4,99 €
Ein Jahr voller Schmerz, Albträume und unbändiger Wut - die Gestaltwandlerin Lissa hat nur ein Ziel: Rache an den Männern, die ihr in einer einzigen Nacht alles nahmen.
Unterstützt wird sie von Conan, der einst auf der Seite ihrer Feinde stand, und sie nun zu einer Kriegerin ausbildet. Je mehr Lissa mit Conan trainiert, desto mehr fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Und auch Conan kann seine Gefühle zu Lissa kaum mehr unterdrücken.
Während beide zwischen ihrem Herz und ihrer Mission hin- und hergerissen sind, formiert sich im Hintergrund eine tödliche Macht, die das Leben aller Wandler zu zerstören droht.
Prickelnde und fesselnde Romantic Fantasy - die spannende Gestaltwandler-Reihe von Katharina Santa:
Band 1: Pyrit - Herrschaft der Zeit
Band 2: Dioptas - Versuchung der Zeit
Band 3:Azurit - Unterwerfung der Zeit
Band 1 und 2 dieser Reihe sind eBook-Neuauflagen der zuvor bei LYX erschienen Romane. Band 3 ist die Erstveröffentlichung der lang ersehnten Fortsetzung dieser Reihe.
eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 533
Veröffentlichungsjahr: 2025
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
Epilog
Über die Autorin
Alle Titel der Autorin bei beHEARTBEAT
Hat es Dir gefallen?
Impressum
Liebe Leserin, lieber Leser,
herzlichen Dank, dass du dich für ein Buch von beHEARTBEAT entschieden hast. Die Bücher in unserem Programm haben wir mit viel Liebe ausgewählt und mit Leidenschaft lektoriert. Denn wir möchten, dass du bei jedem beHEARTBEAT-Buch dieses unbeschreibliche Herzklopfen verspürst.
Wir freuen uns, wenn du Teil der beHEARTBEAT-Community werden möchtest und deine Liebe fürs Lesen mit uns und anderen Leserinnen und Lesern teilst. Du findest uns unter be-heartbeat.de oder auf Instagram und Facebook.
Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich für unseren kostenlosen Newsletter an:
be-heartbeat.de/newsletter
Viel Freude beim Lesen und Verlieben!
Dein beHEARTBEAT-Team
Melde dich hier für unseren Newsletter an:
Ein Jahr voller Schmerz, Albträume und unbändiger Wut – die Gestaltwandlerin Lissa hat nur ein Ziel: Rache an den Männern, die ihr in einer einzigen Nacht alles nahmen. Unterstützt wird sie von Conan, der einst auf der Seite ihrer Feinde stand, und sie nun zu einer Kriegerin ausbildet. Je mehr Lissa mit Conan trainiert, desto mehr fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Und auch Conan kann seine Gefühle zu Lissa kaum mehr unterdrücken. Während beide zwischen ihrem Herz und ihrer Mission hin- und hergerissen sind, formiert sich im Hintergrund eine tödliche Macht, die das Leben aller Wandler zu zerstören droht.
KATHARINA SANTA
Azurit
UNTERWERFUNG DER ZEIT
Der Wunsch nach Rache trieb sie an. Unbarmherzig schlug Lissa auf den zerschlissenen Sandsack ein, stellte sich dabei ein Gesicht vor, das sie sonst immer verdrängte. Jetzt zog sie es aus den Tiefen ihres Bewusstseins, beschwor es regelrecht, um ihre ganze Kraft zu entfesseln. Ein wütender Schrei lag ihr auf der Zunge, der seinen Weg brutal Bahn brach und in dem leeren Saal widerhallte. Der dumpfe Schlag ließ den Sandsack durch die Luft sausen, sodass sie gezwungen war, auszuweichen.
Taumelnd brachte sie sich aus der Reichweite des schlingernden Boxsacks und stützte sich keuchend auf ihren Knien ab. Der Schweiß rann ihr über Stirn und Rücken, benetzte ihre obere Lippe wie Tautropfen das Gras an einem herbstlichen Morgen. Dabei schlug ihr Herz wild in der Brust und hallte in ihren Gliedern nach.
Während der Sack seinen Kurs verlangsamte, brachte sie ihren gehetzten Atem zur Ruhe. Mit dem Handrücken wischte sie sich den Schweiß von der Stirn, steckte sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr und begutachtete ihren Gegner.
Lissa wusste nicht, ob andere ebenfalls ihren Widersacher vor Augen hatten, wenn sie trainierten. Anstelle des Sandsacks sah sie ein laszives Grinsen sowie zwei Hände, die sich nach ihr ausstreckten. Sein Gesicht zeigte sich ihr immer nur in Ausschnitten. Mal sah sie seine gerade, römische Nase. Ein anderes Mal die hohe Stirn, die erste Falten erkennen ließ. Manchmal war es ihr möglich, die Bartstoppeln zu zählen, die seine Kinnpartie zierten.
Obwohl ihre Muskeln protestierten, holte sie zu einem Kick aus, der den Sandsack ein weiteres Mal in seinen Ketten baumeln ließ. Er schwang weiter hin und her, als sie sich zu ihrer Tasche umwandte und sie schulterte. Sie hasste es, dass das Gesicht dieses Mannes sie verfolgte. In ihren Träumen, hinter der nächsten Ecke lauernd. Gleichzeitig beflügelte es ihre Kraft, die sich in den letzten Monaten gesteigert hatte.
Lissa war nicht mehr die Wandlerin, für die sie sich einst gehalten hatte. Seit sie mit Conan trainierte, hatte sie sich verändert. Nicht nur ihr Körper, den sie im Spiegel kaum wiedererkannte. Überraschenderweise hatte sie auch an geistiger Stärke hinzugewonnen. Die Albträume, ob bei Tag oder Nacht, machten sie weiterhin fertig, doch sie beherrschten sie nicht mehr. Zumindest redete sie sich das ein.
Mit langen, selbstsicheren Schritten durchquerte sie die leere Trainingshalle. Über ihrem Kopf spannte sich eine Glasdecke, die den Blick auf die dichten Blätter der Baumkronen freigab. Kaltes Mondlicht malte Schatten auf den Boden, über den sich Lissa bewegte. Es kam selten vor, dass sich jemand zu dieser Uhrzeit zum Training verirrte. Daher trainierte sie oft in den dunkelsten Stunden der Nacht, um den sensationssüchtigen Blicken des Rudels zu entgehen.
Ihre Hand ruhte auf dem Stilett, das sie an der Hüfte trug, als sie in das Herz von Cerys hinaustrat. Eine kühle Brise strich über ihren Körper, die den Duft von würzigem Herbstlaub mit sich brachte und sie innerlich erstarren ließ. In wenigen Tagen jährte sich der Angriff auf sie zum ersten Mal. Sie spürte förmlich, wie sich die klebrigen Finger nach ihr ausstreckten, die sie in Albträume hüllen wollten. Vehement schüttelte sie das Gefühl ab, um ihre Umgebung aufmerksam zu erkunden.
In solchen Situationen hörte sie Conans Stimme in ihrem Ohr: Mach dir bewusst, wo du dich befindest. Du solltest immer wissen, welcher Weg der schnellste und sicherste für eine Flucht ist.
Also leerte sie ihren Kopf von überflüssigen Gedanken und konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. Prüfend sog sie die Luft ein, die ihr – neben dem Herbstlaub – weitere Informationen übermittelte. Sie roch die Rudelmitglieder, die Stunden zuvor durch die Gassen flaniert waren, ihren eigenen Schweiß, eine Ahnung von klirrender Kälte – und Metall.
Behände trat Lissa einen Schritt zur Seite, duckte sich unter dem Arm hindurch, der eine flinke Klinge führte. Eine warme, schwielige Hand packte sie am Arm und verhinderte, dass sie ihr Stilett zog. Lissa verlor das Gleichgewicht, was ihr überraschenderweise einen Vorteil einbrachte. Der Schwerpunkt ihres Gegners verlagerte sich, seine Hand rutschte von ihrer schweißnassen Haut ab. Ihr Fall war unausweichlich, wodurch es ihr möglich wurde, dem Mann die Beine wegzutreten. Hastig rappelte sie sich hoch, wollte sich auf ihren Angreifer stürzen, doch er manövrierte sich mit einer Rolle aus ihrer Reichweite. Klingend durchschnitt ihr Stilett die Stille, als sie es zog und die Attacke des Tantōs parierte. Lissas Herz schlug ihr bis zum Hals, doch das anerkennende Lächeln war eine Belohnung, das es zu beruhigen vermochte.
»Sehr gut«, lobte sie die tiefe Stimme, die ein wenig verschlafen klang. Ihr Hochgefühl verflüchtigte sich. War er etwa erst aufgewacht?
»Was machst du hier?«, fragte sie mit einem leichten Akzent, den sie selbst kaum wahrnahm. Weiterhin kreuzte sie mit ihm die Klinge, denn sie wusste nur zu genau, dass er den Moment abwartete, in dem sie ihre Verteidigung fallen ließ. Ein Gegner, der bereit war zu verhandeln, musste sich nicht fair verhalten. Tritt lieber einmal zu oft zu, als einmal zu wenig. Eine Lektion, die sie auf die harte Tour gelernt hatte.
»Die Frage sollte ich wohl eher dir stellen.«
»Das ist doch offensichtlich.«
»Ist es das?« Seine Augenbrauen hoben sich, aber er ließ sein Tantō endlich sinken. Vorsichtig gab sie ebenfalls ihre Verteidigungshaltung auf und schob ihr Stilett in die Scheide. Trotzdem blieb sie in Warnbereitschaft.
Lissa seufzte. »Ich habe trainiert.«
»Warum?«
Nun war sie genervt. »Conan«, knurrte sie.
Schmunzelnd gluckste er, was der kühlen Herbstluft einen Hauch Wärme verlieh. »Schon gut«, beschwichtigend hob er die Hände. »Lass es nur nicht zur Gewohnheit werden.«
»Ja ja«, murrte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. »Rück schon mit deinem Fazit raus, damit ich ins Bett kann.«
Conan legte den Kopf zur Seite und sah sie musternd an. »Warum bist du hingefallen?«
»Du hast mich am Arm gepackt. Ich dachte, dass das der Sinn der Sache war.«
»Natürlich war es das. Aber deswegen bist du nicht gefallen.«
Sie ließ seine Antwort sacken und dachte einen Moment darüber nach. »Der Boden ist uneben und ich hatte keinen festen Stand.«
»Das war mit ein Grund, warum ich dich aus dem Gleichgewicht bringen konnte.«
»Was ist der andere?«
»Die Muskeln in deiner Körpermitte.« Er legte ihr eine Hand auf den Bauch, zwischen Zwerchfell und Hüfte. An seine Berührungen war sie mittlerweile gewohnt. Trotzdem fuhr ihr ein kalter Schauer über den Rücken. »Sie sind ebenso wichtig für dein Gleichgewicht, wie deine Beinmuskulatur. Ich schreibe dir einige Übungen auf, mit denen du übermorgen beginnst.«
»Warum nicht gleich morgen?« Lissa trat einen Schritt zurück, um seiner Berührung und Nähe zu entgehen. Nur weil sie sie zuließ, musste sie sie nicht unnötig in die Länge ziehen.
»Das ist der letzte Grund, warum ich dich zu Fall bringen konnte: Erschöpfung, Lissa«, schärfte er ihr ein. Sie versteifte sich, was ihm nicht entging. »Du bist die Heilerin der Wandler. Ich muss dir also nicht erklären, dass zu wenig Pausen ebenso gefährlich sein können, wie Nachlässigkeit.«
Wenn Conan wüsste, wie erschöpft sie wirklich war, würde er aufhören, sie zu trainieren. Das durfte sie nicht riskieren. Also biss sie die Zähne zusammen und nickte geschlagen. »In Ordnung.«
Einen Augenblick lang ließ er sie nicht aus seinen mahnenden eisblauen Augen. Manchmal fragte sie sich, ob sie nur deshalb so kalt wirkten, weil sie in ihm nichts anderes sah, als das, was er war. In ihm schlummerte dasselbe, was ihre Angreifer zu Monstern gemacht hatte. Immerhin war Conan einer von ihnen. Ein machtbesessener Forá.
Beunruhigt schaute Conan ihr nach, als sie sich durch die Bäume von Cerys manövrierte. Er bemerkte den Kater, der sich im Geäst einer Buche versteckt hatte, bevor er zu Boden sprang. Seine Anwesenheit war Lissa entgangen, und das bedeutete nichts Gutes. Geschmeidig landete der Gepard vor seinen Füßen. Bevor sich die Welt in Dunkelheit hüllte, in der er seine menschliche Gestalt annahm, bemerkte er Gregs erboste Aura.
»Ich habe dich gewarnt, Forá.« Tief und knurrend drangen die Worte an Conans Ohr. Sekunden, bevor sich eine Faust aus der Dunkelheit schob. Für einen Moment überlegte er, ob er den Schlag über sich ergehen lassen sollte. Dann lenkte er den Hieb zur Seite. Die Genugtuung, ihn verletzt zu haben, wollte er Greg nicht gönnen.
»Sie ist nur erschöpft.«
»Nur?« Die Frage klang mehr wie ein Knurren, was in Conan alle Alarmsignale auslöste. Körperlich hatte er gegen einen Wandler nicht die geringste Chance. Wenn es darauf ankam, würde Conan mithilfe der Fähigkeit, die ihn zu einem Forá machte, fliehen. In manchen Situationen war es mutiger, die Flucht zu ergreifen, als einen sinnlosen, überstürzten Angriff zu wagen.
»Hast du sie dir genauer angesehen?« Bedrohlich richtete sich Greg vor ihm auf.
»Natürlich. Ich sehe sie jeden Tag.«
»Und was wirst du dagegen unternehmen?«
War er ihr verdammter Psychiater? Aber diese Frage stellte er besser nicht. Dank Gregs medizinischer Ausbildung hatte er oft mit Lissa zusammengearbeitet. Auch wenn das in letzter Zeit nicht der Fall gewesen war. Doch in erster Linie war Greg ein Soldat – der Offizier des Wandlerrudels. Darüber hinaus hatte er keine Ahnung, was Greg und Lissa miteinander verband, aber sein Beschützerinstinkt ihr gegenüber war immens. Wenn Conan ihn provozierte, würde er bald den Boden mit seinem Blut tränken.
»Ich kümmere mich darum.«
»Ein Jahr ist schon fast vorbei«, ermahnte ihn der Gepard und erinnerte ihn an ihre Abmachung. Wenn Lissa ihre Rache nicht erhielt, würde Greg sie ihr beschaffen. Ohne sie daran teilhaben zu lassen.
Das war etwas, das Conan nicht zulassen konnte. Entgegen der allgemeinen Annahme, war Lissa kein zartes, zerbrechliches Geschöpf. Ihren inneren starken Kern bewunderte er am meisten. Und genau der war es, der die Rache an ihren Angreifern nicht nur benötigte, sondern vor allem verdiente.
»Ich weiß.«
»Dann halte dich an dein Versprechen.«
Conan nickte, woraufhin sich der Wandler ein wenig entspannte.
»Wie macht sie sich sonst so?«
Beinahe hätte er geschmunzelt, so verunsichert klang Greg. Doch wie gesagt: Was wusste er schon, von der Beziehung der beiden?
»Ganz gut. Sie lernt rasch, hat eine schnelle Auffassungsgabe und eine bemerkenswerte Körperbeherrschung.«
»Aber?«
Auf Gregs Miene, die selten eine andere Gefühlsregung als kalte Gleichgültigkeit oder hitzige Wut erkennen ließ, sah er Beunruhigung.
»Sie überanstrengt sich und…« Das Ende des Satzes behielt er für sich. Es ging Greg nichts an. Nicht, bevor er sich selbst nicht sicher war, ob in seiner Vermutung ein Hauch Wahrheit steckte.
»Und?«, hakte Greg nach.
Abweisend zuckte er mit den Schultern. »Dadurch verliert sie schnell den Fokus.« Was nicht gelogen war, aber nicht der vollen Wahrheit entsprach.
»Aha«, machte er, wandte den Blick ab und ließ ihn über den stillen Wald gleiten. »Nolan will dich übrigens sehen.«
Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. »Wann und warum?«
»Ich bin nicht seine Brieftaube.«
»Aber sein Stellvertreter«, entgegnete Conan mit Nachdruck.
»Lass dich einfach im Morgengrauen blicken. Was er von dir will, weiß ich nicht.«
Ein kühler Lufthauch ließ die Blätter in den Baumkronen rascheln und lenkte seine Aufmerksamkeit gen Himmel. Am Horizont dämmerte es. Lissa hatte sich fast die ganze Nacht um die Ohren geschlagen. Ohne es zu wollen, hatte sie auch ihm den Schlaf geraubt.
»Dann sollte ich mich wohl auf den Weg machen.«
»Tu das«, pflichtete ihm Greg bei.
Conan nickte, trat zur Seite und ließ Greg stehen.
»Ach, Conan«, rief dieser ihm nach. »Wenn ich sie noch einmal so erschöpft sehe, dann wirst du dem Schlag nicht ausweichen können.«
Conan machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen oder stehen zu bleiben. Mit in die Höhe gerecktem Daumen antwortete er: »Ist notiert.«
Die Hände in den Hosentaschen vergraben schlenderte er durch den erwachenden Wald. Seit er in Cerys lebte, hatte er mehr Zeit an der frischen Luft verbracht als je zuvor. Die Forás lebten nach den strengen Regeln ihres Oberhauptes, das seine Leute eng um sich scharte. Nicht, um eine Gemeinschaft zu bilden, sondern um zu überwachen.
Hike DeHaan, wie er sich unter den Menschen nannte, war machtbesessener als jeder andere Forá vor ihm. Leider war er auch das mächtigste Wesen, von dem Conan wusste.
Bereits mit vierzehn Jahren gelang Hike das, was den meisten Erwachsenen nicht einmal in den Sinn kommen würde: Er tötete das damalige Oberhaupt der Forás, um selbst an die Macht zu gelangen. Conan konnte nur erahnen, wie rücksichtslos eine Person war, die in derart jungen Jahren einen solchen Plan ausheckte und durchzog.
Seither führte Hike die Forás mit eiserner Hand. Mit seinem Aufstieg hatte sich ihre Welt völlig verändert.
Der Wind frischte auf und zerrte an seiner Kleidung. Er spürte, wie der Winter mit schnellen Schritten nahte, was ihm verdeutlichte, wie wenig Zeit er nur noch hatte. Das Versprechen, das er Lissa gegeben hatte, wollte er unbedingt einhalten. Doch Lissa …
Seufzend wischte er sich die Strähnen seines dunklen Haares aus der Stirn, die der Wind sofort wieder dorthin wehte. Wenn Lissa so weitermachte, wie bisher, dann würde sein Plan scheitern – und damit auch ihrer. Ob ihr bewusst war, dass sie den falschen Weg eingeschlagen hatte?
Er grub die Hände tiefer in die Hosentaschen, um die Kälte zu vertreiben, die von ihm Besitz erfasste. Sein Weg führte ihn am Rathaus vorbei, wo er seine Schwester zum ersten Mal in den Armen eines Wandlers gesehen hatte. Ein Mann, den sie töten sollte. Stattdessen hatte sie sich in ihn verliebt und damit etwas in Bewegung gesetzt, das aufgehalten werden musste.
Conans Kopf war so voll mit alten Erinnerungen, Fragen und Sorgen, dass er kaum bemerkte, dass er das Baumhaus erreicht hatte, in dem seine Schwester wohnte. Die Sonne schob sich langsam über die Spitzen der Bäume und malte filigrane Strahlen durch den Wald. Sie tauchten das Haus in den Baumkronen in warmes Licht und Conan sah, wie es von reflektierenden Katzenaugen zurückgeworfen wurde. Ein Augenpaar, das ihn mit gelangweilter Belustigung musterte, wie es nur dem Königsgepard gelang, den seine Schwester ihren Ehemann nannte.
Geistesabwesend nickte Conan dem Gepard zu, betätigte den geheimen Knopf am Stamm des Baumes, der die verborgene Treppe zum Vorschein brachte und stieg langsam die Stufen hinauf. Der Gepard beobachtete ihn mit Argusaugen, ließ Conan keine Sekunde aus den Augen, als sähe er in ihm eine Bedrohung. Doch beide wussten, dass dem nicht so war. Wenn der Gepardenwandler es darauf anlegte, dann reichte nur ein Wimpernschlag aus, um ihn zu vernichten. Selbst mit seiner angeborenen Kraft, hätte Conan nicht die geringste Chance gegen den Königsgepard – dem Alphatier des Rudels.
»Du bist früh dran.« Die Stimme seiner Schwester drang an sein Ohr, doch gelang es ihr nicht, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Etwas lag in der Luft, das ihn in Alarmbereitschaft versetzte.
»Greg hat mich früh gefunden«, gab er zurück. »Was ist passiert?«
Bewusst stellte er die Frage an den Gepard, der seine Krallen aufblitzen ließ. In Conan spannte sich alles an.
Elyon schob sich in sein Blickfeld. »Lass das«, wandte sie sich an den Kater im Baum. »Du weißt so gut wie ich, dass er nichts dafür kann.«
Nur kurz huschten die Augen ihres Mannes zu ihr, bevor sie Conan wieder in Beschlag nahmen. Was auch immer er angestellt hatte, Nolan war echt angepisst.
Schnell überlegte er, was er falsch gemacht hatte. Hatte er eine Schicht verpasst? Nein, das war es nicht. Seit er im Rudel aufgenommen worden war, hatte er seine Aufgabe als Soldat ernst genommen. Auch alle weiteren Verpflichtungen, die man ihm auferlegt hatte, hatte er ohne zu murren erledigt. Immerhin war seine Schwester mit dem Alphatier liiert, da wollte er ihr keine Schwierigkeiten bereiten. Je länger er darüber nachdachte, desto weniger verstand er Nolans Ärger.
»Spuck’s endlich aus«, entfuhr es ihm. Geduld war noch nie seine Stärke gewesen.
Der Gepard erstarrte. Scheiße.
Plötzlich erhielt er einen Klaps auf den Hinterkopf. »Aua!«, stieß er hervor, duckte sich unter dem nächsten Schlag hinweg, den seine Schwester für ihn vorgesehen hatte.
»Bist du lebensmüde?«
»Nein.« Er rieb sich die Stelle, wo Elyon ihn erwischt hatte. »Das hat echt wehgetan.«
Sie verdrehte die Augen. »Hat es nicht.«
Hatte es nicht. Aber das musste sie ja nicht wissen. »Warum schlägst du mich?«
Sie deutete auf den Kater im Baum. »Na, weil du genau weißt, dass Nolan stinkwütend auf dich ist und du ihn trotzdem provozierst.«
Abwehrend verschränkte er die Arme vor der Brust. »Ich würde eher sagen, dass er mich provoziert hat«, murrte er. Seine Schwester schaute ihn entnervt an. Geschlagen hob er die Hände. »Schon gut. Hab’s verstanden. Entschuldige, Nolan«, wandte er sich an den Königsgepard. Ein Schnauben ertönte, das verdächtig amüsiert klang. Gähnend erhob sich der Kater, als hätten ihn die letzten Minuten gelangweilt und sprang grazil von dem Ast auf die Terrasse. Mitten im Sprung erlosch Conans Sicht für wenige Sekunden, ehe sich die Welt wieder vor seinen Augen manifestierte.
Blinzelnd sah er Nolans menschliche Gestalt, der soeben einen zärtlichen Kuss auf den Mund seiner Schwester drückte.
»Nur damit ihr es nicht vergesst: Ich bin auch noch hier«, sagte er zu den zwei Turteltauben, die kaum die Finger voneinander lassen konnten.
»Du tanzt gerne auf Messers Schneide, nicht wahr?« Nolans Frage hörte er nur gedämpft, da er den Kopf in Elyons Haar vergraben hatte.
»Was genau habe ich angestellt, dass du so angepisst bist?«
Bevor er überhaupt reagieren konnte, hatte Nolan ihn am Shirt gepackt und drängte ihn Richtung Abgrund. Instinktiv zog er sein Tantō, hielt es jedoch nur in der Hand. Eine Warnung – keine Drohung. Denn Conan wusste zu genau, dass man dem Alphatier niemals drohen sollte.
Das spöttische Lächeln, das Nolans Gesichtszüge immer begleitete, zuckte einen Moment. Die Narbe, die seine Lippen in dieses Lächeln zwang, hatte er angeblich von einem Verwandten erhalten, der nicht bei Sinnen gewesen war. Das Gerücht hatte er in Cerys aufgeschnappt und war ihm seither nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Auch Conans Vergangenheit war geprägt von verwandtschaftlichen Problemen, die er am liebsten verdrängte.
»Ich habe dich in mein Rudel aufgenommen«, knurrte Nolan. »Ich habe dir eine Aufgabe gegeben und weil du ein Lehrer warst, habe ich dir erlaubt, Lissa zu trainieren.«
Ein Hauch von Angst ließ sein Herz schneller schlagen, sein Griff um den Schaft des Messers wurde fester. Nolans zweifarbige Augen blitzten wissend. Er wusste, welche Wirkung er auf ihn hatte und Conan verfluchte ihn dafür. Doch er war nicht zum Lehrer, die für den inneren Kern der Forás auserkoren worden waren, aufgestiegen, wenn ihn eine solche Situation überfordert hätte.
»Ich kenne die Fakten. Ich war dabei. Also, worauf willst du hinaus?«
Ein Hauch Respekt huschte über Nolans Gesicht. »Mut hast du ja, das muss man dir lassen.«
Der Griff an seinem Shirt ließ nach und der Wandler trat einen Schritt von ihm zurück. Conan musste sich nicht erst umdrehen, um zu wissen, dass die Kante des Abgrunds direkt hinter ihm war. Obwohl all seine Instinkte ihm zuriefen, dass er sich davon wegbewegen sollte, blieb er dort stehen. Es war ein psychologischer Kniff, den er sich zu Eigen machte. Denn Nolan hatte ihn nicht ohne Grund dorthin manövriert, wo er jeden Augenblick fallen konnte. Von der Stelle jetzt abzurücken, würde ihn nur schwach erscheinen lassen. Und wie Nolan es so treffend formuliert hatte: Er tanzte gerne auf Messers Schneide.
»Wie lange trainierst du sie schon?«
Es ging also um Lissa. Er hätte es sich denken können. »Etwas über zehn Monate.«
»Wie ist ihre Prognose?«
Es waren dieselben Fragen, die auch Greg gestellt hatte. Verwirrt sah er zu seiner Schwester, die neben Nolan stand. Ihr Gesicht gab keine Gefühlsregung preis. »Sie lernt schnell, hat eine schnelle Auffassungsgabe und eine gute Körperbeherrschung«, wiederholte er.
»Du bist jung, Conan.« Der Themenwechsel irritierte ihn. Ja, er war jünger als seine Schwester. Aber er hatte aufgehört, jung zu sein, nachdem die Frau, die er Mutter genannt hatte, versucht hatte, ihn zu töten. »Wie alt warst du, als du Lehrer für den inneren Sektor geworden bist?«
»Siebzehn.«
Elyon zuckte zusammen. Ihren ersten Job im selben Sektor hatte sie im gleichen Alter ausgeführt. Damals war er dreizehn Jahre alt gewesen und hatte bereits mitten in einem Training gesteckt, von dem sie nichts gewusst hatte. Eine Ausbildung, die ebenso hart war, wie ihre. Denn keinem Lehrer war es möglich, etwas zu vermitteln, was er nicht selbst beherrschte. Nur hatte Conans Fokus auf den körperlichen Aspekten des inneren Sektors gelegen, und nicht auf den Aspekten der geistigen Natur.
»Das wusste ich nicht«, hauchte sie, woraufhin Nolan sanft ihre Hand ergriff. Eine beruhigende und unterstützende Geste, nach der sich Conan in diesem Augenblick ebenfalls sehnte. Nur würde er das niemals zugeben.
»Alter ist nur eine Zahl«, sagte er. »Das weißt du genauso gut wie ich.«
»Gut, dann kannst du dich damit also nicht rausreden«, warf Nolan ein. »Ist es dann Fahrlässigkeit? Oder fehlt dir die Motivation? Vielleicht ist es dir einfach egal?«
»Worauf willst du hinaus?«
Der Gepard trat wieder einen Schritt auf Conan zu, wodurch er Elyons Hand losließ. »Darauf, dass Lissa kaum noch aufrecht stehen kann.«
Ah. Das schon wieder. Er sperrte seine eigene Sorge über Lissas Zustand hinter Schloss und Riegel. Emotionen waren in einer solchen Situation kontraproduktiv. »Ich bin ihr Lehrer. Nicht ihr Babysitter.«
»So, so. Dann bringt man euch bei den Forás nicht bei, dass Erschöpfung tödlich sein kann?«
»Doch. Aber ich kann ihr nicht helfen, wenn sie sich nicht helfen lassen will.«
»Du siehst es also auch?«
»Natürlich.« Die Frage verletzte ihn. »Ich trainiere sie seit fast einem Jahr. Natürlich sehe ich, dass sie immer weniger schläft und weniger Pausen macht. Aber ich bin nicht ihr Babysitter. Ich kann ihr das noch so oft sagen und ihr Trainingspausen verordnen. Wenn sie es selbst nicht wahrhaben will, bin ich machtlos.«
»Was würdest du tun, wenn du noch bei den Forás wärst und einen solchen Schüler hättest?«
Conan seufzte. Er ließ das Tantō zurück in die Scheide gleiten. »Wenn ich noch bei den Forás wäre, dann würde ich den Schüler in eine Situation bringen, die ihm seine Schwäche deutlich vor Augen führt.« Er ließ die Worte auf Nolan wirken, bevor er hinzufügte: »Eine lebensbedrohliche Situation. Nichts anderes würde man von mir erwarten.«
Das Gold in Nolans linkem Auge verblasste, während das rechte zu blassblauem Eis erstarrte. Seit einem Jahr schaute er in das Gesicht des Alphatiers. Trotzdem gewöhnte er sich nicht daran, dass Elyons Augenfarbe ihm daraus begegnete.
»Wenn dir bewusst ist, wie es um Lissa steht, warum hast du das nicht gemacht?«
Ein Schock fuhr durch seinen Körper. »Du willst, dass ich sie in eine lebensbedrohliche Situation bringe?«
Nolan spannte ihn Sekunden lang auf die Folter, ehe er sich erbarmte: »Nein. Mich wundert es nur, dass du es nicht getan hast.«
Er biss die Zähne zusammen. »Das hältst du also von mir?«
»Ich weiß nicht, was ich von dir halten soll, wenn es um deinen alten Job geht«, gestand Nolan, verschränkte die Arme und ließ den Blick über die Baumkronen wandern. »Als Soldat bist du hervorragend. Du bist fokussiert, behältst einen ruhigen Kopf, denkst strategisch und kannst dich ausgezeichnet verteidigen.«
Nolans kühle Fassade ließ ihn frösteln. Conan erkannte, dass er Nolan enttäuscht hatte. »Aber?«
»Lissa macht Fehler«, sprang Elyon ein, da sich ihr Gefährte mit seiner Antwort Zeit ließ. »Die anderen Ärzte sorgen sich um ihren geistigen Zustand.« Mit langen Schritten kam seine Schwester auf ihn zu und umfasste seine Oberarme. Er spürte die Stärke, die von ihr ausging und sog sie gierig auf, um sich zu wappnen. »Du bist nicht mehr bei den Forás, wo du nur dafür zuständig warst, sie auf das Leben als Soldat vorzubereiten. Du bist nun Bestandteil dieses Rudels und das Wohl deiner Rudelmitglieder gehört ebenso zu deinen Aufgaben.«
Er schluckte seinen angeknacksten Stolz hinunter. »Was schlagt ihr also vor, soll ich tun?«
»Das überlasse ich dir«, sagte Nolan. »Zeig mir, dass es kein Fehler war, dich ihre Ausbildung übernehmen zu lassen.«
»Ich soll mich beweisen«, schlussfolgerte er.
»Du sollst dich kümmern«, flüsterte Elyon und drückte abermals seine Arme. »Nicht nur um dich und ihre Ausbildung. Sondern um ihr Wohlergehen.«
»Und wenn ich das nicht schaffe?«
»Dann muss ich deine Stellung in meinem Rudel noch einmal überdenken.«
Nolans Worte prasselten wie Hiebe auf ihn nieder.
Schwer ruhte ihr Kopf in ihren Handflächen. Sie rieb sich die Augen, die vor Müdigkeit brannten und tränten. Sie biss fest den Kiefer zusammen, um das Gähnen zu unterdrücken, das sie schon den ganzen Tag über quälte.
Ein paar Stunden Schlaf würden ihr verdammt guttun. Das wusste sie, doch die Arbeit, die sich auf ihrem Schreibtisch stapelte, zwang sie zur Konzentration. Sie holte die Akten heraus, die sie vervollständigen musste, sichtete einige Laborergebnisse und überprüfte ihren Terminkalender. Dabei sprang ihr ein rot markierter Termin ins Auge, der sie erschrocken hochfahren ließ.
»Scheiße«, stieß sie hervor. Hastig packte sie ihren Mantel von der Stuhllehne, fuhr den Computer runter und eilte aus ihrem Büro.
»Naya, hast du …« Sie wandte sich an ihre Assistentin, die sich im letzten Monat ihrer Ausbildung zur Heilerin befand, und sah sie mit dem tragbaren Ultraschallgerät neben ihr stehen. »Danke.« Erleichtert atmete sie auf, als Naya ihr das Gerät mit einem Lächeln überreichte.
»Ich wollte dich gerade holen kommen. Du bist ein bisschen spät dran.«
»Ja, ich war in die Akte von Christie vertieft.« Nolans Nichte kämpfte gegen Lungenkrebs und hatte gerade die Chemotherapie beendet. Der Krebs hatte sich verkleinert und die Chancen standen gut, dass er sich operabel entfernen ließ.
Naya nickte und half Lissa in den Mantel. »Soll ich den nächsten Termin auf deiner Liste übernehmen?«
»Das wäre toll.« Sie drückte die Schulter der Wandlerin, die ihr in den letzten Monaten zur Seite gestanden hatte. »Ich wüsste gar nicht, was ich ohne dich machen sollte.«
»Das mache ich doch gerne. Ich hab heute ohnehin nichts mehr vor und soweit ich weiß, hast du nachher noch einen Trainingstermin.« Obwohl es keine Frage war, schwang doch ein Fragezeichen mit.
»Ich hab mir einen der separierten Trainingsräume gebucht und möchte meinen Gleichgewichtssinn stärken«, antwortete sie gezwungenermaßen.
Ein verkniffenes Lächeln huschte über das Gesicht der Gepardin. »Überanstreng dich nur nicht.«
Lissa lachte. »Werd ich nicht und danke.« Sie wandte sich zum Gehen, denn jetzt war sie wirklich spät dran.
Mit einer Hand fummelte sie am Riemen der Tasche mit dem Ultraschallgerät herum, während sie mit der anderen die Tür des Gebäudes aufstieß. Kalte Nachmittagsluft umhüllte sie und hieß sie in Cerys willkommen. Das geschäftige Treiben ihrer Rudelmitglieder blendete Lissa aus. Heute war Markttag, was zur Folge hatte, dass viele Geparden auf den Waldwegen unterwegs waren. Kinder kreischten und spielten zwischen den Ständen fangen – sehr zum Ärger der Verkäufer. Doch das Lächeln auf den Gesichtern der Kleinen entschädigte alle.
Lissa manövrierte sich zwischen den Ständen hindurch, ging schnellen Schrittes am Wohnviertel von Cerys vorbei, bis sie die Grenze der inneren Stadt erreichte. Die Stadt der Wandler war weitläufig und umfasste einen großen Teil des Waldes, den Nolan sein Herrschaftsgebiet nannte. Die meisten Wandler lebten in der Nähe des Stadtkerns, wo sich der Markt, das Rathaus und die wichtigsten Ämter befanden. Einige von ihnen liebten jedoch die Abgeschiedenheit und hatten ihre Behausungen am Rand des Kerns errichtet.
Obwohl Nathaniel zu den Hütern von Cerys, wie Nolans oberste Soldaten genannt wurden, gehörte und ein geselliger, junger Mann war, wohnte auch er außerhalb der Stadt. Zusammen mit seiner Frau Penthesileia lebte er dort schon fast zehn Monate.
Das Haus, das wie aus einem Märchen entsprungen wirkte, kam endlich in Sicht. Die Tür schwang auf und Nate kam mit langen Schritten auf sie zu.
»Lissa«, begrüßte er sie, nahm ihr die Tasche ab und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich hab mir schon Sorgen gemacht.«
»Entschuldige«, murmelte sie etwas außer Atem. »Der Tag war anstrengend.« Mit einem Lächeln versuchte sie ihre Erschöpfung zu überspielen und musterte den Wandler. »Wie geht es dir, Nate?«
Er nickte, bot ihr den Arm an, woraufhin sie sich dankbar unterhakte. »Sehr gut«, strahlte er. »Wir sind nur ein wenig nervös. Die Kleinen werden nicht mehr allzu lang auf sich warten lassen.«
Seine Freude legte sich wie eine warme Decke um sie. »Das denke ich auch.«
Gemeinsam stiegen sie die wenigen Stufen zur Veranda des Hauses hinauf und Nate hielt ihr die Tür auf. Lissas Augen fanden Leias zierliche Gestalt, die unter einer flauschigen Decke auf der Couch ruhte.
»Schön dich zu sehen, Lissa.« Die junge Frau wollte aufstehen, doch Nate war schneller. Sanft drückte er sie zurück auf die Couch und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Bleib liegen. Lissa kann auch zu dir kommen.«
»Ich bin doch keine Invalidin«, murrte Leia, die sich allerdings geschlagen gab.
»Nein, bist du nicht«, lachte Lissa und hängte ihren Mantel an die Garderobe. »Aber hochschwanger.«
Leia murmelte etwas Unverständliches, beließ es jedoch dabei. Mit geübten Händen hatte Nate das Ultraschallgerät aus seiner Hülle befreit. Es gab einen leisen Piepton von sich, als er es an die Stromversorgung anschloss.
Lissa setzte sich neben Leia und begann mit der Untersuchung. »Wie geht es dir?«
»Gut. Nur müde und meine Füße tun ständig weh.« Sie rieb sich über den Bauch, der sich unter ihrer Hand wölbte. »Da ist gerade jemand aufgewacht«, lächelte sie auf den Tritt hinab, der kurz darauf folgte.
»Okay. Soweit ist alles normal«, erklärte Lissa, nachdem sie mit ihrer ersten Untersuchung fertig war. »Dann sehen wir uns doch einmal die beiden auf dem Bild an.«
Sie nahm das Ultraschallgerät von Nate entgegen, gab Gel auf Lissas Bauch und platzierte den Kopf des Geräts auf ihrer hellen Haut. Das Bild erschien auf dem kleinen Monitor und die Eltern betrachteten es mit strahlenden Augen. Das war es, was Lissa an ihrem Job so liebte. Jemandem eine gute Neuigkeit mitzuteilen, zum Lächeln zu bringen oder vor Freude sogar zum Weinen.
»Da haben wir den kleinen Burschen«, sagte Lissa sanft. »Mit zehn Zehen und zehn Fingern.«
»Und einem kräftigen Tritt«, lachte Leia.
»Wo ist mein kleines Mädchen?«, mischte sich Nate ein, der die Hand seiner Frau hielt. Wie gebannt starrte er auf den Monitor hinab.
Lissa drehte den Kopf des Ultraschallgeräts ein wenig, um die junge Dame ins Bild zu rücken. »Schläft friedlich an der Seite ihres Bruders.«
Nach weiteren zehn Minuten, in denen Lissa einige Ultraschallbilder gemacht und die Untersuchung vollständig abgeschlossen hatte, packte sie das Gerät wieder ein. »Die Kleinen haben sich noch nicht gesenkt, aber ich denke, das wird in den nächsten Tagen passieren«, sagte sie zu den werdenden Eltern. »Wenn du die ersten Krämpfe bekommst, dann ruf mich an. Auch bei anderen Auffälligkeiten, wie Übelkeit oder Schmierblutungen.«
»Das machen wir.«
»Bist du noch im aktiven Dienst?«, wandte sich Lissa an Nate, der seiner Frau soeben eine Tasse Tee reichte.
»Nein, heute war mein letzter Tag.«
»Wer springt für dich ein?«, fragte Lissa. Sie war gerade dabei das Gel in der Seitentasche zu verstauen, als sie entschlossene Schritte hörte. Ein Gang, der ihr in Fleisch und Blut übergegangen war.
»Deinem Blick nach zu urteilen, weißt du es bereits«, schmunzelte Leia und nippte von ihrer Tasse. »Wie läuft das Training denn so?«, fragte sie scheinheilig.
»Gut«, murrte Lissa. Nate war aufgesprungen, um dem Forá die Tür zu öffnen.
»Und wie läuft es sonst so?«
Obwohl sie die Frage vage formulierte, wusste Lissa genau, worauf sie hinauswollte. Nur wenige Wochen nach dem Übergriff auf sie, wurde Leia angegriffen. Sie hatte sich wehren können, bevor etwas Schlimmeres passiert war. Doch trotzdem ahnte sie, wie es um Lissas Gefühlswelt bestellt war. Deshalb log Lissa Leia nicht an, aber hundert Prozent ehrlich war sie ihr gegenüber auch nicht. »Ich werde es überleben«, sagte sie daher.
»Danke, dass du so kurzfristig Zeit hast, Nate.« Conan trat durch die Tür und hielt mitten in der Bewegung inne, als ihre Blicke miteinander kollidierten. Sie spürte seine Aufmerksamkeit auf ihrem ganzen Körper. Ein heißkalter Schauer durchfuhr sie von Kopf bis Fuß.
»Ich wusste nicht, dass du hier sein würdest.«
»Leia hatte einen Ultraschalltermin.«
Seine Stirn legte sich in Falten. »Hätte das nicht Naya machen können?«
Sie versteifte sich. »Es ist meine Praxis.«
»Ja, aber du warst bis zum Morgengrauen auf den Beinen.«
»Ich habe schon mit viel weniger Schlaf gearbeitet.«
»Hast du denn überhaupt geschlafen?«
»Natürlich.«
»Wie lange?«
»Bist du etwa mein Vater?«
»Wie lange?«
»Das ist wie ein Tennis-Match«, kicherte Leia.
»Nur besser«, stimmte ihr Nate zu.
»Das geht dich gar nichts an.«
»Ich bin dein Trainer. Es geht mich sehr wohl etwas an.«
Frustriert warf sie die Arme in die Luft. »Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß.«
»Tja, Kätzchen. Das ist ja gerade das Problem. Du gehörst nun mal zu meinem eigenen Scheiß.«
Die Gepardin in Lissa erwachte zum Leben und zeigte ihre Krallen. Ein sanfter Schmerz ließ ihre Fingerkuppen kribbeln, als sie hervortraten. »Ich gehöre ganz bestimmt nicht zu deinem Scheiß.«
»Seit du mich um Hilfe gebeten hast, sehe ich das anders. Ein Lehrer kümmert sich um seine Schüler. Also wie viele Stunden hast du geschlafen?«
Sie war so wütend, dass sie das Fauchen in ihrer Kehle spürte, schaffte es aber sich von dem Forá abzuwenden und sich auf Nate und Leia zu konzentrieren. »Ruft mich an, wenn ihr etwas braucht.«
Geschmeidig stand sie auf, griff nach ihrem Mantel und marschierte an ihrem Lehrer vorbei, der sie mit stechendem Blick musterte.
»Dass ich dich um Hilfe gebeten habe, war vermutlich ein Fehler«, zischte sie. Schwungvoll zog sie die Tür auf, trat hindurch und ließ sie krachend zuschlagen.
»Fuck!« Conans Ausruf schallte bis an ihre sensiblen Ohren. So wütend hatte sie ihn noch nie erlebt. Es tat ihr beinahe leid, ihn so auf die Palme gebracht zu haben. Die Gepardin in ihr brodelte und beharrte auf ihrem Standpunkt. Der Forá hatte kein Recht, sie so vor ihren Freunden anzufahren.
Sie stapfte auf dem gleichen Weg zurück durch den Wald, den sie zuvor gekommen war. Die Geräusche, die aus Nates Haus kamen, blendete sie aus. Man belauschte seine Freunde nicht, selbst wenn man wütend auf sie war. Oder neugierig.
Ein bunt gesprenkeltes Blatt schwebte vor ihr zu Boden und ließ sie innehalten. Ihre Wut war siedend heiß und brachte sie zum Zittern. Aus einem Impuls heraus, verstaute sie die Tasche mit dem Ultraschallgerät bei einem der Bäume. Dann überließ sie dem Tier in ihr die Oberhand. Schmerz und Ekstase lagen nahe beieinander, als sich ihre Knochen verschoben, ihre Sehnen sich dehnten und ihre Muskeln sich anspannten. Genüsslich streckte sich die Gepardin, die Lissa an die Oberfläche geholt hatte. Sie grub ihre Krallen in die kalte Erde, stieß sich mit aller Kraft vom Boden ab. Befreit jagte sie durch den Wald.
Ihre Wut steckte tief in ihren Knochen, was sie noch schneller werden ließ. Flink huschte sie an den Bäumen vorbei, sprang über herabgefallene Äste und umgestürzte Baumstämme. Sie ließ sich vom Wind treiben, der sie tiefer in den Wald lockte.
Ihre Muskeln entspannten sich mit jedem Kilometer, den sie zurücklegte. Eine Ruhe überkam sie, die die Wut, den Frust, die Angst und Erschöpfung langsam dämpfte. Tiefe Atemzüge ließen ihre Lungen weit werden, bis sie den Geruch eines gewissen Forás vernahm. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie ihren Ausgangspunkt wieder erreicht hatte, so sehr war sie in ihren Lauf vertieft. Ruhig und leise trabte sie auf die Gestalt zu, die mit ihrer Tasche an dem Baum auf sie wartete. Bewusst vorsichtig setzte sie jede Pfote auf dem Boden auf, um sich an den Mann anzupirschen, der für ihre Gepardin viel zu verführerisch roch.
»Du warst lange weg.« Die Stimme ließ sie innehalten. Er hatte sie bemerkt. Das gefiel der Katze. Ihre menschliche Seite hingegen ärgerte es nur.
Sie richtete sich aus ihrer schleichenden Pose auf und ging mit erhobenem Haupt auf den Forá zu. Dabei spürte sie seinen Blick mit jeder Faser ihres Körpers. Die Gepardin aalte sich in dem Gefühl, was den Menschen in ihr zum Fauchen brachte.
»Ich möchte mich entschuldigen.« Lissa horchte auf. »Natürlich darfst du deine eigenen Entscheidungen treffen aber …« Er seufzte und fuhr mit der Hand durch seine Haare. Früher waren sie länger gewesen. Die Strähnen hatten seine Schultern gestreift, wann immer er sich bewegt hatte. Doch seit Nolan ihn zum Soldaten ernannt hatte, trug Conan einen Kurzhaarschnitt, der sein markantes Gesicht betonte. »Wir machen uns Sorgen um dich, Lissa. Du bist nur noch ein Schatten deiner selbst.«
Sie knurrte. Ihre hart erarbeitete innere Ruhe war dahin.
»Was kann ich tun, um dir zu helfen?« Aufrichtige Sorge lag in seiner Stimme. Lissas Wut rückte wieder etwas in den Hintergrund. Ihre Gepardin zog sich zurück und Lissa verwandelte sich. Die Welt wurde schwarz, verschwamm und erstrahlte wieder in voller Pracht.
»Trainiere mich«, antwortete sie ihm. »Damit hilfst du mir.« Sie bückte sich nach der Tasche, die zu seinen Füßen lag und wandte sich von ihm ab. In seinem Gesicht sah sie, wie er mit einer Antwort haderte. Doch Lissa wollte keine Erwiderung auf ihre Forderung. Nur wenn er sie trainierte, würde sie stark genug sein, um sich dem zu stellen, was des Nachts in ihren Träumen auf sie lauerte.
Conans Schicht begann um Mitternacht. Er spürte die Rinde des Baums an seinem Rücken, als er sich zurücklehnte und ein Messer zückte. Auf dem Weg hierher war ihm ein abgefallener Ast ins Auge gestochen, den er in die passende Größe brach und nun mit der Klinge bearbeitete. Mit geübten Fingern schnitzte er die Rinde vom Holz. Er begann eine Figur herauszuarbeiten, die ihm im Kopf herumschwirrte. Eine Gepardin auf der Lauer, darauf wartend, ihn mit ihren Krallen anzufallen.
Währenddessen schärfte er seine Sinne. Der Forá bemerkte jedes Knacken eines Astes, jedes Rascheln im Wind. Für einen Außenstehenden wirkte er gelassen, gar entspannt. Doch Conan wusste, wie man seinen Gegner täuschte.
»Bist du meine zugeteilte Partnerin?«, fragte er Kelley, die sich an ihn herangepirscht hatte.
»Man könnte meinen, du wärst ein Wandler.« Ihre Stimme hatte einen kühlen Unterton, der typisch für die Frau mit dem messerscharfen Verstand war. »Woran hast du mich bemerkt?«
Er deutete mit der Klinge auf eine der Baumkronen zu seiner Linken. »Die Eule dort ist verdächtig still geworden.«
Kelleys geschwungene Augenbraue hob sich vor Überraschung. »Lernt man das bei den Forás?«
Ihm entschlüpfte ein Lachen. »Nein, das habe ich mir im letzten Jahr angeeignet.«
»Interessant.« Die Wandlerin lehnte sich ebenfalls an den Baum und ließ ihren Blick durch den Wald schweifen. Für einen Moment blieben sie still. Conan vermutete, dass sie die Lage checkte. Dann setzten sich beide gleichzeitig in Bewegung und marschierten wie ein eingespieltes Team langsam den Bereich ab, den man ihnen für heute Nacht zugeteilt hatte.
Sie verhielten sich leise und ließen den Wind für sich arbeiten, der jedes noch so verdächtige Geräusch an ihre Ohren trug. Natürlich war Conan bewusst, dass sein Gehör nicht ansatzweise so ausgeprägt war, wie das von Kelley. Doch er hatte andere Stärken, die ihnen im Falle eines Angriffs Zeit verschafften.
»Wie geht es dir?«, durchbrach Kelley nach einigen, ereignislosen Stunden die Stille. »Ich habe gehört, dass dich Nolan zur Brust genommen hat.«
Wenn er daran zurückdachte, wie knapp er vor dem Abgrund gebaumelt hatte, dann war ihre Ausdrucksweise noch freundlich. »Es gehört zum Lernprozess, dass man mit Fehlern konfrontiert wird.«
»Das heißt aber nicht, dass man sich danach nicht mies fühlen darf.«
War es das, was Elyon gemeint hatte? Versuchte Kelley, sich um ihn zu kümmern?
»Ich muss mich erst noch im Rudel zurechtfinden, wie es scheint«, brummte er.
»Das kann ich unterschreiben.«
»Sehr nett, danke.«
Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.
Dann verfielen beide in Schweigen, doch dieses Mal machte Conan sich nicht ausschließlich Gedanken um Lissa. Er ließ die Nacht auf sich wirken, die ihn beruhigte, wie ein altbekannter Freund. Die Zeit Schritt voran, bis Kelley eine alarmierende Geste machte.
Der Wind hatte sich gedreht und ließ die Zweige knacken. Lauschend legte er den Kopf schräg, um das zu hören, was Kelley vernommen hatte. Sie deutete gen Norden, woraufhin sie sich langsam in Bewegung setzten. Die Wandlerin driftete nach links ab, um Conan mehr Spielraum auf der rechten Seite zu lassen.
Mit Mimik und Gestik verständigten sie sich, denn Kelley konnte mit ihren Sinnen die Lage besser einschätzen. Conan atmetet tief und kontrolliert, um seinen Herzschlag zu verlangsamen und sich auf den bevorstehenden Kampf vorzubereiten. Ein Vogel erhob sich und flog mit kräftigen Flügelschlägen aus dem Gefahrengebiet. Dadurch wussten sie, wo sich die Gegner aufhielten, die Kelley gewittert hatte. Er duckte sich hinter eine Buche, suchte im fahlen Lichtschein den Waldboden ab und schob sich langsam vorwärts. Leises Flüstern drang an sein Ohr.
»Wir sollten nicht hier sein«, sagte eine junge, weibliche Stimme.
»Sei kein Spielverderber.«Die Antwort stammte von einem jungen Mann. Das klang nicht wie ein Überfall. Eher wie ein Streich. Doch er wartete auf Kelley, die die Störenfriede sicher besser sah.
»Was macht ihr hier?« Kelleys genervte Stimme nahm die Anspannung von ihm. »Der Morgen graut bald.«
»Scheiße!«, schrie der Junge. Das Mädchen stieß einen Schrei aus und nahm die Beine in die Hand. Nur lief sie dabei Conan direkt in die ausgebreiteten Arme.
»Keine Bange. Dieser Forá ist auf eurer Seite«, witzelte er, als sie sich strampelnd zu befreien versuchte.
Kelley seufzte. »Wie oft habe ich dich jetzt schon eingefangen?«, wandte sie sich an den Jungen, der zerknirscht zu Boden sah.
»Sorry, aber …«
»Kein aber. Du weißt genau, dass du außerhalb von Cerys nichts zu suchen hast, Dane.«
»Hab dir ja gesagt, dass das keine gute Idee ist«, flüsterte das Mädchen.
Er verdrehte die Augen. »Ja, schon klar.«
»Wo wolltet ihr hin?«, fragte Conan, der den kurzen Schlagabtausch amüsiert verfolgt hatte.
Dane zuckte nur mit den Schultern, doch das Mädchen brach das Schweigen: »Wir wollten nur schauen, ob wir es überhaupt schaffen können.«
»Warum?«
Der Blick des Jungen traf ihn unvorbereitet. Da war so viel aufgestaute Wut, dass Conan sie geradezu spürte.
»Wir kommen hier ja nie raus.«
Seit das mit den Forás passiert ist. Der Junge brauchte es nicht auszusprechen, denn es schwang in seinen Worten mit. Unter den Jugendlichen hatte sich eine gehörige Portion Frust angestaut.
Kelley drehte sich zur Seite, zückte ihr Smartphone, um jemanden anzurufen, der die beiden abholte. Also blieb das weitere Verhör an ihm hängen. Conan verschränkte die Arme.
»Wie seid ihr an den anderen Patrouillen vorbeigekommen?« Sie hatten sich an mindestens vier Soldaten vorbeigeschlichen, bis sie es hierher geschafft hatten.
Der Junge gab sich keine Blöße, im Gegensatz zu dem Mädchen. »Danes Bruder ist im Patrouillentrupp. Er hat die Schichtpläne und Wege gesehen.«
»Sei still«, zischte der Junge, der seine Familie schützen wollte.
»Beeindruckend«, lobte ihn Conan. »Auch wenn du die Pläne kennst, ist es nicht leicht, unsere Soldaten zu umgehen.« Ein abwägender Ausdruck huschte über Danes Gesicht. »Allerdings würde ich dir raten, dein Talent anderweitig zu nutzen. Auf Dauer handelst du dir damit nur Ärger ein.«
»Du hast leicht reden«, brummte er. »Du kannst kommen und gehen, wann immer du willst.«
»Auch als Erwachsener hat man seine Pflichten«, erinnerte Conan ihn.
Kelley beendete ihr Telefonat und kam wieder zu ihnen zurück. »Wir bringen die beiden nach Cerys. Greg und Ruby übernehmen für uns.«
»Geht klar.«
Sie traten den Rückweg an und führten die Jugendlichen bis zu ihrer Haustür. Der Morgen brach langsam herein, als sie den Jungen seinen Eltern übergaben. Sein Bruder würde eine Standpauke von Greg erhalten, der als Oberbefehlshaber für die Einteilung der Soldaten zuständig war – und für ihre Bestrafung.
Conan verabschiedete sich von Kelley, die das Mädchen nach Hause brachte, und machte sich auf den Heimweg. Doch vorher brauchte er noch über eine Sache Gewissheit.
Joggend schlug er den Weg zum Trainingsgebäude ein, das nicht weit entfernt lag. Sein Atem blieb ruhig, als er das moderne Gebäude betrat und sich aufmerksam umschaute. Gemächlich schritt er die Halle ab, die im morgendlichen Licht erstrahlte, wodurch die bunten Blätter der Bäume faszinierende Farben auf den hellen Boden malten. Erleichtert atmete Conan auf, als er die Halle menschenleer vorfand. Doch plötzlich ließ ein Geräusch ihn innehalten.
Angespannt lief er durch die Halle zu der Tür, die zu einem separaten Trainingsbereich führte. Ohne anzuklopfen, riss er sie auf und erblickte Lissas schweißgetränktes Gesicht.
»Willst du mich verarschen?«
Mitten in der Bewegung zuckte sie zusammen. »Was machst du hier?«
Blitzschnell entwaffnete er sie, ließ ihr Stilett zu Boden fallen und drückte sie an die nächstgelegene Wand. Er war so wütend, dass sie ihm und seiner Technik nichts entgegenzusetzen hatte.
»Was machst du hier?«, stellte er die Gegenfrage. Es überraschte ihn, wie ruhig seine Stimme klang, obwohl sein Herz in der Brust hämmerte.
Sie schnappte nach Luft. »Lass mich gefälligst los!«
»Bring mich dazu«, raunte er.
Erstaunt blinzelte sie ihn an. Der Schweiß tropfte ihr von der Stirn und landete auf seinem Shirt. Er hatte ihre Handgelenke im Griff und hielt sie über ihrem Kopf fest. Sein Körper drückte sich schwer an ihren, sodass er jeden ihrer Atemzüge hautnah wahrnahm. In einer anderen Situation hätte er es genossen, ihre warme Gestalt an ihn geschmiegt zu fühlen, doch jetzt herrschte in ihm eine solche Wut, dass er den Schutzschild, der seine Gabe in Schach hielt, aktiv beobachtete.
Sie wandte sich unter seinem Griff, versuchte ihr Bein zwischen seine zu schieben, stemmte sich gegen seinen Körper – doch es nutzte nichts. Er hatte sie eiskalt erwischt.
»Lass mich los«, zischte sie.
Er brachte sein Gesicht näher an ihres. »Wärst du nicht so erschöpft, hättest du mich schon gehört, bevor ich dich wahrgenommen habe. Du hättest mir auflauern und mich von hinten überfallen können.« Sie strampelte und gab einen frustrierten Laut von sich. »Du hättest mich hören müssen, Lissa.«
Ihr Atem ging stoßweise und ihr fahriger Blick begegnete seinem. Ein Anflug von Panik blitzte darin auf. Hastig ließ Conan sie los und brachte sich schnell außerhalb ihrer Reichweite. Entgegen seiner Vermutung ging sie nicht auf ihn los. Stattdessen sackte sie zusammen und rang nach Luft.
»Lissa?«, fragte er alarmiert. Ihre Atemzüge waren zu kurz. Das Ausatmen gelang ihr nicht. Sie hyperventilierte. »Zieh die Beine an. Leg den Kopf zwischen die Knie«, befahl er geistesgegenwärtig und half ihr dabei, ihren zitternden Körper in Position zu bringen. Sanft nahm er ihre Hand und legte sie auf seinen Brustkorb. »Konzentriere dich auf meinen Atem, okay?« Er drückte ihre kalten, schweißnassen Finger auf sein Herz. »Einatmen«, flüsterte er und atmete ein. Seine Brust hob sich unter ihrer Haut. Er zählte langsam bis zehn. »Ausatmen.« Sie senkte sich, während er innerlich rückwärts zählte. »Nochmal«, befahl er und atmete. »Konzentrier dich nur auf meinen Atem.« Eins, zwei, drei, vier, …
»Gut so. Du machst das gut«, bestärkte er sie. »Und jetzt ausatmen.«
Gemeinsam atmeten sie so lange, bis sich Lissas Brustkorb seinen Atemzügen angepasst hatte. Langsam hob sie den Kopf und wich seinem Blick aus. Ohne es zu bemerken, hatte er ihre Finger mit seinen verschränkt. Er ließ ihre Hand los und diese glitt kraftlos von seiner Brust.
»Danke«, flüsterte sie.
»Gern geschehen«, entgegnete er. »Was ist passiert?«
Ein Druck lastete auf seinem Herzen, den er nicht einordnen konnte. Irgendetwas, das er getan hatte, hatte eine Panikattacke in ihr ausgelöst. Noch immer hatte sie ihre Beine angezogen, das Gesicht von ihm abgewandt. Sie umschlang mit ihren Armen die Knie und rieb sich die Handgelenke. Hatte er ihr weh getan? Verunsichert dachte er über seinen Angriff nach. Er war davon überzeugt, dass er seine Kraft gezügelt hatte.
Sein Herz schlug schneller.
Ihre Handgelenke. Die Täter haben sie daran festgehalten.
Natürlich hatte er ihr beigebracht, wie sie sich aus einem solchen Griff befreien konnte. Dabei hatte er sie selbst jedoch nie an den Handgelenken gepackt. Geschweige denn sie in eine Situation gebracht, in der sie keine Chance gehabt hatte, die Oberhand zu gewinnen. Doch gerade eben …
»Scheiße«, entfuhr es ihm. Lissas Kopf ruckte nach oben. Ihre grünen Augen musterten ihn erschrocken. »Ich habe nicht gewusst, dass …«
»Stopp!«, unterbrach sie ihn. »Sprich es nicht aus.«
Wacklig erhob sie sich. Conan machte Anstalten, ihr zu helfen, doch sie schlug seine Hand weg. »Was«, krächzte sie, räusperte sich und fuhr fort, »wie hätte ich mich aus der Situation befreien können?«
Bewundernd hob er die Augenbrauen. Schon jetzt war sie wieder rational genug, um diese Frage zu stellen. Das war schlichtweg beeindruckend.
»Deine Ansätze waren nicht schlecht«, antwortete er ihr. »Vor allem, dass du mir das Knie in die Weichteile rammen wolltest.« Er verkniff sich das Schmunzeln nicht, das sie unerwidert ließ. »Unsere Köpfe waren auf der gleichen Höhe. Ein gut platzierter Kopfstoß wäre eine Möglichkeit gewesen.«
»Daran habe ich nicht gedacht.«
Ja und dafür gab es einen Grund, dachte er sich. »Warum nicht? Noch vor wenigen Wochen wärst du darauf gekommen.«
Sie biss die Zähne zusammen. »Ich habe geschlafen«, nahm sie seinen Gedankengang knurrend auf.
»Wie lange?«
»Lange genug.«
»Offensichtlich nicht.« Er packte sie am Ellenbogen und zog sie in Richtung Tür. »Aber ich hab jetzt echt keinen Bock, darüber mit dir zu streiten. Im Gegensatz zu anderen bin ich nämlich hundemüde.«
»Hast du gearbeitet?«
»Ja, bis vor zwanzig Minuten.«
Er hob ihr Stilett auf, das er achtlos zu Boden hatte fallen lassen und reichte es ihr. Widerstandslos nahm sie es entgegen und folgte ihm eigenständig aus der Trainingshalle. Mittlerweile war Cerys aufgewacht, denn die Sonne hatte den Mond endgültig besiegt.
»Ist heute Nacht etwas vorgefallen?«
»Nein«, entgegnete er ruhig. »Nur ein paar Teenager, die sich davonstehlen wollten.«
Lissa nickte und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie sind unruhig.«
»Das kannst du laut sagen«, gab er zurück. »Wir müssen eine Beschäftigung für sie finden. Ansonsten werden sich solche Vorfälle häufen.« Er schlug den Weg zu ihrem Haus ein. »Ich sage Naya Bescheid, dass du dir heute frei nimmst.«
»Kommt nicht infrage«, wehrte sie sich dagegen.
»Willst du etwa völlig erschöpft Patienten behandeln?«, fuhr er sie von der Seite an. Einige Wandler sahen irritiert zwischen ihnen hin und her.
»Nein«, knurrte sie. »Aber ich kann immerhin im Labor aushelfen.«
»Du könntest auch einfach schlafen und morgen erholt zur Arbeit gehen.«
»Ich dachte, du willst dich nicht streiten?«, erwiderte sie scharf.
Conan atmete tief ein, um nicht aus der Haut zu fahren. Was hatte sie nur an sich, dass er sie sich am liebsten über die Schulter geworfen hätte, um selbst dafür zu sorgen, dass sie im Bett landete? Wenn es sein musste, mit ihm darin, damit sie da blieb, wo sie war. Der Gedanke rauschte durch ihn hindurch und erhitzte sein Blut auf völlig unanständige Art.
Es musste sich räuspern, bevor er antworten konnte. »Will ich auch nicht«, gab er ihr recht. »Aber versprich mir wenigstens, dass du ins Bett gehst.«
»Ja, ja, mach ich.«
»Das klingt nicht sehr überzeugend.«
Sie warf die Arme in die Luft, ging rückwärts los, damit sie ihn dabei ansehen konnte. »Da wirst du mir einfach vertrauen müssen, Forá.«
»Vertrauen muss man sich verdienen«, brummte er.
Sie drehte ihm den Rücken zu, hob den Arm und zeigte eine unflätige Geste. Lachend schüttelte er den Kopf. Na immerhin hatte sie ihren Biss nicht verloren.
Vogelgezwitscher, das Klappern von Geschirr und undurchdringliches Stimmengewirr drangen an ihr Ohr. Jemand briet Frühstücksspeck und schwenkte zischende Butter in der Pfanne. Sie roch den Duft des knusprigen Fleisches, der sich durch die mikroskopisch kleinen Löcher des Hauses drängte. Statt, dass sie dabei Hunger verspürte, stülpte es ihr eher den Magen um.
Um die Übelkeit zu unterdrücken, drehte Lissa sich auf die Seite, zog die Beine an und starrte auf das Fenster, das sie fest mit ihren Jalousien verschlossen hatte. Obwohl sie weder die Heizung aufgedreht, noch ein Feuer entfacht hatte, stand ihr der Schweiß auf der Stirn. Selbst von der Bettdecke, die sie vor wenigen Minuten bis zu den Schultern hochgezogen hatte, hatte sie sich mittlerweile befreit. Ihr Kopf dröhnte, ihre Augen brannten und ihre Glieder fühlten sich an wie Gummi.
Gott, ich bin so müde. Der Gedanke ließ ihre Lider flattern. Ein unterdrücktes Gähnen spannte ihre Kiefermuskulatur an.
Hast du denn überhaupt geschlafen? Conans Frage hallte in ihrem erschöpften Geist wider. Sie schnaubte. Was dachte sich der Kerl dabei, sich so in ihr Privatleben einzumischen? Sie fragte ihn doch auch nicht nach seinen Schlafgewohnheiten.
Lissa zog ihre Beine enger an sich, sodass ihre Knie gegen ihren Brustkorb drückten. Vehement kämpfte sie gegen den Schlaf, der seine gierigen Finger nach ihr ausstreckte. Sie wusste, dass sowohl ihr Gehirn als auch ihr Körper die Ruhe benötigten. Was unweigerlich in einem Albtraum enden würde und das Einschlafen zu einer Qual machte. Genauso wie das Aufwachen.
Wieder gähnte Lissa, was ihr die Tränen in die Augen trieb. Blinzelnd versuchte sie den nassen Schleier von ihrem Sichtfeld zu vertreiben. Jeder Wimpernschlag wurde langsamer, bis sie ihre Augenlider nicht mehr offen halten konnte. Ein dunkler Schatten hüllte sie ein. Wartete mit ausgebreiteten Armen auf sie, schloss sie in eine Umarmung, die einer Folter glich.
Schwielige Hände legten sich um ihre Handgelenke. Der Geruch von Aftershave benebelte ihre Sinne. Ein bedauernder Blick bohrte sich in sie. Das Gefühl von kalter Luft auf nackter Haut ließ sie erstarren.
Das passiert nicht wirklich, das passiert nicht wirklich, das passiert nicht wirklich, das …
Nach Luft schnappend schreckte Lissa hoch. Sie strampelte, um sich von der Bettdecke zu befreien, die sich in ihren Beinen verfangen hatte. Kämpfte damit, als wäre es ein Feind. Ein reißendes Geräusch ließ sie zusammenfahren und erkennen, dass sie unbewusst ihre Krallen ausgefahren hatte, die ihr Leintuch durchbohrten. Die Bettdecke fiel zu Boden, wirbelte den Geruch des Aftershaves auf, das in ihrer Nase hing.
Lissa würgte.
Mit fahrigen Bewegungen stolperte sie ins angrenzende Badezimmer. Sie beugte sich über die Kloschüssel. Schwer atmend versuchte sie den Würgereflex in den Griff zu bekommen, der ihre Muskeln zum Zittern brachte. Anstatt sich zu übergeben, sammelte sich nur Speichel in ihrem Mund, den sie in die Schüssel spuckte.
Sie stieß einen wimmernden Ton aus, der von den Fliesen im Badezimmer zurückgeworfen wurde… Es klang wie Hohn in ihren Ohren. Erschöpft sank Lissa auf ihren Hintern zurück und atmete durch den Mund. Dank des Würgens und der Tränen war ihre Nase verstopft, worüber sie froh war. Denn so nahm sie den Geruch nicht wahr, der ihr selbst außerhalb ihrer Träume auflauerte.
Lissa gönnte sich einige Minuten auf den eiskalten Fliesen, die ihre überhitzte Haut abkühlten. Sie lehnte den Kopf zurück, zählte die Badezimmerfliesen an der gegenüberliegenden Wand, um ihr Gehirn abzulenken. 10, 15, 20. Es half, die negativen Gedanken zu verdrängen und ihren Herzschlag zu normalisieren. Erst als ihr das Blut nicht mehr in den Ohren rauschte, stand sie auf, um nachzusehen wie spät es war.
Zwei Stunden. Sie hatte nicht länger als 120 Minuten geschlafen, in denen sie Höllenqualen erlitten hatte. Sie wischte sich die schweißnassen Strähnen aus der Stirn, stählte sich innerlich und marschierte zurück in ihr Schlafzimmer. Mit angehaltenem Atem öffnete sie die Jalousien und das Fenster. Als die kühle Herbstluft den Raum mit Frische füllte, gestattete sie sich den nächsten Atemzug.
Mit zittrigen Fingern zog sie das zerrissene Laken von ihrer Matratze und warf es in den Müll. Dann folgten der Kissen- und Bettbezug, die sie lieblos in die Waschmaschine manövrierte. Als sie wie in Trance ihr Bett frisch bezogen hatte, schlurfte sie ermattet zurück ins Bad und stellte sich unter die Dusche. Großzügig cremte sie sich mit der Bodylotion ein, um den Geruch der Panik von ihrer Haut zu spülen. Erst, als ihr Körper nach Kokosnuss und Honig roch, verließ sie den Raum wieder. Ihr nasses Haar tropfte auf den dünnen Pullover, den sie sich übergezogen hatte. An ihrem Schminktisch angekommen widmete sie sich den Augenringen, die tiefe Schatten auf ihrer Haut zeichneten. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden war. Trotzdem sah man ihr die Müdigkeit von Weitem an.
Lissa hörte plötzlich Schritte außerhalb ihres Hauses. Sie stoppten vor ihrer Tür. Mit voller Kraft klopfte die Person gegen das Holz. Lissa warf einen letzten Blick in den Spiegel, wappnete sich für die Maßregelung, die folgen würde. Mit gemächlichen Schritten verließ sie ihr Schlafzimmer, schloss die Tür hinter sich und trat auf die Eingangstür zu.
»Wer ist da?« Sie konnte sich die Frage nicht verkneifen, die ihre Lippen zum Schmunzeln brachten.
»Mach schon auf, Lissa.«
»Ah, mürrisch wie eh und je.«
Sie zog die Tür auf und begegnete Gregs kaltem Blick. Seit er mit seinen Eltern einige Zeit in Nibbana verbracht hatte, hatte er einen Gesichtsausdruck drauf, der selbst Tote erschreckte. Doch Lissa wusste, dass sein abweisender Blick nur Selbstschutz war.
»Du siehst ganz schön fertig aus. Lässt dich der Forá nie zur Ruhe kommen?«
Lissa überspielte die aufkeimende Wut mit einem Augenrollen. »Der Forá ist daran bestimmt nicht schuld.«
»Aha«, machte Greg, schien ihr ihr Schauspiel aber nicht abzunehmen. »Hier.« Er drückte ihr eine Tüte in die Hand, aus der es nach warmem Gebäck duftete.
»Du bringst mir Frühstück vorbei?«
Er grunzte.
»Hast du tatsächlich gegrunzt?« Ihr Mund stand offen vor Erstaunen.
»Und wenn schon.«
»Weißt du wie unhöflich das ist?«
»Ich hab dir Frühstück gebracht.«
»Das entschuldigt nicht deine Manieren.«
»Ich hab dir Frühstück gebracht«, wiederholte er.
Lissa grinste.
»Kaffee?«
»Schwarzer Tee.«
Einladend öffnete sie die Tür, um dem sturen Kerl in ihr Haus zu bitten. Lissa ging in die Küche und drapierte das Plundergebäck auf einem Teller. Dann kochte sie das Wasser, um Gregs Tee zuzubereiten. Sie wusste, dass er ihn ohne Milch trank und ihn gerne etwas zu lange ziehen ließ. Obwohl ihre gemeinsame Vergangenheit voller peinlicher Momente war, verstanden sie sich gut genug, um sich Freunde nennen zu können.
»Wie läuft das Training?«, fragte Greg, als sie die gefüllte Tasse vor ihm abstellte.
Sich selbst hatte sie einen schwarzen Kaffee zubereitet, dessen Duft sich angenehm mit dem des Tees verband.
»Ganz gut soweit.«
»Wirklich? Hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel geschaut?«
Seufzend lehnte sie sich zurück. »Nicht du auch noch.«
»Dann haben dir das schon mehrere Personen gesagt?« Er wartete nicht auf eine Reaktion von ihr. »Gut. Wann wirst du also einsehen, dass – was auch immer du machst – du damit aufhören solltest?«
»Ich mache gar nichts«, stöhnte sie mehr, als dass sie es sagte. »Können wir das Thema also endlich sein lassen? Ich bin eine erwachsene Frau, die selbst auf sich aufpassen kann. Ich brauche keinen Mann, der mir sagt, was ich zu tun oder zu lassen habe.«
»Lissa«, gab er zögernd von sich, »wir sind in dieser Situation, weil du eben nichtselbst auf dich aufpassen kannst.«
Bei diesen Worten zuckte sie heftig zusammen.
»Das ist nicht böse gemeint und soll dich auch nicht verletzen, aber es entspricht nun mal den Tatsachen.«
Sie spürte, wie ihre Wut anfing zu brodeln. Das Knurren ließ ihren gesamten Körper vibrieren und Greg auf seinem Stuhl erstarren.
»Raus«, befahl sie.
»Er kann kein guter Lehrer sein, wenn er deinen Zustand nicht erkennt und nichts dagegen unternimmt.«
»Raus!«, wiederholte sie.
Es kostete sie alle Mühe, dass ihre Krallen nicht heraussprangen. Ihre Gepardin hätte sich am liebsten auf ihn gestürzt und Greg in seine Einzelteile zerlegt. Nur um ihm zu zeigen, dass sie sich selbst beschützen konnte. Dank Conan, wohlgemerkt.