Baccara Exklusiv Band 238 - Fiona Brand - E-Book

Baccara Exklusiv Band 238 E-Book

Fiona Brand

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

SO REICH, SO SEXY ... von Fiona Brand
Liebe? Erotische Anziehung? Nein, danke. Lilah ermittelt ihren Zukünftigen lieber nach einem Punktesystem. Sie hat auch schon den perfekten Ehemann gefunden. Doch leider verliebt sie sich in dessen Bruder! Zane Atraeus ist verwegen, sexy – und als bekannter Casanova völlig indiskutabel …

SEHNSUCHT UND HEISSE KÜSSE von KATHIE DENOSKY
Die Nacht mit Curtis wäre besser nicht passiert. Doch jetzt steht er nach Jahren wieder vor Kaylee. Soll sie ihm beichten, dass sie gemeinsam eine kleine Tochter haben? Oder hat er ihr Geheimnis bereits entdeckt und ist nur deshalb wiedergekommen? Dabei hatte Kaylee gehofft, dass er doch etwas Ähnliches wie Liebe für sie empfindet ...

WER BIST DU, SÜSSE LADY? von ROXANNE ST. CLAIRE
Erst ein Hurrikan und jetzt Quinn McGrath, der ihr alles nehmen will! Nicole hasst den Immobilienmakler schon, bevor sie ihn gesehen hat. Aber als sie ihm schließlich gegenübersteht, ist die Anziehung zwischen ihnen stärker und gefährlicher als jeder Herbststurm …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 589

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Fiona Brand, Kathie DeNosky, Roxanne St. Claire

BACCARA EXKLUSIV BAND 238

IMPRESSUM

BACCARA EXKLUSIV erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Neuauflage 2023 in der Reihe BACCARA EXKLUSIV, Band 238

© 2012 by Fiona Gillibrand Originaltitel: „A Perfect Husband“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Ute Augstein Deutsche Erstausgabe 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1779

© 2006 by Kathie DeNosky Originaltitel: „Lonetree Ranchers: Colt“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Eleni Nikolina Deutsche Erstausgabe 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1298

© 2004 by Roxanne St. Claire Originaltitel: „Like a Hurricane“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Christiane Bowien-Böll Deutsche Erstausgabe 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1312

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751516532

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.

So reich, so sexy …

1. KAPITEL

Schwarzes glattes Haar, das zu einem klassischen Knoten im Nacken zusammengefasst war … Exotisch wirkende Augen, in denen sich die Farbe des Meeres widerzuspiegeln schien … Ein sinnlicher Körper, der sein Verlangen entfachte …

Als es an der Tür seiner Hotelsuite klopfte, schreckte Zane Atraeus aus einem unruhigen, von verworrenen Träumen geplagten Schlaf hoch. Er blinzelte in die helle Morgensonne, die ins Zimmer fiel, und schob die Seidendecke beiseite. Er war erst um kurz vor vier Uhr ins Bett gefallen, erinnerte er sich, und er fühlte sich immer noch völlig benommen vom Jetlag. Rasch stand er auf, streifte sich eine Jeans über, strich sich mit den Fingern durchs Haar und ging barfuß zur Tür.

Langsam fiel ihm alles wieder ein. In einer E-Mail hatte er gelesen, dass sein Halbbruder Lucas einer Frau einen Verlobungsring gekauft hatte. Einer Frau, die Lucas kaum kannte, da war Zane sich sicher. Denn Lilah Cole war die Frau, die er selbst insgeheim schon seit zwei Jahren begehrte. Wütend dachte er darüber nach, dass Lucas sich offenbar nicht nur mit Lilah traf. Anscheinend wollte er sie sogar heiraten.

Noch bevor Zane das Wohnzimmer durchquert und die Tür erreicht hatte, hörte er, wie sie geöffnet wurde. Lucas Atraeus trat ein.

Zane stieß den Atem aus. Vor zehn Jahren in Los Angeles hätte er einen Einbrecher erwartet, doch sie befanden sich in Australien, dieses Hotel gehörte der Atraeus-Group und damit zum Imperium seines verstorbenen Vaters. Selbstverständlich verfügte Lucas über einen Schlüssel.

„Hast du schon mal daran gedacht, vorher anzurufen?“, fragte Zane.

Lucas schloss die Tür hinter sich und warf die Schlüsselkarte auf einen kleinen Tisch im Eingangsbereich. „Das habe ich getan, aber du bist nicht rangegangen. Erinnerst du dich noch an Lilah?“

Lilah war der Grund dafür, dass Zane sich jetzt in Sydney und nicht in Florida aufhielt, wo er für die Atraeus-Group eigentlich gerade wichtige Vertragsverhandlungen führen sollte. „Deine neue Verlobte“, stieß Zane hervor. Die atemberaubende Schönheit, mit der er vor zwei Jahren beinahe eine leidenschaftliche Affäre begonnen hätte. „Ja, ich weiß, wer sie ist.“

„Woher weißt du von unserer Verlobung?“, fragte Lucas verärgert. „Ich habe es noch niemandem erzählt.“

Dann stimmte es also. „Meine neue Assistentin ist deine alte Assistentin, schon vergessen?“ Aus diesem Grund war Zane zufällig auf die Online-Rechnung für den Verlobungsring gestoßen. Offensichtlich war Elena in ihrer Freizeit immer noch als persönliche Einkäuferin für seinen Bruder tätig.

„Aha. Elena.“ Lucas schien zu begreifen.

Schlecht gelaunt ließ Zane seinen Bruder stehen und ging zur Küchenzeile der Suite hinüber. Sein Blick fiel auf einen großen, prunkvoll verzierten Spiegel, aus dem ihm sein Spiegelbild mit grimmiger Miene entgegenschaute. Sonnengebräunter Teint, breite Schultern, ein muskulöser Körper, der einige Narben aufwies. In einem Ohr drei silberne Ohrstecker, die ihn an seine vergeudete Jugend erinnerten.

Irgendwie wirkte er in der eleganten Suite fehl am Platz – unzivilisiert, gefährlich und doch mit dem unwiderstehlichen Charme eines „Bad Boy“. Verglich man ihn mit seinen beiden mondän auftretenden Brüdern, bestand zwischen ihnen ein Unterschied wie Tag und Nacht. Daran war das wilde Temperament der Salvatores schuld, ein Erbe seiner Mutter. Aber es waren auch die sichtbaren und unsichtbaren Narben, die er sich während seiner Zeit als heimatloser Jugendlicher auf den Straßen von Los Angeles zugezogen hatte, die ihn von seinen Brüdern unterschieden.

Er füllte ein Glas mit Wasser und trank es mit langen Zügen leer. Allerdings würde es wohl kaum gegen die aufflammende Eifersucht wirken, die er jedes Mal empfand, wenn er an Lucas und Lilah, das Bilderbuchpaar, dachte.

Verlobt. Seine Wut war immer noch so frisch wie in jenem Moment, als er Elena dabei überrascht hatte, wie sie ein Bild des Verlobungsrings bewunderte.

Vorsichtig stellte er sein Glas auf dem Küchentresen ab. „Ich habe gar nicht gewusst, dass Lilah dein Typ ist.“

Zwar sah die Chefdesignerin von Ambrosi-Pearls überaus attraktiv und elegant aus. Doch Zanes Meinung nach war sie viel zu sehr darauf bedacht, sich einen wohlhabenden Ehemann zu angeln.

Vor zwei Jahren waren sie sich zum ersten Mal auf dem Ball der Wohltätigkeitseinrichtung für obdachlose Kinder begegnet, die Zane nach Kräften unterstützte. Damals war er Zeuge geworden, wie Lilah geschickt den reichen Chef ihres damaligen Begleiters ins Visier genommen hatte. Obwohl Zane selbst mit allen Wassern gewaschen war, hatte ihn Lilahs systematische Vorgehensweise fasziniert. Er hatte der Versuchung nicht widerstehen können, den älteren Herrn vor ihren Avancen zu retten und ihr somit eine vermutlich sichere Beute entrissen.

Unglücklicherweise waren die Dinge danach ein wenig außer Kontrolle geraten, als er und Lilah etwas später allein in einem Empfangsraum gelandet waren. Zane hatte sich von seiner Begierde überwältigen lassen und Lilah geküsst. Dem ersten Kuss waren weitere leidenschaftliche Küsse gefolgt, sodass Zane beinahe völlig die Kontrolle über die Situation entglitten wäre. Dabei war Lilah noch nicht einmal der Typ Frau, zu dem er sich normalerweise hingezogen fühlte, deshalb überraschte ihn sein verzehrendes Verlangen nach ihr umso mehr. Hätte seine damalige persönliche Assistentin sie nicht im entscheidenden Moment gestört, hätte er vermutlich einen großen Fehler begangen.

Lucas war ihm in die Küche gefolgt und kritzelte eine Nummer auf die Rückseite einer Visitenkarte, die er auf den Küchentisch legte. „Lilah hat eingewilligt, mich auf Constantines Hochzeit zu begleiten. In ein paar Stunden fliege ich nach Medinos. Eigentlich wollte ich ihren Flug für einen Tag vor der Hochzeit buchen, aber wenn du schon mal hier bist …“ Er stockte. „Warum bist du überhaupt hier?“, fragte er stirnrunzelnd. „Solltest du nicht eigentlich in Florida sein und Verträge aushandeln?“

„Ich habe mir ein paar Tage freigenommen“, entgegnete Zane mühsam beherrscht.

Lucas zuckte mit den Schultern, öffnete die Kühlschranktür und musterte eine Flasche teuren Champagner, bevor er sie wieder zurückstellte. „Guter Schachzug“, meinte er. „Dann glaubt der Verkäufer, dass wir vielleicht doch nicht so brennend an dem Geschäft interessiert sind. Stört es dich, wenn ich mir was zu essen nehme? Ich habe noch nicht gefrühstückt.“

Vermutlich, weil er zu sehr mit Frauen beschäftigt war, dachte Zane. Erst kürzlich hatte er von der vermeintlich geheimen Affäre seines Bruders mit Carla Ambrosi gehört, der PR-Beraterin von Ambrosi-Pearls und außerdem die Schwester der Frau, die Zanes und Lucas’ Bruder Constantine demnächst heiraten würde.

„Austern.“ Lucas zog die Augenbrauen hoch. „Erwartest du Besuch?“

„Nicht dass ich wüsste.“ Stirnrunzelnd starrte Zane auf die Platte mit Austern, die mit Steinsalz und Zitronenspalten dekoriert waren. Er musste dringend ein Wörtchen mit seiner persönlichen Assistentin reden, die für die Zimmerbuchung verantwortlich war. Es sei denn, sie hatte etwas – oder jemanden – für ihn arrangiert, schließlich war alles möglich, wenn sie in ihren Frühstückspausen Lucas bei der Auswahl seiner Verlobungsringe half. „Nimm dir, was du willst“, brummte Zane unwillig. „Zu essen, zu trinken …“

Mein Mädchen.

Der Gedanke stieg aus seinem Unterbewusstsein empor und übertönte alle vernünftigen Einwände, die dagegensprachen, dass er sich fest band – vor allem an eine Frau wie Lilah. Seit seinem neunten Lebensjahr hatten sich seine Beziehungen zum anderen Geschlecht stets etwas schwierig gestaltet.

Gleich mehrmals war er von seiner chronisch überschuldeten Mutter im Stich gelassen worden, weil sie sich wahllos von einer Ehe in die nächste gestürzt hatte. Das hatte ihn in seinem Misstrauen Frauen gegenüber bestärkt – vor allem bei jenen, die auf der Jagd nach wohlhabenden Ehemännern waren.

Eine feste Bindung kam für ihn überhaupt nicht infrage.

Lucas nahm eine Schüssel Erdbeeren aus dem Kühlschrank.

„Stört es dich gar nicht, dass Lilah nur auf eine gute Partie aus ist?“, fragte Zane.

„Um ehrlich zu sein, finde ich ihre geradlinige Art sehr erfrischend“, erwiderte sein Bruder.

Unwillkürlich ballte Zane die Hände zu Fäusten. Also war auch Lucas ihrem Zauber verfallen.

Sosehr er sich auch bemühte – plötzlich wurde Zane den Gedanken nicht mehr los, dass Lilah eigentlich zu ihm gehörte. Seit dem leidenschaftlichen Kuss vor zwei Jahren, der beinahe in Sex gegipfelt hätte, quälte Zane die Vorstellung, dass Lilah und er eigentlich ein Liebespaar sein sollten.

Doch er hatte das Verlangen unterdrückt und sich nicht auf eine leichtsinnige Affäre mit ihr eingelassen.

Lucas wählte die größte, saftigste Erdbeere aus der Schale. „Lilah hat Flugangst. Ich hatte gehofft, dass du sie mitnehmen kannst, wenn du nach Medinos fliegst. Vielleicht beruhigt es sie ja, dass du die Maschine fliegst.“

Es gefiel Zane nicht, dass Lucas wohl ganz selbstverständlich annahm, sein Halbbruder würde ihm bereitwillig Lilah ins Bett liefern. Allerdings verwirrte ihn der erste Teil von Lucas’ Aussage. Ihm hatte Lilah nie erzählt, dass sie unter Flugangst litt. „Nur so aus Neugier, wie lange kennst du Lilah eigentlich schon?“ Lucas hatte zwar einige Zeit in Sydney verbracht, aber längst nicht so viel wie Zane. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass Lilah überhaupt einmal Lucas’ Namen erwähnt hatte.

„Eine Woche, mehr oder weniger.“

„Warum nimmst du Lilah nicht selbst mit nach Medinos?“

Plötzlich schien Lucas wahnsinnig fasziniert von den Erdbeeren zu sein. „Das kann ich nicht so einfach beantworten“, erwiderte er ausweichend.

Da begann Zane zu begreifen. „Das ist euer erstes Date.“

„Ich habe kurzfristig eine Begleitung gebraucht“, entgegnete Lucas beinahe entschuldigend. „Und ich bin überzeugt, dass Lilah die Richtige für mich ist. Sie ist talentiert, sportlich, hat einen guten Geschäftssinn und ist sogar …“

„Was ist mit Carla?“

Lucas ließ die reife Erdbeere wieder fallen, als hätte er sich daran verbrannt.

Das letzte Puzzleteilchen fügte sich ein, als Zane den verzweifelten Ausdruck im Blick seines älteren Bruders erkannte. „Du bist immer noch mit Carla zusammen!“, rief er wütend.

„Woher weißt du das? Nein, sag nichts. Elena.“ Lucas stellte die Schüssel zurück in den Kühlschrank und schloss die Tür. „Carla und ich sind nicht länger zusammen.“

Bestimmt hatte Lucas gerade erst mit ihr Schluss gemacht. Jetzt ergab die plötzliche Verbindung mit Lilah einen Sinn. Wenn Sienna Constantine heiratete, dann gehörte Carla praktisch zur Familie. Falls herauskam, dass Lucas eine Affäre mit ihr hatte, würde er unter Druck geraten. Trotz seines harten Äußeren hatte Lucas nämlich einen weichen Kern, wenn es um Frauen ging.

Lucas brauchte Lilah also als eine Art Puffer, erkannte Zane. Sie war Lucas’ Versicherung, damit die impulsive Carla ihm keine öffentliche Szene machte und ihn letztendlich dazu zwingen würde, ihre geheime Beziehung mit einem Heiratsantrag zu krönen.

Das wiederum bedeutete, dass zumindest bei Lucas keine Liebe im Spiel war.

Falls sein Bruder Lilah wirklich begehrte, würde Zane sich zurückhalten. Doch das schien nicht der Fall zu sein. Trotz ihrer Berechnung, wenn es um ihren Ehewunsch ging, hatte Lilah es nicht verdient, in die Fronten des Beziehungskrieges zwischen Lucas und Carla zu geraten.

Zane atmete erleichtert durch. Lilah hatte sicher noch keine Gelegenheit gehabt, mit Lucas zu schlafen. Aus irgendeinem Grund erschien ihm das sehr bedeutsam. „Okay“, sagte er. „Ich mache es.“

Auch Lucas wirkte erleichtert. „Du wirst es nicht bereuen.“

Da war Zane sich nicht so sicher. Er fragte sich, ob Lucas überhaupt eine Ahnung davon hatte, dass er seinem jüngeren Bruder gerade die größte Versuchung seines Lebens sozusagen auf dem Silbertablett präsentierte.

2. KAPITEL

Lilah Coles Herz klopfte wie wild, als sie an Bord des schlanken Privatjets ging, der dem neuen Eigentümer von Ambrosi-Pearls gehörte: der Atraeus-Group. Sie war im Begriff, sich auf das erste relativ ungeplante Date in zwölf Jahren voller gut vorbereiteter, aber fruchtloser Verabredungen einzulassen.

Ihre Nervosität legte sich ein wenig, nachdem sie von der hübschen blonden Flugbegleiterin Jasmine zu ihrem Sitzplatz geführt worden war.

Lilah stellte ihre große weiße Ledertasche, die gut zu ihrer weißen Jeans und dem lässigen weißen Shirt passte, auf den Boden und zog einen ebenfalls weißen, in Leder gebundenen Ordner hervor. Somit war sie bestens gewappnet für eine weitere angespannte Begegnung mit dem attraktiven Zane, dem jüngsten und wildesten der Atraeus-Brüder. Oder war sie etwa die einzige Passagierin in der luxuriös ausgestatteten Kabine?

Fünfzehn Minuten später erwachten die Maschinen des Jets dröhnend zum Leben, und Lilah war immer noch allein. Kein Zane. Mit zitternden Fingern befestigte sie ihren Gurt und versuchte sich einzureden, dass sie eigentlich ganz froh darüber war.

Fliegen gehörte nicht unbedingt zu ihren liebsten Freizeitbeschäftigungen – überhaupt ging sie nicht gerne Risiken ein. Wie bei ihren Beziehungen bevorzugte sie auch in anderen Bereichen ihres Lebens festen Grund unter den Füßen. Zu allem Überfluss hatte der Wetterbericht für heute auch noch einen heftigen Gewittersturm vorhergesagt.

Während sich der Jet auf der Startbahn durch den strömenden Regen kämpfte, übersah Lilah geflissentlich das Video mit den Sicherheitshinweisen und widmete sich stattdessen lieber jener einen Sache, die sie unter Kontrolle hatte.

Sie öffnete ihren Ordner.

Die Frauen der Familie Cole besaßen die unglückselige Eigenschaft, sich stets auf den ersten Blick in die falschen Männer zu verlieben, die sie neun Monate später mit ihren Babys sitzen ließen. Ihr ganzes Leben hatte Lilah darauf verwandt, eben diesen Fehler nicht zu begehen. Stattdessen hatte sie den Plan einer soliden und beständigen Ehe entworfen. Wenn sie sich jemals einem Mann hingab, dann nur, um ihn zu heiraten, eine Familie zu gründen und das kontrollierte, ruhige Leben zu führen, nach dem sie sich als Kind immer so sehr gesehnt hatte.

Sie war fest entschlossen, keine alleinerziehende Mutter zu werden, die ständig am Limit ihrer Kräfte lebte.

In den vergangenen Jahren war sie allerdings trotz der Begutachtung zahlreicher zunächst vielversprechender Kandidaten nicht imstande gewesen, den einen Mann ausfindig zu machen, der ihren strengen Kriterien entsprach und zu dem sie sich auch noch körperlich hingezogen fühlte. Doch jetzt schienen sich die Dinge endlich zu ändern.

Lilah las die Notizen, die sie über ihren neuen Chef Lucas Atraeus sowie eine Handvoll anderer Männer angefertigt hatte. Sie nahm für ihre Beurteilungen ein ausgeklügeltes Punktesystem zu Hilfe, das sie auf der Website einer Partnervermittlung gefunden hatte. Ein paar wundervolle Minuten verbrachte sie damit, Lucas’ guten Punktestand zu betrachten.

Auf dem Papier war er der perfekteste Mann, dem sie jemals begegnet war. Er war ausgesprochen attraktiv und verwendete ein leichtes Cologne – sie konnte ihn buchstäblich gut riechen, was ihr sehr wichtig war. Vielleicht ein wenig verrückt, dass sie so großen Wert darauf legte, aber der Duft eines Mannes konnte sie anziehen – oder abstoßen.

Lucas roch nicht nur gut, er verfügte zudem über die verführerischen dunklen Züge, für die sie schon immer eine Schwäche gehabt hatte, und erfüllte alle weiteren erforderlichen Anforderungen an einen zukünftigen Ehemann.

Zum ersten Mal war sie einem Mann begegnet, der ihr Typ war und trotzdem sicher und zuverlässig zu sein schien. Definitiv eine Win-win-Situation.

Eigentlich sollte sie höchst erfreut darüber sein, dass er sie zur Familienhochzeit eingeladen hatte. Trotz aller Risiken war dieses Date das vielversprechendste, das sie in den vergangenen Jahren gehabt hatte. Sie war jetzt neunundzwanzig Jahre alt – und mit jedem Tag schien sie ihre biologische Uhr lauter ticken zu hören.

Zugegebenermaßen kannte sie Lucas nicht besonders gut. In den letzten Tagen hatten sie sich lediglich aus beruflichen Gründen getroffen. Dazu hatte das Geschäftsessen mittags in einem Café gezählt, in dessen Verlauf Lucas ihr erzählt hatte, dass er nicht nur eine Begleitung für die Feier, sondern auch eine Beziehung mit Aussicht auf Heirat suchte.

Sie schätzte es, dass auch Lucas anscheinend keinen großen Wert auf eine starke körperliche Anziehung zwischen ihnen legte, sondern mehr darauf, dass ihre Annäherung in geordneten Bahnen verlief.

Falls es eine Möglichkeit geben sollte, ihre Gefühle zu lenken, sodass sie sich in Lucas verlieben könnte, dann würde sie es auf jeden Fall tun.

Stirnrunzelnd sah sie auf die Uhr und stellte fest, dass sie ein wenig früher gestartet waren, als der Flugplan es vorgesehen hatte. Wenn der Pilot noch ein paar Minuten länger gewartet hätte, hätte Zane es vielleicht doch noch geschafft, an Bord zu kommen.

Sie unterdrückte einen weiteren Anflug von Enttäuschung und zog das Rollo vor dem Fenster herunter. Sie wollte nicht unbedingt mit ansehen, wie der kleine Jet in das Zentrum eines Sturmes flog.

Holpernd hoben sie von der Landebahn ab. Der Wind hatte das Flugzeug fest im Griff, während Lilah durch das andere Kabinenfenster die Blitze am Himmel zucken sah. Es dauerte nicht lang, und ihre Nerven lagen blank. Zwar hatte sie beim Verlassen ihrer Wohnung ein leichtes Beruhigungsmittel genommen, doch bisher schien es nicht die geringste Wirkung zu zeigen.

Die Flugbegleiterin war vor dem Start in ein Nebenabteil verschwunden und betrat jetzt wieder die Kabine, um Lilah Getränke anzubieten. Nachdem sie gegangen war, nahm Lilah eine weitere Beruhigungstablette. Sie wünschte, sie könnte schlafen. Den Angaben ihres Arztes zufolge sollten zwei Pillen ausreichen, um sie ins Reich der Träume zu schicken.

Tatsächlich wurden langsam ihre Lider schwer, während sie ein weiteres Mal Lucas’ traumhafte Werte betrachtete. Plötzlich erschütterte ein schwerer Donnerschlag den Jet, und ein Blitz zuckte auf. Im gleichen Moment öffnete sich die Tür zum Cockpit, und Zane Atraeus, groß, breitschultrig und in Schwarz gekleidet, trat im Schein des Blitzes in die Kabine.

Das Flugzeug schlingerte hin und her, wobei der Ordner von Lilahs Schoß rutschte und sich beim Aufprall auf dem Boden öffnete, sodass einige Blätter herausrutschten. Doch Lilah nahm kaum Notiz davon. Sie war völlig von Zanes Anblick in den Bann geschlagen. Seine goldfarbene Haut, die klassischen Gesichtszüge – die sie in den vergangenen Jahren immer wieder heimlich gezeichnet hatte – hätten gut und gerne einem Ölgemälde des mittelalterlichen Künstlers Lippo di Dalmasio entspringen können. Selbst die winzigen Unregelmäßigkeiten wie das Glitzern der silbernen Ohrstecker und die nicht ganz gerade Nase, die so wirkte, als wäre sie schon einmal gebrochen gewesen, wirkten irgendwie … perfekt.

Sie blinzelte, als Zane auf sie zukam. Immer näher … bis sie sich wirklich sicher war, dass er kein Produkt ihrer Fantasie war und nicht den äußerst lebhaften und verstörenden Träumen entsprang, die sie seit dem bedauernswerten Zwischenfall vor zwei Jahren verfolgten.

Denn die Erinnerungen an jene Nacht hatten sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis gebrannt. „Ich habe gedacht, Sie hätten den Flug verpasst“, murmelte sie, immer noch leicht verstört.

„Ich verpasse nie einen Flug, wenn ich der Pilot bin“, erwiderte er und sah sie so ruhig mit seinen dunklen Augen an, dass ihr ganz warm wurde.

Plötzlich wurde Lilah bewusst, dass der gesamte Inhalt ihres Ordners auf dem Kabinenboden verstreut lag – obenauf das Blatt, auf dem in großen Lettern Der Hochzeitsplan stand. Hastig versuchte sie, die peinlichen Dokumente wieder einzusammeln. Doch ihr Sicherheitsgurt hielt sie an Ort und Stelle, und als es ihr endlich gelungen war, den Verschluss zu öffnen, hatte Zane bereits den Ordner und die losen Blätter aufgehoben.

Verlegen beobachtete sie, wie er sich aufrichtete. Sie war ziemlich sicher, dass er genug gesehen hatte, um zu wissen, was sich in dem Ordner befand. Sie nahm ihm die Blätter aus der Hand und stopfte sie in die Mappe. „Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie fliegen können.“

„Ich mache nicht unbedingt Werbung dafür.“

Ganz im Gegensatz zu den viel fotografierten Gelegenheiten, wenn er Nobelpartys in Begleitung immer wieder wechselnder Topmodels besuchte. Allerdings passte das Fliegen gut zu seiner Vorliebe für Extremsport, fand Lilah. Sie wusste, dass er unter anderem Tauchen, Kitesurfen und Snowboarden liebte. Zane hatte eine unübersehbare Neigung für alles, was den Adrenalinspiegel in die Höhe trieb.

Während Lilah hastig den Ordner in ihre weiße Reisetasche stopfte, fiel ihr auf, dass sie keine Ahnung hatte, was Lucas in seiner Freizeit unternahm. Das musste sie ändern.

Zane zog sein Jackett aus und legte es über die Armlehne eines Stuhls. „Seit wann haben Sie schon Angst vorm Fliegen?“

Mühsam riss Lilah ihren Blick von seinem körperbetonten schwarzen T-Shirt und dem wohlgeformten Bizeps los. Sie war sich beinahe sicher, unter einem betörenden Sandelholzaroma – vielleicht sein Rasierwasser? – den ebenfalls unwiderstehlichen Duft seiner Haut wahrnehmen zu können.

Sie spürte, wie sie errötete, als sie an die Nacht des Zwischenfalls auf jenem Wohltätigkeitsball zurückdachte. Zane hatte vorgeschlagen, einige Ölgemälde anzusehen, da er von ihrem Interesse für Kunst wusste.

An die protzigen Gemälde in dem etwas abgelegenen Raum konnte sie sich kaum mehr erinnern. Dafür würde sie niemals den Augenblick vergessen, als Zane sie an sich gezogen hatte. Der warme, männliche Duft seiner Haut und die exotische Note von Sandelholz hatten sie sofort fasziniert. Als er sie geküsst hatte, waren all ihre Sinne von seinem köstlichen Geschmack erfüllt gewesen.

Irgendwie waren sie dann auf einer einladend großen Couch gelandet, und das Oberteil ihres Kleides war unerfindlicherweise über ihre Taille gerutscht – an dieser Stelle hätte sie eigentlich schon misstrauisch werden müssen. Dann hatte sie plötzlich Zanes Lippen an ihrer Brust gespürt, seine Zunge … Ihr ganzer Körper hatte mit reiner Lust auf ihn reagiert, und sie erinnerte sich daran, wie sie seine Schultern umklammert und eine Woge heißen, unbändigen Verlangens in sich gespürt hatte, die sie alles um sich herum vergessen ließ.

Wenn in diesem Moment nicht Zanes Begleiterin Gemma, die damals auch noch seine persönliche Assistentin gewesen war, in den Raum geplatzt wäre … Lilah erschauerte, als sie sich vorstellte, was dann geschehen wäre. Hastig hatte sie das Oberteil wieder heruntergezogen und war von der Couch aufgesprungen. Als sie endlich ihre Handtasche gefunden hatte, die im Eifer des Gefechts unter das Sofa gerutscht war, hatte Zane bereits sein Jackett übergestreift und Lilah kurz und bündig Gute Nacht gewünscht, bevor er mit Gemma verschwunden war.

Die Stille nach diesem Moment voller Leidenschaft war Lilah unerträglich vorgekommen. Dass Zane mit keinem Wort davon gesprochen hatte, sie wiederzusehen, hatte den Zwischenfall zu einer äußerst unangenehmen Erinnerung gemacht.

Zane war nicht an einer Beziehung, sondern nur an kurzweiligem Sex interessiert. Vermutlich hatte er sich kurz vor einem One-Night-Stand gewähnt und gedacht, dass Lilah leicht zu haben sei.

Zu ihrer Beschämung hatte sich Lilah eingestehen müssen, dass sie zum ersten Mal jede einzelne ihrer strengen Regeln in Bezug auf Männer ignoriert hatte.

Zanes schneller Abgang sowie die Tatsache, dass er sie später weder angerufen noch ihr eine SMS geschickt hatte, hatten ihr nur bestätigt, was sie über ihn gelesen und selbst erfahren hatte: Er war kein Mann für eine Beziehung. Wenn er noch nicht einmal ein Telefonat zustande brachte, wie sollte er dann jemals einen Heiratsantrag aussprechen können?

Ein weiterer Donnerschlag holte Lilah wieder in die Gegenwart zurück, und ihr wurde bewusst, dass Zane auf eine Antwort wartete. „Ich hatte schon immer Angst vorm Fliegen.“

Statt sich auf den Stuhl zu setzen, über dem sein Jackett hing, nahm Zane ausgerechnet auf dem Sitz neben Lilah Platz.

Sie versteifte sich, als er ihre verkrampften Finger von der Armlehne löste. „Was machen Sie denn da?“, fragte sie, als sie die angenehme Wärme seiner Haut spürte.

„Ihre Hand halten. Ein altbewährtes Heilmittel.“

Sie spürte, wie sie sich nervös verkrampfte. Etwas erschien ihr vollkommen falsch daran, mit Zane Atraeus Händchen zu halten.

Heißblütig – und schnell gelangweilt, das war Zane, wenn man den Zeitschriften Glauben schenken durfte. Er war der Ruin unzähliger Frauen gewesen – und würde es auch in Zukunft sein. Lilah hatte aus erster Hand einen Vorgeschmack darauf bekommen, welche Wirkung dieser gefährliche Mann auf Frauen hatte.

Sie bewegte ihre Finger, doch Zane ließ nicht los. „Sollten Sie nicht eigentlich im Cockpit sein?“

„Es gibt einen Kopiloten, Spiros. Er braucht meine Hilfe zurzeit nicht.“

Ihr wurde plötzlich ganz flau im Magen, als ihr wieder einfiel, dass sie sich achtundzwanzigtausend Fuß über dem Erdboden befanden. „Wie lange dauert der Flug noch?“

„Ungefähr zwanzig Stunden. In Singapur machen wir einen Zwischenstopp zum Tanken. Warum fliegen Sie überhaupt nach Medinos, wenn Sie Flugangst haben?“

Weil sie sich einen zuverlässigen Ehemann wünschte, der sie nicht verlassen würde und damit den Fluch bannte, der die Frauen ihrer Familie zu verfolgen schien. Lilah wurde plötzlich ganz schwindelig, und ihr fiel wieder ein, dass sie gerade zwei Beruhigungstabletten genommen hatte. „Weil ich versuche, mir ein neues Leben aufzubauen“, sagte sie laut. „Ich bin schließlich schon neunundzwanzig.“ Verwundert fragte sie sich gleich darauf, warum sie ihm ihr Alter verraten hatte.

„Ich finde neunundzwanzig nicht sehr alt.“

Mühsam unterdrückte sie ein Gähnen.

„Was haben Sie genommen?“

Ihre Lider fühlten sich mit einem Mal bleischwer an, als sie ihm den Namen des Beruhigungsmittels nannte.

„Die knocken Sie aus, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Nachdem mein Vater mich damals in Los Angeles gefunden hatte, hat er sie mir gegeben, als wir nach Medinos geflogen sind. Zu der Zeit habe ich auch noch nicht viel vom Fliegen gehalten.“

Seine tiefe, gelassene Stimme erregte Lilahs Neugier und hielt sie wach. Sie war fasziniert von seinem schillernden Charakter, seitdem sie seinen Lebenslauf auf der Website der Sydneyer Wohltätigkeitsstiftung gelesen hatte, die er unterstützte. Es faszinierte sie, dass Zane sich für seine Vergangenheit nicht schämte und sich stattdessen für heimatlose Kinder einsetzte.

„Sie können Ihren Kopf an meine Schulter lehnen, wenn Sie wollen.“

Sein Angebot machte sie wachsam. „Nein, vielen Dank.“ Sie setzte sich aufrecht hin. „Sie sind viel netter, als ich gedacht habe.“

„Jetzt bin ich aber neugierig“, erwiderte er. „Sie kennen mich jetzt seit zwei Jahren. Was haben Sie denn von mir gedacht?“

Sie öffnete die Augen. Dass er so war wie auf dem Abend des Balls, dachte sie. Gefährlich. Sexy. Heiß.

Es kostete sie nicht unerhebliche Anstrengung, ihre Gedanken wieder in eine andere Richtung zu lenken. Zane war vermutlich schon mit mehr Frauen intim geworden, als er zählen konnte. Sie bezweifelte, dass er sich überhaupt noch daran erinnerte, wie dicht sie davor gewesen war, mit ihm zu schlafen. Oder dass sie genau genommen …

Sie unterbrach den verstörenden Gedanken und suchte nach einer höflichen Erwiderung. Als Angehöriger der Familie Atraeus war Zane jetzt einer ihrer Arbeitgeber. Sie musste sich erst an diesen neuen Gedanken gewöhnen.

Ihr wurde plötzlich bewusst, dass ihre Beziehung zu Zane noch enger werden würde, wenn sie und Lucas tatsächlich heiraten sollten. Dann wäre er ihr Schwager. „Ähm, ich habe zum Beispiel gedacht, dass Sie mich nicht leiden können.“

„War das, bevor wir an unserem ersten Abend auf dem Sofa gelandet sind oder danach?“

Der Gedanke daran hatte eine elektrisierende Wirkung auf sie. Als sie den Ausdruck in Zanes Augen bemerkte, wusste sie, dass er sich genau an alles erinnerte, was damals zwischen ihnen vorgefallen war.

Sie spürte, wie sie errötete. Immerhin hatte er sozusagen auf ihr gelegen, und ihm war bestimmt nicht entgangen, dass sie, berauscht von seinen Zärtlichkeiten, einen Höhepunkt erlebt hatte. Dann wusste er bestimmt auch, dass sie kurz davor gewesen war, einen noch größeren Fehler zu begehen, wenn Gemma nicht aufgetaucht wäre und vielsagend mit den Autoschlüsseln geklimpert hätte. „Ich bin erstaunt, dass Sie sich noch erinnern.“

„Lucas wird Sie nicht heiraten.“

Der plötzliche Themenwechsel schreckte sie aus ihren Erinnerungen. Das dunkle Feuer in Zanes Blick ließ sie beinahe vergessen, was sie eigentlich hatte sagen wollen. „Lucas ist nicht der Einzige, der das entscheidet“, entgegnete sie schließlich.

„Suchen Sie sich jemand anderen.“

Es kam Lilah vor, als würde ihr Herz plötzlich schneller schlagen. Für einen kurzen Moment hatte sie den verrückten Gedanken, Zane würde sagen: „Nehmen Sie mich.“

Sie holte tief Luft. „Was gibt Ihnen das Recht …“

„Das hier.“ Er beugte sich zu ihr herüber, und ihr Pulsschlag beschleunigte sich.

Seit zwei Jahren ärgerte sie sich über ihren Kontrollverlust an jenem Abend. Jetzt bot sich ihr endlich die Gelegenheit herauszufinden, was damals eigentlich genau passiert war.

Sie konzentrierte sich auf Zanes exotischen Duft und stellte erleichtert fest, dass sie trotzdem noch Herrin der Lage zu sein schien. Dann jedoch spürte sie die Wärme seiner Finger an ihrem Kinn und den verheißungsvollen Druck seiner Lippen auf ihren … und plötzlich wusste sie, warum es ihr so schwerfiel, Zane zu widerstehen. Die Anziehungskraft zwischen ihnen war beinahe greifbar.

Doch bestimmt hatte es auch etwas damit zu tun, dass ihre biologische Uhr in letzter Zeit schneller zu ticken schien. Zudem hatte sie sexuell stets enthaltsam gelebt …

Erleichtert seufzte sie auf. Sie hatte keine Ahnung, warum ihr das nicht schon vor zwei Jahren klar geworden war. Es war eine logische Erklärung. Beim Wohltätigkeitsball hatte Zane sie schlicht und ergreifend in einem schwachen Moment erwischt, in dem sie ihm einfach nichts entgegenzusetzen gehabt hatte.

Sie zuckte vor seinem verführerischen Kuss zurück und schnappte nach Luft.

Der Zwischenfall auf dem Ball hatte sie in den letzten beiden Jahren unbewusst die ganze Zeit beschäftigt. Sosehr sie auch versucht hatte, die Erinnerungen zu unterdrücken, waren sie doch immer wieder zum Vorschein gekommen – in ihren Träumen, in ihren Zeichnungen.

Doch jetzt musste sie sich beherrschen. Sie konnte es sich nicht leisten, Zanes Annäherungen ernst zu nehmen. Schenkte man den Illustrierten Glauben, dann war der jüngste Atraeus überaus gefährlich, und Frauen hielten sich besser von ihm fern.

Ihr Urteilsvermögen in Bezug auf Männer schien also nicht besser zu sein als das ihrer Mutter und Großmutter zuvor. Doch obwohl sie nun gewarnt war, wusste sie, dass sie sich in großer Gefahr befand. Denn die Gefühle, die Zane in ihr auslöste, könnten all ihre sorgfältig ausgearbeiteten Zukunftspläne über den Haufen werfen.

Das durfte sie auf keinen Fall zulassen. Auf gar keinen Fall würde sie ihre Zukunft aufs Spiel setzen. Und dann auch noch für einen jüngeren Mann.

Zane war höchstens fünfundzwanzig, und er machte nicht die geringsten Anstalten, seinen extravaganten Lebensstil gegen eine Ehefrau und Familie eintauschen zu wollen. Gleichgültig, was er über seinen Bruder sagte, auf dem Papier war Lucas perfekt. Er war älter, gesetzter, bereit, sesshaft zu werden, und er hatte einen einwandfreien Ruf.

Die Minuten auf der Couch mit Zane, in denen sie die Kontrolle verloren hatte und danach auch noch feststellen musste, dass er sich nichts aus ihr machte, waren heilsam gewesen. Jetzt wusste sie über ihre Schwäche Bescheid. Sie würde nicht dem leidenschaftlichen Verlangen nachgeben, dass sie in sich aufbranden spürte. Und erst recht nicht dem mahnenden Ticken ihrer biologischen Uhr.

Der Gedanke, von Zane schwanger zu werden, fesselte sie einen Moment lang ungemein, bevor es ihr wieder gelang, an etwas anderes zu denken.

Zane hatte eindeutig nicht das Zeug zum Ehemann. Alles, was sie tun musste, war lediglich, die überwältigende Anziehungskraft zwischen ihnen zu ignorieren, den Aufstand ihrer Hormone zu beherrschen – und den brennenden Wunsch, sich Zane nackt an den Hals zu werfen.

3. KAPITEL

Nach dem formellen Familiendinner im Castello der Familie Atraeus auf Medinos entschuldigte Lilah sich, als der Kaffee aufgetragen wurde. Lucas war bereits zwanzig Minuten zuvor während des Desserts aufgestanden und hatte den Tisch verlassen. Das überraschte Lilah schon nicht mehr sonderlich, denn während des Abends hatte sich ihr Verdacht erhärtet, dass er eigentlich mit einer anderen Frau liiert war.

Nachdem sie das Personal nach dem Weg gefragt hatte, stand sie schließlich vor der imposanten Tür zu Lucas’ Privaträumen. Sie wollte gerade energisch anklopfen, da spürte sie, wie ihr Handgelenk umfasst wurde. „Ich würde an Ihrer Stelle nicht dort reingehen.“

Überrascht wandte sie sich um und sah Zane, der ihr offenbar gefolgt war, ohne dass sie es bemerkt hatte. Sie entzog ihm ihre Hand und versuchte, nicht wie gebannt auf sein zu langes schwarzes Haar und die drei Silberstecker in seinem Ohrläppchen zu starren. Sie war sich seiner Nähe bewusster, als ihr lieb war. Seit ihrer Ankunft im Castello, als sie Lucas in den Armen von Carla Ambrosi gesehen hatte, war sie übermäßig angespannt.

Sie wusste, dass Lucas und Carla eine kurze Affäre gehabt hatten, die damals von den Medien ausgeschlachtet worden war. Fälschlicherweise hatte Lilah angenommen, dass die Presse wie gewöhnlich übertrieben hatte. Es machte die Sache auch nicht einfacher, dass Carla ihre direkte Vorgesetzte war.

Zane deutete auf die verschlossene Tür. „Haben Sie es denn noch nicht mitbekommen? Lucas ist im Moment … beschäftigt.“

Erst in diesem Moment wurde Lilah bewusst, welches Risiko sie auf sich genommen hatte, indem sie sich Tausende von Meilen von zu Hause entfernt auf ein erstes Date mit einem Mann eingelassen hatte, an dessen Liebesleben die Klatschpresse überaus interessiert war. Dabei schien er auf dem Papier all ihre Anforderungen zu erfüllen. Trotzdem hatten die Ereignisse mittlerweile eine völlig unerwartete Richtung eingeschlagen.

Aus der Entfernung waren Schritte zu hören – vermutlich Gäste, die nach dem Dinner auf der Suche nach den Waschräumen waren.

„Sie wollen doch bestimmt nicht, dass man Sie dabei erwischt, wie Sie an Lucas’ Schlafzimmertür klopfen, oder?“, fragte Zane.

„Nein“, entgegnete sie beschämt.

„Wenigstens zeigen Sie etwas Vernunft.“ Ein weiteres Mal umfasste Zane ihre Hand.

Die Geste ließ Lilah vor Erregung wohlig erschauern, und nur Sekunden später fand sie sich an Zanes Seite in einem versteckten Alkoven außer Sicht der anderen Gäste wieder. Sie atmete tief ein und wappnete sich innerlich gegen die betörende Wirkung seines Duftes. Außerdem kämpfte sie gegen den mädchenhaften Drang an, nervös zu kichern.

Obwohl der Abend bisher ziemlich unerfreulich verlaufen war, konnte sie sich nicht helfen: Es schmeichelte ihr, dass Zane gekommen war, um sie zu retten. Und jetzt versteckten sie sich wie zwei Kinder, die etwas angestellt hatten.

Zane beugte sich vor und schaute um die Ecke, dann sah er ihr nachdenklich in die Augen. „Ich verstehe immer noch nicht, warum Lucas Sie gefragt hat.“

Unwillkürlich versteifte sich Lilah. Seine Worte klangen, als ob sie die letzte Person sei, die jemand wie Lucas zu einer Familienfeier einladen würde. Seit ihrer Kindheit war das ihr wunder Punkt. Wegen ihrer unehelichen Geburt und der ärmlichen Verhältnisse, aus denen sie stammte, befürchtete sie ständig, nicht respektiert zu werden. „Na, danke auch“, entgegnete sie darum gewollt lässig. „Was hört eine Frau lieber?“

Zane runzelte die Stirn. „So habe ich das nicht gemeint.“

„Machen Sie sich keine Sorgen.“ Sie schaffte es, ihren Blick von seinen dunklen Augen loszureißen, in denen sie für ihren Geschmack zu viel Mitgefühl zu erkennen glaubte. „Ich kann die Wahrheit schon vertragen.“

Sie wünschte nur, vor ihrer Abreise aus Sydney alles besser durchdacht zu haben. Ein bekanntes Frauenmagazin hatte Lucas als Fang des Jahres tituliert – das war eigentlich zu gut gewesen, um wahr zu sein.

Nicht weit von ihnen entfernt wurde eine Tür zugeschlagen, und die Geräusche der Feiernden verklangen. Die plötzliche Stille ließ Lilah die Wärme von Zanes Körper nur umso bewusster wahrnehmen. Mit einem Mal kam ihr der zarte Seidenstoff ihres Kleides viel zu dünn vor und der Ausschnitt zu tief.

Lilah wurde heiß, als ihr der leidenschaftliche Kuss auf dem Hinflug wieder in den Sinn kam. Kurz darauf hatten die Beruhigungsmittel leider ihre Wirkung gezeigt, und sie hatte Zane erst nach ihrer Landung in Singapur wiedergesehen, wo sie zwei weitere Passagiere – Kunden der Atraeus-Group – an Bord genommen hatten. Der restliche Flug war ruhig und unspektakulär verlaufen, und nach ihrer Landung auf Medinos hatte sich Lilah nach dem Check-in ein Taxi in ihr Hotel genommen, um Zanes Aufmerksamkeit zu entgehen.

Zane spähte in den Korridor. „Alles frei. Und Ihr Ruf ist noch intakt.“

„Unglücklicherweise ist er das leider nicht mehr.“ Das war das Risiko gewesen, das sie eingegangen war, als sie sich einverstanden erklärt hatte, sich mit ihrem millionenschweren Chef zu treffen. Bisher hatte sie noch keine Gelegenheit gehabt, sich die Konsequenzen vor Augen zu führen, die dieses Desaster auf ihre Hochzeitspläne haben könnte. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, dass die übrigen Kandidaten ihrer Hochzeitsliste normalerweise nicht die Schlagzeilen der Regenbogenpresse lasen.

Entschlossen ging sie auf Lucas’ Tür zu und klopfte ein weiteres Mal.

Zane lehnte sich gegen den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie geben wohl nicht so leicht auf, was?“

Eisern versuchte Lilah zu ignorieren, wie reizvoll das gedämpfte Licht der antiken Wandbeleuchtung seine klassisch schönen Gesichtszüge betonte. „Ich bevorzuge klare Verhältnisse.“

„Bitte schön. Ich wollte Ihnen nur helfen.“

Die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet, und Lilah sah Lucas, der wie gewohnt attraktiv in seinem Abendanzug vor ihr stand.

Ihr Gespräch verlief kurz und knapp, dabei erhaschte Lilah einen flüchtigen Blick auf Carla Ambrosi, die offenbar hastig ihre Kleidung zurechtrückte. In diesem Moment wurde ihr endgültig klar, dass sie Lucas verloren hatte, und sie schlug ihm die schwere Tür vor der Nase zu. Bei der raschen Bewegung riss allerdings der Henkel ihrer Abendtasche, und einige Perlen lösten sich, als das Täschchen auf den Steinboden fiel.

Lange, unerträgliche Sekunden herrschte peinliches Schweigen. Lilah versuchte, Zanes Blick auszuweichen. Es tat ihr nicht leid um Lucas, stellte sie fest. Sie hatte sich gefühlsmäßig nie auf ihn einlassen können. „Sie haben es gewusst“, sagte sie anklagend.

Zane hob ihre Tasche und eine Handvoll der glitzernden Schmuckperlen auf und reichte sie ihr. „Die beiden hatten schon länger was miteinander.“

Lilah verstaute die Perlen in ihrer Tasche. „Ich habe vor zwei Jahren darüber gelesen. Ich schätze, ich hätte diese Information einbeziehen sollen in …“

„Ihren Hochzeitsplaner?“

Sie warf Zane einen wütenden Blick zu. „In meine Überlegungen. Leider scheint mich meine weibliche Intuition im Stich gelassen zu haben.“

„Jetzt erwarten Sie aber nicht, dass ich mich für meine weibliche Seite entschuldige“, entgegnete er stirnrunzelnd.

Die lächerliche Vorstellung, dass Zane Atraeus auch nur über eine Spur weiblicher Empathie verfügte, löste ihre Anspannung. „Sie haben keine weibliche Seite.“ Trotzdem musste sie daran denken, dass Zane es bei seiner Arbeit für die Atraeus-Group als bekanntermaßen erfolgreicher Problemlöser gewohnt war, mit schwierigen Situationen und Angestellten umzugehen. „Sie halten Lucas den Rücken frei“, stellte Lilah fest.

Jetzt ergab alles einen Sinn. Da Carla mit von der Partie war, hatte Lucas auf Nummer sicher gehen wollen und daher Zane gebeten, sie nach Medinos zu fliegen. Jetzt hatte Zane sie davon abgehalten, Lucas eine Szene zu machen. Für ihn war sie nicht mehr als ein Problem, um das er sich kümmerte – so wie er es auch für die Atraeus-Group tat.

„Nein“, entgegnete er nicht besonders überzeugend.

Lilah fand den Gedanken unerträglich, nicht mehr als eine Schwierigkeit darzustellen, die er bereinigte.

Zane richtete sich auf. „Ein Drink tut Ihnen bestimmt gut.“ Er umfasste ihren Ellenbogen. „Irgendwo, wo es ruhig ist.“

Die Wärme seiner Hand an ihrem nackten Arm verwirrte Lilah so sehr, dass sie ihm gestattete, sie den Gang entlang in ein mediterran eingerichtetes Wohnzimmer zu führen, an dessen Wänden Gemälde der Ahnen der Familie hingen. Eine Glastür führte auf eine der zahlreichen Steinterrassen des Castellos hinaus, von denen aus man den atemberaubenden Blick auf das Mittelmeer genießen konnte.

Zane füllte ein Glas mit etwas, das wie Brandy aussah. „Wann haben Sie das mit Carla und Lucas herausgefunden?“

Lilah entspannte sich ein wenig. „Als wir eingetroffen sind und Carla sich Lucas in die Arme geworfen hat.“

„Warum sind Sie dann überhaupt zu Lucas’ Suite gegangen, wenn Sie schon geahnt haben, was Sie dort vorfinden?“

Seine Frage berührte sie unangenehm. „Weil ich genug davon hatte, das fünfte Rad am Wagen zu sein. Das Dinner war vorbei, ich war müde und wollte wieder zurück ins Hotel.“

Er drückte ihr das Glas in die Hand. „Mit Lucas.“

Seine Finger streiften ihre, und ihre Haut begann, vor Aufregung zu prickeln. „Nein. Allein.“ Sie trank einen Schluck und versteifte sich unwillkürlich, als das scharfe Getränk durch ihre Kehle rann. „So leicht bin ich nicht zu haben.“

„Ohne Ehe?“

Beinahe hätte sie sich verschluckt. „Genau.“ Sie hielt das Glas fest umklammert und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Gemälde. Bewundernd betrachtete sie die Farben und die kunstfertige Technik. Sie verdiente ihr Geld zwar mit Schmuckdesign, doch dem Malen galt ihre wahre Leidenschaft.

Vor dem Bild eines wild wirkenden, mittelalterlichen medinischen Kriegers blieb sie stehen. Ein Siegelring aus Onyx schmückte einen seiner Finger, über den Rücken trug er einen Krummsäbel geschnallt. Die klassische Nase, das kantige Kinn und die geheimnisvollen dunklen Augen erinnerten sie stark an Zane.

Neben dem Krieger saß eine Frau von exotischem Aussehen, die ein Seidengewand trug und deren Blick einen Eindruck von ruhiger Stärke vermittelte. Vermutlich hatte sie die auch nötig gehabt mit einem unbezähmbaren Mann wie ihrem, vermutete Lilah. Die Frau trug einen wunderschönen Ring aus Diamanten und Smaragden sowie dazu passenden Arm- und Halsschmuck.

Sie spürte förmlich die Wärme, die Zanes Körper ausstrahlte, als er neben sie trat. Die unwiderstehliche Anziehungskraft zwischen ihnen wurde immer stärker, je näher er bei ihr war.

Hastig trank Lilah einen weiteren Schluck Brandy und versuchte, ihre Gefühle in den Griff zu bekommen. Die wohlige Wärme, die der Alkohol in ihrem Bauch verbreitete, schien ihren Verstand zu vernebeln, und ihr fiel ein, dass sie beim Dinner so gut wie nichts gegessen, dafür aber umso mehr Wein getrunken hatte. Sie machte einen Schritt auf das Bild zu, um den Schmuck der Frau näher zu betrachten.

„Die Juwelen des Illium-Schatzes“, erklärte Zane.

Leider war der Schmuck nicht besonders detailgetreu dargestellt, wie Lilah frustriert bemerkte. „Aus Troja? Ist das nicht nur ein Mythos?“

„Sie sind um die letzte Jahrhundertwende verkauft worden, als die Familie auseinandergebrochen ist. Mein Vater hat sie von einem Privatsammler zurückgekauft.“

Lilah betrachtete das Schiff im Hintergrund des Gemäldes. „Ein Pirat?“

„Freibeuter“, verbesserte Zane. „Während des achtzehnten Jahrhunderts hat der Seehandel den Grundstock für den Reichtum meiner Familie gebildet.“

„Und wie war sein Name?“

„Zander Atraeus, sozusagen mein Namensvetter. Allerdings hatte meine Mutter damals keine Ahnung von der Familiengeschichte meines Vaters.“ Er drehte sich um. „Trinken Sie aus. Ich fahre Sie ins Hotel zurück.“

Als sie Zane folgte, bemerkte sie den Siegelring an seinem Finger. „Der sieht ja genauso aus wie der auf dem Bild.“

„Das stimmt“, erwiderte er kurz angebunden, und sie wunderte sich, warum er plötzlich so wortkarg geworden war.

Doch dann begriff sie. Sie wusste aus eigener Erfahrung, wie es war, unehelich geboren zu sein und aus der Familie des Vaters ausgeschlossen zu werden. Obwohl sie versucht hatte, darüber hinwegzukommen, schmerzte sie der Gedanke immer noch.

„Sie müssen mich nicht ins Hotel zurückfahren. Ich kann mir ein Taxi rufen.“

Zane sah auf die Uhr. „Die Chancen stehen schlecht, dass Sie nach Mitternacht auf Medinos noch ein Taxi bekommen.“

Diese Vorstellung war für sie als Stadtmensch völlig ungewöhnlich. „Gibt es denn hier keine U-Bahn?“

Er lachte leise. „Nein. Aber ich kann Ihnen eine Fahrt im Ferrari anbieten.“

„Wie nett von Ihnen, aber Sie brauchen sich wirklich nicht für mich verantwortlich zu fühlen.“

„Lucas jedenfalls fährt Sie nicht zum Hotel zurück“, entgegnete er unerbittlich.

„Das habe ich bereits verstanden“, erwiderte sie trotzig. „Okay, dann nehme ich Ihr Angebot an.“

Zanes Finger streiften ihre, als er ihr das leere Glas aus der Hand nahm. „Gut. Sie sollten sich nicht an einen Mann verschwenden, der nicht weiß, was er an Ihnen hat.“

„Keine Sorge.“ Sie trat einen Schritt zurück, bestürzt darüber, wie viel Gefallen sie daran fand, ihm nahe zu sein. „Zufällig weiß ich genau, wie viel ich wert bin.“ Sofort wurde ihr klar, wie arrogant diese Aussage in seinen Ohren klingen musste. „Ich habe das nicht so gemeint, wie Sie vielleicht glauben.“

Ausdruckslos sah er sie an. „Da bin ich sicher.“

Plötzlich musste sie wieder an ihren leidenschaftlichen Kuss auf dem Ball denken, und ihr wurde klar, warum sie eigentlich zugestimmt hatte, Lucas nach Medinos zu begleiten.

Mit Lucas war sie verabredet gewesen, doch im Grunde hatte sie immer nur Zane begehrt.

Bei der Suche nach ihrem verlässlichen Mr Right hatte sie es geschafft, sich in das genaue Gegenteil zu vergucken.

Lucas war schon nicht ihre Liga gewesen, doch er war nichts verglichen mit Zane.

Mit Zane würde es weder Garantien noch Sicherheiten oder Zugeständnisse geben – nichts von dem, was sie für ihre Zukunft geplant hatte und wonach sie sich so sehr sehnte.

4. KAPITEL

Zehn Tage später betrat Zane kurz vor Mitternacht das menschenleere Bürogebäude von Ambrosi-Pearls in Sydney. Mit dem etwas altmodischen Fahrstuhl, der ausgezeichnet zur angejahrten Außenfassade des Gebäudes passte, fuhr er in die oberste Etage.

Als er in Lucas’ Büro trat, hielt er kurz inne und schüttelte dann amüsiert den Kopf. Die Luft war dezent parfümiert, die Inneneinrichtung in Weiß gehalten. Der Raum ähnelte eher dem Büro der Redakteurin einer Frauenzeitschrift. Belustigt bemerkte Zane einen Stapel Modejournale auf einem der Designertische.

Lucas, der am Fenster gestanden und auf die Innenstadt von Sydney geschaut hatte, drehte sich um. Sein Haar war zerzaust, als wäre er mit den Fingern hindurchgefahren, und seine Krawatte saß schief. Er sah so missmutig aus, wie Zane sich nach seinem Langstreckenflug von Florida zurück nach Australien fühlte.

Zane rechnete rasch nach. Wenn er sich nicht täuschte, war er jetzt seit beinahe sechsunddreißig Stunden auf den Beinen. „Was soll diese Nacht-und-Nebel-Aktion?“, fragte er.

Lucas nahm seine Seidenkrawatte ab und steckte sie in die Tasche. „Ich habe beschlossen, Carla zu heiraten. Die Presse hat schon etwas gewittert. Ich habe versucht, den Schaden zu begrenzen, aber es könnte sein, dass Lilah unter Druck gerät.“

Plötzlich war Zanes Müdigkeit wie weggeblasen. Jetzt ergab das mitternächtliche Treffen in Lucas’ Büro einen Sinn. Sein Apartment wurde vermutlich von Journalisten belagert. „Ich hatte gedacht, zwischen dir und Lilah ist es aus.“

Ansonsten wäre er nicht zurück nach Florida geflogen, um das Geschäft abzuschließen, sondern hätte jemand anderen geschickt.

Lucas ging zum Schreibtisch hinüber und suchte eine Visitenkarte heraus. „Das stimmt auch, aber versuch mal, das der Presse zu erzählen.“ Er schrieb eine Nummer auf die Rückseite. „Lilah ist zu mir ins Apartment gekommen und hatte nicht bemerkt, dass sie von Journalisten verfolgt wurde.“

Zane nahm die Karte entgegen und kämpfte gegen die Eifersucht an, von der er eigentlich gedacht hatte, dass er sie überwunden hatte. „Und was hat Lilah in deinem Apartment gewollt?“

„Ich weiß es nicht“, gestand Lucas. „Carla war auch dort, und Lilah ist wieder gegangen, bevor ich mit ihr sprechen konnte. Um ehrlich zu sein, sollst du dich für mich um sie kümmern.“ In knappen Worten beschrieb ihm Lucas, wie man ihn und Carla fotografiert hatte, während Lilah sie offensichtlich schockiert dabei überrascht hatte.

Zane stöhnte auf. Und er fragte sich, warum Lilah überhaupt bei Lucas aufgetaucht war. Während der Hochzeitsfeier am Tag nach dem Dinner auf Medinos hatte sie ihm unmissverständlich klargemacht, dass sie fertig war mit Lucas. Hatte sie ihre Meinung geändert und war darum zu seiner Wohnung gefahren? Er widerstand der Versuchung, seinen Bruder beim Hemdkragen zu packen, ihn gegen die Wand zu drücken und zu verlangen, dass er Lilah Cole endlich in Ruhe lassen sollte. „Das wird ihr aber nicht gefallen.“

„Sie kommt schon damit zurecht. Ich entschädige sie gut dafür.“

„Und wie genau?“, fragte Zane.

„Mit dem Üblichen … Geld, einer Beförderung.“

„Das wird dann Carla nicht gefallen.“

„Erzähl mir was Neues.“ Lucas lächelte müde. „Frauen. Es ist ein Balanceakt.“

Eine Disziplin, in der Lucas mit seinem Killercharme stets als Sieger hervorging.

Trotzdem verstand Zane immer noch nicht ganz, weswegen Lucas sich mit Carla verlobte und Lilah trotzdem nicht in Ruhe ließ. Wütend dachte er an den protzigen Verlobungsring, den sein Bruder für Lilah ausgesucht hatte. Zanes Wahl wäre auf ein Stück mit Vergangenheit gefallen, vielleicht etwas mit Smaragden, die gut zu ihren Augen passen würden.

Doch eigentlich war seine Frage unwichtig. Die Männer der Familie Atraeus waren bekannt dafür, Frauenherzen zu brechen. Er selbst war das Ergebnis einer solch unglückseligen Liaison.

Langsam atmete er aus. „Und wie lange soll ich mich dieses Mal um sie kümmern?“

Lucas zuckte mit den Schultern. „Übers Wochenende? Lange genug, um den Medienrummel zu überbrücken, der nachher auf der Pressekonferenz ausbricht.“

„Wie du willst“, erwiderte Zane. „Auf Medinos sind wir auch schon gut miteinander klargekommen.“ Er warf Lucas einen kalten Blick zu. „Ich glaube, sie mag mich.“

Sein Bruder wirkte erleichtert. „Großartig. Ich schulde dir was. Ich weiß ja, dass Lilah normalerweise nicht dein Typ ist.“

„Was meinst du damit? Nicht mein Typ?“, fragte Zane stirnrunzelnd.

Lucas legte einen Aktenkoffer auf den Tisch und begann, Dokumente darin zu verstauen. „Lilah liebt klassische Musik. Sie hat ein Faible für Kunst. Ich glaube sogar, dass sie malt.“

„Das tut sie. Und ich mag auch Kunst und klassische Musik.“

Lucas klappte den Koffer zu. „Sie ist älter.“

„Fünf Jahre Altersunterschied sind nicht besonders viel“, widersprach Zane.

In diesem Moment klingelte Lucas’ Handy. Sofort griff er danach und presste es an sein Ohr, während er seinem Bruder schon einmal zum Abschied zuwinkte. „Hey, danke noch mal.“

„Kein Problem“, entgegnete Zane beherrscht und ging rasch zum Fahrstuhl, um zu verschwinden, bevor ihn sein Zorn übermannen konnte. Er musste sich jetzt darauf konzentrieren, was wirklich wichtig war. Es ging immerhin um ein ganzes Wochenende mit Lilah Cole.

Zwei Tage und zwei Nächte, die er mit einer Frau verbringen würde, die eine ziemlich genaue Vorstellung von ihren Eheplänen hatte – und die eine Liste mit möglichen Kandidaten in einem Ordner mit sich herumtrug.

Lilah setzte ihre Sonnenbrille auf, als sie aus dem Taxi in die Vormittagshitze der Innenstadt von Sydney trat. Es waren nur ein paar Schritte bis zum repräsentativen Eingang des Hotels, in dem die Pressekonferenz stattfinden sollte, doch eine Meute neugieriger Journalisten versperrte ihr den Weg, um sie mit Fragen zu bombardieren.

Plötzlich teilte sich die Menge, und Zane Atraeus trat auf sie zu, die dunklen Augen gelassen auf sie gerichtet. Trotz ihres festen Vorsatzes, in seiner Gegenwart völlig ruhig zu bleiben und jenen Kuss zu vergessen, spürte sie ein angenehmes Prickeln im Bauch. Wie die sprichwörtlichen Schmetterlinge …

„Lilah, kommen Sie mit mir“, sagte Zane und streckte ihr die Hand entgegen.

Fasziniert registrierte sie den Klang seiner tiefen, heiseren Stimme. Zweimal hatte sie bereits schlechte Erfahrungen mit Männern der Familie Atraeus gemacht, und sie würde sich bestimmt nicht direkt vom Regen in die Traufe begeben.

Inzwischen versuchten Sicherheitsleute mit den Pressevertretern fertigzuwerden, doch die Journalisten drängten immer dichter zusammen. Dankbar ergriff Lilah Zanes Hand. Er zog sie so dicht an sich, dass sie deutlich die Wärme seines Körpers spüren konnte, während sie auf den Eingang zugingen. Ein weiteres Blitzlicht flammte auf, kurz bevor sie die Tür erreicht hatten.

„Oh, schön. Noch mehr Skandale.“

Zane lächelte. „So ist das eben, wenn Sie sich mit einem Atraeus einlassen.“

„Ich habe mich mit keinem eingelassen“, widersprach sie energisch.

„Sie sind aber für ein erstes Date nach Medinos geflogen.“

„Eine Erfahrung, auf die ich gerne verzichtet hätte“, erklärte sie errötend.

Zane führte sie zum Fahrstuhl, wo sie bereits von drei Bodyguards erwartet wurden. Lilah spürte seine Hand auf ihrem Rücken und erzitterte leicht. Ihre Nervosität, weil er ihr so nah war, nahm zu, als sie endlich in der Kabine standen und nach oben fuhren. „Sie sind vermutlich wegen der Charity-Kunstauktion in Sydney?“, fragte sie ihn, um sich abzulenken.

„Und außerdem kümmere ich mich um die Übernahme von Ambrosi-Pearls, weswegen Lucas mich gebeten hat, auch ein Auge auf Sie zu haben.“

Mit einem Schlag verschwand die Erregung, die sie eben noch empfunden hatte. „Ich schätze, dass Lucas Ihnen erzählt hat, was gestern passiert ist?“

„Nur, dass Sie ihn und Carla zusammen gesehen hätten.“

Das klang ja beinahe so, als wäre sie Teil einer Dreiecksgeschichte gewesen, dachte Lilah beschämt und errötete noch mehr. „Die Fotografen …“

„Sie brauchen nichts zu erklären.“

Allmählich war es um Lilahs selbstbewusste Fassade geschehen, die sie seit dem Blick in die Morgenzeitung mühsam aufrechterhalten hatte. „Seit dem Zwischenfall auf Medinos habe ich keinen Termin mehr bei Lucas bekommen“, sagte sie. „Ich hatte es satt zu warten und wollte zu ihm, um zu kündigen.“

Die Fahrstuhltüren glitten zur Seite, und angespannt betrachtete Lilah die Journalisten, die sich in der Lobby versammelt hatten. Sie holte tief Luft, bevor sie, umgeben von Zanes Sicherheitsteam, aus dem Fahrstuhl trat.

Zane hielt ihre Hand umklammert. „Wenn Sie jetzt Reißaus nehmen, dann macht es die Sache nicht besser. Was meinen Sie, was dann in der Zeitung steht?“

„Viel schlimmer als ‚Geliebte von Atraeus verlassen auf offener Straße‘ kann es ja nicht mehr werden.“

„Sie hätten sich doch denken können, dass Lucas nicht in Ihrer Liga spielt“, erwiderte Zane grimmig.

„Es ist wohl zu spät, um mir zu wünschen, dass ich ihm niemals begegnet wäre“, erwiderte sie scharf. Allerdings dachte sie wieder daran, dass sie tatsächlich nie eine gefühlsmäßige Nähe zu Lucas aufgebaut hatte – und auch nicht hätte aufbauen können. Eine Ehe mit ihm wäre eine Katastrophe gewesen.

Zane sah ihr in die Augen, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. „Wie viel bedeutet es Ihnen, was die Presse schreibt?“, fragte er.

Verwirrt blinzelte sie und versuchte, sich von dem magischen Bann zu befreien, der von seinem Blick auszugehen schien. „Ich habe keinen Fernseher, und mein Zeitungsabo habe ich heute Morgen auch gekündigt. Medien sind nicht so mein Ding.“

„Ist das hier vielleicht eher Ihr Ding?“

Sie spürte, wie sein Kinn ganz leicht ihre Stirn streifte, und eine Welle heißen Verlangens durchströmte sie bei dieser unerwarteten Berührung. Er umfasste ihr Gesicht, sie sah zu ihm auf, und wie benommen erkannte sie, dass er vorhatte, sie zu küssen. Mitten im Gedränge von Security, Presse und Hotelmitarbeitern schien die Zeit mit einem Mal stillzustehen, und sie fühlte sich schlagartig zwei Jahre zurückversetzt in die ruhige Abgeschiedenheit des Zimmers, in dem sie sich zum ersten Mal geküsst hatten. Oder elf Tage zurück, als sie nach Medinos geflogen waren.

Atemlos stand sie vor ihm und wusste, dass sie unbedingt einen Schritt zurückweichen und sich beruhigen musste, um dieser verrückten Anziehung zu entgehen. Constantine und Lucas hatten schon einen schlimmen Ruf als Ladykiller, doch verglichen mit Zane waren sie harmlos.

Sie spürte seinen Atem an ihren Lippen und schloss die Augen, als sein Mund verführerisch warm und unendlich zärtlich ihren berührte. Eine Welle puren Verlangens erfasste sie.

Sacht hob er den Kopf, und sie sah in seine dunklen, von dichten schwarzen Wimpern umrahmten Augen. Doch statt sich zurückzuziehen, legte er die Hand an ihre Taille und zog sie noch dichter an sich. Sie meinte zu spüren, wie sich die Hitze seiner Finger durch den zarten Seidenstoff ihres maßgeschneiderten Kleides brannte.

Das Surren der Kameras und das Stimmengewirr schienen vollends in den Hintergrund zu treten, als Lilah Zanes Schultern umfasste, um einen weiteren heißen Kuss zu empfangen. Ihre Knie wurden weich, und als sie sich nach einer langen Weile voneinander trennten, hatte sie das Gefühl, die Welt würde sich um sie drehen.

Aufbrandender Applaus und beifällige Pfiffe brachten sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Entsetzt sah sie sich Unmengen von Mikrofonen gegenüber, und ihr Mut sank, als ihr klar wurde, was für eine Wirkung ihr impulsives Verhalten auf die Medien haben würde. „Jetzt denken sie bestimmt, dass ich auch mit Ihnen schlafe“, sagte sie verzagt.

Zane hielt ihre Taille umfasst und führte sie an den neugierigen Reportern vorbei in den Raum, in dem die Konferenz stattfinden sollte. „Sehen Sie es doch mal so: Wenn man Sie mit mir sieht, wird man sich fragen, wer hier wen verlassen hat.“

Eine Dreiviertelstunde später war die Pressekonferenz beendet. Da Lucas seine Verlobung mit Carla bekannt gegeben hatte und außerdem mitgeteilt wurde, dass Sienna und Constantine ein Baby erwarteten, waren die Journalisten abgelenkt.

„Lassen Sie uns verschwinden“, sagte Zane und stand auf.

Erleichtert, dass sie nicht mehr im Mittelpunkt des Medieninteresses stand, folgte Lilah ihm. Kurz darauf hielt dennoch ein blonder Journalist Zane ein Mikro vors Gesicht. „Mr Atraeus, können wir in naher Zukunft eine weitere Verlobung erwarten?“

„Kein Kommentar“, erwiderte Zane und beeilte sich, an dem Fernsehteam vorbeizukommen, um zum Fahrstuhl zu gelangen.

Obwohl Lilah wusste, dass Zane das einzig Vernünftige auf diese Frage erwidert hatte, kam sie sich mit einem Mal ausgenutzt vor.

Zugegeben, es war nicht gerade angenehm gewesen, gestern Abend Lucas und Carla dabei zu beobachten, wie sie sich leidenschaftlich auf offener Straße küssten. Aber nachdem Zane sie nun wiederum vor laufender Kamera geküsst hatte und jetzt so tat, als sei nichts gewesen, fühlte sie sich verraten.

5. KAPITEL

Zane führte Lilah in die Tiefgarage und öffnete die Tür einer glänzenden schwarzen Corvette. Nachdem Lilah eingestiegen war, nahm er hinter dem Lenkrad Platz.

Er war so wütend auf Lucas gewesen, dass er sich zu dem Kuss mit Lilah hatte hinreißen lassen, um seinen Anspruch auf sie anzumelden. Allerdings hatte er nicht geplant, es so öffentlich zu tun.

Und er hatte nicht damit gerechnet, dass Lilah den Kuss so leidenschaftlich erwidern würde. Doch ihm war auch aufgefallen, dass sie seit dem Ende der Pressekonferenz plötzlich ziemlich unterkühlt und distanziert wirkte.

Als er den Sicherheitsgurt anlegte, streifte er mit dem Handrücken Lilahs Finger. Die kurze Berührung durchfuhr ihn wie ein Stromstoß. Unauffällig musterte er die Frau neben sich. Sie war in den für sie typischen Weiß- und Elfenbeintönen gekleidet. Das Haar trug sie locker hochgesteckt, und ihre zierlichen Ohrläppchen schmückten tränenförmige Perlen. Sie sah gleichzeitig cool und umwerfend sexy aus, und die Tatsache, dass er vorhin ihren ganzen Lippenstift weggeküsst hatte, ließ sie nur noch sinnlicher wirken.

Genau diese verführerische Ausstrahlung hatte bereits vor zwei Jahren dazu geführt, dass er den Kopf verloren hatte. Lilah Cole war ganz unverfroren auf der Jagd nach einem passenden Ehemann und gehörte somit zu der Art Frau, die so gar nicht zu ihm passte. Trotzdem konnte er ihr nicht widerstehen.

Lilah sah unverwandt nach vorn, die Handtasche auf dem Schoß. „Ich weiß, dass ich zum Lunch mit Ihrer Familie eingeladen bin, aber ich glaube, es wäre keine gute Idee, wenn ich hingehe … nach all dem, was vorgefallen ist. Wenn Sie mich irgendwo rauslassen, kann ich mir ein Taxi rufen und zum Büro zurückfahren.“

Verärgert bemerkte Zane den unsicheren Tonfall in ihrer Stimme und wünschte, Lucas hätte diese Frau in Ruhe gelassen. „Es ist aber Mittagszeit, und Sie sollten etwas essen.“

Sie sah aus dem Beifahrerfenster. „Ich habe gefrühstückt und bin nicht besonders hungrig.“

Vor einer roten Ampel hielt er an. „Lucas wäre vermutlich erleichtert, wenn Sie nicht zum Lunch kommen“, sagte Zane und versuchte damit, an ihren Kampfgeist zu appellieren.

Wütend sah sie ihn an. „Was Lucas will oder nicht will, interessiert mich nicht.“

Mit einem Mal fühlte sich Zane schon wesentlich zufriedener. Die Ampel sprang auf Grün, und er gab Gas. „Ich könnte Sie auch in ein anderes Restaurant zum Lunch ausführen.“

„Lassen Sie mich mal nachdenken … Nein, danke“, erwiderte sie kühl.

„Das trifft sich gut, denn wir sind schon da.“

Lilah betrachtete den von Säulen gerahmten Eingangsbereich des Sternerestaurants, als wäre es der Eingang zur Hölle. „Sie sind ein sehr manipulativer Mann.“

„Ich bin ein Atraeus.“

„Manchmal vergesse ich das.“

„Weil ich auch ein Salvatore bin?“, fragte er angriffslustig und versuchte, nicht daran zu denken, dass es möglicherweise auch daran liegen könnte, dass er erst vierundzwanzig Jahre alt war.

Sie runzelte die Stirn. Offenbar hatte sie gar nicht an seine dunkle Vergangenheit gedacht. „Nein, weil sie manchmal … nett sind.“

„Nett?“, fragte er stirnrunzelnd.

Jetzt wirkte sie ein wenig verlegen. „Ich habe Ihren Lebenslauf auf der Website der Stiftung gelesen und weiß, dass Sie zum Beispiel diese drei Ohrstecker tragen, damit die Jugendlichen Vertrauen zu Ihnen fassen, wenn Sie mit ihnen arbeiten. Meinetwegen können Sie versuchen, mich vom Gegenteil zu überzeugen, aber da, wo ich herkomme, bezeichnet man das nun mal als nett.“

Lilah atmete erleichtert auf, als sie auf den kleinen Parkplatz vor ihrem Apartment einbogen. Das Mittagessen war genauso steif und unangenehm verlaufen, wie sie befürchtet hatte. Glücklicherweise war der Service überaus schnell gewesen, sodass sie rasch wieder aufbrechen konnten.