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Ein seetaugliches Schiff, Wind in den Segeln, paradiesische Inseln, tiefblauer Ozean bis zum Horizont und grenzenlose Freiheit - das ist der Stoff aus dem Träume sind. Von der Erfüllung dieser tiefen Sehnsucht mit all ihren Höhen und Tiefen, den Abenteuern auf Reisen, der nötigen Portion Mut und dem nicht immer ganz einfachen Alltag an Bord erzählt dieses ehrliche, authentische Buch. Andy Bamba hat gewagt, was vielen wie reine Utopie erscheint - er hat all sein Hab und Gut sowie die Annehmlichkeiten und Sicherheiten der modernen Gesellschaft in der Schweiz gegen einen alten Hochseekatamaran getauscht. Gemeinsam mit seiner Freundin Joanna entschied er sich für ein bescheidenes Leben ohne festen Wohnsitz, mit all den damit verbundenen Risiken, aber auch der Freiheit eines nomadischen, selbstverantwortlichen Daseins. Die beiden folgen dem für sie unerklärlichen Fernweh. Fortan ist das Meer ihr neues Zuhause - der einzige Ort der niemandem gehört. Ein Leben ohne Regierung, absurde Vorschriften und frei wie der Wind. Langeweile und Routine sind für die beiden längst Fremdworte. Sie lieben die Abwechslung und lassen keine Erfahrung aus. Von Hai-Begegnungen beim Schnorcheln, einer missglückten Atlantik-Überquerung und dem täglichen Umgang mit den Naturgewalten bis zum Lagerfeuer am Strand einer einsamen Insel, fehlt es an nichts. Im Gegenzug braucht es ruhige, starke Nerven und noch mehr kreatives Improvisationstalent bei der Bewältigung von technischen Problemen in absoluter Abgeschiedenheit. Fernab vom Einfluss der Zivilisation führen sie heute mit zwei Hunden und einem Kater als Stammbesetzung des Schiffes ein weitgehend unabhängiges Leben mit möglichst kleinem ökologischem Fußabdruck - voller Abenteuer, Herausforderungen und Möglichkeiten.
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Seitenzahl: 427
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Prolog
Maximale Entschleunigung
Bamba Maru
Winterflüchtig
irgendwo im nirgendwo
Gegen den Strom
Tauschen und Teilen
Hafenkino
Bahama Mama
InTeam
Wüste in Azurblau
Alle Mann von Bord
Kopf oder Zahl
Epilog
Anhang
Glossar
Danksagung
<<Er opfert seine Gesundheit um Geld zu verdienen. Dann opfert er sein Geld um seine Gesundheit zurück zu bekommen. Er ist so auf die Zukunft fixiert, dass er die Gegenwart nicht geniessen kann. Das Ergebnis ist, dass er weder die Zukunft noch die Gegenwart lebt. Er lebt so als würde er niemals sterben und er stirbt so als hätte er niemals gelebt!>>
Dalai Lama
Ein leises Rascheln im Unterholz verriet, dass wir nicht alleine waren. Basco, unser treuer Labrador Rüde, spitzte die Ohren und drehte neugierig den Kopf in die Richtung, aus welcher das Geräusch gekommen war. Aufmerksam untersuchte er den Buchs, der unseren Garten umsäumte. Da war nichts und doch schien er sicher zu sein, dass wir Besuch hatten. Wir sassen mit ein paar Freunden um die kleine Feuerstelle im Garten und beobachteten das flackernde Licht der Flammen, die ihren einzigartigen Tanz um das trockene Fichtenholz vollführten. Da – wieder war das Geräusch zu hören und Basco zeigte an, dass da definitiv etwas sein musste. Jetzt hatten wir es auch gehört und blickten schweigend in die Ecke, aus der das Geraschel zu hören war. Ein Igel bahnte sich vorsichtig seinen Weg durchs Unterholz und duckte sich ängstlich, als wir ihn entdeckt hatten. Es war bereits November und er musste sich beeilen, sein Winterlager einzurichten. Bald würde es schneien und dann sollte er besser einen sicheren Schlafplatz gefunden haben. Wir liessen ihn ziehen und fuhren mit unseren Plänen für das Pfingstfest am Bodensee im nächsten Jahr fort. Manfred nahm einen tiefen Schluck aus der Weinflasche und seufzte zufrieden: „Ich sag‘s euch, das nächste Pfingsten wird das Beste werden", während er umständlich die letzten Tropfen Merlot aus seinem grauen Bart leckte. "Wir könnten ja mal Spanferkel organisieren oder wir machen geräucherten Fisch… Was denkt ihr, wer alles wieder kommen wird?“ Vermutlich würden die alten Hasen alle wieder da sein, Pascale, Nathalie und ihr Michael, oder die Hundenärrin Monica, sicher auch die beiden Deutschen Benjamin und Alex und einfach alle, die bis jetzt immer dabei gewesen waren. Vielleicht kämen wieder ein paar Neue dazu. Wir würden sehen.
Pfingsten am Bodensee war jedes Jahr eine willkommene Abwechslung. Da kamen immer dreissig bis vierzig Leute aus Deutschland und der Schweiz, teilweise von sehr weit her. Manche sogar mit dem Fahrrad und alle schlugen ihre Zelte auf einer grossen Wiese am Ufer des Bodensees auf. Das waren einfach mal drei Tage an denen jeder er selbst sein konnte. Raus aus dem Job und ab in die Natur mit Lagerfeuer, Gitarre, Grill und jeder Menge Bier. Da wurde gefeiert und gequatscht, herumgeblödelt und man konnte sich endlich mal so richtig kindisch benehmen ohne gleich schräg dafür angeguckt zu werden. Das ganze Jahr hindurch musste man in seine Rolle passen und sich erwachsen und vernünftig benehmen. Da war das die perfekte Auszeit und wir freuten uns jedes Jahr nach Pfingsten bereits auf das nächste Zusammentreffen. Das Leben schien einfach perfekt. Joanna und ich hatten alles erreicht, was wir uns immer gewünscht hatten. Wir wohnten in einem schönen Häuschen mit Garten in der Schweiz. Wir hatten drei tolle, wenn auch teils ältere Autos, ein kleines Musikstudio sowie eine eigene Firma und die Hütte vollgestopft mit allen möglichen Schätzen, die wir damals noch als notwendig betrachteten. Wir waren nicht wirklich reich, aber wir lebten gut. Joanna arbeitete als Verkaufsleiterin in einem angesehen Marketingunternehmen und verdiente dort ein stattliches Gehalt. Ich war inzwischen leitender Geschäftsführer unserer eigenen kleinen Firma mit fünfzehn Teilzeitmitarbeitern.
Mehr als zehn Jahre zuvor, als wir uns in Deutschland gerade kennen gelernt hatten, hatten wir noch gar nichts. Joanna arbeitete damals noch als Erzieherin mit Kleinkindern und ich war gerade mitten in einer Ausbildung zum Hochbauzeichner. Wir waren uns aber sehr schnell sicher, dass wir zusammen gehörten und so zog Joanna schon bald zu mir in meine ärmliche Bruchbude im fränkischen Schwabach. Zu der Zeit hatten wir ständig die ein oder anderen Schulden und noch nichts ausser Träumen, wie unsere gemeinsame Zukunft wohl irgendwann mal aussehen könnte. Wir waren auf der Suche nach Wohlstand, Bestätigung und Anerkennung. Das Leben schien so herrlich zu sein, wenn man erstmal Geld hatte und nicht ständig jeden verdienten Groschen an Gläubiger abtreten musste. Wenn man sich alles leisten kann was man braucht, musste das Leben doch viel mehr Spass machen. Wir wollten unser eigener Boss sein und nicht immer tun, was irgendein Möchtegern-Vorgesetzter von uns verlangte, nur weil er, aus welchen Gründen auch immer, einen Führungsposten ergattert hatte und jetzt alle nach seiner Pfeife tanzen liess. Ein paar Jahre später zogen wir zusammen wieder zurück in meine Heimat, die Schweiz, um an unserer Karriere zu arbeiten.
Ein schwerer Autounfall durchkreuzte jedoch eines Tages meine Karrierepläne und ich musste aufgrund der Verletzungen, nach über eineinhalb Jahren Reha, meinen damaligen Job im Verkauf endgültig an den Nagel hängen. Damals wollte ich auf keinen Fall die letzten Stufen meiner Karriereleiter wieder herunterklettern und einfach irgendeinen Job annehmen, weil man das eben so macht, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Zu lange hatte ich darum gekämpft, Karriere zu machen, als dass ich wieder von vorne hätte anfangen wollen. Schon bald kam dann die Idee, unsere eigene Firma zu gründen und ein Unternehmen nach unseren Vorstellungen aufzubauen. Zunächst programmierte ich nur einen simplen Onlineshop und begann damit, Wellness-Artikel und Massageutensilien zu verkaufen.
Das passte eigentlich gar nicht zu mir und Manfred lachte mich aus, als er das Design zum ersten Mal sah: „Verkaufst du jetzt Bettzeug und Kissen?“
„Nein, das nicht, aber Massagezeugs und so. Ich hab da so ne Idee.“
„Na pass mal auf, dass du nicht nach Parfüm stinkst, wenn du zum See kommst!“
Er lachte und nahm es nicht weiter ernst. War wohl wieder eine meiner bescheuerten Ideen. Doch schon nach kurzer Zeit lief der Shop erstaunlich gut und ich hatte mit meinem Sortiment und dem neuen Design den Nagel auf den Kopf getroffen. Nach einiger Zeit konnte ich Teilzeitmitarbeiter einstellen, die das Sortiment zusätzlich auf Homeshopping Veranstaltungen verkauften. Das Telefon klingelte alle paar Minuten und eine Buchung nach der anderen flatterte in mein Postfach. Die Medien waren begeistert von meinem Konzept und berichteten fleissig darüber. Nach wenigen Jahren hatte sich das Unternehmen etabliert und machte Profit. Anfangs zwar nur sehr wenig, aber genug, um davon zu leben.
Wir liessen es uns gut gehen und warteten nun darauf, endlich glücklich und zufrieden mit unserem Leben zu werden. Es schien alles so gelaufen zu sein wie wir es wollten. Wir waren inzwischen beide 35 Jahre alt, lebten in einem ruhigen Vorort im Thurgau und verdienten gut. So sassen wir also mit Freunden um unsere Feuerstelle im Garten und schmiedeten Freizeitpläne. Gerade Freizeit war sehr selten geworden und deshalb freuten wir uns erst Recht wieder auf Pfingsten. Unser Alltag bestand aus Arbeit, Stress, Erfolgsdruck und dem ständigen Streben nach noch mehr, da sich das erhoffte Glück einfach nicht blicken lassen wollte. Wir orientierten uns immer an vermeintlich erfolgreichen Vorbildern und waren nie wirklich zufrieden mit dem, was wir bereits erreicht hatten. Es gab immer jemanden mit dickerem Bankkonto, jemanden mit besserem Ansehen oder mit dem offenbar besseren Lebensstil, der uns vergessen liess, wie weit wir schon gekommen waren. Irgendwie waren wir einfach nicht fähig zu erkennen, dass es uns bereits mehr als gut ging und wir von unserem Umfeld inzwischen sehr für unser offenbar perfektes Leben beneidet wurden. Das Problem lag darin, dass wir keine Zeit hatten, dieses tolle Leben zu geniessen. Wir mussten jeden Tag hart und lange arbeiten, um diesen Lebensstil beibehalten zu können. Es blieb kaum noch Zeit für uns selbst, Freunde oder Familie. Grundsätzlich ging es uns zwar sehr gut, aber wir fanden keinen Frieden und waren nicht wirklich glücklich damit. Wir hatten alles, was wir für Wichtig hielten, nur keine Freude daran. Der Stress schlug dafür immer mehr auf die Gesundheit.
Unsere Freizeit nutzten wir, wann immer möglich, um raus zu kommen. Weit weg von Lärm, Hektik und dieser stressigen Uhr, welche unser Leben bestimmte. Am besten irgendwo ans Wasser. Pascale hatte ein kleines Motorboot am Bodensee, mit dem wir ab und zu eine Spritztour machten oder mit Freunden daran herumbastelten. Manchmal schnürten Joanna und ich unsere Bergschuhe, packten Zelt und Camping Ausrüstung zusammen und verschwanden für ein paar Tage in die Berge. Wir fühlten uns lebendig und glücklich, solange wir in der Nähe des Wassers waren. Meer, See, Fluss - egal was, es musste einfach natürliches Wasser sein. Nachts sassen wir am liebsten an einem Lagerfeuer am Ufer und träumten bei leisen Gitarren- Klängen vor uns hin. Für uns strahlt vor allem Feuer und Wasser das pure Leben aus und wir könnten stundenlang den Bewegungen dieser Elemente zusehen. Wir führten endlose Gespräche über alles Mögliche und hielten Stockbrot über das Lagerfeuer. Am nächsten Morgen war wieder Anzug und Krawatte angesagt, aber dieser Moment gehörte uns. Draussen in der Natur fühlten wir uns frei und wir turnten gern mit alten Jeans und T-Shirt über die Felsen am Ufer eines Wildbaches. Wir erforschten versteckte Täler, machten uns dreckig oder schwammen nackt in einem abgeschiedenen See. An sich sind wir zwar keine Nudisten, aber Nacktbaden gab uns ein lang ersehntes Gefühl von Freiheit. Kaum eine Menschenseele verirrte sich hier hin und die Hektik der Zivilisation verschwand hinter den uns umgebenden Gipfeln. Warum konnte man nicht das ganze Jahr so frei leben? Den ganzen Luxus von zu Hause brauchten wir hier draussen nicht und in diesen Momenten waren wir glücklich.
Im Sommer 2010 flog Joanna mit ihrer Schwester auf die Balearen in den Urlaub. Es handelte sich um so eine Art Mutter-Kind-Reise unter Frauen und bedeutete letztendlich: Ich durfte nicht mit. Das war jedoch halb so tragisch, da ich sowieso keine Lust auf Mallorca hatte und so buchte ich ein paar Tage für mich auf Djerba in Tunesien. Während dieser Reise machte ich einen Tauchkurs und lernte Mu kennen. Mu ist Tauchlehrer und wirkte auf mich zunächst sehr mürrisch und genervt, als er mich eines Morgens abholte um mit mir den gebuchten Kurs zu machen. Vor meinem Hotel wartete er also. Ein braungebrannter, kräftiger Kerl mit Glatze und einem Gesichtsausdruck, als wolle er mir gleich eine reinhauen. Ein kurzes „Hi wie geht’s?“
und dann sprachen wir kein Wort mehr bis zur Tauchbasis. Er fuhr schweigend mit mir entlang der Küste und ich dachte mir „Das kann ja was werden mit dem“. Ich versuchte mir einzureden, dass er vermutlich kaum Deutsch konnte und deswegen so wortkarg war. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass er wohl nur etwas morgenmuffelig war und eigentlich ein Bombenkerl sein konnte, wenn er mal auf Betriebstemperatur war. Mu war Türke, hatte aber lange in Deutschland gelebt und sprach daher fliessend Deutsch. Eigentlich heisst er Murat, aber seine Freunde nannten ihn Mu oder den Mumann. Er führte eine Art Nomadenleben ganz nach dem Motto „Lebe heute!“. Im Sommer als Tauchlehrer in irgendeiner Feriendestination wie Ibiza, Djerba oder der Karibik und im Winter in Davos als Snowboardlehrer oder Türsteher. Immer im Zentrum der Partyszene und sobald seine Tageszeit gekommen war, war er ein total witziger Draufgänger, der sich einen Scheiss darum kümmerte, was die Leute so denken oder was sich gehörte und was nicht. Er zog sein eigenes Ding durch und war glücklich damit. Zum ersten Mal fing ich damals an, mein eigenes Leben zu hinterfragen. Er hatte nichts von dem, was wir uns aufgebaut hatten. Sein Hab und Gut passte in einen Koffer und er lebte das Leben dort, wo es sich gerade abspielte. Im Gegensatz zu uns schien er damit jedoch glücklich zu sein.
Mit meinem Tauchschein in der Tasche und der Bekanntschaft dieses schrägen Typen kehrte ich in die Schweiz zurück und erzählte Joanna von meinen Erlebnissen. Einerseits dachten wir zwar, dass er irgendwie durchgeknallt sein musste und andererseits kam dennoch eine Art Neid für seinen unbeschwerten Lebensstil auf. Die Sache geriet jedoch schnell wieder in Vergessenheit, da wir ja Verantwortung, Verpflichtungen und Besitz hatten. Allerdings bekamen wir das erste Mal das Gefühl, dass wir mit allem, was wir hatten auch eine gewisse Last mit uns schleppten. Wir waren nicht wirklich frei, sondern fest eingebunden in ein vorgegebenes System.
Im darauf folgenden Winter arbeitete Mu wieder in der Schweiz als Türsteher in der Bolgenschanze und wir beschlossen, ihn in Davos zu besuchen. Die Bolgenschanze ist ein kleiner, angesagter Club in der Snowboardszene. Hier war jede Nacht Party und es wurde gefeiert bis in die Morgenstunden. Mu lachte und schüttelte den Kopf als er uns die Strasse herunter kommen sah: „Dude, schön dich zu sehen, man!“
Dabei drückte er mich kurz wie ein Grizzlybär an sich und klopfte mir freundschaftlich auf den Rücken. Grinsend sah er nun zu Joanna und raunte: „Alter, du hast gar nicht erwähnt, dass deine Süsse so ein heisser Feger ist.“ Überaus höflich reichte er ihr die Hand und stellte sich vor: „Hi ich bin Mu und du musst Joanna sein. Wie geht’s denn so?“
„Hi Mu, Andy hat mir viel von dir erzählt, schön dich endlich kennen zu lernen.“ Mu verdrehte die Augen und sagte: „Kann ich mir vorstellen, ich hoffe doch nur Gutes!
Aber genug der Höflichkeiten, kommt erst mal rein – ist sau kalt hier draussen.“
Es war noch sehr früh am Abend und daher nicht viel los. Wir setzten uns an die Bar und Mu organisierte ein paar B52 zum Aufwärmen.
„Erzähl mal, was machst du so? Wie läuft ‘n dein Massagezeug und warst jetzt mal in den schweizer Seen tauchen?“
„Eins nach dem anderen,“ entgegnete ich, lachte und pustete die Flamme meines B52 aus.
„Die Firma läuft gut soweit und tauchen war ich auch noch oft. Joanna hat ihren Tauchschein inzwischen auch gemacht und wir sind voll angefressen. Ist nur Schade, dass wir keinen Meerzugang in der Schweiz haben. Tauchen in der grünen Suppe vom Bodensee ist halt doch nicht das Selbe.“
„Kann ich mir vorstellen. Aber wo wir grad vom Tauchen reden, ich hab für nächste Saison einen Job auf den Kap Verden als Tauchlehrer bekommen. Warum macht ihr dort nicht mal Urlaub? Wär doch cool!“
Ich sah Joanna fragend an und antworte: „Klar, klingt gut aber… wo bitte ist Kap Verden? Nie davon gehört.“ Auch Joanna zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Mu schnippte mit den Finger und sagte: „Genau das macht es ja so interessant, das kennt kaum jemand und die Inseln sind noch nicht vom Tourismus platt gemacht.
Man hat seine Ruhe und findet eine weitgehend intakte Unterwasserwelt. Zum Tauchen ist es genial“
„Okay und wo ist das jetzt?“, interessierte es uns.
„West Afrika – ich zeig‘s euch.“ Er kramte eine Postkarte aus der Schublade, auf der eine Weltkarte zu sehen war. Mit dem Zeigefinger deutete er auf den Atlantik und grinste wieder breit: „Genau da!“
„Alter da is nichts, oder meinst du das da beim Senegal?“
„Nein, schau genau hin.“, sagte er. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich jetzt den kleinen Inselarchipel. Klar, gesehen hatte ich das auf anderen Karten sicher vorher schon, aber noch nie bewusst wahrgenommen. Die Kap Verden sind eine Inselgruppe ca. 570 Kilometer vor der Westküste Afrikas, weit draussen im Atlantik. Bekannt sind die Inseln vor allem bei Kite-Surfern wegen der genialen Wind- und Wellen-Bedingungen, aber auch bei Seglern sind die Kap Verden ein Begriff, da es der letzte Stopp vor der grossen Überfahrt in die Karibik ist. Mu schwärmte noch den ganzen Abend davon, wie toll es auf den Kap Verden so ist und überredete uns letztendlich, die Flüge zu buchen.
Der Slogan der Kap Verden ist „No Stress“ und genau das war dort eindrücklich zu spüren. Dort laufen die Uhren eindeutig etwas langsamer und wir konnten endlich mal relaxten Urlaub an schneeweissen Sandstränden und türkisblauem Wasser geniessen. Mu hatte nicht zu viel versprochen. Wir verbachten sehr viel Zeit mit Tauchen und Offroad Trips quer durch die Pampa. Das Leben war dort noch sehr unbeschwert und im Gegensatz zur westlichen Welt zählte nicht Rang und Name oder Besitz, sondern vielmehr das soziale Miteinander. Wir verliebten uns besonders in den Ort Santa Maria auf Sal und kehrten in den folgenden Jahren immer wieder zurück in dieses kleine Paradies. Auf der Insel gab es nicht besonders viel zu kaufen. Aber selbst hier war eine deutliche Kluft zwischen Arm und Reich zu erkennen. Früher lebten die Leute hier vom Fischfang und Tauschhandel und es gab diese Probleme nicht. Inzwischen hatten sich aber industrielle Fischfangflotten der Chinesen und der europäische Tourismus wie ein Krebsgeschwür breit gemacht. Die Fischbestände gingen zurück, der Tauschhandel wurde durch kommerziellen Handel ersetzt und wer es in diesem raschen Wandel nicht geschafft hatte, sein Leben dem Geld verdienen zu widmen, landete in einem der Ghettos, in denen mit der Zeit, die bitterste Armut regierte. Wir fragten bei einem der grösseren Hotels, ob wir wohl die Reste vom Frühstücksbuffet und andere Nahrungsmittel, die nicht mehr angeboten werden, für die Armen in den Ghettos haben dürften. Die Antwort des Hotelmanagers war vernichtend. Das sei leider nicht möglich hiess es, der Konzern untersage dies und die Reste würden als Schweinefutter verkauft. Es wurde jeden Tag frisch aufgetischt und sicher fielen am Ende des Tages jede Menge Nahrungsmittel an, die an sich noch gut waren. Viele Menschen in den Ghettos litten an Hunger und es kam nicht selten vor, dass jemand schlicht verhungerte. „Ein paar Kilometer weiter sterben Menschen an Hunger und ihr verkauft sogar das Deko-Obst als Schweinefutter? Wie krank ist das denn?“, fragte Joanna erzürnt und auch mir schlug diese Antwort wie eine Faust ins Gesicht. Wir merkten jedoch, dass hier nichts zu ändern war und packten wenigstens unsere Rucksäcke für die Tagestour mit Brotzeit für zwanzig Mann und Joanna sammelte vom Deko-Obst, was in unsere Taschen passte, um wenigstens ein bisschen was zu essen für die Leute abzustauben.
Jedes Mal, wenn wir auf den Kap Verden waren, kamen wir nur noch mit Handgepäck für uns selbst und brachten unsere Koffer, gefüllt mit Kinderklamotten, Schuhen, Schulsachen und anderen Hilfsgütern, zu den Ghettos hinter Espargos. Das waren Sachen, die in Europa nicht mehr gebraucht wurden und den Ärmsten auf der Insel viel bedeuteten. Ein befreundeter Apotheker und ein Arzt gaben uns Medikamente, welche wir an eine lokale Hilfsorganisation mit Krankenschwester weiterreichten. Nach einer afrikanischen Sage muss ein gewisser Amadou Bamba offenbar sowas ähnliches gemacht haben und so nannten mich die Einheimischen einfach Bamba. Alle die zu mir gehörten, wie Joanna, die Hunde und der Kater, das war die Family, also Bamba Family. Kaum jemand wurde so genannt, wie es im Pass steht. Fast jeder hatte seinen eigenen Kosenamen, der meistens einfacher klang als ein Name aus drei bis vier Einzelnamen, welche den halben Stammbaum enthielten.
Nach ein paar Jahren hatten wir schon fast mehr Freunde auf den Kap Verden als in der Schweiz oder in Deutschland. Also echte Freunde, solche die sich für uns als Menschen interessierten und nicht für Geld, Profit oder Image. Auf diesen Inseln weit ab von der westlich kultivierten Welt schienen die Leute irgendwie glücklich zu sein, obwohl sie nach unserer Vorstellung teilweise bitter arm waren. Es waren einfach andere Werte, die dort zählten. Interessant war auch, dass die Altersgruppe, die wir in Europa als Rentner bezeichnen, sich im Vergleich bester Gesundheit erfreute und aktiv am Leben auf der Strasse teilnahm. Diese Leute hatten nie eine Kranken- oder Rentenversicherung und genossen es selbst mit siebzig oder achtzig Jahren noch, mit ihrem Ruderboot hinaus zum Fischen zu fahren. Die Gebrechen und Krankheiten, welche uns in der zivilisierten Welt zu schaffen machten, waren grösstenteils bedingt durch unsere Art zu leben. Es kam darauf an, wie gesund wir uns ernährten und was wir unserem Körper zumuteten. Bei dem ganzen chemisch behandelten und in Plastik eingeschweissten Scheiss, den wir Nahrung nannten, war nicht viel Gesundes dabei. Dann kam mit hinzu, dass wir in der westlichen Welt nicht mehr füreinander sorgten. Die Alten sollten von den Jungen versorgt werden. Innerhalb der Familie und einer Gemeinde, nicht vom Staat, der das alles mit Geld organisieren wollte.
Jedes Mal, wenn wir wieder zurück in die Schweiz flogen, fiel auf, dass die Leute um uns herum zwar offenbar alles hatten, jedoch konnten sie nicht lächeln – jeder hetzte grimmig durch die Gegend und es war schwer, jemanden zu finden, der einen ähnlich ausgeglichenen und glücklichen Eindruck ausstrahlen konnte, wie die Einwohner auf den Kap Verden – uns eingeschlossen. Dabei waren alle bestens versichert und hatten ihr Leben mit Geld so angenehm wie möglich gestaltet. Der Schlüssel zum Glück konnte also nicht im Geld, der Sicherheit oder im beruflichen Status liegen. Wie viele schwer reiche Leute nahmen sich aus unerfindlichen Gründen irgendwann das Leben, kämpften aggressiv mit Anwälten gegeneinander um irgendein lächerliches Recht zu erstreiten oder nippelten schlicht mit vierzig ab, weil der Körper den Lebensstil und den Stress einfach nicht mehr gebacken kriegte? Nein, ein erfülltes Leben konnte nicht wirklich etwas mit Geld zu tun haben. Man hat nur ein Leben und es wird mit jedem Tag um einen Tag kürzer. Wirklich wichtig kann also nur sein, was man mit den verbleibenden Tagen anstellt und ob man diese so lebt, dass man abends sagen kann – heute war es ein wirklich schöner Tag für mich.
So sassen wir also wieder am Strand von Santa Maria auf der Insel Sal und nach ewigen Diskussionen über all diese Missstände, waren wir uns sehr schnell einig, dass wir diesen Weg nicht weiter gehen würden. Unsere europäische Gesellschaft schien uns irgendwie krank zu sein. Infiziert mit der Gehirnwäsche der Nachrichten und schikaniert von politischen Vorgängen unter falschen Versprechungen. Nicht zuletzt auch therapiert von einer gierigen Pharmaindustrie, welche nur verdient, wenn es genug Kunden und somit kranke Menschen gab und dirigiert durch Angst und Panik vor vermeintlichem Übel, vor dem es sich zu schützen galt. Die Rastafaris nennen diese Welt Babylon. Klar dienen Gesetze, Regeln und Vorschriften einem friedlichen Zusammenleben in der Gesellschaft. Aber weiss die Gesellschaft überhaupt, was sie will? Wenn ja, woher? Und warum musste es das Gleiche sein, was wir wollen? Wir respektieren natürlich, dass dieser Weg für den Grossteil des Volkes absolut in Ordnung ist. Es ist sicher nicht falsch, gesellschaftlichen Werten und Regeln zu folgen. Nur so kann eine Gesellschaft überhaupt erst bestehen. Aber diese Werte und Regeln müssen nicht immer richtig sein. Schliesslich wurden sie von Menschen aufgestellt und Menschen machen Fehler.
Es war Zeit zu hinterfragen, warum wir mit dem Strom schwammen. Glücklich machte es uns nicht und wir mussten herausfinden, was wir wirklich wollten. Am Horizont sahen wir ein Schiff mit aufgeblähten Segeln seiner Wege ziehen und so kam eine ganz neue Idee in uns auf. Wir müssten uns eigentlich nur von allem trennen, was wir bis dahin an unnötigem Hab und Gut gesammelt hatten und mit dem Geld ein Segelschiff kaufen, gross genug, um dauerhaft darauf leben zu können und unabhängig zu sein. So könnte man mit dem Wind um die Welt reisen, schöne Orte besuchen und weniger schöne Orte wieder verlassen. Wir könnten bleiben wo es uns gefällt und wenn der Nachbar nervt, würden wir Segel setzen und einfach weiterziehen. Das ganze könnte finanziell sogar weit günstiger laufen als unser Leben in der westlichen Zivilisation, da unser Antrieb der Wind sein sollte und man mit etwas Ausrüstung so gut wie autark leben könnte. Wir sahen damit eine Chance, dem ewigen Rennen im Hamsterrad zu entkommen und endlich unser eigenes Leben nach unseren Vorstellungen gestalten zu können. Wohin wir segeln würden war gar nicht so wichtig. Vielleicht um die ganze Welt, oder vielleicht würden wir auch einfach irgendwo hängen bleiben. Es ging nicht darum, die Erde zu umrunden und die Kurslinie zu kreuzen. Wir waren nicht mehr auf der Jagd nach Trophäen. Der Globus ist riesig und wir wollten uns Zeit lassen. Ein Segler, der seinen Kurs nur minimal verändert, zu dem Kurs eines früheren Weltreisenden, wird eine völlig andere Welt sehen und einen anderen Eindruck von der Reise haben. Wir wollten unsere eigene Welt entdecken und wenn eine vollständige Erdballumrundung 20 Jahre dauern würde, dann war das auch in Ordnung. Hauptsache wir konnten unsere eigenen Entscheidungen treffen und würden nur noch vom Wind und nicht mehr von der Gesellschaft dirigiert werden.
Wir kehrten nach diesem Urlaub in die Schweiz zurück und sollten uns nun eigentlich auf ein schönes Auto für die Fahrt vom Flughafen nach Hause und auf ein sauberes grosses Haus freuen. Doch dieses Mal schämten wir uns bereits am Flughafen, in ein Auto einzusteigen, welches einen Wert hatte, von dem ein ganzes Dorf auf den Kap Verden ein Jahr lang leben könnte. Wir schämten uns, ein Haus zu betreten, das genug Platz für mehrere kapverdianische Familien bieten würde und uns wurde bewusst, dass wir nichts von all dem ganzen Kram wirklich brauchten, um glücklich zu werden. Das war nicht einfach so eine Laune sondern eine Erfahrung welche uns klar machte, wie lächerlich unsere Probleme in der westlich zivilisierten Welt eigentlich waren. Bei anschliessenden Recherchen im Internet stiess ich auf die Webseite von einem Ehepaar aus Köln mit ihrem Katamaran "Twins". Sie waren gerade dabei, eine Weltreise zu planen und wollten den Trip finanzieren, indem sie Kojen Charter anboten. Es sollten also zahlende Gäste an Bord kommen und das nötige Geld für die Reise mitbringen. Einerseits gefiel mir die Idee, andererseits dachte ich mir, dass es vergleichbar damit ist, sein Sofa zu Hause an Fremde zu vermietet und ich war mir nicht sicher, ob mir das so recht wäre. Aber wir hatten ja noch unsere Firma und sollten somit vorerst versorgt sein. Die Firma wollten wir als finanziellen Rückhalt bestehen lassen und die Arbeitsplätze für unsere Mitarbeiter weiterhin sichern. Ich musste mein Gehalt jedoch auf ein Minimum reduzieren, damit genug Lohn für eine neue Geschäftsführung bereitgestellt werden konnte, aber wir sollten ja auch nicht mehr viel brauchen. Die Umsätze waren noch nicht besonders hoch und es blieb kaum etwas, was wir zu der Zeit hätten abschöpfen können. Wir räumten uns einen Betrag von tausend Euro monatlich ein und sollten damit ganz gut zurechtkommen. Unsere sonstigen finanziellen Mittel würden weitgehend für den Schiffskauf draufgehen. Alles schien trotzdem recht simpel und wir machten uns an die konkrete Planung des Vorhabens. Ich übergab die Geschäftsleitung unserer treuesten und dienstältesten Mitarbeiterin und blieb als leitender Geschäftsführer im Unternehmen. Meinen Job konnte ich weltweit überall erledigen. Ich brauchte nur ein Laptop und Internetzugang.
Dann war da noch das Problem, dass wir vom Segeln nicht die leiseste Ahnung hatten. Ich hatte in meiner Kindheit mal für ein paar Tage einen Jollen Kurs gemacht, aber das konnte man nun wirklich nicht gelten lassen. Mit Erreichen des schweizerischen Hochseescheins dürfte genug Basiswissen vorhanden sein, um so ein Vorhaben in Angriff zu nehmen, dachte ich. Schliesslich war dieser ein international anerkannter Ausweis und weltweit gültig als ICC Schein „International Certificate for Operators of Pleasure Craft“. Voraussetzung für diese Lizenz war jedoch erst mal ein vorhandener Binnenschein für Segelboote, um sich überhaupt für die Prüfung anmelden zu können. Und so buchte ich im Juni 2013 bei einer Segelschule in der Schweiz einen Kurs, mit dem ich in wenigen Tagen diesen Binnenschein machen konnte. Segeln schien eigentlich gar nicht so schwierig zu sein und die Grundprinzipien hatte ich sehr schnell verstanden. Die Prüfung selbst lief reibungslos und kurze Zeit später hatte ich den Schein in der Tasche. Gleich im Anschluss wollte ich mich um den ICC Hochseeschein kümmern und bestellte die Unterlagen dafür aus dem Internet.
Ich wollte den Segelschein im Selbststudium erreichen, da ich es nicht einsah, ein weiteres Mal einen Haufen Geld in einen Kurs bei einer Segelschule zu stecken. In Foren und persönlichen Gesprächen mit Seglern erfuhr ich, dass es durchaus bereits mehrere geschafft hatten, den Schein im Selbststudium zu machen und so war die Sache für mich klar. Selbst ist der Mann! Das nötige Material schien nicht viel Lernstoff zu beinhalten. Klar, was soll da schon gross kommen? Segeln ist Segeln egal ob auf einem See oder dem Meer und so meldete ich mich für einen Prüfungstermin bereits vier Wochen später an, um keine Zeit zu vergeuden. Wir wollten schliesslich so schnell wie möglich mit unserem neuen Leben beginnen. Ich war mir relativ sicher, das Ganze locker zu meistern, da es mir schon immer sehr leicht fiel, Theorie zu pauken und bei einer Prüfung das Wissen wieder abzurufen. Ein paar Tage später bekam ich Post und machte mich direkt ans Studium der Lektüre. Relativ schnell bemerkte ich dann jedoch, dass da was nicht stimmen konnte. Die Unterlagen schienen nicht vollständig und bezogen sich auf Dinge, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte. Tidenberechnungen, Kurs über Grund Ermittlungen, SOLAS (Safety of live at sea) und was in aller Welt ist bitte ein Strömungsdreieck? Ich rief also beim Cruising Club Schweiz an, um nachzufragen, ob das wirklich alles sei oder ob es noch ergänzendes Material dazu gäbe. Die freundliche Dame am Telefon erklärte mir dann, dass ich Idiot nur so etwas wie Lernhilfen für den eigentlichen Stoff bestellt hatte. Ich müsste nun noch den CCS Ordner mit dem kompletten Theoriestoff sowie einige ergänzende Bücher dazu haben, um die Prüfung überhaupt bestehen zu können. „Na gut“, dachte ich mir – das kann ja trotzdem nicht so viel sein. So bestellte ich den kompletten Satz und wartete erneut auf die Unterlagen. Wenige Tage später kam ein Paket, welches alles beinhaltete. Mir wurde ganz anders, als ich den Karton öffnete. Da war ein Ordner mit knapp tausend Blättern, sauber nach Themen sortiert, sowie die begleitenden Bücher – das dickste hatte nochmal knapp achthundert Seiten und ich merkte, dass ich mich jetzt vermutlich ein bisschen übernommen hatte. Ich ärgerte mich über meine Dummheit und machte mich an den gelieferten Lernstoff.
Ich beliess es dennoch bei der Anmeldung für den Prüfungstermin und betrachtete die kurze verbleibende Zeit von nur noch 3 Wochen als Herausforderung, die ich trotzdem annehmen wollte. Es ging ja nur um einen Segelschein welcher mir theoretisch die Berechtigung geben würde, ein Schiff zu führen. Das Segeln selbst lernt man aber nicht auf dem Sofa sondern auf dem Wasser. Also versuchte ich mein Glück. Ich lernte jeden Tag Stunden lang, am Ende sogar Tag und Nacht, machte Kartenaufgaben, berechnete Gezeiten und prügelte mir den Kopf so voll, wie es irgendwie möglich war. Wie zu erwarten war, bin ich dann natürlich durch die Prüfung gefallen. Ich hatte zwar alles geschafft, aber machte zu viele Fehler bei den Gezeiten Aufgaben. Zum Glück musste ich bei der Nachprüfung nur noch das Thema wiederholen, bei dem die Punktzahl nicht ausreichend war. Ein paar Wochen später war es dann geschafft und ich hatte den Theorieteil bestanden. Jetzt musste ich nur noch einen Erste Hilfe Kurs und einen Seh- und Hörtest ablegen sowie den Nachweis über eintausend gesegelte Seemeilen unter Führung eines zertifizierten Kapitäns einreichen, um den Schein zu bekommen. Dafür hatte ich ab bestandener Theorie-Prüfung 4 Jahre Zeit und ich nahm mir vor, mich später darum zu kümmern. Nur den SRC Funkschein musste ich noch organisieren, aber der war schnell gemacht und somit waren die nötigen Ausweise fast komplett.
Unsere Familien und Freunde hatten inzwischen realisiert, dass wirklich etwas am Laufen war. Die meisten hatten es für einen Witz oder eine Träumerei gehalten, als wir von unseren Plänen erzählt hatten. Doch jetzt wurde allen klar, dass es unser Ernst war, zu gehen. Wir trafen auf die unterschiedlichsten Reaktionen. Die einen hielten uns für verrückt, andere waren einfach nur traurig, dass wir uns nun weniger sehen würden. Es war für viele nur schwer nachvollziehbar, warum Joanna ihren Job kündigte, obwohl sie damit Karriere gemacht hatte, oder warum ich meine so junge Firma jetzt schon alleine lassen wollte. Es gab Leute, die unser Vorhaben bewunderten und es gab Neider. Vor allem aber gab es viele, die sich sicher waren, dass wir scheitern würden. Das störte uns nicht weiter, da wir fest dazu entschlossen waren und unbeirrt an dem Projekt arbeiteten.
Erstmal mussten wir jedoch das Geld für ein Schiff auftreiben und unser Hab und Gut verkaufen. Das war gar nicht so einfach und wir wurden die Sachen nur sehr langsam los. Anfangs war es noch sehr hart, unsere lange gehüteten Schätze für ein Trinkgeld aus der Hand zu geben. Je mehr wir aber verkauften, desto mehr konnten wir spüren, wie viel Ballast all der Kram eigentlich für uns war und wie wir uns eingeschränkt hatten, um all das zu halten. Dachboden und Keller waren lediglich Lagerstätten die wir nur nutzten, um alles irgendwo zu verstauen. Es wurde aber nie wieder etwas hervorgeholt. Dort wurden Dinge gelagert, von denen wir dachten, sie eines Tages vielleicht nochmal brauchen zu können. Längst vergessene Kisten waren voll mit inzwischen wertlos gewordenem Hi-Fi- und Computerkram. Wir fanden Dinge, von denen wir keine Ahnung mehr hatten, woher das Zeug eigentlich stammte oder was wir damit eigentlich wollten. Irgendwann musste der Kram mal gekauft werden, aus welchen Gründen auch immer. Beim Anblick all dieser Dinge dachten wir daran, was für ein unschätzbarer Reichtum der Plunder für Menschen in armen Ländern wäre. So war es dann doch eine riesen Erleichterung, als wir die Schlüssel zu unserem inzwischen leeren Häuschen abgeben konnten und unser altes Leben hinter uns liessen.
Der Verkauf unserer Sachen war eine sehr ernüchternde Angelegenheit. Wir bekamen nicht mal zehn Prozent des Einkaufswertes wieder zurück und stellten fest, dass der ursprüngliche Wert all dieser Sachen also auch nur Schall und Rauch war. Wir kauften als erstes ein kleines Appartement auf den Kap Verden um irgendwo an Land etwas Eigenes für den Notfall zu besitzen. Solange wir nicht darauf angewiesen waren, wollten wir es dann während unserer Reise vermieten, um somit ein Zubrot für unsere Bordkasse zu haben. Auf der Insel Sal kann man prima mit sehr wenig Geld leben und so verliessen wir die verhältnismässig teure Schweiz und setzten unsere weitere Planung auf den Kap Verden fort. In Santa Maria kamen wir mit einem Bruchteil des früheren Finanzbedarfs über die Runden und es fehlte uns an nichts. Das war auch nötig, denn nachdem Joanna ihren Job gekündigt hatte, hätten wir sowieso nicht in der Schweiz bleiben können. Nicht ohne wieder irgendwo von früh bis spät zu arbeiten. Das bisschen, was wir aus unserer Firma abschöpfen konnten, war gerade genug um auf den Kap Verden alles Nötige zu bekommen und unbeschwert zu leben. In der Schweiz war das so gut wie nichts und es reichte unmöglich für uns beide. Ist es nicht paradox, dass wir den Grossteil unserer Zeit mit Arbeit und Stress verbringen und dann in solche Länder wie die Kap Verden fliegen, um wieder Urlaub davon zu machen? Mit dem Geld, das uns so ein Urlaub kostet, kann eine Familie dort ein ganzes Jahr leben. Das Volk dort ist glücklich solange es hat, was es braucht. Es ist im Prinzip nur ein sehr geringer Geldbetrag notwendig, um das ganze Jahr über glücklich im Paradies zu leben. Warum also in Europa bleiben? Ich fand einen Platz an Bord einer Segelyacht während eines Überführungstörns von Europa auf die Kap Verden. Dabei konnte ich die für den Hochseeschein nötigen Seemeilen absolvieren und mir die wichtigsten praktischen Grundlagen aneignen. Anschliessend machte ich noch einen nautischen Erste Hilfe Kurs bei einer Tauchschule auf der Insel und schickte die Unterlagen zusammen mit den geforderten Attesten in die Schweiz. Damit waren unsere Vorbereitungen erstmal abgeschlossen und wir waren bereit für unser neues Leben.
Es kann sein, dass mancher an dieser Stelle die berechtigte Frage anbringt: „Was heisst Vorbereitung? Da wurde schnell eine Ausbildung gemacht und ein bisschen gelesen und mehr nicht?“ Nun, es gibt Segler, die sich jahrelang vorbereiten und dann trotzdem scheitern. Genauso gibt es Segler, die Hals über Kopf losziehen und jahrelang eine traumhafte Reise geniessen. Viele kommen jedoch nie los, verlieren sich in ihren Vorbereitungen und müssen ihren Traum irgendwann vergessen. Wir wollten uns so gut es ging vorbereiten, aber nicht aus den Augen verlieren, dass wir in brauchbarer Zeit auch wirklich aufbrechen wollten. Die Erfahrung kommt mit der Zeit – und zwar auf dem Meer. Das wichtigste für uns hatten wir: eine nautische Ausbildung, das Talent zu improvisieren und die nötige Portion Mut.
Santa Maria auf der Insel Sal war nun unser neues Zuhause. Lange Wellen erstreckten sich entlang der schneeweissen Strände und brachen sich glitzernd in der Abendsonne. Es war Herbst geworden und die Bedingungen waren inzwischen optimal, um zu surfen. In der Schweiz hatten wir alles bis auf die Firma aufgelöst und genossen es, in einer Welt ohne Briefkasten und Telefon zu leben. Die einzige Rechnung, welche wir jetzt noch bekamen, war für Strom und Wasser. Da stand der Betrag auf einem Stück Papier, welches einmal im Monat unter der Tür durchgeschoben wurde. Man geht dann mit dem Bargeld zum Büro des Elektrizitäts- und Wasserwerkes und zahlt den Betrag ein. Alles andere was man brauchte oder bekam, wurde direkt bar bezahlt und Briefkästen für Rechnungsfluten blieben überflüssig. Wir fühlten uns schon nach kurzer Zeit deutlich freier und auch allgemein besser. Die lästigen Wohlstandspölsterchen verschwanden schnell bei der nun zwangsläufig gesunden Ernährung. Wir assen fast jeden Tag Fisch, Reis und Gemüse. Diese Dinge bekam man frisch und günstig. Den Fisch holten wir direkt bei den Fischern am Pier. Das Gemüse wurde täglich frisch von den Marktfrauen im Dorf verteilt und Reis gab es genug in den unzähligen Chinashops.
In Europa hatten wir früher oft vor dem Fernseher, auf dem Sofa herumgehangen und Süssigkeiten genascht. Das war hier nicht mehr möglich. Die Auswahl an Süsskram war sehr begrenzt und das, was es gab, war nicht so lecker wie das gewohnte Zeug. So ersetzten wir also unsere Naschsachen durch Früchte. Das Bedürfnis, wieder einen Fernseher zu besitzen, hatten wir nie wieder, nachdem wir die Schweiz verlassen hatten. In Santa Maria spielte sich das Leben auf der Strasse ab und man ging einfach vor die Türe, wenn man Unterhaltung wollte. Da wir auch kein Auto mehr kaufen wollten, gingen wir entweder zu Fuss oder fuhren Fahrrad. Es ging uns zusehends besser und wir waren überzeugter denn je, das Richtige getan zu haben. Wir hatten Zeit für uns und waren erleichtert, alles hinter uns gelassen zu haben.
Nur Basco ging es seit einigen Tagen nicht besonders gut. Ich musste mit ihm wegen einer Infektion schliesslich zur lokalen Veterinärin. Dr. F. Santos fand die Ursache schnell. Basco hatte sich eine Art Virus eingefangen, welcher durch Zecken übertragen wird. Sie meinte aber, dass Basco in wenigen Tagen wieder ganz der Alte sein würde. Das wäre ähnlich wie eine Erkältung und nicht weiter schlimm. Während sie Bascos Blut im Labor untersuchte, weckte ein Aushang im Wartezimmer mein Interesse. Da hatte jemand kleine Rottweiler Welpen abzugeben. Joanna träumte schon lange davon, einen Rottweiler als Kameraden für Basco zu haben, und ob wir jetzt mit einem Hund oder mit zwei segelten machte nun auch nicht mehr viel Unterschied. Wir beschlossen also, uns einen dieser Welpen zu holen und nannten den frechen kleinen Kerl „Marley“. Er sollte keinen der typischen, bösen Rottweiler Namen bekommen, da wir ihn als Familienmitglied und nicht als Waffe wollten. Dennoch waren wir sicher, dass ein Rottweiler an Bord ein überzeugendes Argument gegen Einbrecher oder Diebe sein dürfte. Etwas später stiessen wir in einer Slum-Siedlung auf Sal, nahe Espargos, bei einer Familie auf ein paar Katzenbabys, die fast verhungert und voll mit Flöhen und Ungeziefer einen erbärmlichen Eindruck machten. Sie sahen aus, als würden sie die nächsten Wochen, wenn überhaupt, nur mit Glück überleben. Eines davon war sehr auffällig und unterschied sich in Aussehen und Verhalten deutlich von seinen Geschwistern. Der kleine Kerl war grau mit leichtem Tigermuster im Fell und hatte stahlblaue Augen. Die Frau, der die Katzen gehörten, sah uns am Blick an, dass wir uns verliebt hatten und schenkte uns das Baby kurzer Hand. Der kleine hiess Tulu und „Nein“ sagen, war bei dem süssen Knäuel Katze nicht wirklich möglich. Kurzerhand nahmen wir ihn mit und hatten ab da eben noch eine Katze – was soll`s. Darauf kommt es nun auch nicht mehr an und schliesslich gibt es sehr viele Segler auf Langfahrt, die mit Tieren reisen. Wird schon irgendwie gehen.
Die drei verstanden sich jedenfalls bestens und waren schon bald ein eingeschworenes Rudel. Je grösser Marley wurde, desto mehr verdrängte er Basco von seinem Rang und positionierte sich hinter Joanna und mir. Basco war das wurscht, er war schon immer extrem sozial und unterwarf sich jedem Hund, wenn er damit Ärger vermeiden konnte. Tulu und Marley entwickelten eine besonders dicke Freundschaft und tobten oft zusammen herum. Manchmal versteckte sich Tulu hinter dem Sofa und sprang Marley von hinten an, so wie ein Löwe ein Zebra angreifen würde. Marley quiekte dann erschrocken und versuchte, Tulu zu fangen. Wenn er ihn zu fassen bekam, verschwand der halbe Kater in Marleys Maul und nur Tulus Pfoten teilten noch Ohrfeigen nach links und rechts aus. Beide achteten allerdings immer darauf, sich nicht wirklich weh zu tun und das Spiel wurde sofort unterbrochen, wenn einer von beiden fiepte. Schwer zu sagen, wer von beiden wilder war, aber Marley mussten wir irgendwann unter Kontrolle bringen. Wenn in ein paar Monaten vierzig Kilo Rottweiler so herumtoben sollten, blieben von unserer Einrichtung nur noch Trümmer übrig. Basco war ein geduldiger Lehrer und half uns wo er nur konnte Marley Manieren beizubringen.
Weit weg vom europäischen Konsumwahnsinn bekam unser Projekt also immer klarere Formen und es kehrte deutlich Ruhe in unser Leben ein, abgesehen von unseren drei Vierbeinern. Ich bekam auf den Kap Verden noch die Möglichkeit einer weiteren Trainingsfahrt. Henrik, ein befreundeter Surflehrer aus Dänemark, hatte sich eine Segelyacht in Palmeira auf Sal gekauft. Dort lag eine Beneteau Oceanis 40 seit sieben Jahren an einer Mooring. Niemand kümmerte sich um das Schiff, da der Eigner vermutlich schon längst verstorben war. Irgendwann wurde die Yacht von der Hafenverwaltung zum Verkauf freigegeben und Henrik bekam diese für ein Trinkgeld. Allerdings hatten die sieben Jahre deutliche Spuren hinterlassen. Das Ruder liess sich nicht mehr bewegen, die Segel waren spröde und fast alle zerrissen, die Maschine musste dringend überholt werden und die gesamte Bordelektrik war korrodiert und hinüber. Auf Sal gab es weder Leute, die sich mit so was auskannten, noch Ersatzteile oder eine Möglichkeit das Schiff an Land zu holen. Das Schiff musste also auf eine grössere Nachbarinsel gebracht werden und Henrik bat mich um Hilfe, da er zwar Segeln konnte, jedoch nicht viel Ahnung von Navigation auf offener See hatte. Erfahrung hatte ich zwar auch noch nicht viel, aber ich wusste zumindest ein bisschen, worauf es ankommt. Und so besorgten wir uns eine Seekarte für das Gebiet und holten erstmal Tauchflaschen um den Bewuchs am Unterwasserschiff wegzukratzen. Wir legten noch das Ruder frei, damit das Schiff irgendwie steuerbar wurde und recht viel mehr konnten wir mit den gegebenen Mitteln nicht tun.
Dann nahmen wir die Reise zur Nachbarinsel São Vicente mit dem Hafenstädtchen Mindelo in Angriff, rund 130 Seemeilen die wir in 24 Stunden schaffen wollten. Dort wollte Henrik das Schiff dann gründlich überarbeiten und wieder flott machen. Ein absolutes Himmelfahrtskommando ohne jegliche Bordelektronik. Keine Navigations-Instrumente und noch nicht mal Positionslichter für die Nacht. Wir hatten einen Magnetkompass, auf dem wir in der Dunkelheit alle paar Minuten mit einer Taschenlampe nachprüfen konnten, ob wir noch einigermassen auf Kurs waren und ich hatte unser Satellitentelefon dabei, auf dem ich die GPS Position abrufen konnte, um diese stündlich an Joanna zu senden. Unterwegs gab es kaum Bezugspunkte, an denen man sich hätte orientieren können. Die Koordinaten mussten dann jede Stunde auf die Papierkarte übertragen werden. Solange der Akku hielt, sollte das Satellitentelefon unsere einzige Sicherheit sein auch wirklich die Insel zu treffen wo, wir hin wollten. Mangels Elektrizität an Bord, konnte das Telefon auch nicht nachgeladen werden. Ein Navigationsfehler hätte uns vermutlich vorbei an der Insel und in den offenen Atlantik geführt und was dann wäre, wollten wir uns gar nicht so genau ausmalen. Das einzige Segel, welches wir einsetzen konnten, war eine marode Genua. Den Motor zu starten, war nicht möglich. Dennoch machten wir uns bei 25 Knoten Wind aus Nordosten auf den Weg nach Mindelo.
Schon nach wenigen Stunden wurde mir kotzübel und es wurde immer schwieriger, die Position korrekt in die Seekarte zu übertragen. Die Seekrankheit hatte mich voll erwischt und ich konnte mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal so mies gefühlt hatte. Das Schiff rollte wie verrückt und ich musste für die Kartenarbeiten jedes Mal unter Deck. Mir wurde schon früher schnell schlecht, wenn ich auf dem Rücksitz eines Autos ein Buch lesen wollte. Abwechselnd grün und weiss im Gesicht kletterte ich irgendwann zu Henrik ins Cockpit und setzte mich in eine Ecke. Mit elendiger Miene sagte ich zu Henrik: „Sorry Kumpel, aber das ist das erste Mal, dass es mich so zerlegt.“
Er lachte und klopfte mir auf die Schulter: „Kein Problem, das schaffen wir schon. Bleib jetzt einfach im Cockpit am Steuer und behalt den Horizont im Auge, das sollte helfen.“
Ich sah mich um: „Welchen Horizont? Ich seh nur Wellenberge, aber das ist es auch nicht. Die Positionen… Ich kann da nicht mehr runter. Die nächste Position musst du markieren, sonst kotz ich die Scheune voll.“
„Klar kann ich machen, du musst mir nur sagen wie.“
Nach einer kurzen Erklärung hatte er verstanden, worauf es ankam und markierte ab jetzt unsere Positionen. Es war an sich eine traumhaft schöne Nacht. Etwas später beruhigte sich der Seegang wieder ein wenig und wir hatten einen klaren Sternenhimmel. Hinter uns zogen wir einen Schweif aus Meeresleuchten durch das schwarze Wasser. Kleinste Lebewesen fangen dabei an gelbgrün zu leuchten, wenn sie gestört werden. Als wir mit der Yacht durch solche Gebiete preschten, leuchteten Millionen von ihnen in der Bugwelle und hinter dem Schiff auf. Wir zogen eine leuchtende Spur wie Feenstaub hinter uns her.
Ein paar Meter vom Schiff entfernt im Wasser waren immer wieder grössere Lichter zu erkennen. Etwa wie ein Tennisball. Diese Lichter waren besonders interessant, da sie regelmässig aufleuchteten und wieder erloschen. Es sah aus, als wären Taucher, die ihre Tauchlampen immer wieder an und aus knipsten, nur knapp unter der Wasseroberfläche. Aber wir waren mitten im Atlantik und unter uns waren über dreitausend Meter nichts als Wasser. Ich deutete auf die Lichter und fragte Henrik: „Siehst du das auch oder seh ich jetzt schon Geister vor lauter Seekrankheit?“
Er reckte den Kopf etwas, so dass er über die Bordwand blicken konnte und antwortete: „Was, die komischen Lichter dort? Ja, hab mich auch schon gewundert.“
„Blinken Thunfische bevor sie abbiegen?“
„Vielleicht hat auch nur ein Wal üble Blähungen und pupst immer wieder in die Leuchtkrebs-Viecher da unten.“, lachte er.
Ich wollte aber wirklich wissen, was das für Kreaturen waren und versuchte wieder Ernst zu bleiben: „Ne, mal ernsthaft, kennst du irgendeinen Fisch, der so blinkt?“ Henrik schüttelte den Kopf und sagte: „Noch nie gehört. Die Leuchtfische sind doch sonst eher in der Tiefsee und nicht hier oben.“
Wir wissen bis heute nicht, was das war, aber da draussen im Ozean gibt es noch viel mehr, was wir nicht einordnen und verstehen können. Das Gespräch und die frische Luft halfen mir wenigstens und ich fühlte mich wieder etwas besser. Jedenfalls gut genug, um mir Gedanken darüber zu machen, ob ich auf einem Schiff wirklich am richtigen Ort war. Was, wenn mir das später noch öfter passieren sollte? Diese Seekrankheit war echt grausam und ich wollte das nie wieder erleben. In Mindelo angekommen, trafen wir auf das Forschungsschiff „MV Brigitte Bardot“ von den Umweltpiraten „Sea Shepherd“, die sich für den Schutz von Walen, Schildkröten und anderem Meeresgetier engagieren. Ich kannte die Crew bereits aus dem Fernsehprogramm mit ihrer Sendung "Whale Wars" und freute mich, auf solch berühmte Gesichter zu treffen. Als sie unser Schiff sahen, schüttelten sie den Kopf und meinten, dass wir komplett verrückt sein mussten. Aber wir hatten es geschafft und genehmigten uns zusammen mit den Sea Shephert´s das wohl verdiente Ankerbier.
Ich half Henrik noch ein paar Tage auf seinem Schiff und flog dann mit einer Propellermaschine der TACV Airline zurück nach Sal zu Joanna und den Tieren. Wir hatten nach monatelangem Suchen endlich ein passendes Schiff für unser weiteres Vorhaben gefunden und einen guten Preis ausgehandelt. Es sollte ein Fahrtenkatamaran vom Typ Ocean Ranger aus der berühmten Prout Werft sein. 45 Fuss (13.8 m) lang und 21 Fuss (6.2 m) breit, mit Platz für bis zu zehn Personen in fünf Kabinen. Das schien uns gross genug für unsere kleine Familie mit zwei Hunden und einer Katze. Unser Schiff der Wahl lag zum Zeitpunkt der Entscheidung noch in der Karibik und wir vereinbarten die Übergabe für August 2014 in New York, da der Eigner gern noch seine Reise mit einer Runde um die Freiheitsstatue abschliessen wollte und die Flüge für uns ohnehin günstiger in die USA waren als in die Karibik. Vor allem wollten wir den Flugstress für die Tiere so gering wie möglich halten und es gab nur Direktflüge nach Boston. Alle anderen Linien wären über Europa geflogen und damit deutlich länger unterwegs gewesen.
Im August flog ich dann alleine in die USA, um den Katamaran zu übernehmen. Der Eigner wartete mit dem Schiff im Hudson River vor New York City auf mich. Joanna kümmerte sich auf den Kap Verden darum, dass das Appartement für die spätere Vermietung vorbereitet wurde und organisierte die Logistik für unsere Sachen und die Tiere. Der Plan war, dass ich das Schiff übernehme und es dann nach Boston bringe, um dort vier Wochen später Joanna, die Tiere und unsere Ausrüstung an Bord zu nehmen. Das Schiff war wirklich in erbärmlichem Zustand. Es hatte bereits 46 Jahre auf dem Buckel und man sah deutlich die Spuren der Zeit. Die Grundsubstanz war zwar noch in Ordnung und ich war mir sicher, dass wir den Kahn mit etwas Engagement und Arbeit wieder flott machen könnten, aber bis dahin musste ich akzeptieren, erstmal ein Rattennest gekauft zu haben. Mehr oder weniger fahrbereit war es ja noch. Es war einfach nur extrem dreckig, vergammelt und die diversen Lackschichten blätterten an allen Ecken ab. Nach ein paar harten Verhandlungen über den Preis unterzeichnete ich schlussendlich den Kaufvertrag. Wenigstens blieben uns so noch ein paar tausend Euro für Reparaturen und Neuanschaffungen. Eine Rettungsinsel musste nachgerüstet werden, Kühlbox, Watermaker, Windgenerator und Solaranlage waren auch noch nicht an Bord. Es gab also noch einiges zu tun, bevor wir los konnten.
Wir sind sicher nicht abergläubisch, aber wir respektieren alte Seefahrerbräuche und wollten nur ungern den Schiffsnamen ändern. Das soll bekanntlich Unglück bringen und das Schiff würde angeblich sinken. Der Katamaran hatte jedoch schon einige Namenswechsel überlebt. Beim Stapellauf 1968 hiess das Schiff "Ocean Highlander" später wurde es umgetauft in "Courtanys Luck" nach dem Namen der Grossmutter des neuen Eigners. In den 90ern erhielt es dann von seiner deutschen Eignergruppe den Namen "Süd-Ost 4", womit die Windrichtung und Windstärke gemeint war. Das „ü“ würde jedoch im englischsprachigen Raum schnell zum Problem im Funkverkehr, also beschlossen wir, dem Schiff wieder einen neuen Namen zu geben. Wir tauften es "Bamba Maru".
Es war ja nun ein Teil der Bamba Family und sollte somit auch „Bamba“ heissen. Der Anhang „Maru“ stammt aus dem Japanischen und steht für Kreis, Rund oder Perfekt. Nach einer alten Legende soll scheinbar auch ein Meeresgott „Maru“ heissen. Für uns war es einfach ein schönes Suffix und passte irgendwie zu dem Schiff. Das Beiboot nannten wir „Toastboot
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