Berggeistersagen von A bis Z - Karl-Heinz Hummel - E-Book

Berggeistersagen von A bis Z E-Book

Karl-Heinz Hummel

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Beschreibung

Es war in den 1980er-Jahren bei einer Wanderung in den Zentralalpen. Autor Karl-Heinz Hummel traf in einer Hirtenunterkunft auf ein geheimnisvolles Wesen, ein Venedigermandl. Dieses hatte ein geheimnisvolles Fundstück dabei, das es dem Autor überreichte: ein kartoniertes, handschriftliches Büchlein, in dem von A bis Z alle wichtigen Berggeister der Alpen beschrieben sind. Entstanden ist daraus eine Sammlung von bayerisch-tirolerischen Sagen und Erzählungen vom Alperer auf der Schweinsteigeralm, von den unsichtbaren Bewohnern im Untersberg und im Rosengarten, von wilden Frauen und bösen Truden, von Riesen und Mandln, versteinerten Almen und in Felsen verwandelten Despoten. Der fünfte Band der Reihe »Sagenumwobenes Bayern« entführt die Leser in die Alpenwelt mit all ihren bösen und guten, hinterfotzigen und ehrsamen heimischen Geisterwesen.

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Band 5 der Buchreihe

KARL-HEINZ HUMMEL ist Autor mehrerer Bücher und schreibt seit Jahrzehnten Lied- und Kabaretttexte sowie Libretti (Singspielfassung Der Brandner Kaspar und Operette Der Kaiser im Rottal). 2018 wurde er mit dem Ernst-Hoferichter-Preis ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von Karl-Heinz Hummel im Allitera Verlag Obacht Weihnacht! (2018) und in der Reihe Sagenumwobenes Bayern die Bände Raunachtssagen aus Bayern und Tirol, Wassersagen aus Bayern und Wirtshaussagen zwischen Alpen und Donau (2019) sowie die Liebessagen aus dem Alpenraum (2020).

BERND WIEDEMANN illustriert als freiberuflicher Grafiker ausdrucksstark und dynamisch. Der studierte Diplomkommunikationsdesigner ist Dozent für Illustration an diversen Instituten, Vorsitzender des Kunstvereins Gauting e.V. und Günther-Klinge-Preisträger.

Informationen über den Verlag und sein Programm unter:

www.allitera.de

Oktober 2020

Allitera Verlag

Ein Verlag der Buch&media GmbH, München

© 2020 Buch&media GmbH München

Illustration: Bernd Wiedemann

Layout, Satz und Umschlaggestaltung: Franziska Gumpp

Gesetzt aus der Adobe Caslon Pro und der Dax

ISBN 978-3-96233-219-8

Printed in Europe

Allitera Verlag

Merianstraße 24 · 80637 München

Fon 089 13 92 90 46 · Fax 089 13 92 90 65

INHALT

Wie es zu diesem Buch kam

A

Almgeister

Almen

Alperer

Ausrauchen

B

Beile

Berggeister

Bergmandl

Boandlkramer

C

Christianisierung

D

Damerl, bluadiger

Drachen

E

Elfen

Eismandl

Elben

F

Die Fanes und ihr Reich

Frauen, wilde (auch Wildfrauen genannt)

G

Geißbock, Geißenbeine und Geißfüße

H

Haldenweibele

Hexen

Heugabeln, verhexte

Der Hoazl

I

Irrlichter

Irrwurzen

J

Jäger, versteinerte

Jagd, die Wilde

K

Kasermandl

Käsertörggelen

Kreuzzeichen

L

Leutvertragen

Lindwürmer

M

Mandl, wilde

Metzenarsch und Martinsdruck

Milch- und Schmalzhexen

N

Nachtvolk

Norken

O

Ötzi und sein Fluch

P

Percht (auch Bercht)

Q

Quälgeister

Quelljungfrauen

R

Riesen

Rosengarten

S

Salige

Sudl

T

Teufel

Truden

U

Unholde und Ungeheuer

V

Venedigermandl

Versteinerte Könige, Despoten

W

Wegscheidweiblein, Weitwiesenweiberl

Wetterhexen

Wolpertinger

Würmer, auch Beißwürmer, Schindwürmer

X

Ein X, mit der Axt in einen Baumstumpf geschlagen

Y

Yaks und Yeti

Z

Zlatorog

Zwerge

Anhang

Quellenangaben

WIE ES ZU DIESEM BUCH KAM

Schritt für Schritt sinkt das Tal unter mir in die Tiefe. Der Schotter knirscht vertraut und reibt sich an den Sohlen der Bergschuhe. Die Beine, die sich anfangs noch unwillig der Sinnlosigkeit des Bergaufgehens widersetzt haben, fügen sich Höhenmeter für Höhenmeter in ihre Aufgabe. Konzentriert auf den eigenen Atem arbeitet sich der Körper den Steig hinauf. Hoch wolkenwärts droben, über die Gipfel hinweg, ziehen weiße Fetzen von Seidenpapier. Die Holzbalken eines Heustadels strecken sich schwarz verbrannt in die Morgensonne. Das Wasser aus dem Brunnen davor füllt die verbeulte Blechflasche, der erste Probeschluck schmeckt eiskaltklar, wunderbar. Der Blick zieht über die im Tal liegenden Häuser, Straßen, Bachläufe und öffnet sich in die Weite.

Alles in mir, reduziert aufs Wesentliche.

Uralte Zirben stehen knorrig im kiesigen Grund und verströmen ihre beruhigenden Düfte. Der Bergwind zieht rotzfrech herauf und frisiert den Latschen die Wimpern. Das Netz der Wege verteilt sich über Flanken, Kämme und Mähder hinüber, hinauf, hinunter, woanders- und irgendwohin. Das Auge späht nach unbekannten Spuren, liest Wolken, Wind und Wetter, entdeckt Zeichen, Hinterlassenschaften. Die Erinnerung kramt im Halbvergessenen herum und holt alte Sagen und Geschichten hervor. Im Ohr hängt wie eine Dauerschleife eine uralte Melodie.

Die Berge bilden enge Hindernisse, querliegende Barrieren und unüberwindliche Sperren, doch wenn man ihnen aufs Haupt steigt, dann lässt man ihre einschüchternde Enge im Tal drunten. Der Blickwinkel weitet sich, wird grenzenlos.

Meine Tour ist auf zwei Tage geplant, sie führt durch ein wenig begangenes Tal hinauf, folgt dem Trockenbach, erstreckt sich auf einem Wiesensteig über eine Hochalmfläche, zieht unter einer versteinerten Granitwoge entlang hoch zum Sattel. Er traversiert hinüber zum Joch, streift einen Wiesengipfel und fällt drei Täler weiter bergab zur Postautohaltestelle an der Passkehre mit der Nummer Elf. So ist der Plan. Nichts Spektakuläres, dafür ruhig und einsam, erst durch eine Almregion, dann über die Waldgrenze in den Zentralalpen hinaus.

Ich bin schon ein paar Stunden unterwegs, ohne Eile, im meditativen Schreiten angekommen, ich habe vor, heute draußen zu schlafen, eine Nacht unter dem angekündigten Sternenhimmel zu verbringen.

So wars geplant, aber: Es kommt anders. Die Wetterlage kippt am späteren Nachmittag doch ins Labile, Indifferente, Unvorhersehbare. Die Wolken sinken immer tiefer, es feuchtelt, nässelt. Was soll man tun? Wieder absteigen oder abwarten und einen Unterschlupf, ein Obdach, suchen?

An der Stelle, wo der Weg vom Wiesigen ins Schroffige wechselt, beschattet von einem Felsüberbau, zieht plötzlich dichter Nebel auf. Auch wenn der Steig nicht zu verfehlen ist, schärfen sich Sinne und Wahrnehmungen und mahnen zur Vorsicht. Die Entfernungen dehnen sich, ziehen sich, jeder Schritt wird bedachter, die Zeit verlangsamt sich.

Aus dem Nebel, kaum fünf Schritte vor mir, tritt plötzlich eine steinerne Behausung heraus, zusammengefügte Felsbrocken unter einem höhlenartigen Dach, grau benässt, aber doch Sicherheit versprechend. Es ist eine alte Hirtenunterkunft, unter diesem Felsvorsprung hineingebaut, halb verfallen und schon Jahre nicht mehr benutzt. Die Tür hängt marod in den Angeln. Die weiße Nebelwand schiebt und meine Neugier zieht mich in das düstere Innere.

Als sich meine Augen an das Halbdunkel gewöhnt haben, sehe ich einen einfachen Tisch und eine Bank, eine offene Feuerstelle und eine aus Brettern gefügte Schlafstelle.

Die Feuerstelle enthält Aschereste. Die umfassenden Steine sind wärmer als die Raumtemperatur: Hier muss letzte Nacht noch ein Feuer gebrannt haben. Als ich meine Stirnlampe anschalte, fällt der Schein auf eine Petroleumfunzel mit hochdrehbarem Docht, einem flaschenförmigen, verrußten Glaskolben und dahinter einem Spiegel, der das wertvolle Licht nutzbringend reflektieren soll. Luzerna nennt man hier diese Laterne. Ich überlege schon, ob ich mein Eindringen durch einen leisen Rückzug beenden soll, aber draußen tut es einen Duscherer und drinnen ist es wenigstens trocken. Außerdem ist nichts von einem Bewohner wahrnehmbar. Also: höflich Platz nehmen und unauffällig abwarten.

Mit einem Mal fällt das Licht der Stirnlampe auf einen Gegenstand. Ein Buch, besser gesagt ein kartoniertes Schulheft liegt auf dem Tisch. Neugierig lese ich: »Berggeistersagen« steht auf dem Etikett, handschriftlich. Ich nehme das Heft achtsam in die Hand und blättere vorsichtig darin. Das Papier holzmehlfarben und leicht brüchig, die Schrift sorgfältig geformt und akkurat unter Ausnutzung der gesamten Fläche aufs Papier gesetzt.

Berggeistersagen.

Plötzlich ein Rascheln im hinteren Eck!

Ich lege das Heft sofort wieder zurück. Was ist da drüben? Eine Maus, ein Wiesel, ein Ratz?

Unabsichtlich richte ich den Strahl der Hirnbirn in die Nische. Ein Verschlag ist abgetrennt, von dahinter kommt das Geräusch.

»Licht aus!« Eine knarzende Stimme. Ich drehe das Licht so weit zurück, dass ich gerade noch registrieren kann, was da hinten vor sich geht. Langsam schiebt sich eine Gestalt hinter der Abtrennung hervor, ein graues Mandl steht da hinten, mit einem alten, faltigen Gesicht und in einen Lodenumhang mit Kapuze gekleidet.

»Was willst da herin?«

»Musst entschuldigen, aber draußen regnets, und ich möchte nicht nass werden. Aber wenns stört …«

Ich stehe auf. Eine kurze Pause.

»Na, jetzt kannst schon dableiben.« Die Einladung klingt versöhnlich. »Hock dich wieder nieder! Allegra!«

»Allegra!« – »Erfreue dich« bedeutet dieser rätische Gruß. »Dankschön! Ich mach auch keine Umständ.«

»Man möcht nur wissen, mit wem mans zu tun hat. Laufen eh viele hin und her.«

»Ich war bis jetzt allein auf dem Weg da herauf.«

»Glaubst du!«

Ich gehe dazu über, Vertrauen zu bilden, und ziehe meinen Rucksack zu mir her. Er enthält genug für eine gemeinsame Brotzeit, Speck, Käse, Brot und sogar eine Flasche Roten.

»Magst mitessen?«

Ein kurzes Leuchten in den Augen des Mandls signalisiert mir, dass es diesem Angebot nicht abgeneigt ist.

»Wohl. Riecht gut!«

»Dann setz ma uns zamm.«

Der Rotwein und die Brotzeit lassen langsam ein Gespräch entstehen. Ich schau immer diskret, aber interessiert auf das graue Heft hin.

»Magst wissen, was drin steht?«

Ich nicke.

»Ich hab alles amal zammgschriebn, was es gibt oder auch nicht, was ma sieht oder was sich versteckt hält.«

Ich nehme das Buch in die Hand, beginne zu lesen. Der Alte erforscht beiläufig in meinem Gesicht eine Reaktion. Das mit einer exakten Hand geschriebene Heft ist nach dem Alphabet gegliedert; Sagen, Geschichten, Bilder …

Diese Bergnacht hat sich anfangs der 80er-Jahre ereignet. Sie verlief mit Lesen, Erzählen und dem langsamen Leeren der Weinflasche. Irgendwann habe ich mich auf die harte Bank niedergelegt, den Schlafsack übergezogen und bin eingeschlafen.

Das Lager war hart, der Schlaf von kurzer Dauer. Gerädert bin ich erwacht, draußen war es noch dunkel, aber das Wetter hatte sich gebessert, das Regengebiet ist durchgezogen und einige Wolkenlöcher öffneten den Blick auf den Sternenhimmel. Von meinem nächtlichen Gastgeber war nichts zu sehen. Die Aschereste waren kalt. War er heute Nacht wirklich hier neben mir gesessen?

Schnell zwei Kekse, einen Schluck Wasser und losgehen. »Servus und Dankschön«, rufe ich noch, aber es kommt keine Antwort.

Die klamme Morgenkälte treibt zu energischem Schritt an, die ersten Sonnenstrahlen sind ein wohltuender Willkommensgruß des Tages.

Ich steige bergan, an bekannten Granitwänden des Bergell vorbei, hoch zu einem gigantischen Felsentor: auf der gegenüberliegenden Seite die berühmte Bergregion und Wasserscheide, wo drei Quellen entspringen: Rhein, Maira und Inn.

Der Rhein fließt durch die Via Mala weiter zum Bodensee und danach in die Nordsee. Die Maira zum Comer See und über den Po in die Adria. Der Inn durch Engadin, Tirol und Bayern zur Donau und dann weiter ins Schwarze Meer. Drei Meere stehen zu dieser Bergfläche in Verbindung, entlang der Flüsse Wege, Übergänge, Handel, Begegnungen, Austausch, Kultur.

Nach einem anstrengenden, aber befriedigenden Wandertag der Abstieg zum Pass. Von Ferne klingt die Fanfare des Busses, G-E-G-C, das alte Posthornsignal. Ich springe die letzten hundert Höhenmeter den steilen Pfad hinab, um ihn nicht zu verpassen.

Verschwitzt, aber gerade noch zeitig die Ankunft an der Haltestelle. Im Bus setze ich mich und öffne den Rucksack, um die Wasserflasche herauszuholen. Plötzlich tastet meine Hand einen Gegenstand, eingewickelt in einen alten Lederfleck. Es ist das Buch, das ich in der Hütte aufgeschlagen und gelesen habe. Ich wollte es bestimmt nicht mitnehmen, aber es ist verpackt wie ein Geschenk, der Alte hat es mir wohl in den Rucksack gelegt.

Zu Hause angekommen habe ich eine Abschrift davon verfasst. Jahrelang habe ich dieses Büchlein wie einen Schatz gehütet. Den Sagen und Geschichten bin ich nachgegangen. Manches habe ich weiter erfragt, gehört oder gefunden. So ist einiges neu hinzugekommen wie der Fluch des Ötzi, der damals noch unter meterdickem Eis begraben auf dem Hauslabjoch lag.

Aus den alten Aufzeichnungen und meiner Freude am Weiterschreiben, Fabulieren, Dazudichten ist dieses Buch entstanden. Ich wünsche ein wohlig schauderndes, schmunzelnd erstauntes Hineintreten in die uralte Welt der Berggeister.

ALMGEISTER

DIE ALMGEISTER AUS DEM TIROLER BRIXENTAL

Wenn die Älpler im Herbst mit den Kühen die Almen verlassen haben, dann übernehmen die Almgeister ihre Hütten, mustern sorgfältig das vorhandene Inventar, überprüfen, ob alles am rechten Platz liegt, und geben daraufhin ihren Brüdern und Schwestern, die im Berginnern warten, Bescheid: »Kommts, es ist Zeit! Jetzt können wir in die leeren Almhütten einziehen zum Überwintern.«

Den ganzen Sommer über haben sie im Dunkeln, in den Höhlen und Stollen des Berginneren, zugebracht. Nun beginnt ein anderes Leben für die Almgeister: die Winterzeit im Tageslicht.

Eigentlich sind sie Schatzhüter, deshalb passen sie auch in dieser Zeit sorgfältig auf ihre seltenen Kristalle und Edelsteine auf. Jetzt lassen sie nach dem harten Graben und Schürfen endlich alle Fünfe grade sein.

Eine besondere Zeit für die Almgeister ist die Weihnachtszeit. Am Heiligen Abend dürfen sie nichts essen, denn in der Christnacht kommen die Geister aus allen Tälern an einem bestimmten Platz zusammen, man sagt am Wilden Kaiser droben. Dort verrichten sie geheimnisvolle Dinge. Es wird Gericht gehalten über die Geister, Streit geschlichtet und Unrecht bestraft. Die Mandln, die im abgelaufenen Jahr erlöst wurden, kommen in der Christnacht in den Himmel. Die anderen müssen zurück auf ihre Almen ziehen und ein weiteres Jahr abwarten.

Nur in der Zeit der Raunächte können die Geister ihre Almen verlassen. Manche begeben sich ins Tal zu den Häusern der Menschen. Wenn aber die Bewohner drunten mit der Räucherpfanne durchs Haus gehen, dann müssen alle Geister Reißaus nehmen oder sie gehen zugrunde.

Für die Almgeister ist die Weihnachtszeit eine harte Zeit: Von den Häusern werden sie vertrieben, und auf den Almen ist es sogar ihnen zu unheimlich. Man sagt, dass ihnen Tod und Teufel in die Augen schauen und die wilde Jagd übers Land zieht, und die fürchten selbst Almgeister! Sind die Raunächte vorbei, dann können sich die Geister auf der Alm wieder wohlfühlen.

Am Karfreitag ziehen sie dann von der Alm ab. Am Ostersonntag kommen sie aber noch einmal zurück, räumen alles auf der Hütte zusammen und stellen die Gegenstände, die sie benützt haben, zurück an ihren Platz. Nichts soll ihre Überwinterung verraten!

Sie kochen dann noch ein letztes Mus auf dem Herd. Nachdem sie dieses bis auf den letzten Rest zusammengegessen haben,streifen sie die Alm ab und erbitten einen Segen, damit diese vom Unglück verschont bleibt. Sie verlassen die Hütten gegen Sonnenaufgang, um dadurch das Wachstum und die Fruchtbarkeit zu fördern. Ihre Schätze tragen sie wieder mit sich. Dann kehren sie zurück und kriechen wieder in die Stollen und Höhlen des Bergs. Ab und zu verrät uns im Sommer ein Klopfen und Hämmern aus den Tiefen des Gebirgs, wo sie gerade zugange sind.

ALMEN,

die versunken, versteinert, verflucht, verschüttet oder vergletschert, also mit Eis übergossen wurden

Auf der Alm gibt’s zwar nach folkloristischer Meinung »koa Sünd«, trotzdem sollen hoch oben in der Freiheit der Berge mitunter Unachtsamkeit, Zügellosigkeit und Verschwendungssucht geherrscht haben. Sagen von Sennerinnen und Sennern auf Almen, die für Vergeudung von Lebensmitteln bestraft wurden, sind über die gesamten Alpen verbreitet. Auf diesen Frevel folgt ein Strafgericht, das nicht von Berggeistern ausgelöst, sondern meistens göttlichen Ursprungs ist, in der Regel verbunden mit extremen Wetterereignissen:

DIE ÜBERGOSSENE ALM

Unterhalb des Gipfels des Hochkönig im Salzburger Land erstreckt sich in einem Becken eine vergletscherte Fläche, die übergossene Alm genannt.

Vor langer, langer Zeit standen hier zwischen dunklen Lärchenwäldern, umgeben von grasreichen Wiesen, ein paar Sennhütten, in denen schöne und sogar reiche »Dirndln« als Sennerinnen arbeiteten. Obwohl sie sonst von ihren Eltern gut erzogen waren, vergaßen sie hier oben, wo sie sich selbst überlassen waren, ihre gute Kinderstube und schlugen immer mehr über die Stränge. Den Kühen hingen sie silberne Glocken um den Hals, den Stieren vergoldeten sie die Hörner, ließen den Wein fässerweise aus Salzburg bringen und bewirteten damit lustige Jägerburschen, mit welchen sie den ganzen Tag über tanzten und sangen. Das Beten hatten sie längst vergessen, dagegen taten sie alles, was sündhaft war: Sie pflasterten den Weg zu ihren Hütten mit Käslaiben, füllten die Lücken mit Butter aus, damit der Teufel mit seinen Brüderln etwas zu fressen hätte, wenn sie des Nachts daherkämen. Ein andermal badeten sie sich in Milch oder formten aus Butter Kugeln, mit welchen sie sich scherzend bewarfen. Mit einem Worte: Sie würdigten die Gottesgaben auf jede mögliche Weise herab.

Eines frühen Abends kam ein Wanderer auf die Alm, der vor Müdigkeit und Erschöpfung kaum noch Kraft hatte weiterzugehen, und bat verzweifelt um Beherbergung über Nacht. Statt nun des alten Mannes Bitte zu erfüllen, wiesen sie den Armen mit den Worten ab: »Schleich dich davon! Der Teufel mag dir Herberge geben, wir nicht!« Nochmals wiederholte jener seine dringende Bitte, doch vergeblich.

Da stellte sich der abgewiesene Gast auf einen Hügel oberhalb der Hütten und rief einen Spruch der Verwünschung auf die rohen Dirnen hinunter:

»Auf dieser schönen Höh

soll fallen jetzt ein großer Schnee

und aper wird’s dann nimmermeh!«

Als die Sennerinnen jetzt sogar die Hunde auf ihn hetzten, hob er die Hand und machte diese »gefroren«, ließ sie erstarren und zog weiter.

Das Maß der Sünden war voll, und den Frevlerinnen hatte das letzte Stündlein geschlagen. Kaum hatte sich der Wanderer, wahrscheinlich handelte es sich um ein Venedigermandl, entfernt, da wälzte sich von den Teufelshörnern her in dunklem, unheimlichem Gewoge ein Unwetter, und ein furchtbarer Sturm erhob sich, dass den Sünderinnen angst und bange wurde. Ihre Lippen versuchten zu beten, aber umsonst. Gottes Strafgericht brach herein. Große Schneemassen stürzten vom Himmel und begruben die Frevlerinnen samt ihren Hütten für ewige Zeiten.

So liegt das Gelände unter dem Eis, und man nennt es die übergossene Alm.

Diese Sage wird in Abwandlungen in allen Teilen der Alpen, aber auch in den Pyrenäen und im Himalaya erzählt. Als Strafe für die Verschwendung können die Almen auch vermurt (Ahrntal), verschüttet (Mejegruppe, Frankreich), versteinert (Trippenkees, Kärnten), in einen See versenkt (Urdensee, Graubünden) oder nur verflucht (Davos, Dachstein) werden.

Durch die Klimaerwärmung gehen heute die Gletscher massiv zurück und geben unter anderem Baumreste von Zirben frei, die erst in der Eiszeit vor zwölftausend Jahren ins ewige Eis eingeschlossen worden sind, so beispielsweise auf der ehemals mächtigen Pasterze unterhalb des Großglockner. Vor der Eiszeit waren diese Gebirgsregionen also bewachsen, fruchtbar, bewaldet und ein Teil des Lebensraums der damals lebenden Menschen. Ob diese so weit verbreitete Sage diese Vorzeit in ihrem Gedächtnis mit sich trägt und die zunehmende Vereisung als Bestrafung schildert?

ALPERER

Im bayerischen Inntal, in der Oberaudorfer Gegend, erzählt man die Geschichte vom wilden Alperer, der »Auf der Schweinsteige« und der danach benannten Schweinsteigeralm sein Unwesen treibt:

Den Sommer über lebt der wilde Alperer drunten im Tal und verbirgt sich in den feuchten Auen am Inn, der hier nach seinem wilden Weg durch das Hochgebirge in die Ebene des Voralpenlands hinausströmt. In der heißen Jahreszeit, wenn die Almen beweidet und die Hütten bewirtschaftet sind, wenn droben Käse gesennt wird und Kühe, Schafe und Geißen sich einen Wanst für den Winter anfressen, dann meidet der Alperer die Unruhe in den Hochlegern. Er hat sich in eine riesige Schlange verwandelt, schlängelt sich durch die Flussauen und ernährt sich von allerlei Getier, ja sogar von Kälbern, wenn sie aus der Weide ausbrechen und ihm zu nahe kommen.

Erst nach dem Almabtrieb, wenn das Vieh wieder unten im Stall steht, um Martini also, kriecht er nächtens hinauf, verwandelt sich und nimmt Besitz von einer leerstehenden Berghütte. Er hat nun das Aussehen eines Jägers angenommen und treibt so viel Unfug und Spuk, dass sich sogar die kleinen Almgeister vor ihm verstecken.

Auf der Schweinsteigeralm übernachtete einmal der Förster aus dem Tal. Es war Martinsabend. Mitten in der Nacht schreckte er aus seinem Schlaf auf: Ein Mordslärm war zu vernehmen, der erst aus dem leeren Stall zu kommen schien, dann aber auch vom Milchkeller heraufdrang und letztendlich überall im ganzen Häusl rumorte. Da wurde sogar dem schneidigen Jägersmann angst und bang. Schleunigst zog er sich an, packte sein Gewehr und nahm Reißaus aus der unwirtlichen Unterkunft. Bevor erhinter der Hütte den Waldrand erreichte, schaute er sich noch einmal um und sah, wie gerade ein funkensprühendes kugeliges Lichtgebilde über die Baumwipfel glitt, bis es auf der anderen Seite der Wiese ins Unterholz hineinfuhr. Ein dröhnendes Lachen war zu vernehmen, während eine Gestalt im grünen Jägerwams unter dieser Lichterscheinung im Wald verschwand.

Auf der Alm vom Schweinsteiger hat unser Waidmann nie wieder übernachtet.

Der »Alperer« ist auch der Titel eines mehrstimmigen Jodlers.

AUSRAUCHEN

Während der Raunächte zwischen dem Thomasabend (21. Dezember) und der Perchtnacht, der Nacht auf Heilig Drei König (5. Januar), werden Haus, Stall und Nebengebäude, in neuerer Zeit auch Garagen, der Motorraum von Fahrzeugen und Computer »ausgeraucht«. Der Hausbesitzer geht dazu mit einer Pfanne mit glühenden Kohlen voran, auf die Kräuter und Aromastoffe gelegt sind.

In Hieflau und anderen Orten der Steiermark feiert man die Christnacht, die Neujahrsnacht und die Nacht auf Heilig Drei König. Man bleibt diese Nächte hindurch auf, weiht die Zimmer und Ställe mit Weihwasser (»Weichwasser«) und räuchert (»raucht«) mit Weihrauch (»Weichrauch«).

Dieses mystische Ritual soll die bösen Geister vertreiben. Zum Ausrauchen empfiehlt sich eine Mischung aus Wacholder, Myrrhe und Weihrauch.

Der Geruchssinn ist ja einem der ältesten Teile des Stammhirns zugeordnet, er dient der Gefahrenabwehr sowie dem Sozialverhalten und fördert auch die Begegnung zwischen den Geschlechtern. Gerüche wirken direkt auf das Zentralhirn und verbinden sich dort mit Erinnerungen und Emotionen. Rauchrituale finden sich weltweit und kulturübergreifend.

Das Ausrauchen ist nicht zu verwechseln mit dem »Ausrauchen« nach einem in der Regel männlich agitierten Erregungszustand, zum Beispiel nach einer verbalen oder körperlichen Auseinandersetzung:

»Gehts naus vor d’Tür und rauchts eich erst amoi aus!« (Cool-Down-Prinzip)

BEILE

und andere bäuerliche Geräte und deren Missbrauch durch Geister

Auf land- und forstwirtschaftliche Geräte wie Beile, Sensen, Heugabeln, Äxte, Messer und sonstiges Werkzeug ist sorgsam zu achten, da Berggeister, wenn sie ihrer habhaft werden, damit Unsinn anstellen können. Mitunter führen dann diese Gerätschaften ihr Eigenleben.

Norken beispielsweise lockern die Füße von Melkschemeln, dadurch landen Mägde beim Melken unfreiwillig mit dem Gesäß auf dem Stallboden und womöglich in einem Kuhfladen.