Beiträge "mystischer" Traditionen in den Weltreligionen zu einer ganzheitsorientierten Spiritualität der Gegenwart -  - E-Book

Beiträge "mystischer" Traditionen in den Weltreligionen zu einer ganzheitsorientierten Spiritualität der Gegenwart E-Book

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Beschreibung

Im Jahr 2013 beging die Evangelische Stadtakademie Bochum ihren sechzigsten Geburtstag. Mit ihrer Gründung im Jahr 1953 zählt sie zu den ältesten Evangelischen Stadtakademien in Deutschland. Zum damaligen Jubiläumsprogramm gehörte auch ein Symposion über die mystischen Traditionen im Judentum, im Christentum, dem Islam und dem Buddhismus. Ein Wochenende lang fragten ausgewiesene Vertreterinnen und Vertreter aus den Weltreligionen nach dem Gemeinsamen in den mystischen Traditionen ihrer Religion für eine ganzheitsorientierten Spiritualität der Gegenwart. In früheren Zeiten neigten besonders die sich auf Offenbarung gründenden Religionen dazu, zentrale Aspekte des Spirituellen in die Randständigkeit zu verbannen. Besonders in der Moderne duldete man sie nur unter Etiketten, wie Mystik. Andere religiöse Traditionen, wie der frühe Buddhismus, kannten dagegen keinen Gegensatz zwischen öffentlicher Lehre und Ebenen subtiler Erfahrung bzw. religiöser Verwirklichung. Drei Jahre später veröffentlichen wir hier eine Auswahl der Beiträge dieses Symposions, die bis heute nichts an Gültigkeit und Aktualität verloren haben. Neben einen Beitrag aus Kabbala und Chassidismus, der mystischen Traditionen des Judentums, von Elke Morlock, tritt aus dem Christentum der von Udo Kern gehaltene Vortrag zur intellektuellen Mystik Meister Eckharts; neben eine zusammenfassende Darstellung ganzheitsbezogener Aspekte des Buddhismus unter Berücksichtigung des Tantrismus von Armin Gottmann und Michael Colsman treten Aspekte aus dem Sufismus der islamischen Kultur mit ihrer Herausforderung für die Moderne von Shaikh-ul-Mashaikh Mahmud Khan Youskine. Ein Gastbeitrag zur Mystik im Hinduismus von Michael von Brück konnte ergänzend in diese Dokumentation aufgenommen werden. Der Aufsatzsammlung vorangestellt wurden die Erläuterungen zu den begleitenden meditativen Körper- und Atemübungen des Wochenendes von Johanns Soth; eine ausführliche Darstellung des integrativen kulturanthropologischen Modells Jean Gebsers von Michael Colsman schließt die Aufsatzsammlung ab.

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Evangelische Perspektiven

Schriftenreihe der Evangelischen Kirche in Bochum

In der Schriftenreihe sind bisher acht Hefte erschienen.

Erschienen in 2016:

Heft 7:

Die Illusion vom Krieg.

Der Erste Weltkrieg als kulturgeschichtlicher Umbruch

Arno Lohmann (Hg.)

1. Auflage Oktober 2016

ISBN 9783741292118

Heft 8:

Günter Brakelmann

Vorträge zu „Luther als Mensch“ in der Stiepeler Dorfkirche

Stiepeler Lektionen II

1. Auflage September 2016

ISBN 9783741295669

Heft 9:

Beiträge „mystischer“ Traditionen in den Weltreligionen zu einer ganzheitsorientierten Spiritualität der Gegenwart

Festschrift im Rahmen des 60-jährigen Bestehens der Evangelischen Stadtakademie Bochum 2013

Herausgegeben von Arno Lohmann

Evangelische Kirche in Bochum

Westring 26a, D-44787 Bochum

Telefon 0234 - 962 904-0

http://www.kirchenkreis-bochum.de

Das vorliegende Heft ist zu beziehen bei:

Evangelische Stadtakademie Bochum

Westring 26a, D-44787 Bochum

Telefon 0234-962904-661

[email protected]

http://www.stadtakademie.de

Titelbild: Pentagon, oben: „Allah“, Symbol für den Islam

Mitte rechts: Kreuz, Symbol für das Christentum

unten rechts: Davidstern, Symbol für das Judentum

unten links: Mantra-Silbe „Om“, Symbol für den Hinduismus

Mitte links: „Dharma“, achtspeichiges Rad der Wahrheitslehre, Symbol für den Buddhismus

Inhalt

Vorwort

Arno Lohmann

Einführung

Michael Colsman

Zu den begleitenden meditativen Körper- und Atemübungen

Johannes Soth

Integrative Impulse mystischer Traditionen im Judentum (Kabbala und Chassidismus)

Elke Morlok

„Nimm dich nach dem, was du in Gott bist.“

Zur intellektuellen Mystik Meister Eckharts

Udo Kern

Mystik im Hinduismus

Michael von Brück

Ganzheitsbezogene Aspekte des Buddhismus unter besonderer Berücksichtigung des Tantrismus

Armin Gottmann und Michael Colsman

Der Sufismus in der islamischen Kultur und seine Herausforderung für die Moderne

Shaikh-ul-Mashaikh Mahmud Khan Youskine

Anhang

Das integrative kulturanthropologische Modell Jean Gebsers

Michael Colsman

Anmerkungen

Dank dem Ganzen

Wind, durchatmest Hain und Fluren,

sanft summst du dein holdes Lied,

mild wärmt der Sonne Strahl,

Schritte folgen Spuren

neuer Erde, mütterlich Gebiet.

Geht der Blick hinaus ins Weite,

verliert sich Ich im großen Du,

sehnt das Herz sich

nach dem Einen,

findet’s tief im Inneren Ruh.

Dank dem Ganzen,

das uns schimmert,

ob in Leid, in irdisch Glück,

soll der Mensch dahin sich wandeln,

bis er selber göttliches Geschick.

anonym

Vorwort

Im Jahr 2013 beging die Evangelische Stadtakademie Bochum ihren sechzigsten Geburtstag. Mit ihrer Gründung im Jahr 1953 zählt sie zu den ältesten Evangelischen Stadtakademien in Deutschland. Zum damaligen Jubiläumsprogramm gehörte auch ein Symposion über die „mystischen“ Traditionen im Judentum, im Christentum, dem Islam und dem Buddhismus.1 Ein Wochenende lang fragten ausgewiesene Vertreterinnen und Vertreter aus den Weltreligionen nach dem Gemeinsamen in den „mystischen“ Traditionen ihrer Religion für eine „ganzheitsorientierten Spiritualität der Gegenwart2“.

In früheren Zeiten neigten besonders die sich auf Offenbarung gründenden Religionen dazu, zentrale Aspekte des Spirituellen in die Randständigkeit zu verbannen. Besonders in der Moderne duldete man sie nur unter Etiketten, wie „Mystik“. Andere religiöse Traditionen, wie der frühe Buddhismus, kannten dagegen keinen Gegensatz zwischen öffentlicher Lehre und Ebenen subtiler Erfahrung bzw. religiöser Verwirklichung.

Drei Jahre später veröffentlichen wir hier eine Auswahl der Beiträge dieses Symposions, die bis heute nichts an Gültigkeit und Aktualität verloren haben. Neben einen Beitrag aus Kabbala und Chassidismus, der mystischen Traditionen des Judentums, von Elke Morlock, tritt aus dem Christentum der von Udo Kern gehaltene Vortrag zur intellektuellen Mystik Meister Eckharts; neben eine zusammenfassende Darstellung ganzheitsbezogener Aspekte des Buddhismus unter Berücksichtigung des Tantrismus von Armin Gottmann und Michael Colsman treten Aspekte aus dem Sufismus der islamischen Kultur mit ihrer Herausforderung für die Moderne von Shaikh-ul-Mashaikh Mahmud Khan Youskine. Ein Gastbeitrag zur Mystik im Hinduismus von Michael von Brück konnte ergänzend in diese Dokumentation aufgenommen werden. Der Aufsatzsammlung vorangestellt wurden die Erläuterungen zu den begleitenden meditativen Körper- und Atemübungen des Wochenendes von Johanns Soth; eine ausführliche Darstellung des integrativen kulturanthropologischen Modells Jean Gebsers von Michael Colsman schließt die Aufsatzsammlung ab.

Das Vertrauen auf unverfügbare und rational nicht gänzlich zugängliche Kräfte ist eine zentrale Dimensionen von Spiritualität, in der sich „mystische“ Traditionen trotz aller theologischen und historischen Differenzen begegnen. Dabei unterscheiden sich mystische Traditionen und die auf ihnen basierende spirituelle Praxis von esoterischen Angeboten vor allem durch den Respekt vor der Unverfügbarkeit der Erfahrung. Denn auf dem Esoterik-Markt wird – jenseits des ursprünglichen Wortsinnes und ihrer philosophiegeschichtlichen Bedeutung – mit (Heils-)Versprechungen aller Art gearbeitet. Spiritualität dagegen setzt sich der prinzipiellen Offenheit, dem Verzicht auf das Herstellen, Machen und Kontrollieren aus. Absichtslose Präsenz, das „Sakrament des Augenblicks“, und zwar des umfassenden, nicht bloß intuitiven, wie es – schon bei Platon anklingend – Jean P. Caussade andeutet, kann zwar das Bewusstsein erweitern, die Einstellung zum Leben verändern, die Erfahrung des Aufgefangen- oder Getragen-Seins eröffnen – aber: Sie kann nichts davon erzeugen.3 Spiritualität ist am ehesten im Sinne eines „Habitus“ der Aufmerksamkeit und Präsenz im Hier und Jetzt zu verstehen. Empirische und symbolische Wirklichkeit werden nicht als Gegensatz, sondern als komplementär begriffen, es geht darum, die Welt … mit allen Sinnen wahrzunehmen und dieser Sinnlichkeit, auch der sittlichen Wahl, eine Bedeutung beizumessen.

Hier berühren sich Spiritualität und Mystik. Beide sind in ihrem Grunde nicht Weltflucht, sondern umfassendes Da-Sein im Alltag. Dabei meint „Alltag“ auch die professionelle Praxis und die kritische Auseinandersetzung mit dem Ist-Zustand der Welt: „Die Freiheit dazu haben die Mystikerinnen und Mystiker erhalten durch ihre Bereitschaft, sich selbst, auch in radikaler Weise, neuen Erfahrungen auszuliefern und in Frage zu stellen“4.

Unser heutiger Begriff „Mystik“ wurde in dieser substantivischen Form erst spät, seit dem 17. Jh. so genannt. Dabei darf nicht übersehen werden, dass das seit dem Altertum gebrauchte Wort mystikos (Griech.) oder mysticus (Lat.) ein Adjektiv ist, es also immer einem Nomen, um das es in Wahrheit geht, nur beigefügt ist. Wenn z.B. eine Schrift von Pseudo–Dionysios, dem Areopagiten, aus dem 6. Jh. Peri mystikes theologias oder De mystica theologia heißt, dann geht es hier um eine besondere Art der Theologie im Gegensatz zu einer an deren, aber es geht noch nicht um „Mystik“. Denn „Mystik“ macht aus der Beifügung zu einem über den Sinn von sich her entscheidenden Nomen eine Sache eigenen Rechts, eigener Behauptung, eigener (vielleicht schon ideologisch motivierter) Agenda. Zum Vergleich: Angenommen, der Titel De mystica theologia lasse sich übersetzen mit Von der geheimen Theologie, dann wäre es etwas ganz Anderes, wollte jemand plötzlich von einer eigenen „Geheimnik“ sprechen, die in dem Adjektiv „geheim“ wurzelt. Es hat guten geschichtlichen Sinn, dass dem Adjektiv mysticus bis ins 17. Jahrhundert erst gar kein derartiges Nomen wie „Mystik“ zur Seite gestellt war. Umso erstaunlicher ist es, wenn es gerade in diesem Jahrhundert doch plötzlich erscheint.

In dem Symposium wurde deshalb danach gefragt, was diese Neuerung bedeutet – und, statt nach einer Definition des Begriffes „Mystik“ zu suchen, die „mystischen“ Traditionen in den Weltreligionen dahingehend tiefer zu befragen, welche Bedeutung und welche Schätze angesichts der Krise von Religion und Kirchen im Abendland im Blick auf eine ganzheitsorientierte Spiritualität ins Gespräch zu bringen vermögen.

Für den interreligiösen Dialog und das fragiler gewordene Miteinander in unserer heutigen multikulturellen Gesellschaft versteht die Evangelische Stadtakademie diese Veröffentlichung drei Jahre nach dem Symposium als einen aktuellen Beitrag.

Allen Referentinnen und Referenten der Tagung und den Autoren dieses Heftes gehört großer Dank, ganz besonders Dipl. Psychologe Dr. Michael Colsman. Er gab die entscheidende Anregung zu dieser Tagung, war maßgeblich beteiligt bei der Auswahl der Referentinnen und Referenten und bei der Tagungsorganisation. Er übernahm die redaktionelle Arbeit dieser Dokumentation und hat nicht zuletzt beharrlich auf deren Veröffentlichung gedrungen.

Zeitgleich mit dem Symposium konnte er die Vollendung der selben Lebensjahre feiern wie auch die Stadtakademie. Ihm gehören damals wie heute unsere Glück- und Segenswünsche.

Bochum, im Dezember 2016

Arno Lohmann

1     Ein weiterer Beitrag zum Vergleich mit der Tradition antiker Mysterien kann hier leider nicht erscheinen.

2     Zum Begriff der Ganzheit siehe: Michael Colsman in der folgenden Einleitung, S. 9ff.

3     Hildegard Mogge-Grotjahn: „Man lässt sich fallen, und man fängt sich auf“. Affinitäten soziologischer Lehre zu spirituellen Dimensionen Sozialer Arbeit, in: Bernd Beuscher, Hildegard Mogge-Grotjahn: Spiritualität interdisziplinär. Entdeckungen im Kontext von Bildung, Sozialer Arbeit und Diakonie, 2014

4     Fritsch-Oppermann, Sybille (2004): Interview in einer Rundfunksendung von Friedrich Grotjahn: Träumende und Propheten. Mystiker des 20. Jahrhunderts, Sendereihe „Lebenszeichen“ des Westdeutschen Rundfunks, ausgestrahlt am 14. November 2004

Einführung

Michael Colsman

Zusammenfassung: „Ganzheitsorientierung“ klingt bei vielen bedeutenden neuzeitlichen Denkern (z.B. Jean Gebser, Teilhard de Chardin, Sri Aurobindo) als Leitthema eines neuen Kulturansatzes an. Denn bei allen Errungenschaften, die die hochrationalisierte Informations- und Konsumgesellschaft auszeichnet, sind doch deren desintegrative und destruktive Seiten heute deutlicher denn je. Der einführende Vortrag gibt einen Überblick über einige wesentliche Aspekte eines solchen alternativen Denk- und Bewusstseinshorizontes. Dem Thema der Festschrift entsprechend bezieht er sich dabei besonders auf Beiträge, die „mystische“ Traditionen in den Weltreligionen zu einer modernen ganzheitsorientierten Spiritualität leisten können.

Zur Person: Dr. phil. Michael Colsman, (Bochum), M.A. (Tibetologie, Indologie; Philosophie), Dipl.-Psych., ist niedergelassener Psychotherapeut und arbeitet v.a. zu den Bereichen: „Bewusstsein“, ganzheitsorientierte Lebens- und Denkmodelle, Ethik, Buddhismuskunde, interreligiöser Dialog. Entsprechend schrieb er seine Promotion zum Thema „Bewusstsein, konzentrative Meditation und ganzheitsorientiertes Menschenbild“. Er war Organisator des Symposiums und ist haupsächlicher Herausgeber der vorliegenden Festschrift.

Das Thema der Festschrift lautet:

Beiträge „mystischer“ Traditionen in den Weltreligionen zu einer ganzheitsorientierten Spiritualität der Gegenwart. Es steht also unter dem Leitgedanken einer „ganzheitsorientierten Spiritualität“.

Das Wort „Ganzheit“ wurde z.T. vor und dann in der Zeit des Nationalsozialismus im Rahmen eines Totalitarismus missbraucht, um etwa den Herrschaftsanspruch des Staates, einer Nation oder Rasse zu verabsolutieren. Deshalb behauptete Theodor W. Adorno1 sogar – einen Satz des Idealismus Hegels2 ins Gegenteil verkehrend –, dass das Ganze das Unwahre sei. Ähnlich neigen postmoderne Denker, wie der verstorbene französische Philosoph Jacques Derrida3, dem anderen Extrem zu, jegliche Bezogenheit auf ein Ganzes dekonstruieren, ja auflösen zu wollen.

Abgesehen von einer solchen Tabuisierung der Vorstellung einer umfassenderen Einheit werden Kennzeichnungen, wie „ganzheitlich“, in unserer Zeit manchmal nur als werbewirksame Schlagwörter gebraucht. Selbst der entsprechende Begriff des „Integralen“ läuft infolge popularphilosophischer Verwendung Gefahr, an Gehalt zu verlieren.

Das Nachdenken über ein „Ganzes“ und seine Teile – verwandt mit dem über das „Eine“ und Viele – hat indessen eine lange Tradition, die bis in die Antike reicht.4 In der Neuzeit haben sich am Ganzen orientierte Sichtweisen in Philosophie, Religion, Kunst und Wissenschaft sehr differenziert entwickelt. Sie alle verbindet das Anliegen, dass – zumal in unserer heutigen von innerer und äußerer Zerrissenheit geprägten Informations- und Konsumgesellschaft – die integrative Seite gegenüber der analytisch zerlegenden mehr Gewicht haben sollte.5

Um aber einer ideologisierenden Interpretation vorzubeugen, die den in dem Wort „Ganzheit“ notwendig mitenthaltenen Aspekt einer gewissen Geschlossenheit mit einer statischen Totalität gleichsetzt, verwende ich im Zusammenhang mit dem Festschriftleitgedanken meist die relativ dynamisch-offene Bezeichnung „Ganzheitsorientierung“. Damit soll der notwendig unabschließbare dialektische Wegcharakter der menschlichen Spiritualität unterstrichen werden.

In der abendländischen Geistesgeschichte wird dieser dialektische Charakter des ganzheitsorientierten Denkens besonders deutlich auf dem Hintergrund zweier großer, zueinander in Spannung stehender Entwicklungen im Verständnis der Natur und des Menschen: Die eine geht mehr von elementaren Teilen aus, die andere von einem organisch gegliederten Ganzen.6

Abb. 1a u. b: Ägyptische Proportionsfiguren mit Angabe des Achsenkreuzes (Zeit des Alten Reiches) und Gitternetzes (Zeit des Neuen Reiches), auf deren Grundlage die Figur aufgebaut wurde. Aus: Bammes 2000/2001, Abb. 35, S. 43

Die primär am Partiellen, Besonderen, orientierte Betrachtung findet sich ansatzweise schon im frühen archaischen und magischen Denken, in dem ein Teil für das Ganze eintritt, z.B. eine Handvoll Erde für das ganze Feld.7 Der Mensch kann ein größeres Ganzes ineins mit der Struktur und den Beziehungen seiner Teile noch nicht gestalthaft vergegenwärtigen bzw. wiedergeben. Ich gebe ein Beispiel:

Die Ägypter bauten ihre Figuren auf einem streng vorgeschriebenen Kanon auf, der sich, im Gegensatz zur griechischen Klassik, nicht auf organische Messpunkte stützte. Die objektive Figurengröße ging hervor aus der Vervielfachung eines Grundmaßes, wie z.B. der Entfernung Fußsohle – Knöchel. (s. Abb. 1a u. b)

Abb. 2a u. b: Ägyptische Proportionsfigur mit Gitternetz und Polyklets Speerträger (5. Jh. v. Chr. Aus: Bammes 1982, S. 86)

Aus einer derartig starren Festlegung der Körperproportionen konnten auch die Abstände der Gitterquadrate gewonnen und eine Vielzahl von Messpunkten festgelegt werden (sog. Additiv- oder Summativverfahren). Die griechische Skulptur ist indessen für die Entwicklung der Proportionslehre insofern von großer Bedeutung als ihr Aufbau – im Gegensatz zur ägyptischen Methode – vom Körper als einem organischen Ganzen ausgeht und ähnliche oder gleiche Messstrecken gesucht wurden (sog. Simultan-/Analogieverfahren). (s. Abb. 2a u. b)

In der Neuzeit neigt in anderer Weise das mechanistische System-Denken und technische Herstellen dazu, das Biologische, Psychische und Geistige auf materiell greifbare anorganische Elemente oder physikalische Prozesse zu reduzieren und als bloß additiv oder assoziativ zusammengestückelt zu verstehen.

Positiv betrachtet, haben die reduktionistisch vorgehenden empiristisch-funktionalistischen Wissenschaften und die entsprechende auf nahezu unbeschränkte Machbarkeit gestellte Technik zu erheblichen Arbeitserleichterungen und Freiheitsspielräumen geführt. Sie ermöglichten es, dass in den demokratisierten Industrienationen die vitalen Bedürfnisse der in den letzten Jahrhunderten explosionsartig gestiegenen Bevölkerungsmassen mehr oder weniger befriedigt werden konnten.

Negativ gesehen, führt die einseitig reduktive Orientierung an Teilen zu einer Spaltung und Nivellierung des Menschen. Nicht selten ist er nur noch ein Funktionär in einem unpersönlichen Apparat gesellschaftlicher Produktion. Der unausweichliche Leistungsdruck ökonomisch eigenläufiger Prozesse trägt dazu bei, dass wesentliche Aspekte seiner Person aus dem Blick geraten. Vor allem in den Großstädten bewegt sich das Dasein zwischen den Extremen eines aufreibenden, gehetzten Berufslebens sowie einer ebenso innerlich unerfüllt lassenden Vergnügensorientierung und Zerstreuung. Im Sozialen schwinden die von wirklicher persönlicher Verantwortung getragenen Beziehungen und Gemeinschaften. Eine gewisse Monopolisierung des sich als wertfrei missverstehenden empiristisch-funktionalistischen Wissenschaftsansatzes führt heute an den Hochschulen dazu, dass die Geisteswissenschaften sowie die Philosophie und Religion in ihrer grundlegenden Bedeutung für die Kultur nicht mehr erkannt und angemessen geschätzt werden. So reduziert sich leicht die volle Wertordnung, wie sie noch 1926 der Philosoph und Soziologe Max Scheler aufgewiesen hatte, auf elementare Zweckwerte:

Die Wertordnung8

Die höheren Werte des Schönen, der Wahrheit, der Gemeinschaft und Vervollkommnung geraten aus dem Blick, es dreht sich alles um Spaß, vordergründiges Glück, wirtschaftlichen Gewinn und Gesundheit, wobei diese Elementarwerte ihrer sinnvollen Rangordnung nach auch noch verkehrt werden können.

All solche Faktoren begünstigen den Anstieg körperlicher und psychischer Zivilisationskrankheiten. In globaler Hinsicht beschwört die rasante Technisierung und Ökonomisierung das Schreckensszenario einer irreversiblen Schädigung oder gar Zerstörung der Umwelt herauf.

Die andere, eher von einem organisch gegliederten lebendigen Ganzen ausgehende Betrachtungsweise findet man z.B. in mythischen Vorstellungen einer Weltseele, im naturmagischen Denken der Renaissance etwa bei Giordano Bruno9, in der Lehre von monadisch gestuften Einheiten bei Leibniz10 sowie in der Naturphilosophie des deutschen Idealismus und der Romantik11. In der Moderne gehören hierzu z.B. Ökosystem-Vorstellungen.

Positiv betrachtet, begünstigt eine am Vorbild des lebendigen Organismus orientierte ganzheitliche Sicht ein Dasein im Einklang mit den biologischen und sozialen Seiten des Menschen. Doch kann auch einer derartigen Ausrichtung das Bewusstsein höherer Werte abhanden kommen. Die defiziente Wertorientierung äußert sich dann z.B. in einem naiven Zurück zur Natur oder in sozialromantischen nationalistischen Ideologien.

In Anbetracht der angedeuteten Unzulänglichkeiten eines bloß mechanistischen oder organizistisch-vitalistischen Naturverständnisses prägte 1926 der südafrikanische Staatsmann und Philosoph Jan Christiaan Smuts12 für ein umfassenderes ganzheitliches Denken die Bezeichnung „Holismus“. Sie besagt, dass „alle Daseinsformen danach streben, Ganze zu sein … Das neue Ganze enthält […] ältere Ganze, aber es ist selbst neu und es geht über den Stoff oder die Teile, auf die es sich gründet, hinaus.“ Es taucht nach Art der „Emergenz“ allmählich auf. Das „höchste konkrete Ganze“ ist die menschliche Persönlichkeit, die sich in jeweils umfassenderen sozialen Einheiten von der Freundschaft bis hin zum Staat und zur Menschheit verwirklicht. Von Smuts’ maßgeblicher Beteiligung an der Entwicklung des Apartheid-Systems soll hier nicht die Rede sein.

Es ist im Rahmen dieses Vortrags nicht möglich, auf dergleichen umfassende holistische Ansätze einzugehen. Jedenfalls muss das entsprechende Denken und Forschen keineswegs weniger differenziert sein als bei einem reduktionistischen, rein empiristischen Paradigma. Es finden sich allerdings im Abendland oft soziobiologische holistische Modelle, die zum Teil noch problematische Verkürzungen in der Sicht des Menschen beinhalten. Deshalb ist es sinnvoll – wie etwa von dem indischen Denker Sri Aurobindo13 in seinem integralen Yoga vertreten – ergänzend zur Theorie einer soziobiologischen „Evolution von unten“ eine spirituelle „Evolution von innen und oben“ zu fordern. Sie schließt Erweiterungen des Erfahrenshorizontes auf seelischer und geistiger Ebene ein. Auf höchster Stufe ermöglicht sie sogar eine über die mental-rationale Intelligenz hinausgehende spirituelle Verwirklichung und Handlungskompetenz. Insgesamt fördert sie langfristig einen grundlegenden integrativen Wandel des Bewusstseins, der in Anbetracht der globalen Krise der Menschheit heute und künftig unausweichlich zu sein scheint.

Ansätze hierzu gab es in der abendländischen Geistesgeschichte z.B. in der kontemplativen Philosophie und Mystik der Weltreligionen. Die Festschrift greift einige solcher Ansätze auf und bezieht sie auf die Frage, was sie zu einer ganzheitsorientierten Spiritualität in der Gegenwart beitragen können. Bevor ich auf diese Frage im Hinblick auf die Festschriftbeiträge kurz eingehe, ist zunächst die Bezeichnung „Mystik“ zu klären:

In der Öffentlichkeit werden wohl viele Leser das Thema der Festschrift verständnislos mit einem müden Lächeln aufnehmen. Geht es bei „Mystik“ nicht, wie man besonders im Positivismus und Materialismus des 19. und 20. Jahrhunderts oft meinte, um etwas Hinterweltlerisches bzw. Hinterwäldlerisches, um schwärmerische Ekstase, eine versponnene Gefühlsreligiosität oder sogar um Magie, Okkultes oder Esoterisches, die alle als subjektivistisch, unwissenschaftlich, unphilosophisch, ja als dekadent und krankhaft zu bezeichnen sind? Selbst in Kirchenkreisen kritisierte von protestantischer Seite etwa Karl Barth14 die Mystik als Loslösung von der Außenwelt und Rückzug in den Innenraum; Friedrich Gogarten15 vertritt die Ansicht, sie eile an Geschichte und Gemeinschaft vorbei.

Nun ist schon der Begriff „Mystik“ selbst sehr problematisch und unklar. Abgeleitet ist das Wort aus dem altgriechischen Verb „myein“, das „sich schließen“, „verschließen“, nämlich das Schließen der Lippen oder der Augen, bedeutet und auf die Mysterien und Geheimriten bezogen gebraucht wird. Daher meint das entsprechende Eigenschaftswort dann so viel wie „dunkel“, „geheimnisvoll“. Das Mittelalter, in dem im Abendland nach allgemeiner Ansicht der eigentliche Höhepunkt der Mystik zu suchen ist, verwendet paradoxer Weise die Ausdrücke „Mystik“ bzw. „mystisch“ nur selten.

Im 18. und 19. Jahrhundert werden diese Begriffe, etwa bei Kant, im Sinne eines verworren unvernünftigen Mystizismus und ähnlichem negativ beurteilt, in der Romantik dagegen aufgewertet. Auch im 20. Jahrhundert bleibt das Begriffsverständnis noch zwiespältig, wobei neben einer negativen eine durchaus positive Bedeutung zugestanden wird. Schon der Philosoph Hegel oder viel früher der Sache nach Meister Eckhart hatten indessen keinen Widerspruch der Mystik zur Philosophie der Vernunft gesehen.

Worum geht es also in der „Mystik“? Sie zielt letztlich offenbar auf eine Erfahrung der übergegensätzlichen eínen Wirklichkeit, die den Menschen im Innersten, aber auch im Äußerlichsten in seinem bloß weltlichen Selbstverständnis erschüttern, verwandeln und vervollkommnen kann. Sie betrifft jedenfalls nicht nur etwas Innerliches, Subjektives oder bloß Gefühliges, noch ist sie einer äußerlich bleibenden Objektivierung hinreichend zugänglich. Das Sich-Abschließen vor der äußeren Sinnenwelt kann zwar, wie etwa bei der buddhistischen Versenkungsübung, ein Durchgangsstadium sein; jedoch ist es, was die volle Verwirklichung betrifft, nicht Selbstzweck. Ziel ist die Öffnung für ein befreites Bewusstsein, das die gesamte Wirklichkeit umfasst. Diese höchste umgreifende Wirklichkeit mag in Chiffren, wie der vom „großen Ganzen“ anklingen; doch der moderne, in der Spaltung von Subjekt und Objekt befangene Mensch wird von solchen oder anderen mehr religiös formulierten Chiffren nicht mehr berührt, geschweige denn, dass er seine Weltanschauung oder seinen Glauben darauf bauen könnte. Vielfach wird deren Gehalt einfach als nicht-existent wegrationalisiert.

Der Weg zur Erfahrung oder Verwirklichung der Einheit mit dem letzten Unbedingten bzw. der Gottheit, wie es in mehr theistischer Sprache heißt, führt allerdings über höhere Stufen kontemplativer Sammlung, von denen her eine Ausweitung in das so genannte „Kosmische Bewusstsein“16 möglich ist. Das nicht recht vorbereitete Eintreten in höhere Sammlungsstufen bzw. das Kosmische Bewusstsein kann jedoch problematisch und sogar gefährlich sein. Auch hat es innerhalb der langen abendländischen Geschichte der Mystik Unklarheiten und Missverständnisse diesbezüglich gegeben, welche höheren Erfahrungen oder Verwirklichungen noch als bedingte Zustände anzusehen sind und welche einer zeitweiligen oder beständigen Einung (Unio) mit dem höchsten Unbedingten entsprechen. Deshalb bleibt es eine wichtige Aufgabe, meditativ-kontemplativ veränderte Bewusstseinszustände und -stufen in Auseinandersetzung mit der Tradition der großen Meister genau zu unterscheiden und gründlich zu kennen. Trotz der reichen mystischen Tradition des Abendlandes17 besteht m.E. hier weiterer Klärungsbedarf, wobei auch der Dialog mit außereuropäischen Traditionen, wie dem Buddhismus, förderlich ist. Das Erbe der Mystik kann so von seinen Zerrbildern befreit werden und dazu beitragen, dass der moderne Mensch erneut zu den tiefsten Wurzeln der umfassenden höchsten Wirklichkeit hinfindet und von dorther seine Spiritualität universeller entfaltet. Dies fördert auch eine neue Ehrfurcht vor der Natur, den Mitwesen sowie vor den kleinen Dingen des alltäglichen Lebens.

Ich komme nun zu einem kurzen Ausblick auf die Beiträge: Das festliche Symposium hatte am 22.11.2013 mit einer musikalischen Einstimmung begonnen. In der Musik ist das, was in der menschlichen Sprache und im Denken schon auseinanderfällt, noch beieinander. Im alten Instrument der Harfe ist diese Zusammenspannung der Gegensätze zu einer Einheit, zu einem Ganzen, auch noch besonders augenfällig. Der Musikerin, Frau Sonja Jahn, sei für ihren schönen Beitrag damals erneut gedankt.

Am Anfang der nächsten beiden Veranstaltungstage des Symposiums standen meditative Körper- und Atemübungen. Der auch von innen her erfahrene Leib ist bei allem heutigen Sinnlichkeits- und Körperkult das Stiefkind unserer intellektuell und technizistisch überfütterten Konsum- und Informationsgesellschaft. In der Mystik spielt indessen der Leib oft eine zentrale Rolle: So prägte der schwäbische Pietist Friedrich Christoph Oetinger18 1776 für den religiösen Bereich den Satz, dass Leiblichkeit das Ende der Wege Gottes […]19 sei. Und für den indischen Yogaphilosophen Sri Aurobindo bedeutete die Wandlung des Leibes höchste Vervollkommnung. Johannes Soth, der die meditativen Körper- und Atem-Übungen anleitete, bemüht sich engagiert seit Jahrzehnten, diesem Zweig ganzheitlich menschlicher Entfaltung in unserer Kultur, besonders in der Pädagogik, Anerkennung zu verschaffen.

Mit dem ersten Vortragsbeitrag konnten wir einen seltenen Einblick in die im Altertum streng geheim gehaltene Tradition der griechischen Mysterien gewinnen. Sie ist sicherlich ein wichtiger Teil der abendländischen mystischen Überlieferung. Doch kommt sie fast regelmäßig z.B. in den großen Werken zur Mystik zu kurz. Denn nur sehr wenige Forscher haben sich an dieses schwer zugängliche Thema gewagt.20 Frau Dr. Christina Schefer aus der Schweiz, die sich lange und intensiv mit den Mysterien beschäftigt hat, war deshalb für ihren Beitrag besonders zu danken! Da ihr Beitrag allerdings ihrer Ansicht nach zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Festschrift noch nicht ausgereift war, soll er nur als Vortrag in der Audiothek der Homepage Evangelischen Stadtakademie Bochum zu hören sein.

(siehe: www.stadtakademie.de/mediathek.html, 23.11.2013)

Die jüdische Mystik21 war von früh an ein mehr oder weniger verborgen bleibendes, befruchtendes Element des biblischen Denkens; aber sie hat z.B. auch die Philosophie und sogar die moderne Physik angeregt. In manchem dem Tantrismus ähnlich, muss man indessen bei ihr von abstrusen und magischen Auswüchsen absehen. Bei genauerer Kenntnis zeichnet sie sich jedoch durch eine Fülle subtiler und differenzierter Lehren, die man als esoterisch bezeichnen kann, ebenso aus, wie durch eine tiefe Menschlichkeit und Weltfrömmigkeit. Der Kabbala-Forscherin Frau Dr. Elke Morlok, die jetzt an den Hochschulen Tübingen und Mainz im Bereich Judaistik arbeitet, sei herzlich für ihren Beitrag gedankt.

Meister Eckhart, der bekanntlich bedeutendste deutsche Mystiker, verkörperte, was die Vielseitigkeit und Ausgewogenheit seiner Persönlichkeit betrifft, in hohem Maß das Ideal einer ganzheitsbezogenen Spiritualität. Denn er verband auf einzigartige Weise in seiner Persönlichkeit die Fähigkeiten des gelehrten kontemplativen Denkers, des großen Organisators und des einfühlsamen Seelsorgers. Bei aller Gelehrsamkeit wollte er mehr ein Lebe- als ein Lesemeister sein. In mancher Hinsicht, z.B. im Aufbrechen des mittelalterlichen hierarchischen Denkens, erscheint er sogar modern. Mit Professor Udo Kern aus Rostock konnte ein hervorragender Kenner sowie kraftvoller Interpret des großen Erfurter Mystikers gewonnen werden.

Die drei letzten Vorträge am Samstag greifen mehr nach Asien aus: Zur Mystik im Hinduismus gab es keinen Vortrag. Für die vorliegende Publikation stellte jedoch Professor Michael von Brück, ein renommierter Kenner dieser vielschichtigen Tradition, einen Beitrag zur Verfügung. Er verbindet in seiner vielseitigen Persönlichkeit v.a. wissenschaftliche Forschung mit spiritueller kontemplativer Praxis und sozialem sowie künstlerischem Engagement.

Der Buddhismus wurde von dem Religionswissenschaftler Gustav Mensching22 geradezu als eine „mystische Religion“ gekennzeichnet. Doch ist diese Charakterisierung missverständlich; denn, wie im ersten Teil meines Einführungsvortrags bereits erwähnt, ging es dem Buddha durchaus vor allem um eine auf die Bewährung im Leben bezogene Spiritualität, nicht nur um weltabgewandte Versenkung. Später wird besonders im so genannten Großen Fahrzeug die liebemotivierte Zuwendung zu den Mitwesen betont. Und im buddhistischen Tantrismus rückt dann ganz ausdrücklich eine integrative Haltung ins Zentrum, die das Leben nicht verneinen, sondern es verwandelnd erfüllen will.

Dr. med. Armin Gottmann aus Berlin und der Herausgeber dieser Festschrift gehören zu einer Reihe von Forschern, die den Buddhismus im Dialog mit der abendländischen Kultur erschließen wollen.

Den Abendvortrag am Samstag hielt der beliebte Vortragsredner Shaik-Mashaik Mahmud Khan Youskine aus Den Haag. Er steht in einer langen Familientradition bedeutender Vertreter des Sufismus und hat sich vor allem mit dessen indischen Entwicklungen beschäftigt. In der westlichen Welt und besonders hier im Ruhrgebiet stellt der interreligiöse Dialog mit dem Islam heute eine wichtige Aufgabe dar. So gilt ihm besonderer Dank, dass er trotz seines hohen Alters der Einladung zu einem Vortrag gefolgt ist, der hier nun auch erscheinen kann.

Am Sonntagmorgen führte nach den meditativen Körper- und Atemübungen Professor Gottwald aus Oldenburg in das integrative Modell des Kulturanthropologen Jean Gebser23 ein. Gebser gehört zu den bahnbrechenden ganzheitsorientierten Forschern der Moderne. Sein Modell von Entwicklungsepochen des menschlichen Bewusstseins kann in hohem Maß zur Klärung religiöser Phänomene sowie darüber hinaus zu einem neuen ganzheitlichen Verständnis von Religion („Praeligio“) beitragen. Professor Gottwald hat sich besonders im deutschen Sprachraum für das Bekanntwerden des Gebserschen Werks eingesetzt. Er versucht, das integrative Denken Gebsers mit dem Zen-Weg zu verbinden, den er lange praktiziert. Da die Mystík in den fünf großen Weltreligionen bereits durch Beiträge vertreten war, bot es sich an, eine eher religionsneutrale Zusammenfassung im Anhang wiederzugeben; dennoch wurde der Originalbeitrag von Professor Gottwald mit Bezug zum Zen-Buddhismus als Hör- und Vortragstext in die Audiothek der Stadtakademie Bochum gestellt (s.: www.stadtakademie.de/mediathek.html, 23.11.2013) und einige Zitate von Gebser daraus am Ende des Anhangs zitiert.