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Papillon - Schmetterling - Symbol für die Unsterblichkeit der Seele. Bea ist ein fröhliches Mädchen, bis eines Tages ein mysteriöses Licht auf dem nahegelegenen Berggipfel erscheint. Nebel legt sich fortan über das Dorf und die Bewohner verschwinden spurlos. Bea stürzt in tiefe Dunkelheit und niemand vermag sie mehr zu erreichen. Erst nach sieben Jahren verlässt sie das Haus, geht in den Garten und erlebt Unglaubliches. Bea begibt sich auf eine traumhafte und albtraumhafte Reise, voll Licht und Schatten, voll Angst und Mut. Sie ist auf der Suche nach ihrem verlorenen Glück. Und am Ende holt sie ihre Erinnerung ein, die tief in eine traumatisierte Seele blicken lässt. Wird Bea ihr Glück am Ende doch noch wiederfinden? Anmerkung der Autorin "Bea le Papillon" habe ich für keine bestimmte Ziel- oder Altersgruppe geschrieben. Die Geschichte ist für alle Fantasy-begeisterten Leser und Leserinnen geeignet, die sich gern in fernen Welten verlieren und nebenbei etwas über das Leben und sich selbst erfahren möchten. Doch seid euch bewusst, dass Beas Suche nach dem verlorenen Glück durch Licht, aber auch durch Schatten führt. Die Wahrheit schmerzt, doch sie macht uns frei. Sei bereit! Alle Einnahmen fließen in Spenden an soziale Projekte.
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Seitenzahl: 150
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Pour notre enfant intérieur
Anmerkung der Autorin
»Bea le Papillon« habe ich für keine bestimmte Ziel- oder Altersgruppe geschrieben. Die Geschichte ist für alle Fantasy-begeisterten Leser und Leserinnen geeignet, die sich gern in fernen Welten verlieren und nebenbei etwas über das Leben und sich selbst erfahren möchten. Doch seid euch bewusst, dass Beas Suche nach dem verlorenen Glück durch Licht, aber auch durch Schatten führt. Die Wahrheit schmerzt, doch sie macht uns frei – sei bereit!
Über die Autorin
Hanna Jung ist das Pseudonym einer Autorin, die im Selfpublishing veröffentlicht. Hanna wohnt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern im Bayerischen Wald. Sie ist neben ihrer Tätigkeit als Autorin auch als freie Lektorin tätig. Bücher haben in Hannas Familie schon immer einen hohen Stellenwert, denn nichts ist wertvoller als ein freier Geist und eine blühende Fantasie. Bisher hat die Autorin über BoD die Kinderbuchreihe »Waldemar Wildwood« und die Anthologie »Tiefen einer Götterseele« veröffentlicht.
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Der Berg
Das Unwetter
Die Dunkelheit
Die Krankheit
Die Raupe
Das Kaninchen
Die Krähe
Die Grille
Die Schlange
Der Frosch
Der Nachtfalter
Das Ferkel
Die Schnecke
Die Spinne
Die Fliegen
Der Käfer
Die goldene Katze
Die Glückskatze
Die Erinnerung
Papillon
Sie stand hinter dem Apfelbaum und beobachtete ihn von ihrem Versteck aus. Wie er durch den Garten schlich, als wäre er ein Tiger auf der Jagd.
Der Duft der Blüten und das Summen einer Biene drangen zu ihr. Das feuchte Gras kitzelte ihre Waden.
Der Frühling hatte seine Geschenke ausgebreitet und jeder durfte sich ein Päckchen nehmen.
Eins schöner als das andere.
Gefühle, die aufplatzten wie eine Knospe, endlich frei. Die Farben der Blüten quollen über und rissen die Sinne mit fort in die Welt der Düfte und Schönheiten, in das neue Leben.
Er stand drüben und suchte neben dem Rhododendron. Seine dunklen Locken vermischten sich mit den weißen Blüten. Bea kicherte hinter vorgehaltener Hand.
Was für ein Dummkopf und blind obendrein. Doch ihr Herz klopfte wie verrückt, wenn sie Fabian ansah.
Die Rinde unter ihren Fingern war so rau wie ihr Herz und auch die tiefen Risse ähnelten sich.
Bea lehnte ihren Kopf an den Stamm und zählte leise die Sekunden.
Sie war die Letzte, die Fabian noch suchen musste, und sie ließ ihn zappeln. Es war ein Fest, ihn ohne Mühe beobachten zu können. Ohne Angst, jeder könnte sehen, wie gern sie ihn betrachtete.
Sie hörte das Geschnatter der Mädchen, die im Garten warteten. Wahrscheinlich machten sie sich über die Kekse und Limonade her, die ihnen Beas Großmutter herausgebracht hatte. Bei dem Gedanken an das begehrte Honig-Mandel-Gebäck passte Bea für einen Moment nicht auf und vergaß, still zu stehen. Hatte sie ihre Hand hinter dem Baum hervorschauen lassen? Oder das Knie? Sofort machte sie sich wieder regungslos wie eine Katze kurz vorm Sprung auf ihre Beute.
»Hab dich!«
Bea entfuhr ein Quietschen. Jemand packte sie bei den Schultern und wirbelte sie herum. Ihr Gedanke an die Süßigkeiten ihrer Großmutter und die Freundinnen, die alles allein verputzten, hatte Bea mit Haut und Haaren aufgesogen. Sie war einfach zu verfressen − Leckereien raubten ihr den Verstand, fast wie bei einem Bienchen, wenn es Nektar roch.
»Hey!« Bea versuchte, sich ihm zu entwinden, aber Fabian kitzelte sie, ließ sie einen Moment los, um dann wieder ihren Arm zu greifen und sie heranzuziehen. Bea protestierte und kreischte, doch sie genoss seine Nähe. Sie liebte seinen Duft, der eine Mischung aus Sägespänen, Harz und Tannennadeln war.
»Komm, sonst essen die alle Kekse auf!«, sagte er, hielt inne und zog seine Hände weg.
Die beiden standen sich gegenüber. Bea sah in sein Gesicht, das aussah wie das des Piraten aus ihrem Lieblingsbuch. Fehlten nur noch der Papagei auf der Schulter und die Augenklappe.
Die Narbe über der Lippe hatte er bereits. Wahrscheinlich von einem seiner Kämpfe auf hoher See, von denen er zu oft träumte.
Doch auch sie träumte gern − von ihrer Rolle als Piratenprinzessin mit wilder Lockenmähne und einem silbernen Dolch in der Hand.
Fabians Mundwinkel zuckten und er prustete los. »Was für nen Geist siehst du denn?« Er hielt sich die Hand vor den Mund und Bea drehte sich von ihm weg.
Wie konnte er es nur wagen, sie auszulachen? Sie hatte wohl wieder ihr typisches Eulengesicht gemacht. Doch anstatt sich über sie zu amüsieren, sollte er Bea anhimmeln und ihre Schönheit bewundern, sie war doch seine Prinzessin.
»Jetzt komm schon!«, forderte Fabian und drängelte sich an ihr vorbei, gab ihr im Vorbeigehen einen Klaps auf die Schulter und steuerte auf das Stimmengewirr in Richtung Terrasse zu.
Nie würde Bea ihm erzählen, was er in ihr auslöste. Niemals. Die Blöße wollte sie sich nicht geben. Lieber würde sie hier und jetzt diese Baumrinde essen. Der Hohlkopf sollte von selbst drauf kommen!
»Bea! Bea!«, ertönte plötzlich die Stimme ihrer Mutter. Bea stand noch immer am Apfelbaum, als hätte sie selbst Wurzeln geschlagen und sich mit dem Baum vernetzt.
»Bea, schnell, komm zu mir! Es ist wichtig!« Sie klang, als würde das Haus brennen. Ihre Stimme stolperte, sie rang nach Luft und hastete auf Bea zu. Ein Korb hing an ihrem Arm und an den Füßen trug sie Wanderschuhe. Seltsam.
Dieser Gesichtsausdruck erinnerte Bea an letzte Woche, als der alte Baldur die gesamte Dorfgemeinschaft gewarnt hatte, dass ein schwerer Sturm aufziehen würde.
Er war panisch von Haus zu Haus gelaufen und hatte geschrien:
»Sperrt euch ein, macht Tür und Tor zu, der Todessturm ist im Anmarsch, ich habe es gesehen, ganz deutlich habe ich es gesehen!«
Bea entriss sich ihren Wurzeln und eilte zu ihrer Mutter. »Was ist los, Mama?«
»Deine Großmutter ist von einer Schlange gebissen worden, ich muss sofort Alpenveilchen besorgen. Das hilft. Bis ein Arzt hier hochkommt, könnte es zu spät sein.« Beas Mutter redete wie ein Platzregen. Die Sache musste wirklich ernst sein.
»Kommst du mit mir?«, fragte sie Bea.
Fabian. Er wartete bei den Mädchen. Und sie würden ohne Bea Spaß haben. Bea dachte an ihre Großmutter und ihre Mutter und auch an ihre Freunde. Sie schwankte hin und her wie ein Pendel, das nie stillstand.
»Ist in Ordnung, Kind. Schau zu den anderen. Ich schaff es allein. Ist womöglich auch besser, dann bin ich schneller!«
Bea nickte.
»Sieh bitte nach Großmutter. Sie ist oben im Bett. Vielleicht gibst du ihr ein Glas Wasser und einen kalten Lappen gegen das Fieber.«
»Ist gut, mach ich. Beeil dich, Mama.«
Nachdem Bea ihre Freunde nach Hause geschickt hatte, hastete sie die Holztreppe hoch. Die Holzdielen knarzten unter ihren nackten Füßen. Ebenso die Tür, die Bea vorsichtig öffnete. Eingehüllt in eine Wolldecke mit bunten Streifen und Fransen an den Enden lag die Großmutter in ihrem Bett.
Sie schlief. Ihr Gesicht glänzte vom Schweiß und ab und zu zuckte ihr Körper.
Das Sonnenlicht fiel zum Fenster herein und offenbarte die Staubkörner, die wie Feenstaub im Lichtstreifen flimmerten.
Bea kroch die Sorge wie ein Käfer die Kehle hinauf und erschwerte ihr das Atmen. Es kratzte und drückte. Sie griff sich mit der Hand an den Hals und wusste nicht, was sie tun sollte. Ihr Blick huschte aus dem Fenster in Richtung des Berges. Hoffentlich käme ihre Mutter schnell zurück.
Doch Stille war das Einzige, was zurückkam.
Großmutter hustete, murmelte und wälzte sich von einer auf die andere Seite. Was sollte Bea nur tun? Ein Glas Wasser! Die Worte ihrer Mutter hallten in ihrem Kopf wie die Geige in einem Opernhaus. Jeder Ton fuhr ihr durch den Körper und nistete sich in ihrer Brust ein.
»Gib ihr ein Glas Wasser und einen kalten Lappen!«, hatte die Mutter gesagt.
Also hetzte Bea hinüber ins Badezimmer, stolperte über die Türschwelle und ein stechender Schmerz fuhr durch ihren Zeh. Doch sie fluchte ihn einfach fort und stürmte ins Bad.
Beinahe wäre die blaue Holztür gegen die Duschkabine geknallt. Bea atmete einmal tief ein, hielt die Luft weit unten im Bauch wie einen Ballon.
Sie musste sich beruhigen. Alles okay, kein Grund zur Panik! Sie schnappte sich den Zahnputzbecher, wusch ihn aus und füllte kaltes Wasser hinein. Es sprudelte und spritzte ihr auf die Finger, auf die Arme und auf ihr Kleid.
Die Aufregung sprudelte und spritzte ebenso aus ihrem Bauch herauf in den Hals und sie musste kichern, damit es nicht darin stecken blieb.
Noch ein bisschen laufen lassen, es beruhigte sie irgendwie und Bea konnte wieder denken. Großmutter! Sie musste zu ihr.
Bea trat über die Türschwelle, diesmal ohne den Schmerz. Doch nun wartete schon das nächste Unheil auf sie. Wer hatte das Licht da draußen ausgeknipst? Bea blieb stehen und ließ ihren Blick durch das dunkle Zimmer schweifen.
Sie sah die Umrisse des Bettes, wo Großmutter lag, den Stuhl daneben und das Fenster.
Das tanzende Sonnenlicht war verschwunden. Von einen auf den anderen Moment. Ein Gewitter? Oh nein, bitte nicht! Das war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnten. Mutter war immer noch in den Bergen. Dort oben zu sein, bei einem Unwetter, war wie über ein Brückengeländer zu balancieren. Oder über dünnes Eis zu spazieren. Oder wie Fabian zu sagen, dass sie Herzklopfen bekam, wenn sie ihn sah.
Bea ging zum Bett.
Sie tastete nach dem Nachtkästchen, knipste die Lampe an und stellte das Glas neben das Foto, von dem ihr Mama, Großmutter und sie selbst − einige Jahre jünger − entgegen lächelten. Das war Mutters Geburtstag gewesen, Bea erinnerte sich genau. Sie hatte ihrer Mutter an diesem Tag das erste Mal einen selbstgepflückten Blumenstrauß geschenkt und war stolz wie ein junges Reh gewesen, das die ersten Schritte macht.
Ein Brodeln fuhr durch das Zimmer, bis in Beas Füße und Beine hinein. Tausende kleine Käfer krabbelten hinauf − so fühlte es sich zumindest an. Es donnerte wie ein Paukenschlag und die Erde erzitterte. Grüne Lichtblitze durchzuckten den Raum. Die Stille wurde zerfetzt und zerplatzte wie ein Luftballon. Die Welt geriet aus den Fugen.
Doch warum dieses Grün? Das waren keine gewöhnlichen Blitze. Bea ging zum Fenster und was sie dann sah, vereiste ihre Blutbahnen und lähmte ihre Muskeln.
»Meine Güte!«, murmelte sie. Was verdammt nochmal war das nur? Sie blickte zu ihrer Großmutter, die sich unruhig hin und her wälzte. Bekam sie etwas mit oder hatte sie zu hohes Fieber? Ihre Augen jedenfalls waren geschlossen.
Bea ging um das Bett herum, fuhr mit der Hand über die Decke, als wolle sie sich daran festhalten. Sie öffnete das Fenster und beugte sich hinaus. Ihr Blick war fest auf den Berg geheftet. Auf den Gipfel und auf das, was dort oben war. Bea konnte das Bild, das sie sah, nicht mit den Bildern, die sie kannte, verbinden und so kollabierten ihre Gedanken wie ein heiß gelaufener Computer. Sie stürzten ab − sozusagen.
Der Wind nahm zu. Er heulte über die Felder und um die Häuserecken herum. Wie ein Ungeheuer trieb er dort draußen sein Unwesen. Dabei zog er die Dunkelheit mit sich, nur die Sterne und der Mond gaben etwas Licht ab, lediglich so weit, dass man Umrisse erkennen konnte.
Die Bäume ächzten wie schwer arbeitende Menschen, die Äste knarzten, als brächen sie jeden Moment auseinander wie zu dünne Knochen. Das Laub rauschte, als läge das Meer vor der Tür − die Natur rundherum war bis auf das letzte Staubkorn in Bewegung. Ein Konzert der Bäume, Sträucher und des Windes. Dirigiert von den lautlosen Blitzen, die nicht vom Himmel kamen, sondern vom Berg.
Plötzlich hörte Bea Stimmen. Eine tiefe und eine helle. Sie hörte eine Tür knallen, Treppen knarzen. Dann riss jemand die Tür zum Zimmer auf und Bea beobachtete durch einen Nebel, wie ihre Mutter und − scheinbar ein Arzt − hereinkamen und zu Großmutter eilten. Sie schlugen die Decke zurück. Der Mann legte seine Hand auf die Stirn der Fiebernden. Er musste sich weit hinunterbeugen, denn er war riesengroß.
Bea sah das alles, als wäre sie unter Wasser. Die Stimmen verzerrt, die Personen verschwommen. Noch immer bebte die Erde, Wände wackelten und dann dieses ohrenbetäubende Rauschen. Hinzu kam der Weltuntergang dort draußen, das seltsame Ding, das sich auf den Gipfel des Berges hinabgesetzt hatte, wie ein Teller mit Lichtern. Grüne Lichter, die bis zu Bea strahlten. Dieses Objekt schien nicht von dieser Welt, es war bedrohlich. Ein Dirigent des Unwetters.
Von dieser Sekunde an konnte Bea nichts mehr fühlen. Das Leben änderte sich innerhalb eines Donnerschlages. Eine Tür wurde geschlossen und ihr eine Brille aufgesetzt, Fesseln angelegt und die Gedanken − wie Kaugummi − so zäh und gelähmt. Die Großmutter, die Mutter und die Wände des Zimmers, all das entfernte sich von Bea. Doch das Rauschen des Sturmes rückte näher. Die Blitze vom Berg strahlten umso heller.
Es war, als wären ihre Gefühle, Gedanken und Erinnerungen aus ihr herausgesaugt worden. Sie sah alles und konnte nichts mehr empfinden. Als würde sie träumen.
Der Arzt gab ihrer Großmutter eine Spritze, Mama löffelte ihr das Veilchen-Serum in den Mund und Bea stand einfach nur da und sah zu wie bei einem Theaterstück. Nur, dass keiner dabei klatschte.
Der Boden unter ihren Füßen brodelte wie ein Vulkan - ein schlafender Riese. Was war es, das ihn aus dem Schlaf gerissen hatte? Wer hatte ihn geweckt und somit seine Wut freigesetzt? Sein tiefes Grollen ließ die Wände erzittern. Bea kauerte sich auf den Sessel, der am Fenster stand. Die weichen Kissen zogen sie an sich, umarmten sie wie ein tröstender Freund.
Dieser Tag, an dem das Licht verschwunden und der Riese erwacht war, wurde Alltag. Jeden Morgen wartete Bea auf den Sonnenaufgang, wartete, dass die Nebeldecke aufbrach, die über dem Ort lag. Jeden Abend blickte sie zu den Sternen und zählte sie.
Das Licht der Sonne war nach wenigen Wochen der Finsternis nurmehr eine entfernte Erinnerung. Sah Bea in die andere Richtung, dorthin wo der Berg war, fand sie stets dasselbe Bild vor.
Noch immer hockte das Ding auf der Spitze wie eine Spinne, die Gift versprühte und Leben aussaugte. Das Dorf war wie eine Fliege, die tot und ausgetrocknet in einer dunklen Ecke lag. Und die Bewohner: kleine Mücken, gefangen im Spinnennetz.
Beas Freunde verschwanden aus ihrem Leben.
Ihre Mutter sagte, das Dorf sei wie leergefegt. Keine Menschenseele weit und breit. Seit dem Tag, als das Ding gelandet war. Dieses außerirdische Objekt, was hatte es zu bedeuten? Keine der drei Frauen wollte über das Licht dort oben sprechen, das aussah, als käme es aus einer anderen Welt.
Nichts war mehr so wie zuvor. Großmutter erholte sich nur langsam von dem Schlangenbiss. In dem Alter regeneriert sich der Körper nicht mehr so gut. Mutter steckte all ihre Energie in die Pflege ihrer Mutter. Bea beobachtete sie von ihrem Platz am Fenster aus. Wie eine fleißige Ameise krabbelte Mutter von einem Eck ins andere. Nur niemals ruhen.
Bea war umgeben von Watte. Gedämpfte Stimmen. Ferne Gesichter. Sie konnte den Tag nicht vom Abend unterscheiden. Den Sommer nicht vom Winter. Die Welt war ein Nebelmeer. Die Zeit ein Wolf im Schafspelz. Die Körner rieselten unaufhaltsam zwischen den Fingern hindurch.
Die Erinnerungen stachen wie Dornen. Bea sah das Licht. Golden schimmerte die untergehende Sonne. Lachende Gesichter. Wärme. Geborgenheit und − Glück. Das war alles so weit weg wie der Feuerball selbst. Unendlich und unerreichbar. Nur ein Traum. Eine Reflexion. Eine Fata Morgana.
Fabian. Auch er war nur noch eins von vielen unscharfen Bildern im Kopf. Ein Traumbild. Weit entfernt. Würde sie ihn jemals wiedersehen? Wo war er, was war mit all den Menschen geschehen? Bea saß auf ihrem Stuhl und blickte aus dem Fenster. Sie konnte die Umrisse des Apfelbaumes sehen, da, wo Fabian sie geschnappt hatte, am letzten Tag, bevor alles dunkel wurde.
Sie versuchte, sich an mehr zu erinnern, um wenigstens in Gedanken glücklich zu sein – doch selbst Fabian verschwamm vor ihrem geistigen Auge.
Wo waren sie alle? Kein Mensch kann verpuffen wie Wasserdampf oder Seifenblasen. Großmutter sagte, sie seien von dem Ding aufgesaugt geworden. Wie die Motten vom Licht waren sie angelockt und dann verschlungen worden. Doch sicher wusste sie es nicht. Und warum waren sie drei dann noch hier? Warum waren sie die Einzigen weit und breit?
Verwaiste Häuser, verwilderte Gärten. Dornenranken, die sich die Hauswände empor fraßen. Klappernde Fensterläden, streunende Hunde und Katzen, die nach Nahrung suchten − ihr Napf war von einen auf den anderen Tag nicht mehr gefüllt worden. Bald kamen Füchse und Wölfe, sogar Rehe und ein Wildschwein hatten die leeren Häuser gewittert und durchforsteten die Speisekammern.
Bea saß am Fenster in ihrem Sessel. Ihre Hand strich über das Rosenmuster auf der Lehne. Vielleicht könnte sie der Blume Leben einhauchen, sie blühen und duften lassen. Sie blickte auf und beobachtete Großmutter und Mutter, die sich in einem Netz aus Wörtern und Klagelauten verhedderten.
Immer wieder hörte sie ihren Namen aus dem Buchstabensalat der Sprechenden. Doch Bea nahm die beiden Frauen nur aus den Augenwinkeln wahr, die Realität rückte von Stunde zu Stunde weiter von ihr fort. Wie eine Wolke, die langsam vorüberzog. Beas Blick war Tag und Nacht nur auf das grüne Licht gerichtet. Sie wollte nicht verpassen, wenn das Objekt wieder fortfliegen würde. Die Lichtblitze zuckten regelmäßig über das Land. Bea kannte die Muster der Strahlen in und auswendig.
Die Stimmen verklangen und Stille trat ein. Ein Tee wurde zu Bea aufs Fensterbrett geschoben. Irgendein Gemurmel drang zu ihr. Der Dampf von heißem Wasser stieg ihr ins Gesicht.
Bea wusste, dass es Tee war, aber sie besaß keinen Geruchssinn mehr, auch schmeckte sie die Sorte nicht. Für sie war es nur heißes Wasser. Der Dampf schlug gegen das Fenster und die Welt da draußen wurde noch grauer.
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