Beiss mich doch! - Valentina Kramer - E-Book

Beiss mich doch! E-Book

Valentina Kramer

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Beschreibung

Nicht genug, dass Samira mit siebzehn Jahren fast ermordet und dann vampirisiert wird, nein. Als sie sich endlich mit ihrem neuen Zustand arrangiert, verliert sie bei einem Angriff der gefürchteten Werwölfe ihren Freund und Vampirvater Antonio und schwört sich gegen alle Regeln ihres Zirkels Rache. Innerhalb von wenigen Sekunden entwickelt sie eine Strategie und beschließt, den verantwortlichen Werwolf zu töten. Doch als sie Domenico begegnet, ist sie sich plötzlich nicht mehr sicher, wie viel Wahrheit in dem liegt, was der Zirkel ihr erzählt. Sind alle Werwölfe böse? Haben sie wirklich Spaß daran, Vampire bestialisch hinzurichten? Oder steckt mehr in ihnen? Wie steht es um Domenico? Trügt der harmlose Schein? Können die schönen Augen dieses Mannes lügen? Beim Versuch das herauszufinden begeht sie einen fatalen Fehler.

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Seitenzahl: 265

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel 3

2. Kapitel 11

3. Kapitel 15

4. Kapitel 20

5. Kapitel 25

6. Kapitel 31

7. Kapitel 35

8. Kapitel 41

9. Kapitel 45

10. Kapitel 49

11. Kapitel 57

12. Kapitel 60

13. Kapitel 63

14. Kapitel 66

15. Kapitel 68

16. Kapitel 71

17. Kapitel 80

18. Kapitel 83

19. Kapitel 92

20. Kapitel 96

21. Kapitel 101

22. Kapitel 119

23. Kapitel 127

24. Kapitel 132

25. Kapitel 140

26. Kapitel 156

Danke! 159

Beiss mich doch!

Valentina Kramer

Copyright © 2015 by Valentina Kramer, 2. Auflage

Umschlagsgestaltung: Stefanie Fuchs,

Lektorat: Velvett D Black, Satz: Valentina Kramer

Verantwortlich: Vera Leitsch, Villbacherstr. 4, 63599 Biebergemünd

Mailto: [email protected]

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung der Autorin ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische, oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verarbeitung und öffentlich Zugänglichmachung.

All right reserved!

Als Vampir gilt, wer nach menschlichen Massstäben »tot« ist, dennoch weiterhin bewusst agieren kann und sich von Blut ernährt.(»Was zur Hölle …?«, Das Definitionsbuch für nicht-menschliche Lebensformen)

1. Kapitel

Ein rosa Scheinwerfer streift mich und lässt mich wie ein Bonbon aussehen. Ich seufze. So ein grandioser Schwachsinn. Warum ist dieses Licht nicht rot? Möglicherweise sollte Mal jemand ein ernstes Wörtchen mit dem Clubbetreiber sprechen.Ach, egal. Außer mir hat sowieso niemand ein Problem mit diesem krampfhaften Normal-sein-wollen.Die Musik dröhnt so laut, dass ich das Gefühl habe, sie müsste mir das Trommelfell pulverisieren, wenn sie auch nur ein halbes Dezibel zulegt. »Komm tanzen!« Der süße Latino neben mir grinst und ich verdrehe die Augen. »Du weißt genau, dass ich dieses Gezappel nicht leiden kann, Antonio!«

Er seufzt theatralisch: »Moderne Frauen sind so kompliziert.«

Ich grinse.

»Nein, sind wir nicht, du bist einfach steinalt.« Ich erwarte, dass er sauer ist, aber ich kenne Antonio besser. Das Lächeln, das er mir zuwirft, ist, wie immer, umwerfend. Seine weißen Zähne leuchten im Schwarzlicht, als käme er gerade aus einer Zahnpastawerbung. Zum gefühlt tausendsten Mal frage ich mich, wie man nur so verdammt braun wird, wenn man nicht in die Sonne gehen kann. Da spricht höchstwahrscheinlich der Neid, denn selbst als Mensch habe ich nie eine Chance auf dunkle Haut gehabt. Meine ist mehr schneeweiß.

Wie gut, dass ich damit jetzt voll ins Klischee passe.

Antonio beugt sich zu mir runter. Das farbige Licht trifft auf seine Eckzähne und erzeugt ein einmaliges, beinahe hypnotisches Schillern.

Sie sind wunderschön! Schade, dass wir die so selten zeigen dürfen.

Antonio bringt seinen Mund nah an mein Ohr.

»Dann vertrau dem erfahrenen Mann und lass dich ein wenig herumwirbeln.« Ich zucke die Schultern. Er weiß genau, dass er das Spiel hundert Jahre spielen kann, ohne dass ich nachgebe. So lange werde ich allerdings garantiert nicht hier bleiben, das werde ich nämlich keine Sekunde länger als nötig. Für meinen Geschmack ist es viel zu voll. Die anderen Vampire stehen so dicht gedrängt, dass eindeutig zu erkennen ist, dass diese Absteige keine komfortable Wahl für ein Treffen des Zirkels ist.

»Warum eigentlich ausgerechnet hier?«, schreie ich Antonio zu. Der erwidert meinen fragenden Blick und beugt sich wieder zu mir herunter. Wenn er atmen würde, könnte ich es jetzt im Nacken fühlen. Irgendwie unheimlich, dass da so gar nichts ist. Es macht mich ein bisschen nervös, was allerdings auch an Antonio liegen kann. Er hat dieses spezielle Talent, mich unglaublich durcheinanderzubringen, wenn er es darauf anlegt.

»Weil die noch nie hier waren. Und uns hier vermutlich auch niemals finden werden. Verstehst du?« Ich nicke. Mir läuft ein eisiger Schauer über den Rücken, obwohl das längst nicht mehr sein dürfte.

Na ja, zumindest frieren kann ich definitiv nicht mehr. Das ist ziemlich praktisch und der angenehmste Teil von meiner neuen Existenzform.

»Okay. Wenn das so ist, dann ist mir sogar die Kaschemme hier recht.« Antonio grinst. »Komm, gehen wir an die Bar.« Heute gibt es Zirkel-Sonderangebot. Wahrscheinlich haben sie die Bedienungen austauschen lassen, Kellnerinnen gegen bezahlte Sklavinnen, um den großen fiesen Vampiren ihr Blut zu servieren.

Konservendosenblut. Ekelhaftes Zeug, nicht, dass ich einen wirklichen Vergleich hätte, denn das ist natürlich, wie sollte es anders sein, eine Richtlinie unseres geliebten Zirkels.

Mein Blick fällt auf Antonio und auf eine Stelle an seinem Hals. Wenn ich könnte, würde ich rot werden, da das allerdings mangels Durchblutung nicht funktioniert, bleibt die Änderung der Gesichtsfarbe glücklicherweise aus. Noch ein Vorteil am Vampir sein. Ja, okay, sein Blut habe ich schon getrunken, nicht viel, klar. Wo soll er auch viel herhaben? Er ist ein Vampir! Aber als Teil der Verwandlung war es notwendig.

Jedenfalls hat es gereicht um mich auf den Geschmack kommen zu lassen und mich seither mit dem Wunsch nach echtem, menschlichen Blut, zu quälen. Ich erinnere mich noch zu gut daran, dass es mich eine ganze Menge Überwindung gekostet hat, meine Zähne in seinen Hals zu bohren.

Ich vertreibe den Gedanken und schiebe mich hinter Antonio durch die Menge.

Die Vampire tanzen im Licht, verschwimmen zu einer einzigen Masse aus Licht und Schatten. Ich kann keine Gesichter erkennen. Antonio zieht mich vorsichtig durch die Menge. Obwohl wir uns quasi in Blutsauger-City aufhalten, lässt er seine geübte Zurückhaltung nicht fallen.

So ist er eben. Er kann sich niemals entspannen.

»Was willst du?« Ich pralle gegen ihn, weil ich nicht darauf geachtet habe, wo ich hingehe. Sein Körper ist Stahl und Samt gleichzeitig. Noch so ein riesen Vorteil am Vampir sein.

Ich überfliege die Getränkekarte. A positiv, AB und null.

Hm …

Hinter einer rothaarigen Vampirin im typischen Gothik-Look der Zirkelsvampire, hängen fein säuberlich aufgereihte Blutbeutel. Im blauen Licht der Bar sehen sie ziemlich unappetitlich aus.

»Also wie immer?« Ich nicke. Wir haben eine ausgefeilte Taktik entwickelt, mich zu ernähren. Antonio flößt mir einfach irgendwas ein. Meiner Meinung nach macht dieses ganze Blutgruppen trennen gar keinen Sinn. Ich schmecke eh keinen Unterschied, sie sind alle ein bisschen abgestanden und schmecken, als würde man eine Münze lutschen.

»Warm?« Ich schaudere.

»Nein! Igitt!«

Antonio grinst und legt mir einen Arm um die Hüfte. Dann lächelt er sein umwerfendes Lächeln für die Barfrau. Sie ist garantiert viel älter als ich, wirkt aber trotzdem noch genau so jugendlich wie jede Menschenfrau Anfang zwanzig. Ich spüre die Raubkatze »Eifersucht« Stellung bezieht, um zu jagen. Ich konzentriere mich auf die Menge und bemühe mich, das bohrende Gefühl nicht zu beachten. Für bescheuerte Szenen ist das hier sowieso nicht der richtige Ort. Doch trotz meiner Bemühungen, mich abzulenken, gleitet mein Blick zu Antonio. Ich betrachte ihn von der Seite und muss Mal wieder feststellen, dass er umwerfend ist und das ich nie verstehen werde, was er eigentlich an mir findet. Seine dunklen Locken schimmern in der Diskobeleuchtung. Sein Körper bewegt sich kaum merklich im Takt der donnernden Musik.

Er ist elegant, er ist schön.

Verdammt, der Kerl ist ein Supervampir. Einer von der Sorte, bei der die Mädchen alle kreischend auf die Knie fallen.

Und was bin ich? Ein lahmes Klischee auf zwei Beinen.

Vorsichtig zupfe ich mir eine schneeweiße Strähne über die Schulter. Sie gleitet schimmernd auf den Stoff meines dunkelroten Kleids.

»Weißt du eigentlich, dass du darin verdammt scharf aussiehst.« Ich grinse und fahre mir mit der Zunge über einen Fangzahn.

»Sinn der Sache.« Antonios Augen funkeln. Ob belustigt oder ob Mister Schicklich gerade tatsächlich in aller Öffentlichkeit sein Verlangen bekundet, kann ich auf den ersten Blick nicht feststellen.

»Forderst du mich raus?« Ich wickele die Strähne um einen Finger, lege ihm die andere Hand auf die Schulter und ziehe einen übertriebenen Schmollmund.

»Nein. Würde ich niemals wagen.« Er lächelt, hält meine Hand fest und beugt sich wieder zu mir. Diesmal nicht zu meinem Ohr. Seine Zähne blitzen im Licht.

»Einmal warm, einmal kalt!«, blökt die Bar-Tussi neben uns.

Na super. Echt geniales Timing, du Kuh. Das war bestimmt Absicht.

Am liebsten würde ich sie anfauchen und ihr unfreundlich verklickern, dass sie uns nicht nochmal stören soll. Doch da ich zumindest einen minimalen Anteil an Manieren auch in mein untotes Dasein mitgenommen habe, setze ich stattdessen mein unschuldigstes Lächeln auf und nehme ihr die beiden Gläser ab. Weingläser. Natürlich.

Die Vampire verstecken sich auch noch, wenn es nicht mehr sein muss (Mal abgesehen natürlich von ihrem albernen Gothik-Tick). Trotz der Mühe wirkt das schwere, dunkle Zeug in dem Glas nicht im entferntesten so einladend wie Wein. Irgendwas setzen die dem Blut zu, damit es nicht gerinnt, allerdings hat es mich noch nie besonders gereizt, herauszufinden was. Mir reicht das Wissen, dass ich es garantiert schmecken werde, völlig aus.

Ich gebe Antonio das warme Glas. Er lächelt und setzt es an die Lippen. Ich folge seinem Vorbild, trinke aber weit vorsichtiger. Was Blut betrifft, bin ich kein Freund vom Auf-Ex-Trinken. Langsam ernährt sich das Eichhörnchen, oder so.

Ich beobachte, wie Antonio genüsslich die Augen schließt und jeden Tropfen anscheinend ganz fantastisch findet. Ob man sich irgendwann an das Zeug gewöhnt? Keine Ahnung.

»Sieh Mal einer an. Die Black and White Fraktion der vampirischen Minderheiten-Vertretung ist auch zu Gast. Ich fühle mich geehrt.« Der Vampir vor mir deutet eine spöttische Verbeugung an. Seine Haare, natürlich rabenschwarz, sehen aus als hätte er sie aus dem letzten schlechtesten Dracula-C-Movie geklaut, den er finden konnte. Alles in allem sieht er irgendwie aus, wie der hypermoderne Enkel dieses Horrofilm-Klischees. Eigentlich könnte er sich gleich ein Schild um den Hals hängen: Ich bin ein Vampir und als einer von der Zirkelsleitung dürfte er das natürlich, ohne das ihn jemand bestraft. Klar.

»Zisch ab, Nero!« Der Kerl überhört mich und fährt mit seiner Vorstellung fort. Er will mir übertrieben elegant die Hand geben, doch ich weiche einen Schritt zurück, sodass sich Antonios Körper fest in meinen Rücken drückt. Der streckt die Hand aus und reicht sie dem Pseudo-Filmvampir. Verräter!

»Wie laufen die Geschäfte, Nero?« Antonio betont den Namen, denn jeder weiss, dass »Nero« nicht sein echter Name ist. Da sind die Zirkelsmitglieder alle gleich. Die finden das scheinbar mysteriös und ultracool und wer noch seinen Menschennamen trägt, hält nichts auf sich.

»Wie immer, Toni. Meint ihr nicht, dass ihr dieses ganze Spiel langsam Mal bleiben lassen solltet? Mal ehrlich, Leute. Der Albino und der Latino. Findet ihr das lustig?« Meine Finger bohren sich in die Handflächen. Mich juckt es wirklich gewaltig, dem Kerl eine zu scheuern. Nicht auf die mädchenhafte Art, sondern so, dass es weh tut.

Das dreckige Grinsen auf Neros Gesicht macht es nicht besser. Antonio schließt seine Finger um meine Handgelenke. Als ob mich das ernsthaft davon abhalten würde, dem Kerl eine zu knallen!

Zumindest physikalisch kann es das nicht. Der Gedanke an die enormen Probleme die eine Schlägerei mit Nero mit sich bringen würde lässt mich noch abzuwägen, ob es das wert sein könnte, als der Bilderbuch-Vampir zum nächsten Schlag ansetzt.

»Hey, Frischling, eigentlich schon gelernt, wie man richtig Vampir ist?«

Hey! Ich bin Vampir seit zweieinhalb ... ähm ... Jahren. Wie unverschämt.

Das ist eben der Zirkel. Nichts wird jemals vergessen. Schon gar nicht, wer von wem gewandelt worden ist.

Der arme Antonio hatte sicher wenig Spaß damit, nachweisen zu müssen, warum er mich gewandelt hat. Gut, dass ich diese Zeit im halbvampirischen Delirium verbracht habe, dem Zwischenstadium zwischen toter Mensch und untoter Vampir. Es ist kein besonders angenehmes Gefühl zu spüren, wie sich jede Zelle einzeln verwandelt. Und es tut ziemlich weh.

Na ja, jedenfalls hat mir der Zustand den ganzen bürokratischen Kram erspart. Das selbst Blutsauger so versessen auf Papierkram sind ist echt unglaublich.

Verrückte Welt, verrückte Menschen, warum sollte es den Untoten da besser gehen?

»Ich bin kein Frischling mehr, Nero. Wandel dir einen Neuen«, zische ich.

Er grinst und hebt spöttisch eine Augenbraue.

»Ich sehe, die Lady hat schlechte Laune. Dann will ich euch Mal nicht weiter dabei stören das seltsamste Paar der Ewigkeit zu sein.«

»Wer ist hier …« Schon wirbelt er herum und verschwindet in der Masse. Ich hatte nicht Mal Gelegenheit meinen Spruch zu Ende zu bringen. Wie unhöflich. Das ist Nero, was habe ich erwartet? Höflichkeit ist etwas, was er mit seinem menschlichen Namen in eine Kiste gepackt hat, die er irgendwo im Wust seines albernen Regelwerks verlegt hat, der Fiesling.

Antonio verzieht die Lippen. Er sieht irgendwie sauer aus. Verdenken kann ich es ihm bestimmt nicht. Unser Freund Nero war Mal wieder wirklich unmöglich.

»Der ist nur ein aufgeblasener Mistkerl. Lass dich von dem nicht so runter ziehen.« Antonio antwortet nicht, sondern gibt der Barvampirin ein Zeichen. Na super, irgendwas habe ich offensichtlich falsch gemacht.

»Also der Schuppen hier ist absolut frei von IHNEN, ja?«, versuche ich in unserem vergangenen Gespräch wieder einzusteigen. Antonio nickt abwesend.

»Ja ist er.« Er nimmt das zweite Glas warmes Blut entgegen und trinkt es wie das Erste in einem Zug aus. Meine Güte.Der will sich’s heute aber geben, oder? Und das, wo er überhaupt nicht trinkfest ist, was Blut betrifft. Ja, auch ein Vampir kann sich betrinken, wenn er es darauf anlegt. Der Zirkel versetzt das Blut auf den Veranstaltungen fast immer mit etwas alkoholischem, oder irgendwelchen Chemikalien, die ähnlich wirken. Wie vampirisierte Körper das Zeug abbauen weiß ich nicht, allerdings scheint es zu funktionieren. Vielleicht hätte ich Biologin werden und sowas dann nachträglich erforschen sollen, aber bis zu meinem unrühmlichen Ableben konnte ich mich ja nicht auf einen Studiengang festlegen.

»Woher weißt du das? Sie sind doch überall.« Antonio winkt ab.

»Nicht hier. Hier waren sie noch nie.« Ich bin froh, dass er so überzeugt ist. Ich habe keine Lust einem von Ihnen zu begegnen. Vampirkiller. Ekelhafte Halbmenschen mit vergiftetem Blut, die Vampire jagen und töten.

»Wo waren sie zuletzt?« Antonio zuckt die Schultern.

»In der Disko am Bahnhof.« Ich nicke. Letzten Samstag, davon habe ich gehört. Umso besser. Dann haben die heute bestimmt frei. Außerdem ist Freitag, da jagen sie nicht. Ich werfe Antonio ein Lächeln zu, das er halbherzig erwidert.

»Dann sind wir hier also sicher?« Er nickt. Langsam weicht der ernste Ausdruck aus seinem Gesicht und er lächelt, wieder schimmern die Fangzähne im Licht, nur diesmal blutrot.

Jetzt dreht der Club die Vampirparty auf. Die Musik wird abgehobener, klingt überirdisch schön und gleichzeitig unglaublich passend. Der Text, von dem ich höchstens die Hälfte verstehe, hat irgendwas mit Untoten oder Mitternacht zu tun. Eigentlich beeindruckend, wie herrlich kitschig diese Vampire werden können. Nicht, dass sie noch bluttriefende Eckzähne aufhängen, weil sie es schön finden. Oder abgetrennte Körperteile als Deko. Die Musik ist jedenfalls fantastisch.

»Ja. Heute sollten sie in einem ganz anderen Quadranten unterwegs sein.« Meine Eckzähne beginnen, hektisch zu kribbeln. Ich hasse es, wenn er diese Fachausdrücke der Werwölfe benutzt.

»Lass uns über was anderes reden, okay?« Er nickt, sagt aber nichts. Irgendwie beschleicht mich das dumpfe Gefühl, dass er sauer ist. Aber warum? Was habe ich gemacht? Ich lächele ihn an und versuche in seinem Gesicht zu lesen, aber es ist unmöglich zu deuten, was er denkt.

»Über was denn?« Seine Stimme klingt ungewohnt kalt.

»Über das was du heute gemacht hast?«, schlage ich vor. Jetzt müssen wir uns nicht mehr so sehr anschreien. Nicht, weil die Musik leiser ist, sondern weil der Bass weniger in unseren Ohren dröhnt (Vampirohren sind empfindlich und sowas macht uns so gut wie taub).

»Das weißt du eigentlich alles. Bei fast allem warst du dabei, schon vergessen?« Damit hat er wohl Recht. Die paar Stunden, die er tags weniger schläft, als ich nutzt er meist, dazu unsere Wohnung ordentlich zu halten. Und das bisschen, was ihm dann noch bleibt, füllt, er mit Lesen oder sowas.

»Was ist? Du bist so still.« Antonio zuckt die Schultern und gibt der Barfrau ein Zeichen. Gut. Wenn er nicht mit mir reden will, dann eben nicht. Ich sehe mich um und suche die Tanzfläche nach bekannten Gesichtern ab. Ein paar der Mädchen sehen echt abartig doll nach Vampir aus: Schwarze Schminke überall, dunkelroter Lippenstift und Gothikstyle bis zum Anschlag. Wenn ich mich nicht täusche trägt eine von denen sogar rote Kontaktlinsen. Meine Güte. Die übertreibt’s echt. Und das wo die Dinger noch die Sicht behindern. So sehr, dass es das wirklich nicht wert ist. Ich muss es wissen, denn ich habe lange genug versucht die leichte Rosafärbung meiner Augen, die sich mit dem Vampir-Dasein noch verstärkt hat, unter dunklen Linsen zu verstecken, aber das war mir einfach zu viel Einschränkung. Und so schlimm finde ich es auch nicht, wenn mich nicht jemand wie Nero darauf anspricht. Ich schiebe alle Gedanken an das Ekelpaket aus meinem Kopf und wende mich wieder Antonio zu.

»Was?« Er zuckt nur mit den Schultern.

Ein Werwolf hat das Recht Vampire anzugreifen, zu jagen und zu töten so oft es ihm beliebt, sofern es dem Gemeinwohl der Gesellschaft dient.

(Das große Buch der Vampire, § 2 Absatz 3)

2. Kapitel

»Sag schon, was ist …« Ein Knarzen lenkt mich ab. Ich fahre herum. Die Musik dröhnt noch immer und die Decke bebt. Ob das zum Programm gehört? Für Stimmung scheint es zumindest zu sorgen, denn die Menge darunter tobt. Ich werfe Antonio einen fragenden Blick zu. Auch, wenn er nicht offiziell zum Zirkel gehört, weiß er alles, was die planen. »Ist das …« Ein ohrenbetäubendes Krachen ertönt.

Staub wirbelt in den Raum und nimmt mir die Sicht. Antonio zieht mich an sich, wie eine Zange drückt sich sein Arm um meine Taille. Was zum …? Die Wolke lichtet sich. Am Boden, in grauen Staub gehüllt, kniet jemand. Er macht sich nicht Mal die Mühe die Sonnenbrille hochzuschieben oder vom Staub zu befreien. Geschmeidig wie eine Katze steht er auf.

Sein Grinsen ist so eisig, dass ich spüre, wie mir das restliche bisschen Blut in den Adern gefriert. Ich bin wie gelähmt, aber Antonio reagiert. Er rennt und zerrt mich mit sich. Gut, dass sein Griff so verdammt stark ist, denn ich kann mich einfach nicht rühren. Antonio rennt entgegen der Richtung, die die Menge nimmt, vom Ausgang weg. Was macht er da? Verdammt. Was hat er vor? Endlich erwache ich aus meiner Starre. Meine Beine lassen sich widerwillig dazu überreden, zu laufen. Hauptsache weg von dem Loch in der Decke und dem Werwolf!

Aber sie jagen niemals alleine. Da sind also noch mehr, nur wo? Hektisch sehe ich mich um, während ich Antonios Hand quetsche wie ein Schraubstock.

Laufen. Einfach laufen, Samira! Nicht denken, nur rennen! Antonio zerrt mich durch eine Gruppe älterer Vampire, die den Notausgang zu knacken versuchen. Plötzlich erhebt sich eine Wand vor uns. Wenn wir nicht stoppen werden wir mit voller Wucht dagegen prallen und dann können wir unsere Flucht vergessen.

»Antonio!« Er stößt eine versteckte Tür auf und schiebt mich vor sich hinein. Die Vampire am Notausgang schreien. Ich sehe noch, dass etwas zwischen ihnen wirbelt, das aussieht wie Fell. Ein wütendes Knurren ertönt, dann schlägt Antonio die Tür zu.

»Das solltest du nicht sehen.« Ich nicke betäubt. Jeder Hinweis darauf, dass mich das bestimmt nicht stören würde, erstickt direkt im Keim. Normal würde ich mich nicht als mädchenhaftes Ding verkaufen, aber das ist auch keine normale Situation. Ich will nicht sehen, wie die Werwölfe da draußen den Zirkel vernichten. Ich will nicht zusehen müssen, wie die Vampire sterben wie die Fliegen.

»Danke«, stoße ich hervor, weil ich nicht weiß, was ich sonst sagen soll. Ich habe keine Ahnung, was in so einer blöden Situation angebracht ist. Dafür bleibt mir auch nicht viel Zeit. Die Tür bebt in den Angeln. Jemand drückt sich dagegen, stößt und rammt. Der Werwolf hat uns gesehen. Er versucht die Tür aufzubrechen. Verdammt.

»Antonio?« Aber er steht nicht mehr neben mir.

»Schnell!« Er drückt ein Fenster auf, doch es ist winzig. Da passt er niemals durch.

»Nein.« Eine Sekunde lang huscht ein verwirrter Ausdruck über sein Gesicht. »Nein?« Ich nicke. »Da passt du nicht durch.« Antonios Augen werden dunkel.

»Ich weiß. Es geht mir auch nicht darum, mein Leben zu retten.« Verwirrt sehe ich ihn an. Warum soll er sich nicht retten wollen, wenn er das kann. Reißen wir das Fenster doch aus den Angeln, dann passen wir beide durch! Das sollte mit Vampirkraft kein Problem sein. Ich stürme an ihm vorbei und zerre am Rahmen. Es löst sich langsam und bröselnd aus seiner Umfassung. Es wird nicht reichen. Die Zeit, die der Kerl vor der Tür noch braucht, um reinzukommen wird mir niemals reichen, um das Fenster zu lösen.

»Hilf mir!« Antonio steht stocksteif da. Er lauert direkt hinter der Tür. Als hätte er irgendeine Chance gegen den Werwolf zu gewinnen, wenn sie kämpfen. Das da draußen ist eine trainierte Killermaschine und Antonio ist ein stinknormaler Vampir. Was soll er bitte gegen den ausrichten? Nichts. Das ist es ja. Er hat nicht die kleinste Chance. Und das weiß er. Aber ich lasse nicht zu, dass er mir noch mal das Leben rettet und es so von mir gedankt bekommt. Nicht schon wieder.

»Geh!« Ich denke ja gar nicht dran! Ich springe vom Fenstersims, direkt neben ihn. Wenn wir zu zweit kämpfen, haben wir vielleicht noch eine Chance. Ansonsten sterben wir wenigstens gemeinsam. Das bin ich ihm schuldig, nach allem, was er für mich getan hat. Antonio verdient es.

»Nein.«

Er seufzt. »Stures Ding.«

Ich grinse und stelle mich direkt neben ihn. Die Tür gibt nach und reißt aus den Angeln. Staub schwebt durch den Raum und mitten in der Wolke steht ein Kerl mit blonder Stachelfrisur. Der Rest von ihm verschwimmt im grotesken Gegenlicht der Disko. Es schimmert auf den Stacheln, die von seinem Körper abstehen. Sind das … Waffen? Er ist ein Werwolf! Er kann sich einfach verwandeln und uns mit den Zähnen in Stücke reißen! Kurz glaube ich, dass mein Gehirn mir einen Streich spielt, doch das tut es nicht. Das da sind tatsächlich Waffen. Massenweise Waffen! Eine an der Anderen. Auch wenn ich von keiner mehr als ein diffuses metallisches Schimmern erkenne. Mir rinnt ein Schauer über den Rücken, dann glänzt Metall auf. Er zieht die Waffe quälend langsam aus ihrer Halterung und ich erkenne eine Art Armbrust. Die Bewegung, mit der er einen Pflock einspannt, scheint mir eine Ewigkeit zu dauern.

Das metallische Glitzern der Spitze erinnert an einen Stern. Fasziniert sehe ich zu, wie sich die Sehne spannt. Er zielt, der Pflock saust an mir vorbei und neben mir geht Antonio zu Boden. Wieder schnalzt die Sehne. Der Pflock liegt an seinem Platz. Es rattert, sirrt, zischt. Dumpf prallt etwas auf. Einen Moment starrte ich verblüfft auf das Ende in meiner Brust. Es tut erstaunlicherweise gar nicht weh. Eigentlich fühlt es sich noch nicht Mal falsch an. Wie selbstverständlich fügt sich das Holz in meinen Körper. Merkwürdig, denke ich noch, bevor ich spüre, wie der Boden näher kommt.

Für Blutflecken, das nachträglich vermehrte Auftreten von Gothiks oder Freaks oder das Auffinden von Spuren von »Werwolf« und dazu gehörige grobe Beschädigungen, sowie etwaig angeknabbertes Personal kann der Zirkel nicht haftbar gemacht werden.

(Standardmietvertrag für Lokalitäten von Feierlichkeiten der Vampirzirkel)

3. Kapitel

»Sieht fies aus.« Der Unterton, der in den Worten mitschwingt, wirkt viel zu kühl. »Ganz fies«, bestätigt eine zweite Stimme. Etwas bewegt sich. Die Dunkelheit zieht sich zurück und verschwindet zurück in ihr Nest.

»Ich glaube, sie wird wach.« Langsam schlage ich die Augen auf, kneife sie aber gleich wieder zu, weil mich irgendein schreckliches Licht blendet. Es ist zu hell. Viel zu hell. Bin ich tot? Oder blind? Hoffentlich tot. Ein blinder Vampir. Das wäre echt die Krönung der Evolution.

»Alles okay, da unten?« Eine dritte Stimme.

»Verzieh dich, du machst es nur noch schlimmer.« Ich erkenne Neros Tonfall. Scheiße, warum musste ich ausgerechnet zeitgleich mit diesem Volldeppen in der Hölle landen? So ein Mist aber auch. Nicht Mal tot hat man seine Ruhe vor dem Kerl. Wieder klappe ich vorsichtig ein Auge auf und das Licht blitzt über mir auf wie ein Stern.

Ein Stern! Es verwandelt sich vor meinen Augen in eine Pflockspitze. Ich erinnere mich an das Gefühl, dass das Holz beim Eindringen verursacht hat, und schlucke. Verdammt, wenn ich das überlebt habe, sollte ich eine bescheuerte Kerze in einer Kirche anzünden. Denkfehler: Ich kann keine Kirchen betreten. Ups. Schade. Das ärgert mich jetzt aber.

»Ist alles in Ordnung bei dir?« Neros Gesicht schwebt über mir. Bis eben war zumindest alles in Ordnung. Jetzt laufe ich Gefahr an Verblendung dahinzuscheiden, wenn der nicht gleich seine Fratze da wegnimmt. Meine Güte.

»Alles bestens.« Ich setzte mich auf. Keine gute Idee. Der Schwindel packt mich so heftig, dass ich kurz versucht bin, mich wieder zurückfallen zu lassen. Aber das Ekelpaket neben mir hindert mich daran. Vor dem werde ich keine Schwäche zeigen, nicht die Kleinste. Doch mir bleibt sowieso keine Wahl. Hände packen mich. Sie fühlen sich plötzlich seltsam kalt an. Vampire sind für andere Vampire warm, wie Menschen für Menschen warm sind und dennoch habe ich das Gefühl von einem Eisklotz berührt zu werden.

Ein Mädchen, das aussieht wie Neros weibliches Pendant, drückt mich sanft auf den Boden zurück. Der Moment reicht, dass ich das Ausmaß der Verwüstung sehen kann. Mein Blick registriert die Fetzen der zertrümmerten Tür, den Staub und die Teile, die ich aus dem Fenster gerissen habe. Das Zimmer sieht aus wie ein Schlachtfeld. Doch einen habe ich nicht gesehen. Wieder versuche ich, mich aufzusetzen.

»Wo ist Antonio?« Die Frau drückt mich auf den Boden und legt die Hände an den Pflock.

»Nicht sprechen, Samira. Das Ding muss raus und das wird verdammt wehtun, okay?« Ich runzele die Stirn. Eigentlich will ich den Pflock gar nicht loswerden. Was ist schon schlimm daran mit einem Stück Holz im Körper herum zu latschen? Nichts. Überhaupt nichts. Und wenn ich ein Deckchen drüber hänge, sieht’s vielleicht sogar noch ganz nett aus. Das könnte klappen. Aber rausziehen, och, ich denke, das können wir uns sparen.

Gerade will ich dazu ansetzen, das der Tussi vor mir zu verklickern, als ich den Zug spüre. Das Ding sitzt direkt am Herz, nicht darin. Der Kerl hat danebengeschossen, auf diese Entfernung. Ich wette, die waren noch total durch den Wind von ihrer super Massenvernichtung letzte Woche. Was mich dennoch zur Frage zurückbringt: Warum läuft ein Werwolf mit Waffen durch die Gegend? Und welcher verdammte Wolf kommt auf die Idee, sich ein automatisches Vampirpfähl-Gerät zu bauen?

»Warum …?« Meine Frage geht in einem markerschütternden Schrei unter. Ich versuche hier mich zu unterhalten, also könnte vielleicht die da Mal die Klappe halten? Ich merke, wie ich den Mund schließe. Oh, sieht verdammt stark danach aus, dass ich das war. Hoppla. Dunkle Flecken tanzen vor meinen Augen. Vampire werden nicht ohnmächtig, Samira!Also reiß dich zusammen und starr Nero böse an. Der hat’s immerhin verdient. Egal was passiert, immer hat Nero seine Finger irgendwie im Spiel und mich beschleicht das seltsame Gefühl, dass das diesmal kaum anders ist. Der hat irgendwas damit zu tun oder er verheimlicht etwas vor mir.

»Uh, saß fester als ich dachte, das Teil.« Die Frau betrachtet den Pflock, fährt mit einem Finger über die Spitze und zuckt zurück.

»Ein bewaffneter Werwolf mit einem Automatikpfähler stürmt hier rein, schießt vorbei und dann ist auch noch kein Weihwasser am Pflock. Komisch, so nachlässig sind sie normalerweise nicht.« Natürlich kann da kein Weihwasser dran sein. Das hätte nämlich gebrannt wie die Hölle. Dass es fehlt, kann nur einen Grund haben: Das Ding muss mit etwas anderem präpariert sein, etwas Schlimmerem.

Die Frau betrachtet den Pflock und ich spüre Neros Hände an den Schultern. Er versucht mich aufzusetzen, schiebt mir als Hilfe eine Hand in den Rücken und lässt sie da liegen. Auch als ich endlich sitze, mit dem widerlichen schwarzen Loch in der Brust und dem Gefühl entweder auf der Stelle ohnmächtig zu werden oder mich auf Neros hässliche Stiefel übergeben zu müssen. Die Frau schlägt den Pflock in ein Tuch ein.

»Hier bitte. Heb ihn gut auf.« Mir läuft ein eisiger Schauer den Rücken runter und ich überlege eine Sekunde zu lange, ob ich meine Drohung gegen Neros Schuhwerk verdeutlichen sollte. Dann ist das Gefühl plötzlich weg, nur das Loch in meiner Brust kribbelt, als würden sich tausend Ameisen zur Familienfeier treffen.

»Nimm das weg. Sofort.« Meine Stimme ist so kalt, dass ich damit ein Thermalbad einfrieren lassen könnte. »Okay.« Nero hebt beschwichtigend eine Hand, wobei er sie von meinem Rücken nimmt, was mir eine wertvolle Stütze raubt. Ich schwanke bedrohlich nach hinten und spüre schon, wie ich auf den dreckigen Teppich zurück sinke. Hastig legt er sie zurück. Mein Fall wird im letzten Moment abgefangen. Auf den Teppich aufschlagen wäre mit meiner Verletzung sicher nicht die beste Idee.

»Geh nach Hause, Samira. Leg‘ dich hin und versuch zu schlafen.« Ich nicke brav. Dann fällt mir wieder ein, dass ich noch jemanden vermisse.

»Wo ist Antonio.« Nero sieht mich nicht an. »Sag ich dir später.« Mein Magen zieht sich zu einem hässlichen kleinen Klumpen zusammen. Nicht später. Ich will jetzt hören, wie schwer er verletzt ist, jetzt sofort und auf der Stelle. Haben sie ihn zu einem der wenigen vampirischen Ärzte in unserer Kleinstadt gebracht? Ich hoffe es. Bei einem menschlichen Arzt ist er verloren.

»Bei wem ist er?« Ich weiß, dass er nicht wie ich, mit einem Kratzer davon gekommen sein kann. Er ist sicher ein paar Wochen außer Gefecht gesetzt, doch nach seiner heldenhaft sturen Tat kann ich ihn auch Pflegen. War ja doch irgendwie süß, dass er sich für mich opfern wollte. Nero sieht mich immer noch nicht an. Ich werfe einen Blick auf das Mädchen vor mir. Auch sie schaut weg. Wenn ich mich nicht täusche, wird sie sogar ein kleines bisschen blass.

»Hör auf, mich zu verarschen, Nero. Wo ist er?« Doch ich bekomme keine Antwort.

»Wo. Ist. Er?« Ich schreie. Das Pflockloch dankt es mir mit einem Schmerz, der mir die Tränen in die Augen treibt. Boah. Tut das weh. Ich drücke mit einer Hand dagegen und versuche das Pochen einzudämmen, doch es gibt nicht nach. Es ist mir egal. Wenn ich noch tausend Jahre schreien muss, damit mir Nero sagt, bei wem Antonio in Behandlung ist und wie schwer es ihn erwischt hat, dann werde ich das, verdammt nochmal, tun, auch wenn ich mir damit weh tue. Endlich sieht er auf. Seine Augen sind dunkler als sonst, fast schwarz mit diesem seltsam roten Rand. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals. Ich will die Worte nicht hören, die er jetzt ausspricht, dass weiß ich sofort. Ich spüre, schon wie meine Welt in tausende Splitter zerspringt, bevor Nero den Mund öffnet, um mir zu antworten.

»Samira. Ich …« Er bricht ab, fährt sich mit einer Hand am Kragen entlang. Überdeutlich bemerke ich die Bisspuren an seinem Hals, sie springen auf mich zu wie 3-D Bilder. Er hat irgendwen gefüttert. War es Antonio? Mein Herz macht einen Sprung und für eine Sekunde bin ich unglaublich erleichtert, bis Nero spricht.

»Er ist tot, Samira.« Die Worte treffen mich härter als ein Pflock es jemals gekonnt hätte. Und das, was der Werwolf nicht geschafft hat, schafft jetzt Nero. Er trifft mich mitten ins Herz. Die Flut meiner Gefühle erschlägt mich beinahe. Angst, Verzweiflung, Einsamkeit und ein paar andere Fetzen, für die ich keine Namen habe, alle überlagert von einem durchdringenden, ekelhaften Gefühl. Trauer.

Ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen schießen. Ich nehme kaum Notiz davon, dass sie mir plötzlich in Strömen über die Wangen laufen. Antonio ist tot. Der fröhliche, lebensfrohe Antonio ist tot. Plötzlich trifft mich die Bedeutung dieser Nachricht mit voller Wucht. Ich schreie, schlage um mich und heule gleichzeitig wie der berühmte Schlosshund. Jemand schnappt meine Arme, drückt sie zusammen.

Der Schmerz lässt mich erneut aufschreien, auch wenn er mich keine Sekunde von dem viel Tieferen in meinem Herzen ablenken kann, der ist größer, flächendeckender und fähig alles zu verschlingen. Starke Arme packen mich. Jetzt schieben sie mich bestimmt in eine der Zellen, die der Zirkel für zeitweilig bekloppte Vampire zur Verfügung stellt!