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Yaro Hartmann wird am Neuen Rathaus in Hannover ermordet aufgefunden. Kommissarin Anuschka Lindemann und ihr neuer Kollege Rainer-Maria Koslowski aus Berlin machen sich auf eine Spurensuche, die sie in die unterschiedlichsten Kreise der Leinestadt führt – und zu einem Fall, der sich als schwierig zu lösende Aufgabe entpuppt. Denn Hartmann hatte viele Facetten: Als Kind adoptiert, lebte der gebürtige Nigerianer seitdem in Hannover. Neben der Karriere als IT-Leiter in einem internationalen Konzern zog es ihn in die Politik der niedersächsischen Landeshauptstadt. Hartmanns Vater beging unter mysteriösen Umständen Selbstmord. Er war offensichtlich in finanziellen Nöten, und sein Sohn half ihm mit Geld aus, das aus nicht-seriösen Quellen zu stammen scheint. Auf der Suche nach der Quelle des Geldes finden sich auch die Ermittelnden Lindemann und Koslowski schnell im lokalpolitischen Umfeld der Leinestadt wieder. Merkwürdig scheint ihnen vor allem die politische Wendung Hartmanns von einem links-ökologischen Ratsherrn zum überzeugten Rechten. Schnell ist klar: Dieser Fall ist komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Und welche Rolle spielen Hartmanns Kontakte ins Rotlichtmilieu der niedersächsischen Landeshauptstadt? Auch das Ermittler-Duo hat es anfangs nicht leicht miteinander: Die so attraktive wie stilbewusste und scharfsinnige Kommissarin Anuschka Lindemann findet ihren frisch aus Berlin versetzten Kollegen Koslowski eher spießig. Hinzu kommt sein Berliner Dialekt, der im korrekt Hochdeutsch sprechenden Hannover immer wieder auffällt, und nur langsam nähern sich die beiden unterschiedlichen Charaktere einander an. Die genauere Beleuchtung der familiären Verhältnisse und der politischen Motive Hartmanns fördert zwar Widersprüche und Ungereimtheiten ans Tageslicht, doch scheinen sie für ein Mordmotiv zunächst nicht hinreichend zu sein. Die Ermittler entscheiden, noch tiefer in Hartmanns Leben zu graben. Und sie werden fündig: Hartmanns Bewegungsprofil deutet darauf hin, dass er regelmäßig Prostituierte in einem Gebäude neben seiner Wohnung besucht hat. Seine Ex Beziehung erzählt sogar, dass er sie und vermutlich auch die Prostituierten vergewaltigt habe. Die Recherche im nahegelegenen Hochhaus in der Constantinstraße gibt Hinweise auf eine weitere Frau, eine Aussteigerin, die bis vor Kurzem von Hartmann belästigt, misshandelt und bezahlt worden ist. Hat ihr Freund, der ihr auch beim Ausstieg half, Hartmann getötet, um seine Freundin zu beschützen? Ein Hannover-Krimi mit politischem Lokalkolorit vom Feinsten!
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Seitenzahl: 245
Veröffentlichungsjahr: 2025
Martin Creutzig
Befreiungsstich
Ein Hannover-Krimi
Creutzig, Martin: Befreiungsstich. Ein Hannover-Krimi. Hamburg, edition krimi 2025
Originalausgabe:
ePub-eBook: ISBN 978-3-949961-28-1
Dieses Buch ist auch als Print erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.
Print-ISBN: 978-3-949961-27-4
Lektorat: Edith Engelmann
Korrektorat: Bennet Stange, edition krimi, Hamburg
Satz: Sarah Schwerdtfeger, edition krimi, Hamburg
Umschlaggestaltung: © Annelie Lamers, Hamburg
Umschlagmotive: Mann - © standred/stock.adobe.com | Karte - © Knut Hebstreit/stock.adobe.com | Sturktur - © APHOTOSTUDIO/stock.adobe.com
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© edition krimi, Hamburg 2025
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Vorstellungsrunde
Spurenloser Machtkampf
Heute schleppt den Scheiß von gestern nach morgen
Jesus hilft immer!
Die Entwicklungshelfer
Im Unterholz von High-Tech
Aufräumarbeiten
Die Peitsche der vielschwänzigen Wahrheiten
Im Kosmos der schwachen Signale
Das Phantom des Opfers
Sind Nutten Menschen?
Aus Russland kommen Steine statt Gas
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Am Morgen des ersten Dezembers des Jahres 2023 quälte sich der Berufsverkehr nach Hannover hinein. Ein Tief hatte bereits zwei Tage zuvor die Landschaften Niedersachsens mit minus zehn Grad stocksteif gefrieren lassen, und dichter, anhaltender Schneefall behinderte Auto- und Bahnverkehr.
Ansgar Wünsch hängte seinen durchnässten Mantel an den Haken eines freistehenden Garderobenständers. Der Kriminaloberrat der Kriminalfachinspektion Eins, zuständig für Mord und Totschlag, am Waterlooplatz in Hannover schüttelte sich und rieb sich die Hände. »Ein Sauwetter ist das!«
»Kaffee kommt gleich!«, hörte er die Stimme seiner Assistentin Sabine Arndt. Ihre Stimme klang gedämpft, was Wünsch auf eine verstopfte Nase zurückführte. Schon stand sie mit zwei Tassen im Türrahmen. Das Gesicht der korpulenten Endfünfzigerin strahlte in Knallrot, während sie schniefte. »Ich habe mir heute Tee gemacht. Ist besser bei der Scheiß-Erkältung!«
»Bleib doch ein paar Tage zu Hause, kurier dich aus!«, schlug Wünsch ihr mitleidig vor.
»Ne, ne, das wird schon wieder! Außerdem, mein lieber Chef, wenn ich dich nicht daran erinnere, dass du mal was isst, wird deine liebe Frau eines Tages durch dich hindurchlaufen.« Ihr fleischiger Zeigefinger wies auf Wünschs Figur. »Da sind doch seit letzter Woche bestimmt wieder zwei Kilo verschwunden, oder?«
Nachdem er an der Tasse genippt hatte, sah er an sich herunter. Er wurde nicht rot, fühlte aber Wärme ins Gesicht aufsteigen, als sei er ertappt worden. Denn erst vor zwei Tagen hatte er in seinen Gürtel ein weiteres Loch gestanzt, um ihn enger zu ziehen. Sein schmales Gesicht ließ ihn wegen seiner Blässe kränklich aussehen, aber seine fast schwarzen Augen waren die eines Falken. Lebendig folgten sie jedem Detail, um es messerscharf zu analysieren. Seiner Sehschärfe stand eine Hörschwäche entgegen. Das kleine Gerät hinter seinem Ohr war kaum zu sehen. Seit drei Jahren war es sein ständiger Begleiter, dabei war er erst knapp vierzig.
»Vielleicht solltest du endlich wahrmachen, was du schon so lange vorhast, nämlich nach Hannover ziehen. Du hast einen stressigen Job, und die alltägliche Pendelei von Hameln hierher nervt doch nur – und das jeden Tag mit dem Auto.«
»Du weißt doch, Marianne hängt an ihrem Garten.«
Sabine stieß ein Lachen aus, das ein kurzer Hustenkrampf erstickte. »Sie kann ja wählen: Sie behält ihren Garten und ihr Mann hat sich irgendwann in Luft aufgelöst, oder ihr nehmt endlich so eine tolle Wohnung an der Eilenriede. So lange hast du das schon vor! Laura, meine Frau«, fuhr sie ohne Pause fort, »hätte so gern einen Garten mit Haus auf dem Land.« Als Wünsch „Laura, meine Frau“ hörte, verharrten seine Augen für einen Moment auf der ausladenden Oberweite im hellblauen, knielangen Wollkleid. Er rollte, von ihr abgewandt, die Augen. Noch immer war es für ihn nicht alltäglich, dass Sabine in einer lesbischen Beziehung lebte. »Wenn ich in Pension gehe, machen wir das – ganz sicher!«
Er öffnete flugs seinen Laptop, ließ ihn hochfahren. Auf keinen Fall wollte er heute weiterhin auf seine körperliche Disposition angesprochen werden. Er tippte das Programm seines Kalenders an. »Was haben wir denn heute?«
»Erst ist sie zu, die blöde Nase, dann läuft sie wie Hulle! Hast du mal ’n Tempo?«, fragte seine Assistentin, wobei sie glasklare Tropfen mit ihrem Handrücken unter ihrer Nase wegwischte.
Wünsch zog eine Schreibtischschublade auf, hielt ein weiß-blaues Päckchen in der Hand und hielt es ihr hin. Noch während sie in das Papier schniefte, hörte Wünsch ihr verhaltenes Lachen.
»Heute kommt das Feuerweib!«, nuschelte sie hinter dem Taschentuch.
»Du meinst Anuschka, Anuschka Lindemann?«
»Klar meine ich sie, die hat doch Feuer im Arsch ohne Ende, und ihr Intellekt ist so scharf wie ihr Body.« Ihre Stimme wurde wieder deutlicher, während sie das Tuch in den linken Ärmel ihres Kleides schob.
»Sie ist gelegentlich etwas vorschnell, aber ihre Analysefähigkeit ist eine Ausnahmeerscheinung bei uns«, bestätigte Wünsch. Er sah auf den Eintrag in seinem elektronischen Kalender. »Sie bekommt einen neuen Partner, den Kollegen aus Berlin. Warte mal, wie heißt der gleich? Ich hab’s: Rainer Maria Koslowski.«
Sabine ging um den Schreibtisch herum und beugte sich hinter ihm zu seinem Bildschirm herunter, denn sie hatte das Porträt von dem neuen Kollegen entdeckt. Sie wich ein Stück zurück. »Der sieht ja aus, der sieht ja aus … wie ein Kampfhund.«
»Sag mal, Sabine …!«, entfuhr es ihm.
Doch sie unterbrach ihn. »Doch Chef, guck dir doch mal dieses runde Gesicht an, das ist ein Ball mit Glatze. Ob er sich die poliert? Und diese Lippen, das sind ja Würste! Mit den Ohren kann er segelfliegen.« Mit einem Ruck drehte sich Wünsch zu ihr, und er sah in ein breites Grinsen.
»Jetzt reicht’s aber! Bestimmt ist er ein sehr liebenswürdiger, zuvorkommender Kollege.«
»Warum hat er sich zu uns nach Hannover versetzen lassen? Aus der Weltstadt Berlin in die Provinzhauptstadt Hannover? Da stimmt doch was nicht! Wie alt ist er?«
Wünsch klickte auf das Foto, und der Lebenslauf erschien. »Sechzig«, stellte Wünsch fest und fügte an: »Ein erfahrener Kollege.«
»Vielleicht ist er ja ein Abgeschobener, ein von den Kollegen in Berlin abgeschobener Migrant, Aufenthaltserlaubnis in Berlin abgelaufen, auf nach Ruanda oder eben Hannover.«
»Sabine, du bist doch sonst nicht so voreingenommen. Was ist denn los mit dir?« Erstaunt drehte sich Wünsch herum, um sie über seine Schulter hinweg mahnend anzusehen.
Sabine hustete und hielt sich die Hand vor den Mund. »Was hat der denn da in Berlin so gemacht? Hast du das gelesen?«
»Klar, habe ich das! 1990 oder ’91 von der DDR-Polizei in Ostberlin in den Westdienst übernommen, dann war er beim Dezernat für Eigentumsdelikte und später beim Morddezernat – bis heute. Da kriegen wir bestimmt einen sehr erfahrenen Kollegen!«
»Hm, DDR, Ostberlin?« Ihre Stimme klang etwas gequält.
»Du hast Vorurteile!«, schalt er seine Assistentin.
»Mag sein, aber du warst neun, als die Mauer fiel, und ich fünfundzwanzig. Meine Eltern haben damals über Ungarn rübergemacht, wie man das seinerzeit nannte. Ich kenne genug Geschichten! Wer sagt dir, dass er kein Stasi-Knecht war?« Sabine Arndt beharrte auf ihren Zweifeln.
»Die Aktenlage«, erwiderte Wünsch trocken.
»So, so, die Aktenlage. Was so eine Aktenlage alles weiß. – Wie soll das denn mit Anuschka funktionieren? Hattest du keinen anderen Partner für sie?«
»Die anderen Teams arbeiten seit Jahren routiniert zusammen, sie sind eingespielt. Das waren Anuschka und ihr bisheriger Partner ja auch. So wie der Verlauf seiner Erkrankung aussieht, kommt er nicht wieder. Mich macht sein Siechtum und diese Aussichtslosigkeit so sehr traurig!« Er umfasste die Kante der Schreibtischplatte, als gäbe sie ihm Halt.
»Ich stelle mir nur mal gerade die beiden zusammen im Dienst vor. Der Dicke aus Berlin im Anzug mit Krawatte und Anuschka, die nur Miniröcke, Stiefel oder Pumps trägt, die neben ihren riesigen Ohrringen auch noch diesen kleinen durch die Nase hat … Ich meine, wie sieht das denn aus?«, mokierte sich die Assistentin.
»Anuschka überrascht jeden Verdächtigen, wenn sie ihren Dienstausweis zückt. Wer weiß, vielleicht passen die beiden ganz gut zusammen, wenn der Berliner Kollege so ein bisschen was von Kojak hat. Kennst du den noch, Telly Savalas?«
»Du und dein Faible für alte Krimiserien auf RTL Nitro! Ob der Koslowski auch immer mit einem Lutscher im Mund rumläuft?«
»Du hast ja Ideen!« Wünsch schüttelte den Kopf.
»Wann kommen die beiden denn? Ich habe es vergessen.«
Wünsch beugte sich nach vorn, und eine Hand umfasste jetzt den Rand der Tischplatte. »Um neun.«
Sabine sah auf ihre schwarz glänzende Smartwatch. »Das ist ja in ein paar Minuten! Der Kaffee müsste schon durch sein.«
Wünsch sah auf die Uhr seines Laptops, als die Tür zu seinem Büro ohne Anklopfen aufging. Es knarzte etwas. Er hörte das Hamburger »Moin« der Stimme einer Frau, die er kannte. Sie war etwas mädchenhaft piepsig, und sie stand im Widerspruch zu der Erscheinung, der er gleich gewahr werden würde. »Immer wieder schön, dich zu sehen, Sabine!« Man kannte sich schon lange.
»Heute bei der Kälte keinen Minirock?«, hörte Wünsch Sabine fragen.
Anuschka stand in einem langen schwarzen Ledermantel vor ihm, den sie ungeachtet der Raumtemperaturen sofort auszog und an einem in der Ecke des Raums stehenden Kleiderständer vorbei direkt auf den Schreibtisch des Kriminaloberrats fliegen ließ, wo er neben dem Laptop Wünschs landete. Ihm folgte eine kleine, knallrote Lederhandtasche. Unter dem Mantel trug sie natürlich – Wünsch hatte es nicht anders erwartet – einen Minirock, an diesem Tag in Schwarz passend zum Mantel, ihren Strumpfhosen und ihren Lederstiefeln, deren Stulpen schützend die Knie überragten. Dazu trug sie silberne Kreolen, in die kleine Diamanten eingelassen funkelten. Ihre Frisur schien auf den Ohrschmuck abgestimmt, denn der Schnitt ihres pechschwarzen Haares war an den Seiten kurz, nur an den Wangen schlängelten sich blond eingefärbte Strähnen bis zu ihrem Hals.
»Wir haben einen Garderobenständer!«, begrüßte Wünsch sie.
»Wollen wir diplomatische Noten austauschen oder mit dem Berliner Bären reden, der mein Kollege werden soll?«
Ruckartig ließ Wünsch die Kante seines Schreibtischs los. Diese Frage hatte er nicht erwartet. Eigentlich war sie eine Frechheit. Aber genauso kannte er Anuschka. Sie hatte Recht. Sie waren zum Reden hier, nicht, um sich um Höflichkeitsfloskeln zu scheren. Dennoch konnte Wünsch Grenzüberschreitungen nicht auf sich sitzen lassen, weshalb er zusammenhanglos feststellte: »Du bist zu früh!«
Sie sah auf ihre Uhr, grinste und meinte: »Ich komme immer zu früh, besser als zu spät. Oder schlimmstenfalls gar nicht. Was meinst du, Chef?« Kaum merklich strich ihre Zungenspitze über ihre Oberlippe. Anuschka wandte ihren Kopf suchend nach links und rechts. Sie griff nach ihrer Handtasche, fingerte einen goldfarbenen Lippenstift heraus, stellte sich vor das Fenster und besah ihr Spiegelbild. In knalligem Kirschrot zog sie ihre Lippen nach. Dann hängte sie sich die Tasche über die Schulter.
»Zeit, sich auf den neuen Kollegen vorzubereiten, befand Wünsch. Mit einer Armbewegung wies er auf eine moderne Sitzgruppe von kunstlederbezogenen Stahlschwingern mit einem rechteckigen Glastisch in der Mitte.
»Ich hole mal Kaffee für uns alle und für den Berliner Bären.« Kopfschüttelnd nahm Sabine den Mantel auf dem Schreibtisch ins Visier und verließ Wünschs Büro. Derartige Personalgespräche waren nicht ihr Arbeitsfeld.
Aus der Teeküche nebenan hörten sie Sabines Stimme: »Du bist eine Wunderheilerin, Anuschka! Seit du da bist, schniefe ich nicht mehr!«
»Fuck you, mach lieber Kaffee, meine liebe Lesbe!« Anuschka fischte ihre rote Handtasche von Wünschs Schreibtisch und begab sich zur Sitzgruppe nebenan.
»Schon da!«, balancierte Sabine sich und ein Tablett mit Kaffee und Tee zum Glastisch.
Wünschs Puls raste nach oben angesichts einer drohenden Diskriminierung im Amt. Sabine setzte das Ensemble ab. »Alles OK Chef, denk nicht mal dran! Sie ist ja selber eine oder bi oder irgendwas!«, Sabine legte ihre Hand auf seine Rechte, während seine Linke Halt am Rand des Tisches suchte.
Es klopfte an der Tür.
»Pünktlich wie die Mauer!«, präzisierte Wünsch seine Ahnung, wer da gerade angekommen war. Er stand auf, den neuen Kollegen persönlich als Erster zu begrüßen. »Herzlich willkommen in Hannover!«
»Polizeioberkommissar Koslowski – anjenehm, wa.« Der Berliner Bär ergriff die ausgestreckte Hand seines Gegenübers. Wünschs Hand verschwand in seiner Pranke. Der Neue sah sogar noch wuchtiger aus, als die Fotos es vermuten ließen. Sein Körper steckte in einem einteiligen Anzug, der Mann war nicht dick oder fett, einfach nur massig und durchtrainiert. Nur sein Kopf war kugelrund wie ein Fußball, was seine glänzende Glatze noch betonte. Graue Augen traten aus den Höhlen heraus, ein Eindruck, der angesichts seiner kolbenartigen, fleischigen Nase etwas zurücktrat. Sein eckiges Kinn durchbrach den Eindruck eines Balls, der sein Gesicht formte.
Koslowski folgte Wünsch ins Büro. Das Gespräch, das Sabine und Anuschka gerade führten, erstarb augenblicklich. Sabine hatte den Satz nicht gesagt, aber Wünsch hatte ihn gehört: »Was ist das denn? «
Wünsch stellte Koslowski zuerst seiner neuen Partnerin Anuschka vor und dann Sabine. Er bat Anuschka und Koslowski, Platz zu nehmen.
Sie tranken Kaffee, und Wünsch referierte zur Kriminalfachinspektion Eins. Er ging auf die Aufgaben ein, die Anuschka und ihr vorheriger Partner bislang sehr erfolgreich wahrgenommen hatten. Dann referierte er Koslowskis Lebenslauf in kurzen Absätzen, wobei er dessen Erfahrung hervorhob und das mehrfach wiederholte. Eigentlich hasste Wünsch Referate. Er baute Pausen in sein Referat ein, er stellte Fragen, auf die beide nicht antworteten. Aber so konnte er vor sich herschieben, was unvermeidbar passieren würde: Die beiden passten nicht zusammen. Er hatte geredet und nun ging ihm der Stoff aus.
Lindemann und Koslowski saßen sich schweigend gegenüber. Wünsch hörte eine imaginäre Glocke, die eines Boxrings, die zur ersten Runde schlug. Mit einem leisen Stöhnen stützte Anuschka ihre Hände auf den Stuhllehnen ab, nahm einen leichten Schwung, stand auf und ging auf Koslowski zu. »Anuschka Lindemann«, sie hielt Koslowski die Hand hin und räusperte sich. »Also Anuschka – wir sollten uns duzen, wir sind ja jetzt Kollegen.«
Koslowski sprang auf, und Wünsch krampfte seine Finger ineinander, war er von der Beweglichkeit eines solch massigen Körpers völlig überrumpelt. Der Berliner ergriff die Hand seiner neuen Kollegin, sah dabei auf das Vinyl des Bodens und meinte: »Det jeht jar nich, wa! Icke duze meine Kollejen, aber rede ihnen mit Nachnamen an. Det hat jroße Vorteile, wenn de ins kurze Jras kommen tust. Denn biste bei Sie und det Nachname haste immer jesacht. Leuchtet in, wa?«
In Zeitlupe setzte Sabine die Teetasse ab. Anuschka stieß den Atem so kräftig aus, dass Wünsch die Augen aufriss, weil er vermutete, ihr Atem würde als Abgas eines startenden Autos ihren Nasenflügeln entweichen.
Anuschka sprach Koslowski mit ruhiger Stimme an: »Du meinst so wie an der ALDI-Kasse: Frau Meier kannste mal kommen, die Bonrolle ist alle! So meinst du das?! Na, Genosse Generaloberst, dann mal auf gute Zusammenarbeit – das kann ja was werden!«
»Wird schon, Punk-Lady! Mach dich kene Jrappen! Icke bin schon mit janz andere fertig jeworden, wa?«, sagte er, während er eine Hand auf ihre Schulter legte.
Anuschka drehte sich aus der Berührung, zog ein Päckchen Zigaretten aus ihrer knallroten Handtasche und öffnete es. Sie sah sich in der Runde um und fing Wünschs Kopfschütteln ein. Die Zigaretten verschwanden in ihrer ledernen Versenkung. Sie fischte nach dem goldenen Lippenstift, bekam ihn zu fassen, legte ihn auf der Tischplatte ab, fingerte einen sehr kleinen rechteckigen Spiegel heraus und zog sich ihre Lippen nach. Ihre Hand rutschte ab, als das Klingeln eines Telefons die quälende Stille unterbrach.
Wünsch entflocht seine mittlerweile weißen, blutleeren Finger. Sabine neigte ihren Kopf zur Seite, ihre Augen auf der Suche nach etwas, das an seiner Hand klebte. Aber da war nichts. Sie fühlte sich allein mit Koslowski, während ihr Chef sprach.
Wünschs Bewegung nahm Dynamik auf, sobald er stand. Er hatte den Hörer in der einen Hand und notierte mit der anderen etwas auf einen Notizblock auf seinem Schreibtisch. Ständig wiederholte er: »Ja, ich verstehe. Ja, ich verstehe. Ja, ich verstehe«, während er Anuschka ins Gesicht starrte. Sein Blick löste sich nicht von der Spur des Lippenstifts, der ihr entglitten eine zweite leicht gebogene Linie eines Mundes ins Gesicht gezaubert hatte. Dann schwieg Wünsch für eine Weile, stöhnte auf und meinte: »Ich habe nur ein Team frei, und das arbeitet … wie soll ich sagen … erst seit sehr Kurzem zusammen. Eigentlich arbeitet es noch gar nicht zusammen.« Bis zum Besprechungstisch hörte man das Gegenüber des Telefonats, ohne dass die Stimme zu identifizieren gewesen wäre.
»Der Alte von ganz oben?«, fragte Anuschka und lehnte sich in ihrem Sessel zurück.
Sabine fixierte Anuschkas Mund. »Wenn es der Polizeipräsident ist, muss es ein ganz dickes Ding los sein!«
»Ja o.k., ich schick die beiden!«, beendete Wünsch das Gespräch und legte auf. Er kam an den Glastisch zurück. »Ein Toter am Neuen Rathaus. Ermordet, genauer gesagt erstochen. Die Spusi ist schon da. Ihr macht das! Das ist euer erster gemeinsamer Fall. Also haut rein!« Mit bedächtigen Schritten wandte sich Anuschka dem Schreibtisch Wünschs zu, als könne sie es kaum fassen, Koslowski als neuen Teamkollegen zu haben. Sie legte die Handtasche auf den Schreibtisch, griff sich den Mantel, zog ihn an und ging, die Tasche in ihrer Hand, zur Bürotür. Koslowski sah sie von der Seite an und trottete kommentarlos hinter ihr her.
»Der Koslowski hatte gar keinen Mantel an oder ’ne Jacke oder so, als er hier ankam?!«, fragte Sabine.
Wünsch zuckte mit den Schultern. »Rainer Maria ab jetzt. Er ist unser neuer Kollege.«
Die Dienstfahrzeuge standen auf dem Innenhof. Anuschka steuerte auf einen grauen Skoda zu. Neben ihr lief Koslowski.
»Was habt ihr für Dienstautos in Berlin? Corvetten, Mustangs oder rasende Oldtimer wie Freddy Schenk in Köln?«
»Ne, detselbe Scheiß wie hier, wenn ick mir mal umgucken tue. Ick kann et kaum erwarten, dat ick im Dienst Dacia fahren tue mit die Sparbekloppten überall. Ob det denn noch vier Räder haben tut?« Er holte den Satz aus einer Tiefe seines stimmlichen Repertoires, stemmte seine Hände in die Hüfte und entließ weißen Atemdampf aus dem fetten Kreis seiner Lippen.
»Genosse Koslowski, so schlimm wird es wohl kaum kommen!«
»Lindemann, wenn de mir weiter so provozierst, tun wir nie Freunde werden! Ick war mal Jenosse in die DDR, wie dein Jroßvater wahrscheinlich Volksjenosse war im Dritten Reich oder so?!«
»Denn lauf mal schön weiter mit, Rainer Maria! Wir werden wahrscheinlich nie Freunde, aber als Kollegen müssen wir uns aufeinander verlassen. Das ist eine Vertrauenssache! Deshalb bin ich Anuschka für dich und nicht, weil du mir unter den Rock greifen darfst, sondern weil du mir mein Leben rettest oder ich deines, wenn es hart auf hart kommt, Auge um Auge, Zahn um Zahn! Hast du das kapiert? Warst du noch nie in einem Team mit einer Frau?«
Rainer Maria blieb wie angewurzelt stehen, im Grau des Tages war das Rot in seinem Gesicht nicht zu übersehen, als er sagte: »Nee, ick hatte immer Männer um mir, also im Dienst, ehrlich jetze. Man hat auf so wat Jrücksicht jenommen in Berlin. Könnt ihr ja in Hannover nich wissen, wa? Kennt ihr in de Provinz nich so oder wat?«
Sie wich von seiner Seite, stellte sich frontal vor ihm auf und versperrte damit den Weg zum grauen Dienstfahrzeug. Sie zog die Schachtel aus der kleinen Umhängetasche und zündete sich eine Zigarette an, zog den Rauch ein und blies ihn knapp an seinem Gesicht vorbei wieder aus. Die Tasche baumelte ihr vor der Brust, als sie mit der anderen Hand einen kleinen Spiegel hervorzog. Sie hielt ihn sich vor ihr Gesicht. Im Grau des Wintertages wirkte ihr Gesicht fahl. Sie drückte einen kleinen Knopf auf der Rückseite des Spiegels, woraufhin er illuminierte. Sie sah den Strich des Lippenstifts, der seine Umlaufbahn verlassen hatte und ihre Lippe oberhalb ihres Kinns verschönerte. Sie wühlte in ihrer Handtasche und fand nichts, um das Malheur zu beheben. Sie seufzte und packte den Spiegel in die Tasche.
»Haben wir nich einen Fall?«, weckte sie John Waynes Stimme aus ihrem Beauty-Trauma.
»Die Toten haben unter den Lebenden eine nahezu unfassbare Geduld!«, durchschnitt ihre helle, kehlige Stimme, mit einem Schliff aus Stahl, seinen Einwand. Er stieß erleichtert dampfend Atem in der Vermutung aus, sie habe seine Männergesellschaft vergessen. Er irrte. »Männer tun sich aufeinander verlassen, wa? Is wie ’n Schwur. Kannste mit rechnen. Na, ick gebe dich die Chance, dat ick mir irren tue. Schließlich bin ick just hier in det Provinz und det looft allet janz andert als sonstwo auf die Welt, Lindemann wa?«
»Hast du auch privat nur mit Männern zu tun, Rainer Maria? Ist ja nur mal so eine Frage am Rand. Also, ich hätte kein Problem damit, ganz im Gegenteil.«
»Privat jeht dir nix an, Lindemann. Icke fraje och nich nach, ob de nur mit Frauen rummachst oder Männer privat mit Peitschen versohlst.«
Sie gab ihm den Weg frei, und Koslowski stürzte eilig auf die Fahrerseite des grauen Skodas zu. In ihrem langen schwarzen Ledermantel folgte Anuschka ihm langsam Schritt für Schritt, den Ring des Zündschlüssels auf ihrem rechten Zeigefinger balancierend. Er stand an der Fahrertür, die Handfläche offen, schweigend den Schlüssel fordernd. Sie schüttelte den Kopf.
Eine Hand schnipste an ihrer linken Stirn. Anuschka folgte ihr, und sie spürte einen beißend schmerzenden Griff an ihrem rechten Handgelenk, als er ihr den Schlüssel vom Zeigefinger zog.
Sie saß auf dem Beifahrersitz.
»Wo is det Tatort? War doch janz in die Nähe, oder nich?«
Anuschka zuckte mit den Schultern. Sie drehte am Rand des Sitzes ein Rad. Der Sitz senkte sich.
»Ich kann einfach nur schlafen, schlafen, schlafen in dieser Jahreszeit.«
Sie wandte sich ab, drehte sich zur Beifahrertür und legte ihren Arm unter den Kopf. Sie hörte, dass er tippte. Er nutzte die Navigation.
»So’n Scheiß!«
John Wayne war im Urlaub, sie mutmaßte Lucky Luke, aber dessen Stimme kannte sie nicht – auf jeden Fall war sie höher, verzweifelter, vielleicht war es doch Obelix ohne Zaubertrank.
»Es jibt ’n Neuet Rathaus, det is hier janz nah dran. Ick habe Fotos jesehen, det sieht alt aus. Es jibt ’n Altet Rathaus, nur etwas weiter wech, aber det is jünger. Scheiß Scharaden! Welches is et denn nu?«
Anuschka wachte nach einem Minutenschlaf auf. Vor dem Auto stand Koslowski und rauchte. Wenigstens das war eine Gemeinsamkeit!
Sie kroch vom Beifahrersitz, öffnete die Beifahrertür und torkelte vom Kurzschlaf trunken auf den Mann vor dem Kühler zu:
»Schlüssel, Rainer Maria!«
Der Berufsverkehr hatte sich gelegt. Der Weg vom Waterlooplatz zum Neuen Rathaus war sehr kurz, sie hätten genauso gut zu Fuß gehen können. Der Schneefall war versiegt, stattdessen lebte ein scharfer Wind auf, der die Dunkelheit des ewigen Graus dieser Tage aber nicht verscheuchte.
Schon von weitem war das Meer an Blaulichtern zu entdecken. An der Rückseite des Rathauses lagen die Parkplätze. Anuschka bog in den einzig freien ein, den sie entdecken konnte.
Mit einem Knall warf sie die Autotür hinter sich zu und überließ es ihrem Beifahrer, hinter ihr her zu trotten.
Ein Kollege in weißem Schutzanzug kam ihnen entgegen.
»Das Opfer liegt da hinten.«
Er wandte sich um und wies auf eine Stelle am Boden der Rathausfassade.
»Da ist ein Kellereingang, da liegt er auf einer Folie. Dorthin haben wir ihn transportiert, um ihn genauer zu untersuchen. Ursprünglich lag er unter dieser Rampe da, die man wegen der Baustelle errichtet hat.«
Er wies auf das stählerne Ungetüm, das die Ansicht der Fassade verschandelte.
Fast hatten sie die Stelle erreicht, da erspähte Anuschka Frank Droste, den Leiter der Spurensicherung, denn dieser entfernte sich gerade vom mutmaßlichen Tatort, zog sich die Kapuze vom Kopf, die Handschuhe aus und steckte sich eine Zigarette an. Er war ein schlanker Mann, und als er sich aus dem Schutzanzug schlängelte, erschien er Anuschka wie ein junger Schlaks. Sie kannte ihn bereits länger; die ersten Falten zogen sich an seinen Mundwinkeln entlang, sodass sie ihn auf Ende dreißig taxierte.
Anuschka ging auf ihn zu, wortlos schüttelte sie ihm die Hand und sagte dann:
»Das ist mein neuer Kollege, Genosse Generalob … – t’schuldigung, Kriminaloberkommissar Koslowski. Er ist aus Berlin zu uns gekommen. Das ist sein erster Fall bei uns.«
»Anjenehm!«, Koslowski ergriff Drostes Hand.
»Wo bist du denn heute Morgen ausgerutscht?«
Drostes Zeigefinger wies auf Anuschkas Mund.
»Was? Da ist nichts!«
»Doch! Der rote Strich von deiner Lippe bis fast zum Kinn.«
»Faschingsvorbereitung. Ich bin eine Indianerin auf dem Kriegspfad. Ich habe schon mal mit der Bemalung angefangen!«, antwortete sie lachend.
Droste kramte in der Tasche seines Sakkos, zog ein zerknülltes papierenes Etwas heraus und offerierte es Anuschka.
»Es sieht schlimmer aus, als es ist. Also, ich war gestern Abend in der Markthalle«, mit dem Kopf wies er in die Richtung, wo die Markthalle mit den vielen gastronomischen Leckereien lag, »die andere Serviette habe ich benutzt, die hier ist jungfräulich!«
Anuschka griff danach, im gleichen Augenblick fischte sie, ohne hinzusehen, den kleinen Klappspiegel aus ihrer Handtasche, und bevor der Spiegel in Gesichtshöhe ihr Ebenbild wiedergab, meinte sie:
»Schon ganz schön knitterig, die Jungfrau! Aber danke!«
Mit einem Wisch war der Ausrutscher Geschichte.
»Ihr seid wegen dem da, richtig?«, Drostes Zeigefinger wies in gräulich Nebulöses, hinter dem die Fassade des Rathauses aufstieg. Sein Blick streifte den Koslowskis.
»Is det ’n Einjang da hinter diese, diese Uffahrt für Behinderte, wo se vor die Fassade jeknallt haben?«
»Ich sehe gar nichts!«, warf Anuschka ein.
»Sie haben ja einen Blick wie ein Nachtfernglas, Respekt, Kollege Koslowski! Da hinten ist ein Eingang zum Keller des Rathauses. Die Fassade ist eine Dauerbaustelle. Deshalb hat man diese Rampe aus Stahl vor die Fassade gesetzt. So können Rollstuhlfahrer, aber auch Fußgänger, ungehindert an der Baustelle vorbei zum nächstgelegenen Nebeneingang kommen. Die Baustelle – alles sollte schon längst fertig sein, is es aber nich!«
»Es könnt alles so einfach sein …!«
Anuschka stimmte den Song der Fantastischen Vier an:
»… das ist Niedersachsen, es dauert alles ein bisschen länger.«
Koslowski schüttelte schweigend seinen Kopf, griff in die Innentasche seines Sakkos und zog etwas mit einem weißen Stiel heraus, dessen runder Kopf, den er von Papier befreite, ekelhaft pink strahlte, bevor er in seinem Mund verschwand und er begann, darauf herumzulutschen.
»Jetze mal janz im Ernst: Wat haben wir denn für’n Opfer?«
Droste räusperte sich.
»Die Spusi braucht noch, an den kommt ihr in den nächsten Stunden nicht ran. Deshalb sag ich euch schon mal jetzt, was ich weiß.«
Droste sah Anuschka prüfend in die Augen und dann Koslowski, sich deren Aufmerksamkeit sichernd.
»Den Toten hat ein Bauarbeiter, der an der Fassade weiterarbeiten wollte, vor ungefähr zwei Stunden gefunden. Er hatte Frühschicht. Er hat ausgesagt, dass seine Arbeitsleuchte, so ein Akku-Teil, geflackert habe. Er habe den Strahl in alle möglichen Richtungen gehalten, weil er meinte, der Defekt hinge damit zusammen. Als er auf den Boden leuchtete, habe er gesehen, dass eine Hand unter der Rampe hervorlugte – nur ein bisschen vom Rand. Die Form einer Hand habe er sofort erkannt und doch sei er furchtbar erschrocken, weil es ein wenig dämmerte, aber die Hand schwarz geblieben sei.«
»Schwarz? Icke gloob ja nich, wie lange der da schon jelegen haben muss und keener tut wat merken, oder wat?«, warf Koslowski etwas ratlos ein.
Droste gestikulierte mit den Händen vor seinem Oberkörper. »Nein, nein, der Mann ist ein Schwarzer.«
»’N Nigg …, äh Schwarzer? Wie ist der denn dahin gekommen? Habt ihr was Konkretes?«
»Sag mal, Anuschka! Das kannst du doch nicht sagen!«, empörte sich Droste.
»Det is ja ’n Ding!«
