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Adrian Achternbusch, Single, aus dem Ruhrpott zugezogener Berliner ist urlaubsreif. Freunde organisieren für ihn einen Aufenthalt im Ferienhaus am See in der Uckermark. Dort erlebt er mit skeptischem Blick und der Freude am Lästern sowohl erholsame Tage, aber auch spannende und armoröse Überraschungen. Er beschreibt seine Episoden als Ich-Erzähler und lässt teilhaben am ungewohnten Landleben.
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Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2024
Gerhard Sauer
Sauerländer, Genussmensch, Jazzfreund.
Lebt in Berlin und der Uckermark.
Weitere lieferbare Bücher:
(ISBN 978-3-347-78721-6)
Alle sind auch als E-Book erhältlich.
Orte, Personen und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit realen Orten und/oder lebenden Personen sind selbstverständlich rein zufällig, manchmal aber auch nicht zu vermeiden.
Gerhard Sauer
Bademantelparade
Sommertage am See
Ein Uckermark Roman
.
© 2024 Gerhard Sauer
Umschlag/Illustration: Gerhard Sauer
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland
ISBN
Paperback978-3-384-26608-8
e-Book978-3-384-26609-5
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter:
tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.
Vorspiel: Planetentreffen
Kreischende Sardinen
Tierischer Besuch
Cordula
Steg
Mirabelle
Abendliche Überraschung
Hintergrundgeräusch
Wayne und Wampe
Gerüchte
Gerüche
Flattertante
Gotti
Kulturzeit
Sackgassen
Kopfnuss
Bootstour
Wende
Warten
Spuren
Plan
Parade
Nachspiel & Aussichten
W
ieder einer dieser Abende. Eigentlich ein ganz normaler Abend, ein Feierabend. Ein laues Windchen wehte. Die Luft roch süßlich, lindenblütengeschwängert. Halt die übliche abendliche Berliner Sommerluft. Die Sonne zwängte sich erfolgreich zwischen die Häuserreihen. Straßen, Bäume, die viel zu vielen Autos und alles, was herumstand und herumlief versank in goldenem Licht. Fast zu kitschig, um wahr zu sein. War aber so.
Wir saßen auf den Alustühlen rechts neben der Eingangstür unserer Stammkneipe. Der Pinot Grigio schwitzte im Glas. Die Tür zum Tresenraum stand offen. Ein lautes Gespräch drang heraus. Die beiden Herren Blitz und Kabel schlugen sich ihre Gewissheiten mal wieder lautstark um die Ohren. Beide hatten recht, beide wussten das. Alle anderen wussten das auch. Um was es ging, war eigentlich egal, außer, dass beide Recht behalten mussten oder wollten. Beide kannten sich aus. Überall. Wie an jedem normalen Abend.
Herr Lehmann schlurfte heran und gesellte sich zu uns. Seine Einkaufstüte stellte er wie jeden Abend auf einen freien Stuhl neben sich, grüßte mit einem kurzen Nicken den schon anwesenden Teil der abendlichen Kneipenbesatzung. Sein Riesling kam postwendend, wie an jedem normalen Abend.
Bald auch trällerte die zierliche südamerikanische Lerche, die dachte, sie sei eine Nachtigall, heran. Küsschen hier, Küsschen dort, hüpfte sie aufgeregt von Tisch zu Tisch. In ein paar Tagen würde sie mal wieder herzzerreißende Lieder zu den heißen Rhythmen ihres Heimatlandes in die abgestandene Hauptstadtluft trällern. Das Lampenfieber erfasste sie regelmäßig schon eine Woche zuvor. Kannste nix machen. Normal.
Drinnen auf der kleinen Bühne bliesen sich die Musiker für das anstehende Konzert schon mal warm und ihre Impros um die Ohren. Kenny, der Drummer, schlenderte wie immer erst kurz und knapp vor Beginn des Konzertes heran, grüßte mit einem wortgewaltigen „Hey guys!“, und begab sich an seinen Arbeitsort hinter Snars, Drums, Toms und Cymbals. Wie nicht an jedem, jedoch an zahlreichen Abenden gab er den Rhythmus vor für die Bläser und Zupfer und die Sängerinnen und Sänger.
Soweit ganz normal in diesem kleinen Universum. Jede Kneipe ist ja ein eigenes kleines Universum, ich weiß. Die Stammgäste sind wie Planeten, sie drehen sich um sich selbst, umkreisen aber auch einander, und vor allem kreisen sie um ihren Zentralstern. Scherze oder Gespräche funktionieren nur hier, zufälligen Gästen bleibt die Bedeutung vieler Sprüche und Andeutungen verborgen. Hier aber kennt jeder die Macken der anderen. Es wird gefoppt, gescherzt, belogen, geschimpft, drüber hergezogen – und dann ist wieder alles vergessen und am nächsten Abend geht‘s wieder von vorn los.
Ich nippte am Glas, beobachtete, palaverte mit dem ein oder anderen Stammgast – und verlor mich beim Beobachten in Gedanken. Ich wollte an diesem Abend eigentlich nur ganz allein in dem kleinen Universum sein, den anderen „Planeten“ auf ihren Umlaufbahnen zuschauen, Wein trinken und mich irgendwann leicht schwindelig Richtung eigene Matratze begeben. Es kam anders.
Mein Telefon brummte in der Tasche. Und nervte mich. Erstens geht mir das andauernde Gelabere sowieso auf die Nerven, zweitens schon gar am Abend, und drittens schon gar beim Wein am Feierabend. Ich hätte das Ding ja ignorieren können, tat ich aber nicht. Neugierig wie ich nun mal bin – diese Eigenheit ist fast genauso ausgeprägt wie meine sprichwörtliche Bequemlichkeit – nahm ich das Gespräch an. Hätte ich das nicht getan, mein weiteres Leben wäre anders verlaufen. Wer weiß schon, ob das besser gewesen wäre.
So aber änderte sich zwar nicht alles, so doch vieles in meinem Leben. Dabei hatte der Anruf mit den weiteren Ereignissen eher weniger zu tun. Doch er gab den Startschuss für meinen Exkurs in ein für mich unbekanntes Land mit für mich unbekannter Bevölkerung, von der ich schon viel gehört, die ich aber noch nie selbst erlebt hatte. Mich verschlug es als überzeugtes Stadtgewächs ins dünn besiedelte Land, mit viel Gegend, vielen Bäumen, viel Wasser, aber wenig Aufregung. Und ich fand‘s gut. Mich verschlug es als eingefleischtem Single an die Seite eines besonderen Geschöpfs. Und ich fand‘s gut. Und find‘s immer noch gut.
Jetzt sitzt das Landei hier an meiner Seite. Der Grauburgunder friert im Glas. Es ist fast Winter, also noch Berliner Herbst, windig, unangenehm. Ich trotze jedoch der Kälte. Und alles begann an jenem denkwürdigen normalen Abend. Mit einem Anruf aus der Prärie. Auch bekannt als: Uckermark.
S
tress kann positiv sein. Stress kann aber auch nerven. Und nervige stressige Wochen hatte ich nun genug hinter mir. Ich hatte ihn über, den Stress. Ständige Reisen, anstrengende Kunden, unbezahlte Rechnungen, frühe Termine, abendliches Herumhängen in Kneipen und Hotels, Trinkgelage, Berichte schreiben, Frust über Misserfolge. Alles, was so zusammen kommen kann im (un-)anständigen Berufsleben als Kieberer, wie der Österreicher zu sagen pflegt, also als Privatdetektiv, hatte ich in den vergangenen Monaten mitgenommen.
Ich hatte die Nase voll davon, in der Unordnung und den Geheimnissen anderer Leute zu graben und herumzuschnüffeln. Ja, es gibt ganz schön viel üblen Gestank, und zwar überall hinter den verschlossenen Haustüren. Ob bei den angeblich guten Bürgern aufm Land oder in den Slums der Stadt, überall stinkt dieselbe Kloake.
Ob ich eine Sinnkrise hätte, eine Midlife-Crisis oder so etwas, fragte vor kurzem mal die nette kleine Brünette im Café gegenüber.
„Keine Ahnung, aber ich gebe Dir Bescheid, wenn ich sie gefunden habe“, war meine Retourkutsche.
Schnapp machte es, und sie war eingeschnappt. Na gut, das war Ihr Problem. Und für die freche Frage konnte sie ihr Trinkgeld auch vergessen. Das hatte sie nun davon, einem (fast) alten Mann auf die Nerven zu gehen.
Nicht nur, aber auch durch diesen unqualifizierten Einwurf war mir klar geworden: ich musste mal raus aus dem Hamsterrad. Die Frage war nur: wohin? Und wie und wann und mit wem und wie bezahlen? Ich ahnte, dass ich kurz vorm Ende war, wollte das aber zum Verrecken nicht wahrhaben und erfand allerhand Gründe, warum ich gerade nun mal unabkömmlich war. Zum Glück ahnten aber andere das Unheil auch. Und machten sich Gedanken. Und ein Angebot.
Der Anruf mit dem Angebot hatte mich, wie gesagt, in meiner Stammkneipe erreicht. Vor einer Stunde hatte ich mich nun in eine Bahn gezwängt. Jetzt saß ich hier und musste dir Folgen ertragen. Alle Wagons waren war voll wie Sardinendosen. Studenten, Schüler, Penner, Touris, drängelten und stapelten sich auf Sitzen und Gängen. Eine Gruppe ausgeflippter Ü-60 Frauen schnatterte unentwegt und unterhielt den gesamten Wagen mit Kreisch und Kitsch. Seltsamerweise berührte mich das kaum. Ich schaute aus dem Zugfenster in die vorbeiziehende Landschaft - und eine eigenartige Ruhe, Stille und Ausgeglichenheit überkam mich.
Sanft geschwungene Hügel, ein Meer von gelb und grün - Sonnenblumen so weit, wie das Auge reichte. Dann: braune Wiesen, auf denen große braun-weiße Tiere, wahrscheinlich Kühe, die spärlichen Büschel abzupften. Im Hintergrund glitzerte ein See. Die Sonne brutzelte seit Wochen unerbittlich auf das Land herunter. Beim Blick aus dem gegenüberliegenden Fenster zog ein Traktor eine gewaltige Staubfahne bei der Arbeit auf einem der sich bis zum Horizont erstreckenden Felder hinter sich her. War hier schon Wüste?
Nee, doch nicht, denn dann schienen wieder kleine grüne Kleckse wie über die Landschaft gestreut, lockerten die Kulisse auf und erfreuten Mann und Auge. Mir war merkwürdig zumute. Und ich war unsicher, ob ich meinen Zustand gut oder schlecht finden sollte. Darüber grübelte ich eine ganze Weile. Mein merkwürdiger Zustand hing noch mit besagtem Anruf zusammen.
Sepp hatte angeklingelt, langjähriger Freund aus alten Tagen und treuer Begleiter in stürmischen Zeiten. Was machst Du, was tust Du, wie geht's, was machen Frau und Kinder? Die üblichen Floskeln eben. Dann kam er zum Punkt. Die ganze alte Gang habe sich getroffen.
Zack, da fiel’s mir wieder ein. Die Einladung hatte ich zwar registriert, jedoch gleich wieder aus dem Kopf-Kalender gestrichen. Wegen Aufwand und Hinfahren und Zurückfahren und labern und labern und labern und alte Geschichten… Gut, ich hatte die Jungs und Mädels versetzt, meine im besten Sinne bunte Truppe: Sepp ist halb Bayer und halb Togolese, Ranji stammt aus Indien, Loretta aus Düsseldorf, ich bin aus dem Ruhrpott, Angela war Schwäbin … und so weiter.
Und jetzt hatte ich ihnen offensichtlich Unrecht getan. Denn sie machten sich Sorgen. Um mich! Das muss man sich mal vorstellen. Kannte ich nicht; zumindest nicht bis zu dem Moment. Sie waren jedenfalls bestens informiert über mein Desaster. Wahrscheinlich besser als ich selbst. Ich war ganz gerührt.
Ein längerer Urlaub in der Abgeschiedenheit der Uckermark würde mir guttun hatten sie bei Bier und Wein und lecker Essen beschlossen. Sepp war der Überbringer der Heilsnachricht. Und diese Nachricht war kein Wunsch, keine Bitte oder ein gut gemeinter, aber folgenloser Vorschlag, sondern ein Auftrag. Sonst Freundschaft weg. So seine Worte. Bestimmt und bestimmend. Mit Nachdruck. Sein Häuschen stände für vier Wochen leer und sei bereit für mich - ich müsse nur den Schlüssel unterm großen Stein vor der Haustür finden. Und dann Ruhe finden, es mir gut gehen lassen – und wenn möglich, hin und wieder den Rasen mähen. Adresse folge per whatsapp. Platz für Ausflüchte? Fehlanzeige. Nada, nichts. Ganz untypisch für mich hatte ich dann: sofort zugesagt.
Das war, wie gesagt, vor zwei Tagen. Also Vergangenheit. Jetzt rumpelte die rote Bahn gefährlich gemächlich durchs Gelände, stoppte irritierenderweise alle paar Minuten an Stationen, an denen weder ein- noch ausgestiegen wurde, und war erstaunlicherweise trotzdem offensichtlich pünktlich. Wenn man denn den angezeigten Fahrplänen Glauben schenken wollte.
Mal wieder fuhr der Zug langsamer, zockelte an einem See vorbei, ein einzelnes Haus mit blauem Giebel stand inmitten von Wiesen. Häuser eines Dorfes duckten sich am anderen Seeufer unter einem mächtigen Schornstein. Der Zug stoppte sacht. Mehrere Mitreisende hievten umgehend, nachdem sich die Türen mit leisen Pieptönen geöffnet hatten, ihre Fahrräder sowie Gepäckstücke auf den schmalen Bahnsteig und stiegen aus. Ich folgte mit etwas Abstand, beobachtend - eine professionelle Macke, die man so schnell nicht ablegt. Ich schaute mich um. Der verhinderte „Küstenexpress“ rumpelte weiter in Richtung Norden.
Gegenüber auf einer kleinen Koppel weideten ein paar Schafe. Dickes zotteliges Fell schützte sie vor Sonne, Wind und (seit langem ausbleibendem) Regen. Sie rissen ein paar der spärlichen Grashalme ab, kauten und schauten von der anderen Seite des Zaunes.
Hinter den beiden Häusern, zu der die Koppel vermutlich gehörte, erhob sich in leichten Wellen das Hügelland bis zu einem Höhenzug in ein paar Kilometern Entfernung. Windräder drehten gemächlich ihre Runden und produzierten Strom.
Irgendwo rechter Hand rauschte der Wind im breiten Schilfgürtel des Sees, der seine Ausläufer bis nah an die Bahnlinie erstreckte. Die Gleise schimmerten im letzten Abendlicht. Auf den Schwellen im Kiesbett ruhend, schienen sie aus der Unendlichkeit zu kommen und sich auf der anderen Seite bis zur Unendlichkeit fortzusetzen.
Vor Bewunderung ganz baff über meine fast poetischen Gedanken stand ich auf dem schmalen Bahnsteig. Allein. Alle anderen waren längst entschwunden, der Zug war längst außer Sichtweite, kein Auto war zu hören. Lediglich einige große Vögel zogen mit vernehmlich hörbaren Flügelschlägen ihre Bahn, in der Ferne kreischte anderes Getier, ein Hund kläffte erbärmlich, Schafe rülpsten unanständig. Ich ließ das Ungewohnte ein paar weitere Minuten auf mich wirken, zurrte dann meinen Rucksack zurecht und stiefelte los. Es dämmerte, und zwar intensiver, als ein Tag in der Stadt dämmern kann.
Ein bemerkenswerter Tag neigte sich zum Ende hin. Einöde, ich komme.
B
rüllende Stille. Noch halbschlafend versuchte ich mich zu orientieren. Wo war ich und warum? Warum hörte ich nichts? Keinen Krankenwagen, kein U-Bahn-Gegrummel, kein Kindergeschrei? Kein Besoffenen-Gegröle? Hatte ich mein Gehör verloren? Irgendetwas musste mich trotzdem geweckt haben. Ich schlug die Augen auf und hörte – nichts. Ich blickte mich um. Langsam kam die Erinnerung: Uckermark, Ferienhaus.
Ich war spät angekommen. Von der Bahn-Haltestelle aus hatte ich laufen müssen. Eine Bushaltestelle stand zwar einsam in der Gegend herum, aber der Fahrplan war den Ausdruck nicht wert: zwei Abfahrtzeiten pro Tag, am Wochenende weniger. Na Bravo. Da war es auch nicht mehr so schlimm, dass mein Zielort schon gar nicht angegeben war. Ich hatte mich ins Unvermeidliche gefügt und war mindestens eine Stunde, gefühlt mehr, bergauf gelaufen. Bergauf! In der Uckermark! Aber schon auf der Fahrt hatten mich die Hügel links und rechts der Bahn erstaunt. In Berlin war ich nie weiter als bis nach Pankow gekommen. Alle nördlich gelegenen Ländereien waren für mich ‚terra incognita‘. Dort ging es irgendwie in Richtung Ostsee, klar, also musste dort flaches Flachland sein, so meine Annahme. Aber nichts da. Hatte ich wohl falsch gedacht. Das blieb, wie ich später feststellen sollte, nicht die einzige Überraschung in den kommenden Wochen.
Linden und Eichen säumten die Landstraße zu beiden Seiten, aber auch Apfelbäume, Birnbäume und Pflaumenbäume. Die Obstbäume hingen voll, sie schienen fleißig Früchte angesetzt zu haben. Ich wohnte und lebte zwar schon lange in der Stadt mit dem dicken ‚B‘ und stamme gebürtig aus der großen Städtezusammenballung im Westen der Republik. Dennoch kenne ich mich doch einigermaßen in der heimischen Botanik aus. Warum?
Na, Oppa und Omma besaßen einen Schrebergarten, den ich zu Fuß oder dem Fahrrad erreichen konnte. Häufiger als vertretbar gewesen war, hatte ich mich, anstatt in die Schule zu gehen, dorthin verdrückt, hatte ich mich hinter der Schrebergartenhütte ins Gras gelegt und den Wolken am Himmel beim Vorüberziehen zugeschaut. Das Gefühl dieser Vormittage kam wieder auf, als ich an der menschenleeren Straße entlanggelaufen war und mich der Duft der Linden in der Nase kitzelte.
Irgendwann hatte mich trotz zunehmender Dunkelheit das Häuschen dann doch noch gefunden. Hab ich schon gesagt, dass meine Phantasie manchmal mit mir durchgeht? Ja ja, manchmal gönnen sich meine Synapsen etwas Eigenleben. Bei meiner Ankunft war es mal wieder soweit - mir schien, als warte das Häuschen geradezu auf meinen Besuch. Die blauen Fenster lächelten mich an, die Haustür schien mir einen Willkommengruß zuzurufen. Was natürlich Quatsch war… ich war lediglich etwas überdreht. Oder so. Immerhin ging der Anfall dann schnell vorüber.
Ich richtete mich auf die Schnelle ein, also: Rucksack auspacken, Bad und Küche und Bett inspizieren. Feststellung: zwei Kühlschränke. Der kleinere war gefüllt mit vortrefflichen Fläschchen Rosé und Weißwein sowie diversen Sorten heimischen Bieres. Ich lächelte. So kannte ich meinen Sepp gar nicht. Im Gegenteil.
„Du könntest auch als veritabler Gesundheitsprediger bei den Mormonen einsteigen,“ hatte ich ihn gefoppt, als er mich mal wieder über die unverzeihlichen Folgen meines lasterhaften, ungezügelten Lebens und des damit zusammenhängenden Alkoholkonsums aufzuklären versuchte.
Vielleicht hatte er ja hier in seinem Refugium zum guten, genussvollen, hedonistischen Leben gefunden? Wer wusste das schon. Ich würde ihn bei Gelegenheit auf jeden Fall darauf ansprechen - und mit ihm anstoßen. Was auch immer der Grund für seine zwei Gesichter war – das vorgefundene Flaschenensemble war genau richtig für den Moment am Ankunftsabend. Ich hatte mir ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank genehmigt und war anschließend fast umgehend in einen tiefen traumlosen Schlaf gefallen.
Da! Vogelgezwitscher! Also doch nicht vollkommene Stille. Ich war beruhigt. Die Morgendämmerung kündigte vom neuen Tag, doch ganz bestimmt war das noch viel zu früh für meinen ersten Tag aufm Land. Ich drehte mich um. Der frühe Vogel konnte mich mal gerne haben. Ich schloss die Augen und schlummerte wieder ein.