Beratung in der Heilpädagogik - Petr Ondracek - E-Book

Beratung in der Heilpädagogik E-Book

Petr Ondracek

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  • Herausgeber: Kohlhammer
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2013
Beschreibung

Die Beratung hat in der pädagogischen Berufstätigkeit erheblich an Bedeutung gewonnen. Auch in den Handlungsfeldern der Heilpädagogik hat sie enorm expandiert. Das Buch stellt neben der Grundlegung beraterischen Handelns aus einer humanistischen und konstruktivistischen Denk- und Handlungsweise das spezifische Wissen und Können eines beraterisch tätigen Heilpädagogen in den Mittelpunkt der Darstellung und vermittelt entsprechendes Grundwissen und Know-how. Der thematische Bogen wird dabei weit gespannt: vom rechtlichen und institutionellen Rahmen der Beratung über den Ablauf des Beratungsprozesses und die verschiedenen Beratungsansätze und die Beratungsanlässe bis hin zu den methodischen Hilfsmitteln. Ausführlich und anschaulich wird auf die unterschiedlichen Beratungssettings eingegangen. Das Buch liefert so komprimiert und entlang vieler Praxisbeispiele und Praxisübungen das notwendige Berufswissen für die wachsenden Aufgaben professioneller Beratungspraxis im Bereich der Heilpädagogik.

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Die Beratung hat in der pädagogischen Berufstätigkeit erheblich an Bedeutung gewonnen. Auch in den Handlungsfeldern der Heilpädagogik hat sie enorm expandiert. Das Buch stellt neben der Grundlegung beraterischen Handelns aus einer humanistischen und konstruktivistischen Denk- und Handlungsweise das spezifische Wissen und Können eines beraterisch tätigen Heilpädagogen in den Mittelpunkt der Darstellung und vermittelt entsprechendes Grundwissen und Know-how. Der thematische Bogen wird dabei weit gespannt: vom rechtlichen und institutionellen Rahmen der Beratung über den Ablauf des Beratungsprozesses und die verschiedenen Beratungsansätze und die Beratungsanlässe bis hin zu den methodischen Hilfsmitteln. Ausführlich und anschaulich wird auf die unterschiedlichen Beratungssettings eingegangen. Das Buch liefert so komprimiert und entlang vieler Praxisbeispiele und Praxisübungen das notwendige Berufswissen für die wachsenden Aufgaben professioneller Beratungspraxis im Bereich der Heilpädagogik.

Prof. Dr. Heinrich Greving lehrt Allgemeine und Spezielle Heilpädagogik an der Katholischen Hochschule NRW in Münster sowie Behindertenpädagogik an der Universität Hamburg. Prof. Dr. Petr Ondracek lehrte Didaktik/Methodik der Heilpädagogik an der Evangelischen Fachhochschule RWL in Bochum.

Praxis Heilpädagogik – Handlungsfelder Herausgegeben von Heinrich Greving

Heinrich Greving Petr Ondracek

Beratung in der Heilpädagogik

Grundlagen - Methodik - Praxis

Verlag W. Kohlhammer

Wichtiger Hinweis Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

1. Auflage 2013 Alle Rechte vorbehalten © 2013 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany

Print: 978-3-17-020005-0

E-Book-Formate

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epub:

978-3-17-027738-0

mobi:

978-3-17-027739-7

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Beratung und Heilpädagogik: Theoretische Zugänge

1.1 Heilpädagogik: Eine kurze Einführung

1.2 Beratung: Grundfragen

1.3 Relevanz der Beratung in der Heilpädagogik

2 Zur Geschichte der Beratung

2.1 Historische Betrachtungen zur Beratung

2.2 Handlungsfelder der Beratung im geschichtlichen Verlauf

3 Gegenwärtiger rechtlicher und institutioneller Rahmen der Beratung

3.1 Rechtliche Rahmenbedingungen der Beratung

3.2 Institutionelle Bedingungen von Beratung

4 Beratung und Heilpädagogik: Methodische Zugänge

4.1 Eine humanistische und konstruktivistische Begründung der Beratung in der Heilpädagogik

4.2 Methodische Grundlagen des beraterischen Handelns in der Heilpädagogik

4.2.1 Ausgewählte Aspekte des Beratungsbegriffs

4.2.2 Eckpunkte des Beratungsprozesses

4.2.3 Ausgewählte Beratungsansätze mit heilpädagogischer Relevanz

4.2.4 Beratungskontexte in heilpädagogischen Tätigkeitsfeldern

4.2.5 Das Selbstverständnis der beratenden Fachperson

4.2.6 Ein Praxisfundament der Beratung: Die Gesprächsführung

4.3 Das Fachwissen als Gegenstand und Hintergrund der Beratungsaufgabe

4.3.1 Beratungsrelevantes Fachwissen der Heilpädagogik

4.3.2 Beratungsrelevantes Fachwissen der Psychologie

4.3.3 Beratungsrelevantes Fachwissen der Medizin

5 Ausblick: Beratung in der Heilpädagogik – Eine methodologische Skizze

Literaturverzeichnis

Sachwortverzeichnis

Vorwort

Ein Buch, welches sich mit Beratung und Heilpädagogik beschäftigt bzw. Beratung im Kontext heilpädagogischer Handlungsfelder thematisiert, hat sich mit mindestens zwei Fragestellungen und Problemen auseinanderzusetzen:

Auf der einen Seite stellt sich die Frage, ob Beratung im Kontext des heilpädagogischen Handelns ein eigenständiges Handlungsfeld darstellt oder ob sie nicht ein genuiner Bestandteil unterschiedlicher heilpädagogischer Handlungsfelder ist. Diese Problematik wird zudem von einer weiteren Schwierigkeit begleitet: Thematisiert eine solche Veröffentlichung die Beratung in der Heilpädagogik, indem sie den Schwerpunkt auf die beratungsrelevanten Grundlagen und Kompetenzen legt, oder fokussiert sie vielmehr einen heilpädagogischen Ansatz, welcher dann in unterschiedliche Beratungsfelder eingebracht werden kann? Handelt es sich somit um ein Beratungshandeln, das je nach Bedarf in diversen heilpädagogischen Handlungsfeldern stattfindet, oder begründen und differenzieren wir in dieser Veröffentlichung einen heilpädagogisch ausgerichteten Ansatz, welcher dann für unterschiedliche Beratungsfehler aktualisiert und aufbereitet werden kann?

Die zweite Fragestellung, welche eine Einführung in Beratungshandeln im Rahmen der Heilpädagogik tangiert, zielt auf die didaktische Struktur einer solchen Publikation: Skizziert sie eher theoretische Begründungen des Beratungshandelns oder fokussiert sie die Kompetenzen und Techniken zur Beratung? Mehr noch: Von welcher theoretischen Begründung geht sie aus, damit hierauf aufbauend handlungswirksame Aussagen gelingen können?

In der vorliegenden Darstellung zur Beratung in der Heilpädagogik versuchen wir auf beide Fragestellungen adäquate und sinnvolle Antworten zu finden.

Grundlegend gehen wir von einer heilpädagogischen Betrachtung des Beratungshandelns aus. Also wird der Betrachtung des Beratungshandelns immer die Sichtweise der Heilpädagogik vorausgeschickt, d. h. die Beratungsaufgabe in der Heilpädagogik wird mit heilpädagogischen Prämissen und Implikationen verbunden. Folglich wird die Beratung in der Heilpädagogik immer als eine heilpädagogische Beratung aufgefasst. Diese heilpädagogische Betrachtung hält wie ein Rahmen die beiden Hauptteile dieser Einführung zur Beratung in der Heilpädagogik zusammen: Nach einer theoretischen und methodologischen Begründung zur Beratung (► Kap. 1 bis 3) werden unterschiedliche methodische Zugänge zur Beratung vorgestellt und auf zukünftige Themenfelder hin betrachtet (► Kap. 4 und 5). Die grundlegende (erkenntnis-)theoretische Begründung besteht hierbei in einer Verbindung von humanistischen und konstruktivistischen Perspektiven. Gerade im Hinblick auf die dargestellten methodischen Grundlagen werden wir sehr deutlich methodische humanistische Hinweise mit konstruktivistischen Grundannahmen vernetzen. Die einzelnen Kapitel sind hierbei wie folgt aufgebaut:

Im ersten Kapitel werden die theoretischen Zugänge zu Beratung und Heilpädagogik skizziert. Nach einer kurzen Einführung in die Grundlagen der Heilpädagogik werden die Grundfragen der Beratung erörtert. Dieses Kapitel schließt ab mit einer Darstellung der Relevanz der Beratung in und für die Heilpädagogik.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Geschichte der Beratung. Nach einführenden historischen Betrachtungen zur Beratung werden unterschiedliche Handlungsfelder hierzu im geschichtlichen Verlauf vorgestellt.

Hieran anschließend erörtert das dritte Kapitel aktuelle rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen zur Beratung. Gerade der juristische Kontext von Beratung sowie ihre institutionelle und organisatorische Eingebundenheit erscheinen uns als zentral, da sie die Basis darstellen, auf der das konkrete beratende Tun stattfinden kann.

Im vierten Kapitel werden dann methodische Zugänge zum Beratungshandeln in der Heilpädagogik vorgestellt. Zuerst wird noch einmal die Verbindung zwischen humanistischen und konstruktivistischen Begründungen erläutert. Diese Darstellung ist als Basis für alle weiteren Beschreibungen und Betrachtungen unumgänglich. Hierauf folgend werden recht ausführlich die methodischen Grundlagen des praktischen beratenden Handelns in der Heilpädagogik erläutert: Ausgehend von ausgewählten Aspekten des Beratungsbegriffes, über die Eckpunkte des Beratungsprozesses, bis hin zu ausgewählten Beratungsansätzen, welche für den heilpädagogischen Kontext von besonderer Relevanz sind. Hierauf folgt dann eine Ausdifferenzierung dieser einleitenden Darstellungen, indem mögliche Beratungskontexte in heilpädagogischen Tätigkeitsfeldern erörtert werden. Ein weiterer Aspekt des Beratungshandelns stellt das Selbstverständnis der beratenden Fachperson dar. Deshalb wird auf dieses Thema in einem nächsten Schritt sehr intensiv eingegangen. Die Gesprächsführung ist zweifelsohne ein zentraler Dreh- und Angelpunkt des Beratungsgeschehens, und deshalb steht sie im Fokus eines weiteren Kapitels. Am Ende des vierten Kapitels stehen fachwissenschaftliche Konnotationen zur Beratung in der Heilpädagogik. Diese können sowohl als Gegenstand als auch als Hintergrund der Beratungsaufgabe betrachtet werden und für eine solche zweckdienlich sein.

In dem abschließenden fünften Kapitel wird das vorher Gesagte bilanziert und in einen methodologischen Kontext gestellt, welcher Zukunftsperspektiven der Beratung in der Heilpädagogik thematisiert.

Dieses einführende Lehr- und Fachbuch zur Beratung in der Heilpädagogik spannt somit den Bogen von einer theoretischen und methodologischen Begründung des Beratungswissens in Heilpädagogik hin zu konkreten methodischen und praxisrelevanten Aussagen und Hinweisen. Damit erfolgt der didaktische Dreischritt: theoretische Grundlagen ➔ methodische Differenzierungen ➔ praxisrelevante Reflexionen über die gesamte Spannweite dieses Buches. Er wird sich aber auch in jedem Kapitel wieder finden lassen, so dass alle Aussagen sowohl theoretisch begründet als auch methodisch orientiert sind und die potentielle Leserin bzw. den potentiellen Leser zu einer persönlichen, individuellen und begründeten Reflektion und Stellungnahme herausfordern.

Dieses beabsichtigte Wirkungsanliegen soll verdeutlichen, dass die Beratung in den Handlungsfeldern der Heilpädagogik nicht nur ein in historische und gesellschaftliche Bedingtheiten eingewobenes, sondern immer auch ein hoch persönliches Geschehen ist und bleibt. Vor diesem Hintergrund kann und muss es sich immer wieder vollziehen und entfalten.

Stadtlohn/Bochum, im Februar 2013

Heinrich Greving Petr Ondracek

Abb. 1: Beratung und Heilpädagogik: Inhaltliche Struktur

1 Beratung und Heilpädagogik: Theoretische Zugänge

In diesem einführenden Kapitel werden in drei Schritten die relevanten Beziehungen zwischen Beratung und Heilpädagogik dargestellt.

Zuerst wird eine kurze Einführung in die Heilpädagogik erfolgen. Statt von der Geschichte der Heilpädagogik auszugehen, werden hierbei diejenigen heilpädagogischen Grundgedanken skizziert, welche für die unterschiedlichsten Beratungsformen in den heilpädagogischen Handlungsfeldern relevant sein können. Es geht darum, die allgemeinen heilpädagogischen Grundsätze des dialogischen und personalen Zugangs zu Menschen (mit Verweisen auf systemische und konstruktivistische Bedingtheiten) mit pragmatischen Orientierungen der beraterischen Vorgehens- und Handlungsweise zu verknüpfen.

In einem zweiten Punkt werden dann die Grundlagen zur Beratung dargestellt. Dieses erfolgt in einer recht allgemeinen Form, so dass (im weiteren Text dieses Buches) hieran anknüpfend unterschiedliche Betrachtungen der Beratungsaufgabe in der Heilpädagogik erörtert werden können.

In einem dritten kurzen Punkt wird dann die Relevanz der Beratung in und für heilpädagogisches Handeln bilanziert.

Abb. 2: Kapitel 1 – Inhaltliche Struktur

1.1 Heilpädagogik: Eine kurze Einführung

In einem dreistufigen Verfahren werden im Folgenden die heilpädagogischen Grundsätze in Bezug auf das Themen und Handlungsfeld der Beratung skizziert:

Zuerst werden grundlegende heilpädagogische Themen vorgestellt, so wie sie sich aus der Geschichte der Heilpädagogik ergeben haben und aktuell relevant sind.

Anschießend werden die heilpädagogischen Grundannahmen formuliert, welche für die Betrachtung der Beratungsaufgabe hochrelevant erscheinen. Hierbei wird es vor allem um eine Vernetzung zwischen der Subjektbezogenheit in der Heilpädagogik (also den eigentlichen Fokus in beratenden Prozessen) mit systemischen Ebenen und Elementen gehen, um sowohl die personalen als auch die dialogischen Aspekte der beratenden Prozesse in der Heilpädagogik in den Fokus zu nehmen.

Schließlich wird auf das professionelle beratende Tun im Kontext der Heilpädagogik eingegangen, wobei vor allem die Vernetzung von Sprechen und Handeln hervorgehoben wird.

In der Geschichte der Heilpädagogik kam es seit den ersten Gründungen heilpädagogischer Einrichtungen immer zu einer Vernetzung von pädagogischen, also auf das Subjekt bezogenen, und weit über dieses Feld hinausgreifenden Ansätzen. Auch die Handlungsmuster der Beratung weisen solche Vernetzungen auf (vgl.: Bundschuh, 2010, 19 – 32). Das »klassische« heilpädagogische Handeln mit einem Klienten bzw. einer Klientel sowie die auf diese Klientel bezogenen Ansätze (z. B. die Umfeldarbeit, die Arbeit mit den Eltern, die Arbeit mit weiteren Bezugssystemen wie Lehrern, Erzieherinnen etc.) haben schon immer unterschiedlichste Anteile von beratenden Prozessen beinhaltet. Eine Heilpädagogik, welche sich lebenslauforientiert mit unterschiedlichen Abschnitten des menschlichen Daseins im Verlauf des Lebens beschäftigt, hat natürlicherweise immer auch auf unterschiedlichste Beratungsnotwendigkeiten zu reagieren und hierzu Beratungsmodi anzubieten. Dieses kann schon in der Beratung werdender Eltern (z. B. in Erziehungsberatungsstellen) geschehen, erstreckt sich über beratendes Tun in den Kindertagesstätten, in – so ist zu hoffen – inklusiven Schulformen, bis hin zu beraterischer Unterstützung im Kontext von Wohnen und Arbeiten bei erwachsenen Menschen mit Behinderungen. Im Bereich der Arbeit mit alten Menschen sind Beratungsprozesse ebenfalls in hohem Maße von Nöten (vgl.: Schäper et al., 2010, 96 – 108).

Es erscheint relativ bedeutungslos, ob in den Beratungsfeldern und Kontexten der Heilpädagogik unterschiedliche Bezeichnungen für die professionelle Unterstützung von Menschen in beeinträchtigter Lebenslage benutzt werden (z. B. Sonderpädagogik, Behindertenpädagogik, Rehabilitationspädagogik etc.).

Bundschuh bilanziert die Diskurse um die unterschiedlichen Bezeichnungen der helfenden Berufe/Professionen wie folgt: »Heilpädagogik steht im Dienste des in Not geratenen ... Menschen und seines Umfeldes, des pädagogischen Geschehens schlechthin, orientiert sich an den speziellen Bedürfnissen von ... [Menschen], die im Rahmen von Erziehung und Unterricht (und Bildung; HG/PO) traditionell als ›Lern-Leistungs-Verhaltensgestört‹ oder ›behindert‹ bezeichnet werden ... Dabei sei explizit auf die gegenwärtig sich verdichtende Diskussion der Frage nach der Integration und Inklusion hingewiesen ... Im Kontext ökologischer Denkweisen orientiert sich Heilpädagogik an einer ganzheitlichen Sichtweise des Menschen als Leib-Seele-Geist-Einheit und seiner Welt und schließt die Beziehungs- und Erziehungsverhältnisse ein« (Bundschuh, 2010, 41). Folglich wird hier auf die Menschen in schwierigen Situationen geblickt, die im Kontext lebenslauforientierter heilpädagogischer Unterstützung auch beraterische Hilfe benötigen, um ihr Dasein gut zu gestalten und zu leben.

Gerade die Themen der Integration und Inklusion [welche im Kontext dieses Bandes nicht explizit differenziert verfolgt werden können] stellen sich dennoch in der Heilpädagogik als »Herausforderung und ungelöstes Problem« (Bundschuh, 2010, 69) dar. Integrative und inklusive Prozesse entwuchsen u. a. auch den (seit langer Zeit in der Heilpädagogik »beheimateten«) Konzepten wie z. B. Normalisierungsprinzip, Empowerment-Prinzip, Selbstbestimmungsprinzip sowie dem Verlangen nach Deinstitutionalisierung (heil-)pädagogischer Organisationen. Sie werden als grundlegendes Anliegen des heilpädagogischen Handelns in nahezu allen heilpädagogischen Arbeitsfeldern verfolgt. Ihre Umsetzung schließt die beratende Aufgabe zwangsläufig ein, denn alle Beteiligten betreten ein für sie noch ziemlich unbekanntes und folglich auch verunsicherndes Gebiet. In diesen beratenden Prozessen hat die agierende Heilpädagogin bzw. der agierende Heilpädagoge sowohl die integrative Sichtweise von Pädagogik, besser noch die pädagogische Sichtweise von Integration und Inklusion zu verwirklichen, als auch den zu beratenden Menschen im Kontext dieser Beratungsprozesse seinen eigenen Weg suchen und finden zu lassen.

Dieser sehr apodiktisch formulierte Satz bezieht sich nun darauf, dass beratende Prozesse mindestens doppelgleisig durchzuführen sind: Auf der einen Seite als Prozesse, welche das Subjekt in den Mittelpunkt dieser Beratungsmöglichkeiten setzen, auf der anderen Seite als Veränderung der Umfeldmodalitäten und -geschehnisse, welche im Hinblick auf Integration und Inklusion nicht nur zu überprüfen, sondern auch zu verändern sind. Dieser Zwiespalt in der Integrations-/Inklusionsthematik ist kaum auflösbar, da Heilpädagogik sowohl das Individuum im Blick hat als auch der Gesellschaft gegenüber verpflichtet ist. Eigentlich müsste die Heilpädagogik imstande sein, die Naht- und Verbindungsstellen zwischen Gesellschaft und Individuum durch Beratungsprozesse wahrzunehmen und zu verändern, gleichwohl dies sehr schwierig ist. Eine mögliche Orientierung in dieser schwierigen Situation kann in der Berücksichtigung beider Seiten der Medaille liegen – sowohl der subjektbezogenen Grundlegungen (hier im Sinne einer humanistischen Betrachtung) als auch der umweltbezogenen Ansätze (hier im Hinblick auf systemisch-konstruktivistische Begründungen von Beratung). Dadurch kann durchaus eine tragfähige und nützliche Brücke gespannt werden zwischen einer individuumszentrierten und einer auf das Öko- und Sozialsystem bezogenen Erfüllung der Beratungsaufgabe in der Heilpädagogik.

In der Begründung und in der Ent-Äußerung der Beratungsprozesse der Heilpädagogik finden also unterschiedlichste Begründungsmuster zusammen, welche handlungsorientiert zu strukturieren und zu gestalten sind: Auf der einen Seite die Wahrnehmung einer dialogischen Beziehung zwischen Subjekten, auf der anderen Seite die Veränderungsmodi, welche auf die Subjekt-Umwelt-Beziehung aller beteiligten Handlungspartner hinweisen, im Dritten die Umwelt als solche, in der die Beratung stattfindet und auf welche diese immer wieder zurückgebunden wird. Diese grundlegende Dichotomie bzw. dieses Abhängigkeitsverhältnis zwischen Ich und Welt, welches aus einer Wahrnehmung dieser beiden Pole permanent entsteht, stellt eine »existentielle Frage« (Kobi, 2004, 25) dar. Sie lässt sich für die Beratung in der Heilpädagogik wie folgt modifizieren: Wie und auf welchem Hintergrund werden Beratungsprozesse im Rahmen der Heilpädagogik per definitionem erzeugt?

Grundlegend ist davon auszugehen, dass das »Subjekt als Ausgangspunkt« (Kobi, 2004, 25) zu verstehen ist. Hierzu Kobi ausführlich: »Vor jedem Etwas steht ein Jemand. Was auch immer festgestellt oder negiert, getan, gesagt, gefragt oder beantwortet wird, hat jemand per definitionem ... als Sein oder Nichtsein, als Tun oder Lassen, als Aussage, Frage oder Feststellung erlebt, erkannt, bedeutet und dadurch zur Existenz gebracht. Das Subjekt und seine Gestaltungs- und Erkenntnisbereiche stehen in gegenseitiger Abhängigkeit« (Kobi, 2004, 25/26). Im Bereich einer heilpädagogisch verorteten Beratung geraten somit immer zwei Subjekte aneinander und beziehen sich auf eine gemeinsam zu gestaltende – besser: schon im vornhinein gemeinsam konstruierte und aneinander abgeglichene – Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit wiederum stellt sich als »rahmenabhängiges Konstrukt« (Kobi, 2004, 26) dar.

Das, was jemand als Problem/als sein Thema/als Anfrage an Beratungsprozesse wahrnimmt, ist seine Idee von Welt und sein Standpunkt, aus welchem er genau diese Welt als Leidender, nicht Handelnder, problembezogener, suchender und fragender Mensch wahrnimmt. Im Bezug auf die Rolle der Beraterin bzw. des Beraters gilt Ähnliches: Auch sie bzw. er repräsentiert, d. h. vergegenwärtigt sich seine eigene Welt (vgl.: Kobi, 2004, 27), und zwar über die Art und Weise, wie sie bzw. er Realität als Subjekt erfahren, erlebt, ausgestaltet und somit konstruiert hat. Berater und zu beratende Person schaffen sich somit immer ein Konstrukt, in das sie eine ganz bestimmte Form von Wirklichkeit einarbeiten, indem sie schon im vornhinein ihre Perspektive von An-Frage und Antwort einweben. Diese Wirklichkeit entsteht immer in sich verändernden dynamischen, durch die Relation der beteiligten Handelnden bestehenden und konstruktiven wechselseitigen Prozessen: »... wirklich ist, was wirkt und als subjekthaftes Betroffensein und Betreffnis in Erscheinung tritt ... Unsere Frage lautet demnach nicht: Wie ist eine an sich seiende Realität (zum Beispiel eine Behinderung) beschaffen, der wir uns entgegen zu stellen haben? – Sondern: Woraus bestehen unsere Subjektwelten, was sind deren Inhalte und wie verlaufen die Sinnbänder, welche diese bündeln? Worin zeigen sich inhaltliche und strukturelle Differenzen« (Kobi, 2004, 28)?

Gerade diese inhaltlichen und strukturellen Unterschiede sind es, welche Menschen mit und ohne Behinderung in Beratungsprozesse hineinführen, mehr noch: Diese Beratungsprozesse finden häufig an den Grenzen und an den Schnittstellen dieser inhaltlichen strukturellen Differenzen, die sich immer vor dem Hintergrund selbst konstruierter Wirklichkeitsprozesse ereignen, statt. Die grundlegenden Kontexte, in denen somit Heilpädagogik stattfinden kann, sind begründet in einer relativen Wirklichkeit, in welcher immer wieder Entscheidungen darüber Aussagen begründen, was pädagogisch getan werden soll, bzw. diese bestehen in einer relationalen pädagogischen Begründung, in welcher Erziehung durch die Beziehung der Handlungspartner zur Realität wird.

In dieser Dynamik bzw. vor diesem Hintergrund wird Beratung in der Heilpädagogik konkretisiert. Sie ist relativ, also abhängig davon, was alle Handlungspartner in diesem Kontext beitragen, und sie ist relational, d. h. entsteht über die Beziehungsgestaltungen aller Handlungspartner im Kontext von Beratung. Mehr noch: Das, was Kobi grundlegend von der erzieherischen Gestaltung im Rahmen der Heilpädagogik ausgesagt hat, kann auch für die Beratung gelten: Sie entsteht an den Schnittpunkten von Subjektivität, Normativität und Objektivität:

subjektiv ist Beratung deswegen, weil all das, was ein Mensch, der in den Beratungsprozess hineinkommt, mitbringt, als seine Subjektivität, als seine Befindlichkeit, als seine Problematik zu respektieren ist;

normativ deshalb, da durch eine Definition sowie durch Wertungen und Haltungen des Umfeldes und der Gesellschaft Fragestellungen und Probleme (wie aber auch Krankheits- und Leiderfahrungen) ihre Bedeutung und ihre Erfahrung von Sinn erhalten;

objektiv aus dem Grund, da all diese Prozesse immer nach ganz bestimmten charakterisierten Merkmalen wahrgenommen, ja sogar diagnostiziert werden können (vgl.: Kobi, 2004, 33).

Demnach changiert heilpädagogische Beratung immer zwischen unterschiedlichen subjektiven, normativen und objektiven Ebenen, also muss man sich von einer linearen Erklärungsform für die jeweiligen Beratungsnotwendigkeiten verabschieden und auf eine Handlungsweise beziehen, in welcher Beratungsprozesse wechselseitig erzeugt werden. Das gilt für alle heilpädagogischen Handlungsfelder – ob sie nun lebenslauf- oder lebensortorientiert gestaltet werden.

Ebenfalls mit Bezug auf Emil Erich Kobi (vgl.: 2004, 413 – 433) ist die heilpädagogische Beratungsaufgabe ein bilateraler Prozess und folglich immer in einem dialogischen Kontext zu verstehen. Dies bedeutet: »Beziehungen ›konjugieren‹ lehren und lernen, mich und den ... anderen ... in wechselnden Konstellationen erfahren und deuten, sich und andere ... ›deplatzieren‹, d. h. unter verschiedenen Perspektiven definieren und entdecken und damit eine Grammatik des sozialen Umgangs entwickeln« (Kobi 2004, 414/415).

Beratung findet in Beziehungsnetzen statt. Diese Netze sind gewoben aus den unterschiedlichsten Elementen der hieran beteiligten Personen, primär der Personen, die Beratung benötigen und einfordern und der Personen, die diese Beratungsprozesse mit ihnen gemeinsam gestalten. Das also, was für Erziehungsverhältnisse grundsätzlich gilt, trifft auch für die Beratung zu: »das jede daran beteiligte Person je nach Perspektive aus jeder Position heraus agiert« (Kobi, 2004, 416). Alle – soziologisch gesehen – dargelegten Rollen der Handlungspartner gehen somit in diese Beratungsprozesse ein. Das, was beide füreinander sein können, bedingt sich im Bereich der Beratung (genauso wie im Erziehungsgeschehen) wechselseitig. Weder Beratender noch zu beratende Person sind hierbei ausschließlich und ausschließend autonome Subjekte, welche zielstrebig auf je individuelle Lösungsmodi zuschießen, mehr noch: In einem Beratungsprozess verändert sich der Berater in demselben Maße, in dem er die Beratungsprozesse mit einem zu Beratenden ausagiert.

Hierzu noch einmal abschließend Kobi: »Das ICH hat seinen Ausgangspunkt in einem DU« (Kobi, 2004, 418). Im Sinn einer dialogischen Verständigung (vgl.: Kobi, 2010, 325) ist bei Beratungsprozessen in der Heilpädagogik somit von personorientierten theoretischen und meta-theoretischen Modellen auszugehen, die jedoch immer auch auf eine gesellschaftliche Situation zielen, in der diese Prozesse stattfinden (vgl.: Kobi, 2010, 16 – 36, 180 – 187).

Eine professionelle Beratung in heilpädagogischen Kontexten bezieht sich immer auf das, was in jeder Situation, in jedem Moment, d. h. im Alltag der Handlungspartner geschieht. Alltag ist das, woraus komplexe Beziehungsmuster und Problemsyndrome entstehen, Alltag ist das, auf welches eine professionell begründete und gegründete heilpädagogische Beratung zurückzuführen ist. Also: »der Alltag [ist der] ... Ausgang und [die] Aufgabe heilpädagogischer Praxis« (Gröschke, 2008, 69). Dialogik nur als kommunikatives Wechselspiel zwischen zwei Individuen zu verstehen, reicht für eine Gestaltung des Beratungsprozesses in heilpädagogischen Kontexten nicht aus. Vielmehr gehören fachlich begründete, theoretische und konzeptionelle Inhalte in die Beratungsbezüge hinein. Diese sind durch konkrete Verhaltensweisen zu leben und im Hinblick auf die jeweiligen interpersonellen, sozialen und kommunikativen Prozesse der je einzelnen Handlungspartner zu analysieren (vgl.: Gröschke, 2008, 74 – 77).

An dieser Stelle ist primär eine Kompetenz bzw. eine meta-theoretische Begründung hervorzuheben: die ethische Kompetenz im Rahmen einer faktischen Urteilskraft der tätigen Heilpädagoginnen bzw. Heilpädagogen. Hierzu ausführlich Gröschke: »Professionelles heilpädagogisches Handeln muss sich seiner Wertbindung, seiner leitenden Werte und Normen und seiner Ziele reflexiv bewusst sein und sie auch vor anderen ausweisen und rechtfertigen können. In ethischer Hinsicht ist heilpädagogisches Handeln eine Einheit von ›Gesinnungsethik‹ und ›Verantwortungsethik‹ [...]. Die berufssoziologische Einordnung der Heilpädagogik in die ›sozialen Berufe‹ meint ein Doppeltes: Adressaten sozialer Berufe sind ›vergesellschaftete Individuen‹, Menschen, die unter sozialen, d. h. zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ein Leben führen ... und der genuine Auftrag sozialer, helfender Berufe ist ein menschenfreundlicher, humanitärer, gemeinnütziger und ›wohltätiger‹, der auf das Wohl des Einzelnen und der Gesellschaft bedacht sein muss. Jeder Auftrag drückt sich in der klassischen Handlungsmaxime ›Hilfe zur Selbsthilfe‹ aus [...]« (Gröschke, 2008, 81). Dieser ethische, also individual- und sozialethische Aspekt muss in die Begründungsformen einer heilpädagogischen Beratung mit aufgenommen werden und diese grundlegend prägen. Hierin liegt der Grund dafür, eine humanistische und konstruktivistische Begründung des beraterischen Denkens und Handelns in der Heilpädagogik besonders hervorzuheben. Denn es wird von einer ethischen Basis getragen, die sich wiederum auf humanistische und konstruktivistische Bedingtheiten bezieht (► Kap. 4).

Beratung in heilpädagogischen Arbeitsfeldern findet auf einer Ebene statt, auf der sich der sprachliche/kommunikative Ausdruck mit dem übersprachlichen/interaktiven/tätigen Handeln vernetzt. Eine professionelle heilpädagogische Praxis, gerade auch in Bezug auf Beratungsprozesse, gestaltet sich somit als »Einheit von Sprechen und Handeln« (Gröschke, 2008, 164). Dieses Handeln ist, auch im Kontext einer heilpädagogischen Beratung, immer durch zwei Pole gekennzeichnet: durch ein angestrebtes und durch diese Aktion zu erreichendes Ziel und durch die hierzu notwendigen Mittel (vgl.: Gröschke, 2008, 66). Dieser grundlegende Aspekt der Handlungsmomente (schon in der griechischen Philosophie von und nach Aristoteles postuliert) trifft auch für Beratungsprozesse zu. Das angestrebte und durch alle Handlungspartner zu erreichende Ziel besteht häufig in der Lösung ganz grundsätzlicher, manchmal aber auch sehr pragmatischer und praktischer Probleme. Die Mittel zur Verfolgung dieses Ziels sind überwiegend sprachlich orientierte, d. h. im Reden und Verbalisieren sich offenbarende Handlungsmuster. Sprache stellt sich somit als Aktivität im Kontext von Handeln und Beratung dar (vgl.: Gröschke, 2008, 167).

Handeln im Kontext von Praxis führt somit immer zur Daseinsgestaltung der Beteiligten. Diese realisiert sich – gerade in Beratungskontexten – über Botschaften, die sprachlich, aber auch nonverbal vermittelt werden: »Diese systematischen Bezüge zwischen Sprache, Handeln, Praxis und Daseinsgestaltung eröffnen die Möglichkeit, ›Sprache‹ in einem umfassenden Sinn als Paradigma von Praxis zu konzipieren [...] Die Berechtigung für einen solchen von der Sprache herkommenden Begründungsansatz ist ebenfalls eine recht pragmatische: Sowohl Alltagspraxis wie auch Berufspraxis in den personenbezogenen psychosozialen und pädagogischen Professionen bestehen in einem hohen Maße, sogar überwiegend, aus sprachlichen Tätigkeiten. [...] Die beiden anthropologischen Bestimmungsstücke und menschlichen Grundvermögen Handlungsfähigkeit und Sprachfähigkeit gehen so in eins und bilden die wesentlichen Konstitutionsbedingungen sozialer Praxis« (Gröschke, 2008, 168).

Handeln und Sprache, vermittelt über die Fähigkeit des Menschen, sich mit verbalen und nonverbalen Symbolsystemen auszudrücken bzw. Ausdrucksmöglichkeiten zu verschaffen, bilden somit die grundlegenden Begründungsfiguren für ein professionelles pragmatisches Beratungsverständnis im Kontext des Sozialen und somit auch im Rahmen der Heilpädagogik. Das »Grundphänomen Sprachlichkeit« (Gröschke, 2008, 170) ist im Kontext von Beratung immer schon pragmatisch orientiert: Sprache ist etwas, was den Menschen anthropologisch ausmacht, etwas, womit der Mensch über die Symbolbildung sein Innerstes nach außen trägt. Sprache dient also in den Beratungsprozessen der »Austragung« von inneren Repräsentationsbildern und macht sie allen Beteiligten zugänglich – sowohl der ratsuchenden Person als auch der beratenden Fachperson. Dabei ist die Sprache immer gekoppelt an den körpersprachlichen und metakommunikativen Ausdruck, der wesentlich mit der Leiblichkeit des Menschen verbunden ist (vgl.: Gröschke, 2008, 172/173). Es geht also auch um die Art und Weise, wie ein Mensch sich zur Sprache bringt: leise, stotternd, aggressiv, laut, nach Worten ringend, all das gestisch, mimisch unterstreichend oder negierend – und somit sich selbst darstellt, sich ausdrückt.

Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten:

Die Heilpädagogik als eine in der Tradition verortete, diese jedoch längst überschreitende und die Ideen der Integration und Inklusion aufnehmende Disziplin verweist grundlegend auf ein sowohl personbezogenes als auch systemisches Verständnis von Beratung. Diese muss in heilpädagogischen Tätigkeitsfeldern professionell orientiert und prozessuell auf die Wahrnehmung der Verschränkung von Sprache und Handeln ausgerichtet sein. Ein professionelles heilpädagogisches Tun in den Kontexten der Beratungsaufgabe besteht darin, sowohl die anthropologische als auch die ethische und methodische Dimension dieses Handlungsfeldes zu bestimmen und immer wieder neu auszutarieren (vgl.: Gröschke, 2008, 214 – 216).

Die Beratungsaufgabe in heilpädagogischen Kontexten beachtet – in Anlehnung an die anthropologische Begründung der Heilpädagogik – die integrativ und inklusiv orientierten Aspekte einer personalen und individuellen menschlichen Existenz als wesentlichen Hintergrund. Die humanistische und die konstruktivistische Sichtweisen stellen gleichfalls ein wichtiges Fundament der Beratung in der Heilpädagogik dar, genauso wie die ethische Dimension und Reflexion des Personalitätsprinzips.

Bezogen auf die Beratungsaufgabe in der Heilpädagogik werden diese Aspekte im weiteren Text vom Blickwinkel des relevanten Fachwissens dargestellt (► Kap. 4.3).

Abschließend werden im Rahmen einer methodischen Betrachtung die praktischen Eckpunkte der Erfüllung von beraterischer Aufgabe im heilpädagogischen Berufsalltag dargelegt. Hierbei kann stellenweise der Eindruck einer inhaltlichen Redundanz entstehen. In der Tat muss die methodisch-praktische Erörterung den gleichen Teilthemen des theoretischen Hintergrunds folgen. Nur geschieht dies auf einer Ebene, die das praktische Tun in den Vordergrund stellt und die theoretischen Ausführungen der vorherigen Kapitel mit etlichen Hinweisen auf konkretes beraterisches Handeln ergänzt (methodische Ansätze, Beratungssettings, Gesprächsführung, beraterisches Selbstverständnis usw.) und auch einige Übungsmöglichkeiten bietet (► Kap. 4.2).

An dieser Stelle muss Folgendes vermerkt werden: Trotz der Bemühung, dem Leser eine möglichst umfassende Orientierung hinsichtlich Theorie und Methodik der Beratung im Kontext der Heilpädagogik zu geben, bleibt immer ein Rest: ein Rest an Unschärfe, an Ungenauigkeit, letztlich an Grenzerfahrungen und Kontingenzen, die Beratungsprozesse als nie endgültig auflösbar erscheinen lassen. Es ist nämlich nie möglich ganz genau zu bestimmen, wie Lösungen, Antworten und endgültige Schritte zu finden sind. Und dieses ist im hohen Maße gut so: Es erteilt einer kompletten Modifizierbarkeit und Manipulierbarkeit des Menschen eine deutliche Absage, verbleibt doch bei ihm die letzte Entscheidung, Inhalte und Konsequenzen dieser Beratungsprozesse als für sich relevant und wirksam erscheinen zu lassen.

1.2 Beratung: Grundfragen

Nach einer kurzen Stellungnahme im Hinblick auf die Frage, ob Beratung eine Wissenschaft oder eine Profession oder gar eine Kunst sei, werden grundlegende Notwendigkeiten im Hinblick auf eine aktuelle Beratungssituation vorgestellt. Der Hauptaussagekomplex dieses Kapitels besteht jedoch darin, grundlegende Formen von Beratung, d. h. unterschiedliche Beratungsschulen und Formen zur Beratung vorzustellen. Dieses Kapitel schließt ab mit einigen kurzen Hinweisen auf mögliche Beratungskonzepte im Kontext der Heilpädagogik – diese Themen werden jedoch in ► Kapitel 4 noch vertieft werden.

Die Notwendigkeit zur Beratung scheint seit einigen Jahrzehnten mehr und mehr zuzunehmen: So spricht man von Organisationsberatung, Teamberatung, Lebensberatung, Lebenslaufberatung, Eheberatung, Krisenberatung, Suchtberatung, Beratung in Partnerschaftsfragen, Beratung bei spirituellen Themen, Beratung in Trauersituationen usw. Vor dem Hintergrund einer mehr und mehr funktional differenzierten Gesellschaftsstruktur, im Kontext einer postmodernen Allzubeliebigkeit scheint die eigentlich traditionelle Form von Beratung – in welcher es immer schon um gemeinsame Gespräche, um das Ratgeben, um das Miteinanderreden ging – mehr und mehr zuzunehmen.

Die Beratung wird im weiteren Text von folgenden drei Blickwinkeln betrachtet:

Ist sie wissenschaftlich begründet, ja sogar als Wissenschaft zu bezeichnen?

Kann sie als Profession betrachtet und berufsorientiert gestaltet werden?

Lässt sie sich bzw. müsste sie sogar als höhere Kunst eingestuft werden? (vgl.: Moldaschl, 2009, 20 – 24).

Für die Auseinandersetzung mit dem Thema »Beratung als Wissenschaft« sind folgende Fragen hilfreich: »Kann Beratung theoretisch grundgelegt und ausgebaut werden?« bzw. »Ist Beratung überhaupt eine Wissenschaft, oder ist sie nicht vielmehr eine Methodik« (vgl. Moldaschl 2009, 20/21; Lackner 2009, 44 – 56)?

Was hätte eine theoretisch ausgerichtete Beratungswissenschaft zu leisten? In einer Welt, in der unterschiedliche Arbeitsweisen von unterschiedlichen Systemen wahrgenommen werden (so wie dieses Luhmann für die funktional differenzierte Gesellschaft behauptet hat), kann es auch ein Arbeitsfeld und eine Nische geben, in der eine wissenschaftlich zugespitzte Form von Beratung ihr Recht bekommt. Eine solche Beratungswissenschaft wird dann noch von unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen konnotiert, so z. B. von der Psychologie, der Medizin, des Rechts oder auch der Allgemeinen Pädagogik (► Kap. 4.3), was ihr ermöglicht, Beratung wissenschaftlich zu beschreiben. Real orientiert sich Beratung an konkreten Handlungen (s. o.), ist kompetenzorientiert und wird mittels relevanter umschriebener Handlungen und Verhaltensweisen durchgeführt. Auch hat sich in den letzten Jahrzehnten auf dem Gebiet der Beratungsarbeit mehr und mehr ein kanonisiertes System unterschiedlichster Beratungsschulen und -ausprägungen entwickelt.

Beratung orientiert sich somit an einem ganz bestimmten Gegenstand, nämlich an der Form der Begleitung und Hilfe von Menschen, die eben genau diese Beratung benötigen. Folglich verortet sie sich in ein nichtakademisch-diszplinäres Verständnis von Wissenschaft. »Ein solches leitet seine Fragestellungen an den Gegenstand nicht primär aus den theoretischen und begrifflichen Traditionen und Konventionen des akademischen Faches ab, sondern fragt umgekehrt, was nötig ist, um einen bestimmten Gegenstand der sozialen Praxis zu verstehen, und welche Disziplinen hierzu hilfreiche Beiträge leisten« (Moldaschl, 2009, 21).

Eine Beratungswissenschaft hätte sich zwangsläufig mit der Frage zu beschäftigen, wie der Gegenstand des beratenden Tuns im Kontext einer sozialen Praxis – in unserem Falle im Praxisfeld der Heilpädagogik – zu verstehen sei, und welche referenzwissenschaftlichen Bezüge eben diese Form einer Verwissenschaftlichung von Beratung aufweisen muss.

Eine weitere Frage im Hinblick auf die Verwissenschaftlichung der Beratung stellt sich, wenn man ihre Methoden betrachtet: Ist eine Beratungswissenschaft auch als Methodologie zu betrachten und wozu würde diese dann dienen (vgl.: Moldaschl, 2009, 23)? Deutlich scheint zu sein, dass eine rein methodisch orientierte Beantwortung der Frage nach der Verwissenschaftlichung den disziplinären Charakter eines Faches noch längst nicht beschreibt. Dieses gilt für alle Disziplinen, somit also auch für die Beratung. Die Frage nach der Verwissenschaftlichung muss an dieser Stelle somit vorläufig noch offen bleiben.

Eine weitere Frage besteht darin, ob Beratung denn als eine eigenständige Disziplin zu kennzeichnen sei, »noch dazu [als] eine homogene« (Moldaschl, 2009, 23)? Sie zu beantworten, ist nicht einfach. Einerseits sind Disziplinen nie homogen strukturiert, was eigentlich für eine Beratungswissenschaft spräche, denn die unterschiedlichen Ansätze hierzu sind mitnichten als homogene zu kennzeichnen. Andererseits muss eine theoretisch-disziplinär begründete Wissenschaft relativ konsistent sein, so dass es nicht zu einer wahllosen Vernetzung unterschiedlichster Bezugstheorien kommt.

Beratung agiert im Bereich des Sozialwesens (hier vor allem im Bereich der Sozialen Arbeit, der Sozialpädagogik und der Heilpädagogik), der Psychologie, der Medizin, der Juristerei und vieler anderer Felder. Folglich ist sie eher als Schnittmenge oder auch als Teil unterschiedlichster Fächer, Professionen und Disziplinen zu verstehen. Die Frage, ob sie disziplinär orientiert besteht oder bestehen kann, ist an dieser Stelle noch offen (vgl.: Lackner, 2009, 43). Die Grundlegung der Beratung stellt sich häufig als »Produkt wissenschaftlicher Erkenntnis« (Lackner, 2009, 45) dar.

Unterschiedlichste referenzwissenschaftliche Zugänge führen zu einem individuellen Verständnis von Beratung, wobei dieses Individuelle in den jeweiligen Konnotationen und Ausprägungen dieser Referenzwissenschaften erfolgt und dort wiederzufinden ist. Eine psychologische Beratung wird ihre Grundlagen aus psychodynamischen/psychoanalytischen, lernpsychologischen oder aus humanistisch-psychologischen Begründungen nehmen. Eine Organisationsberatung wird sich eher konstruktivistischen und systemtheoretischen Annahmen zuneigen, eine Gesundheitsberatung wird sich wiederum eher auf medizinische, vielleicht sogar biologische Grundlagen stützen, um mit den Ratsuchenden sinnvolle Beratungsvorgänge zu konzipieren.

Die Anwendungsorientierung von Beratung stellt ein erstes Argument gegen eine a priori Verwissenschaftlichung dieses Handlungsfeldes dar (vgl.: Lackner, 2009, 45 – 49). Lackner kommt zwar jüngst zu dem Ergebnis, dass sich Beratungswissenschaft als »Metawissenschaft« (Lackner, 2009, 58) verstehen lässt, welche als eigenständige Disziplin im Rahmen einer anwendungsorientierten Wissenschaft eine in Projekten organisierte, ja sogar transdisziplinäre Forschung auflegt. Trotzdem muss skeptisch eingewandt werden, dass die Einlösung dieser Forderung nach einer meta-wissenschaftlichen Betrachtung und Konnotation von Beratung noch aussteht. An dieser Stelle soll eher Moldaschl gefolgt werden, der postuliert, dass Beratung im Moment eher im Kontext einer Beratungsforschung den Weg einer Verwissenschaftlichung einschlägt. Er schlägt hierzu vor, Beratung im Rahmen von Interventionsforschung, sowohl im Hinblick auf eine paradigmatische als auch auf eine theoretische und methodische Pluralität, auszuweisen (hierbei stehen z. B. die Aktionsforschung, die Organisationsentwicklung, die Arbeitsforschung sowie die Therapieforschung im Mittelpunkt des Interesses, Beratung wissenschaftlich konzeptioneller zu verorten) (vgl.: Moldaschl, 2009, 24).

Eine weitere Frage untersucht, ob Beratung als Profession gekennzeichnet werden kann. Der Weg der Profession, also die Professionalisierung, führt dabei immer über die Disziplinorientierung und Verwissenschaftlichung ganz bestimmter Berufe und Berufsorientierungen. Lässt sich die Beratung als Profession betrachten, wenn sie (noch) keine Verwissenschaftlichung aufweist? In einer aktuellen Veröffentlichung geht Moldaschl davon aus, dass nur ganz bestimmte Segmente der Beratung gegebenenfalls als Profession gelten können. Mit ihm können auch die Merkmale von Professionen in diesem Kontext kurz benannt werden. Es ist die Frage zu stellen, ob diese durch (ganz gleich welche) Formen von Beratung erreicht werden. Es handelt sich hierbei um folgende Merkmale:

»Institutionalisierung als wissenschaftliche Disziplin ...

Anwendung des Standards dieser Disziplin in der Praxis

Verfügung über [...] Qualitätsstandards

Rechtlicher Schutz des Professionszuganges, der formalen Abschlüsse und Qualifikationsnachweise und damit der Märkte

Professioneller ›Habitus‹« (Moldaschl 2009, 25).

In der Betrachtung dieser fünf Professionsmerkmale bleibt festzustellen, dass sich die Beratung aktuell noch schwer tut, diese zu erfüllen. Qualifizierung zur Beratungstätigkeit findet vor allem über Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen statt. Beratungsgrundsätze werden in Studiengängen nur tangiert (falls überhaupt). Werden Beratungstheorie und -methodik doch erörtert, handelt es sich häufig um Studiengänge, die auf bestimmte Handlungsfelder zugeschnitten sind (so z. B. im Hinblick auf Leitungsberatung oder auf Managementprozesse). Eine Institutionalisierung, welche auch immer einhergeht mit einer geschützten Darstellung des jeweiligen Abschlusses, also die Konkretisierung einer wissenschaftlichen Disziplin der Beratung, ist somit noch nicht eingelöst.

Ähnlich verhält es sich mit den Standards: Aufgrund der unterschiedlichen Handlungsfelder (► Kap. 2.2) und der unterschiedlichen referenzwissenschaftlichen Zugänge können etwaige Beratungsstandards nur in Bezug auf diese Handlungsfelder benannt werden. Von einer Generalisierung von handlungsfeldimmanenten Beratungsstandards kann also keine Rede sein. Gleiches gilt auch für die Qualitätsstandards: Diese sind nur im jeweiligen Kontext eines ganz bestimmten Handlungsfeldes zu betrachten und dort auch zu evaluieren. Da es keinen gesetzlichen Schutz der Qualifikationsnachweise im Kontext von Beratung (analog des Psychotherapiegesetzes) gibt, werden weder der Zugang noch die formalen Abschlüsse rechtlich geschützt. Mehr noch: Die Bereiche und Ausrichtungen im Sozialwesen entwickeln und präzisieren sich im Kontext einer postmodernen und funktionalen Gesellschaftsstruktur fortwährend, was sich durch die Entstehung spezifischer Handlungsfelder offenbart. Folglich gibt es auch auf dem Gebiet der Beratung immer spezifischere Ausbildungen bzw. Strukturierungsmerkmale, sodass auch hier eine Generalisierung bzw. eine Formalisierung von Abschlüssen und Zugängen nicht möglich ist.

Es ist zudem auch nicht möglich, einen professionellen Habitus in Bezug auf die Beratungssituation festzustellen: Beratung findet eher im Kontext einer ganz bestimmten Handlungssituation und eines Handlungsfeldes statt. Also ist für die Beratungstätigkeit vielmehr eine Mannigfaltigkeit der konkreten Zugänge und kommunikativen Ausdrucksformen prägend – was zwar u. U. als ein »Vielfalthabitus« betrachtet werden und erkennbar sein kann, jedoch mit einem Berufshabitus der sog. »stolzen Professionen« (z. B. Arzt oder Jurist) nicht deckungsgleich ist. Es stellt sich auch die Frage, ob dieses in der Tat sinnvoll sei. Hierzu noch einmal bilanzierend Moldaschl:

»Summiert man diese Argumente, so hat es aus professionspolitischer Sicht durchaus Vorteile, wenn verschiedene Teile der Beratungspraxis eine gemeinsame Disziplin und Profession bilden würden. Nochmals Grund also zu fragen, ob es ungeachtet obiger Einwände gegen eine ›Beratungswissenschaft‹ sinnvoll sein könnte, dieses Ziel weiter zu verfolgen. Nun, auch dagegen gibt es Einwände [...]« (Moldaschl 2009, 27).

Diese Einwände von Moldaschl weisen eine Relevanz auch für die Beratung im Kontext von Heilpädagogik auf: Eine Standardisierung der Beraterausbildung und -tätigkeit in die Dimension einer Profession würde eine hochgradige Regulierung nach sich ziehen: Zulassungen, Niederlassungsfreiheiten bzw. deren Einschränkungen und bestimmte Festlegungen zu diesem Dienstleistungsangebot wären die Folge. Aber genau das wäre hinsichtlich der seit mehreren Jahrzehnten gewachsenen Organisationskultur von Beratung kontraproduktiv, ist diese doch im Kontext einer freiheitlichen und freizügigen Gestaltung entstanden und gewachsen. Gerade das beratungsimmanente Eingehen auf hochindividuelle Probleme von Personen und Organisationen lässt Standardorientierungen und Standardlösungen von Beratungssituationen als Hindernis für »maßgeschneiderte« beraterische Unterstützung erscheinen (vgl.: Moldaschl, 2009, 28).

Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten:

Ähnlich wie mit der Verwissenschaftlichung von Beratung kommt man auch hier zu der Schlussfolgerung, dass die Professionalisierung der Beratungstätigkeit noch aussteht. Es sind zwar einige Schritte in diese Richtung bereits getan worden, nur führen sie z. T. – sowohl was ihre theoretischen Begründungen als auch ihre konzeptionell-methodische Orientierung angeht – in ziemlich unterschiedliche Richtungen.

Eine weitere interessante Frage untersucht, ob Beratung denn als Kunst gekennzeichnet werden kann. Mit Bezug auf Feyerabend konstatiert Moldaschl, dass »Wissenschaft als Kunst« (Feyerabend, 1984) durchaus dargestellt werden könne. Diese Ansicht beruht auf der Tatsache, dass es im Wissenschaftskontext keine eigentliche Objektivität geben kann, weil eine »interessenfreie Erkenntnis eine Fiktion (sei)« (Moldaschl, 2009, 35).

Gerade im Hinblick auf die Begründung und Durchführung von Beratungsprozessen scheint keine Objektivierung möglich; es geht in beratenden Prozessen immer um eine Subjektorientierung, um subjektive und nur für die Beteiligten im Moment der Beratung gültige Vernehmlassungen und Beziehungsnotwendigkeiten bzw. -alternativen. Diese können zwar auch über die Beratungssituation hinaus wirken, sind jedoch immer an das subjektive Wollen und Tun eben dieser Handlungspartner gebunden. Die Grundlagen, Inhalte, Prozesse und Ergebnisse von Beratung als einer Sicherung der Objektivität dienlichen Pflicht zu gestalten, ja sie sogar objektiv und somit nicht anders als objektbezogen zu verordnen, verbietet sich auf diesem Hintergrund von selbst.

Eine programmatische Orientierung in Hinblick auf eine Wissenschaft als Kunst geht davon aus, dass der »wissenschaftlichen Erkenntnis [nicht] den Anspruch auf Allgemeingültigkeit bzw. universelle Wahrheit abzusprechen« ist (was ihn mit heutigen Konstruktivismen eint), sondern dass »Wissenschaft als soziale Praxis zu beschreiben« ist. Und zwar als eine Tätigkeit, »in der Subjektivität und Erfahrung der Forschenden, ihre Intuition und Kreativität eine maßgebliche Rolle spielen. Wie in der künstlerischen Tätigkeit eben, wo sich niemand mit der Anerkennung dieser Tatsache schwer tut« (Moldaschl, 2009, 36).

Die Frage, ob Beratung nun Wissenschaft, Profession oder Kunst sei, ist zumindest im Hinblick auf die ersten beiden Fragen mit einem »noch nicht« zu beantworten: Beratung ist zwar auf dem Weg einer Verwissenschaftlichung, sie ist auch auf dem Weg, eine Profession zu werden, aber sie ist halt noch nicht Wissenschaft und auch noch keine Profession. Der Vorgang ihrer Verwissenschaftlichung und ihrer Professionalisierung dauert noch an – und es ist nicht absehbar, ob dieser in den nächsten Jahren abgeschlossen sein wird. Mehr noch: Es ist unseres Erachtens auch nicht sinnvoll, das dieses – vor dem Hintergrund der in diesem Kapitel dargelegten kritischen Ansätze hierzu – unmittelbar und unreflektiert erfolgt.

Anders ist es im Hinblick auf eine freie, sozusagen künstlerische Gestaltung von Beratung: Eine auf ein jeweiliges Handlungsfeld zugeschnittene optimale Beratungspraxis hätte sich »dem Reichtum der Welt zu öffnen. Die Kunst des Eingehens und Sich-Einlassens auf den Fall erwiese sich dabei allerdings im Fehlen oder im bloßen Ignorieren von Regeln, [...] in der souveränen Verfügung über solche Wissensbestände bei gleichzeitiger [...] Distanz ihnen gegenüber. Dies mit Bezug auf die immer kontextuelle Herkunft des Wissens, und auf das Neue, Besondere, Einzigartige des aktuellen Falles« (Moldaschl, 2009, 36/37).

Beratung findet grundsätzlich immer in einem schwebenden Prozess zwischen unterschiedlichen Handlungspartnern statt, in denen die hier skizzierte Kunst des Aufeinanderbezugnehmens, des Dialogischen und des gegenüber dem Dialog Verpflichtet-Seins orientiert ist. Die in ► Kapitel 1.1 hierzu skizzierten Grundlagen zu dialogischen Prozessen im Rahmen der Heilpädagogik (vgl.: Kobi, 2004, 2010) können an dieser Stelle noch einmal in Erinnerung gerufen werden: Eine Subjektorientierung, die immer in einem gemeinsam konstruierten Rahmen stattfindet, führt im besten Falle zu einer offenen, die Situation der Beteiligten positiv ausleuchtenden und gegebenenfalls verbessernden (was keine Norm ist!) Situation. Der Weg der Beratung in Hinblick auf ihre Verwissenschaftlichung und Professionalisierung ist kompliziert. Dass er u. a. auch über eine im besten Sinne künstlerische Gestaltung des Beratungsprozesses führt und dass der Berater imstande sein muss, das beraterische Geschehen als Kunst wahrzunehmen und zu gestalten, scheint unbestritten.

Bevor die grundlegenden, quasi schulübergreifenden Merkmale von Beratung skizziert werden, erfolgt an dieser Stelle eine kurze Darstellung der Hintergründe und Zusammenhänge der gegenwärtigen Konjunktur der Beratung in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten. Mit Bezug auf Belardi können folgende Ursachen für einen gestiegenen Beratungsbedarf angenommen werden (vgl.: Belardi u. a. 2007, 18/19):

Seit Beginn der Industrialisierung haben sich die Individualisierungs- und Modernisierungsprozesse der Menschen verändert, hierdurch kam es zu einer starken Auflösung der traditionellen Lebensbereiche, welche wiederum zu einer Vervielfachung dieser Individualisierungsprozesse geführt haben. Tragende Säulen der Gesellschaft, wie zum Beispiel die Kirchen und die Kommunen halten die einzelnen Personen nicht mehr bzw. diese schaffen es nicht mehr, in einem relativ frei schwebenden und sich permanent beschleunigenden Modernisierungsprozess Stellung bzw. Position zu beziehen.

Folglich haben die traditionellen Bindungen an kirchliche, soziale und politische Organisationen deutlich an Bedeutung verloren. Für die subjektiven Sinnfragen der Menschen finden diese Organisationen keine bzw. keine für das persönliche Leben sinnrelevanten Antworten.

Die Perspektive der eigenen Lebensqualität führt dazu, dass der berufliche Leistungsdruck vom Individuum nicht mehr ohne Weiteres positiv konnotiert wird: Die Erhöhung der Lebensqualität erscheint wichtiger als der materielle Wohlstand, doch diese Spannung auszuhalten bzw. eine Klammer zwischen Wohlstand und Lebensqualität zu schaffen, erscheint gerade in wirtschaftlich krisenbehafteten Zeiten, wie der aktuellen, immer problematischer.

In der postmodernen Welt der Gegenwart erscheint bzw. ist der Entwurf eines geradlinigen Lebens nicht mehr ohne Weiteres umsetzbar. Die Faktoren, welche das menschliche Leben in der modernen Gesellschaft bestimmen, sind nicht planbar. Zusammen mit den Veränderungen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen führt diese Tatsache dazu, dass es immer wieder zu einer Neujustierung des Lebens kommen muss. Die Folge: Eine persönliche und/oder durch Organisationen vorgehaltene Sicherheit in Lebensfragen schwindet.

Der sich permanent vollziehende Wertewandel zieht auch eine Veränderung der Sozialstrukturen einer Gesellschaft und somit eines jeden Gesellschaftsmitglieds nach sich: Das Zusammenleben wird nicht mehr getragen von selbstverständlichen und gegenseitigen Bindungsprozessen. Diese werden auch nicht mehr als unproblematisch dargestellt und erfahren. Vielmehr werden berufliche, persönliche oder Beziehungsprobleme im Lebensverlauf zur Normalität – kaum noch ein Gesellschaftsmitglied geht ohne sie durchs Leben.

Eine stetige Zunahme von Menschen mit Migrationserfahrung(en) trägt zur Veränderung der Gesellschaftsstruktur bei. Dadurch kommen unterschiedlichste kulturelle Gegebenheiten und Wertvorstellungen zusammen, und die Werte in einer Gesellschaft bzw. die Werte der dort lebenden Menschen haben sich fast zwangsläufig neu zu justieren und sich für kulturell andere Themenbereiche zu öffnen. Dies gilt im umgekehrten Falle natürlich auch für die Menschen, die in diese Gesellschaft hineingekommen sind.

Die bisherigen tragenden Muster einer Gesellschaft verändern sich, zum Beispiel die traditionelle Familie (welche es in dieser Form wahrscheinlich nie wirklich gegeben hat): Aktuell leben in Deutschland ca. 40 % der Bevölkerung in sogenannten Single-Haushalten, weitere knapp 40 % erleben in ihren Ehen ein Scheitern, und jede Familie zieht nur noch knapp 1,4 Kinder auf. Des Weiteren nimmt die Armut in der Gesellschaft zu, so dass aktuell in Deutschland nahezu jedes 10. Kind in relativer Armut lebt (vgl.: Belardi u. a. 2007, 18).

Die sich ständig ausdifferenzierende und -differenzierte Gesellschaft erfordert vom Sozialwesen eine adäquate Reaktion, was selbstverständlich auch für die Heilpädagogik gilt. Und zwar noch dringender als vielleicht für die Allgemeine Pädagogik und die Soziale Arbeit – ist sie doch in den Kontexten dieser sich verändernden gesellschaftlichen Muster und Grenzsituationen entstanden, auf die und in denen sie zu agieren hat.

Bei welchen konkreten belastenden und schwierigen Situationen und Aufgaben besitzt innerhalb des Sozialwesens (und damit auch in der Heilpädagogik) die beraterische Unterstützung einen hohen Stellenwert? Mit Belardi u. a. (vgl.: 2007, 33 – 35) können folgende Schwerpunkte einer im Sozialwesen tätigen Beratung benannt werden:

Information

: Aufgrund der sehr vielschichtigen gesellschaftlichen Situation, aufgrund der Unübersichtlichkeit von Angeboten, Möglichkeiten, Kriterien und Optionen hat der Berater bzw. die Beraterin dem Nutzer dieser Beratung bzw. ihrer Klientel Informationen über mögliche Verfahrenswege, Hintergründe usw. weiterzugeben.

Vermittlung

: Ebenfalls aus Gründen eines hoch differenzierten Leistungs- und Hilfesystems ist genau dieses häufig von den Nutzern der Beratung nicht durchschaubar, so dass die beratende Person hierbei vermitteln muss – so zum Beispiel den Kontakt zum Sozialamt, zum Wohnungsamt, zur Suchtberatungsstelle, zur Kindertagesstätte, zu Förderzentren usw.

Rückmeldung

: In den Interaktionen im Sozialwesen erlebt der Ratgebende die ratsuchende Person vielleicht in ganz bestimmten Angeboten. So wird er z. B. in einer Fall- oder Teamberatung den einzelnen Teammitgliedern eine Rückmeldung über ihre jeweilige Position/ihr Verhalten im Team sowie ihr Verhalten in Bezug auf den konkreten Fall geben müssen. Ähnliches gilt natürlich auch für die Rückmeldung gegenüber Personen (seien es Kinder, Jugendliche oder Erwachsene), die im Rahmen von bestimmten Handlungsfeldern mit dem Beratenden direkt interagieren.

Unterstützung

: Häufig erwarten bzw. verlangen ratsuchende Personen vom Berater konkrete Unterstützung, um sozial, wirtschaftlich, psychisch etc. in ganz bestimmten belastenden Situationen zu Recht zu kommen bzw. in diesen Situationen bestehen und leben zu können. Die beraterische Unterstützung hängt hier eng mit der oben genannten Vermittlung zusammen; die Weitergabe von Informationen, welche gegebenenfalls die Verfügbarkeit von persönlichen, sozialen und/oder finanziellen Ressourcen für die ratsuchende Person ermöglicht, stellt einen zentralen Punkt der Beratung in der Heilpädagogik und der Sozialen Arbeit dar.

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