Bäuerin sucht Frau - Eike Tonsen - E-Book

Bäuerin sucht Frau E-Book

Eike Tonsen

5,0

Beschreibung

Auf dem Wiestrupper Dorffest kommt jemand auf die Idee, für die Bäuerin Rieke Olthus einen Mann zu suchen im Stil von "Bauer sucht Frau", so richtig mit Casting und allem Drum und Dran. Rieke ist entsetzt und will die Sache abblasen, schließlich ist sie immer noch lesbisch. Doch dank Social Media wird die Sache zum Selbstläufer, und es wird sogar die Fernsehjournalistin Svenja Rasmussen hingeschickt, um eine Reportage zu machen. Ganz Städterin mit Stöckelschuhen und Abneigung gegen alles Ländliche prallen Rieke und sie sofort unsanft aufeinander. Riekes einsames Bäuerinnendasein ist endgültig dahin, als eine PR-Managerin auftaucht und Rieke groß rausbringen will, denn damit ist das Chaos perfekt – während die männlichen Kandidaten bereits ahnungslos Schlange stehen, kann sich Rieke plötzlich auch vor weiblichen Verehrerinnen kaum retten ...

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Eike Tonsen

BÄUERIN SUCHT FRAU

Roman

© 2019édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-294-7

Coverfoto:

1

»Wieso machst du denn schon wieder ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter?« Insa setzte sich neben ihre Freundin Rieke auf die wackelige Holzbank und schob ihr ein randvolles Glas Bier hin.

Um sie herum wurde laut gelacht und geplaudert. Alt und Jung – ganz Wiestrup feierte sich selbst.

»Danke.« Rieke nahm das Glas und drehte es gedankenverloren hin und her.

»Also, was für eine Laus ist dir über die Leber gelaufen? Es ist Dorffest, Rieke. Du musst auch mal abschalten und ein bisschen Spaß haben. Prost.« Sie stieß mit ihrem eigenen Bierglas gegen Riekes und trank es halb aus. Dann atmete sie geräuschvoll aus und wischte sich genüsslich den Mund mit dem Handrücken ab. »Das habe ich gebraucht. Und es schmeckt noch besser, weil ich es nicht selbst zapfen musste. Na los, trink. Und dann zeigen wir den Jungbauern auf der Tanzfläche mal, wo der Hammer hängt.«

Sie zeigte mit dem Daumen hinter sich auf den Marktplatz, um den herum zahlreiche grün- und gelblackierte Bänke und Tische aufgestellt worden waren, die damit eine improvisierte Tanzfläche abgrenzten, auf der sich bereits hopsend und lachend ein paar Wiestruper und Gäste aus den umliegenden Dörfern vergnügten.

Rieke schnaubte amüsiert und blickte ihre Freundin mitleidig an. »Das letzte Mal, als du mit den Jungbauern um die Wette getanzt hast, musste ich dich ins Krankenhaus nach Leer fahren, weil du dir den Mittelfußknochen gebrochen hattest. Nee, lass mal. Mir ist auch gar nicht so recht nach tanzen.«

Insa stellte ihr Bierglas ab und setzte sich rittlings auf die Bank, um Rieke direkt anzusehen. »Na, los. Spuck’s aus. Was ist denn?«

»Ach, nichts.«

»Komm mir nicht mit solchen Ausflüchten.« Insa wurde ernst. »Ist etwas mit dem Hof? Bist du pleite?«

Rieke riss die Augen auf und schaute ihre Freundin entsetzt an. »Das ist das Erste, was dir einfällt, wenn ich einen kleinen Durchhänger habe? Danke, dass du so ein großes Vertrauen in meinen Geschäftssinn hast«, spottete sie. »Mal abgesehen davon, meinst du im Ernst, ich würde in aller Seelenruhe auf ein Dorffest gehen, wenn mein Hof pleite wäre? Nee, mit dem Hof ist alles in Ordnung. Habe gerade gestern die Bestätigung bekommen, dass meine Grün- und Ackerflächen ausreichen, um den Bestand an Milchkühen noch zu verdoppeln.«

»Das ist eine gute Nachricht, nehme ich an?«

»Ja, an sich schon.«

»Aber?«

»Ich kann nicht fünfzig Kühe auf einmal hinzukaufen. Wie soll ich denn das bezahlen?«

Insa wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. »Eine berechtigte Frage. Aber mich würde eher interessieren, wie du gedenkst, hundert Kühe jeden Morgen ganz allein zu melken.«

»Meine Schwester ist ja auch noch da.«

»Aber habt ihr euch die Arbeit nicht sowieso schon bis zum Anschlag aufgeteilt? Die Felder bestellen sich auch nicht von allein. Das sagst du doch selbst immer, wenn ich dich mal auffordere, mit mir zum Shopping nach Leer zu fahren.«

Rieke zuckte die Schultern. »Muss ich halt jemanden einstellen.«

»Nee, mien Deern, dat musst du nich.« Fiete Dierksen, Insas Vater, beugte sich über den Tisch, um ein paar leere Gläser abzuräumen. »Wat du dringend brauchst, mien Deern, dat is ’n Bauer. Auf ’n anständigen Hof gehört ’n Bauer.«

Rieke warf Insa einen vorwurfsvollen Blick zu, sagte aber nichts.

»Lass mal gut sein, Vadder, die Rieke weiß schon, was sie tut.«

Fiete schüttelte den Kopf und wedelte mit den leeren Gläsern in der Luft herum. Reste von Bier verteilten sich großzügig über die Tische. »Dat is nich gesund, so alleen. Een hübsches Mädchen, wie du dat bist.«

Seine Frau kam vorbei und nahm ihm mit tadelndem Blick die leeren Gläser ab. »Anstatt hier zu sabbeln, solltest du lieber mal hinter den Tresen gehen. Das Bier zapft sich nicht von allein, Fiete Dierksen. Die Leute haben Durst.«

Fiete verzog das Gesicht und tat, was seine Frau ihm geheißen. Klara Dierksen folgte ihrem Mann auf dem Fuß und hielt ihm unterwegs noch einen Vortrag, was er darüber hinaus alles erledigen sollte. Die beiden hatten ihr Wirtshaus, den Wiestruper Hof, direkt am Marktplatz und verdienten immer gut an den Dorffesten. Das hielt sie aber nicht davon ab, ständig miteinander zu streiten.

Rieke hegte heimlich den Verdacht, dass es den beiden Spaß machte. »Und das ist dann die Erfüllung?«, fragte sie lachend und blickte den beiden nach.

Insa winkte schmunzelnd ab. »Meine Eltern sind vielleicht nicht gerade repräsentativ, was eine langfristig erfüllende Beziehung angeht.«

»Ich glaube, sie sind typischer, als wir wahrhaben wollen. Nee, lass mal. Dann stelle ich lieber jemanden ein. Dem kann ich kündigen, wenn er mir auf die Nerven geht.«

Fiete kam mit frisch gezapften Biergläsern zurück. Während er sie vor den beiden Frauen abstellte, guckte er sich schnell nach allen Seiten um, ob seine Frau in der Nähe war. »Wir suchen ‘nen Bauer für dich. So wie die dat in Feernsehn machen. Bauer sucht Frau.« Er strahlte Rieke an und nickte eifrig, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.

Insa rollte mit den Augen und warf Rieke einen entschuldigenden Blick zu. »Vadder, Rieke möchte sich vielleicht selbst aussuchen, mit wem sie zusammen ist.«

»Dat is dummes Zeug. In früheren Zeiten haben dat auch de Ollen gemacht.«

»Aber du bist nicht ihr Vater, Vadder. Lass mal die Rieke das schön selbst machen.«

Insa klang inzwischen ziemlich verzweifelt und peinlich berührt, weil ihr Vater sich nicht abwimmeln ließ. Die anderen Leute, die auch an dem langen Tisch saßen, waren mittlerweile ebenfalls hellhörig geworden und lauschten dem Gespräch amüsiert. Es war offensichtlich, dass sie zu dem Thema früher oder später ihre Meinung kundtun würden. Die beiden Bäuerinnen vom Olthus-Hof waren immer wieder mal das Ziel von Verkupplungsversuchen gewesen, daran hatten sie sich inzwischen gewöhnt und nahmen es nicht mehr ernst. Aber der Vorschlag von Fiete Dierksen war nun wirklich zu grotesk.

Rieke seufzte innerlich und nahm einen kräftigen Schluck Bier.

»Ich finde die Idee deines Vaters gut, Insa«, erklärte prompt die alte Annegret, die seit dreißig Jahren beim Fleischermeister Bolte hinter der Ladentheke stand und seit beinahe ebenso vielen Jahren darauf hoffte, dass der Witwer sie endlich heiratete. »So allein einen Hof zu bewirtschaften, das ist doch nichts für eine junge Frau wie dich, Rieke. Und in den kalten Winternächten, da will man doch auch nicht allein sein.«

Insa trat Rieke unter dem Tisch gegen das Schienbein und stand auf. »Ich habe Hunger. Wie ist es mit dir?«

»Ja, mir knurrt auch der Magen«, erklärte Rieke dankbar und stand ebenfalls auf.

Sie schlenderten hinüber zur Bratwurstbude, die Fleischermeister Bolte für solche Dorffeste vor seinen Laden schob. In Wiestrup befanden sich die wenigen Geschäfte, die es überhaupt gab, alle am Marktplatz, was solche Feierlichkeiten angenehm unkompliziert machte.

Rieke hoffte, dass das leidige Thema nun endlich erledigt war.

Aber ihre Freundin war offenbar noch nicht fertig damit. »Weißt du, so peinlich das Gerede von meinem Vater und der alten Annegret auch ist, in einem Punkt haben sie immerhin recht«, meinte Insa leise.

»Ach ja?« Rieke blickte sie zweifelnd von der Seite an.

»Du solltest nicht allein sein. Eine Frau in den besten Jahren.«

Rieke warf ihrer Freundin einen spöttischen Seitenblick zu. »Ist man mit siebenundzwanzig in den besten Jahren?«, fragte sie zweifelnd.

»Bestimmt.«

»Und was ist dann mit dir? Sind mit achtundzwanzig die besten Jahre schon vorbei? Ich sehe bei dir auch keinen Ehemann weit und breit.«

Insa winkte ab. »Das ist was anderes. Ich muss nur eines Tages das Gasthaus übernehmen. Kann man ja wohl kaum mit einem Bauernhof vergleichen.«

»Du meinst, als Wirtin, da kommen die besten Jahre erst später?«

»Ja, spotte du nur. Aber ich merke sehr wohl, dass du vom eigentlichen Thema ablenkst. Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du schon gern eine Beziehung hättest.«

Rieke blieb stehen und blickte sich nach allen Seiten um, bevor sie beinahe flüsternd weitersprach. »Und wie stellst du dir das vor, wie das gehen soll? Außer dir und meiner Schwester weiß doch hier im Dorf keiner Bescheid. Das wäre eine Katastrophe. Als dein Vater gerade eben etwas faselte von Bauer sucht Frau, da kriegte ich schon einen Schrecken, er könnte es herausgefunden haben.«

»Ach, komm. Selbst wenn, so schlimm würde es schon nicht werden.«

Rieke schnaubte verächtlich und winkte ab. »Wie viele Lesben kennst du denn, die in der norddeutschen Tiefebene ihr Coming-out in einem Fünfhundert-Seelen-Dorf haben?«, fragte sie leise, aber nachdrücklich.

»Jetzt übertreibst du aber.«

»Ach, wirklich?«

»Auf jeden Fall. Wiestrup hat mindestens zweitausend Einwohner.«

•••

»Sag mal, Rieke, was ist denn gestern auf dem Dorffest los gewesen?« Janne schaute ihre ältere Schwester über die Kaffeetasse hinweg prüfend an.

Rieke verstand nicht, wie ihre kleine Schwester es immer wieder schaffte, sich anzuhören wie die Großmutter, die früher sonntags nach der Kirche die Predigt abfragte. »Wieso? Was meinst du?«

»Ich komme heute Morgen nichtsahnend in die Bäckerei, und da fragt mich die Frau Freytag doch glatt, ob du eher auf dunkelhaarige oder blonde Männer stehst. Rothaarig schien sie bereits kategorisch ausgeschlossen zu haben, ebenso wie kahlköpfig.« Janne lachte laut auf. »Hast du eine Erklärung dafür?«

Rieke knallte geräuschvoll ihre Kaffeetasse auf den Unterteller und ließ sich stöhnend auf ihrem Stuhl zurücksinken. »Das kann doch nicht wahr sein!«

»Muss ich raten, oder kommt da noch eine längere Erklärung?« Janne nahm sich ein Brötchen und schnitt es auf. Während sie erst Käse und dann noch Rübenkraut darauf verteilte, blickte sie ihre Schwester immer wieder amüsiert und abwartend an.

Rieke betrachtete kopfschüttelnd, was ihre kleine Schwester mit ihrem Brötchen veranstaltete. »Wie kannst du das nur essen?«

»Lenk nicht ab. Also?«

Rieke seufzte schwer und ließ die Schultern hängen. Janne würde keine Ruhe geben, bis sie alles erfahren hatte. Kleine Schwestern konnten wirklich die Pest sein. Dass sie umgekehrt natürlich genauso neugierig war, wenn es um Janne ging, musste sie an dieser Stelle ja nicht unbedingt erwähnen. Überhaupt war das natürlich etwas völlig anderes. Als ältere Schwester musste sie sich zwangsläufig um Jannes Wohlergehen sorgen, auch wenn sie nur vier Jahre voneinander trennten und Janne strenggenommen sehr gut auf sich allein aufpassen konnte.

»Ich warte, Rieke.«

»Musst du nicht die Kühe melken?«, versuchte sie es ein letztes Mal.

»Schon erledigt. Was meinst du denn, wann ich aufgestanden bin? Wir können uns ja nicht alle bis tief in die Nacht auf Dorffesten vergnügen. Nächstes Mal bin ich wieder dran, dann kannst du mir eine Moralpredigt halten. Aber jetzt will ich endlich hören, was es mit dieser kryptischen Andeutung von Frau Freytag auf sich hat. Wieso will sie etwas über deinen Männergeschmack wissen? Zumal du keinen hast?«

»Keinen Geschmack? Oh, vielen Dank auch.«

»Rieke«, stöhnte Janne übertrieben. »Du weißt schon, was ich meine. Je mehr du dich zierst, umso neugieriger werde ich, das ist dir doch klar, oder? Du verheimlichst mir doch etwas.«

Rieke wollte angesichts dieser Unterstellung protestieren, aber Janne lachte und winkte ab, daher gab sie schließlich seufzend auf und berichtete über das absurde Gespräch vom Abend zuvor. »Insas Vater kam gestern auf den geradezu grotesken Gedanken, dass er mir einen Bauern suchen könnte. Da Mama und Papa tot sind, hat er sich bereiterklärt, den Job zu übernehmen. In früheren Zeiten hätten das schließlich auch immer die Eltern gemacht, meinte er.«

Janne schüttelte ungläubig den Kopf. »Früher hat man den Mond auch jeden Abend per Hand an den Himmel gekurbelt. Was ist denn das für ein Blödsinn?«

Rieke grinste. »Sag ich doch.«

»Na gut, das war das Gefasel von Fiete Dierksen gestern Abend, aber wieso redet dann die Bäckersfrau heute Morgen davon? Frau Freytag machte wirklich den Eindruck, als habe das Thema für sie oberste Priorität.«

»Wahrscheinlich, weil Fiete Dierksen seinen Sabbel nicht halten konnte. Er meinte, man müsste das so machen wie im Fernsehen bei Bauer sucht Frau.«

Janne klappte der Unterkiefer runter. »Ach du meine Güte. Und da hast du nicht sofort lautstark widersprochen?«

Rieke ruderte hilflos mit den Armen in der Luft herum und fegte dabei beinahe ihre Kaffeetasse vom Tisch. »Was hätte ich denn sagen sollen? Lass mal gut sein, Fiete, ich stehe nur auf Frauen?«

»Zum Beispiel.« Janne grinste und biss genüsslich in ihr Rübenkraut-Käse-Brötchen.

»Wie oft müssen wir das noch diskutieren? Die Leute im Dorf hatten schon Mühe, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich den Hof unserer Eltern in einen Biohof umgestaltet habe. Wenn sich die Bäuerin dann auch noch als lesbisch herausstellt, kann ich den Laden gleich zumachen.«

»Ich glaube, die Dorfleute sind nicht so püttjerig.«

»Ich glaube aber sehr wohl, dass sie so engstirnig sind. Und selbst wenn sie es mir nicht ins Gesicht sagen, so würde es ihr Verhalten mir gegenüber trotzdem beeinflussen, wetten? Jedenfalls will ich das Risiko nicht eingehen. Unser ganzes Geld steckt in diesem Hof, Janne. Wir können es uns nicht leisten, das aufs Spiel zu setzen.«

»Stattdessen willst du dem ganzen Dorf lieber weiterhin vorspielen, dass du einen Bauern suchst.«

»Tue ich doch gar nicht. Das war Fietes Idee, nicht meine.«

»Aber widersprochen hast du ihm auch nicht.«

»Insa hat es versucht. Er hat gar nicht zugehört. Und als sich die alte Annegret auch noch eingemischt hat, war sowieso schon alles zu spät.«

Jannes Handy gab ein Signal von sich. Sie legte ihr Brötchen auf den Teller und schaute nach, wer ihr eine Nachricht geschickt hat.

»Kannst du das Ding nicht wenigstens beim Frühstücken mal in der Tasche lassen?«, maulte Rieke. »Das ständige Gepiepe und Gesumme geht mir auf den Geist.«

Aber Janne hatte nicht zugehört. Mit offenem Mund starrte sie auf das Display ihres Smartphones. Dann warf sie Rieke ein schiefes Grinsen zu. »Äh . . . ich glaube, da ist jemand ein wenig übers Ziel hinausgeschossen.« Sie hielt Rieke das Handy hin.

»Was ist das? Was sehe ich denn da? Janne, was soll das? Ist das unser Hof? Woher kommt denn das Foto? Und wieso steht da Bäuerin sucht Kerl? Im Ernst? Was soll das?« Riekes Stimme überschlug sich vor Aufregung. Sie hatte Janne das Handy aus der Hand gerissen und war aufgesprungen.

Janne zuckte die Schultern, konnte sich aber ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Ich versteh’s doch auch nicht. Aber es sieht so aus, als hätte jemand Nägel mit Köpfen gemacht und eine Facebook-Seite für die Suche nach deinem Bauern eingerichtet.« Sie nahm ihrer Schwester das Handy wieder weg und tippte auf der Facebookseite herum. »Oh Mann, das glaubst du nicht. Die Leute klicken wie blöde darauf und verschicken den Link an Typen, die sich bei dir bewerben sollen. Das ist ja der helle Wahnsinn!«

Rieke warf die Hände in die Höhe und blickte flehend zur Decke ihrer Küche. »Mit wat hebb ik dat verdient?«

2

»Moin!«

Rieke zuckte erschrocken mit dem Kopf hoch und knallte schmerzhaft von unten gegen das schwere Holzregal, das an der Wand des Schuppens angebracht war. Verärgert rieb sie die schmerzende Stelle und drehte sich um.

In der halbgeöffneten Tür des Schuppens stand ein junger Mann, die Hände in den Taschen eines Blaumanns vergraben, und grinste sie schief an. »‘Tschuldigung. Wollte dich nicht erschrecken. Bist du Rieke?«

Rieke schob die Kiste mit den Schrauben und Muttern wieder zurück ins Regal, wo sie gerade nach einem Ersatzteil für den Traktor gesucht hatte, und ging hinüber zu dem Fremden. »Und wer will das wissen?«

Sie wollte nicht unfreundlich klingen, aber sie hatte jetzt wirklich keine Zeit, um mit fremden Leuten zu quatschen. Sie war ohnehin schon viel zu spät dran, weil der blöde Traktor mal wieder aufmuckte.

»Auf dem Foto hast du irgendwie anders ausgesehen. Ich bin übrigens Hinnerk.« Er zog seine rechte Hand aus der Hosentasche und hielt sie ihr hin.

Etwas zerstreut griff Rieke danach und schüttelte sie. Dann erst bemerkten beide, dass sie ölverschmiert war.

»Tut mir leid«, sagte sie halbherzig.

»Macht nichts. Gehört auf einem Hof wohl dazu«, bemerkte Hinnerk und schob die Hand wieder in die Tasche des Blaumanns.

»Wenn du was kaufen willst, der Hofladen macht in einer halben Stunde auf«, erklärte Rieke noch immer irritiert. Das Verhalten des jungen Mannes war merkwürdig. »Da im Haupthaus.« Sie zeigte auf das größere Gebäude neben der Scheune.

»Danke, aber deswegen bin ich nicht hier. Aber natürlich gucke ich mir gern alles an, wenn du mir den Hof zeigen willst. Wie viele Mitarbeiter hast du denn so?«

Rieke hatte irgendwie das Gefühl, nicht auf der Höhe des Geschehens zu sein. »Äh, habe ich irgendetwas verpasst?« Sie zog einen schmutzigen Lappen aus der hinteren Tasche ihrer Arbeitshose und versuchte, wenigstens den gröbsten Dreck von den Händen zu putzen.

»Na, so richtig motiviert klingt das aber nicht. Ist das ein Test, wie ich auf die Masche grummelige Bäuerin reagiere? Gibt es eigentlich eine versteckte Kamera? Wird das aufgezeichnet?« Er blickte neugierig suchend an die Decke des Schuppens.

»Hinnerk. Es war doch Hinnerk? Schau, ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Aber ich würde jetzt wirklich gern meiner Arbeit nachgehen. Wenn du im Laden was kaufen willst, dann hilft meine Schwester dir sicher gern weiter. Ansonsten, schönen Tag noch.«

Sie schob sich an ihm vorbei aus dem Schuppen und hakte demonstrativ den Riegel der Holztür ein, um ihm zu signalisieren, dass er hier nichts zu suchen hatte.

»So wird das aber nicht klappen, einen Bauern zu finden.«

Rieke war schon ein paar Schritte fort, blieb aber nun abrupt stehen und drehte sich zu Hinnerk um. »Wie war das?«

Er zuckte die Schultern. »War das nur ein Werbegag für den Hofladen, oder was?« Inzwischen klang er ziemlich patzig.

Rieke gab sich nicht mehr die Mühe, noch allzu höflich zu bleiben. »Du hast genau drei Minuten, um mir zu erklären, wovon du redest. Sonst lasse ich den Hund frei.« Sie nickte Richtung Hoftor. Dass Jagdhund Wahnfried eher verspielter Natur war und Fremde stets wie alte Freunde begrüßte, musste sie ihm ja nicht sagen.

Hinnerk schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist ja wohl ein schlechter Scherz, oder? Was sollte das denn alles auf Facebook? Von wegen Bäuerin sucht Kerl. Verarschen kann ich mich allein.« Wütend stapfte er davon.

Erst jetzt bemerkte Rieke ein Mofa, das neben dem Tor zum Hof abgestellt war. »Warte mal!«, rief sie und eilte ihm nach. »Bist du wirklich wegen dieser bescheuerten Sache im Internet herkommen?«

Er nickte, ging aber stumm weiter zu seinem Mofa.

Rieke blieb stehen und blickte ihm nach, als er bald darauf knatternd vom Hof fuhr.

»Das kann nicht gut ausgehen«, stöhnte sie und raufte sich die Haare.

•••

»Na, wie läuft das Geschäft?«

Rieke musste sich zusammenreißen, um Pfarrer Tidjen nicht ein paar unhöfliche Worte an den Kopf zu werfen. Aber ihre Laune war wirklich im Keller.

Seit dem Vormittag war sie nach Hinnerk noch von zwei weiteren hoffnungsvollen Jungbauern besucht worden, die den schlechten Scherz auf Facebook wohl ernstgenommen hatten. Und einige Dorfbewohner hatten es sich nicht nehmen lassen, sie im Hofladen aufzusuchen und nachzufragen, ob sich denn schon Kandidaten gemeldet hätten.

Die Sache hatte sich offenbar verbreitet wie ein Lauffeuer. Dorfklatsch war auf jeden Fall schneller als Highspeed-Internet.

»Welches Geschäft meinen Sie?«, fragte sie daher kurzangebunden. Wenn sich der Pastor jetzt auch noch an diesem unwürdigen Spektakel beteiligte, dann würde sie den Laden einfach zumachen und mit dem Traktor nach Leer fahren, um sich in einem Hotel einzuquartieren. Keine schlechte Idee eigentlich. Sie konnte dringend mal ein paar Tage Urlaub gebrauchen. Aber natürlich ging das nicht. Ein Bauer machte niemals Urlaub.

»Allgemein den Hof.«

Der Pastor sah ein wenig irritiert aus, offenbar hatte er von dem ganzen Internetkram gar nichts mitbekommen.

Sofort wurde Rieke freundlicher. »Läuft ganz gut. Werde jemanden einstellen müssen, wenn ich Milchkühe zukaufe.«

»Das klingt doch gut. Woher kommt dann die tiefe Sorgenfalte auf der Stirn? Du und deine Schwerer, ihr seid doch gesund?«

»Ja, ja«, antwortete Rieke ein wenig abwesend. »Sagen Sie, Herr Pfarrer, haben Sie schon mal was von Facebook gehört?«

Pfarrer Tidjen verzog ein wenig missmutig das Gesicht. »Am Rande. Manch einer meiner Kollegen ist ja der Ansicht, dass wir Gemeindepfarrer uns auch im Internet tummeln sollten, nach dem Motto: Wo die Schäfchen sind, da sollst auch du hingehen. Aber ich persönlich halte nichts davon. Meine Schäfchen besuche ich doch lieber noch vor Ort.«

Eigentlich hätte Rieke diese Einstellung für rückständig gehalten. Aber im Augenblick betrachtete sie die Sachlage von einer gänzlich anderen Position und war dem Pfarrer geradezu dankbar für seine Haltung.

Sie musste unbedingt herausfinden, wer das Ganze angezettelt hatte, um es sofort wieder zu unterbinden.

»Was darf es denn dann heute sein?«, fragte sie und zeigte auf die Kisten, in denen ihre aktuellen Ernteerzeugnisse zum Verkauf ausgestellt waren.

»Äpfel brauche ich. Meine Frau will backen. Säuerlich sollen sie sein.« Er reichte ihr einen Stoffbeutel über den Tresen. »Zwei Kilo bitte.«

Rieke machte große Augen.

Pfarrer Tidjen winkte lachend ab. »Bin mit dem Fahrrad da, keine Sorge.«

Während sie die Äpfel abwog und in den Beutel packte, sah sie aus dem Augenwinkel ihre Schwester aus dem Stall kommen, den Blick fest auf das verfluchte Handy gerichtet.

In der Zeitung las man ständig, dass Deutschland im Hinblick auf Internetverbindungen eher rückständig war. Wieso konnte in Wiestrup kein Funkloch sein?

»Rieke?«

»Hm?«

»Ich würde dann gern bezahlen.«

»Oh.«

»So in Gedanken versunken?«

»Hm-hm«, machte sie unverbindlich.

»So ein Hof ist schon eine ziemliche Verantwortung«, meinte der Pastor mitfühlend. »Aber ich finde es toll, wie ihr das schafft, du und deine Schwester.«

»Danke.«

»Aber für zwei junge Frauen ist es auch ein bisschen einsam, oder nicht? Einfach mal ausgehen ist da nicht drin.«

Rieke biss sich auf die Zunge und nahm stumm das Geld für die Äpfel entgegen. »Darf es sonst noch was sein, Herr Pfarrer?«, fragte sie dann etwas ungeduldig.

»Früher hast du im Chor gesungen.« Er klang beinahe vorwurfsvoll.

»Dafür habe ich jetzt keine Zeit mehr«, erwiderte Rieke ohne rechtes Bedauern. Sie hatten eigentlich die meiste Zeit mit Sabbeln und weniger mit Singen verbracht. Nicht auszudenken, welchem Klatsch und Tratsch sie da jetzt ausgesetzt wäre.

»Schade. Für den Bibelkreis kann ich dich wohl erst recht nicht gewinnen, nehme ich an.«

»Nein.« Sie lächelte ihn unverbindlich an.

Der Pfarrer schien wohl endlich zu spüren, dass er hier heute nichts mehr gewinnen konnte, und verabschiedete sich schnell.

Rieke wusste, er würde es ihr nicht übelnehmen, wenn sie so kurzangebunden war. Sie hatte eigentlich immer Zeitdruck, er war das schon gewöhnt. Seine gutgemeinten Bemerkungen erinnerten sie daran, dass sie früher deutlich mehr am sozialen Leben des Dorfes teilgenommen hatte, und wenn sie ehrlich war, dann fehlte ihr das schon ziemlich.

Auch wenn es nicht unbedingt das war, was ihr als Freizeitgestaltung vorschwebte, war es doch besser, als jeden Abend am Traktor herumzuschrauben, damit er einen weiteren Tag durchhielt, oder auch noch den hundertsten Artikel über nachhaltige Landwirtschaft zu lesen, obwohl sie längst fit war in dem Thema und selbst Vorträge darüber hätte halten können.

Aber es gab immer irgendetwas zu tun oder zu recherchieren. Sie wollte vielleicht eine Fotovoltaikanlage installieren, um eigenen Strom zu produzieren, oder sich neue Einkommensfelder erschließen durch Tourismus und Gastronomie. Stillstand bedeutete Rückschritt. Sie musste sich immer wieder umschauen und auf dem Laufenden bleiben. Da blieb einfach keine Zeit mehr für Vergnügungen irgendeiner Art.

Dass sie gestern auf dem Dorffest gewesen war, hatte nur an Insas Hartnäckigkeit gelegen. Eigentlich hätte sie genug Arbeit gehabt. Aber auch Janne hatte darauf bestanden, dass sie wenigstens mal für ein paar Stunden abschaltete und sich amüsierte.

Ihre kleine Schwester arbeitete ebenso hart wie sie auf dem Hof, schaffte es aber dennoch, hier und da kleine Freiräume für sich zu gewinnen. Nur sie selbst kriegte das irgendwie nicht hin.

Und langsam wuchs ihnen beiden die Arbeit wirklich über den Kopf. Sie brauchten eine Hilfskraft auf dem Hof. Wenn noch mehr Kandidaten auftauchten, um sie als Bäuerin abzuchecken, würde sie ihnen stattdessen einfach einen Job anbieten. Ohne Familienanschluss. Spätere Heirat garantiert ausgeschlossen.

3

»Svenja? Kommst du mal in mein Büro?«

Programmchef Mattmann stand in der Tür seines Büros und winkte Svenja zu sich. Sie nickte, speicherte seufzend auf ihrem Computer ab, woran sie gerade gearbeitet hatte, und warf dem ihr gegenüber sitzenden Kollegen Jörn einen vielsagenden Blick zu.

»Vielleicht hat er ja eine Enthüllungsstory für uns«, flüsterte Jörn über seinen Schreibtisch gebeugt.

»Schön wär’s«, seufzte Svenja.

Sie arbeitete seit einigen Monaten für den unabhängigen Internetsender deichland.tv, und bisher war von großen Storys nichts zu sehen gewesen.

Der kleine Sender bestand aus einem winzigen Aufnahmestudio, einem Großraumbüro für die knapp ein Dutzend Mitarbeiter und dem separaten Raum für Gregor Mattmann, der sich gern aufführte, als leite er CNN oder die BBC, aber nicht einen YouTube-Kanal hinterm Deich. Leer war nicht Manhattan, aber das sah Mattmann offenbar anders. Zumindest benahm er sich so, als würden hier die großen News gemacht. Aber weder das Equipment noch die Storys wurden diesen Ansprüchen gerecht.

Sie stand auf und nahm ihr Tablet mit. Sie hatte die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, in diesem kleinen Laden professionell arbeiten zu können. Und sie wollte sich nicht eingestehen, dass es vielleicht ein Fehler gewesen war, den großen Sendern den Rücken zu kehren, in der Hoffnung, bei einem aufstrebenden Kleinunternehmen in den neuen Medien noch mal durchzustarten.

Bisher hatte sie langweilige Reportagen über Leute gemacht, die entweder selbst einen YouTube-Kanal betrieben oder zumindest irgendwie beruflich mit dem Internet zu tun hatten.

Zuletzt hatte sie live von einem E-Sport-Turnier berichtet. Sie hatte sich von Kameramann Jörn erst einmal erklären lassen müssen, was E-Sport überhaupt ist.

Ihr Entsetzen, in einer stickigen, dunklen Halle zu stehen und halbwüchsigen Jungs dabei zugucken zu müssen, wie sie gegeneinander auf ihren Computern spielten, hatte sie nur mit Mühe vor laufender Kamera verbergen können.

Wenn Gregor Mattmann sie noch einmal zu seinem solchen Event schickte, würde sie kündigen. Da hätte sie ja auch gleich bei dem Lokalblatt bleiben können, wo sie dereinst ihre Ausbildung gemacht hatte, um über das Jahrestreffen der Geflügelzüchtervereine zu berichten. Dafür war sie aber nicht Journalistin geworden.

»Komm rein«, sagte Mattmann mit einladender Geste und zeigte auf die Thermoskanne auf dem Tisch. »Kaffee?«

»Nein, danke.«

Sie nahm Platz, schlug die Beine übereinander und blickte ihren Chef abwartend an. Besser, sie machte sich nicht allzu große Hoffnungen.

Mattmann schüttete sich selbst eine Tasse ein, goss Milch dazu, rührte hochkonzentriert um, trank einen Schluck und stellte die Tasse wieder ab.

Svenja hätte sie ihm am liebsten aus der Hand genommen und gedrängelt. Aber sie wusste aus Erfahrung, dass ihr Chef einen Hang zur Dramatik hatte und gern den großen Zampano spielte. Also zwang sie sich zur Ruhe und sah ihm stumm bei seinem Ritual zu.

Endlich faltete er die Hände, legte sie platt vor sich auf den Tisch und schaute Svenja ernst an.

Sie wurde nun doch ein wenig nervös. Wollte er sie etwa rauswerfen? So schlecht war ihre Reportage vom E-Sport-Turnier nun auch wieder nicht gewesen. Die Online-Community hatte eigentlich recht positiv darauf reagiert.

»Svenja«, begann er. »Wir werden Neuland betreten. Das wird etwas ganz Großes. Bahnbrechend.« Er nickte, als müsse er es sich selbst bestätigen.

Sie verkniff sich jede spöttische Bemerkung und schaute ihn weiterhin aufmerksam an. Für ihn war jede seiner Ideen etwas ganz Großes. Leider sahen die Zuschauerzahlen nicht immer danach aus.

»Ich bin gestern über etwas auf Facebook gestolpert, das wird der Hammer. Der große Clash of Cultures unseres Zeitalters.«

Svenja hob fragend eine Augenbraue, sagte aber weiterhin nichts. Gregor Mattmann benutzte immer hochtrabende Formulierungen, auch wenn es um Belanglosigkeiten ging.

»Hier.« Er schob ihr seinen Laptop über den Tisch.

»Facebook«, sagte Svenja. »Das gibt es aber schon eine Weile. Oder soll ich etwa nach Amerika fliegen und Zuckerberg interviewen? Wegen dem Datenschutzkram?« Sie wagte es kaum zu hoffen.

Mattmann winkte ab. »Zuckerberg, ach was. Nein, guck dir die Seite mal an, die ich aufgerufen habe.« Er wedelte mit dem Finger vor dem Bildschirm herum.

»Eine Facebook-Fanseite. Bäuerin sucht Kerl.« Svenja blickte auf und schaute ihren Chef etwas ratlos an. »Und?«

»Eine Bäuerin sucht einen Mann«, sagte er, als rede er mit einer Dreijährigen.

»Ja, ich bin des Lesens durchaus mächtig.« Langsam verlor sie die Geduld. Warum konnte er nicht einfach sagen, was er von ihr wollte?

»Das ist doch der Hammer! Guck dir mal die Zahl der Klicks an! Irgendwo hinterm Deich sitzt eine Bäuerin auf ihrem Hof und benutzt die sozialen Medien, um sich ganz emanzipiert einen Bauern zu suchen. Das sind das moderne Zeitalter und das Mittelalter gleichermaßen.«

Svenja musste ein verächtliches Schnauben unterdrücken. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bäuerin den Hof mit mittelalterlichen Gerätschaften betreibt und den Pflug von einem Rind über den Acker ziehen lässt.« Sie überflog den Text der Facebookseite. »Im Gegenteil. Scheint ein moderner Biohof zu sein. Von wegen Mittelalter.«

»Aber die dörfliche Gemeinschaft! Svenja, da steckt eine Riesenstory drin, das spüre ich.«

Wieder schluckte sie eine bissige Bemerkung herunter. Mattmann mochte es nicht, wenn man an seinem Ego kratzte. »Und was genau erwartest du nun von mir?«

»Nimm Jörn mit und fahrt in dieses Kaff. Ich will die Jungbauern sehen, die sich bewerben. Ich will die alten Dorfleute, die nicht mal wissen, was Facebook ist und sich die Haare raufen über solche Methoden in ihrer ländlichen Idylle. Ich will einen Pfarrer, der das Ende der Welt heraufbeschwört, den Verfall der Moral, den Untergang des Abendlandes, was weiß ich. Clash of Cultures eben. Mach was draus. Vielleicht gibt es ja sogar ein Happy End, eine echte Romanze für die Bäuerin zwischen Hühnerstall und Spargelfeld.«

Svenja betrachtete das Foto von Rieke Olthus. Hübsch sah sie aus. Vom Wind zerzaustes, schmutzig-blondes Haar, lachend in die Sonne blinzelnd. Typisch, dachte sie. Solche Frauen suchen immer einen Kerl, nie eine Frau.

»Noch Fragen?«

Svenja wurde bewusst, dass sie etwas zu lange auf das Bild der jungen Bäuerin gestarrt hatte. »Wie lange sollen wir denn dableiben?«

»Idealerweise bis die Bäuerin ihren Kerl gefunden hat, aber natürlich nicht wochenlang. Versucht, die Spesenabrechnung knappzuhalten. Mein Budget ist begrenzt.«

Er machte ein Gesicht, als müsste er zum Wohle des Senders am Hungertuch nagen. Dabei war auf seiner Krawatte ein Fleck zu erkennen von seinem geliebten Krabbencocktail, den er sich häufig als zweites Frühstück gönnte.

Svenja sparte sich zum Thema Geld grundsätzlich jeglichen Kommentar, stand auf und verließ Mattmanns Büro.

»Und?« Kameramann Jörn schaute sie erwartungsvoll an.

Svenja versicherte sich mit einem Blick über die Schulter, dass Mattmann die Tür zu seinem Büro hinter sich geschlossen hatte. Dann erst warf sie das Tablet achtlos auf ihren Schreibtisch und setzte sich auf die Kante von Jörns Tisch.

»Ich sehe schon die Schlagzeile«, spottete sie. »Svenja Rasmussen, Enthüllungsjournalistin, berichtet live aus dem Kuhdorf XY. Schalten Sie auch morgen wieder ein, wenn die Bäuerin einen weiteren Kandidaten an die Melkmaschine lässt. Der ultimative Bauerntest.«

Jörn schaute sie mit einer Mischung aus Heiterkeit und Unverständnis an. »Hattet ihr beide da drin einen Schnaps oder zwei?« Er nickte Richtung Mattmanns Büro.

»Schön wär’s. Nee, mein Bester. Pack den Koffer. Wir beide machen eine Landpartie.«

Jörn riss begeistert die Augen auf. »Wohin geht es denn?«

»Gute Frage. Keine Ahnung, wie das Kaff heißt. Aber eines ist ganz sicher: Dort gibt es mehr Kühe als Einwohner. Und eine hoffnungsvolle Kuhhirtin möchte einen Bräutigam finden. Per Facebook.« Sie schüttelte ungläubig den Kopf.

»Könnte eine coole Story werden.«

Svenja stöhnte auf. »Jetzt fang du nicht auch noch an. Mattmann hat sich aufgespielt, als wäre es die Story des Jahrhunderts, ein Symbol für den ultimativen Anachronismus unserer Zeit.«

»Klingt nach hochtrabendem Geschwafel. Aber hey, was soll’s. Urlaub auf dem Lande. Holde Maids, die tanzend Blumenkörbe schwingen.« Er begann, seinen Oberkörper hin und her zu wiegen.

Svenja rollte die Augen. »Und jede Menge Kühe.«

»Sag mal, bist du als Kind mal in einen Kuhfladen geklatscht, oder woher kommt diese Abscheu? Die Landwirtschaft ist das Rückgrat unserer Gesellschaft«, deklamierte Jörn mit pathetischem Zittern in der Stimme.

Svenja grinste schief. »Warte ab, bis du die gesunde Landluft selbst riechst. Jauche, Gülle, Mist.«

»Erfahrungswerte?«

»Das kannst du laut sagen. Meine Eltern hatten früher so einen Alt-Achtundsechziger-Touch und waren damals der Ansicht, Klein-Svenja sollte mal Ferien auf einem Ponyhof machen. Natur ganz nah erfahren. Das Grauen.« Sie schüttelte sich.

Jörn jedoch zeigte sich unbeeindruckt. »Betrachte es als Chance, dein Kindheitstrauma therapeutisch aufarbeiten zu können. Ist doch super. Wann geht es los?«

»Hat Mattmann nicht gesagt. Aber ich gehe davon aus, dass wir heute noch eine Gnadenfrist bekommen, um Gummistiefel kaufen zu können. Morgen früh fahren wir los. Bis dahin weiß ich hoffentlich auch, wo dieses Kaff ist, das unser aller Karrieresprung sein soll.«

4

»Moin, Rieke.« Janne kam aus dem Kuhstall und deutete mit dem Daumen hinter sich. »Das Grünfutter ist fast alle. Soll ich rausfahren auf die Futterweide oder willst du?«

»Ich fahre raus. Bleib du mal lieber im Laden. Irgendwie machst du da mehr Umsatz als ich.«

Janne lachte laut auf. »Das liegt daran, dass du mit deinen Gedanken immer schon bei der nächsten Arbeit bist, die ansteht. Die Leute wollen auch mal sabbeln, da muss man sich eben Zeit für nehmen.«

»Genau das ist das Problem, Janne. Wir haben eigentlich keine Zeit für so Tüünkraam.«

Janne blickte ihre Schwester nachdenklich an. »Meinst du, wir haben uns übernommen mit dem Hof?« Sie hockte sich auf die Tränke vor dem Stall und blinzelte in die aufgehende Sonne.

Rieke seufzte und setzte sich dazu. Eigentlich wollte sie längst auf dem Weg zum Maisfeld sein. Aber manchmal brauchte ihre kleine Schwester ein wenig Bestätigung.

Mit dreiundzwanzig Jahren wollten die meisten Frauen lieber in die Stadt ziehen. Dass Janne nach dem Tod der Eltern auf dem Hof geblieben war, musste nicht bedeuten, dass sie hier den Rest ihres Lebens zu verbringen hatte.

»Wenn du mehr Zeit für dich haben möchtest, verstehe ich das vollkommen«, erklärte Rieke daher. Sie schaute Janne direkt ins Gesicht, damit sie sah, dass es ehrlich gemeint war. »Ich würde es dir sicher nicht übelnehmen.«

»Und dich allein mit allem sitzenlassen? Nee, kommt gar nicht in Frage. Wenn mir nach Tanzen ist, kann ich immer noch nach Leer fahren. Aber ehrlich gesagt, ich habe mich genug ausgetobt, als Mama und Papa noch lebten. Ich bin gern hier auf dem Hof. Allerdings habe ich den Eindruck, dass dir schon manchmal alles über den Kopf wächst. Du willst zu viel auf einmal.«

»Die Umstellung auf Bio ist eben aufwendig. Und wenn wir die Zertifizierung behalten wollen, müssen wir immer auf dem Laufenden bleiben. Es gibt immer noch so vieles, was wir umstellen könnten.«

»Aber nicht unbedingt müssen«, beharrte Janne. »Was schwebt dir denn jetzt noch vor?«

»Ich würde gern mehr Feldgemüse anbauen. Und Hühner haben wir auch zu wenige. Aber vor allem möchte ich gern wissen, was es uns kostet, wenn wir auf das Dach der Scheune eine Fotovoltaikanlage bauen. Stell dir mal vor, wir könnten unseren eigenen Strom produzieren.«

Janne schüttelte milde lächelnd den Kopf. »Du kannst gar nicht anders, was? Bevor du davon irgendetwas umsetzt, müssen wir aber wirklich jemanden einstellen. Mit Saisonkräften allein ist es dann nicht mehr getan.«

»Ich werde wohl eine Annonce in die Zeitung setzen müssen.«

»Oder du wartest einfach ab, ob sich nicht doch ein schicker Jungbauer findet.« Janne zog ihr Handy aus der Tasche ihrer schmutzigen Arbeitshose und wedelte damit vielsagend vor Riekes Gesicht herum. »Er muss ja nichts fürs Herz sein. Wenn er nur kräftig auf dem Hof mit anpackt, wäre uns doch schon geholfen.«

Rieke starrte ihre Schwester ungläubig an. »Du rätst mir allen Ernstes, ich soll jemanden heiraten, um die Lohnkosten zu sparen?«

»So haben’s die Bauern doch über Jahrhunderte gemacht.« Um Jannes Mundwinkel zuckte es verräterisch. Dann prustete sie los. »Mann, Rieke. Das war ein Scherz!«

»Bei dir bin ich mir da manchmal nicht sicher«, erwiderte Rieke, schmunzelte nun aber auch.

»Nein, nein. Nur die Liebe wird mich dazu bringen, jemals zu heiraten. Und natürlich sollte es dir auch so ergehen. Immerhin ist es ja nun erlaubt.«

Rieke winkte ab. »Ich muss nicht unbedingt heiraten. Es scheitert ja schon daran, überhaupt eine Partnerin zu finden. Was glaubst du denn, wie viele Lesben es gibt, die geradezu darauf brennen, sich auf einem Bauernhof von morgens bis abends die Hände schmutzig zu machen? Und jetzt auch noch das.« Sie zeigte auf das Handy in Jannes Hand.

Die nahm das als Stichwort und schaltete es ein. Sie tippte auf dem Display herum und machte auf einmal große Augen. »Wow, das nimmt echt riesige Ausmaße an. Die Online-Community diskutiert das Für und Wider der bisherigen Kandidaten.«

»Was für Kandidaten?«, fragte Rieke entsetzt. »Du meinst, da kommen noch mehr als nur dieser Hinnerk und die anderen beiden gestern, deren Namen ich mir nicht einmal habe merken können?«

Janne grinste breit. »Besser, du rechnest damit, dass die dir die Bude einrennen. Es haben sich offenbar einige Interessenten gemeldet.« Janne scrollte durch die Posts. »Hier, der sieht doch sympathisch aus. Und hat offenbar Erfahrung. Kommt von einem klassischen Hof, der aufgegeben wurde.« Sie hielt ihr das Handy hin.

Rieke sah das unscharfe Foto eines fröhlichen jungen Mannes in brauner Cordhose und Holzfällerhemd. »Das Outfit scheint immerhin angemessen zu sein«, meinte sie kopfschüttelnd. Sie konnte gar nicht glauben, was da vor sich ging.

Janne schob das Bild hin und her und las noch mehr Kommentare. »Das ist Maarten. Er bietet an, mal zur Probe zum Arbeiten zu kommen. Die anderen drei Kandidaten, die hier stehen, wollen mit dir essen gehen. Da klingt dieser Maarten doch schon deutlich handfester.«

»Janne, ich habe nicht vor, mich mit irgendeinem von diesen Männern zu treffen. Darf ich dich daran erinnern, dass das alles nicht auf meinem Mist gewachsen ist? Wer zum Teufel hat das Zeug eigentlich überhaupt ins Netz gestellt? Wer ist so frech, das über meinen Kopf hinweg zu machen?«

Janne zuckte die Schultern und hörte nur mit einem Ohr zu. Amüsiert las sie vor, was die Community zu den Kandidaten zu sagen hatte. »Alles in allem ist der Traumbauer noch nicht dabei, würde ich sagen.«

»Was für ein Blödsinn. Die Leute haben eindeutig zu viel Zeit.«

»Du hörst dich an wie eine alte Oma. Rieke, du bist gerade einmal siebenundzwanzig.«

»Und?«

»Geh mehr aus. Fahr mal nach Leer. Dann lernst du auch andere Frauen kennen. Und eine von denen ist dann die Richtige.«

Rieke seufzte schwer und stand auf. »Jetzt fahre ich erst mal raus auf die Futterweide.«

»Na, vielleicht meint das Schicksal es ja gut mit dir und lässt dir die richtige Frau vor den Traktor stolpern. Nimm den Hund mit. Hunde sind ideal zum Kennenlernen.«

•••

»Verfluchter Drecksmist«, schimpfte Rieke vor sich hin.

Das war jetzt das gefühlt hundertste Mal, dass sie anhalten und das Mähwerk vom Grünzeug befreien musste. Vielleicht hätte sie den Ladewagen für das Grünfutter doch nicht gebraucht kaufen sollen. Aber für ein neues Modell hatte das Geld nicht gereicht.

Sie kletterte vom Traktor und machte sich daran, den hydraulischen Verteiler am Mähwerk vom Grünzeug zu reinigen. Das würde den Rest ihres Tagesplans erheblich durcheinanderbringen. Aber die Kühe brauchten frisches Futter, daran war nicht zu rütteln.

Manchmal wünschte sie sich schon, jemand würde einfach vorbeikommen, ihr die Heugabel aus der Hand nehmen und sagen: Setz dich hin, ich mache das für dich. Aber damit war nicht zu rechnen. Selbst wenn sie aushilfsweise jemanden einstellte, würde immer noch jede Menge Arbeit für sie übrig bleiben.

An diese bescheuerte Internetsache wollte sie lieber gar nicht erst denken. Wenn sie diejenigen erwischte, die dafür verantwortlich waren, würde sie mit der Mistgabel anrücken, um denen mal gehörig ihre Meinung zu geigen.

Was sie am meisten daran ärgerte, war, dass die Idee zwar in ihrem Fall saublöd war, aber für vielbeschäftigte Leute auf dem Land vielleicht gar nicht mal so schlecht. Wäre im Dorf bekannt, dass sie nur auf Frauen stand, hätte man aus dem Projekt vielleicht etwas machen können. Aber sie hatte eben nie den Mut gehabt, sich zu outen.