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„Ich werde das bereuen. Definitiv. Ich werde mir bis an mein Lebensende vorhalten, nicht stark genug gewesen zu sein.“ Elias’ Gefühlswelt steht auf dem Kopf. Als Keyboarder der Erfolgsband KAJE hat er sich die Nächte bisher mit Frauen versüßt. Doch plötzlich ist da diese unerwartete Anziehung, die von seinem besten Freund ausgeht. So verlockend die Vorstellung auch sein mag, mit Vincent mehr als nur die Leidenschaft zur Musik zu teilen. Auf eine Affäre mit einem Mann wird er sich niemals einlassen. Vince unterdrückt seine Schwärmerei für Elias seit Jahren. Erst ein brutaler Überfall lässt seine sorgsam errichteten Schutzmauern wackeln. Ohne Perspektive in seiner Heimatstadt lässt er sich auf den Vorschlag ein, zu Elias nach Los Angeles zu ziehen. Schon bald nach seiner Ankunft muss er allerdings feststellen, wie gefährlich dieser Schritt für sein Herz ist. Dieses E-Book entspricht 254 Taschenbuchseiten.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1 – Vincent –
Kapitel 2 – Vincent –
Kapitel 3 – Elias –
Kapitel 4 – Vincent –
Kapitel 5 – Vincent –
Kapitel 6 – Elias –
Kapitel 7 – Vincent –
Kapitel 8 – Vincent –
Kapitel 9 – Elias –
Kapitel 10 – Vincent –
Kapitel 11 – Elias –
Kapitel 12 – Vincent –
Kapitel 13 – Vincent –
Kapitel 14 – Elias –
Kapitel 15 – Vincent –
Kapitel 16 – Elias –
Kapitel 17 – Vincent –
Kapitel 18 – Elias –
Kapitel 19 – Vincent –
Kapitel 20 – Elias –
Kapitel 21 – Vincent –
Kapitel 22 – Elias –
Kapitel 23 – Vincent –
Kapitel 24 – Elias –
Kapitel 25 – Vincent –
Kapitel 26 – Elias –
Kapitel 27 – Vincent –
Kapitel 28 – Elias –
Kapitel 29 – Elias –
Kapitel 30 – Vincent –
Kapitel 31 – Elias –
Kapitel 32 – Vincent –
Kapitel 33 – Elias –
Kapitel 34 – Vincent –
Kapitel 35 – Elias –
Kapitel 36 – Vincent –
Kapitel 37 – Elias –
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Impressum
Be my Mr. Right
Emily Frederiksson & Nicola Bailay
Copyright © 2022 Emily Frederiksson
2. Auflage 2023
Covergestaltung:
Art for your Book / Sabrina Dahlenburg
Korrektorat:
SW Korrekturen
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung und Verbreitung in jeglicher Form, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Personen und Handlung sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig.
„Jetzt komm endlich. Wir wollen anfangen!“ Elias fuchtelt wie ein Fünfjähriger auf Zuckerschock mit den Armen in der Luft herum und versucht mich dazu zu bewegen, meinen Platz an der Bar aufzugeben.
Ich muss grinsen. Ganz langsam, weil ich weiß, dass ihn das auf die Palme bringen wird, hebe ich mein Glas an die Lippen und trinke in aller Ruhe aus. Wer würde in meinem Alter schon ein Getränk mit einem extra Schuss stehen lassen?
Carl, der Barkeeper, kippt mir und den Jungs gelegentlich einen fingerhutvoll Hochprozentiges in die Cola. Natürlich nur, wenn niemand hinsieht. Wir haben jahrelang in den Sommercamps zusammen abgehangen. Das verbindet nachhaltig. Jetzt jobbt er hier, um Geld für seine kleine Familie zu verdienen. Mit Anfang zwanzig Vater zu werden, ist kein Zuckerschlecken. Aber er ist ein cooler Typ und rockt diese Kneipe.
„Vince, verdammt. Ich muss um zehn zu Hause sein. Beweg deinen Arsch hierher!“ Elias funkelt mich aufgebracht an.
Ich seufze, weil ich ihm so gut wie nichts abschlagen kann. Also stelle ich das Glas ab und setze mich in Bewegung.
Ohne den Blick von meinem besten Freund zu lösen, rutsche ich vom Barhocker, schiebe die Hände in die Hosentaschen und schlurfe zu den Jungs hinüber.
„Warum bist du so wild darauf, Pool zu spielen?“ Ich ziehe eine Augenbraue nach oben und weiß, dass ich einen wunden Punkt getroffen habe.
Elias funkelt mich an. Er ist brillant, wenn er an seinem Klavier sitzt. Aber mit einem Queue in der Hand … Trotzdem ist er immer wieder mit von der Partie. Vielleicht will er uns damit beweisen, dass er neben der Musik durchaus noch andere Interessen hat. Dabei ist das total unnötig. Er ist gewissermaßen ein Schwiegermuttertyp. Jeder mag ihn, auch wenn er keine Ambitionen hat, Footballstar zu werden oder Kapitän der Baseballmannschaft.
Josh und Felix, sozusagen das Spiegelbild von Elias und mir, sind ebenfalls beste Freunde. Wir treffen uns mindestens zweimal in der Woche und vertreiben uns gemeinsam die Abende in dieser Kneipe.
Sie haben ihr Spiel fast beendet. Bei den beiden weiß man vorher nie, wer gewinnt. Heute sieht es jedoch ganz nach einem eindeutigen Sieg für Felix aus.
Wir spielen Sieger gegen Sieger und Verlierer gegen Verlierer. Und am Ende ist es Elias, der die Rechnung zahlt.
Auch wenn es arrogant klingen mag, aber wenn es um Billard geht, ist Elias kein ebenbürtiger Gegner. Für mich liegt die Herausforderung schlicht und ergreifend darin, in seiner Nähe nicht den Kopf zu verlieren.
„Yes!“, ruft Felix und streicht sich seine aschblonden Haare aus dem Gesicht. „Es ist jedes Mal aufs Neue ein fantastisches Gefühl, dir in den Arsch zu treten.“
Er und Josh nehmen sich nichts, wenn es darum geht, den Sieg über den anderen auszukosten. Wie gesagt, mal gewinnt der eine, mal der andere.
„Ich musste dich gewinnen lassen. Schließlich hast du morgen Geburtstag. Wie würde es aussehen, wenn du mit verquollenen Augen durch die Gegend läufst, weil du die halbe Nacht geheult hast wie ein Baby.“
Beide stehen sich grinsend gegenüber.
„Ihr seid dran“, sagt Josh, gibt mir seinen Queue und beendet damit den kleinen Schlagabtausch.
Elias steht bereits am hinteren Ende des Tischs und positioniert die Kugeln. Offenkundig will er keine Zeit verlieren. Dann greift er ohne zu zögern nach dem anderen Queue und stößt ungestüm drauflos. Halleluja. Was habe ich verpasst?
Mir entfährt ein leises Stöhnen, und unsere Blicke kreuzen sich für einen winzigen Moment, als er aufsieht. Ich schüttele den Kopf und er zuckt nur mit den Schultern.
„Sein Untergang beginnt heute schneller als gewöhnlich“, kommentiert Felix und kassiert für seine Aussage ein genervtes Schnauben von Elias.
„Du bist dran.“ Elias deutet mit dem Kinn zum Tisch.
Trotz Fehlstart seinerseits muss ich mich anstrengen, um das Spiel nicht in den Sand zu setzen. Irgendwie kann ich mich heute besonders schlecht konzentrieren. Vor meinem inneren Auge ploppt ständig das Bild auf, wie Elias sich nach vorn beugt, um den nächsten Stoß zu platzieren. Sein … Heilige Scheiße. Ich muss mich echt zusammenreißen.
„Können wir euch zuschauen?“ Drei Mädchen kommen auf uns zu und ziehen die Aufmerksamkeit von Felix, Josh und Elias auf sich. Meine Sinne hingegen reagieren bei ihrem Erscheinen mit vollkommener Gleichgültigkeit.
„Aber sicher doch, Ladys.“ Josh lehnt an einem der Holzpfeiler. In seinen Augen funkelt es interessiert. Er stößt sich ab und zeigt mit ausgestrecktem Arm in unsere Richtung.
„Das sind Elias, Felix und Vincent.“ Er legt sich eine Hand auf die Brust. „Und ich bin Josh.“
„Mein Name ist Isabelle, das ist Paula und …“ Isabelle dreht sich suchend um. „Ah, Rosie, da bist du. Ja, das ist Rosie.“
Alle drei winken uns zu und ich verdrehe innerlich die Augen. Was für eine traumhafte Wendung des Abends. Jetzt muss ich nicht nur meine echten Gefühle unterdrücken, sondern auch noch falsche vortäuschen. Mir wird schwindlig.
Bis zum Ende der Partie flirten die Mädels auf Teufel komm raus mit uns. Und natürlich verliert Elias das Spiel, woraufhin Paula ihn nach allen Regeln der Kunst tröstet. Tja, und er? Er scheint ihre Zuwendung in vollen Zügen zu genießen, flüstert ihr ins Ohr und lässt sich andauernd antatschen.
Mit jeder Minute, die verstreicht, spielen wir weniger und quatschen mehr.
„Lasst uns den Platz räumen. Ich denke, es lauern genügend andere darauf, dass wir endlich verschwinden.“ Josh greift nach seinem Glas und steuert auf einen freien Tisch zu.
„Hey, Elias, nimm meinen Queue mit“, rufe ich ihm hinterher. Natürlich könnte ich selbst zur Bar gehen, um mir mein Pfand zurückgeben zu lassen. Aber aus irgendeinem dämlichen Grund wollte ich seine Aufmerksamkeit auf mich lenken.
„Nur um dir deine Illusion zu nehmen, Kumpel, das Geld stecke ich mir als Entschädigung ein. Ihr habt mich genug bluten lassen. Die restlichen Dollar in meinen Hosentaschen reichen gerade noch für ein Glas Leitungswasser.“ Er verzieht das Gesicht.
„Alter, das bekommst du hier kostenlos.“ Ich sehe ihn verwirrt an.
„Eben.“ Er grinst und stülpt die Hosentaschen nach außen. Lediglich ein paar Fusseln fallen zu Boden.
Es dauert zwei Sekunden, ehe ich verstehe. „Scherzkeks.“ Dann schlage ich ihm auf die Schulter und er lacht. Automatisch wandern auch meine Mundwinkel nach oben und in meinem Bauch legen die unzähligen Schmetterlinge einen Massenstart hin.
Die kleinste der drei Mädels sieht mich mit zusammengekniffenen Augen abschätzend an. „Was?“, frage ich sie mit nur einem Blick und ermahne mich gleichzeitig, nicht leichtsinnig zu werden. Zurück zur Ausgangsposition – abhängen mit Freunden und für ein paar Stunden die Welt vergessen. Ich räuspere mich und höre prüfend in mich hinein. Alles im grünen Bereich. Die Maske sitzt. Der Balanceakt zwischen cooler Fassade und innerer Zerreißprobe ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Und Bewährtes soll man nicht über Bord werfen. So heißt es doch, oder?
„Hat Elias euch schon erzählt, dass wir einen genialen neuen Mix eingespielt haben?“ Aufregung durchströmt mich und lässt mein Herz munter ein paar Takte schneller schlagen.
Sechs Augenpaare sehen Elias neugierig an. Verlegen nippt er an seiner Cola. Er steht ungern im Rampenlicht.
„Hast du die Aufnahmen dabei?“, will Felix wissen und trommelt mit den Fingern einen schnellen Rhythmus auf dem Tisch.
„Ihr macht Musik?“ Paula kuschelt sich dichter an Elias’ Seite und sieht ihn bewundernd an.
Ja, Lady, er ist der Zauberkünstler am Keyboard, ich drehe nur ein paar Knöpfe und schiebe an den Reglern herum. Meistens entsteht dadurch ein genialer Sound, aber hey – Elias ist der mit dem angeborenen Talent. Ich habe mir mein Wissen lediglich durch Recherche im Internet angeeignet.
Elias gibt sich bescheiden und zuckt mit den Schultern. Nur um ihn zu ärgern, weil ich weiß, dass er es hasst, wenn man ihn so zur Schau stellt, zücke ich mein Handy und suche die entsprechende Datei.
„Vince“, brummt Elias und lehnt sich zu mir herüber.
Glaubt er ernsthaft, ich würde ihm das Teil überlassen? Ich lache laut auf, als sein Gesicht eine tomatenrote Farbe annimmt.
„Die Aufnahme ist nicht dafür gedacht gewesen, sie in der Öffentlichkeit vorzuspielen.“ Er weiß, dass er keine Chance hat, zu verhindern, dass ich auf den Abspielbutton drücke.
Wie ein bockiges Kind lehnt er sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.
„Jetzt hab dich nicht so.“ Josh macht sich fast in die Hose vor Lachen. „Immer führst du so einen Affentanz auf, dabei ist eure Musik der Hammer.“ Er prostet Elias über den Tisch hinweg zu.
Elias lässt seinen Zeigefinger über dem Kopf kreisen und bedeutet Josh somit, dass er ihn für übergeschnappt hält.
Endlich habe ich die Aufnahme gefunden und drücke auf Play. Trotz Hintergrundmusik in der Kneipe hören wir, wie Elias auf seinem Keyboard die Tasten streichelt. Ich für meinen Teil habe wie immer nur ein bisschen mit der Technik herumgespielt.
„Oh, wow. Das hört sich super an.“ Rosie und Paula nicken Isabelle zu. „Ich kann nur Blockflöte spielen“, sagt sie, während die anderen beiden ihre Gesichter verziehen, als hätten sie saure Milch getrunken.
„Du kannst eine Musiknote nicht von einer Banknote unterscheiden.“ Paula verdreht die Augen und alle drei kichern. „Kannst du es noch mal abspielen?“, fragt sie mich und ich tue ihr den Gefallen.
Nach der neuesten Aufnahme verlangen die Mädels noch eine weitere und noch eine und noch eine. Wir rutschen dichter zusammen, damit wir besser hören können, und irgendwann entspannt auch Elias sich.
Ich weiß, dass er nur schwer Komplimente annehmen kann. Aber er wird sich daran gewöhnen. Und eines Tages wird die Aufmerksamkeit, die er mit seiner Musik weckt, zu seinem Leben dazugehören – dessen bin ich mir zu hundert Prozent sicher.
Wir sehen uns über den Tisch hinweg an. Wie so oft verständigen wir uns stumm und nicken beide nahezu gleichzeitig.
„Es ist kurz vor zehn. Wir sollten los.“ Ich stehe auf.
„Ihr wollt uns allein lassen?“ Rosie schmollt. „Es ist doch gerade so gemütlich.“
Gemütlich? In einer Kneipe? Na, wenn sie meint.
„Vielleicht treffen wir uns ja bald mal wieder.“ Auch Elias ist aufgestanden.
Wir sind mit meinem Wagen hergekommen, und wenn er nicht laufen will, ist auch für ihn jetzt Schluss. Felix und Josh wohnen in komplett entgegengesetzter Richtung. Also hat er kaum eine Wahl.
Ich klopfe dreimal auf den Tisch. „War nett mit euch, Mädels.“ Das meine ich wirklich so. Zwar ging mir das ewige Flirten auf den Senkel, aber dafür können sie nichts. Der viel zitierte Spruch Es liegt nicht an dir, sondern an mir passt perfekt zur Situation.
Elias, der Charmeur, kann es nicht lassen und gibt Rosie und Isabelle einen Abschiedskuss auf die Wange. Paula flüstert er noch etwas ins Ohr, was ich nicht verstehen kann. Ein dumpfes Grollen steigt aus meiner Kehle auf, doch bevor es meine Lippen erreichen kann, schlucke ich es hinunter. So wie immer.
Fünf Jahre später …
„Wo kommst du so spät her, Junge?“ Die Stimme meines Vaters poltert durch das ansonsten ruhige Haus. Wie so oft liegt er ausgestreckt auf der Couch und lässt sich vom nächtlichen Fernsehprogramm berieseln.
„Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt. Ich muss dir keine Rechenschaft ablegen, wann ich wohin gehe.“ Der Abend im Klub ist ein totaler Reinfall gewesen, da muss ich mich jetzt nicht noch von meinem alten Herren blöd anmachen lassen.
„Vorsicht. Du wohnst in meinem Haus und lässt dich von deiner Mutter bedienen. Zeig gefälligst ein bisschen Respekt.“ Er erhebt sich schwerfällig und stapft auf mich zu.
Automatisch weiche ich zurück und bewege mich Richtung Treppe. In den letzten Jahren habe ich gelernt, mir immer einen Fluchtweg offen zu halten. An einigen Tagen geht der Plan auf, an anderen weniger. Aber heute hat er schon zu viel intus und seine Reaktionen gleichen der einer Schildkröte im Winterschlaf.
„Ich zahle dafür, dass ich hier wohne. Außerdem bin ich es, der zweimal in der Woche mit Mom zum Supermarkt fährt“, schnauze ich ihn aus sicherer Entfernung an.
Ehe mein alter Herr etwas erwidern kann, sprinte ich die Treppenstufen hinauf und schließe leise die Tür. Ich will keinen unnötigen Lärm verursachen. Meine Mom erledigt in der Reinigung, in der sie arbeitet, einen Knochenjob. Sie braucht ihren Schlaf.
Frustriert lasse ich mich auf mein Bett fallen. Keine Ahnung, wie lange ich seinen vernichtenden Anfeindungen noch standhalten kann. Dabei ist die Szene gerade harmlos gewesen. Körperlich bin ich unversehrt aus der Begegnung herausgekommen. Mehr kann ich kaum erwarten.
Seit Wochen zermartere ich mir das Hirn, wie ich mich von all dem hier lösen kann. Mein Job bei dem Radiosender, bei dem ich seit meinem Abschluss erste Erfahrungen sammle, beschert mir leider keine Reichtümer. Und mich drückt der exorbitant hohe Studienkredit wie ein Kieselstein im Schuh. Rückwirkend betrachtet wäre es die klügere Entscheidung gewesen, das College sausen zu lassen. Mit dem Abschluss habe ich mir zwar einen Traum erfüllt. Aber finanziell haben mich die schönsten Jahre meines Lebens in ein Desaster gestürzt. Ich habe nicht die Verbindungen wie meine Kommilitonen und bin froh, einen einigermaßen gut bezahlten Job bei Radio4LIVE ergattert zu haben. Nur leider bleibt am Ende des Monats eher wenig von meinem Gehaltscheck übrig. Also bin ich gezwungen, meinem Vater länger die Stirn bieten zu müssen als geplant.
Vielleicht hätte ich es wie Elias machen sollen – mich kopfüber in das stürzen, was ich seit meiner Jugend am besten kann: Songs im Studio den Feinschliff verpassen und das Beste aus ihnen herausholen.
Ich streife mir die Schuhe von den Füßen und schiebe mich auf meinem Bett weiter nach oben. Halb sitzend ziehe ich das Handy aus meiner Hosentasche und wähle die Nummer meines besten Freundes.
Erfreulicherweise klingelt es nur dreimal, bevor er abhebt.
„Hey, Kumpel, was geht?“ Elias scheint bester Laune zu sein.
Im Hintergrund höre ich laute Musik und jede Menge Gebrabbel.
„Bist du unterwegs? Ich kann auch später noch mal anrufen.“ Um ein Uhr nachts ist das eine gewagte Aussage. Wahrscheinlich schlafe ich innerhalb der nächsten Stunde ein. Außerdem muss ich morgen eine Extraschicht im Sender übernehmen. Also wird es dauern, bis ich einen neuen Anlauf starten kann, um mich bei ihm auskotzen zu können.
„Quatsch. Passt schon. Wir hatten gerade einen Auftritt in einem Klub. Ich bin auf dem Weg nach draußen zu meinem Wagen. Bleib in der Leitung …“ Ich höre gedämpft, wie er sich von irgendwelchen Leuten verabschiedet.
Mir schießt in den Sinn, dass ich ihn ewig nicht habe spielen hören. Das letzte Konzert, zu dem er mich eingeladen hat, ist Monate her. Genauso lange haben wir uns auch nicht persönlich getroffen. Als Mitglied einer supererfolgreichen Rockband ist der Mann ständig unterwegs.
Seit dem Durchbruch von KAJE kann Elias sich über mangelnde Beschäftigung nicht beschweren. Er ist neben Jake, Kyle und Andy heiß umworben. Die Jungs reisen von Auftritt zu Auftritt, tingeln durch Talkshows und produzieren einen Hit nach dem anderen.
„Bist du noch dran?“ Seine fröhliche Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.
„Ähm, klar. Wo hat es dich heute Abend hin verschlagen?“ Ich überkreuze die Beine. Falls mich jemand beobachtet, wird er wahrscheinlich denken, dass ich völlig relaxt auf meinem Bett liege. Weit gefehlt.
„Wir sind sozusagen direkt vor der Haustür. Einer der Klubs in L. A. hat uns für heute gebucht. Und so kurz vor der Tour können wir ein bisschen Promo gut gebrauchen.“ Eine Tür knallt zu und Motorengeräusche dringen an mein Ohr.
„Als ob ihr Werbung nötig hättet.“ Ich schnaube belustigt. „Wie schnell waren die Karten für die Konzerte noch mal ausverkauft?“
„Okay, okay. Aber es hat Spaß gemacht, heute Abend aufzutreten. Die Stimmung ist super gewesen.“
„Glaube ich dir gerne.“
Wir verfallen in ein kurzes Schweigen. Das ist weder unangenehm noch seltsam. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie Elias mit seinem schnittigen Wagen durch die Straßen von Los Angeles fährt.
„Was ist los, Vince?“ Elias unterbricht mit leiser Stimme die Stille. „Du rufst doch nicht mitten in der Nacht an, nur um ein wenig zu plaudern.“
Als ich lediglich ein ernüchterndes Seufzen von mir gebe, atmet er hörbar aus.
„Dein Dad?“
„Er ist so ein selbstgerechtes Arschloch.“
„Erzähl mir was Neues. Weshalb ist er jetzt wieder auf Krawall gebürstet?“
„Ich bin in einem meiner Klubs gewesen. Und er ahnt, was da abgeht.“
„Hat er dich jemals mit einem Mann gesehen? Ich meine, hat er dich mal in einer eindeutigen Situation erwischt?“
„Nein und nein.“ Jetzt muss ich lachen. „Wenn du wissen willst, ob ich Pornos schaue und mir dabei einen runterhole, sage ich Ja. Und natürlich schließe ich dabei die Tür ab. Was glaubst du? Dass ich lebensmüde bin? Mein Vater würde mich höchstpersönlich kastrieren.“
„Das traue ich ihm glatt zu. Hat er dich heute Abend erwischt?“
Ich weiß, dass Elias’ Frage darauf abzielt, ob mein Vater mal wieder die Hand gegen mich erhoben hat. Doch das hat er sich seit Längerem nicht gewagt. Schließlich bin ich keine fünfzehn mehr. Er müsste mit erheblicher Gegenwehr rechnen und das ist ihm bewusst.
„Körperliche Schäden vergehen“, sage ich. „Aber seine verbalen Attacken nisten sich tief in meiner Erinnerung ein. Damit erreicht er viel mehr.“
„Du musst da weg. Nimm endlich mein Angebot an und komm zu mir nach L. A.“
Er hat mir diesen Vorschlag schon so oft gemacht. Doch jedes Mal schlage ich ihn aus. Mit der Tatsache, ihm hin und wieder zu begegnen, kann ich leben. Damit komme ich klar. Doch was es mit mir anstellen würde, dauerhaft in seiner Nähe zu sein, vermag ich mir nicht auszumalen.
„Ich habe hier meinen Job. Alles gut, Elias. Ich komme klar. Du hilfst mir schon, wenn ich ab und zu mit dir reden kann.“
„Wir gehen bald auf Tour. Das heißt aber nicht, dass ich dann nicht erreichbar bin, verstanden?“ Sein Tonfall ist eindringlich.
Er macht sich Sorgen, das weiß ich. In meiner Jugend hat mein Vater oft genug seinen Frust an mir ausgelassen. Und Elias hat die Folgen mehr als einmal direkt zu Gesicht bekommen.
„Danke.“ Seine Fürsorge wärmt mein Inneres. „Ich bin größer und stärker geworden.“ Ich versuche es mit einem Witz.
„Vince.“ Ich sehe förmlich, wie er die Augen verdreht.
„Mit dir zu reden hilft. Und vielleicht habe ich beim nächsten Mal mehr Glück im Klub und kann einen heißen Kerl abschleppen. Dann endet die Nacht nicht allein im Bett.“ Genau. Ich brauche Sex, um mir all die Gedanken aus dem Hirn vögeln zu lassen. Danach geht es mir hoffentlich besser.
„Wie sieht es mit einer eigenen Wohnung aus?“
„Negativ. Die Mietpreise sind astronomisch, wenn ich in keinem Loch verrecken will. Aber hey, noch ein halbes Jahr, danach kann ich einen Teil meines Kredites ablösen und mich ernsthaft umsehen.“
„Okay. Und wenn du …“
„Wenn ich deine Hilfe brauche, sage ich Bescheid.“ Eher fällt in Timbuktu ein Marsmännchen vom Himmel, aber das muss Elias nicht wissen. Solange mein Vater mich nur anschnauzt oder beleidigt, komme ich klar.
„Ich stehe jetzt in der Tiefgarage.“ Soll heißen, dass Elias gleich keinen Empfang mehr hat. Aus irgendwelchen Gründen kann er im Aufzug nie telefonieren.
„Wir hören uns demnächst, Kumpel“, sage ich daher nur.
„Machen wir.“
Einen Wimpernschlag später ist die Leitung tot.
„Sorry, bin ich zu spät?“ In der Eile stoße ich mir das Knie an einem der Mischpulte, die in Andys kleinem, aber feinem Tonstudio aufgebaut sind. Verdammt, das tat weh.
Nach dem Telefonat mit Vincent konnte ich in der letzten Nacht ewig nicht in den Schlaf finden. Ihn dazu zu bewegen, endlich das Haus zu verlassen, indem sein Dad mit eiserner Hand regiert, versuche ich schon seit Jahren. Im Kopf des alten Herren schwirren merkwürdige Ideale herum, die aus antiquierten Zeiten stammen. Rose, Vincents Mom, darf, neben Haushalt, Garten und ihrem Engagement für die christliche Gemeinde, arbeiten. Jedoch nur, weil so zusätzliches Geld in die Familienkasse gespült wird. Wenn ich daran denke, dass der Alte jeden Cent versäuft, der nicht für das Nötigste gebraucht wird, könnte ich kotzen. Was für ein scheinheiliger Zeitgenosse. Nach außen hin den liebevollen Ehemann und Vater geben und nachdem sich die Türen schließen, mutiert er zu einem wahren Macho und Tyrann.
Vincent liegt er seit seinem Abschluss in den Ohren, sich endlich eine Frau zu suchen und Kinder in die Welt zu setzen. Hat der Mann vergessen, verdrängt oder schlichtweg nicht kapiert, dass sein Sohn niemals mit einer Frau im Bett landen wird? Mein bester Freund hat sich in einem Anfall von Wagemut mit siebzehn geoutet. Ich werde niemals vergessen, wie er eines Nachmittags vor meiner Tür gestanden hat – ein Auge zugeschwollen, die Lippe aufgeplatzt und mit Prellungen an Brustkorb und Schulter. Noch heute frage ich mich, wie ein Vater seinem Sohn so brutal gegenüber auftreten kann. Verdammt! Wir leben im 21. Jahrhundert.
Meine Mom und mein Dad hatten sich damals entsetzt gezeigt und ohne viel Federlesen erlaubt, dass er bei uns unterkommen konnte. Am nächsten Morgen musste er allerdings zurück zu seinen Eltern. Sein Vater ahnte, wo Vincent die Nacht verbracht hatte, und hat mit der Polizei gedroht. Sein Argument: Kindesentzug und Misshandlung. In was für einer beschissenen Welt leben wir eigentlich?
Und das alles nur, weil mein bester Freund lieber mit Jungs rummacht als mit Mädchen. Zum Glück sind meine Eltern nicht solche homophoben Arschlöcher. Später, nachdem ein wenig Ruhe eingekehrt war, haben sie erlaubt, dass Vincent die Mehrzahl der Wochenenden bei uns verbringt. Das ging so lange gut, bis sein Vater wieder einen Ausraster bekommen hat und mein bester Kumpel zurück in die Hölle musste.
Seit ich in Los Angeles wohne und meine Karriere vorantreibe, kann ich ihm nur noch sporadisch helfen. Obwohl … Manchmal bin ich mir gar nicht so sicher, dass er sich tatsächlich helfen lassen möchte. Keine Ahnung, was ihn in Bakersfield hält. Soweit ich weiß, hat Vincent keinen festen Freund, Partner oder was auch immer. Ist es wirklich nur seine finanzielle Lage, die ihn dazu zwingt, sich von seinem Dad so terrorisieren zu lassen? Fragen in diese Richtung weicht er jedenfalls kategorisch aus.
Ich kann einfach nicht nachvollziehen, weshalb er mein Angebot, ihn bei seiner Karriere zu unterstützen, immer wieder ausschlägt. Vitamin B hat noch niemandem geschadet. Aber der Kerl ist so stur, dass er lieber in der kleinen Radiostation versauert.
Wozu zur Hölle spiele ich in einer bekannten Band, wenn ich daraus keine persönlichen Vorteile ziehen könnte. Die Aufnahmestudios in der Stadt reißen sich um uns. Nach seinem Collegeabschluss wäre es ein Leichtes gewesen, ihn in irgendeinem Studio unterzubringen. Wahrscheinlich könnte er sich auch noch aussuchen, in welchem. Schließlich landeten zu diesem Zeitpunkt unsere Singleauskopplungen an der Spitze der Charts. Kyle, Andy, Jake und ich sind nicht irgendwer. Wir sind KAJE und so arrogant es auch klingen mag: An uns kommt aktuell niemand vorbei.
„Elias, Mann.“ Kyle schlägt mir auf die Schulter und lacht. „Du bist zwar nicht zu spät, aber bist du wirklich anwesend? Seit geschlagenen fünf Minuten starrst du Löcher in die Luft.“
„Vielleicht hatte er eine heiße Nacht und hat sich noch nicht wieder erholt?“, witzelt Jake.
Die beiden Spaßvögel heben die Hand und klatschen sich ab.
„Sehr witzig, Leute. Also was liegt an?“ Ich schüttele all die Gedanken an Vince ab und fokussiere mich auf das Hier und Jetzt.
„Wir wollen die beiden neuen Songs noch mal durchspielen. An der einen oder anderen Stelle hakt es bei den Übergängen. Da können wir definitiv mehr rausholen. Außerdem müssen wir probieren, wie der Sound sich entwickelt, wenn wir mit den Frequenzen spielen. Ich habe mir da was überlegt. Vielleicht sollten wir jemanden vom Aufnahmestudio schon jetzt miteinbeziehen.“ Andy ist zwar gut, wenn es um die Technik geht, aber eben kein Toningenieur.
Sofort schießen meine Gedanken zu Vince. Früher haben wir stundenlang gemeinsam an der Musik herumgetüftelt. Er ist genial und hat Ideen wie kein Zweiter. Verdammter Sturkopf. Lieber regelt er die Knöpfe in einem verstaubten Studio eines drittklassigen Radiosenders. Es ist ja lobenswert, es allein schaffen zu wollen … Ach, lassen wir das.
„Jungs.“ Leah steckt den Kopf zur Tür herein. „Ihr habt den ganzen Vormittag und den halben Nachmittag. Danach gehört ihr Julia.“
Die Ansage lässt mich aufstöhnen. Julia Grant ist Moderatorin einer Late-Night-Show. Die Aufzeichnung ist für den späten Nachmittag angesetzt. Hatte ich total vergessen. Scheiße.
Bevor sie uns allein lässt, knutschen Andy und sie so heftig miteinander, dass Jake die Augen verdreht und ich eine Geste mache, als müsste ich mich übergeben. Kyle ignoriert die beiden und schlägt mit den Sticks ein paar Takte auf seinem Schlagzeug an.
„Ihr seid Idioten, alle zusammen“, sagt Andy, als Leah die Tür hinter sich schließt. Die Herzchen springen ihm förmlich aus den Augen, und er grinst wie der verliebte Trottel, der er nun mal ist.
In den nächsten Stunden versinken wir in einem Strudel aus Rhythmen, Melodien und Akkorden. Die Welt haben wir komplett ausgesperrt. So sind wir am produktivsten. Andy legt sich mit seiner Gitarre ebenso ins Zeug wie Kyle an seinem Schlagzeug und ich an meinem Keyboard. Jakes Stimmbänder halten verdammt viel aus, aber sie sind nicht endlos belastbar.
„Schluss“, ruft er mit kratziger Stimme. „Ich will nachher nicht klingen wie ein heiserer Löwe.“
„Okay, lasst uns für heute Schluss machen. Pizza?“ Kyles Vorschlag kommt genau im richtigen Augenblick. Wir sind so im Flow gewesen, dass ich meinen knurrenden Magen seit geraumer Zeit ignoriert habe.
Gegen siebzehn Uhr erreichen wir das Fernsehstudio und werden direkt in die Maske geführt. Ich hasse dieses Herumgezupfe, Abgepudere und ewige Geplapper im Hintergrund. Am liebsten würde ich dieses Interview schleunigst hinter mich bringen und postwendend nach Hause fahren.
Ich atme tief durch, tippe sinnlos auf meinem Handy herum und versuche die Blicke der Maskenbildnerin weitestgehend auszublenden. Neben mir grinst Andy blöde in den Spiegel. Er hat definitiv zu viel Spaß dabei, zu beobachten, wie ich mich ihren Avancen zu entziehen versuche. Elender Penner. Mit einem hoffentlich mehr als genervten Augenverdrehen zeige ich ihm den Stinkefinger.
Nach knapp zehn Minuten darf ich endlich von hier verschwinden. Ganz ehrlich? Das machen die doch nur, um uns Männer zu quälen. Frauen mögen es ja lieben, wenn an ihrem Äußeren Hand angelegt wird – na gut, es gibt auch einige Männer. Warum hat noch niemand irgendeine Technik erfunden, damit Man(n) auf der Mattscheibe perfekt aussieht? Also ohne glänzendes Gesicht oder was auch immer die Aufnahme stört.
Grummelnd gehe ich zu dem eigens für uns aufgebauten Tisch mit allerlei Leckereien. Diesen Part hingegen liebe ich. Eine kleine Assistentin des Senders fragt vorher an, was wir gerne essen, und – tada – schon stehen allerlei Köstlichkeiten bereit.
Gerade schiebe ich mir Fingerfood mit Curry-Cashewkern-Aufstrich in den Mund, als Jake neben mir auftaucht.
„Hunger? Wir hatten doch vor zwei Stunden erst Pizza.“ Lustigerweise greift er nach einem Käsespieß, zieht die Weintraube ab und verspeist sie mit einem genüsslichen Ausdruck im Gesicht.
Ich sehe ihn wortlos an, woraufhin er mit den Schultern zuckt.
Es vergehen weitere dreißig Minuten, in denen wir Instruktionen den Ablauf betreffend erhalten, uns untereinander abstimmen, was die Sitzordnung angeht, und munter das Büfett plündern.
Als der Aufnahmeleiter uns zu sich winkt, wische ich mir die Hände an einer Serviette ab, ziehe meinen Hoodie zurecht und geselle mich an Kyles Seite.
Die Einspielmusik ertönt und wir traben brav auf die Bühne.
Julia erwartet uns klatschend, hält etliche Fragenkarten in der Hand, die wir vorher abgesegnet haben, und deutet zu einer riesigen Couch.
Das Publikum ist außer sich, ruft unsere Namen, applaudiert und wedelt mit Plakaten. Im Grunde ähneln sich derartige Auftritte. Es gibt sogar Fans, die reisen von einem Ort zum anderen, um jedes Mal dabei zu sein, wenn wir uns öffentlich in Szene setzen. Ich finde das unglaublich cool, und es zeigt, wie sehr die Leute unsere Musik lieben. Ganz vorn stehen einige Mädchen und wedeln mit CDs und T-Shirts in unsere Richtung.
„Jake, lass uns ein paar Fans glücklich machen, bevor wir uns setzen“, raune ich unserem Frontmann zu.
Er nickt und tippt Andy auf die Schulter, der vor ihm geht. Auch Kyle stoppt. Als wir vier die Richtung wechseln und uns von der Couch wegbewegen, schaut Julia erst ein wenig konsterniert, lächelt dann aber. Das Publikum flippt praktisch aus, als sie registrieren, was wir vorhaben.
„Jake, bitte hiiiier!“
„Schreib Lucy drauf!“
„Kyle!“
„Kann ich ein Foto haben?“
Geschrei aus sämtlichen Richtungen. Die Security hat alle Hände voll zu tun. Selbst Rick, unser persönlicher Sicherheitsmann, schreitet ein. Scheiße, das habe ich nicht komplett durchdacht. Egal. Die Fans sind happy und das ist die Hauptsache. Ohne sie wären wir nichts, dessen sind wir uns sehr wohl bewusst. Sie hören unsere Songs, besuchen unsere Konzerte, besitzen jedoch auch die Macht, uns über Nacht abstürzen zu lassen. Klingt verrückt, ist aber so. Es ist ein stetiges Geben und Nehmen. Und wir lieben unsere Fans. Ihnen das zu zeigen ist ein sehr angenehmer Teil unseres Jobs.
Nachdem alle ihre Autogramme ergattert haben, beruhigt sich das Publikum und wir nehmen unsere Plätze ein.
„Also wirklich, Jungs“, tadelt Julia uns mit einem Lächeln. „Hatten wir nicht vorher besprochen, wie es läuft?“
„Tja“, sagt Kyle und wendet sich unserer Gastgeberin zu. „Das sind unsere Fans. Einzeln gibt es uns nicht.“
Wieder aufgeregte Rufe und zustimmende Pfiffe aus dem Publikum. Wir grinsen und konzentrieren uns die nächsten Minuten auf Julias Fragen.
„Wie ist das jetzt? Ihr tourt demnächst durchs Land, die Hallen sind bereits ausverkauft und eure Songs stehen nach wie vor hoch in den Charts. Wie gehen eure Familien mit dem Ruhm um? Bekommen sie euch überhaupt noch zu Gesicht?“
„Für die Familie ist immer Zeit“, beginnt Jake. „Sie wissen, dass wir das tun, was wir lieben – Musik machen. Ohne ihre Unterstützung ginge gar nichts. Selbst wenn wir uns nicht persönlich treffen können, weil Termine unsere Kalender füllen oder wir auf Tour sind, so gibt es ja noch die geniale Erfindung namens Mobiltelefon. Videochats haben sich sehr bewährt.“ Charmeur, der er ist, zwinkert er ihr zu.
Ich will nicht wissen, was Charly und er in ihren Videoanrufen so miteinander treiben. Verraten hat uns der Spielverderber zwar keine Details, aber ich bin mir sicher, dass sie sich nicht nur gegenseitig anschmachten.
„Kyle, Elias. Ihr beiden seid, wenn ich richtig unterrichtet bin, aktuell nicht in festen Händen. Können die vielen Mädchen und jungen Frauen da draußen also noch hoffen?“
„Aber sicher doch.“ Kyle bringt das so überzeugend rüber, dass selbst ich staune. „Die Welt ist voller schöner Frauen. Weshalb sich wie die Trottel neben mir auf eine festlegen.“ Er kassiert einen harten Schlag von Andy, der ihn gespielt böse anfunkelt.
Meines Erachtens funkt es zwischen ihm und der kleinen Tanzmaus, die er eines Nachts aufgegabelt hat, ziemlich intensiv. Allein die Tatsache, dass er Madison mit zu Andys Anwesen geschleppt hat, spricht Bände. Aber das ist seine Baustelle.
Eine Frage jagt die nächste. Wir plaudern ein paar Insider aus, wie zum Beispiel, dass Kyle Wert darauf legt, dass sein Hotelzimmer immer eine ungerade Zahl besitzen muss. Ich glaube, es ist eine Macke von ihm und hat nichts weiter zu bedeuten. Andy erzählt von seiner Hochzeit mit Leah und dass er es fast versaut hätte. So ehrlich ist er in der Öffentlichkeit selten. Und Jake verrät, dass er nachts häufig am Strand sitzt und sich fragt, ob es in einer fernen Galaxie tatsächlich Leben geben könnte. Uns hat er mal erzählt, dass er sich vorstellen könnte, als Weltraumtourist ins All zu fliegen. Vielleicht wird er das eines Tages auch machen. Ich für meinen Teil wüsste Besseres mit meinem Geld anzufangen.
„Elias, was ist mit Ihnen? Gibt es da ein Geheimnis, das Sie mit den Zuschauern teilen wollen? Vielleicht was eine Frau anstellen muss, um Ihr Herz zu erobern? Wir haben schon lange niemanden mehr an Ihrer Seite gesichtet.“
Wie ich diese Art Fragen hasse. Ich setze ein unverbindliches Lächeln auf und sehe in die Kamera.
„Ich muss diesem einen Menschen blind vertrauen können. Wir sollten ähnliche Interessen haben, und vor allem sollte ihm absolut bewusst sein, dass ich nicht nur ein Rockstar bin. Ich spiele in der besten Band der Welt. Keine Frage. Aber ich bin auch ich.“
Ein Raunen geht durch die Reihen und die Zuschauer flüstern leise. Julia schaut mich mit einer tiefen Furche zwischen den Brauen an, als verstehe sie nicht, was ich eben gesagt habe. „Ähm, was bedeutet: ihm sollte es bewusst sein?“
Was? Ich verstehe die Frage nicht. Unschlüssig, was ich antworten soll, sehe ich zu meinen Bandkollegen. Jake, Andy und Kyle haben alle den gleichen fragenden Gesichtsausdruck aufgesetzt.
Jake räuspert sich. „Ich denke, er meint mit IHM diesen einen speziellen Menschen. Er … Der Mensch.“
Klar meine ich das, was dachte sie denn?
Julia kichert in einer Tonlage, die mir zu hoch erscheint.
„Also was ich sagen will: Manche Frauen sehen einfach nur die Person, die ich in der Öffentlichkeit bin. Allerdings sind wir alle auch Privatmenschen. Das wird gerne vergessen. Ich mache nicht den lieben langen Tag Musik. Ich lasse Socken liegen und kleckere Kaffee auf meinen Hoodie. Alles schon vorgekommen.“ Ich setze ein extrabreites Grinsen auf und das Publikum springt auf meinen Witz an.
Keine Ahnung, was für eine seltsame Situation das eben gewesen ist. Aber das mulmige Gefühl, das gerade schlagartig in meinem Bauch aufgestiegen ist, flaut allmählich wieder ab.
Die restlichen Minuten des Interviews rauschen an mir vorüber. Später werde ich mir die Sequenz in aller Ruhe noch mal ansehen. Vielleicht verstehe ich dann, was gerade abgegangen ist.
Die morgendliche Routine im Sender wirkt sich positiv auf meinen angespannten Körper aus. Trotzdem fühle ich mich, als wäre ich zwanzig Jahre älter. Mindestens. Meine Augen brennen. Ich kann seit Tagen nicht schlafen. Und der ständige Stress zu Hause zermürbt mein Gemüt.
Wie üblich hole ich mir erst mal einen Kaffee. Der braune Zaubertrank wird meine Energiereserven zum Leben erwecken.
„Hast du deine Lieblingsjeans zu heiß gewaschen oder warum gleicht dein Gesichtsausdruck einer Gewitterwolke?“
„Du mich auch“, brumme ich. Mist. Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, bereue ich sie auch schon. Seit wann bin ich so unfreundlich zu meinen Kollegen? Ein ganzer Abend Spaß und ein paar Stunden Auszeit würden mir vermutlich mal wieder guttun.
Seufzend setze ich mich an das Reglerpult und gönne mir die ersten Schlucke Koffein des Tages – heiß und unfassbar wohltuend. Vor mir liegt der Ablaufplan des Morgens, den ich nebenbei durchblättere. Auf den ersten Blick kann ich keine Änderungen im Vergleich zur gestrigen Fassung erkennen. Die geplanten Einspieler sind bereits vorbereitet, Musikstücke gelistet und … Moment.