem er den großen Erfolg gewonnen, vielleicht nicht ganz zu seinem Glück, völlig weltabgeschieden an den Geländen des Bodensees, tief mit der Natur, bloß mit der Natur versponnen. So ist er immer frömmer, stiller, andächtiger im Gemüt geworden, heldenvoll, wie man von den Minnesängern sagte, aber er hat sich in seiner schönen nachdenklichen Welt immer weiter von den Kämpfen und Leidenschaften, von all dem Lebendigen, das uns Großstadtmenschen bedrängt und bedroht, und daher vor allem auch in den Gedichten und Geschichten fesselt, entfernt. Auch in den beiden kleinen novellistischen Studien, die wir diesmal von Hermann Hesse vernahmen, waltet der geklärte Ton des Stillen, Sinnigen, Gottergebenen vor. Karneval heißt die eine dieser betrachtenden Erzählungen, und es schimmert darin wirklich von den Farben und der Heiterkeit des rheinischen Fastnachtstreibens. Sehr schöne, sehr innige, sehr vertiefte Stimmungen, in rhythmisch gegliederter Prosa vorüberschwebend. Wo man aber das eigentlich Lebendige, das Fabulierte, den Einfall, diese Keimzelle jeder Geschichte, erwartet, da versagt dieser Erzähler; er läßt alles in zarte Betrachtung verklingen. Noch deutlicher tritt diese, dem Lebenskampf entfernte, dem Idyllischen zugeneigte Eigenart Hesses in der zweiten Novelle Monte Giallo hervor. Hier wird ein Kampf geschildert, die Eroberung eines Berggipfels durch einen Dorfburschen. Wo der Berg selbst, dieses Stück großer Natur, gleichsam als agierende Persönlichkeit zu uns redet, da fühlt man einen ganzen und starken Dichter. Zum Schluß versagt ihm aber in dem Augenblick, da der Zweikampf zwischen dem Berg und dem Menschen eigentlich erst beginnen sollte, wie seinem Bergeroberer, die Kraft. Er läßt ihn abstürzen und in der schauerlichen Einsamkeit der Gletschernacht zu einer fast beglückenden Erkenntnis reifen: daß sein Tod im All nicht mehr bedeute als das Fallen eines Steines oder einer Schneeflocke. So tönt auch diese großgedachte Stimmung in Resignation hinüber. Die Gedichte Hermann Hesses sind, wie diese Novellen, sehr süß und milde in ihrem sinnvollen Ton, aber wieder ohne zwingendes persönliches Temperament. Das Publikum dankte dem Dichter mit lebhaftem Beifall.

Neues Tagblatt ( Stgt). Nr. 247 v. 21.10.1908:

Kleine Mitteilungen. In Hellers Kunstsalon in Wien las kürzlich Hermann Hesse vor einem erlesenen Kreis zwei Novellen, Karneval und Monte Giallo, und Gedichte vor. Das Auditorium dankte, wie wir in der Neuen Freien Presse lesen, dem Dichter mit lebhaftem Beifall.

An Otto Stößl, Wien Samstag früh, [17.10.1908]: Werter Herr Stößl! Jetzt bin ich in Verlegenheit und muß mich schämen. Nämlich Wien und der Lärm und Staub und alles hat mich besiegt; ich muß zwar nächste Woche nochmals lesen – leider, aber einstweilen fliehe ich auf den Semmering, wo ich die Luft besser denke. Ich kann hier in der Stadt nicht schlafen. [EAM]

An Goswina von Berlepsch, Wien [17.10.1908]: Es will nun leider nicht gehen, daß ich noch Besuche mache. Die Großstadt hat mich müdgemacht, und ich bin eben im Begriff, für einige Tage auf den Semmering zu fliehen. Nachher muß ich nochmals lesen und dann baldmöglichst an unseren See zurück. [EAM]

An Richard von Schaukal, Wien [ca. 17.10.1908]: Lieber Herr Schaukal! In aller Eile herzlichen Dank! Ich vertrage Wien nicht gut und fliehe heute für einige Tage zum Semmering. Nachher hoffe ich sehr, Sie noch zu treffen, daran ist mir gelegen. [EAM]

An Stefan Zweig, Wien 17.10.1908: Lieber Herr Zweig, ich reiße heute aus, für zwei Tage nach dem Semmering, es ist mir nötig. [HH-Zweig, S. 84]

WIEN, Do. 22.10.1908

VERANSTALTER:

nicht zu ermitteln

ORT:

Festsaal des Gremiums der Wiener Kaufmannschaft

PROGRAMM:

- Wärisbühl

- Gedichte

- Der Monte Giallo [Der geheimnisvolle Berg]

Arbeiter-Zeitung Nr. 286 v. Sa. 17.10.1908:

Hesse-Abend. Die bereits angekündigte Vorlesung eigener, größtenteils noch ungedruckter Dichtungen des Dichters Hermann Hesse findet Donnerstag, den 22. d. um 8 Uhr abends im Gremiumsaal der Wiener Kaufmannschaft, I. Schwarzenbergplatz, statt. Karten sind bei der Kehlendorfer und in der Hellerschen Buchhandlung, I. Bauernmarkt, zu haben. Für Studenten und Studentinnen sind auf Wunsch des Dichters eine Anzahl Karten zu ermäßigten Preisen reserviert worden.

Arbeiter-Zeitung v. Sa. 24.10.1908, S. 9:

Hermann Hesse, der Dichter des Peter Camenzind, las Donnerstag im Saale des Kaufmannschaftsgremiums eigene Dichtungen vor. Ohne Hilfe deklamatorischer Technik, mit einer weichen, dunklen Stimme, leise, scheu zurückhaltend, wie man Märchen vorliest. Wenn der vor ihm aufgepflanzte umfängliche Beleuchtungskörper einen Blick auf den Dichter gestattete, sah man in ein zartes Asketengesicht, das inneren Frieden und Abgeschlossenheit ausdrückt. Ein unbehindert wachsender Bart verdeckt die Gesichtsform, die Stirn weicht etwas zurück, über dem schmallippigen Munde eine schmale, kantige Nase, auf der eine breitrandige Hornbrille ruht. Sie gibt der ganzen Gestalt den Ausdruck eines Privatgelehrten für Innerlichkeit und Naturliebe. So paßt auch die für touristische Zwecke geeignete Kleidung sehr wohl zu ihm. Hermann Hesses Dichtungen – die Worte natürlich, innig, urwüchsig, echt, Heimat müssen da angewendet werden. Er ist der Dichter des Glücks der Bescheidung, der Flucht zur Natur vor dem Lebensgewirr, des Friedens nach der Kapitulation. Kein Zweifel, er gehört zu jenen, die nur in Ausgeglichenheit und Gleichgewicht volle Akkorde anschlagen können. Er ist nicht einer jener Dichter, die ein Schicksal in einen Satz zusammenballen. Behutsam faltet er die Episode auseinander, mit einer friedevollen, breitmaschigen Erzählungskunst, die geruhsam Bilder entstehen läßt. Er las Gedichte und die Novellen Bahnhof und Monte Giallo. Und in jedem Moment wird man sich des edlen Materials und Klanges seiner Kunst froh. Aber man fühlt doch beengend den manchmal predigerhaften Ton, den Pantheismus, der am Lokalpatriotismus erwachsen. - K.-r.

Neues Wiener Tagblatt v. Fr. 23.10.1908, Abendblatt:

Hermann Hesse trat gestern im schönen Saale der Kaufmannschaft mit einer Vorlesung aus seinen lyrischen und novellistischen Dichtungen ein zweitesmal vor das Wiener Publikum, das sehr zahlreich erschienen war, ihn zu hören. Die lyrischen Gedichte mit ihrem tiefen Naturgefühl, ihrem pantheistischen Hintergrunde und ihrer überaus bildhaften Sprache gefielen allgemein. Hesse las sie auch in seiner schlichten Weise, die so anmutete, als fiele es ihm schwer, den Vorhang vor den Geheimnissen seiner Seele zu lüften, eigenartig wirksam vor. Eine novellistische Skizze: Der Bahnhof, die den Abend einleitete, erzählte in still lächelnder Selbstironie ein sehr bescheidenes Liebesgeschichtchen, wie es nur ein verträumter Lyriker erleben kann, und die schon am ersten Abend mitgeteilte Erzählung Monte Giallo erwies sich auch diesmal als ein künstlerisches Meisterstück, worin kein Wort, keine Zeile anders sein dürften, als sie sind. Hesse erntete auch diesmal reichen Beifall.

Neue Freie Presse (Wien) v. 20.10.1908:

Hermann Hesse-Vorlesung. Hermann Hesse, den Wiener Kunstfreunden bereits aus dem Salon Heller persönlich bekannt, las gestern im Festsaale des Gremiums der Wiener Kaufmannschaft vor einem größeren Publikum Novellen und Gedichte. Er lebt, wie wir schon unlängst erzählten, ferne der großen Stadt, in seiner Dorfeinsamkeit am Bodensee. So stellte er sich auch diesmal als ein schlichter Landbewohner in seiner Gebirgsjoppe vor, und er sprach wieder in seiner stillen, ungezwungenen, niemals erregten und immer nachdenklichen Art mit dem schwäbischen Anklang. Gestern präsentierte uns Hesse eine neue Erzählung: Der Bahnhof. Das ist wieder ein Idyll von dazumal, mit einer freundlichen Sommerstimmung, Wiesenblumen, einem verliebt träumenden Dichter und einem hinter Gardinen vorlugenden Mädchen. Der Dichter, von dem Hesse berichtet, wohnt in einem kleinen Dorf; er langweilt sich kräftig, was man ihm gerne glaubt. Eines Tages kauft er nun ein Bahnretourbillett und reist von dem einen langweiligen Dorf in das benachbarte, hin und zurück. Da sieht er eine kleine, blonde Dame im Fenster, und sie gefällt ihm sehr. Aber statt um die Gunst der durchaus gnädig Gesinnten zu werben, sich ihr zu nähern, wie man in diesen Fällen sagt, reist er wieder mit seinem Retourbillett zurück, von dem einen Dorf in das nächste. Zum Schluß erfährt der Dichter, daß er enttäuscht worden. Sie ist gar kein Mädchen, sondern eine verheiratete Frau. Und er kehrt tugendhaft, bereichert um die Erfahrung, daß junge Mädchen oft gar nicht junge Mädchen, sondern verheiratete Frauen sind, betrübt nach Hause zurück. Zum Schluß ist der Zuhörer trotz des klingenden Kellerstils wie dieser Dichter enttäuscht – von der Ereignislosigkeit, von der selbstbeschaulichen Lebensfremdheit, von der Blutlosigkeit des Ganzen. Bei den Gedichten wurde man wieder warm. Auch hier pulst und stürmt nirgends jugendliches, aufbegehrendes Blut. Aber diese Gedichte sind von einem echten deutschen lyrischen Poeten, versonnen, innig, reife, süße Früchte auf einer zarten, formenschönen Schale. Zum Schluß las Hesse noch die bereits bekannte Novelle Monte Giallo, der leider auch die Aktion fehlt. Aber die sehr schönen, sehr dichterischen Details, die tiefe, gehaltene Stimmung hielt das ergriffene Publikum bis zum Schluß im Banne.

KOBLENZ, Fr. 26.2.1909

VERANSTALTER:

Literarische Gesellschaft

ORT:

Städtische Festhalle

PROGRAMM:

- Der Monte Giallo [Der geheimnisvolle Berg]

- Karneval

- Gedichte:

- Landstreicherherberge

- Im Nebel u. a.

An W. Schäfer , Gaienhofen, 13.7.1908: Lieber Herr Schäfer! Eben fragt ein Herr Haendler an, ob ich diesen Winter in Koblenz vorlesen wolle. Natürlich »will« ich nicht. Aber vielleicht wäre das eine Gelegenheit, meinen Besuch bei Ihnen auf Kosten der Koblenzer auszuführen. Was meinen Sie? Es soll im Kammermusiksaal der Festhalle sein. Das ist doch wohl eine präsentable Sache. [Heinrich Heine-Institut, Düsseldorf]

An W. Schäfer, Gaienhofen, 12.2.1909: … Gegen den 22. [Februar] komme ich dann zu Ihnen. Am 2. März muß ich wieder in Frankfurt sein. Der Landgerichtsrat Händler [aus Koblenz] will mich, da ich doch nicht bei ihm wohne, wenigstens zum Essen haben. Falls er sich an Sie wendet, bitte den Freitag vorzuschlagen, an dem mein Vortrag ist, da versäumt man nichts und kann ihm den Gefallen tun. Dann können wir etwa den Samstag nach Düsseldorf, wo ich nötigenfalls am Sonntag zu lesen bereit bin. Schön wäre es, wenn Sie nachher mit nach Frankfurt kämen, wo ich außer dem Vortrag nichts zu tun habe und wo es mit Steinhausens und Paquet* schön sein könnte. [Heinrich Heine-Institut, Düsseldorf]

* Der Maler Wilhelm Steinhausen, Thoma-Schüler, und sein Schwiegersohn, der Schriftsteller Alfons Paquet

An Wilhelm Schäfer, Gaienhofen, letzte Minute vor Abreise [16.2.1909]: Also dann fahre ich am [So] 21. vormittag 10 h in Basel ab, bin 2.52 nachmittags in Frankfurt und erwarte Sie dort. Ich nehme nur Billet bis Frankfurt, wo ich mich Ihrer Führung überlasse. Eiligst H. [EAM]

An Wilhelm Schäfer, Basel 17.2.1909: Der Teufel hängt mir doch überall den Schwanz hinein. Mit der Reise am Sonntag ist’s nichts. Ich bin krank geworden, in allen Knochen und muß ein paar Tage liegen. Zu Ihnen werde ich bei diesen Umständen erst Dienstag oder Mittwoch kommen können, direkt. Es ist scheußlich, ich kann kaum noch stehen. Dampfbaden und ein paar Tage Liegen müssen helfen. Ihr H. Hesse [EAM]

Coblenzer Zeitung Nr. 92 v. 26.2.1909, S. 1:

Hermann Hesse.– Der heutige Dichterabend der Literarischen Gesellschaft gibt einem sehr bemerkenswerten unter den neueren Novellisten und Lyrikern, Hermann Hesse, das Wort. Wie Ernst Zahn, hat auch Hermann Hesse erst nach mancherlei Irrfahrten sein Lebensglück: die Poesie, gefunden. Die kurzen, aber in ihrer Wesensart so vielsagenden Daten seiner Entwicklung machen fast jede Erklärung unnötig. Der Dichter wurde am 2. Juli 1877 in Calw im württembergischen Schwarzwald geboren, besuchte bis 1893 das Gymnasium und wandte sich dann bis 1895 dem Studium der Mechanik zu. Aber schon regte sich ein anderer in ihm. Er sattelte um und wurde Buchhändler bis Sommer 1903, um von dieser Zeit an ganz der Schriftstellerei zu leben. In dem idyllischen Dorfe Gaienhofen (Post Radolfzell) am Bodensee hat er sich ein Häuschen erbaut, und Frau und Kind teilen eine reiche Einsamkeit.

Hermann Hesse ist besonders durch seine Romane Peter Camenzind (33. Auflage), Unterm Rad (17. Auflage) und durch eine Reihe von wertvollen Novellen schnell bekannt geworden. Als Erzähler nimmt er eine bevorzugte Stellung unter den Tagesschriftstellern ein, aber auch als Lyriker ragt er um Haupteslänge über die meisten anderen hervor. Zu den Gedichten Hesses schrieb Carl Busse ein schönes Vorwort. Einiges hieraus mag der Einführung des Dichters dienlich sein. »Über die mondbeglänzten Dächer einer fremden Stadt singt eine Geige. Sie singt ein Heimwehlied voll dunkler Süße und weher Schönheit, und der den Bogen führt, fühlt sein Herz zittern in unbekannter Trauer. Er ist ruhelos und sucht nach Ruhe, ist heimatlos und sucht nach Heimat. Er sieht zu oft in die Sterne und gibt seiner Sehnsucht viele Namen. So hat sie ihn zum Pilger gemacht. Er träumt von Meeren, die noch kein Segel sah; er träumt von Frauen, deren bleiche Schönheit nicht mehr auf Erden wandelt; er träumt von bunten Fahrten und Abenteuern vergangener Zeit.« Hermann Hesse wurzelt ganz im Süden, ein Dichter [unleserlich ] der Seele voll stiller Trauer wie einst Nikolaus Lenau. Die Neuromantik unserer Literatur hat in ihm einen ihrer feinsten Vermittler gefunden, und die Gemeinde ist nicht klein, die noch viel Reifes und Schönes von dem wackeren Schwaben erhofft. Was ihm vielleicht einst eine trübe Stunde ins Herz gesenkt:

Daß ich so oft mit leisem Leid

Durch die begrünten Äcker gehe

Und in den Lüften hoch und weit

Die hellen Wolken fahren sehe,

Und daß ich stehen bleiben muß,

Wo Kinder sind in einem Garten,

Und lange still auf einen Gruß

Und auf ein liebes Lachen warten

Und daß ich nimmer neidisch bin

Auf fremden Ruhm, auf fremdes Brot,

Und daß ich so zufrieden bin,

– Ist das schon Herbst? Ist das schon Tod?

darf so schnell nicht in Erfüllung gehen.

Coblenzer Zeitung Nr. 97 v. 2.3.1909, S. 2:

Coblenzer Dichterabende. Wie eine schwere Enttäuschung empfanden wir alle es, als am Freitag abend Hermann Hesse seinen Dichtungen seine Zunge lieh. Wir hörten die Klänge, aber der Klang hatte keine Farbe. Ja, die Sprache, statt die Wortbilder zu schattieren, riß sogar unwillkommene Lücken in das Wortgefüge. Es war für die Mehrzahl der Zuhörer schwer, aus dem Vortrag den Sinn aller Sätze, den Kern mancher Verszeile sofort zu erfassen, und erst, wenn wir rückblickend das Ganze überschauten, stieg uns aus der leise sich unwillig noch kräuselnden Oberfläche des Gedächtnisses ein zauberhaftes Bild, das Bild der Schönheit auf.

Und es ist sonderbar: So erscheint uns die Dichtung Hermann Hesses überhaupt als die Poesie der Schönheit der Erinnerung. Wie ein Traum schwebt die Vergangenheit in leisem, buntgefärbtem Schatten vorüber; aber wie ein Traum auch lockt die nebelhafte Ferne, lockt das Ungewisse, das Erfüllung bringen muß, das heißersehnte und erstrebte Glück, das selbst mit dem Tode nicht zu teuer erkauft ist. Aber dann, schließlich bleibt doch als einziges, was dauernd ist in unverlierbarer Schönheit, die Erinnerung, der noch so leise Hauch des Gedächtnisses an Vergangenes.