leuchtendschwarzer Rabenmond - Valentina Kramer - E-Book

leuchtendschwarzer Rabenmond E-Book

Valentina Kramer

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Beschreibung

Ein böser Zauber Eine Gruppe verschwundener Jugendlicher Ein schweigender Verdächtiger Eigentlich wollten sie doch nur ein bisschen Campen gehen. Mal Ruhe haben, richtig feiern können, ohne nörgelnde Nachbarn. Doch als Cosima verkatert und müde am Morgen nach der großen Party aus ihrem Zelt stolpert sind ihre sechs besten Freunde spurlos verschwunden. Nur Miles, der dunkelhäutige, stille Junge, den sie im Ort Ali nennen, seit er zugezogen ist, ist noch da. Als Cosima ihn anspricht schweigt er und hält sich krampfhaft an einem mysteriösen Bündel fest. Nach und nach finden sich immer mehr Beweise für eine grausame Tat. Und gegen Miles. Doch Cosima kann nicht glauben, dass er tatsächlich sechs Morde begangen haben soll. Auf eigene Faust beginnt sie Nachforschungen anzustellen. In "leuchtendschwarzer Rabenmond" spinnt die Autorin Valentina Kramer eine moderne Version der "Sieben Raben" der Brüder Grimm. Das Ergebnis ist eine humorvoll-düstere Geschichte über die verheerende Wirkung von Vorurteilen, Hass, Angst und mangelnder Toleranz aber auch über die Wichtigkeit von Freundschaft, Liebe und Vertrauen. Band 6 aus der Reihe der Märchenspinner

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Seitenzahl: 228

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Leuchtendschwarzer

Rabenmond

Valentina Kramer

Copyright © 2017 by Valentina Kramer, 1. Auflage

Umschlagsgestaltung: Velvett D. Black

Lektorat: Die Märchenspinnerei

Bild: Quelle: https://pixabay.com/get/e83cb50e21f2013ed1534705fb0938c9bd22ffd41db818439df1c87baf/woman-1941960_1920.jpg?attachment, https://pixabay.com/de/frau-sch%C3%B6n-sexy-engel-sch%C3%B6ne-frau-1941960/, Fotograf: Comfreak; Bearbeitung durch Autor

Satz: Valentina Kramer

Verantwortlich: Vera Leitsch, Villbacherstr. 4, 63599 Biebergemünd

Mailto: [email protected]

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung der Autorin ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische, oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verarbeitung und öffentlich Zugänglichmachung.

All rights reserved!

Disclaimer

Diese Geschichte ist rein fiktiv. Die Einstellung einzelner Figuren spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Autorin. Ähnlichkeiten zu etwaigen realen Personen sind rein zufällig.

Prolog

Ein Klappern reißt den Mann in Schwarz aus seiner Konzentration. Er schreckt auf und stößt einen Halter mit Reagenzgläsern um. Klirrend zerspringt das dünne Material auf dem Steinboden und eine grelle Flüssigkeit läuft in zähen Rinnsalen hinaus.

Der Mann stößt einen herben Fluch aus und bückte sich, um zu retten, was zu retten ist. Ein beißender Schmerz durchzuckt ihn. In der Ferne erklingt das Lachen von Jugendlichen. Unter seiner Kapuze verdrehen sich die Augen und aus der Fingerkuppe tropft Blut. Seufzend zieht er eine Schublade auf, entnimmt eine kleine Phiole. Sein Blick streift kurz den leuchtend grünen Inhalt und er unterdrückt ein Schaudern.

Was muss, das muss!

Ohne noch länger mit sich zu ringen, setzt er das Gefäß an die Lippen. Der beißende Geschmack des Gegenmittels breitet sich in seinem Mund aus und hinterlässt eine trockene Schicht, als hätte er Pulver gegessen. Moder und etwas Beißendes verbleiben. Trotz, dass er diese Prozedur mittlerweile teilweise mehrmals täglich vollziehen muss, wird er sich wohl nie an das spezielle Bouquet des Elixiers gewöhnen.

Er verzieht das Gesicht und wirft die Phiole in einen Eimer. Ein leises, gläsernes Klirren antwortet ihm. Dann zieht er den Schlauch aus einer Ecke, dreht an einem Hahn und lässt schlammig braunes Wasser herauslaufen. Scherben und das verlorene Produkt treiben wie träge Papierboote auf der Brühe, durch eine Rinne hinaus.

Der Umhang gleitet herunter. Ein blaues Hemd kommt zum Vorschein. Es ist Zeit, ins Leben zurückzukehren und seine Produktion auf die nächste Woche zu verschieben.

Rabenbande, verdammte. Diese blöden Kinder sind genauso nutzlos wie die nervtötenden Krähenvögel.

Kapitel 1

Cosima

Kurz neben meinem Gesichtsfeld fliegt etwas Dunkles vorbei und ich kreische erschrocken auf.

»Mensch Lutz! Pass doch auf, wo du dein Zeug hinschmeißt!«

Lutz lacht, verdreht die Augen und wirft sein restliches Gepäck an mir vorbei in den Kofferraum.

»Wenn sich unsere kleine Cosima weiter so aufführt, wird das ja ein netter Trip in die Wildnis.«

Ich strecke ihm die Zunge raus und will meinen Schlafsack auf den Berg aus Zeug legen, doch die glitschige Hülle katapultiert mir das Ding wieder entgegen. Seufzend wende ich mich einige Zentimeter weiter nach rechts, doch hier scheint Tess ihren Schminkkoffer gelagert zu haben. Schnaubend versuche ich, das Ding zur Seite zu räumen.

»Tess, wofür braucht man für zwei Tage ein Kilo Make-up?«, meckere ich. Zwischen den Stoffbezügen der Kopfstützen erscheint je ein platinblonder und ein roséfarbener Kopf unter den akkuraten Ponys glotzen mich riesige Sonnenbrillen an.

»Chill mal, Cosima.«

Tess‘ rosa Haare hüpfen auf und ab, während Izzy mir eine Dose zuwirft. Doch selbstverständlich reagiere ich mal wieder zu spät. Fluchend will ich mich gerade nach dem Wurfgeschoss umsehen, um die verbeulte Dose aufzusammeln.

»Mann, pass doch auf, Izzy! Die Umwelt kann deine in die Gegend geschmissene Dose super gebrauchen. Gut, dass wir nur campen fahren, das wird für die Tiere ein Spaß!«, murre ich und die Gruppe bricht in lautes Gelächter aus. Als ich feststelle, dass ich gar kein Aufprallgeräusch gehört habe, runzle ich die Stirn und werfe einen Blick über die Schulter.

Hinter mir steht Miles und schenkt mir sein schüchternes, vorsichtiges Lächeln. In seiner Hand hält er die Dose. Seine dunklen Augen ruhen auf mir und scheinen direkt in mich hineinzusehen. Langsam senke ich den Blick, strecke die Hand aus. Miles reicht mir wortlos das kühle Blech, räuspert sich und ich bewundere kurz den Kontrast unserer beiden Hände, meiner kreideweißen Haut und seinem beneidenswert dunklen Hautton.

Selbst unter der arabischen Sonne würde ich wohl niemals so braun werden.

»Solange ihr hier nur rumsteht, kann ich ja sicher einladen, ne.« Punchs Grummeln ertönt unverkennbar knapp neben mir. Bevor ich ihm antworten kann, hat er mich zwei Meter zur Seite gehoben und schnappt sich seine und meine Tasche, um sie in Herkules Auto zu laden.

»Hey Herk, wie sollen wir eigentlich alle Mann da rein passen?«, erklingt Miles singende Stimme hinter mir, der weiche Akzent hüllt mich ein, wie eine Wolldecke.

»Klappt schon, chill mal, du müsstest das doch gewohnt sein, auf Autodächern durch die Gegend zu surfen!« Punch gibt Lutz‘s aus dem Fußraum herausragenden Unterteil einen unsanften Stoß.

»Kein Rassesmus, Lutz!«, grummelt er.

»Rassismus!«, korrigiert Schiller beiläufig, schüttelt den Kopf und rückt seine Brille zurecht. Seine Tasche hängt ihm schräg über dem Arm, das T-Shirt sieht ähnlich derangiert aus, nur der tadellos geführte Notizblock ruht sauber und ordentlich in seiner Hand.

»Hey, der berühmte Dichter hat sich herbequemt!« Lutz taucht grinsend aus den Untiefen auf und hechtet nach vorne, um Schiller in den Schwitzkasten zu nehmen.

Ich verdrehe die Augen.

»Denkt ihr daran, dass wir vor Sonnenuntergang noch Zelte aufbauen müssen?«, wende ich ein und ernte dafür ein breites Lächeln von Herkules, der gerade Schillers heruntergerutschte Tasche geschnappt hat und versucht, sie noch irgendwie in seinen vollen Kofferraum zu stopfen. Eine unsanfte Berührung am Hintern lässt mich zusammenzucken und ein Stück ausweichen. Das blonde, halblange Haar lässt Herkules‘ Grinsen jungenhaft unbeschwert wirken.

»Mach dich locker, Cosi, du bist viel zu hübsch, um immer so böse zu gucken.« Er zwinkert mir zu. Um meine Hüften spüre ich plötzlich den Druck eines muskulösen Arms und Sekunden später verliere ich den Kontakt zum Boden.

»Hey!!!« Mein Schrei löst allgemeines, einiges Lachen bei den Jungs aus. Ich spüre Herkules Schulter in meinen Bauch drücken und will herumzappeln und mich winden, doch ich weiß, dass ich gegen Herkules, den einzigen Sportler unserer Schule, der es in eine olympische Vorauswahl geschafft hat, wohl kaum eine Chance haben werde. Also verschränke ich die Arme und schnaube.

»Lass mich runter.«

Ich spüre das Lachen, das durch Herkules‘ Körper läuft und plötzlich prickelt seine Berührung auf meiner Haut. Er denkt gar nicht daran, meinen Befehl ernst zu nehmen und trägt mich um das Auto herum. Dann ist Herkules‘ Schulter verschwunden, und mit ihr die Wärme, die eine versehentlich freigelegte Stelle an meinem Bauch berührt hat. Der Stoff meines Tops rutscht zurück und bedeckt sie wieder. Trotzdem fühlt meine Haut sich plötzlich zu kühl an. Unter mir spüre ich das Bretterkonstrukt, das irgendwer bei einem Autohersteller offensichtlich »Rückbank« nennt.

Tess rutscht ein Stück zur Seite und Izzy lässt es sich nicht nehmen, mir sofort eine neue Dose aus ihrem vollen Rucksack in die Hand zu drücken. Ich sehe mich um, werfe Lutz einen fragenden Blick zu, doch der zwinkert mir zu und zieht an der Lasche seiner Bierdose.

Sind die alle nur zum Saufen unterwegs, oder was?

Ich schnaube. Irgendwie hatte ich die Hoffnung, das »Zelten gehen« nicht »wir betrinken uns maßlos, nur zur Abwechslung mal im Wald« heißen würde. Mein Blick schweift weiter über die Runde, auf der Suche nach jemandem, der mir die blöde Dose abnehmen könnte. Herkules klettert grade auf den Vordersitz, Schiller und Punch hangeln sich gefährlich in seine Richtung, über Tess und Izzy hinweg, die sich kichernd in den Fußraum ducken, um dort mit Lutz anzustoßen.

»Auf die Party des Jahres!«, grölt er. Zustimmend heult der Motor auf, überall werden Dosen in die Luft gestreckt. Selbst Miles stimmt hinter mir mit in den lauten »Prost«-Ruf mit ein. Herkules tritt aufs Gas und unter dem Quietschen der Mädchen und dem Johlen der Jungs rumpeln wir aus dem Hof auf die Hauptstraße. Hinaus aus den engstehenden altmodischen Häusern, bis sich vor uns ein weites Meer aus Grün erstreckt.

»Die Schwärmerei für die Natur kommt von der Unbewohnbarkeit der Städte«, sagt Schiller und erntet schallendes Gelächter.

»Schon wieder ein Zitat, Mann? Von wem war das, Goethe? Hör‘ auf den Intellektuellen zu geben!« Lutz schüttelt den Kopf. Er hasst es, wenn Schiller seine Liebe zur Literatur auf Partys oder dem, was Lutz als solche empfindet, breit tritt.

»Brecht«, nuschelt Schiller, wendet sich dann aber weniger mürrisch seiner Bierdose zu, richtet den Blick aus dem Fenster und klappt sein Notizbuch auf.

Kapitel 2

»Oh Fuck!« Ruckartig tritt Herkules auf die Bremse und bringt den Transporter zum Stehen.

Lutz greift hektisch nach dem Vordersitz, um nicht in den Fußraum zu rutschen. Tess und Izzy reißen die Hände hoch und brüllen, als befänden sie sich in einer Achterbahn. Punch hebt eine Hand.

»Also, egal was der will, ich war‘s nicht!«

»Seid ihr wenigstens alle angeschnallt? Ich hab keinen Bock meinem Alten schon wieder erklären zu müssen, wo der Strafzettel herkommt.« Herkules wirft einen Blick über die Schulter, doch beim Chaos, das hier herrscht, sieht selbst ein Blinder, dass wir nicht angeschnallt sind.

Hastig schiebe ich mit der Ferse die aus dem Kofferraum nach vorne rollende Schnapsflasche zurück.

»Unser Kumpel Sunny langweilt sich doch nur wieder und will sich wichtig machen!« Lutz grinst und deutet aus dem Fenster auf den Mann, der gerade so lässig wie möglich seine Kelle zurück in seinen Dienstwagen wirft und sich dann grinsend die Pilotenbrille mit den getönten Gläsern ins Haar schiebt.

»Frag ihn nach seinem Friseur, Herk, ich will wissen, wer hier rund rum so perfekte Strähnchen färben kann!« Izzys Wangen glühen, bei dem Gedanken daran, endlich hinter das Frisurengeheimnis unseres Ortspolizisten zu kommen. Stefan Weckberg, der von uns den Spitznamen Sunny bekommen hat, sieht immer aus wie ein Surfer, der sich versehentlich in einen amerikanischen Film verirrt hat, in dem er den Cop spielen soll.

»Klappe, Izzy!« Herkules beißt sich auf die Lippe und fährt mit einer Hand durch sein Haar. Der goldene Ring an seinem Finger glänzt im Sonnenlicht und die Eule darauf wirft einen Lichtpunkt an das graue Stoffdach des Transporters. Als würde das noch helfen, lässt er die angefangene Bierdose fallen.

»Oh Mann Herki, Alkohol am Steuer, das gibt Super-Cop bestimmt ‘n klasse Grund, dich in den Glasberg zu sperren!« Lutz grinst und streckt sich, um Herkules freundschaftlich auf die Schulter zu klopfen.

Lutz meint das Polizeirevier, dass mit Sunnys Amtsantritt zumindest äußerlich renoviert wurde und sich von einem Betonklotz in etwas verwandelt hat, was man tatsächlich nur mit »Glasberg« beschreiben kann.

»Dann kannst du immerhin das Rätsel lösen, ob er wirklich unsere First Lady nagelt.«

Am liebsten würde ich Lutz den Mund verbieten. Wen interessiert es jetzt, was Sunny mit der Bürgermeisterin zu tun hat, und ob er selbst etwas dafür getan hat, mit Mitte zwanzig schon seine Position als örtlicher Polizeichef zu erreichen.

»Schnauze, Lutz«, nuschle ich und beobachte, wie Weckberg mit formvollendetem Zahnpasta-Lächeln an die Scheibe klopft. Herkules zögert kurz, dann lässt er die Scheibe runter.

»Lustige Verkehrskontrolle, die Herren.« Dann richtet sich sein Blick von Herkules auf uns.

»Hallo Ladys«, Sunny zwinkert uns zu. Ich verdrehe die Augen, doch Izzy und Tess werfen die Haare zurück. Wie aus Versehen rutscht Izzys Kleid noch ein wenig weiter hoch.

»Guten Tag, Herr Kommissar!«

Beide Mädchen klimpern mit den Wimpern, als würde uns ein Flirt mit dem Möchtegern-Cop aus der Patsche helfen.

»Rieche ich da etwa Alkohol?« Sunny zieht eine Augenbraue hoch.

»Haben Sie eigentlich den Hexenmeister erwischt, Herr Kommissar? Meine Mutter hat gesagt, wenn diesen hochgefährlichen Dealer irgendwer dingfest machen kann, dann Sie.« Tess rutscht weiter vor und gewährt Weckberg damit freie Aussicht auf die Wunder, die ein guter Push-up-BH vollbringen kann.

Ich weiß genau, warum sie danach fragt. Der Typ, der sich so hochtrabend »Hexenmeister« nennt, ist der Beste, um nicht zu sagen der einzige Dealer der Stadt. Tess sagt, er steht immer nur in dunklen Ecken und hat sein Gesicht unter einer Kapuze verborgen, wenn sie seine Specials bei ihm ersteht.

Schiller seufzt.

»Ich mach das!«, raunt er uns zu, öffnet die Tür und springt heraus, bevor wir weitere Fragen stellen können. Abrupt zieht Sunny sich vom Fenster zurück, lässt die Brille wieder auf die Nase gleiten und tritt so weit zurück, dass wir sein Gespräch mit Schiller nicht hören können.

Ich beobachte die Beiden, frage mich, was unser blonder Dichter dem Polizisten erzählen wird. Nur wenige Sätze später nickt Weckberg und lehnt sich wieder lässig gegen den Streifenwagen. Schiller klettert grade zurück auf den Beifahrersitz, als Sunny es sich wohl anders überlegt, und doch noch mal ans Fenster klopft. Herkules‘ Gesicht verliert alle Farbe, als er die Scheibe runter lässt.

»Und wenn ihr unsern Ali im Wald vergesst, drück ich beim nächsten Mal wieder ‘n Auge zu, Kumpels. Scherz. Zeigt dem Araber mal, was er für ‘n Glück hat, jetzt in ‘nem kultivierten Land zu wohnen.« Sunny lacht schallend über seinen eigenen Witz, doch im Inneren des Transporters bleibt alles ruhig.

»Arschloch«, nuschelt irgendwer und Herkules fährt an, ohne sich die Zeit zu nehmen, vorher das Fenster zu schließen.

»Vielleicht sollte dem Idioten dann mal jemand die Dauerkarte für‘s Solarium abnehmen, damit er so richtig schön durch und durch deutsch aussehen kann.« Alle Blicke richten sich auf Punch. Die Verwunderung, dass er zu so einem Scherz in der Lage ist, hält nicht lange an und verwandelt sich in Gelächter. Selbst Miles grinst.

»Auf die Unterschiede!« Und schon heben sich wieder acht Dosen in die Höhe.

Kapitel 3

Holpernd und ruckelnd kommt der Transporter zum Stehen. Die Türen werden geöffnet, vorne fallen mit einem dumpfen Geräusch ein paar Dosen ins Gras. Izzy reißt die Tür auf und verliert beim Aussteigen das Gleichgewicht, Lutz, der vom Beifahrersitz springt, fängt sie lachend draußen auf und wirbelt sie um die eigene Achse. Ihr Quietschen brennt mir in den Ohren. Ich verdrehe die Augen und angle nach dem Türgriff. Die leere Dose gleitet mir aus den Händen und Tess wirft mir einen fragenden Seitenblick zu.

»Noch alles klar, Süße?« Ich nicke.

»Natürlich, was sollte auch sein?«

Tess grinst, zwinkert mir zu und springt hinter Izzy aus der Tür. Punch rollt sich elegant wie ein Walross beim Ballett, über den Vordersitz nach draußen, um dort die Arme um Tess zu legen und sie herumzuschleudern. Kreischend versucht sie, sich von ihm loszureißen, da wird sie von Lutz gepackt. Die Jungs johlen und lachen. Schiller verdreht die Augen, klappt den Sitz neben mir nach unten, rückt sich die dekorative Brille, die über absolut keine medizinische Funktion verfügt, zurecht, ehe er umständlich tuend aus dem Auto steigt.

»Der Leichtsinn der Jugend verfliegt … bei euch wohl niemals!«

Ich verdrehe die Augen. Hinter mir räuspert sich jemand. Erschrocken fahre ich zusammen und drehe mich um. Dort sitzt Miles und zuckt entschuldigend die Schultern.

»Ich wollte dich nicht erschrecken, aber Punch hat seine Tasche hier liegen lassen und ich würde gerne irgendwie aussteigen, ohne mir daran einen Bruch heben zu müssen.« Das Lächeln entschädigt mich kurzfristig für den Schreck, den er mir eingejagt hat.

»Ähm … klar.« Ich spüre, wie mir die Hitze in die Wangen schießt, und klettere hastig von meinem Sitz, nur um direkt in Herkules hineinzurennen.

»Hey, ich find dich ja auch ganz nett, aber du musst mich doch nicht gleich anspringen.« Er zwinkert mir zu und zeigt seine blendend weißen Zähne.

»Ups«, sage ich, und gehe einen Schritt zur Seite, um Miles vorbei zu lassen, der eine Hand vor die Augen hält.

»Einfach weiter machen, ich bin gar nicht da!«

Ich lache auf. Endlich löst sich das peinliche Rot aus meinem Gesicht und ich fühle mich leichter als in der Stadt. Die Luft strömt mir in die Lungen und in meinem Kopf macht sich eine wohlige Schwere breit, die mich wie Watte einhüllt. Mein Blut scheint schneller zu fließen und mit der Waldluft atme ich Leben ein. Es fühlt sich wunderbar an und mein Herz macht einen kleinen, freudigen Sprung.

»Kannst die Augen wieder aufmachen. Noch gibt‘s keinen Grund … aber ich hätte nichts dagegen.« Herkules zwinkert mir zu und das Kompliment platziert sich irgendwie zwischen der Leichtigkeit in mir und scheint mich noch einen Meter näher Richtung Sonne zu schießen. Ein Strahlen überzieht mein Gesicht und ich bin ganz sicher, dass ich es die nächsten Wochen, Monate, oder Jahre nicht mehr loswerde.

Ich greife Herkules‘ Hand und schnappe hinter mir Miles am Ellbogen. Die Beiden starren mich an, doch ich wirble schon zwischen ihnen herum, verursache einen undurchdringlichen Knoten und bringe sie zum Lachen.

»Hey! Cosima!« Miles schnaubt und lacht gleichzeitig, was ziemlich seltsam klingt und mich wiederum zum Kichern bringt.

»Schluss jetzt, so ein Unfug muss unterbunden werden!« Beherzt greift Herkules zu und trägt mich zum zweiten Mal am heutigen Tag herum, als wöge ich kaum mehr als ein Bierkasten.

»He! Ich kann schon gut selbst laufen!«, protestiere ich, doch es geht in dem Gejohle der anderen unter.

»Wooouhu! Herki, wenn du heute Nacht Platz im Zelt brauchst, wandere ich gerne zu den Damen aus! Es ist genug hiervon …« Lutz deutet an seinem Körper herunter » … für euch beide da.« Er zwinkert, aber Tess und Izzy verpassen ihm synchron einen recht unmädchenhaften Schlag auf den Hinterkopf.

»Schwätznase!«, Izzy verdreht die Augen und Tess Blick trifft mich. Ich zucke zwar entschuldigend die Schultern, doch in dem sonst so glatten Blau spiegelt sich etwas, das ich nicht deuten kann und ihr Lächeln gleitet spontan von Ihren Zügen. Aber nur kurz, gleich findet sie ihre Fassung wieder und lächelt steifer, als ich es bisher jemals an ihr gesehen habe. Etwas in mir verkrampft sich und in meinem Magen nistet sich etwas Schweres ein.

»Lass sie halt auch mal wieder runter, sie wird schon ganz grün um die Nase«, schneidet ihre Stimme wie eine Peitsche durch die Luft und Herkules lässt mich abrupt herunter. Ich sehe auf und blicke in seine Augen. Der Blick ist fragend und ich erwidere ihn mit einem etwas verrutschten Lächeln.

»Alles okay?« Der Unterton ist so besorgt, dass mir ein Stich durchs Herz jagt.
»Jaja. Keine Ahnung, was Tess gesehen haben will.« Irgendwie wandert meine Hand zu seiner Schulter und ich spüre die Hitze von vorhin wieder.

Fühlt sich gar nicht so schlecht an …

Irgendwas in mir flattert wild.

Herkules beugt sich mir ein Stück entgegen. Seine Lippen kommen meinen bedrohlich nah und das Flattern steigert sich noch weiter.

»Och Punch! Das kriegst du doch niemals hin!« Tess Stimme schneidet durch das Knistern in der Luft, das zwischen mir und Herkules auf verrückte Weise hin und herzuspringen scheint. Es ist seltsam und irgendwie macht es mir gar nichts aus, dass Tess uns trennt, als hätte sie uns einen Eimer Wasser übergekippt, denn so löse ich mich aus der Situation, die mir an sich nicht gerade angenehm war. Ich kenne mich mit sowas absolut nicht aus ...

Herkules schenkt mir ein Lächeln, zwinkert mir zu und wendet sich über die Schulter an Tess.

»Unterschätz mal Punchy nicht. Wenn‘s um die Berechnung vom Standpunkt von Heringen geht, um die optimale Zeltfestigkeit zu erreichen, ist er unschlagbar. Aber wenn es die zarten Gemüter der Damen beruhigt, gehe ich und helfe ihm.« Ich schaue über die Schulter und wundere mich darüber, dass Tess ein wenig aussieht, als habe sie in eine Zitrone gebissen.

Was ist nur mit ihr los?

Als ihre Augen über mich gleiten, zieht kurz etwas durch ihren Blick, das ich kaum deuten kann. Etwas sehr Dunkles. Ein Schauer rauscht mir über den Rücken. Ich schüttle den Gedanken ab.

Das ist Tess, was ist nur los mit dir Cosima? Sie ist deine beste Freundin.

Ich setze mein bestes Lächeln auf und schlendere zu ihr hinüber, um die Situation mit Herkules aufzulösen.

»Hier«, sagt Izzy und drückt mir eine Flasche in die Hand, in der sich garantiert nicht mehr nur die auf dem Etikett stehende Cola befindet.

»Prost«, sage ich. Die Köpfe der Jungs, die gerade versuchen, unser Gruppenzelt aufzustellen, schnellen nach oben.

»Da gibt’s Zaubertrank und wir müssen schuften!«, beschwert sich Lutz und wischt sich theatralisch mit dem Ärmel über die Stirn. Punch schüttelt den Kopf und Miles lächelt schief. Neben Schillers Füßen, die unter der Plane herausragen - was auch immer er da tut - erscheint plötzlich der Rand seiner Brille.

»Sagt bloß, ihr habt den Saft der Inspiration greifbar und lasst die arbeitende Bevölkerung verdursten?«

»Wie im Mittelalter, ey, die Damen gaffen und die Männer schaffen«, wirft Punch ein. Izzy, Tess und ich verdrehen synchron die Augen. Kurz entschlossen nehme ich also die Flasche mit und trage sie zu den Jungs, die sie herumreichen und abwechselnd tiefe Züge daraus nehmen.

»Wisst ihr eigentlich, wie schwer das war, ohne den Ausweis meiner Schwester an Alkohol zu kommen, ihr Saufnasen?«, beschwert sich Izzy, die plötzlich neben mir erscheint. Tess lässt sich auf ihrer anderen Seite ins Gras sinken und angelt die Flasche aus Miles‘ Hand.

»Frag doch beim nächsten Mal Miles oder Herk. Oder räum den Keller deiner Alten aus!« Lutz Kommentar bleibt absolut unbeachtet.

Miles runzelt die Stirn, wirft Izzy einen strafenden Blick zu und verschränkt die Arme.

»Hey Weib, habe ich dir erlaubt mir das Getränk abzunehmen?« Er guckt so böse, dass sich auf seiner Stirn eine tiefe Falte bildet und man glauben könnte, es steige gleich Rauch aus seinen Nüstern, wie bei einem Zeichentrick-Tier. Ich lache und alle anderen stimmen mit ein. Auch Miles.

Er liebt es, Witze zu machen, die diese Sorte Vorurteile behandeln.

»Oh, natürlich nicht.« Izzy streckt ihm die Flasche entgegen. Als Miles danach greifen möchte, zieht sie sie weg und sorgt dafür, dass er mit jedem Hingreifen ein Stück weiter nach vorne kippt. Bis er schließlich das Gleichgewicht verliert und vor Izzy im Gras landet. Er streckt die Zunge raus und krabbelt auf allen Vieren näher an sie ran.

»Durst«, sagt er, fährt sich mit einer Hand an die Kehle. Einen kurzen Moment sieht er wirklich aus, als habe er eine Wüste durchquert und bringt uns damit alle zum Lachen. Alle, außer mir.

Ich sehe, was in seinen Augen passiert und das jagt mir einen heftigen Stich ins Herz. Irgendwie kann ich nicht glauben … Ich weiß nicht, ich habe keine Ahnung … eigentlich müsste ich froh sein, dass er nicht mehr so still ist, wie am Anfang, bevor er sich richtig in unsere Gruppe integriert hat … Aber diese Scherze …

Mein Gehirn läuft schon auf Hochtouren, versucht, durch die vielen Möglichkeiten durchzusteigen. Zu ergründen, was in dem jungen Mann mit den traurigen Augen und der wunderschönen karamellfarbenen Haut vorgeht. Doch irgendwie entzieht sich jede seiner Regungen, die auf das schließen lässt, was in ihm vorgeht, absolut meinem Verständnis.

Izzy kichert und reicht ihm die Flasche.

»Das war genug Quatsch. Jetzt stellen wir das Zelt auf!«, sagt Punch, doch niemand reagiert. Schiller sitzt neben der Plane auf dem Boden. Irgendwoher hat er sein Notizbuch gezaubert und schreibt eifrig vor sich hin. Ich sitze direkt neben ihm und schiele auf das, was er schreibt.

Im Walde

Sind die Lichter

Heller nur

Bäume stehen

Wie Statuen

Zwischendrin

Gelächter von

Vögeln

Ich schaudere und Schiller blickt auf.

»Hey, Rohfassung! Auf keinen Fall lesen, klar? Meine Gedichte müssen reifen.« Ich schüttle den Kopf.

»Das ist toll. So … voller Ruhe«, sage ich und begegne sofort der berühmten, hochgezogenen Augenbraue, die dafür spricht, dass man einen Text völlig anders interpretiert. Schiller ist empfindlich, wenn es um die Auslegung von Literatur geht. Er hasst dieses Banausentum und dass jeder Mensch glaubt, ein Auge für gute Texte zu haben.

»Ruhe? Nein. Es ist düster und wirft einen messerscharfen Blick auf die Unterschiede, die ein Stadtkind quasi körperlich spüren kann, wenn es sich aus den gewohnten grauen Betonburgen bewegt. Fast schon bedrohlich!«

Er deutet auf ein paar Schnörkel, die sein Kugelschreiber darunter zieht und ich kneife die Augen zusammen.

»Das kann doch kein Mensch lesen.«

Tess beugt sich über mich, runzelt die Stirn und sieht Schiller von der Seite an.

»Nein, kann wirklich kein Mensch.«

Izzy kichert, an Miles Schulter vorbei. Was auch immer die beiden da gerade anstellen, da möchte ich jetzt eher nicht so genau hinsehen. Das erinnert mich daran, dass Miles sich vorhin noch die Augen zuhalten wollte, und bringt mich damit beinahe zum Lachen. So schnell kann sich eine Situation verändern, denke ich und spüre ein leises Bedauern in mir aufkeimen, das ich nicht zuordnen kann.

Verrückt.

Mein Blick fällt hinüber zu Herkules und damit direkt in seine blitzenden Augen. Ich spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht schießt, und weiß noch nicht einmal richtig wieso. Jemand stößt mich am Handgelenk und plötzlich halte ich wieder die Plastikflasche in den Händen.

Mechanisch nehme ich einen tiefen Schluck und ernte ein anerkennendes Schulterklopfen von Izzy.

»Meine Erziehung, Leute. So langsam kriege ich unsere gute, brave Cosima auf die dunkle Seite überführt.«

Miles blickt über ihre Schulter.

»Das ist mein Job, darauf habe ich das Vorrecht.«

Punch runzelt die Stirn.

»Spaß«, sagt Lutz schnell zur Erklärung, denn Punch ist zwar gutmütig, greift aber häufig dann doch beherzter ein, als notwendig. Schon entspannen sich die Muskeln unseres Boxers wieder und Schiller angelt die Flasche von meinem Schoß.

In meinem Kopf schwirrt es schon. Mir fällt es schwer, den Gesprächen zu folgen und als wir irgendwann an einem Lagerfeuer sitzen, das vermutlich Miles angezündet hat, und gemeinsam Stockbrot backen und immer noch eine Flasche zwischen uns kreisen lassen, fühlt sich alles in mir schwer und träge an.

»Ich dachte nicht, dass zelten so cool ist«, sage ich und kichere. Ein fester Arm schlingt sich um meine Mitte und ich spüre Herkules‘ Lippen über meine Wange streichen, als er spricht.

»Mit uns doch immer, Rabenmädchen.« Ich verdrehe die Augen und ignoriere, dass die Welt um mich herum zu schwanken beginnt.

»Kra«, mache ich, im armseligen Versuch das Krächzen eines Raben nachzuahmen. Mit einer Hand wuschele ich mir durch die Haare.

»Ja, ich habe eine widerspenstige Mähne, aber wie ein Rabe sehe ich deshalb noch lange nicht aus!«

Gerade will ich aufspringen, um mit Hilfe des Lagerfeuers voll und ganz in Szene zu setzen, wie unrabenhaft ich aussehe, da berührt mich Herkules‘ freie Hand an der Hüfte und meine Beine werden weich, so dass ich doch sitzen bleibe.

»Weißt du eigentlich, wie niedlich du bist, wenn du betrunken bist, kleine, brave Cosima?« Ich kichere und schmiege mich noch enger an ihn. Seine Hitze scheint mir verlockender und umfassender als die des Lagerfeuers.

»Nein, ich doch nicht.«

Lippen streifen meinen Hals und ich erschaudere.

»Hm.« Der Laut entringt sich meiner Kehle, ohne, dass ich etwas dagegen unternehmen kann.

Die Bewegung der Hände entwickelt etwas Hypnotisches, das mich immer weiter in Herkules versinken lässt, bis ich kaum noch unterscheiden kann, was genau dort zu mir oder zu ihm gehört. Meine Augen schließen sich halb.

Wahrscheinlich beobachten die Anderen uns, aber selbst wenn, sind sie ähnlich betrunken wie ich, dann ist es ihnen wohl egal.