Barny Schäfer - Tatort Pausenhof - Patricia Rieger - E-Book

Barny Schäfer - Tatort Pausenhof E-Book

Patricia Rieger

0,0

Beschreibung

Barny Schäfer hat ein Problem: Sein Partner Eddie hat sich doch tatsächlich dazu überreden lassen, für vier Wochen den nervigen Craddock Moppel bei ihnen einzuquartieren. Doch der Anruf eines ehemaligen Kollegen lässt ihn diese Sorge schnell vergessen. Denn plötzlich stecken er und sein Partner mitten in einem neuen Kriminalfall, bei dem das Leben eines Jungen auf dem Spiel steht. Ein Erpresserbrief und ein Manuskript über alte, ungelöste Kriminalfälle führen sie auf eine beunruhigende Fährte. Ist im beschaulichen Backnang ein Serienkiller untergetaucht? Und während sich Barny und Eddie gegen kriminelle Schlägerbanden, ein altes Schlangentrauma, aufregende Nachbarinnen und eine fiese Sommergrippe behaupten, wird ihnen allmählich klar, dass bei diesem Fall nichts so ist, wie es zunächst scheint.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 389

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17

Barny Schäfer

-

Tatort Pausenhof

Ein Backnang Krimi

von Patricia Rieger

Barny Schäfer - Tatort Pausenhof

ISBN 978-3-945230-48-0

1. Auflage, Allmersbach im Tal 2020

Cover: Patricia Rieger und Marc Hamacher

Satz und Layout: Tanja und Marc Hamacher

Lektorat: Tanja und Marc Hamacher

© 2020, Leseratten Verlag, Allmersbach im Tal

www. leserattenverlag.de

Für meine Eltern,

Eddies und Barnys treueste Fans, die gemeinsam

mit ihren beiden Lieblingsermittlern unbedingt noch

einen weiteren Fall aufklären wollten.

1

»Versprich mir, dass du gut auf meine Lieblinge aufpasst!« Klara schnäuzte geräuschvoll in ein überdimensionales Taschentuch, das sie gerade aus ihrer Kittelschürze gezaubert hatte. Die unzähligen Lockenwickler unter dem transparenten, giftgrünen Kopftuch bebten mit ihrer Stimme um die Wette.

»Himmel, Klara! Jetzt krieg dich mal wieder ein, es sind doch nur ein paar Wochen«, grummelte Eddie genervt.

Barny spürte, wie die ohnehin nicht allzu sonnige Stimmung seines Partners noch weiter in den Keller sackte. Eddie war schon seit einigen Tagen ziemlich mies drauf. Barny befürchtete, dass sich sein Partner nun doch diese üble Sommergrippe eingefangen hatte, unter der halb Backnang litt.

Normalerweise wurde Eddie nie krank, aber wenn es ihn dann mal erwischte, war das weder für ihn, noch für Barny ein Zuckerschlecken. Eddie hasste es, nicht fit zu sein. Und das ließ er auch jeden, der sich in seiner Nähe aufhielt, deutlich spüren. So wie jetzt. Wobei – außer Barny schien keiner der Anwesenden etwas von Eddies Unwillen mitzubekommen. Klaras Gedanken kreisten ausschließlich um ihre Abreise. Und Craddock Moppel war viel zu beschäftigt damit, abwechselnd euphorisch kläffend oder laut schnaufend herumzurasen und all seine Spielsachen, die im ganzen Haus verstreut herumlagen, einzusammeln und genau vor Eddies Füßen aufzustapeln.

Gerade schleppte der Mops ein unförmiges Häkelschwein an, aus dem unterhalb des Ringelschwanzes die ehemals weiße Füllung herausquoll.

»Dein Ernst?«, brummte Barny belustigt, als Craddock die undichte Sau liebevoll auf den Spielzeugberg platzierte. »Hat die etwa Verdauungsprobleme?«

Craddocks Gebell verstummte schlagartig. Seine Stirnfalten vertieften sich, als er ebenso intensiv wie ergebnislos über diese Frage nachdachte.

Barny unterdrückte einen abgrundtiefen Seufzer, während er in die verständnislos blickenden Murmelaugen des Mopses sah.

Vier Wochen! Vier ganze Wochen lang würde er sich nun tagtäglich mit der Begriffsstutzigkeit und dem Übereifer des kleinen Hohlkopfs herumschlagen müssen.

Warum hatte Klara bloß angeboten, die Krankenpflegerin für ihre Schwägerin zu spielen? Eine Schwägerin, von deren Existenz Barny bisher nicht einmal etwas gewusst hatte, und die anscheinend nicht nur akut erkrankt war, sondern zu allem Übel auch noch unter einer Tierhaarallergie litt. Natürlich hatte sich Eddie von seiner Schwester breitschlagen lassen, während ihrer Abwesenheit auf ihre Mitbewohner aufzupassen.

Angewidert starrte Barny auf den Berg versabberter und angekauter Strick- und Häkeltiere.

»Na sowas!«, krähte Klara in seine finsteren Gedanken hinein und angelte begeistert nach dem unappetitlichen Schwein. »Wo hast du denn das gefunden, Moppelchen? Ich suche schon ewig danach, um es endlich mal zu waschen und zu stopfen. Du bist ja so ein guter Spürhund!«

Craddock gab vor Freude ein schrilles Quieken von sich, das genauso gut zu der Häkelsau gepasst hätte. Sein Ringelschwanz rotierte so schnell, dass Barny schon befürchtete, der Mops könnte jeden Moment vom Boden abheben.

Eddies derber Fluch brachte die Anwesenden jedoch blitzartig zum Verstummen. Beunruhigt betrachtete Barny seinen Partner.

»Jetzt reicht es aber!« Eddie starrte mit drohender Miene auf das Ding in Klaras Hand. »Ich habe mich von dir schon überreden lassen, dieses absurde, himmelblaue Plüschhäuschen mitzunehmen, ganz zu schweigen von all den albernen, bunten Strickmäntelchen, den affigen Geschirren und den völlig überflüssigen Spielsachen. Aber irgendwann ist Schluss! Es gibt Grenzen. Und zwar genau hier und jetzt, bei dem potthässlichen, pinkfarbenen, wattekackenden Häkelschwein! Ich werde diese Monstrosität auf keinen Fall auch noch einpacken!«

»Aber Eddie!« Klaras Gesicht nahm vor Empörung einen ähnlichen Farbton wie das Schwein an, das sie nun schützend an ihre ausladende Brust drückte. »Das ist doch Moppels Lieblingsspielzeug! Das wird der Kleine brauchen, damit er nicht so traurig ist, wenn ich fort bin. Ich habe ihn noch nie so lange allein gelassen. Jetzt sei doch nicht so ein Unmensch!«

Wie zur Bestätigung stellte sich Craddock an Eddies Bein auf und fiepte jämmerlich. Verblüfft beobachtete Barny, wie die grimmige Miene seines Partners weicher wurde, während er in die feuchten Mopsaugen blickte.

»Also gut, ausnahmsweise«, seufzte Eddie schließlich resigniert. »Auf eine Scheußlichkeit mehr oder weniger kommt es jetzt wohl auch nicht mehr an. Pack das Ekelteil halt zu dem anderen Kram, den ich mitnehmen soll.«

»Du bist eben doch der Beste«, seufzte Klara gerührt und griff schon wieder nach ihrem Taschentuch. »Aber vorher werde ich es noch schnell waschen und stopfen, so viel Zeit muss sein! Ich gebe es dir, wenn du mich nachher zum Bahnhof bringst. Bei der Hitze ist es im Nu wieder trocken.«

Sie schnäuzte noch einmal energisch in ihr mittlerweile ziemlich durchweichtes Taschentuch, dann drückte sie Eddie das himmelblaue Hundehäuschen und zwei prall mit Craddocks Habseligkeiten gefüllte Taschen in die Arme.

»Und du bist dir wirklich sicher, dass sich Dolly zurechtfinden wird, wenn du sie drüben bei dir fütterst und ich hier ihre Katzenklappe zulasse?« Schon wieder schwang dieses besorgniserregende Beben in Klaras Stimme mit.

»Hundertprozentig sicher«, beruhigte Eddie seine Schwester mit Nachdruck. »Du kannst nicht vier Wochen lang die Katzenklappe unbeaufsichtigt auf Durchgang stellen. Was glaubst du, was sich da für Getier im Haus breitmacht? Und ich werde sicher nicht noch jeden Tag herkommen und den Kammerjäger spielen! Deine Dolly ist alles andere als dumm. Die weiß genau, wo sie gefüttert wird, und den Weg zu mir kennt sie auch ziemlich gut. Seit sie so dicke mit Barny befreundet ist, hängt sie öfters mal in der Nacht bei uns im Garten rum.« Eddie warf Barny, der sich unbehaglich duckte, einen vielsagenden Blick zu.

»Ist das wahr?«, schnaufte Craddock in Barnys Ohr. »Dolly kommt nachts zu dir? Sie hat mir nie was davon erzählt. Das ist ja so aufregend! Wenn ich jetzt bei dir und Onkel Eddie wohne, besucht sie mich dann ja auch. Das wird so toll! Ich hatte schon Angst, dass ich sie nicht mehr sehe, wenn ich bei euch bin, aber jetzt ist alles ja noch viel besser! Ich freue mich schon so auf unsere gemeinsamen Ferien mit Onkel Eddie. Da kann er mir noch viel besser alles beibringen, was ein Polizeihund wissen muss! Und vielleicht lösen wir dann auch wieder so einen aufregenden Fall wie beim letzten Mal, was meinst du?«

»Hmpf«, grummelte Barny nichtssagend und unterdrückte ein Schaudern. Es war schon schlimm genug, dass er sich in den kommenden Wochen mit dem kleinen Dussel arrangieren musste. Bestimmt würde er wegen Craddocks Schnarcherei nachts kein Auge zumachen können. Vor allem, weil das mit dem Schlafen zurzeit sowieso nicht so gut klappte. Backnang lag schon seit Wochen unter einer flimmernden Hitzeglocke und die Nächte brachten kaum Abkühlung. Da musste er sich nicht auch noch um einen anstrengenden Kriminalfall kümmern, der ihn wie beim letzten Mal womöglich nächtelang auf Trab hielt.

»So, ich glaube, jetzt hast du alles«, überlegte Klara laut und stapelte noch einen Korb – diesmal gefüllt mit Katzenutensilien, auf das Hundehäuschen in Eddies Armen.

Barny hatte Mühe, seinen Partner hinter der kunstvoll aufgetürmten Pyramide zu erkennen, während Klara ihren Bruder energisch in Richtung Haustür schob.

»Und jetzt verschwindet, ihr drei«, schniefte sie mit besorgniserregend undeutlicher Stimme. »Ich habe noch eine Menge zu erledigen. Und vom Herauszögern wird der Abschied auch nicht leichter. In zwei Stunden geht meine Bahn, sei also rechtzeitig wieder hier.«

Barny beeilte sich, vor Eddie zur Haustür zu laufen, da er befürchtete, dass Klara gleich noch einmal in Tränen ausbrechen könnte. Doch diesmal hatte sie sich besser im Griff. Erst als das ganze Gepäck verstaut war, Barny und Craddock sich gemeinsam in die Transportbox gequetscht hatten, und Eddie mit quietschenden Reifen beinahe fluchtartig die Danziger Straße hinunterfuhr, konnte Barny durch die Heckscheibe sehen, dass das riesige Taschentuch ein weiteres Mal im Einsatz war.

Sie waren kaum in der Fritz-Häuser-Straße angekommen, als Eddie fluchend auf die Bremse trat. Craddock rutschte unsanft gegen Barnys Flanke und gab einen entsetzten Quieker von sich.

»Was zum Teufel soll das denn jetzt?«, knurrte Eddie erbost.

Barny reckte den Hals, um zu sehen, was in ihrer Straße vor sich ging. Direkt hinter der Kurve zur Fritz-Häuser-Straße hatte ein alter VW-Bus ziemlich großzügig vor ihrem Nachbarhaus geparkt. Sämtliche Türen mitsamt Heckklappe standen weit geöffnet, während aus seinem Inneren Dylans inbrünstiges Knockin’ on Heaven’s Door die ganze Nachbarschaft beschallte.

Eddie musste über den Gehweg fahren, um an dem beigen Bulli mit den grünweißblau karierten Vorhängen vorbeizukommen. Immer noch fluchend stellte er den Wagen vor ihrem Haus ab. Seine Laune sank weiter in den Keller, als er bemerkte, dass er offensichtlich schon sehnsüchtig von ihrer Vermieterin Frau Herzig erwartet wurde.

»Das hat jetzt gerade noch gefehlt«, stöhnte Eddie abgrundtief. Er warf einen strengen Blick nach hinten. »Dass du dich bloß anständig benimmst, Craddock! Kein Kläffen, kein Anspringen, sonst bekommen wir Ärger!«

»Warum ist Onkel Eddie so böse?«, flüsterte der Mops mit bebender Stimme. »Was hab ich denn angestellt?«

Barny seufzte. »Du hast nichts angestellt und Eddie ist auch nicht böse. Wir müssen nur sichergehen, dass die Herzig dich in ihrem Haus duldet. Sie hat es nicht so mit Tieren. Ich geh in Ordnung, weil ich ein Schäferhund und Polizeihund bin, der auf sie und ihr Haus aufpassen kann. Aber bei dir ist Eddie eben lieber mal vorsichtig.«

»Aber ich kann doch auch auf sie und ihr Haus aufpassen«, quiekte Craddock nun wieder euphorisch, während er sich aufstellte, um die betagte Dame, die vor dem Hauseingang stand und aufgeregt mit ihrem Stock wedelte, besser betrachten zu können. »Ich werde es ihr beweisen. Und dann merkt sie ganz schnell, dass ich auch ein Polizeihund bin, die arme, ängstliche alte Frau! Sie ist ja so klein und hilflos, die Gute. Sie wird sich freuen, dass sie nun zwei starke Aufpasser hat.«

Bevor Barny dem Mops erklären konnte, dass Frau Herzig alles Mögliche, aber ganz bestimmt weder hilflos noch ängstlich war, öffnete Eddie die Transportbox. Barny sprang mit einem eleganten Satz hinaus, während sein Partner den aufgeregt zappelnden Mops ins Freie setzte.

Erstaunlicherweise schien sich Craddock beim Herannahen der Nachbarin an Eddies Warnung zu erinnern. Brav setzte er sich auf sein pralles Hinterteil und blickte mit seelenvollen Augen zu Frau Herzig hoch – die nichts davon mitbekam.

»Das wird jetzt aber auch Zeit, dass Sie kommen und endlich für Ordnung sorgen, Herr Polizeihauptkommissar!«, trompete sie ihnen zu.

An ihrer Lautstärke konnte Barny erkennen, dass die Batterien ihrer Hörgeräte wohl schon seit einiger Zeit ihren Geist aufgegeben hatten.

»Hier geht es zu wie bei den Hottentotten! Sie müssen etwas dagegen unternehmen! Sodom und Gomorrha, sag ich Ihnen, Sodom und Gomorrha!«

Wütend schwenkte sie ihren Stock in Richtung Bulli, in dem Bob Dylan noch immer ebenso lautstark wie vergebens an die Himmelspforte klopfte.

»Was ist denn Schreckliches passiert, dass Sie so außer sich sind?«, erkundigte sich Eddie mit höflicher Resignation. »Sie wissen doch, das tut Ihnen gar nicht gut, sich so aufzuregen.«

»Natürlich tut mir das nicht gut«, blökte Frau Herzig erbost zurück. »Aber diese asoziale Bande bringt mich noch ins Grab. Es wird immer schlimmer mit denen! Und jetzt haben die sich auch noch Verstärkung geholt.« Sie schlurfte auf Eddie zu und klopfte mit dem Griff ihres Stockes gegen seine Brust. »Ich habe Ihnen neulich doch erzählt, dass der Kerl jetzt endgültig abgehauen ist und seine Schlampe mit all seinen Bastarden sitzengelassen hat.«

»Es geht also wieder einmal um die Nachbarn«, stöhnte Eddie und rieb sich die Schläfen.

Barny beobachtete seinen Partner besorgt. So wie Eddie aussah, musste er rasende Kopfschmerzen haben. Er bekam ganz sicher diese miese Sommergrippe. Das Letzte, was er da noch brauchte, war der Ärger wegen der kleinlichen Nachbarschaftsstreitereien ihrer Vermieterin.

Seit die junge Familie vor einem Jahr ins Nachbarhaus eingezogen war, ließ Frau Herzig kein gutes Haar an den Leuten. Ständig hatte sie etwas an ihnen herumzunörgeln. Und Eddie war natürlich der Erste, zu dem sie mit ihren Klagen kam.

»Ich hatte schon gehofft, dass die jetzt dann endlich wieder von hier verschwinden. Eine alleinstehende Frau mit vier vaterlosen Gören kann sich doch so ein Haus gar nicht leisten … aber von wegen!« Frau Herzig warf einen giftigen Blick auf den alten Bus. »Statt dass die ausziehen, zieht jetzt noch so eine von denen ein! Stellen Sie sich das mal vor! Noch so ein Weibsbild! Und was für eins! Ist nicht mehr die Jüngste, aber kommt daher mit ihren aufreizenden Hippie-Kleidern und – ohne Schuhe! Das müssen Sie sich mal vorstellen! Und als ich ihr erklärt habe, dass das hier eine anständige Straße ist, hat sie nur gelacht und gesagt, das will sie doch hoffen! Aber der habe ich es gegeben!«

Frau Herzig kam jetzt sichtlich in Fahrt und Barny schwante Schlimmes.

»Ich habe der gleich erzählt, dass wir einen richtigen Polizeihauptkommissar in der Straße haben, der hier für Ordnung sorgt. Und dass sie nicht einmal daran zu denken braucht, hier irgendwelche krummen Drogengeschäfte zu machen, weil wir nämlich auch einen echten Polizeihund haben, der das sofort riechen kann! Ha! Da hat die aber geguckt.« Energisch nickte sie Eddie zu, der sie ungläubig anstarrte. »Ich gehe dann mal wieder rein. Diese grässliche Hitze und dann noch die Aufregung, das tut einer alten Frau gar nicht gut! Und jetzt wissen Sie ja Bescheid!«

Fassungslos blickte Eddie der schmächtigen Gestalt hinterher, die nun schimpfend im Haus verschwand. Dann wandte er sich mit erschöpfter Miene ab und begann damit, Craddocks Habseligkeiten auszuladen. Er war eben dabei, das himmelblaue Hundehäuschen von der Rückbank zu zerren, als eine fremde und offensichtlich ziemlich aufgebrachte Frau über den Gehweg auf sie zugestürmt kam. Barny gab ein warnendes Knurren von sich, bei dem Craddock erschrocken aufjaulte. Natürlich reagierte Eddie sofort. Er drehte sich mit dem Hundehaus im Arm um und betrachtete die schlanke Gestalt, die sich rasch näherte, prüfend. Sie trug eine ausgefranste, auf Shortlänge abgeschnittene Jeans, ein weites, buntes Top und – keine Schuhe.

Barny, der sich sicherheitshalber schützend neben seinem Partner aufbaute, besah sich die zierliche Fremde, die ganz offensichtlich der Grund für Frau Herzigs Ärger war, etwas näher. Er schätzte sie auf Ende fünfzig. Sie trug die dunkelbraunen Haare als Pagenkopffrisur und bewegte sich ausgesprochen energisch.

Wenn sie nicht so wütend auf seinen Partner zugelaufen wäre, hätte er die Frau als harmlos eingestuft. Sie hatte einen guten Geruch und eine angenehme Ausstrahlung. Und obwohl sie ziemlich sportlich und fit wirkte, stellte sie sicher keine Bedrohung für Eddie dar. Sie reichte ihm gerade einmal bis zur Brust. Dennoch wich Eddie einen halben Schritt zurück, als sie sich mit funkelnden Augen vor ihm aufbaute. Also gab Barny pflichtschuldig noch ein weiteres, warnendes Knurren von sich.

Der Blick der Frau schwenkte zu Barny und wurde etwas weicher. »Keine Angst, mein Junge, ich habe nicht vor, deinen Partner zu beißen.« Verdutzt sah Barny, dass ihm die Fremde nicht nur furchtlos, sondern auch noch ziemlich erheitert zublinzelte. Für eine so zierliche Person hatte sie eine erstaunlich dunkle Stimme. Er konnte sich gerade noch beherrschen, um ihr nicht freundlich zuzuwedeln.

Craddock hatte da jedoch keine Hemmungen. Fröhlich sprang er an der Frau in die Höhe und veranstaltete sein übliches Begrüßungsgetöse, was die Fremde nicht im Geringsten aus der Ruhe brachte. Sie strich dem begeisterten Mops kurz über den runden Schädel und wandte sich dann erneut Eddie zu, der noch immer mit der himmelblauen Hundehöhle im Arm dastand und sie anstarrte.

»Sie sind also dieser Bulle, der sich anmaßt, seine Nase in Dinge zu stecken, die ihn nichts angehen!«, fauchte sie ihn an und sah nun überhaupt nicht mehr erheitert aus.

Eddie reagierte noch immer nicht, was Barny so beunruhigte, dass er nicht einmal mehr knurrte. Diese Sommergrippe, die sein Partner da ausbrütete, schien ihn ganz schön mitzunehmen. Bestimmt hatte er sogar erhöhte Temperatur, so rot, wie sich seine Ohren nun färbten.

»Dann will ich Ihnen mal was sagen«, fuhr die Fremde unbeirrt fort. »Ich werde nicht zulassen, dass meine Tochter und meine Enkel von Ihnen, dieser grässlichen alten Frau oder von wem auch immer schikaniert werden! Jetzt bin ich hier und kümmere mich um sie. Und wenn sich jemand mit uns anlegen will, wissen wir uns zu wehren. Ich lasse mich nicht so leicht einschüchtern, egal mit welcher Bullenmasche Sie uns kommen, weil wir nämlich anständige Leute sind, die sich nichts zuschulden kommen lassen, auch wenn wir keine solchen Spießer sind wie Sie! Haben Sie mich verstanden?«

Sie sah Eddie genauso erwartungsvoll an, wie Barny es tat, doch von seinem Partner kam noch immer keine Reaktion. Er stand nur da und hielt das Hundehäuschen wie einen Schutzschild vor seine Brust. Jetzt war Barny richtig besorgt. Normalerweise machte sein Partner mit Leuten, die ihn so angingen, kurzen Prozess.

Ungeduldig stemmte die Frau die Hände in die Hüften. »Was? Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?«, schnauzte sie den zur Salzsäule erstarrten Ex-Polizisten unwillig an.

Endlich kam etwas Leben in Eddies lange Gestalt. Er drückte den Hundekorb noch fester gegen seine Brust.

»Ich, äh … habe nie … ich meine, ich habe keine Bullenmasche«, stammelte er und Barny gab einen abgrundtiefen Seufzer von sich. Langsam wurde das Ganze hier richtig peinlich. Was war nur in seinen Partner gefahren?

Die Frau musterte Eddie aus schmalen Augen. Ihre Miene entspannte sich dabei deutlich. Sie nickte nachdenklich. »Gut. Dann verstehen wir uns also!« Ihr Blick fiel auf das Hundehäuschen.

»Netter Farbton übrigens«, grinste sie plötzlich und Eddies Ohren färbten sich noch einen Ton dunkler.

Sie wandte sich ab, um zu ihrem Bus zu laufen, aus dem inzwischen Mr. Tambourine Man heraus dröhnte, als sie sich noch einmal zu Eddie umdrehte. »Mein Name ist übrigens Molenbeck. Ellen Molenbeck«. Sie zwinkerte erheitert. »Sie dürfen mich Ellen nennen. Auf eine gute Nachbarschaft dann.«

Ellen Molenbeck war schon längst wieder im Nachbarhaus verschwunden, als Eddie aus seinem katatonischen Zustand erwachte. Und das auch nur, weil Barny ihn vorsichtig mit der Nase anstieß.

»Was?« Eddie zuckte zusammen und starrte mit glasigen Augen auf die Hundehöhle in seinen Händen. »Auspacken, genau«, murmelte er vor sich hin. »Der Mops … Klara … – verdammt, ich muss sie ja gleich noch zum Bahnhof bringen.« Sein Blick fiel auf Barny und Craddock, die ihn aufmerksam beobachteten. Er nickte ihnen zu. »Los jetzt, wir haben nicht ewig Zeit, um diesen ganzen Krempel bei uns unterzubringen.«

Während Craddock wie ein beiger Gummiball euphorisch vor Eddie ins Haus hüpfte, blieb Barny hinter seinem Partner, um ihn besser im Auge behalten zu können. Er verwettete sein geliebtes Samstagabend-Steak darauf, dass Eddie in spätestens zwei Tagen diesem bösartigen Infekt erlag. So fahrig und zerstreut hatte er ihn noch nie erlebt.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis das Auto ausgeladen war. Im Haus konnte Eddie sich dann nicht entscheiden, wo er das Hundehäuschen platzieren sollte, und ständig unterbrach er seine Arbeit, um zur Terrassentür zu laufen und in den Garten zu starren.

Barny nahm sich fest vor, seinen Partner auf jeden Fall daran zu hindern, am nächsten Tag seine obligatorische morgendliche Fünf-Uhr-Früh-Rennrunde zu absolvieren. In diesem Zustand musste sich Eddie unbedingt etwas schonen. Er war schließlich auch nicht mehr der Jüngste. Und bei dieser Hitze konnte es nicht gesund sein, sich die Seele aus dem Leib zu rennen.

Als Eddie eine gute Stunde später aufbrach, um Klara zum Bahnhof zu bringen, war Barny ziemlich dankbar dafür, dass er ihn und den Mops nicht mitnahm. Eddie hatte die Terrassentür offengelassen und Barny wollte sich für eine Weile unter die Hecke zurückziehen, wo er sich eine tiefe und angenehm kühle Mulde gegraben hatte. Die Hitze machte ihm ziemlich zu schaffen und die letzten beiden Stunden hatten gehörig an seinen Nerven gezehrt. Es verunsicherte ihn, seinen Partner in einem so desolaten Zustand zu sehen. Und Craddocks ermüdende Begeisterung gab ihm den Rest.

Der Mops, dem die Hitze erstaunlich wenig auszumachen schien, hatte sich damit vergnügt, seine unzähligen Spielsachen aus den Taschen zu zerren, die Eddie in eine Zimmerecke gestellt und dort vergessen hatte. Voller Begeisterung hatte er sie dann an – seiner Meinung nach – strategisch günstigen Plätzen verteilt.

Wohin Barny auch sah, überall lagen nun bunte Strick- und Häkeltiere im Raum herum. Das hässliche Hundehäuschen erschwerte den Weg in den Garten und zu allem Übel hatte sich Craddock nach getaner Arbeit auch noch völlig erschöpft in Barnys Lieblingsecke auf der Couch zusammengerollt. Er war sofort eingeschlafen und schnarchte nun lauter als Frau Herzig.

Vier Wochen, sinnierte Barny trübselig, während er in den Garten schlich, um den Mops ja nicht wieder aufzuwecken. Er hatte ganz gewiss keine Lust, auch noch seine Hecke mit der kleinen Nervensäge zu teilen.

»Na, was hat dir denn so die Stimmung verhagelt, Bullenschnüffler?«, erklang eine samtige Stimme über ihm aus dem Geäst der alten Schwarzkiefer. »Lass mich raten! Mein kleiner, unterbelichteter Mitbewohner ist mal wieder zur Höchstform aufgelaufen.«

Mit einem eleganten Sprung landete eine schlanke, graublaue Gestalt direkt vor Barny im Gras. Barny fühlte sich so erschöpft, dass er sich nicht einmal darüber ärgerte, dass er Dollys Anwesenheit nicht bemerkt hatte. Seit Klaras Katze regelmäßig in seinem Garten auftauchte, hing ihr Geruch hier ständig in der Luft. Und eins musste er ihr lassen. Sie war definitiv eine absolute Meisterin im Anschleichen.

»Er ist gerade mal vor zwei Stunden bei uns eingezogen«, stöhnte Barny resigniert. »Und ich erkenne unsere Wohnung jetzt schon nicht wieder.«

Dolly lachte nicht ohne Mitgefühl. »Du musst dich irgendwie daran gewöhnen und dir ein noch dickeres Fell wachsen lassen. Anders kommt man diesem chaotischen Dussel nicht bei, glaub mir. Wie kommt dein Mensch damit klar?«

»Keine Ahnung.« Barny zog unwillig die Lefzen hoch. »Mit Eddie stimmt was nicht. Er hat Moppel einfach machen lassen, was ihm gar nicht ähnlich sieht. Ihm geht’s ziemlich dreckig. Diese verdammte Grippe.«

»Jetzt mach dir mal nicht ins Fell«, gurrte Dolly spöttisch. »Das wird schon wieder. So ein kleiner Infekt bringt den nicht um. Und immerhin hast du dann selbst ein bisschen Ruhe und musst nicht die ganze Zeit hinter ihm herhetzen.«

»Ruhe?«, knurrte Barny. »Mit Moppel im Haus?«

»Stimmt auch wieder«, amüsierte sich Dolly. Sie horchte auf, als Eddies Auto vor dem Haus zu hören war, und kletterte blitzschnell die Kiefer empor. Noch bevor Barny seinen Partner begrüßen konnte, hatte sie wieder ihren versteckten Wachposten im Geäst eingenommen.

Eddie, der durch den Garten ins Haus gekommen war, ließ seinen Blick über die herumliegenden Spielsachen zum noch immer seelenruhig schnarchenden Mops auf der Couch wandern. Mit dem Anflug seines vertrauten Grinsens sah er auf Barny hinab. »Da haben wir ja einen wahrhaft beeindruckenden Wachhund dazubekommen, was, mein Junge?«

Barny wedelte erleichtert mit der Rute. Eddies Stimmung schien sich gebessert zu haben, während er seine Schwester zum Bahnhof gebracht hatte.

»Und? Ist hier inzwischen was Interessantes passiert?«, erkundigte sich sein Partner und starrte hinüber in den Garten des Nachbarhauses. Hier standen ebenfalls alle Fenster und Türen weit offen und aus dem Inneren erklang nun nicht nur das bereits vertraute Kindergeschrei, sondern auch noch sphärische Musik.

Eddie lauschte kurz und strich sich dann fahrig mit beiden Händen über die kurzgeschnittenen Haare. »Okay, jetzt wurde Bob Dylan also gegen Loreena McKennitt ausgetauscht.«

Beunruhigt spürte Barny, dass sein Partner schon wieder in diesen seltsam abwesenden Gemütszustand verfiel.

Er war ziemlich erleichtert, als die grelle Polizeisirene von Eddies Handy ertönte und ihn wirkungsvoll aus seiner Starre riss. Sogar Craddock wurde durch das durchdringende Geräusch aus dem Schlaf geholt. Mit einem schrillen Entsetzensschrei fuhr der Mops in die Höhe.

»Heinz, was gibt’s?«, meldete sich Eddie.

Als Barny sah, wie sich die Miene seines Partners verfinsterte, spitzte er die Ohren, um zu hören, was der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung so Unangenehmes zu berichten hatte. Natürlich hatte er die Stimme sofort erkannt. Sie gehörte zu Eddies langjährigem Freund und Kollegen, Kriminalhauptkommissar a. D. Heinz Eiblinger, der nur einen guten Kilometer entfernt im Seehofweg lebte. Und wie immer, wenn Barny diese Stimme hörte, beschleunigte sich sein Herzschlag und er war nahe daran zu hyperventilieren.

»…  am besten gleich kommen! Dann erzähle ich dir alles genau«, ertönte es aus dem Handy. »Wir müssen etwas tun und ich brauche deinen Rat, alter Freund.«

»Ich bin in einer Viertelstunde bei dir«, nickte Eddie grimmig. Sein Blick fiel auf den noch immer vor Schreck bebenden Mops. Er seufzte. »Aber ich bringe die Hunde mit. Hab grad erst Klaras Mops übernommen, du weißt doch, in Vertretung. Und der kleine Kerl sieht so aus, als sollte ich ihn im Moment nicht allein lassen.«

»Bring mit, wen immer du willst«, kam die Antwort. »Wenn du deinen Barny dazu bewegen kannst, mich zu besuchen, soll es mir Recht sein. Ich sorge auch dafür, dass Nelson eingesperrt ist.«

Barny spürte, wie sich bei diesen Worten das blanke Entsetzen in ihm ausbreitete. Sein Fell begann unkontrolliert zu zucken und ein beschämend jämmerliches Winseln entschlüpfte seiner Kehle.

Eddie beendete das Gespräch und kniete sich zu Barny hinunter. Er strich ihm beruhigend über den Kopf.

»Kein Grund zur Panik, Kumpel, aber heute muss es sein. Du schaffst das. Es wird Zeit, dass du endlich lernst, damit klarzukommen und deine Ängste abzulegen. So wie sich die Sache anhört, werden wir in nächster Zeit häufiger dort zu tun haben, und ich brauche dich dabei. Wir sind doch ein Team! Also los, Junge, lass mich nicht hängen.« Eddie deutete auf den Mops, der mit weit aufgerissenen Murmelaugen zu Barny starrte. »Außerdem musst du dem Kleinen da mit gutem Beispiel vorangehen. Sonst lässt er sich noch von deinen Ängsten anstecken, und das wollen wir doch nicht. Denk daran, wir beide sind nun in den nächsten Wochen für sein Wohlbefinden zuständig.«

2

Heinz Eiblinger wohnte einen guten Kilometer entfernt im Seehofweg. Barny war trotz der Hitze froh darüber, dass sich Eddie entschlossen hatte, das Auto für heute stehen zu lassen und die Strecke mit den Hunden zu Fuß zu gehen. Das gab ihm zumindest einen kleinen Aufschub, um seine Fassung wiederzugewinnen und sich mental auf das Kommende einzustellen.

Normalerweise nahm Eddie ihn nicht mit, wenn er seinen Freund zu Hause besuchte, da er Barnys Problem nur zu gut kannte. Schließlich war er damals ganz zu Beginn ihrer gemeinsamen Karriere bei der Polizeihundeführerstaffel nicht nur dabei gewesen, als Barny sich bei einem ihrer ersten Einsätze in einer Situation wiedergefunden hatte, die seinem schlimmsten Albtraum entsprungen war. Eddie hatte damals, ohne zu zögern, eingegriffen und ihm damit das Leben gerettet. Barnys Blick wanderte zu der langen, gezackten Narbe, die seither den linken Unterarm seines Partners verunzierte. Wie immer, wenn Barny an diesen Einsatz zurückdachte, glaubte er wieder kurz vor dem Erstickungstod zu stehen. Und das hässliche Knacken, mit dem ihm die Rippen brachen, klang ihm ebenfalls noch in den Ohren.

»Was ist mit diesem Herrn Heinz?«, winselte Craddock mit banger Stimme und riss Barny aus seinen Erinnerungen. Seit sie aufgebrochen waren, drückte sich der Mops so nah an Barnys Seite, dass er ihm dabei schon ein paar Mal unter die Pfoten geraten war. »Ist das ein böser, gefährlicher Mann? Aber Onkel Eddie würde uns doch nie zu einem bösen, gefährlichen Mann mitnehmen!«

»Wie kommst du denn wieder auf so einen Unsinn?« Barny versuchte, seiner Stimme den gewohnt souveränen Klang zu geben, um den Mops nicht noch stärker zu verunsichern.

»Du magst nicht zu diesem Herrn Heinz gehen, das merke ich doch genau«, kläffte Craddock wichtig. »Aber du machst es trotzdem wegen Onkel Eddie. Hast du Angst, dass ihm bei Herrn Heinz etwas passieren könnte?«

Barny stöhnte. »Der Mann heißt nicht Herr Heinz. Höchstens Herr Eiblinger, wenn du so förmlich sein willst. Und nein, er ist weder böse noch gefährlich, ganz im Gegenteil, also keine Bange. Und Eddie wird bei ihm sicher nichts Schlimmes zustoßen.«

»Aber warum willst du ihn dann nicht besuchen?«, bohrte Craddock hartnäckig weiter.

»Ich habe meine Gründe«, brummte Barny genervt.

»Und was sind das für Gründe?« Der Mops sah ihn beschwörend an. »Wir sind doch ein Team. Ich muss alles wissen, damit ich dir helfen kann. Also, warum magst du Herrn Heinz nicht?«

»Na gut«, erwiderte Barny zermürbt. »Wenn du es genau wissen willst, ist es nicht Heinz, mit dem ich ein Problem habe, sondern sein Mitbewohner.« Er blickte auf den Mops hinunter, der ihn keine Sekunde aus den großen Kulleraugen ließ. »Heinz beherbergt bei sich eine …«, er schluckte schwer, »… Schlange. Genau genommen eine Schwarze Rattennatter namens Nelson Mandela.«

»Oh weh!« Craddocks Nackenfalten bebten vor Furcht. »Das ist nicht gut, oder? Ich hab noch nie eine Schlange kennengelernt. Dieser Mandala muss ja richtig gruselig sein, wenn sogar du Angst vor ihm hast! Was hat er denn gemacht?«

»Er selbst hat gar nichts gemacht«, knurrte Barny unwillig. Er konnte es gar nicht leiden, wenn man von ihm behauptete, er hätte vor irgendetwas Angst. Aber dummerweise stimmte das in diesem Fall nun mal. »Er liegt einfach nur immer faul in seinem Terrarium herum und verpestet die Luft mit seinem widerwärtigen Schlangengestank.«

»Dann magst du also nicht zu Herrn Heinz, weil seine Schlange stinkt«, versuchte Craddock nicht sehr erfolgreich das Gehörte in einen Zusammenhang zu bringen.

»Verdammt, Moppel, es geht nicht ums Stinken, sondern darum, dass ich Schlangen allgemein nicht ertragen kann«, brach es aus Barny heraus.

Beinahe war er froh darüber, dass sie mittlerweile vor Heinz Eiblingers Haus angekommen waren, und die lästigen Fragen des Mopses damit endlich ein Ende hatten.

Sie wurden schon erwartet, denn die Haustür öffnete sich, noch bevor Eddie klingeln konnte. Ewa, Heinz Eiblingers Haushaltshilfe, die sonst durch nichts aus der Ruhe zu bringen war, wirkte heute regelrecht aufgelöst.

»Das ist jetzt aber höchste Zeit, dass Sie kommen«, begrüßte sie Eddie. »Herr Eiblinger ist völlig außer sich, seit er diesen Brief bekommen hat!«

»Jetzt lassen Sie ihn doch erst einmal hereinkommen«, erklang im Hintergrund eine sanfte Stimme. Eine schmale Gestalt im Rollstuhl tauchte am Ende des Hausflurs auf. »Hallo Eddie«, begrüßte Heinz Eiblinger den Freund. Sein Blick fiel auf Barny, der angespannt hinter seinem Partner stand und krampfhaft versuchte, nicht zu tief einzuatmen. »Es ist gut, Barny«, lächelte er beruhigend. »Du bist ein tapferer Bursche. Komm her und begrüße einen alten Freund und Kollegen!«

Vorsichtig näherte sich Barny dem Mann im Rollstuhl. Er mochte Heinz Eiblinger und freute sich immer, wenn er und Eddie sich mit ihm trafen – außerhalb seines Hauses. Aber er konnte einfach nicht verstehen, warum sich ein so gebildeter und kultivierter Mann ausgerechnet mit einer Schlange abgeben musste.

Barny kannte Eddies früheren Kollegen, seit er vor sieben Jahren zu seinem Partner gekommen war. Schon damals war Heinz Eiblinger nicht mehr im aktiven Dienst gestanden. Nach der Schussverletzung, die er sich vor vierzehn Jahren bei einem Einsatz zugezogen hatte, und die ihn seither an den Rollstuhl fesselte, war er in den Ruhestand versetzt worden.

»Was ist das für eine üble Sache, in die du da hineingeraten bist?« Wie üblich hielt sich Eddie nicht lange mit Höflichkeiten auf, wenn es darum ging, ein Problem zu lösen.

»Lass uns erst einmal hineingehen. Ewa hat uns eine schöne, kühle Limonade angesetzt«, meinte Heinz Eiblinger, der nun überschwänglich von Craddock begrüßt wurde. Nachdem er den Mops ausgiebig gestreichelt hatte, wendete er den Rollstuhl und fuhr zurück ins Wohnzimmer. »Dann werde ich dir alles erzählen.«

Barny, der sich unauffällig etwas zurückfallen ließ, folgte langsam mit eingezogener Rute nach. Er war nur einmal vor einigen Jahren hier gewesen, doch zu seinem Bedauern hatte sich seither nicht viel verändert. Noch immer beherrschte das riesige Terrarium eine ganze Wand des Zimmers. Und noch immer hing dieser dumpfe Gestank nach Reptilien, feuchtem Sand und der Todesangst von Kleinnagern in der Luft.

Bei ihrem Eintritt schob sich ein flacher, schwarzer Schädel aus einer Höhle des gewaltigen Kletterbaumes, der das Terrarium dominierte. Neugierig züngelte die Rattennatter in ihre Richtung – und Barny erstarrte.

Verdammt! Dieses Biest ist in den letzten Jahren ja gewaltig gewachsen, schoss es ihm durch den Kopf.

Als hätte das Vieh seine Gedanken gelesen, schwenkte der keilförmige Schädel in Barnys Richtung. Die starren, schwarzen Augen mit dem toten Ausdruck hefteten sich auf ihn und ein leises Winseln stieg in ihm hoch.

»Hallo du! Bist du dieser Mandala-Dings?«, japste Craddock vor Aufregung noch atemloser als sonst, und wackelte vorsichtig näher an das Terrarium heran. Barny fiel vor Schreck über die Unbedarftheit des Mopses beinahe der Unterkiefer herunter. Er wollte den Kleinen warnen, doch die ausdruckslosen schwarzen Augen lähmten nicht nur seinen Körper, sondern auch seine Gedanken.

Der Mops war inzwischen bei der Glasscheibe angekommen und bewegte freundlich den Ringelschwanz. »Du willst uns nichts tun, nicht wahr? Dir ist bestimmt nur langweilig, weil du die ganze Zeit in diesem Glashaus rumliegen musst. Ich bin Craddock und das ist mein Partner Barny. Wir sind Polizeihunde und wollen deinem Herrn Heinz helfen bei …« Craddock stockte kurz und blickte fragend zu Barny. »Bei was wollen wir eigentlich helfen?«

Die Augen der Natter wanderten von Barny zu Craddock, und endlich konnte sich Barny wieder bewegen.

»Lass ihn in Ruhe, Moppel, und sieh ihm vor allem nicht in die Augen«, knurrte er den Mops besorgt an. »Er versteht dich sowieso nicht. Mit Schlangen kann man nicht sprechen. Die ticken anders als wir. Und wenn man ihnen zu lange in die Augen sieht, wird man ganz wirr im Kopf.«

»Oh weh!«, schnaufte Craddock mitfühlend. »Das ist ja furchtbar! Der arme Mandala. So ganz allein. Und keiner da, mit dem er sprechen kann. Kein Wunder, dass er so böse guckt und uns die ganze Zeit die Zunge rausstreckt.«

Barny stöhnte. »Das ist seine Art zu riechen. Aber jetzt vergiss mal die Schlange und lass uns zuhören, weshalb wir hier sind.«

Eddie hatte inzwischen bei seinem Freund am Tisch Platz genommen und schlürfte Ewas kalte Limonade, während sich Heinz Eiblinger ein Paar Einweghandschuhe überstreifte und nach einer Plastiktüte griff.

»Ich denke, alles hat mit meinem Manuskript zu tun, an dem ich gerade arbeite«, begann er mit sorgenvoller Miene.

»Du meinst dein Buch über die Cold-Case, für das du seit einem Jahr recherchierst?«, vergewisserte sich Eddie.

Seit Heinz Eiblinger in den Ruhestand versetzt worden war, beschäftigte er sich voller Hingabe mit Baden-Württembergs Polizeigeschichte. Er hatte bereits einige Sachbücher herausgegeben. Sein aktuelles Werk handelte von sogenannten Cold-Cases, also Ermittlungsverfahren nach Tötungsdelikten, die in der Vergangenheit nicht aufgeklärt werden konnten.

»Da war doch letzte Woche ein großer Artikel über dich in der Zeitung«, erinnerte sich Eddie.

»Genau.« Heinz Eiblinger seufzte. »Und ich fürchte, es war genau dieser Artikel, der die ganze Sache ins Rollen gebracht hat.« Er reichte Eddie ebenfalls ein Paar Handschuhe und zog vorsichtig einen Briefbogen aus der Tüte. »Vorhin kam meine Tochter Sabine zu mir und brachte diesen Brief, auf dem nur mein Name stand, nichts weiter.« Eiblinger holte auch das Kuvert heraus. »Sabine hat wie üblich mit Mika seinen Schulranzen ausgeräumt, du weißt schon, damit keine alten Vesperdosen darin vergessen werden und so weiter. Und dabei fand sie diesen Brief. Mika hatte keine Ahnung, wie der da hineingekommen ist. Also hat sie den Brief zu mir gebracht. Verschlossen. Sie weiß also nicht, was drin steht. Im Moment nimmt sie noch an, dass er von der Schule kommt. Die wissen dort, dass Mika an den Werktagen immer bei mir ist, weil seine Eltern beide arbeiten, und haben sich schon häufiger direkt an mich gewandt. Sabine musste dann ja auch gleich wieder gehen und hatte keine Zeit darauf zu warten, dass ich den Brief öffne.« Eiblinger schüttelte bekümmert den Kopf. »Die jungen Leute haben es immer so eilig. Aber ich wollte sowieso erst mit dir sprechen, bevor ich jemand anderem davon erzähle.«

Eddie faltete den Brief auseinander und starrte auf das, was dort geschrieben stand. »Wenn das Buch veröffentlicht wird, stirbt der Junge. Wenn die Polizei eingeschaltet wird auch!«, las er laut vor. Er blickte mit finsterer Miene auf. »Mit dem Jungen ist dein Enkel Mika gemeint.«

Eiblinger nickte. »Davon können wir ausgehen. Schließlich war es sein Schulranzen, in dem der Brief gefunden wurde.«

»Auf welche Schule geht der Kleine nochmal?«, erkundigte sich Eddie mit diesem ganz besonderen Gesichtsausdruck, der Barny zeigte, dass sie ab sofort an einem neuen Fall arbeiteten.

»Mika ist jetzt zehn und geht in die vierte Klasse der Plattenwaldschule. Nach den Sommerferien wechselt er dann in eine weiterführende Schule.«

»Hast du schon mit ihm gesprochen, wer alles an seinen Schulranzen herankommen konnte?«, fragte Eddie weiter, während er die Handschuhe auszog und nach seiner alten Kladde griff, die er stets in der Beintasche seiner schlammfarbigen Cargohose mit sich trug.

»Nein. Wie gesagt, ich habe den Brief erst erhalten und den Jungen seither nicht gesehen. Aber nachher kommt er zu mir, weil seine Eltern noch geschäftlich unterwegs sind. Da wollte ich mit ihm sprechen.« Eiblinger sah auf seine Uhr. »In einer Stunde wird er hier sein. Er ist immer sehr pünktlich. Wenn du so lange bleibst, kannst du dir seine Geschichte mit anhören. Aber bis dahin«, er deutete auf den Brief, den Eddie wieder in die Tüte gepackt hatte. »Was hältst du davon?«

»Nun ja …« Eddie massierte gedankenverloren seine Stirn. »So wie sich das anhört, wird der Erpresser erst tätig werden, wenn dein Buch herausgegeben wird. Also besteht zunächst einmal keine unmittelbar akute Gefahr für den Jungen. Wie weit bist du mit dem Manuskript? In dem Artikel hieß es, du bist so gut wie fertig.«

»Abgabetermin ist in drei Wochen.« Heinz Eiblinger seufzte. »Es soll noch vor Weihnachten herauskommen.«

»Das gibt uns dann etwas Luft, um selbst erst einmal die Fühler auszustrecken«, murmelte Eddie.

Eine Weile herrschte Stille.

»Zwei Wochen«, nickte Eddie schließlich entschlossen. Sein Blick wanderte zu Barny. »Gib uns zwei Wochen, dann schauen wir, was wir bis dahin haben und entscheiden, wie es weitergeht. Was ist mit den Eltern?«

»Wie gesagt, bisher wissen sie von nichts.« Eiblinger strich sich gedankenverloren über die Stirn. »Ich denke, ich warte zunächst ab, ob mich Sabine auf den Brief anspricht. Dann sage ich ihr natürlich die Wahrheit. Aber wenn sie nicht fragt, möchte ich sie nicht unnötig beunruhigen. Sie hat genug um die Ohren. Und je weniger bei so einer Sache Bescheid wissen, umso geringer ist die Gefahr, dass der Erpresser beunruhigt wird.«

»Gut.« Eddie nickte. »Aber wenn wir in zwei Wochen nichts Stichfestes in der Hand haben, müssen wir es offiziell werden lassen, das weißt du.«

»Natürlich weiß ich das.« Der Mann im Rollstuhl lächelte gequält. »Wir haben den Leuten ja oft genug gepredigt, dass die Polizei in jedem Fall eingeschaltet werden muss, wenn es um Erpressung geht. Aber die Sache sieht dann doch ganz anders aus, wenn man selbst davon betroffen ist. Ich liebe den Jungen. Und ich werde alles tun, damit er nicht in Gefahr gerät. Das Buch ist mir da völlig egal. Ich kann natürlich die Veröffentlichung stoppen und werde das auch tun. Nur – da draußen läuft ein Krimineller herum, der meinen Enkel bedroht! Er darf damit nicht durchkommen. Es muss auf jeden Fall etwas unternommen werden!«

»Das sehe ich genauso.« Eddie kritzelte in seine Kladde. »Dieser Zeitungsartikel, der das wohl ins Rollen gebracht hat, hast du den noch? Ich erinnere mich nicht mehr ganz genau, was da alles stand. Aber darin waren ein paar der Fälle erwähnt, die du recherchiert hast, nicht wahr?«

Eiblinger nickte und rollte zu einem Sideboard, auf dem eine Zeitung lag.

»Ich hatte denselben Gedanken«, meinte er. »Einer dieser Fälle könnte dem Erpresser gegen den Strich gegangen sein und ihn dadurch auf den Plan gerufen haben.« Er reichte Eddie die Zeitung. »Ich schreibe in meinem Buch über insgesamt sechs der spektakulärsten Kriminalfälle, die sich in den letzten fünfzig Jahren in Baden-Württemberg ereignet haben, und die nicht aufgeklärt werden konnten. In dem Zeitungsartikel wurden drei davon kurz vorgestellt.«

»Dann sollten wir unsere Nachforschungen zunächst auch auf diese drei Fälle beschränken«, meinte Eddie nachdenklich, während er den Artikel überflog. »Wenn wir bei denen keine Hinweise finden, müssen wir auch noch die anderen Fälle beleuchten. Sicher gibt es Personen, die über den ganzen Inhalt deines Buches Bescheid wissen.«

»Ja, die Kollegen, die mir bei der Recherche geholfen haben, und die Leute vom Verlag«, bestätigte Eiblinger. »Ich musste dort natürlich ein Exposé einreichen. Aber das ist eine ganze Weile her. Ein Erpresser aus diesen Reihen hätte also schon viel früher davon erfahren und aktiv werden können.«

»Er hätte aber mit einem früheren Erpresserbrief den Kreis der Verdächtigen auf die wenigen Personen eingeschränkt, die den Inhalt des Buches kennen«, sinnierte Eddie, der sich bereits im totalen Ermittlermodus befand.

Die Sommergrippe schien für den Augenblick vergessen, was Barny so erfreute, dass er die stechenden Blicke des Reptils in seinem Rücken fast schon verdrängen konnte.

»Dagegen hat sich der verdächtige Personenkreis jetzt, nachdem diese Fälle öffentlich gemacht wurden, erheblich erweitert, was für den Täter von immensem Vorteil ist«, fuhr Eddie fort und rieb sich die Nase. »Aber trotzdem sagt mir mein Bauchgefühl, dass es tatsächlich erst dieser Artikel war, der dem Erpresser die Initiativzündung für sein Handeln gegeben hat. Also kümmern wir uns zunächst einmal um diese drei Fälle.« Er tippte auf die Zeitung. »Da hast du dir ja ein paar ganz heftige Dinger ausgesucht. Der Feuergeist von Rothenheim, der Gift-Cocktail-Mörder und der Juwelenvollstrecker … wirklich schwere Kost. Und alle haben sich in den späten 70ern und frühen 80ern abgespielt. Das heißt, jeder dieser Täter könnte heute noch in einem Alter sein, in dem er aktiv werden kann.« Erneut widmete sich Eddie dem Zeitungsartikel. »Ich erinnere mich an alle drei Fälle«, brummte er. »Ich war zu der Zeit frischgebackener Polizeimeister. Das ging monatelang durch die Presse. Von keinem der Täter gab es auch nur die kleinste Spur. Ich weiß noch, wie damals über die unfähige Kripo hergezogen wurde.« Eddies Miene verfinsterte sich. »Das waren üble Zeiten. Der Terror durch die RAF und jede Menge Häuserbesetzungen mit gewalttätigen Demonstrationen. Und dann auch noch diese ungelösten Tötungsdelikte. Die Menschen waren verängstigt und brauchten mal wieder einen Sündenbock.« Er seufzte. »Es gibt nichts Schlimmeres als solche kaltblütigen Morde, bei denen der Täter davonkommt! Wie viele Opfer waren es damals genau?«

Eiblinger deutete auf einen gewaltigen Papierstapel, der das Sideboard zierte. Daneben stand eine ähnliche Pinnwand, wie in Eddies Küche. Verschiedene Zettel und Fotos steckten im Kork. »Soweit ich das aus den Akten entnehmen konnte, hatte der Serienbrandstifter eine Person auf dem Gewissen. Dem Serienmörder fielen fünf Frauen zum Opfer und der Juwelenräuber erschoss bei seinen vier Raubüberfällen insgesamt neun Personen.«

Eddie pfiff durch die Zähne. »Das ist ja wirklich eine Hausnummer! Ich schätze, ich muss deine Unterlagen alle noch einmal durcharbeiten, damit ich entscheiden kann, wie ich die Sache am besten anpacke.«

»Davon bin ich ausgegangen, mein Freund«, nickte Eiblinger müde. »Zwei Paar Augen sehen mehr als eines. Du weißt, dass ich dir sehr dankbar für deine Unterstützung bin.«

Eddie winkte nur ab. Er hasste es, wenn man ihm dankte. »Ist doch selbstverständlich! Ich werde mich zu Hause gleich dransetzen.«

Vor dem Hauseingang erklangen leichte Schritte und Barny gab ein leises Brummen von sich. Dann ertönte auch schon die Klingel. Craddock brach automatisch in schrilles Freudengebell aus. Dabei schien es ihn nicht im Geringsten zu interessieren, dass er sich in einer ihm völlig fremden Umgebung befand und keine Ahnung hatte, wen er da gerade so euphorisch begrüßte.

»Nanu, Mika ist heute aber besonders früh dran«, meinte Eiblinger mit einem Blick zur Uhr. Besorgt wandte er sich an Eddie. »Ich möchte nicht, dass der Junge beunruhigt wird, also sollten wir vorsichtig bei der Befragung sein.«

»Das kannst du gern versuchen«, brummte Eddie skeptisch. »Aber wenn der Junge etwas Grips hat, wird er sich schon zusammenreimen können, dass sich zwei erwachsene Männer nicht wegen eines unbedeutenden Dummejungenstreichs so intensiv mit der Sache beschäftigen.«

Eiblinger seufzte. »Du hast recht. Mika ist alles andere als dumm. Ganz im Gegenteil. Er interessiert sich sehr für meine Arbeit und möchte später auch zur Kripo gehen.«

Die Tür wurde aufgerissen und ein zierlicher Junge kam hereingestürmt. Als Craddock ihm kläffend entgegenraste, strahlte sein schmales Gesicht auf. Eine Weile war nichts zu hören als nervenzerfetzendes Gebell und begeisterte Freudenrufe. Barny, der sich wegen Eddies Kopfschmerzen sorgte, wollte Craddock schon etwas zügeln. Doch dann bemerkte er, dass der Krach nicht nur Eddie, sondern auch die Schlange so nervte, dass sie endlich mit dem zermürbenden Starren aufhörte und sich wieder in ihre Baumhöhle zurückzog. Also entschied er sich, Craddock weiter seinem Freudentaumel zu überlassen.

»Mika ist ein absoluter Hundefan«, erklärte Eiblinger seinem Freund, als der Lärm allmählich abklang. »Er wünscht sich schon seit Jahren einen eigenen Hund, aber da ist bei meiner Tochter und meinem Schwiegersohn nichts zu machen. Ein Hund würde so gar nicht in ihre Lebensplanung passen. Der bindet sie zu sehr an. Und die Urlaube, die sie machen, sind auch nicht gerade geeignet für Hunde.«

»Hm«, brummte Eddie nichtssagend, doch Barny glaubte, darin leise Missbilligung herauszuhören.

Mika kam nun langsam mit Craddock an seiner Seite auf die Männer zu. Vor Barny blieb er respektvoll stehen. Mit großen Augen starrte er auf Barnys Halsband, auf dem die Aufschrift Polizeihund im Einsatz eingraviert war.

»Das ist ein echter Polizeihund, nicht wahr?«, erkundigte er sich ehrfürchtig. »Die darf man nicht einfach so streicheln.«

»Man sollte überhaupt keine fremden Hunde einfach so streicheln, ohne vorher den Besitzer zu fragen«, bemerkte Eddie. Als er jedoch den schuldbewussten Blick sah, den der Junge auf den Mops neben sich warf, wurde seine Miene milder. »Na ja, bei dem kleinen Kerl hier hattest du ja keine andere Wahl, Junge, also lass nicht gleich den Kopf hängen. Hätte ich nicht gewollt, dass du den Mops streichelst, hätte ich ihn zurückhalten müssen. Und was Barny angeht, kannst du ihn auch begrüßen. Er hat sicher nichts dagegen.«

Barny bewegte zustimmend die Rute und ließ es zu, dass Mika ihm vorsichtig über den Kopf strich.

»Boah, bist du groß!«, entfuhr es dem Jungen. Er sah Eddie sehnsüchtig an. »Ich hab noch nie nen Schäferhund gestreichelt. Der kann sicher gut auf Sie aufpassen.«

»Das kann er in der Tat«, lächelte Eddie. So wie es aussah, gefiel ihm der Junge. Er warf Eiblinger verstohlen einen auffordernden Blick zu und dieser nickte.

»Mika, das ist mein Freund Eddie Hartmann«, begann er vorsichtig. »Er hat wie ich bei der Polizei gearbeitet. Wir wollen dich etwas wegen des Briefs fragen, den ihr heute in deinem Schulranzen gefunden habt.«

»Wieso?« Der Junge, der sich bereits wieder fasziniert zu Barny umgewandt hatte, blickte auf. »Was ist mit dem Brief?«

Barny glaubte, einen trotzigen Unterton in seiner Stimme zu hören.

»Hast du irgendeine Idee, wie der in deine Tasche gekommen sein könnte?«, überging Eddie Mikas Frage.

»Das hab ich Mama schon gesagt.« Jetzt war der Trotz unüberhörbar. »Aber sie glaubt mir ja mal wieder nicht. Sie denkt, ich hab einfach vergessen, dass der mir ausgeteilt wurde. Aber das hab ich nicht! Den hat mir niemand gegeben. Ehrlich!«

»Ich glaube dir, mein Junge«, beschwichtigte Eiblinger seinen empörten Enkel. »Wir denken auch, dass jemand dir den Brief heimlich in die Tasche gesteckt hat. Und deshalb müssen wir genau wissen, wer die Gelegenheit dazu hatte.«