Bad Boy Senior - A. Bendragon - E-Book

Bad Boy Senior E-Book

A. Bendragon

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Beschreibung

Friederike Schieferstein lernt auf der Frankfurter Buchmesse den Mann kennen, für den sie bereits in ihrer Teenagerzeit geschwärmt hat ... Michael Müller, damals Leadsänger der deutschen Rockband Elmo & The Stampede. Doch wie ist es, seinen Jungendschwarm nach Jahrzehnten endlich kennen zu lernen; einen Mann, an dem die Zeit auch nicht spurlos vorbei gegangen ist?

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Seitenzahl: 198

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Love out of nothing at all

„Ich habe Ihre Lesung vorhin mitbekommen, Frau Schieferstein! Ich mag Ihren Stil! Vom Schreiben als auch vom Lesen her!“

Friederike erstarrte.

Sie kannte die Stimme.

Sie hatte allerdings nicht damit gerechnet, sie einmal in Natura zu hören zu bekommen, am Allerwenigsten in diesem halbdunklen, kahlen Hallenausgang hier in Frankfurt auf der Buchmesse.

Langsam, mit rasendem Herzklopfen, wandte sie sich um.

Und geriet augenblicklich in einen Realitätskrise.

Mit dieser Stimme hatte sie hauptsächlich das Bild eines jungen Mannes verbunden, muskulös, tätowiert, rebellisch, unbeugsam, auf der Bühne als auch privat.

Der Mann, der nun die Treppe hier hinter ihr hinunter kam, war weit über Fünfzig.

Das wusste sie.

Allerdings sah man ihm das auch deutlich an.

Das wusste sie auch.

Er wirkte wie eine Mischung aus Axl Rose und Gunther Gabriel.

Falten kringelten sich um seine Augen und unübersehbar graue Stoppeln sprossen zwischen seinen rötlichen Barthärchen über seinen Wangen, seinem Kinn.

Auch hatte er nicht mehr die drahtige Figur eines jugendlichen Rebellen.

Ganz im Gegenteil.

Friederike konnte ihn für Sekunden bloß anstarren während in ihrem Hinterkopf der Gedanke rotierte, dass sie sich zusammenreißen sollte!

Sie spürte genau, dass das der Moment war, in dem sie sich wieder in ihn verliebte, diesmal in diesen übergewichtigen, etwas verlebt aussehenden Mann.

Ganz einfach so.

Es traf sie wie ein Schlag.

Von einer Sekunde zur nächsten.

„Vielen Dank, Herr Müller! Das ist sehr nett von Ihnen!“ brachte sie schließlich heraus.

Natürlich war es Michael Müller, der jetzt auf sie zukam.

Der großartige Michael Müller.

Deutschland schien für seine Künstler nicht ohne Adjektive auszukommen.

Seine markante tiefe Stimme konnte sie gar nicht verwechseln.

Sie klang noch viel männlicher hier zwischen den hohen Wänden des Messeausganges.

Friederike mochte Männer mit tiefen dunklen Stimmen.

Es gab nur drei Stimmen, die sie aufhorchen hießen.

Die von Bela B. von den Ärzten.

Die von Ben Becker, dem Schauspieler.

Und die von Michael Müller.

Müller war Musiker.

Ein deutscher Rockmusiker der ersten Stunde.

Es war Jahrzehnte her, dass er mit seiner Band die Rolling Stones vom ersten Platz der deutschen Charts vertrieben hatte.

Elmo and the Stampede.

Sie hatten in Deutschland für ein paar Jahre eine fulminante Musikkarriere hingelegt, sozusagen den Weg geebnet für alle weiteren Künstler im Bereich Rock.

Er war eine umstrittene Figur.

Ein 'Chaot ' wie er gerne beschrieben wurde.

Früher zumindest.

In den letzten Jahren schien er ein bisschen ruhiger geworden zu sein, was an seiner kleinen Familie liegen mochte oder an seinem nicht mehr jugendlichen Alter.

Oder an Beidem!

Jetzt blieb er vor ihr stehen.

Friederike wusste, dass er durchschnittlich groß war.

Er war noch immer breitschultrig und strahlte eine verhaltene Kraft aus.

Sein Outfit wirkte etwas derangiert.

Sein schwarzer Anzug war tadellos, doch weil er eine dicke schwarze Jacke darüber trug war die Anzugjacke verrutscht.

Auch sein schwarzes Hemd darunter war schief, hing mit dem linken Hemdzipfel aus seiner Hose.

Um den Kragen der dicken Jacke lag ein schrecklich karierter brauner Schal, auf der rechten Seite länger als auf der Linken.

Es wirkte, als stecke im Körper dieses Mannes ein kleiner Junge, der sich noch immer nicht alleine anziehen konnte!

„Michael Müller!“ stellte er sich artig vor, obwohl sie ihn gerade mit Namen angesprochen hatte.

Das war süß.

Friederike legte ihre Hand in seine, die er ihr entgegen streckte.

Sie war groß, kräftig, warm, eine richtige Männerhand.

Und dennoch war sein Händedruck ganz unerwartet sanft.

„Friederike Schieferstein.“ stellte sie sich vor.

„Freut mich!“ fügte sie rasch hinzu.

„Ganz meinerseits.“ gab Müller zurück.

Ein kleines Lächeln verzog seine vollen Lippen.

„Ich habe Sie vorhin lesen gehört! Mir gefällt die Ruhe, mit der Sie das gemacht haben! Ihre Sprachmelodie!“

„Danke.“ erwiderte Friederike verlegen.

Sie spürte, wie ihre Wangen zu brennen begannen.

„Ich wusste gar nicht, dass Sie hier sind! Hatten Sie auch … eine Lesung?“

Das Wort kam ihr nur schwer über die Lippen.

Sie war keine Profi-Schriftstellerin.

Sie machte das so zum Spaß, in der Hoffnung, vielleicht doch irgendwann davon leben zu können.

Der heutige Termin hier am Verlagsstand war ein (un-) glücklicher Zufall gewesen!

„Nein. Ich musste nur am Stand vorbei schauen, den Termin hatte der Verlag vorgegeben. Ich habe morgen Abend eine Lesung. Im Goethe-Saal!“

„Was haben Sie geschrieben?“ erkundigte sich Friederike verlegen.

Diese 'Fachsimpelei ' war ihr ungewohnt.

Sie war noch nicht so weit.

Hätte sie über die Arbeit ihres 'Kollegen' im Bild sein müssen?

„Meine Autobiographie.“ gab Müller zurück, mit einem kleinen Schulterzucken, so als wäre es ihm nicht wirklich wichtig.

„ Oder sagen wir `mal … schreiben lassen! Aber das lese ich Morgen nicht! Ich musste hier heute nur zu Promo-Zwecken erscheinen!“

Friederike nickte.

Wie sie hoffte, verstehend.

In erster Linie fühlte sie sich noch immer durcheinander.

Dass er ausgerechnet sie angesprochen hatte!

Müller grinste ein bisschen als ihre Blicke sich jetzt trafen.

Er hatte blaue Augen.

Friederike wusste das.

Nur kamen sie im Halbdunkeln der Halle hier gar nicht richtig zur Geltung.

„Darf ich Sie … hätten Sie Lust eine Tasse Kaffee mit mir zu trinken?“ fragte er jetzt.

Friederike sah ihn überrascht an.

Das kleine Grinsen lag noch immer in seinen Mundwinkeln, verzog seine schönen vollen Lippen mit dem ausgeprägten Amorbogen.

Ob er sich seiner Wirkung auf Frauen wohl bewusst war?

War das vielleicht eine Masche von ihm?

Sie war ja alt genug um auf so was nicht mehr 'reinzufallen.

Genaugenommen gehörte sich so eine Einladung weder für ihn, denn er war verheiratet, noch für sie, denn sie war in einer Beziehung.

Doch die Einladung war zu verführerisch als dass sie sie ausschlagen konnte!

Schließlich durfte sie sicher auch die ' angenehmen Nebeneffekte ' ihres Jobs hier genießen!

„Ja … das hätte ich wirklich! Danke! Und ich würde mich freuen wenn wir uns Duzen!“

Das war ihr erstmal wichtig.

Müller lächelte.

Es gab seinem rundlichen Gesicht – trotz der Fältchen um seine Augen, auf seiner Stirn – einen jungenhaft- frechen Ausdruck.

„Okay. Gehen wir 'rüber ins Radisson?“ schlug er ihr dann vor, mit einer kleinen Kopfbewegung Richtung des blauen Hotels, neben dem Messegelände.

„Ich bin da untergebracht, das Restaurant ist ganz nett da! Wohnst Du dort auch?“

Er berührte sie leicht an der Schulter und machte einen sehr kleinen Schritt Richtung des breiten Ausganges im Zaun.

Friederike setzte sich ebenfalls in Bewegung.

„Nein. Für mich hat es nur zum Maritim gereicht! Ist aber auch ganz nett da!“

Michael Müller war groß neben ihr. Absolut präsent.

Selbst nur neben ihm zu gehen ließ sie seine verhaltene Kraft spüren.

Bei den ersten Schritten hinaus ins Tageslicht musste sie sich zusammenreißen um ihn nicht anzustarren.

Seine Haare, die früher die Farbe von Kupfer gehabt hatten, waren nahezu von grauen Exemplaren verschont geblieben und nun blond, nicht mehr ganz so dicht, momentan am Hinterkopf leicht verstrubbelt.

An den Seiten seiner Stirn lichteten sie sich bereits deutlich.

Seine Haut war hell, seine Wimpern wiesen die typische Farblosigkeit von wenig Pigmenten auf.

Er hatte einen leichten Hang zum Doppelkinn.

Kaum hatten sie die ersten Schritte aus dem Hallenbereich heraus gemacht als Müller in seine Jackentasche langte, eine Packung Zigaretten und ein Feuerzeug heraus nahm.

Routiniert steckte er sich eine zwischen die Lippen und zündete sie an, nahm einen tiefen Zug.

„Du auch?“ erkundigte er sich und hielt ihr die blaue Packung hin.

„Nein, danke, ich rauche nicht!“ gab Friederike zurück.

Müller nahm einen weiteren genießerischen Zug.

„Das Radisson ist mir schon aufgefallen.“ fuhr Friederike – bemüht um einen lockeren Plauderton - fort.

„Ein interessantes Gebäude. Ist sicher sehr angenehm dort, oder?“

Sie sah zu Michael Müller auf während sie nebeneinander den freien Platz hinter der Halle überquerten.

Mit Small-Talk fühlte sie sich ein bisschen sicherer.

Michael lächelte ihr zu.

Friederike war irritiert darüber, wie einfach /ehrlich er herüber kam.

Er war für eine Authentizität bekannt.

Doch was wollte er von ihr?

„Es ist ein Hotel, ja!“ gab er jetzt zurück, mit einem leichten Achselzucken.

„Ich bin öfter im Hotel, mich beeindruckt so etwas nicht!“

Friederike sah ihn an.

Musste sich fast ein wenig dazu zwingen, seinen Anblick zu genießen statt die Augen verlegen abzuwenden.

Schließlich war sie längst kein schüchterner Teenie mehr!

Und schließlich hatte Michael sie angesprochen!

„Wo kommst Du her?“ erkundigte er sich jetzt bei ihr.

Der Mann, der in einem kleinen Pförtnerhäuschen das Gelände bewachte, sah sie an und nickte Michael kurz zu.

Dann öffnete er ihnen das Tor.

„Danke, Meister!“ meinte Michael in einer schnodderigen Art zu ihm, die Friederike insgeheim etwas von ihm erwartet hatte.

„Danke schön.“ meinte Friederike.

Sie verließen das Gelände der Messe Frankfurt.

Das Radisson Blu lag in Sichtweite, über eine Wohnstraße und querfeldein über ein brach liegendes Grundstück vor einem Hochhauskomplex, links am Parkhaus vorbei.

„Ich komme aus Meinerzhagen. Das liegt in der Nähe von … das liegt im Sauerland!“

„Ich hab' Dich in der Halle vorhin gegoogelt.“ meinte Michael jetzt frei heraus.

„Aber ich hab' da kaum 'was gefunden! Eigentlich nur die Titel Deiner Geschichten!“

„Ich war immer gespannt, wie sich das anfühlt wenn mir jemand sagt, er hätte mich gegoogelt!“ bekannte Friederike jetzt freimütig.

„Das Du das bist, hätte ich jetzt nicht unbedingt erwartet, aber es fühlt sich gut an! Aber ich bin dafür noch nicht bekannt genug!“

Michael sah sie an und ein kleines Grinsen umspielte seine Lippen.

Er zog noch einmal an seiner Zigarette, machte dann die wenigen Schritte zu einem Papierkorb an einer Bushaltestelle und drückte die Kippe an dem dafür vorgesehenen Metallstück aus.

Friederike spürte seinen Blick auf sich als er wieder zu ihr kam.

Sie merkte, dass er auch noch nicht über die Phase des neugierigen Taxierens bei ihr hinaus war, genau wie sie bei ihm.

Es war nicht immer aufregend, neue Leute kennen zu lernen, doch in diesem Fall schon.

Sie fand es eigentlich spannend, herauszufinden, ob Prominente wirklich so waren, wie sie sich in der Öffentlichkeit gaben.

Oder beschrieben wurde.

Bei Michael war sie jetzt nach der kurzen Zeit schon überzeugt davon, dass er im Privaten ganz anders war als er sich öffentlich gab.

Sie hatte es eigentlich geahnt!

Noch immer verspürte sie einen Heidenrespekt vor ihm.

Vor seinem Star-Status hier in Deutschland.

„Nicht bekannt genug!“ nahm Michael den Faden wieder auf, bewies damit, dass er ihr gut zugehört hatte.

Seine Stimme klang auf, empört.

Zu empört, zu geschauspielert, zu emotional von ganz unten.

Friederike musste ein bisschen grinsen.

Was bezweckte er damit?

Wollte er sie beeindrucken?

„Aber Du hattest doch eine Lesung auf der Buchmesse! Das hört sich aber schon nach etwas an!“

Er sah fragend zu ihr herüber.

Friederike verwandelte ihr Grinsen in ein Lächeln für ihn.

Es kam ihr vor als wäre er wirklich interessiert.

Er schien wirklich fokussiert auf das Gespräch mit ihr, auf das Hier und Jetzt.

Als gäbe es momentan nichts Wichtigeres für ihn!

„Das war … so eine Art Co-Operation der Webseite, für die ich schreibe, mit dem Verlag. Es wurden drei der Schreiber ausgesucht, die das lesen durften. Es ging nicht nach Qualität. Es waren ja auch nur fünf Minuten! Nichts Besonderes!“

Sie hatten das Radisson erreicht und Michael ließ ihr den Vortritt in die Hotelhalle.

Friederike fühlte sich sekundenlang überfordert.

Sie hatte das Radisson schon so oft gesehen.

Hatte es von außen bewundert!

Hatte es sich immer ganz anders vorgestellt!

Nicht so vollgestellt!

Vintage-vollgestellt mit Läufern und Stehlampen im Stil vergangener Jahre!

Sie hatte es moderner erwartet.

„Was ist?“

Michael wandte sich ihr fragend zu als er merkte, dass sie automatisch langsamer wurde weil sie sich irritiert umsah.

„Ach, nichts!“

Friederike lächelte ihm souverän zu.

„Ich hatte mir das hier nur ganz anders vorgestellt!“

„Wie, anders?“ erkundigte sich Michael.

Der Eingang zum Restaurant war ein halbrunder Bogen aus einer Metallkonstruktion, sehr gewöhnungsbedürftig.

„Ganz anders!“ gab Friederike zurück.

Michael lachte.

„Sollen wir uns hier … hinsetzen?“

Er wies auf den Zwei-Stühle-Tisch direkt links neben dem Durchgang, an der Wand.

„Ja. Sehr gerne.“

Das Restaurant hatte eine lange Glaswand zur Terrasse hin.

Nur leider verboten jetzt im Oktober die Temperaturen das Draußen-Sitzen.

Friederike stellte ihre Tasche auf dem Stuhl ab und zog ihren linken Arm aus ihrem Mantel.

Dann war Michael hinter ihr und half ihr aus dem Kleidungsstück.

„Danke schön.“ meinte Friederike beeindruckt.

Für sie war das noch Kavalier der alten Schule.

So etwas passierte heute kaum noch!

Und von Michael Müller erwartete man das gleich gar nicht!

Michael hängte ihren Mantel an den Garderobenständer auf der anderen Seite des Durchganges, hängte seine Jacke dazu.

Er war gerade wieder rechtzeitig bei ihr um ihr ihren Stuhl zurecht zu rücken.

„Danke.“ meinte Friederike noch mal, jetzt schwer beeindruckt.

Seine Eltern hatten ihn sehr gut erzogen.

Mittlerweile war sie gespannt, wie das mit seinem raubeinigen Ruf vereinbar war!

Michael setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.

Sie waren nicht ganz alleine hier im Restaurant, zwei weitere Tische waren besetzt.

Ein älteres Ehepaar und zwei Männer, die sehr nach Business aussahen in ihren dunklen Anzügen.

Musik spielte sehr leise im Hintergrund.

Es roch herrlich nach frischem Kuchen.

Irgendwie schienen sie den Gesprächsfaden verloren zu haben als sie sich setzten. Keiner sagte etwas.

Friederike versuchte sich krampfhaft daran zu erinnern, was als Letztes gesagt worden war.

Ihr Gehirn war noch immer zu abgelenkt von ihm um richtig zu funktionieren.

„Sind die Zimmer oben schön?“ erkundigte sie sich schließlich.

Vielleicht nicht gerade das beste Thema!

Michael zuckte die Schultern.

„Ich achte da nicht drauf! Es ist okay. Wie gesagt, ich bin oft in Hotels.“

Friederike nickte verstehend.

„Ich bin nicht oft in Hotels. Ich finde das noch aufregend.“ plauderte sie freimütig heraus.

Normalerweise erzählte sie nicht viel über sich.

Aber hier musste sie das Gespräch am Laufen halten.

Michael nickte.

Er saß mit dem Rücken zur Fensterwand, im Gegenlicht.

Dennoch war das dunkle Blau seiner Augen jetzt in der hellen Umgebung hier gut zu erkennen.

Seine 57 Jahre sah man ihm an.

Er hatte eine beeindruckende Präsenz, und das lag nicht nur an seiner dunklen Kleidung.

Seine Bewegungen waren ruhig.

Kraftvoll.

Seine Gesten authentisch.

Aber sein Gesicht hatte noch immer diesen jungenhaft-spitzbübischen Ausdruck wenn er grinste.

„Was … „

Michael verstummte als nun die Bedienung an ihren Tisch trat.

Ihre Augen nur auf ihn gerichtet.

„Was darf ich Ihnen bringen, Herr Müller?“

„Erst die Dame, bitte!“ wies Michael sie sanft zurecht, mit einer kleinen Handbewegung über den Tisch.

„Natürlich! Verzeihung!“

Die Bedienung wandte sich ihr zu.

„Was darf es sein? Oder möchten Sie erst eine Karte?“

„Einen Milchkaffee, bitte!“erwiderte Friederike.

„Gerne.“

Die junge Frau notierte es, wandte sich dann wieder Michael zu.

„Und für Sie, Herr Müller?“

„Ein Pils.“ bestellte Michael.

Das Mädchen nickte. Dann ging sie davon.

Michael sah sie wieder an.

„Was machst Du beruflich? Ich gehe davon aus, dass Du noch etwas anderes machst wenn Du vom Schreiben noch nicht leben kannst!“

Friederike schenkte ihm ein Lächeln.

Sie mochte, dass er schlussfolgerte.

Dass er mitdachte.

„Es ist schön, dass Du noch nicht gesagt hast! Das hört sich für mich noch nach Hoffnung an. Ich bin Arzthelferin. Oder medizinische Fachangestellte, wie das mittlerweile heißt.“

„Pah!“

Michael verzog das Gesicht.

„Ich hab's nicht so mit Blut und Spritzen!“

Friederike musste schmunzeln.

Es waren immer die Großen, Kräftigen, besonders männlichen, von denen man das hörte.

„Das hört man öfter!“ gab sie verständnisvoll zurück.

Ein kleines Lächeln umspielte Michaels volle Lippen.

„Glaubst Du, dass Du den Durchbruch schaffst mit der Schriftstellerei?“ erkundigte er sich dann bei ihr.

Friederike sah ihn an.

Seine Frage klang wirklich interessiert.

Der Blick seiner blauen Augen ruhte auf ihr.

Er schien es wirklich wissen zu wollen, was sie dachte.

Schien sich zu interessieren.

Sie hatte Bekannte, die keinen einzigen Gedanken an ihr Hobby verschwendeten!

Es fiel ihr schwer, sich in seiner Gegenwart zu konzentrieren.

Seine Stimme war eine konstante akustische Verführung für sie.

Und sie mochte die Art, wie er mit Worten umging.

Mit Worten, die ihr als Schreibende wichtig waren.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Leuten sprach er Endungen vollständig aus.

Er betonte Silben ganz anders, er sprach sehr deutlich und ruhig.

Es war wohltuend in der Zeit, in der die meisten Jugendlichen mit „Alter“ und „Digga“ durch ihre Sprache hasteten.

„Ehmm … nein! Nur mit diesem Fanfiktion-Kram, das darf ich nicht verkaufen, da habe ich ja nicht das Urheberrecht! Und meine anderen Geschichten … da interessiert sich niemand für! Die sind noch nicht gut genug!“

„Welche andere Geschichten?“ erkundigte sich Michael weiter.

„Was gibt es da noch so?“

„Verschiedenes.“ gab Friederike zurück, wie immer ein bisschen verlegen wenn es auf ihre Schreiberei zu sprechen kam.

Sie hatte ihre Ambitionen wohl noch nicht verinnerlicht.

„Ich hab' Krimis, Liebesromane, Historisches … aber bei der Menge von Schreibern und den Möglichkeiten des Internets heutzutage muss man richtig auf sich aufmerksam machen können! Sonst geht man unter! Veröffentlichen ist ja einfach heutzutage … online!“

Michael nickte. Er schien zu verstehen.

„Vielleicht hast Du Lust … ich gehe demnächst wieder auf ein paar Lesungen. Vielleicht magst Du ins Vorprogramm. So eine Viertelstunde vorlesen wenn Du magst! Ich muss vorher natürlich Deine Geschichten kennen!“

Er lehnte sich zurück.

Sah sie an.

Bei jedem anderen hätte es arrogant gewirkt, gönnerhaft.

Bei dem 'großartigen' Michael Müller kam es Dank seines jugendlichen Charmes nicht so 'rüber.

Ganz und gar nicht!

Friederike machte den Mund auf.

Machte ihn wieder zu weil die Bedienung kam.

Michael bekam sein Getränk vor ihr.

„Die Dame zuerst!“ belehrte er die Bedienung noch einmal.

Diesmal klang es nicht mehr so nett!

Das junge Mädchen stellte den Kaffee vor ihr ab.

„Herr Müller, können wir ein Bild zusammen machen?“ fragte sie dann aufgeregt.

„Junge Dame!“

Michael sah zu ihr auf.

Er klang sehr bestimmt.

„Ich sitze hier privat und führe ein Gespräch mit einer anderen jungen Dame … „

Er machte eine sehr kleine, aber wirkungsvolle Handbewegung über den Tisch in Friederikes Richtung.

„ … Wir können gerne ein Bild machen wenn ich im Hotel unterwegs bin oder auf der Straße! Jetzt nicht!“

„Ja.“ hauchte das Mädchen eingeschüchtert und ging mit hochroten Wangen davon.

Friederike wartete bis sie sicher außer Hörweite war.

Sie fand es beeindruckend, dass Michael nicht jeden Wunsch der Fans erfüllte.

Auch hier 'mal ablehnte und Unwillen riskierte.

Sicherlich kam das nicht bei allen Fans gut an und kostete ihn einiges an Sympathien.

Aber genau so ein Bild hatte sie auch von ihm gehabt.

Und sie mochte konsequente Leute!

Wäre er der Bitte nachgekommen, hätte sie das allerdings auch nicht gestört.

Sie suchte Michaels Blick.

„Danke für die 'junge Dame'!“

Michael grinste.

Wieder lag seiner ganzer Kleine-Jungen-Charme darin.

„Nichts zu danken. Ist nur die Wahrheit!“

Friederike musste lachen.

„Wow … dass Du so charmant sein kannst, habe ich bisher nirgend wo gelesen!“

Michael zuckte die rechte Schulter.

Griff zu seinem Glas und trank es mit langen Schlucken zur Hälfte leer.

Mit der typischen Männerhandbewegung wischte er sich danach über die Lippen.

Auch der genießerische Laut hatte nicht gefehlt.

„Alles weiß die Presse auch nicht! Auch wenn sie immer so tut! Und außerdem passt das wohl auch nicht in das Bild von mir, von dem sie möchten, dass die Öffentlichkeit das hat. Aber … „

Er sah sie an.

„ … ich wollte hier eigentlich nicht über mich sprechen!“

Friederike rührte langsam durch ihren Milchkaffee.

Probierte ihn mit einem kleinen Schluck um Zeit zu gewinnen.

Dann sah sie ihr Gegenüber wieder an und schenkte ihm einfach ein Lächeln.

Michael erwiderte ihren Blick ruhig.

Sein Blick wanderte über ihr Gesicht, so lange, dass Friederike spürte, dass sie errötete.

„Ich geh' 'mal eben eine rauchen!“ meinte er zu ihr.

„Hier drin darf ich leider nicht! Entschuldigst Du mich für einen Moment?“

„Natürlich.“ Friederike sah zu ihm auf als er aufstand.

„Danke. Bis gleich!“

Michael verließ den Tisch und ging davon.

Friederike sah ihm nach.

Gab sich keine große Mühe, das zu verbergen.

Michaels offene Bewegungen waren ruhig, aber es vermittelte seine Anwesenheit im Raum, selbst bei den nur wenigen Schritten, bis er das Restaurant verlassen hatte.

Friederike sah aus dem Augenwinkel, wie nur Sekunden später die Kellnerin hinaus huschte.

Sie konnte sich ein verstehendes Lächeln nicht verkneifen.

Langsam wandte sich ihrem Kaffee zu.

Packte den kleinen beiliegenden Keks aus und steckte ihn sich in den Mund.

Erst so langsam realisierte sie, welche Chance Michael ihr da bot.

Es war bestimmt eine einmalige Gelegenheit.

War sie wirklich gut genug dafür?

Würde sie das können … und bestehen?

Scheiterte sie, fiel das auch auf Michael zurück.

Vermutlich würde ihm das gar nicht viel ausmachen!

Aber sie würde es nicht ertragen!

Vorausgesetzt, ihre Geschichten würden von ihm akzeptiert!

Sie war da nicht so sicher!

Michael kam zurück.

Entweder er war Schnellraucher oder er hatte nur ein paar Züge von seiner Zigarette genommen.

Als er sich wieder ihr gegenüber setzte vermochte sie an seinem Gesicht nicht abzulesen, ob die Kellnerin ihn erwischt hatte oder nicht.

Sie hätte es ihr gegönnt.

„Tut mir leid! Noch nicht 'mal ich darf hier rauchen!“ meinte Michael zu ihr.

Friederike mochte es, wie er gleich darauf lachte, ein bisschen verlegen, weil er wohl gemerkt hatte, wie überheblich das geklungen hatte.

Im selben Moment klingelte es in Michaels Anzugjacke.

„Entschuldige bitte!“ meinte er, während er nach seinem Smartphone griff, ein paar Schritte damit zur Seite machte, sich meldete.

Friederike bekam unfreiwillig mit, dass er eine Art Verabredung ausmachte, zeitnah.

Das Gespräch war kurz.

„Ich muss gleich noch 'mal 'rüber zur Messe!“ meinte er dann als er wieder zu ihr an den Tisch kam, sich setzte.

„Hast Du Lust, mich zu begleiten? Ist ein Interview beim Verlag. Ich wollte danach noch einen Besuch machen, ein Bekannter hat Geburtstag. Vielleicht … möchtest Du mitkommen?“

Friederike sah ihn überrascht an.

Es klang verführerisch.

Ein paar weitere Stunden mit Michael.

Seine Gesellschaft war angenehm.

Es wäre sicher schön, sie noch weiter zu genießen, ihn noch ein bisschen besser kennen zu lernen.

Sie war sehr neugierig auf ihn.

„Das würde ich sehr gerne. Danke. Das ist ein sehr nettes Angebot.“

Michael grinste, jungenhaft, mit großen blauen Augen.

„Das ist purer Eigennutz! Ich bin nicht gerne alleine! Und bevor ich an irgendeine Schabracke gerate … nehme ich doch lieber die Nette mit!“

„Oh, vielen Dank!“

Friederike konnte nicht verhindern, dass sie errötete.

Auch Michael kam das eher verbindliche Kompliment offenbar nicht so leicht über die Lippen, er wirkte einen Hauch verlegen.

Deswegen sah sie ihn offen, freundlich an.

„Das klingt nach Erfahrung in diesem Bereich?“

Michael lachte, laut, schallend.

Das Pärchen sah kurz zu ihnen herüber und die Geschäftsleute auch.

Friederike hatte sich sein Lachen genau immer so vorgestellt.

„Ja … schon einige … „ gestand er ihr dann.

Es klang schmerzhaft ehrlich.

„Haben natürlich immer alle mitbekommen!“

„Schien auch nicht schwer zu sein. Manche Leute lauern da ja regelrecht drauf!“ gab Friederike sanft zurück.

Michael sah sie über den Tisch hinweg an.

Friederike merkte genau, wie er ihre Sätze analysierte.

Wie sie sie wohl im Kontext zu ihm meinte!

Sie hielt ihn nicht nur für talentiert.

Sie hielt ihn auch für hochintelligent!

„Ja. Manche Presseheinis hatten es wirklich auf mich abgesehen!“ meinte er dann.

„Aber es ist schon besser geworden!“

Er griff zu seinem Glas und trank den Rest in einem Zug leer.

„Wann wirst Du drüben erwartet?“ erkundigte Friederike sich sanft bei ihm.

Michael sah sie an.

Friederike glaubte, sekundenlang einen Hauch Verwunderung bei ihm zu spüren.

„Ehm … irgendwann gleich! Trink' erst in Ruhe Deinen Kaffee aus!“

Seine Stimme war halblaut, ruhig. Klang fast noch verführerischer so.

Friederike nickte leicht.

Dennoch trank sie ihren Kaffee mit wenigen Schlucken aus und schob ihren Unterteller dann ein wenig von sich weg, als kleines Zeichen, dass sie fertig war.

Ein wenig tupfte sie sich mit der Serviette die Lippen ab.

Michael war derweil aufgestanden.

Er ging zur Garderobe neben dem Eingang, neben dem Tresen und Friederike hörte ihn sagen, während er seine Jacke überzog: „Setzen Sie das bitte auf meine Rechnung! Zimmer neunhundertfünfzehn!“

„Sehr gerne, Herr Müller!“ meinte der Mann hinter dem Tresen.

Dann kam Michael mit ihrem Mantel an den Tisch zurück.

Er hielt ihn ihr so hin, dass sie bloß noch hineinschlüpfen musste.

„Danke schön für den Kaffee!“ meinte sie zu ihm und sah ihn über das Kleidungsstück extra sekundenlang an, damit das nicht unterging.

Es war ihr wichtig, sich zu bedanken.

„Sehr gerne.“ gab Michael zurück.